Judasfall eines Drachen von masamume (Teil 13/4.1 Schicksalsgeschichten) ================================================================================ Kapitel 1: Chapter 1 - 5 ------------------------ Okay, ich geb’s zu … es ist mal wieder nicht wie angekündigt endlich der letzte Teil. Ich selbst war ja willig, aber die süßen Menschen hinter den Emailadressen haben mich ihre liebevolle Ungeduld spüren lassen, sodass ich die „Schuld“ über den abermaligen Wortbruch somit gern weiterreichen möchte. Nämlich vor allem an die Damen aus dem Drachenzirkel, die mich mit Anfeuerungs- und Bestärkungsmails am Leben gehalten haben. Gelebt habe ich das letzte Jahr fast ausschließlich im und fürs Büro – ich weiß kaum noch, wofür ich überhaupt Miete bezahle, wenn ein Bett im Büro eigentlich sinnvoller wäre und ich dabei nicht so viel Gehalt bekomme wie ich verdiene. Aber dafür habe ich fast den gesamten Februar frei, um meinen „alten“ Urlaub AM STÜCK abzubauen … das kann ja nicht gut sein, wenn man nachts nur noch von Kollegen, Chefs und Firmengebäuden träumt. @_@ Den Urlaub habe ich wohl auch nur wegen meines Gejammers so am Stück bekommen. Schwafel schwafel schwafel, was wollte ich noch gleich sagen? Ach ja, die Damen des Drachenzirkels. Ihnen ist es zum Großteil zu verdanken, dass ich nochmals eine kleine Grauzone habe. Deshalb bekommt ihr hier quasi den Letzten Teil Teil Eins. Also 13-4.1 (der letzte wird dann 13-4.2 – das ist die Fan-Idee des Jahrhunderts – tausend Gnuutsis dafür! ^^). Deshalb wundert euch bitte nicht, wenn auf den nächsten 681 Seiten Themen aufgeworfen und nicht abschließend geklärt werden – ich verspreche, dass das alles am Ende einen Sinn ergibt … na ja … mehr oder weniger … ihr seid eben wie gewohnt zum Mitdenken aufgefordert. T_T Bevor ihr nun zu lesen anfangt, möchte ich euch sagen, dass ihr hier die Animexx-Version erwischt habt und nach den neuen Regeln sind Autorenkommentare verboten. Deshalb darf ich euch leder weder auf **Tripples** noch auch **Prophezeiungen** noch auch **besonders sinnfreie Textstellen** hinweisen. Wenn ihr das Original mit meinem Gesülze haben möchtet, klickt euch auf www.yaoi.de ein und ladet dort das txt runter. Wahlweise schreibt mir eine Mail an masamume@web.de und ich schicke euch das Original mit den schönen Sternchen. XD Ihr würdet mir damit sogar eine Freude machen. ^^ Vorsicht Spoiler Anfang Weiterhin möchte ich euch zwei neue Charas vorstellen, die mir schon jetzt ans Herz gewachsen sind (die haben sich so zwischen Herz, Lunge, Milz und Leber gedrängelt) und ich hoffe, ihr liebt sie genauso. Nämlich Mokubas wahren Doppelgänger - den „lieben“ Tjergen (ich habe mir ein Fitnessstudio **Tripple** angesehen und der sexy Trainer hieß Tjorge oder so ähnlich. Der hatte zwar mit „meinem“ Tjergen null Ähnlichkeit, aber irgendwie hatten meine Musen mal wieder gekifft … angemeldet habe ich mich dann aber nicht, weil der Kerl zu viel Geld verlangt hat – insofern hat er mit Tjergen doch was gemeinsam). Und wie aus dem Nichts kommt ein noch namenloser kleiner Falke geflattert, dessen „Identität“ ihr dann im nächsten Teil enthüllt bekommt (raten ist wie immer erlaubt und herzlich willkommen – mal sehen, ob ihr auf seine Bedeutung kommt). Auf Leserwünsche bin ich natürlich wie immer auch eingegangen. Wenn ich es so genau bedenke, seid eigentlich ihr alle schuld, dass ich auf dem Weg zum Ende immer wieder auf Abwege geführt werde. Alles eure Schuld! ^^’ Ich habe mich mal etwas um Sethan gekümmert und noch ein Rätsel mehr aufgegeben, welches sich am Ende (von 13-4.2) aber auch von selbst erklärt (im Kern seine verschrobene Bitte: „Ich liebe dich und doch bitte ich dich: Liebe mich nicht“). Und die Sache mit Marik … es tut mir leid, ich konnte nicht widerstehen. XD Und Tato geht’s auch besser. Ich wollte ihn zwar noch etwas leiden lassen, aber weil sich so viele einen Neuanfang für ihn gewünscht haben, bin ich doch eingeknickt. *knacks* Und ein bisschen Lemmon für meine Kommischweinchen gibt’s natürlich auch. Besonders Moki/Noah war nachgefragt und ich hoffe, die betreffenden Seiten können euch befriedigen oder wenigstens süchtig machen. Eben öfter mal auf zu neuen Ufern. XD Entwarnung Spoiler Ende So, nun ist aber genug gespoilert, entschuldigt und geschwafelt. Ich hoffe, ihr erinnert euch noch an den Inhalt und bleibt noch etwas bei der Stange. Es geht zu Ende. Ich verspreche es. Ich schreibe auf das Ende zu solange meine Finger tippen können. Wobei ich hoffe, dass sie es nach dem hoffentlich letzten Teil auch noch können. ^^’ ************************************************************************************************* Judasfall eines Drachen Teil 4.1: Schicksalsgeschichten Chapter 1 Der Hochsommer hatte die Stadt in seinem brennenden Griff und so war man froh über jedes Stückchen Schatten. Wenn man denn eines fand. Im Haus war es kaum auszuhalten, jedenfalls solang man keine Nordseite bewohnte oder eine Klimaanlage besaß. Und draußen scharten sich die Menschen in den Eiscafes, den Schwimmbädern oder im Park. Jeder schattige Platz erfreute sich größter Beliebtheit. Und so auch die Terrasse vor der Herberge und der Garten auf der Rückseite. Neben den normalen Gästen hatten sich die Dauerbewohner auch dort ihre Liegestühle und Sonnenschirme gesichert. Die Kinder spielten natürlich lieber auf dem Spielplatz an der Rückseite, doch dafür war es vor dem Haus aufgrund der Nordseite Sonneneinfalls kühler. Eine wahrlich schwere Entscheidung, wo man sich denn nun hinsetzen sollte - vorausgesetzt man war kein Spielplatzfan. „Mann ey“ moserte Mokuba, der herauskam und sich zu Tristan und Marie auf die kühlere Terrasse setzte. Oder besser plumpste, denn er ließ sich mit langem Gesicht auf seinen Stuhl fallen, bevor er nach den Zigaretten langte. „Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“ guckte Marie ihn an. „Nichts“ murrte er und zündete die Kippe an. Manchmal konnte er trotz aller Unterschiede genauso mürrisch aussehen wie Seto. „Unsinn, man sieht doch, dass dir irgendwas nicht passt.“ „Tut es auch nicht!“ schimpfte er und knallte das Feuerzeug auf den Tisch. „Ich habe uns extra einen Swimmingpool gekauft und jetzt plantschen da die Nachbarskinder drin. Von wegen in Ruhe abkühlen und chillen. Nix da! Ich will zurück nach Domino in meine Villa ohne Nachbarn, in meinen Pool ohne Nichtschwimmer. Jetzt weiß ich auch, warum Seto damals eine Villa mitten ins Niemandsland gesetzt hat.“ „So ist das eben“ meinte Tristan und schaute über seine Sonnenbrille hinweg. „Dein Sohn badet da doch sicherlich auch drin.“ „Das ist ja auch meiner. Aber da sind mindestens fünf oder sechs Kinder, die ich gar nicht kenne. Und wenn ich die rausschmeiße, bin ich gleich als Kinderhasser verschrien. Davon abgesehen, springen die so oft wieder rein, dass das Wasser schon voller Gras ist.“ „Freu dich doch, dass Dante so gut Anschluss bei anderen Kindern findet.“ „Kann er ja auch gern. Aber nicht in MEINEM Pool.“ „Hat den nicht Noah bezahlt?“ „ICH habe ihn gekauft.“ „Aber nicht bezahlt.“ Nein, das hatte er nicht. Darauf konnte Mokuba nicht viel entgegnen. Außer: „Ich hoffe, die Mücken stechen dich tot, Taylor.“ „Die stechen lieber Nika. Sie hat süßeres Blut“ schmunzelte Tristan und widmete sich lieber seinem kühlen Bierchen. Dass der neue Pool bald in Kinderhand landen würde, war doch eigentlich klar. Es war so heiß und ihre Kinder freundeten sich schnell mit anderen an. Okay, Feli aufgrund ihrer Schüchternheit nicht so sehr, aber Nini nahm sie einfach an die Hand und integrierte sie. Und wenn bei diesem heißen Wetter auch noch eine Plantschgelegenheit geboten wurde, trudelten eben auch schnell die Nachbarskinder ein. Letztlich war die Wiese noch immer Teil der Gaststätte und mit Sandkiste und Schaukel schon immer von Kindern besetzt. Die interessierte es auch wenig, ob der Cousin vom Pharao da seinen mobilen Pool für sich allein haben wollte. „Wo sind die anderen?“ wollte Mokuba wissen. Hier saßen nur Marie und Tristan und auf der anderen Seite saßen auch nur Nika und Tea, welche auf die Kinder aufpassten. Da fehlte ein Großteil an Leuten. „Joey und Noah sind im Büro. Und Narla ist dort auch hin, um Papa Joey zu besuchen“ überlegte Marie und streichelte ihren dicken Bauch, auf dem sich schon kleine, lebendige Beulen bewegten. „Mokeph ist spazieren, Sari und Tato sind mit den Zwillingen ins Aquarium gefahren und Dakar ist … weiß ich gar nicht, wo der ist. Ich habe ihn nur weggehen sehen, bevor ich mich hergesetzt habe.“ „Um den würde ich mir keine Sorgen machen“ meinte Tristan. Der große Dakar konnte gut auf sich aufpassen und wenn er verschwand, musste das nichts heißen. „Komisch finde ich es, dass Mokeph spazieren geht. Das macht er nie“ grübelte Mokuba. „Hat er was gesagt?“ „Er hat gesagt, er geht mal ne Weile in die Stadt“ erklärte sie genauer. „Ich habe ihn aber auch nicht gesehen. Narla hat das erzählt.“ „Und wo sind Yami und Yugi?“ „Die schlafen noch“ meinte Tristan. „Hast du was davon gehört, dass Seth gestern hier war?“ „Tato hat mich geweckt“ erzählte Mokuba und zog den Aschenbecher heran. „Er war wohl da und hat Yami gebissen.“ „Bitte was?“ Da machte Marie aber große Augen. „Gebissen?“ „Ganz anscheinend. Aber als ich kam, war er schon weg und ich konnte die Wunde nur noch heilen. Yami wurde von Tato schlafen gelegt und weiter erzählt hat Yugi mir auch nichts. Er meinte nur, dass wir uns erst mal keine Sorgen machen sollen.“ „Ich habe mich heute Morgen mit Tato unterhalten“ erzählte Tristan. „Er sagte, Yami hätte Seth verstoßen. Sie sind wohl irgendwie zusammengerasselt und … ich weiß auch nicht, was genau passiert ist. Nur eben, dass Seth jetzt offiziell kein Priester mehr ist.“ „Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob das so einfach geht“ fragte Marie nachdenklich. „Ich meine, kann Yami ihn einfach so von seiner Pflicht entbinden? Ich dachte, dass man so einen Priesterschwur auf Lebenszeit leistet.“ „Ich glaube nach ägyptischem Gesetzt müsste er Seth sogar töten“ fügte Mokuba zusätzlich an. „Aber so etwas tut er nicht. Ich denke mal, dass Seth sich schon einen ganz schönen Klopfer geleistet hat, dass Yami so reagiert. Oder irgendetwas, was das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Yami hat ne Engelsgeduld mit den Leuten, aber er lässt eben nicht alles mit sich machen. Und wer das glaubt, ist ein Idiot. Das sollte Seth am besten wissen.“ „Und selbst wenn, wer sollte Seth schon töten können? Sethos ist noch immer nicht über den Berg und außer ihm hat doch niemand die Macht dazu.“ „Wir wissen aber nicht, was mit Seto wird“ bedachte ihr Bruder. „Wenn er das mit der Wassermagie wirklich schafft, wäre er Seth bestimmt überlegen.“ „Überlegen ja, aber ob er seinen Yami töten könnte?“ fragte Mokuba sich leise und beobachtete die Glut seiner Zigarette. „Ich könnte Mokeph nicht töten. Selbst wenn er sich Seth anschließen würde und … egal was wäre, ich könnte meinem Yami nichts tun. Ich möchte nicht in Setos Haut stecken.“ „Ich finde die ganze Sache ganz furchtbar“ sprach sie und senkte den Blick. „Ich kann einfach nicht verstehen, warum Seth so ist. Wie er so werden konnte. Er ist doch immer ein barmherziger und vernünftiger Mensch gewesen. Bodenständig und mitfühlend. Ich kann mir nicht erklären wie er sich so verändern konnte. Ich hoffe immer noch, dass das alles nur ein Fluch ist und irgendwann alles einfach vorbeigeht.“ „Glaubst du denn daran, dass er noch mal zu uns zurückkehrt?“ fragte Mokuba ganz vorsichtig. „Ob ich daran glaube oder nicht ist unwichtig. Nur was Yami tut, das ist entscheidend.“ „Na ja“ ergänzte er und wählte seine Worte mit Bedacht. „Immerhin bist du aber schwanger von ihm und nicht Yami. Und Yami ist auch nicht mit ihm verheiratet.“ „Ich habe Seth niemals etwas zu sagen gehabt“ antwortete sie mit trockener Stimme und niedergeschlagenen Augen. „Von Anfang an habe ich gewusst, dass ich niemals an erster Stelle stehen werde. Dass ich immer hinter Yami zurückstehen werde. Ich weiß, dass Seth mich aus Liebe geheiratet hat, aber er hat schon viele Frauen aus Liebe geheiratet.“ „Aber du bist die einzige Frau, die er seit Ägypten geheiratet hat. Und das bestimmt nicht, weil er auf Monogamie abfährt.“ „Trotzdem steht eine Ehefrau immer weit nach dem Pharao. Ich habe das akzeptiert, also kann ich mich jetzt auch nicht darüber beschweren.“ „Trotzdem kannst du doch aber hoffen, oder?“ „Ich glaube, hoffen tun wir alle“ rettete Tristan seiner Schwester vor einer weiteren, schmerzenden Antwort. Natürlich war Marie am Boden zerstört, aber sie musste stark sein für die Kinder, welche sie erwartete. Sie konnte sich jetzt keinen Durchhänger leisten, sonst schadete das auch den Zwillingen. Auch wenn das Starksein in dieser Situation alles andere als leicht fiel. Und er als ihr Bruder musste für sie da sein. „Mir fehlt Seth auch. Ganz gewaltig sogar. Er ist mein bester Freund, aber er hat sich von uns noch niemals etwas sagen lassen. Wenn ich losgehen und diesen Mist aus seinem Hirn rausprügeln könnte oder wenn er für irgendwelche Argumente empfänglich wäre, dann würde ich nicht aufhören auf ihn einzureden. Aber wir verfügen weder über magische Kräfte noch über Autorität. Wir können rein gar nichts tun. Ich würde fast alles für ihn tun, aber nichts wäre genug. Und deshalb bleibt uns nur zu hoffen, dass er zur Vernunft kommt oder Yami einen Weg findet, dem Ganzen ein Ende zu bereiten.“ „Selbst wenn Sethi sich besinnt und wieder normal wird“ sprach Marie leise. „Er würde sich das, was er getan hat, niemals verzeihen. Er würde daran kaputt gehen. Es ist zu viel passiert als dass er jetzt einfach umdrehen könnte.“ „Daran habe ich noch gar nicht gedacht“ stellte Mokuba selbst traurig fest. Selbst wenn Seth eine plötzliche Eingebung bekäme, würde er sich die begangenen Morde niemals verzeihen. Auch wie er seine Familie behandelte und wie respektlos er zu Yami war, das alles würde er niemals verwinden. Marie hatte Recht, er konnte jetzt nicht einfach so zurückkehren. Dafür war es zu spät. Ob es auch das war, was Yami gesehen hatte als er ihn aus seinem Priesterstand entließ? „Aber das ist kein Grund“ tröstete Tristan sich selbst und die beiden anderen. „Auch wenn das was wir tun können nicht viel ist, so müssen wir es trotzdem tun.“ „Und das wäre?“ wollte Mokuba wissen und drückte seine halbe Kippe aus, die ihm jetzt auch nicht mehr schmeckte. „Ich kann ja auch nicht viel mehr tun als die Leute wieder zusammenzuflicken. Im Geschehen spiele ich doch auch keine Rolle.“ „Du bist ja wenigstens noch ein Heiler und ohne dich wären einige von uns nicht mehr hier. Aber wir anderen, ich, Mie, Nika, Tea - wir können kein Schicksal bewegen. Deshalb müssen wir für einander da sein“ sprach er ernst. „Wir müssen für Seths Söhne da sein und für ihre Mutter. Auch für Narla und Mokeph müssen wir da sein. Das sind die Leute, die am meisten mit ihm leiden. Und die, welche am tapfersten sind.“ „Das hast du schön gesagt“ seufzte Marie und nahm die Hand, welche ihr Bruder ihr reichte, um sie zu bestärken. „Und was ist mit Seto?“ bemerkte Mokuba. „Vielleicht könnt ihr es nicht nachvollziehen, aber als Hikari empfindet man das noch intensiver. Man teilt sich ein Stück Seele und was Seth tut, das ist für Seto als würde er es selbst tun. Für ihn sollten wir auch da sein.“ „Ich wollte auch niemanden ausschließen. Aber Seto würde sich von uns nicht helfen lassen“ sprach er weiter und man merkte, dass er sich schon sehr viele Gedanken gemacht haben musste. „Das was Seto und Yami denken, das können wir nicht nachvollziehen. Natürlich helfen wir uns alle gegenseitig, alle zusammen. Seto ist mir auch sehr wichtig. Aber was er empfindet, das kann ein Hikari wie du oder ein Pharao wie Yugi viel eher nachempfinden. Ich könnte Seto keinen hilfreichen Rat geben. Ich kann einfach nur sein Freund sein. Also tue ich das, was ich tun kann. Auch wenn es nur wenig ist.“ „Was ihr tut, ist schon mehr als man verlangen kann.“ Yugi kam in diesem Moment aus der Tür und hatte die letzten Sätze gehört. Er legte Tristan die Hand auf die Schulter und blickte erst ihn, dann Marie sanft an. „Das was ihr mit uns mitmacht, würde kaum jemand aushalten. Dass ihr überhaupt noch mit uns befreundet seid, ist ein Wunder.“ „Unsinn“ winkte er beschämt ab. „Nein, ehrlich. Habt ihr euch das mal überlegt?“ Er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich zwischen Tristan und Mokuba. „Für Tristan und Nika wäre es doch eigentlich das Leichteste, wenn sie mit Feli einfach getrennt von uns leben würden. Marie hat schon vor ihrer Schwangerschaft mehr als genug mitgemacht und für alle anderen gilt das auch. Diese ewigen Kämpfe und jetzt dieser Horrortrip, das hätte jede Freundschaft zerstört. Wenn ihr nicht mit uns befreundet wäret, würde euer Leben viel einfacher sein.“ „Ach, so darfst du das nicht sehen. Das ist doch alles ein Nehmen und Geben“ widersprach er und lächelte ihn an. „Mal ehrlich, ich hätte niemals gedacht, dass ich mal in einer Villa wohne und mit Millionären befreundet bin. Außerdem hänge ich mit den heimlichen Herrschern der Erde ab und kenne ein paar Götter persönlich. Unterm Strich lohnt sich der Stress.“ „Aber wenn du mal ehrlich bist“ brachte Yugi behutsam an, „hast du nicht schon mal daran gedacht wie ruhig dein Leben sein könnte, wenn wir uns nie getroffen hätten? Seto und ich, wir konnten uns das nicht aussuchen. Aber ihr habt eine Wahl.“ „Ich kann mir mein Leben gar nicht anders vorstellen. Ohne Seth hätte ich Nika nie kennen gelernt und ob ich überhaupt studiert hätte, weiß ich auch nicht. Hätte ich dich nicht kennen gelernt, säße ich wahrscheinlich neben Joey in einer Gefängniszelle. Ich würde so ziemlich alles vermissen. Außerdem kann ich behaupten, die besten Freunde der Welt zu haben. Wer kann das schon?“ „Du kannst ja richtig schnulzig sein, Trissi“ lachte Marie. So kannte sie ihren kleinen Bruder gar nicht. „Das muss an der Hitze liegen“ schmunzelte auch Mokuba. „Gut, dass für morgen Regen angesagt ist. Und so was will ich von Yugi auch nie wieder hören“ beschloss Tristan und nippte an seinem Bier. „Was ist denn überhaupt mit Yami?“ „Wie was ist mit ihm?“ horchte Yugi auf. „Na ja, es ist halb vier am Nachmittag und er liegt noch immer in den Federn.“ „Nein, tut er nicht“ widersprach er und blickte verwirrt in die Runde. „Er ist heute Morgen aufgestanden. So gegen halb acht. Nur ich habe mich dann erst schlafen gelegt und verpennt. Ich war ja die ganze Nacht wach bis ich wusste, dass er okay ist.“ „Noah und ich haben Nini und Tato heute mit in den Kindergarten genommen. Das war gegen acht Uhr. Ich wusste ja, dass du bei Yami bist“ erklärte Mokuba. „Aber da ist Yami uns nicht über den Weg gelaufen. Ich dachte, er schläft noch.“ „Aber Nini riecht ihn doch schon auf mehrere Meter“ wandte Marie ein. „Wenn er wach gewesen wäre, wäre sie ihm begegnet. Und das hätte sie erzählt.“ „Jetzt erzählt mir nicht, dass Yami weg ist“ bat Yugi und stand entschlossen auf. „Hinten im Garten brauchst du nicht suchen. Da war ich eben“ hielt Mokuba ihn auf und erhob sich ebenfalls. „Aber wenn er oben nicht ist und hier auch nicht …“ „Ja, wo ist er dann?“ formulierte Marie die Frage zu Ende. „Wir dachten alle, ihr schlaft beide noch oben.“ „Wenn er weggegangen ist, können wir doch sein Handy orten“ war Tristans Idee. Wenn Yami denn überhaupt sein eigenes mithatte und es nicht wieder mit dem von jemand anderem verwechselt hatte. „Yami benutzt keine Handys mehr. Er hat beschlossen, dass er ab jetzt ohne Handy lebt“ wusste Yugi und fuhr sich über die Stirn. „Okay, ganz ruhig jetzt. Wenn Seth noch mal wiedergekommen wäre, dann hätte das jemand gemerkt. Also muss das einen anderen Grund haben, dass er nicht hier ist.“ „Glaubst du, dass er entführt wurde?“ fürchtete Mokuba. „Wer sollte denn Yami entführen? Hier seid ihr Pharaonen doch so sicher wie sonst nirgendwo.“ „Malen wir nicht gleich den Teufel an die Wand. Erst mal überlegen.“ Auch wenn das gar nicht so einfach war. Yami konnte quasi überall sein. „Ist denn einer von den Magiern hier?“ „Im Moment bin nur ich hier“ antwortete Mokuba, dem sich langsam auch der Magen umdrehte. „Dakar ist irgendwie weg und die anderen sind gen Aquarium.“ „Tato und Dakar wären die einzigen beiden, die ihn mit ihren Sinnen finden könnten.“ Aber diese Idee musste Yugi damit verwerfen. „Was bedeutet denn, dass Dakar irgendwie weg ist?“ „Wir wissen nur nicht wo er ist. Vielleicht weiß Tea bescheid“ war Maries Idee. „Ich kann ja in der Zwischenzeit Tato anrufen. Vielleicht sind sie ja schon wieder auf dem Rückweg.“ „Danke, das kann ich auch selbst schnell machen.“ „Und ich gehe Tea fragen.“ Und damit verschwand Tristan auf dem schnellsten Wege durch das Restaurant in den dahinter gelegenen Garten. Yugi holte sein Handy aus der Hosentasche, tippte auf die Kurzwahl und wartete Sekunden bis er eine Verbindung bekam. „Hallo Schatz“ grüßte er seinen großen Sohn ganz kurz. „Wo seid ihr denn? - … - Nein, noch nicht. Wir suchen Yami und haben uns gefragt, ob ihr vielleicht heute Morgen was bemerkt habt.“ Er wartete einen ganzen Moment und machte dann große Augen. „Ach so? Nein, habe ich nicht gemerkt. Da muss ich noch mal gucken gehen. - … - Nein, macht euch erst mal keine Sorgen. Ich melde mich gleich noch mal. - … - Erst mal nicht, das würde ihm ähnlich sehen. Ich laufe schnell rauf. Sag mir zwischendurch bitte mal wie es Sethos geht.“ Damit verschwand er schon wieder nach drinnen und ließ Mokuba und Marie draußen links liegen. Die beiden sahen sich an und Mokuba wusste nichts anderes als sich wieder zu setzen und zu warten. „Ich hätte gern einen einzigen Tag, wo mal nichts passiert“ murrte er und fummelte an der Plastiktischdecke herum. „Dann willst du zurück in die Pampa?“ „Gott bewahre.“ Nein, das dann auch nicht unbedingt. „Nur in letzter Zeit muss man sich um einige Leute ganz schön Sorgen machen. Mir wäre ja schon geholfen, wenn ich wüsste wie’s Seto geht. Aber bei dem weiß ja auch keiner wo er ist. Und der einzige, der es weiß, liegt im Krankenaquarium.“ „Wenigstens geht es Tato besser. Er hat sogar richtig gelacht heute Morgen.“ „Echt? Das habe ich nicht mitgekriegt.“ „Doch, wirklich“ lächelte sie. „Balthasar hat beim Frühstück einen schmutzigen Witz erzählt und Tato hat sich richtig beömmelt. Wenn er so lacht, sieht er wieder aus wie ein Zweijähriger. Richtig ansteckend.“ „Ich hatte gestern auch das Gefühl, dass es ihm besser geht. Ich glaube, dass er wieder fliegen kann, hat sein Seelenleben irgendwie verändert. Obwohl das mit Sethos ganz schrecklich ist, scheint Tato jetzt sehr viel gefestigter. Und die Tage im Krankenhaus haben ihm wohl auch zu denken gegeben.“ „Ich glaube, er weiß auch, dass wir jetzt auf ihn zählen“ überlegte sie und blickte immer wieder nach oben zu Yamis Zimmerfenster. „Sari ist noch zu jung, im Augenblick ist er also der einzige Drache bei uns.“ „Schon gruselig wie sehr man sich von so was abhängig macht“ bemerkte Mokuba und hatte schon einen Riss in die Tischdecke gefriemelt. „Mittlerweile ist es schon soweit, dass ich mich ohne Drachen ganz unwohl fühle.“ „Geht mir auch so. Aber ich glaube, das liegt an der Umgebung. Zuhause fühlen wir uns einfach sicherer, weil wir uns auskennen. Hier ist alles irgendwie neu und wenn ich jemanden auf der Straße sehe, frage ich mich immer was er wohl für eine Fähigkeit hat oder ob er so ein Normalo ist wie ich. Sachen über die man sonst nie nachdenkt.“ „Dakar war nur drüben im Supermarkt“ erzählte Tristan als er mit eben dem im Schlepptau zurück nach vorn kam und sich umguckte. „Wo ist Yugi?“ „Mit Tato am Ohr nach oben gelaufen“ zeigte Mokuba zu den Fenstern hinauf. „Was hast du denn im Supermarkt gemacht?“ „Mama brauchte neue Windeln und Shampoo.“ Wenn so ein ausdrucksloser Typ wie Dakar das sagte, war es eigentlich zum Schreien komisch. Auf den ersten Blick sah er aus wie ein blasshäutiger Vampir mit langer Rabenmähne und stechenden Augen, aber eigentlich war er ein Muttersöhnchen und hatte sogar ihr zuliebe ein violettes Shirt angezogen, um auch mal was Farbiges zu tragen. Für Tea würde er einfach alles tun. „Soll ich Atemu nun suchen oder nicht?“ „Ich weiß nicht. Warten wir mal, was Yugi sagt.“ Doch auch wenn Mokuba nach oben sah, tat sich da nicht viel. Das Fenster war angekippt, aber sonst nichts zu erkennen. Jedoch wenn Yami in der Stadt war, würde Dakar ihn schnell finden. Er brauchte nur den Hauch eines Duftes und konnte sein ‚Opfer‘ über mehrere Kilometer verfolgen ohne dabei selbst gesehen zu werden. Dakar war der perfekte Jäger. Nun ja, was erwartete man auch anderes, wenn man eine Schlange zum Vater hatte? Dann war auch Yugi wieder zur Stelle und trat heraus auf die Terrasse. Sein Handy hatte er weg gesteckt und hielt dafür einen Zettel in seiner Hand. Sein Gesichtsausdruck irgendetwas zwischen erleichtert, genervt und ungläubig. „Und?“ fragte Marie nervös. „Weißt du wo er sich rumtreibt?“ „Nicht genau. Aber ich weiß, dass ihm nichts passiert ist“ antwortete er, lehnte sich an ihren Stuhl und las den Zettel vor. „Hört euch das an: Hi Yugi, bin einkaufen, habe deine Kreditkarten. Wartet nicht mit dem Essen auf mich. Kuss, Yami. Ist das zu glauben?“ „Und wo war der?“ guckte Mokuba genauso erleichtert wie verwirrt. „In meiner Brieftasche. Als würde ich auf die Idee kommen, da reinzugucken, wenn ich meinen Yami suche. Manchmal macht er mich echt fertig.“ „Wahrscheinlich hat er das da reingesteckt, weil er deine Kreditkarten genommen hat“ mutmaßte Marie und nahm ihm den Zettel ab, um noch mal zu lesen. „Aber wenigstens ist ihm nichts passiert.“ „Woher wollt ihr denn wissen, dass der Zettel von ihm ist?“ Tristan war da noch sehr skeptisch. „Wenn Mokuba Recht hat und er entführt wurde, kann der auch gefälscht sein.“ „Wohl kaum.“ Marie drehte das Papier in sein Blickfeld und darauf erkannte man nichts weiter als Hieroglyphen. Aber nicht nur Zeichen, sondern sehr viele Striche, Kurven und Kringel. Seine Bildschrift war selbst für Laien von ‚normalen‘ Hieroglyphen zu unterscheiden, da seine Sprache sehr viel älter war. Sehr, sehr, sehr viel älter und es nur noch eine Hand voll Menschen gab, die das überhaupt lesen konnten. Selbst Ägyptologen würden das nicht entziffern können. „Wenn ihm was passiert wäre, hätte er da sonstwas hinschreiben können und dem Entführer wäre es nicht mal aufgefallen.“ „Es gibt das Wort Kreditkarte auf ägyptisch?“ bemerkte Tristan dennoch skeptisch. „Nein, er hat es flacher Kleintausch genannt. Er meint damit aber Kreditkarten. Kleintausch nannte man zu seiner Zeit das Geld. Ich hab’s nur sinnvoll übersetzt“ erklärte Yugi und setzte sich zurück auf den Stuhl. „Ich werde ihn irgendwie dazu überreden müssen, dass er doch ein Handy bei sich trägt. Anders machen meine Nerven seine Allüren nicht mit.“ Yami ging es also gut, der war nur spontan dem Frustshoppen verfallen. Doch kaum war das eine Rätsel gelöst, tat sich gleich das nächste Problem auf. Eines welches sich auch sofort als solches zeigte. Oder eher anhörte, denn es drang ein gellender Schrei durch die Nachmittagshitze. „BAAAAABBIIIIII!“ Und das hörte sich nicht an als wäre das ein Spiel. „BAAAAABBIIIIII! BAAAAABBIIIIII!“ „Feli!“ Sofort sprang Tristan auf, schmiss den Stuhl dabei um und rannte durch die offene Tür in den Garten. Sie schrie um Hilfe, das hörte man selbst dann wenn man nicht ihr Papi war. „Was ist denn da los?“ Und schon lief auch Mokuba hinterher und mit ihm die anderen. Schon bevor sie ankamen hörte man Tumult, hörte man Tea und Nika rufen und Hannes war auch bereits rausgerannt. Draußen angekommen, war die Situation ebenso überraschend wie schnell überblickt. Am Zaun parkte ein dunkler Geländewagen, in welchem bei laufendem Motor ein Mann mit Sonnenbrille wartete. Im Garten flüchteten zwei Männer. Einer davon in sommerlichen Shorts und einem Shirt in selber, blauer Farbe. Der andere im schwarzen Anzug mit Krawatte und langem, blonden Haar. Allesamt unbekannt. Umso verbotener, dass der Anzugmann Feli im Arm hatte, ihr den Mund zuhielt und auf den Wagen zulief, während der Shortmann die Hände ausgestreckt hatte und in diesem Moment alle Personen, welcher zur Hilfe eilten auf den Boden warf. „Das sind Magier!“ rief Tea, welche sich schützend vor die Kinder gestellt hatte und dabei wenigstens die übrig gebliebenen zusammenhielt. Nika war bei ihrem Rettungsversuch zu Boden geworfen worden, aber Tristan war noch nicht nahe genug dran gewesen. Deshalb stürmte er genau jetzt auf die Kidnapper zu und warnte mit einem entschlossenen Rufen. „Lasst sie sofort los! Lasst sie los!“ Aber das kümmerte natürlich niemanden. Die Herren waren schnell und schon fast beim Auto angekommen als sowohl Tristan als auch zwei andere Männer umgeworfen wurden und sich längs auf dem Boden wiederfanden. „Oh Gott! Feli!“ Aber Mokuba war nun mal kein Kämpfer. Selbst wenn, er war viel zu weit entfernt als dass er den Wagen noch hätte erreichen können. Ebenso wie Yugi, der aber gegen drei Männer auch nichts hätte ausrichten können. Beide liefen auf den Wagen zu, doch es war denkbar aussichtslos. Der Mann mit den Shorts war bereits hinein geklettert, der Anzugmann wollte gerade. Nur Dakar war schnell. Wie aus dem Nichts trat er vor die geöffnete Wagentür und verhinderte die sofortige Flucht. Er konnte sich blitzschnell bewegen und sah dabei noch immer aus wie eine Zeitlupenaufnahme seiner selbst. Eine Hand streckte er nach hinten durch die offene Tür, die andere zum Fahrer. Bei Letzterem war zu sehen wie er sofort in Ohnmacht fiel und übers Lenkrad gebeugt liegen blieb. Dem anderen war es wahrscheinlich ähnlich ergangen. Dakars Blick allein reichte um den dritten Kidnapper vor sich erstarren zu lassen. Dann ganz langsam wie eine Geistergestalt bewegte der Giftmagier sich. Er trat einen Schritt näher, nahm die schreiende Feli auf seinen Arm und zwang ihren Kopf an seine Schulter. Dann erst hauchte er dem erstarrten Mann seinen Atem entgegen, worauf dieser hustend auf den Boden sank. Womit wieder bewiesen war, dass man sich mit einem hochklassigen Magier wie Dakar nicht auf einen Kampf einlassen sollte. „Feli! Oh Süße, nicht weinen. Papi ist ja hier. Feli, mein Mäuschen. Ist ja gut.“ Tristan hatte sich zuerst aufgerappelt und nahm seine schreiende und weinende Tochter an sich. Ihm händigte Dakar das Mädchen sofort aus und blickte kalt auf den hustenden Mann zu seinen Füßen, um den er sich noch kümmern musste. „Oh Gott, Felicitas! Tristan!“ Nika eilte auch sofort herbei und wollte ebenso an dem hustenden Mann vorbei und zu ihrer Tochter, doch als sie fast vorbei war, griff der Mann ihren Fuß. Er hatte sie kaum berührt, da stieß Dakars Arm herab und legte ihn flach auf den Rücken. „Beweg dich noch ein Mal“ fauchte er und musste nicht mal zu Ende sprechen, um zu zeigen, dass es besser wäre, einfach liegen zu bleiben. Während Nika ihre Tochter an sich drückte, kochte in Tristan die Wut hoch. Da hatte doch tatsächlich jemand Hand an seine Kleine gelegt. Das war eindeutig eine versuchte Entführung gewesen. Und zwar eine echte bei helllichtem Tage. Wäre Dakar nicht hier gewesen, hätte das böse ausgehen können. „Na warte, du!“ „Nein, Tristan!“ Yugi hielt seinen Arm fest, bevor er in seiner Wut zuschlagen konnte. „Lass mich! Der Kerl wollte Feli was antun! Der kann was erleben, dieses Arschloch!“ „Warte Tristan, warte“ bat er noch mal und drehte sich zu dem am Boden liegenden Mann. Der war unter Dakars Augen eh hilflos, aber Yugi spürte da mehr. „Wer bist du?“ fragte er ernst. Dem Mann war die Sonnenbrille heruntergefallen und sein Atem ging schwer, ließ ein enges Pfeifen hören. Aber in seinem Gesicht lag keine Bosheit. Viel eher blickte er verwirrt hinauf, sah zwischen Yugi und Dakar hin und her, bevor er zurück in den Garten blickte. „Wer bist du?“ fragte Yugi nochmals. „Ich weiß nicht … was mache ich denn hier?“ Er schien selbst völlig ratlos. „SPIEL HIER NICHT DEN DUMMEN!“ Dafür war Tristan in Rage und würde ihm am liebsten … „ICH BRING DICH UM, DU …“ „Tristan, warte. Bitte.“ Yugi kniete sich herab und blickte dem blonden Mann mit dem teuren Anzug tief in die Augen. Doch erkennen konnte er dort nicht viel. „Wie heißt du?“ „Rick … Patsson“ antwortete er und hielt sich hustend die Hand vor den Mund. „Was ist denn hier los?“ „Das wüssten wir auch gern“ erwiderte Tristan, der sich schwer damit tat seine Wut herunter zu schlucken. „Hannes, kannst du uns helfen?“ bat Yugi. Der dicke Wirt stand noch im Garten und half einem der beiden Männer auf die Beine, welche ebenfalls zur Hilfe geeilt waren. „Natürlich. Was ist denn los?“ Er kam herüber und sah prüfend erst auf den Hustenden, dann in das dunkle Innere des Geländewagens. „Kannst du bitte die beiden nach drinnen bringen?“ „Braucht ihr denn noch irgendwas? Soll ich einen Arzt rufen?“ „Das ist nicht nötig“ mischte Dakar sich ein und zog etwas lieblos den bewusstlosen Shortmann am Kragen aus dem Wagen. Der hatte die volle Dröhnung bekommen und hing nun leblos in dessen Griff. „Bring den anderen rein. Erst in ein oder zwei Stunden hört meine Betäubung auf zu wirken.“ „Und Sie müssen mir bitte kurz etwas beantworten“ bat Yugi und legte dem verwirrten Mann am Boden die Hand auf die Schulter. „Sie wissen wirklich nicht, was passiert ist?“ „Nein, ich habe keine Ahnung“ antwortete er und nervös huschten seine Augen von einem zum anderen. „Ich bin aus dem Büro raus und wollte mit meinem Bruder ins Schwimmbad.“ Er wies auf den Mann in Shorts, welchen Dakar sich über die Schulter legte und ins Haus trug. „Was ist mit ihm?“ „Keine Sorge, ihm geht’s gut“ beruhigte Yugi und holte sich mit einem intensiven Blick die Aufmerksamkeit zurück. „Was ist genau passiert? Woran erinnern Sie sich?“ „Darf ich vorher etwas fragen?“ bat er und schluckte seinen Hustenreiz. „Sind Sie … Sie sind der Pharao?“ „Ja, bin ich. Also keine Angst.“ Er setzte sein sanftes, beruhigendes Lächeln auf. Vermuten tat er auch etwas, aber er wollte Gewissheit haben. „Erzählen Sie mir bitte kurz, woran Sie sich zuletzt erinnern.“ „Ich habe meinen Bruder an der Haltestelle getroffen. Dort vorn“ zeigte er auf das Haus, meinte aber sicher die Straße, welcher dort verlief. „Wir standen dort und warteten auf die Straßenbahn. Dann kam dieser schwarze Wagen vorbei und hielt vor uns. Und dann finde ich mich hier auf dem Boden wieder und mein Bruder ist bewusstlos.“ „Ich glaube ihm kein Wort“ schnaubte Tristan. Er hielt sich sehr zurück, um Yugi nicht zu übergehen, aber er würde immer noch viel lieber … „Bleib cool, Tristan. Er war das nicht“ löste Yugi auf. „Ich soll cool bleiben? Meine Tochter wäre fast entführt worden und du sagst, ich soll cool bleiben?! Tickst du noch ganz richtig?!“ „Überlass das Yugi“ bat auch Nika. Sie beruhigte noch immer Felis Weinen und schuckelte sie auf den Armen. „Komm, wir gehen rein. Ich brauche ein Pflaster.“ „Ist Feli was passiert?“ „Nein, er hat mich gekratzt.“ Sie schob ihren Fuß mit den pinken Flipflops vor und an ihrem Unterschenkel zog sich ein mehrere Zentimeter langer Kratzer entlang, welcher leicht blutete. Nicht schlimm, aber eben auch nicht schön. „Komm mit und lass das Yugi und Moki machen.“ Er warf dem Typen noch einen dunklen Blick zu, aber trat dann seiner Frau zuliebe den Rückweg an. „Ich komme gleich und kümmere mich um deinen Kratzer“ versprach Mokuba. Er wollte Yugi jetzt nicht allein lassen und Nika würde noch einen Augenblick warten können. „Ich glaube, Sie waren von jemandem besessen“ erklärte Yugi dem völlig verwirrten Mann. „Es gibt Magier und Hexen, die können die Körper von anderen übernehmen und Sie Dinge tun lassen, die Sie selbst niemals tun würden. Ich habe eine Veränderung bei Ihnen gespürt, die so grundsätzlich war, dass ich mir sehr sicher bin, dass Sie besessen waren.“ „Warum, was …?“ Er guckte Yugi an und war völlig von der Rolle. „Was habe ich denn getan?“ „Nicht Sie, aber jemand in Ihrem Körper hat versucht, die Tochter meines Freundes zu entführen.“ „Oh Gott …“ Und so wie er schaute, konnte man das nicht spielen. „Aber das … oh Gott, das tut mir leid. Ich würde nie … also … ich bin nicht mal magisch begabt. Ich weiß, dass mein Bruder, aber … er würde auch nie … und den anderen kannte ich nicht mal, der da … oh Gott …“ „Schon gut, es ist nicht Ihre Schuld“ beruhigte Yugi. Er hatte herausbekommen, was er wollte und wusste nun, dass die drei Männer wahrscheinlich gar nichts davon wussten, was sie getan hatten. Einer war wohl magisch begabt, aber dass jemand aus Blekinge versuchen würde, dem Pharao oder seiner Familie etwas anzutun, war sehr unwahrscheinlich. Was jetzt aber noch zu klären war … warum Feli? Chapter 2 „Das habe ich mich gleich gefragt“ meinte Noah und rührte mit dem Strohhalm die Zitrone in seinem Eistee. Er und Joey wie auch Narla waren gleich zurückgekommen als sie von dem Ereignis erfuhren. Ein solcher Entführungsversuch war ausreichend Grund für die Gruppe, sich zusammenzurotten. Nur Amun-Re war im Aquarium geblieben, wo Balthasar und Spatz seinen Schutz übernahmen. Alle anderen waren binnen einer Stunde alle vollzählig. Ach ja, bis auf Yami, der noch immer irgendwo wild Geld ausgab, aber dafür hatte man wenigstens Mokeph auf dem Handy erreicht. „Was denn?“ guckte Dante ihn an, der dem Gespräch zwar folgen wollte, aber die Zusammenhänge nicht so recht verstand. Die Kinder hatten den Trubel schon fast wieder vergessen und spielten bereits in der Sandkiste. Von den Erwachsenen wurde ihnen ernst erklärt, dass sie nicht zu fremden Leuten gehen durften, aber wurden gleichsam beruhigt, dass alles in Ordnung sei, solange ein Erwachsener in der Nähe sei. Nur Feli bebte noch immer am ganzen Körper und saß zwischen Mamas Armen versteckt, wobei ihr auch die Hitze egal war. „Nichts, Kleiner. Hast du ausgetrunken?“ Noah nahm Dante das leere Saftglas ab und strich ihm die Haare aus der Stirn, während der nickte. „Gut, dann geh wieder spielen.“ „Oki, Kleiner. Danke schön, bitte sehr.“ Und schon war er wieder weg, um Tato und Nini im Sandburgenbau zu unterstützen. „Das ist wirklich ein Rätsel“ überlegte auch Tristan. „Wenn ich ein Kind entführen wollte, dann würde ich Nini oder Dante entführen. Bei Nika und mir gibt’s doch kaum Geld zu holen.“ „Klingt ja nett“ murrte Mokuba. „Ich würde meinen Dante und mein Geld ganz gern beide behalten.“ „Ich meine euch zu erpressen, würde sich wenigstens lohnen“ versuchte er zu erklären. „Nika verdient mit Mode zwar auch ganz gut, aber im Vergleich zu den Familien Kaiba und Muto sind wir doch arme Schlucker.“ „Wer uns aber kennt, der weiß, dass wir jede Summe für eure Kinder zahlen würden“ führte Noah seine Gedanken fort und blickte besorgt hinüber zu den spielenden Kindern. „Das waren auch keine gewöhnlichen Entführer. Sie haben abgewartet bis möglichst alle unsere Magier abwesend sind. Das heißt, sie haben uns beobachtet.“ „Und Dakar war eigentlich auch weg. Nur gut, dass der Supermarkt heute leer war“ äußerte Tea und legte sich die kleine Theresa über die andere Schulter, denn das Bäuerchen ließ heute länger auf sich warten. „Wäre er nicht so schnell zurück gewesen … ich will gar nicht dran denken, was dann wäre.“ „Dakar ist der Held des Tages“ grinste Joey breit, aber von dem frisch gekürten Helden kam keine Reaktion. Er blickte einfach irgendwo ins Nichts, so wie immer. „Mich wundert es eher, dass so was mitten in Blekinge passieren kann“ sprach Mokeph ernst. „Ich dachte, hier sind wir sicher. Wenn wir bedroht werden und kämpfen müssen, hätten wir auch in Domino bleiben können.“ „Amen“ ergänzte Mokuba. „Balthasar sagte mir am Telefon, dass derjenige gar nicht in Blekinge sein muss. Und er kennt sich mit so etwas doch am Besten aus“ erzählte Marie. „Er sagte, wenn man diese Geistbesetzung ausreichend gut beherrscht, dass man dann auch einen Körper übernehmen kann, der viele Kilometer weit weg ist. Er sagte, er könnte Phoenix und Narla auch am anderen Ende der Welt spüren und besetzen. Und andere Leute, mit denen er nicht verwandt ist, muss er nur ein Mal bewusst berührt haben, um sie immer wieder aufspüren zu können.“ „Du meinst es wäre also möglich, dass der oder die Entführer gar nicht selbst in Blekinge sind und mindestens so begabt wie Balthasar“ kombinierte Noah und versuchte möglichst schnell dahinter zu kommen, wer oder was genau sie hier bedrohte. „Voraussetzen können wir also nur, dass derjenige etwas von uns will, sonst hätten sie Feli auch sofort töten können, dafür waren sie nahe genug.“ „Sag sowas nicht“ bibberte Nika, welche solch einen Gedanken gar nicht haben wollte. „Ich sage nur, sie waren offensichtlich nicht darauf aus, sie zu verletzen. Das legt nahe, sie wollten uns erpressen.“ „Oder sie wollten etwas von Feli.“ Tato kam zu ihnen in den Garten und nahm sich unterwegs zwei Stühle mit. Einen für sich und einen für Sareth, welche hinter ihm ging. „Hast du etwas in ihren Gedanken gesehen?“ hoffte Tristan auf Erklärung. Tato war bei allen drei Männern gewesen, um ihre Gedanken und Erinnerungen zu prüfen, denn solch geistlichen Fähigkeiten besaß Dakar nicht. Sareth musste so etwas noch trainieren, weshalb sie ihrem Vater diesmal dabei assistierte. „Nichts, was uns auf eine Spur führen würde“ erzählte er und rückte seiner Tochter den Stuhl hin. „Ich habe die drei nach hause geschickt.“ „Wir sollen euch sagen, dass es ihnen schrecklich leid tut“ ergänzte Sareth und sprach dabei direkt Tristan und Nika an. „Sie wussten gar nicht, was sie taten. Aber es tut ihnen trotzdem leid. Sie haben ihre Telefonnummern aufgeschrieben, falls ihr noch mal mit ihnen reden wollt.“ „Nur einer von ihnen ist Hexer. Er ist aber eher schwach begabt“ erklärte ihr Vater weiter, setzte sich und nahm die Zigarettenschachtel vom Tisch. „Sein Talent liegt darin, durch Dinge hindurch zu sehen. Hauptsächlich durch Stein. Seine Fähigkeiten sind aber sehr gering ausgeprägt und er hat sie nur als Jugendlicher studiert. Jetzt ist er ein nicht praktizierender Hexer, also eigentlich nutzlos.“ „Er hat aber eine Energiewelle über den Boden geschickt“ wandte Yugi ein. „Sobald Dakar da war, hat sich der Energiestrom um ihn herum verändert. Danach floss er normal. Bevor Dakar ihn betäubt hat, war die Energie irgendwie … gar nicht vorhanden. Als würde das Leben einen Bogen um ihn herum machen.“ „Seit wann entwickelst du denn magische Fähigkeiten, Yugi?“ horchte Joey. „Ich weiß auch nicht, was das war. Ich kann nur sagen, dass ich da eine Art toten Punkt gefühlt habe. Ich bin magisch vielleicht eher unbegabt, aber ich weiß, wie sich Energie anfühlt. Und ich ich weiß, dass ich dort etwas unnatürliches wahrgenommen habe.“ „Das kann ich nicht beurteilen. Das ist Pharaonenquatsch“ murrte Tato. Er hasste es, wenn er etwas nicht nachvollziehen konnte und das Spüren der Energieflüsse beherrschte er nur gering bei Menschen, bei allem anderen gar nicht. Das jedoch war das, was die Pharaonen als einzige konnten. Er würde ja auch gern, immerhin trug er Yugis Geist in sich … doch zum Pharao taugte er trotzdem nicht. Die Energie der Erde kommunizierte nicht mit ihm. „Also konntest du nichts herausfinden“ unterstellte Tristan enttäuscht. „Nur eben, dass die drei besessen waren“ erklärte er und schlug die Beine übereinander. „Interessant finde ich aber, dass sie alle von nur einem Geist besessen waren. Es war also nur eine Person, die alle drei gelenkt hat. Ungewöhnlich“ erklärte er weiter und zündete seine Kippe an, der Aschenbecher rutschte ganz automatisch über den Tisch an seinen Platz. „Ich konnte Spuren seines Geistes in ihnen ausmachen, Fetzen und Farben von Gedanken, fremden Erinnerungen, sie aber nicht zurückverfolgen. Sareth hat ihn auch gespürt und wir sind uns sicher, dass er nicht in der Nähe ist. Wahrscheinlich nicht mal in dieser Stadt. Jedoch sobald er oder ein weiteres seiner Medien in unseren Dunstkreis kommt, werden wir das spüren.“ „Also sind wir sicher“ wollte Nika nur die beruhigenden Worte hören. „Im Augenblick ja“ brummte er dunkel. „Ich wäre gern selbst hier gewesen. Vielleicht hätte ich seine Gedanken lesen können. Nur ungern lasse ich den Kerl einfach so davonkommen.“ „Woher willst du wissen, dass es ein Kerl war?“ fragte Tea. „Es könnte auch eine Frau gewesen sein.“ „Nein, das war ein Kerl. Seine Gedanken waren männlich. So was sehe ich.“ „Wenn er was will, wird er wiederkommen“ meinte Joey und schlug die Fäuste ineinander. „Und dann schnappen wir uns den Kerl.“ „Definiere wir“ blickte Tato ihn skeptisch an. „Mann, du weißt doch wie ich das meine. Den machen wir platt. Du hältst ihn fest und ich trete ihm in die Eier.“ „Damit verletzt du nur sein Medium. Überlass die Sache lieber den großen Jungs.“ „Ich wüsste dennoch gern, worauf die ganze Aktion abzielte“ steuerte Noah auf das Ursprungsthema zurück. „Wollte uns derjenige erpressen oder war das nur eine Warnung?“ „Für eine Warnung war das zu gut geplant. Er muss gewartet haben bis wir alle weit verstreut waren“ dachte Tato den Gedanken weiter. „Und er war so clever, niemanden von uns zu besetzen.“ „Ja, stimmt“ rief Sareth verblüfft. „Wenn seine Intention auf eines der Kinder gerichtet wäre, dann hätte er auch ein Kind besetzen können und wäre einfach weggelaufen.“ „Er muss also wissen oder zumindest ahnen, dass wir alle Schutzzauber auf uns tragen. Sobald er einen von uns angreift, schellen bei uns Magiern sofort alle Alarmglocken.“ „Ach ja, stimmt“ erinnerte sich Sareth. „Außer bei Dakar. Nur bei dir, mir und Balthasar. Und Oma, wenn er hier wäre. Oder Sethos, wenn er …“ Ja, wenn er etwas lebendiger wäre. Im Augenblick war er dem Tode näher. „Wir sollten es doch eigentlich spüren, wenn jemand von uns in eine kafkaeske Situation gerät.“ „Haltet ihr es für möglich, dass Papa dahinter steckt?“ fragte Narla vorsichtig. „Nein, was sollte der mit Felicitas anfangen?“ zuckte Tato mit den Schultern. „Ich bin relativ sicher, dass er direkt und nur sie haben wollte. Und er wollte sie lebendig und bei Bewusstsein.“ „Das habe ich auch gespürt“ ergänzte Sareth. „In den Gedanken der Männer war das massive Bedürfnis, Feli mitzunehmen.“ „Da wir beide dasselbe gespürt haben, sind wir davon überzeugt“ führte ihr Vater den Bericht weiter aus. „Sie waren nur auf dieses eine Kind fixiert. Sie wollten kein anderes, nur Feli.“ „Aber was wollen sie denn mit Feli?“ fürchtete Nika und drückte sie nur noch fester an sich. „Sie hat doch nichts. Sie kennt keine Geheimnisse und steht nicht mal richtig in Blutsverwandtschaft mit jemandem von uns. Für einen anderen Magier wäre sie doch total nutzlos.“ „Das wundert mich auch“ bemerkte Tato nachdenklich. „Wenn es um einen Körper ginge, wäre Dante das perfekte Opfer. Wenn es um Magie ginge, hätte er klein Tato mitnehmen müssen oder Baby Dakar. Nini wäre auch gut zu gebrauchen, wenn man es auf pharaonische Kräfte abgesehen hätte. Selbst Risa und Thesi und Joey wären besser, sie sind mit Seth blutsverwandt. Feli ist ein zuckersüßes Püppchen, aber für einen magiebezogenen Kidnapper denkbar nutzlos.“ „Aber er hatte es trotzdem nur auf sie abgesehen?“ Tristan versuchte zwar, es zu verstehen, aber so sehr er Feli auch liebte, konnte er sich nicht vorstellen, was ein Fremder mit ihr anfangen wollte. Nüchtern betrachtet, war sie das nutzloseste Opfer, das man bekommen konnte. „Vielleicht hat sie etwas an sich oder etwas gesehen.“ Wie immer wenn Dakar mal sprach, durchbrach seine heisere Stimme die ganze Situation. Und brachte einen völlig neuen Denkansatz. „Wie meinst du das?“ wollte Tato genauer wissen. „Wenn sie etwas in sich trägt, was für jemand anderen wichtig ist“ sprach er und heftete seinen messerscharfen Blick auf das versteckte Mädchen. „Vielleicht eine gewisse Mutation in ihrem Körper oder ein gefährliches Wort in ihren Gedanken. Vielleicht hat sie etwas beobachtet, was jemanden in Bedrängnis bringt.“ „Ich habe nichts besonderes bei Feli beobachtet“ versuchte Nika ihre Kleine zu beschützen. „Sie ist genauso wie immer.“ „Keine Veränderungen?“ horchte Dakar direkt aus. „Wiederholt sie ein Wort besonders oft oder führt sie vermehrt bestimmte Bewegungen aus? Irgendetwas auffälliges?“ „Nein, mit ihr ist alles wie immer“ betonte Mami. „Sie ist seit letzter Woche im Kindergarten und malt seitdem ständig Bäume. Aber sonst …“ „Aber das tun sie alle“ behauptete Tristan. „Nini und Tato malen auch nur noch Bäume. Das ist Mode bei den Kids.“ „Und sie singt ständig ‚Ein Männlein steht im Walde‘. Und sie isst viel Honigmelone im Augenblick. Honigmelone ist ihr Lieblingswort.“ „Das machen unsere Kleinen aber auch“ meinte Yugi. „Ist denn irgendwem in letzter Zeit etwas bei Feli aufgefallen?“ Es war bereits halb sieben Uhr am Abend und man hörte die Grillen zirpen. Der Ton passte perfekt zu der Stille, welche in diesem Moment herrschte. Niemandem war jemals etwas ungewöhnliches an Feli aufgefallen. Man konnte noch so viel herumraten, es fiel niemandem etwas ein, was sie für einen Kidnapper attraktiv machte. Jedenfalls nichts was attraktiver war als bei den anderen Kindern. „Wir sollten einfach besonders gut auf sie aufpassen“ beschloss Tato. „Ich schlage vor, dass immer einer von uns bei ihr ist, der sie im Ernstfall verteidigen kann. Am idealsten wäre natürlich Balthasar. Wenn es um Medienmagie geht, ist er der Erfahrenste von uns.“ „Dann gehe ich mit in den Kindergarten“ schlug Mokeph vor. „Risa soll nächste Woche ohnehin eingewöhnt werden und dafür sind mindestens zwei Wochen angesetzt. Dann mache ich das. Wenn es dir recht ist.“ Er fragte vorsichtig Tea, denn eigentlich war sie diejenige, welche Risa an den Kindergarten gewöhnen sollte. Es war ganz normal, dass die Eltern am Anfang noch vor Ort blieben, damit die Kleinen sich nicht verlassen vorkamen. Nika und Tristan wechselten sich seit letzter Woche ab. Dante hatte gar keine Eingewöhnung gebraucht, ihm reichte es wenn seine Freunde da waren und Nini hatte ihm ja alles erklärt. Aber Tea wollte das bei ihrer ersten Tochter eigentlich selbst machen und ob sie das Mokeph so einfach überlassen würde? Ihr Vertrauen zu ihm war gebrochen. Deshalb sah sie ihn sehr prüfend an und diese Entscheidung fiel ihr sichtlich schwer. Doch es war das Sinnvollste in diesem Moment. „Nur wenn du Risa dabei nicht ganz aus den Augen verlierst.“ „Wann habe ich meine Kinder schon mal aus den Augen verloren? Hm?“ Er fragte das ganz sanft, wollte sie beruhigen. Doch ihr Blick sprach Bände. Es lag ihr auf der Zunge. >Als du die andere gebumst hast.< Doch sie wollte vor versammelter Mannschaft nicht noch eine Szene machen. Also schwieg sie, blickte weg und streichelte Theresa über den Rücken. „Okay, dann machen wir es so“ fasste Tato noch mal zusammen. „Mokeph achtet auf Feli, wenn sie im Kindergarten ist. Ansonsten bitten wir Balthasar, dass er auf sie aufpasst. Die restliche Zeit werden Sareth, Narla, Dakar und ich uns abwechseln, sodass auch immer jemand im Aquarium ist. Amun-Re und Sethan sollten wir nicht allein lassen.“ „Ich … ich kann morgen nicht“ warf Sareth ganz leise, ganz piepsig ein und senkte beschämt den Blick. „Musst du auch nicht“ tat ihr Vater das ab. „Warum?“ wollte Joey wissen. Er checkte das nicht sofort. „Macht Sareth jetzt Urlaub, oder wie? Ich würde ja auch gehen, aber ich habe nun mal keine AUA! Mann, Narla!“ „Stell dich nicht so blöd an“ seufzte sie und streichelte seinen Arm, auf den sie eben so nachdrücklich gehauen hatte. „Morgen ist Neumond.“ „Aber ich denke bei Sareth ist das nicht so doll.“ „Ist es auch nicht“ antwortete sie leise. „Aber ich werde immer so … müde.“ „Ein bisschen mehr Einfühlungsvermögen und Beobachtungsgabe täte dir mal ganz gut“ meinte Narla, nahm seine Hand und küsste sie. „Halt einfach den Mund, wenn die Erwachsenen reden.“ „Ich bin älter als du.“ „Ja ja …“ „Dann gehe ich langfristig zu Sethan“ bot Dakar an. „Ich brauche am wenigsten Schlaf und meine Sinne sind scharf genug. Davon abgesehen, habe ich eh kaum mehr zu tun als Mama hinterher zu laufen.“ „Die Idee ist gar nicht so doof.“ „Ich werde dich ganz oft besuchen“ lächelte Tea ihn an. Und sie bekam sogar ein schmales Lächeln zurück. Er zeigte nicht viele Emotionen, aber für Tea gab er sich Mühe, das merkte man. Er lebte in einer eigenen Verehrung zu ihr. „Ich liebe dich, Mama.“ „Boah, was ist das denn?“ Es war nicht nur Joeys baffer Ausruf, welcher die Situation sprengte, sondern der filmreife Auftritt eines anderen. Um die Ecke bog ein wuchtiges Motorrad mit silbern polierten Felgen, breiten Reifen und einer ausgewachsenen Manneslänge. Das schwarze Metall glänzte und reflektierte das Sonnenlicht über seine breiten Lamellen, während der Fahrer weit über den Rumpf bis zu dem kurzen Lenker vorgebeugt lag. Diese wahnsinnige Maschine parkte direkt am Gartenzaun, der Fahrer stieg ab und als er den schwarzen Helm absetzte, wussten alle sofort, was Yami mit Yugis Kreditkarten angestellt hatte. Er hatte sich nicht nur ein neues Motorrad gekauft, sondern war offensichtlich beim Frisör gewesen. Seine blonde Mähne war nun schwarz wie die Nacht, ebenso wie seine Lederklufft. Selbst als er die Jacke auszog, trug er darunter ein schwarzes T-Shirt mit der glutroten Aufschrift ‚Pharao‘. Deutlicher ging es nun ja wohl nicht mehr. Der Hit aber waren seine knallroten Lederturnschuhe, die einem schon aus der Ferne zuschrien: Seht wie sexy ich bin! Yami grinste seine Freunde an, winkte kurz und klappte dann die Taschen seiner Maschine hoch, nahm zwei Arme voll Einkaufstüten heraus und schleppte seine Beute gen Gartenpforte. „Hey, Yami!“ Yugi fand zuerst seine Sprache wieder, während selbst den Kindern der Mund offenstand. Nur Nini schrie und lachte wild bei seinem Anblick. „Hey!“ rief er zurück, aber lief einfach weiter. In der Tür kam ihm Hannes entgegen, der drinnen wohl das Brüllen der Maschine gehört hatte und zum Schauen rauskam. Er war so breit gebaut, dass Yami nicht an ihm vorbeitanzen konnte und sich von oben bis unten betrachten lassen musste. „Hallo Pharao“ grüßte der Wirt überrascht. „Hi Hannes“ grinste Yami. „Kannst du meine Taschen nach oben bringen?“ „Öhm …“ Viel Wahl hatte er nicht, da drückte Yami ihm schon seine gesammelte Pracht in die Hände. „Und dann hätte ich gern irgendwas mit einem Schirmchen drin. Danke schön.“ Er drehte sich zur Seite, schwang die Beine über den Gartenzaun und tänzelte auf die anderen zu. Sichtlich gut gelaunt. „Was ist denn mit dir passiert?“ fragte Joey stellvertretend für alle anderen. „Hast du dir etwa die Augen geschminkt?“ „Die Kosmetikerin meinte, ich hätte die perfekte Augenkontur für so was. Hab ich früher schon schick gefunden.“ Also ja, er hatte sich die Augen schwarz gemacht. „Dooooofiiiii! Wie siehst du denn aus?“ Nini sprang ihm auf den Arm, sodass er keine andere Wahl mehr hatte als sie aufzufangen. „Wer hat das mit deinen Haaren gemacht? Sie sind schwarz wie Schuhcreme!“ „Gut erkannt“ freute er sich und knutschte sie. „Gefällt’s dir?“ „Du siehst voll super aus! Wie ein Playboy!“ „Bin ich ja auch.“ Er guckte kurz zurück, aber Tato und Dante waren an den Zaun gelaufen und betrachten durch ihn hindurch das Motorrad, berührten es neugierig mit ihren Händen. Das Ding interessierte die Jungs wesentlich mehr als eine neue Frisur. Nur Risa buddelte weiter im Sand als sei nichts gewesen. „Und wir haben uns Sorgen um dich gemacht“ kommentierte Tea verwundert. „Aber dir scheint’s ja richtig gut zu gehen.“ „Kann ich deine neuen Haare anfassen?“ Und schon war Nini dabei und strich erst mit den Fingerspitzen, dann mit der ganzen Hand über seine neue Farbe. Die Frisur selbst war kaum verändert. Zwei lange Ponysträhnen hingen an den Seiten herab, der Rest in einen kurzen Zopf gebändigt. Nur aus dem strahlenden Goldblond war reines Schwarz geworden. „Yami?“ fragte Yugi misstrauisch. „Geht’s dir wirklich gut?“ „Du meinst wegen der Haare?“ „Nein, du wolltest sie schon lange schwarz haben“ erklärte er und senkte vorsichtig die Stimme. „Aber nach dem was gestern war …“ „Keine Sorge, Yugischatzi. Ich habe mich lange nicht mehr so befreit gefühlt“ antwortete er, drehte sich mit Nini bis sie lachte und setzte sie auf dem Boden ab und sich selbst dann ganz frech auf Tatos Schoß, grinste ihn breit und fröhlich an. „Na Großer? Gemütlich hier bei dir.“ „Runter.“ „Geht nicht. Es ist kein Stuhl mehr frei.“ „Dann setz dich auf irgendwen anderes!“ „Aber du hast die hübschesten Beine.“ Na, wenigstens war er direkt. „Depressiv warst du weniger nervig“ bemerkte Tato und schob ihn kraftvoll herunter. Aber nur um selbst aufzustehen und sich einen neuen Stuhl zu holen. Yami indessen fischte seine neues Portemonnaie heraus, welches an einer langen Silberkette baumelte. „Hier. Danke für die Leihgabe.“ Er legte Yugi seine drei Kreditkarten auf den Tisch und überließ Nini „Kann ich mal gucken?“ den Rest zum Ausforschen. Sie war eben neugierig. „Du warst wohl ganz schön teuer“ bemerkte Yugi mit Blick auf das Motorrad. „Neuer fahrbarer Untersatz, neues Outfit, neues Styling … sollte ich sonst noch was wissen? Nur damit Seto das eventuell von der Steuer absetzen kann.“ „Die silberne Kreditkarte ist überzogen“ erklärte er freimütig. „Sonst ist alles gut.“ „Du hast es geschafft, die Kreditkarte auszureizen?“ Das brachte selbst den krisenerprobten Yugi zum Staunen. Er wusste nur, dass er das Limit gar nicht kannte. Seto sagte immer: ‚Mach dir keine Sorgen.‘ Und die hatte Yugi bisher auch nie gehabt. Bis Yami kam. „Wie viel hast du denn ausgegeben?“ „Weiß ich nicht. Die Belege sind irgendwo in den Taschen.“ Und Sorgen kannte er wohl auch nicht mehr. „Hast du mir auch was mitgebracht?“ Im Portemonnaie fand sie nur ein paar Geldscheine und Münzen, irgendwelche anderen Papierfetzen und ein Bonbonpapier. Nichts interessant daran. „Natürlich habe ich euch nicht vergessen“ lächelte er sie lieb an. „Bei Hannes ist ne gelbe Tüte. Die kannst du mal herbringen.“ „Jaaaa! Geschenke!“ Und schon war sie unterwegs zur Wundertüte. „Yami, was hast du denn bloß alles gekauft?“ Yugi kam noch immer nicht darüber hinweg, dass er eine Kreditkarte komplett zum Ende gebracht hatte. So was war doch eigentlich gar nicht möglich. „Ich hab’s mir gutgehen lassen“ lächelte er und lehnte sich entspannt zurück. „Erst war ich Wellness machen. Ich brauchte einfach ne rundum Erneuerung. Danach habe ich mir einen Porsche mit Fahrer für den ganzen Tag angeheuert und bin in jedem Laden gewesen, den ich finden konnte. Die besten Sachen habe ich so mitgenommen, der Rest wird morgen geliefert.“ „Geliefert?! Was denn alles?“ „Wirst du dann sehen“ grinste er zufrieden. „Und dann habe ich diese traumhafte Maschine gesehen und musste sie nach der Probefahrt einfach mitnehmen. Ich wollte eigentlich was in rot oder grün haben, aber schwarz ist auch okay. Zumal die Form mir perfekt passt.“ „Ist die nicht etwas groß für dich?“ Yugi traute diesen Dingern einfach nicht. Yami fuhr eigentlich lieber kleine, schnelle Maschinen und das dort hinten war ein Riese. „Eigentlich schon, aber sie ist perfekt. Danach bin ich was essen gegangen und weil ich so gute Laune hatte, habe ich alle Leute eingeladen, die da waren.“ Dann war es auch kein Wunder, dass die Karte tot war. „Zum Schluss war ich noch im Swingerclub und jetzt will ich nur noch in der Sonne liegen und irgendwas mit Schirmchen trinken.“ „Und?“ lächelte Narla ihn an. „Nette Bekanntschaft gemacht bei den Swingern?“ „Nicht direkt. Da hat jeder ne Maske getragen. Heute war Blind Date das Thema. Die haben jede Woche ein anderes Thema“ erklärte er freimütig. „Aber da waren ein paar sehr hübsche Menschen und die waren sehr nett zu mir. Ich habe mir ne Kundenkarte machen lassen. Ab zehn Besuchen gibt’s ein Mal gratis. Also wenn du auch mal willst.“ „Ich?“ Narla? „Ati, ich bin minderjährig.“ „Ach ja, habe ich vergessen“ lachte er, aber das tat seiner Fröhlichkeit keinen Abbruch. „Dann weiß ich ja, was wir zu deinem 21. Geburtstag machen.“ „ … “ „Also, ich finde die Idee nicht so gut“ mischte Joey sich entschieden ein. „Narla und ich feiern allein, wenn sie volljährig wird. Da brauchen wir keine fremden Männer mit Masken!“ „Aber vielleicht Frauen.“ Auf diesen Satz hin blickte Joey sie an wie ein Auto. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? „Ja, ehrlich“ betonte sie mit verstecktem Grinsen. „Du bist zwar ein guter Liebhaber, aber vielleicht haben Frauen mir ja auch etwas zu bieten. Ich meine du sagst selbst, dass ich manchmal zu jungenhaft bin und wenn ich volljährig werde, will ich vielleicht auch mal etwas mehr ausprobieren.“ „Was soll das denn heißen?“ „Joseph, mein Bärchen“ lächelte sie herzallerliebst. „Sei doch nicht so verklemmt. Du darfst uns auch zusehen.“ Jetzt konnte er gar nichts mehr sagen. Seine Gesichtsfarbe glich einem Feuerlöscher und sein Ausdruck sagte, dass er noch unschlüssig war, ob er nun sauer oder verzweifelt sein sollte oder einfach schreiend wegrennen. „Du … verarscht mich.“ „Nein, warum sollte ich? Überleg doch mal, mein Vater mag’s auch gern wild. Warum sollte ich da anders sein?“ „Aber … aber du bist doch meine … aber …“ „Aber was? Hm?“ Sie legte ihm die Hand aufs Knie und wenn er nicht so blond wäre, hätte er den Braten schon gerochen. Selbst seine Freunde glucksten bereits, aber er nahm Narlas Eskapaden für bare Münze. „Was hast du, Bärchen? Schockt dich das so sehr?“ „Ich … ich … oh je …“ Er legte sich die Hand an die Stirn, aber da konnten die Ersten nicht mehr an sich halten und lachten schallend heraus. „OH NARLA!“ Bis auch der Blondeste unter ihnen es endlich checkte. Chapter 3 „Und du sag noch mal, dass Autofahren blöde ist.“ Denn es regnete in Strömen und Yugi hatte nicht grundlos darauf bestanden, dass er Yami mit dem Wagen fuhr und nicht Yami ihn mit dem neuen Motorrad. „Ach, durch die Lederklamottis kommt nichts durch.“ „Du findest auch immer Widerworte.“ „Wenn’s dir zu nass ist, hättest du auch bei Tato im Auto bleiben können.“ „Mit dem ist auch nichts weiter anzufangen. Der liest doch.“ Er hatte darauf bestanden, die beiden zu begleiten. Beide Pharaonen gemeinsam unbeaufsichtigt zu lassen, war derzeit keine gute Idee. Aber wenn Gefahr drohte, spürte er das auch, wenn er gemütlich im warmen und vor allem trockenen Auto seinen Wälzer zu Ende brachte. Außerdem hatte er Sichtkontakt zum Haus. Obwohl sie direkt an der Straße parken konnten und Regenschirme dabei hatten, waren sie auf dem kurzen Fußweg dennoch recht feucht geworden. Gestern war es noch brütend heiß gewesen und heute überzog sie eine Gewitterfront. Doch Yami hatte sich in den Kopf gesetzt, heute noch mal mit Finn zu sprechen. Die Sache mit dem Abschiedsbrief konnte er nicht unkommentiert hinnehmen. Was genau er eigentlich von ihm wollte, wusste er selbst noch nicht. Aber er wollte den Kontakt nicht aufgeben. Sich von Finn fernzuhalten, kam gar nicht in Frage - dafür hing er zu sehr an ihm und eine solche Trennung, kratzte außerdem an seinem Stolz als Liebhaber. Und obendrein, Yamis neues altes Ich bestand darauf, immer das zu bekommen, was es wollte. Er wollte sich nicht mehr anderen zuliebe zurückhalten. Das entsprach nicht seinem Charakter. Er hatte Seth verloren, weil er sich selbst untreu geworden war. Jetzt wollte er nicht auch noch Finn verlieren. Sie retteten sich unter den Dachvorsprung und klappten die windverbogenen Schirme zusammen. Yami drückte die Klingel und lächelte Yugi an. „Du hast einen Tropfen auf der Nase.“ „Viel schlimmer sind meine nassen Schuhe.“ Yugi wischte sich über die Nase, damit war wenigstens die trocken. „Ich sage doch: Tragt Leder, Leute.“ „Seto mag kein Leder.“ Er war eben nicht nur Vegetarier, sondern hatte auch sämtliche Ledersachen aus seinem Besitz verbannt. Kunstleder tat es ja auch. Und Yugi machte eben alles mit. „Ach, früher haben wir nur Leder getragen“ meinte er und lehnte sich an die Wand, blickte ihn liebevoll an. „Wenn wir schon Tiere töten, dann sollten wir auch alles von ihnen verwerten. Der Mensch ist eben ein Raubtier, das ist die Natur.“ „Diskutiere das lieber mit Seto“ seufzte er und strich sich das feuchte Haar zurück. Der Regen kam trotz Schirm mithilfe des Windes überall hin. „Ich bin ja deiner Meinung, aber Seto denkt da moderner. Er meint, wenn die Wissenschaft es möglich macht, müssen keine Tiere mehr getötet werden. Das kann ich irgendwo auch nachvollziehen.“ „Du musst dich ja nicht zwischen unseren Meinungen entscheiden“ meinte er. „Aber nur weil Seto so denkt, muss ich ja nicht auch so denken. Ich finde, dass die natürlich gewachsenen Rohstoffe noch immer die qualitativ besten sind. Was nicht heißt, dass alles andere schlecht ist. Aber wenn man eine Wahl hat, sollte man sie auch treffen.“ „Und ich habe die Wahl getroffen, dass ich keine Wahl treffe. Aber mal was anderes, Yami, hast du uns überhaupt angemeldet?“ „Nein, habe ich nicht. Warum?“ „Es macht keiner auf.“ Er wies auf die Tür, denn trotz der betätigten Klingel öffnete sie sich nicht. „Vielleicht ist Finn ja gar nicht zuhause.“ „Quatsch, da brennt doch Licht im Wohnzimmer.“ Und Finn war Stromsparer. Der ließ das Licht nicht grundlos brennen. Also klingelte Yami noch mal und klopfte zusätzlich. „Yugischatz, wenn er nicht aufmacht, steigen wir durchs Fenster ein.“ „Hast du die schwarzen Masken und die Jutesäcke mit?“ „Ich sagte einsteigen, nicht ausrauben“ grinste er neckisch. „Das machen wir erst, wenn’s dunkel ist.“ „Ich dachte, wir machen andere Sachen, wenn’s dunkel ist.“ „Nee, die mache ich lieber mit Licht“ zwinkerte er ihm zu. „Hast Druck, was?“ „Na ja, Seto ist jetzt schon sechs Wochen weg.“ „Also, ich hatte zwar genug Sex gestern, aber für dich reicht’s noch. Oder willst du nicht doch mal mit in den Club? Die Leute sind echt nett und ab zehn Besuchen kriege ich einen geschenkt.“ „Ich halte immer noch viel von sexueller Treue. Ich kann nicht an Sex denken, während so viel los ist und Seto irgendwo … ich weiß ja nicht mal, was er genau tut.“ „Wir bringen uns bald auf andere Gedanken. Irgendwie fehlen mir die Schäferstündchen mit dir auch. Also die nächste freie und ruhige Nacht gehört uns, okay?“ „Das hört sich doch gut an.“ Auch wenn es ganz natürlich war, dass Yugi bei Setos langer Abwesenheit gewisse Bedürfnisse aufbaute, so hatte er dennoch ein schlechtes Gewissen, an so etwas zu denken. Es war so viel los und er musste sich um so viele Dinge einen Kopf machen - da musste das Liebesleben eben hintenan stehen. Zumal Sex ohne Seto auch nicht wirklich das war, was er sich wünschte. Er wollte eigentlich nur Seto und nur ihn allein. „Aber Yami“ hakte er dennoch leise nach. „Ganz ehrlich … geht es dir wirklich so gut oder verdrängst du, was passiert ist?“ „Nein, ich verdränge nichts“ antwortete er und blickte die geschlossene Tür an. „Ich habe nur beschlossen, dass ich mich nicht mehr verbiegen lasse. Ich habe mich selbst zu lang zurückgenommen. Ich habe mich nicht mehr durchgesetzt. Wenn ich zu meinem alten Ich zurückfinde, dann findet die Welt mich vielleicht auch wieder.“ „Dennoch … das mit Seth …“ „Seth ist nicht mehr der Mann, in den ich mich verliebt habe. Mein Herz tut weh, der Schmerz ist fast übermächtig. Aber ich darf mich davon nicht lähmen lassen. Wenn ich mich von Seth fertig machen lasse, dann habe ich nicht nur gegen ihn verloren, sondern habe auch ihn verloren. Er hat sich selbst in dieser Zeit verloren, ebenso wie ich mich in dieser Zeit verloren habe. Wenn ich mich aber wiederfinde, wer weiß? Vielleicht kann ich ihm dann helfen. Und vielleicht komme ich dann dann bewusst besser mit dieser Zeit klar und Seth muss nicht mehr diese unterdrückte Sehnsucht in mir befriedigen wollen.“ „Unterdrückte Sehnsucht?“ „Ich habe Heimweh“ gab er leise zu. „Das habe ich die letzten Jahre verdrängt, aber jetzt bin ich mir darüber bewusst. Dass Seth so handelt, ist zum Teil auch meine Schuld. Aber eben nur zum Teil. Meinen Teil kann ich sühnen und korrigieren. Aber das kann ich nur, wenn ich mir meiner eigenen Wünsche bewusst bin. Deshalb werde ich in Zukunft mehr auf mich achten und auf das, was mir wichtig ist. Wenn ich Seth über mich stelle, entspricht das nicht der Konstellation wie sie sein sollte. Das weiß ich jetzt und jetzt kriege ich die Kurve, egal wie.“ „Dann muss ich mich nicht um dich sorgen?“ „Nein, müssen tust du das nicht.“ Er drehte sich zu ihm herum und schloss ihn in den Arm, ganz fest. „Aber es tut gut, dass du da bist und dir Sorgen machst. Wenn ich weiß, dass du da bist und aufpasst, kann ich viel freier denken. Danke, Yugi. Danke, dass du immer zu mir stehst. Auch dann wenn ich scheiße drauf und dran bin.“ „Ich kann gar nicht anders“ antwortete er und küsste ihn sanft auf die Lippen, blickte ihm dann in die Augen und strich über sein Kinn. „Die Kosmetikerin hatte Recht. Der Kajal gibt dir einen viel intensiveren Blick. Und du siehst nicht mal schwul aus.“ „Ein bisschen muss ich meine Wurzeln ja behalten“ tat er das ab. „Bitte mach dir um mich keine Gedanken. Wenn es mir schlecht ginge, würdest du das zuerst merken. Aber ich fühle mich befreit. Jetzt, wo ich die Verantwortung für Seths Taten abgelegt habe, kann ich eigene Pläne schmieden.“ „Und die wären?“ „Ich weihe dich ein, sobald ich welche habe.“ Er wusste noch nicht, was er tun wollte. Aber er wusste, dass ihm etwas einfallen würde, wenn seine Gedanken einfach schon mal vorausliefen. Er brauchte Gedanken, keine Bedenken. „So, und jetzt will ich da rein. Finn, du Feigling!“ Er drehte sich um, klingelte und hämmerte an die Tür. „Ich weiß, dass du da bist! Beweg deinen schicken Arsch zur Tür! Los jetzt! Mach auf! Ich hasse es, wenn man mich warten lässt! Mach auf! HAAAALLOOOOO! AUFMACHEN! SOFORT! HERR IVARSSON! TÜR AUF! DU HAST BESUUUUUCH!“ Endlich bewegte sich ein Schatten hinter der huggeligen Glastür und ein Schlüssel klimperte von drinnen. Yamis Geschrei hatte also tatsächlich Effekt. Das mit dem Durchsetzen funktionierte. Als die Tür aber aufging, stand da nicht Finn, sondern jemand anderes. Zuerst fiel einem das narbige Gesicht auf. Die Oberlippe war längs durchtrennt und ein wenig schief zusammengewachsen. Ein Nasenflügel war auch verzogen. Unmenschlich entstellt war das Gesicht nicht, nur auffällig vernarbt. Aber die hellblauen Augen wirkten durchdringend, streng und allwissend. Als würden sie alles durchblicken, alles wissen, alles kennen. Übernatürliche, wunderschöne, unheimliche Augen. Danach fiel ihm das lange, graue Haar auf, welches glänzend über die Schultern fiel. Aschgrau, obwohl diese Frau offensichtlich jung war. Sie war etwas größer als Yami, aber in etwa so muskulös. Sportlich und durchtrainiert. Sie trug einen dunkelroten Herrenjogginganzug und dunkelblaue Socken aus fester Wolle. Ihre eine Hand hielt einen Hähnchenschenkel fest, die andere die Tür. Sie hatten Finn erwartet und fanden solch eine merkwürdige Frau. Sie blickte Yami an, er blickte sie an. Beide schienen sich unsicher, aber dann zogen sich ihre Mundwinkel nach oben und ihre mysteriösen Augen bekamen ein helles Strahlen. „Atemu!“ Ihre Stimme war hell und freundlich, sehr weiblich. Viel sinnlicher als man es ihr zugemutet hätte. „Loki?“ fragte er überrascht. „Pharao! Ich hätte dich fast nicht erkannt! Was machst du denn hier?“ „Mir einen Wolf klingeln.“ „Das Wortspiel kannte ich noch nicht“ lachte sie und trat einen Schritt zurück, duckte sich in merkwürdiger Art. „Ich freue mich, dich zu sehen.“ Aber er breitete seine Arme aus und lächelte sie lieb an. „Dann begrüße mich doch, Süße.“ „Atemu!“ Das tat sie auch. Sie fiel ihm in den Arm und kuschelte sich an ihn. Ebenso wie er sie fest drückte. Nur merkwürdig, dass sie dabei noch immer einen fettigen Hähnchenschenkel festhielt. Nach einem tiefen Seufzen öffnete sie die Augen und sah über Yamis Schulter Yugi an. Misstrauisch, vielleicht sogar ein Stück drohend. „Hi“ lächelte er und hob friedvoll die Hand. Sie sah aus als wolle sie ihn jeden Moment auffressen. „Das ist mein Yugi“ erklärte Yami und ließ sie los, um ihn vorzustellen. „Yugi, das ist Loki. Finns ältere Schwester.“ „Ach, das ist der andere Pharao“ bemerkte sie und verbeugte sich schnell. „Bitte entschuldigt, ich hatte Euch nicht erwartet und auch irgendwie größer in Erinnerung.“ „Aha.“ Na super. Nur vor dem Krankenhaus hätten sie sich ein Mal kurz sehen können, aber schon da hatte sie mehr Augen für Yami gehabt. Und da sie ihm damals nur bis zum Oberschenkel ging, hatte sie ihn natürlich größer in Erinnerung. „Können wir reinkommen, Schatz?“ „Klar, wenn ihr wollt.“ Sie trat zurück und ließ die beiden herein, schmiss die Tür krachend hinter ihnen zu. „Loki, warum machst du denn nicht auf, wenn man klingelt?“ Er könnte jetzt noch da draußen stehen, wenn er nicht so ein Theater gemacht hätte. „Keinen Bock auf Besuch“ antwortete sie und biss in ihren angenagten Hähnchenschenkel. „Wuschte ja nisch, dasch du dasch bischd.“ „Schmeckt’s?“ „Hm. Wolld ihr au?“ Sie ging ins Wohnzimmer, aber da Yami Finn und dessen Reinlichkeitsfimmel zu gut kannte, zog er sich die Schuhe aus, bevor er ihr folgte und Yugi tat es ebenso. Drinnen angekommen, legten sie ihre Jacken über das Sofa und fanden ein wahres Chaos vor. Auf dem Tisch lagen Unmengen von Fressalien in aufgerissenen Packungen inmitten von einem Berg Hähnchenschenkeln und Chickenwings gemischt mit Bratwürsten. Da war diverser Aufschnitt über Schinken und Leberwurst bis hin zu mehreren Käsesorten wie Gouda und Camembert. Chips und Erdnüsse waren in verschiedenen Sorten vorhanden und nur die Eispackung war leer gefuttert. Mit der vielen Cola und dem Wein sah es aus wie nach einer Party. „Was ist das denn?“ lachte Yami. Ihm gefiel der Anblick, während sich bei Yugi alles umdrehte. „Meine Freizeitgestaltung, wenn Finni nicht hinguckt“ antwortete sie und griff nach einer Scheibe Salami, welche sie geschickt zusammenrollte, bevor sie in ihrem Mund landete. „Schetscht eu, ihr griegt waschab.“ „Das lasse ich mir nicht zweimal sagen!“ Yami stieg gleich drauf ein, nahm das Nougatglas und eine Bratwurst und setzte sich zu ihr auf die Couch. Yugi hingegen nahm den Sessel und damit Abstand von dieser Völlerei mit kombinierter Magenverstimmung. „Ich wusste gar nicht, dass du so viel Geschmack beim Essen hast“ lobte Yami und schob sich die kalte Wurst rein. „Als Mensch kann ich problemlos alles essen. Hab einen Magen aus Stahl“ erzählte sie und nahm die Colaflasche. „Stimmt, ich habe dich noch nie als Menschen gesehen. Wie lange bist du noch so?“ „Noch ein oder zwei Tage. Wenn sich die Wolken verziehen etwas länger. Neumond ist voll mein Ding. Ich liebe es, Mensch zu sein.“ „Wegen des Essens?“ „Nein, Cola. Ich liebe Cola, aber Finn rückt sie nicht raus, weil ich mich sonst übergebe. Als Tier vertrage ich Zucker nicht so gut. Aber bei Neumond komme ich an den Schlüssel für die Vorratskammer ran und mein Bruder denkt sich nur leichte Verstecke aus.“ „Schlaues Mädchen.“ Er biss noch mal von der Bratwurst ab und blickte Yugi an. Aber der schüttelte nur den Kopf und lehnte sich in den Sessel zurück. Die ganze Fresserei war ihm unheimlich. „Du, Lokischatz, sag mal … wo ist denn Finn?“ „Einkaufen mit Herbert.“ „Herbert?“ „Nachbar“ zeigte sie nach hinten. „Wir haben doch kein Auto. Und Schokolade hatten wir auch nicht mehr, also musste er einkaufen gehen.“ „Mit Herbert.“ „Jupp, mit Herbert“ erwiderte sie zwischen zwei Schlucken. „Er nimmt Finn mit in die Stadt und der schleppt ihm die Getränkekisten. Herbert hat Rücken.“ „Du gehst nicht gern in die Stadt, oder?“ „Nicht wirklich. Als Wolf kleben mir die Haushunde am Arsch und als Mensch gucken mich alle blöd an. Da habe ich hier mehr Spaß. Und solange Finni weg ist, kann ich machen, was ich will.“ „Ist nicht einfach du zu sein, oder?“ „Ich kenne es ja nicht anders. Kann’s mir auch nicht anders vorstellen.“ Finn hatte nicht gelogen, sie hatte es härter erwischt. Er selbst trug nur Narben, die man verdecken konnte, aber ihre waren mitten im Gesicht und vermutlich noch mehr am Körper. Der Zirkel hatte seine Zeichen auf ihr hinterlassen. Und so gezeichnet zwischen die Menschen zu gehen, brachte sicher noch mehr Leid mit sich als in Wolfgestalt die verzogenen Stadthunde anzuknurren und bei seinem Bruder an der Leine geführt zu werden. Deshalb war Finn so unsagbar lieb und geduldig zu ihr, er fühlte sich in der Pflicht, ihr etwas von dem zu geben, was für ihn selbstverständlich war. „Hast du denn keine Freunde, Loki?“ „Mir geht’s gut, Pharao. Ehrlich“ betonte sie und zog mit ihren schiefen Lippen ein Lächeln. „Mir fehlt nichts.“ „Wirklich nicht? Bist du nicht ein bisschen einsam?“ „Guck mich doch mal an. Welcher Mann würde schon mit mir ausgehen? Ich sehe aus wie Quasimodos Braut und Manieren habe ich auch nicht. Aber noch weniger Lust habe ich, mich zu verstellen.“ „Bist halt ein Wolf. Aber ich finde dich spontan klasse. Du bist voll nach meinem Geschmack.“ „Du bist ja auch nicht normal“ tat sie das ab. „Nein, mir geht’s echt gut. Mir fehlt nichts. Ich bin gern allein und Hunde mag ich eh nicht. Und Menschen noch weniger.“ „Weil sie dir weh getan haben?“ Sie blickte ihn an, ihre hellblauen Augen wurden leer, bevor sie fortblickte und einen kräftigen Schluck Cola nahm. „Entschuldige, das war etwas direkt, oder?“ „Finn hat dir doch erzählt, dass wir nichts von früher wissen. Ich weiß nicht warum es so ist, aber ich mag einfach keine Menschen. Bis auf ein paar. Toni mag ich zum Beispiel sehr. Oder seine Schwester Antonella. Aber so im Allgemeinen bin ich schnell genervt. Menschen wollen sich immer gleich binden und hauen bei den ersten Schwierigkeiten ab. Habe ich doch bei Finns Weibern gesehen. Ich habe da keinen Bock drauf. Da bleibe ich lieber gleich allein. Für dich vielleicht komisch, aber ich finde mein Leben okay. Bei Wölfen gibt’s auch Einzelgänger und mein Bruder ist mir Gesellschaft genug.“ „Wenn du dich so wohlfühlst, ist es natürlich in Ordnung. Ich wollte dir jetzt keine doofen Fragen stellen oder sonstwas.“ „Du erforschst gern das Leben von anderen Leuten, was?“ Jetzt schmunzelte sie ihn an, neckte ihn mit ihrem hellen Blick. „Ich interessiere mich sehr für Menschen und ihre Geschichten“ bestätigte er und kaute auf Nutellawurst herum. „Und ich freue mich sehr, dich jetzt auch mal als Menschen zu sehen.“ „Und? Bin ich so wie du gedacht hast?“ „Nein, überhaupt nicht“ schmunzelte auch er. „Du bist viel cooler.“ „Inwiefern?“ „Du siehst so locker aus. Ist das Finns Jogginganzug?“ „Ja. Ich mag seinen Geruch. Und deswegen findest du mich cool? Weil ich die Klamotten meines Bruders trage?“ „Ja, nicht nur. Du redest frei raus und hast dieselbe Fresslust wie ich. Außerdem hast du hübsche Brüste.“ Yugi verschluckte sich an diesem Satz, aber Loki brachte das zum Lachen. „Willste mal anfassen?“ „Wenn du mich lässt.“ „Nö“ grinste sie frech. „Erst musst du mit mir ausgehen, dann darfst du vielleicht mal anfassen.“ „Ich denke, du gehst nicht gern aus.“ „Bei dir würde ich eine Ausnahme machen.“ Und schon hatte er sie angesteckt. Yugi war soeben Zeuge von Yamis uraltem Charme geworden. Er redete genau so, dass sie ihn verstand und lockte sie aus ihrem Schneckenhaus. Wenn er eines konnte, dann Menschen einschätzen und für sich gewinnen. Und das funktionierte sogar bei Einsiedlern wie der gequälten Loki. Er musste nur einfach er selbst sein. „Super, dann haben wir nächsten Neumond ein Date?“ unterstellte er einfach mal. „Du holst mich um acht Uhr ab“ nickte sie und griff nach einer neuen Scheibe herzhafter Salami. „Aber sag mir vorher, was du vorhast. Nur damit ich mich entsprechend anziehe.“ „Nein, wir machen es andersrum. Du sagst mir, was du anziehen willst und ich überlege mir …“ Er wurde von der Klingel unterbrochen. Es klingelte nicht nur ein Mal, nicht zwei Mal, sondern gleich drei Mal hintereinander. Aber Loki interessierte sich nicht weiter dafür. Ihr Ziel bestand darin, noch heute die Salamipackung leer zu machen. „Willst du nicht aufmachen?“ Da klingelte es schon wieder, nur ein Mal und es klopfte. Na ja, ein Klopfen war es nicht. Es hörte sich eher danach an als würde jemand leicht gegen die Tür treten. „Nö“ schmatzte Loki und guckte die Tür nicht mal an. „Klingt aber als würde da jemand dringend reinwollen.“ „Das ist klein Finn“ erklärte sie und tunkte die Salami in den Senf. „Drei Mal klingeln ist Familienklingeln.“ „Machst du ihm nicht auf?“ „Hat doch einen Schlüssel.“ Ja ja, das war Geschwisterliebe. „Dann mache ich auf. Das kann man ja nicht mit anhören“ meinte Yugi, aber wurde von Yami zurück gewunken, denn der stand selbst auf. Mit eiligen Schritten war er an der Tür, wo auch bereits ein Schlüsselbund klirrte und ein Kratzen an der Tür ertönte. Als Yami aufmachte, sah er Finn nicht mal, sondern nur eine riesige Packung mit einer Carrera-Bahn, die er auf dem Knie und an der Stirn balancierte, während er in der einen Hand drei volle Plastiktüten und seinen Schlüssel hielt, in der anderen zwei Getränkekisten. Und er stand da wie der Turm zu Babylon, der jeden Moment unter seiner eigenen Last zusammenfiel. „Was hast du getrieben so lange? Ich bin pitschenass.“ Er quetschte die Autobahn zwischen seine eh schon vollen Arme, drückte sich schwer beladen nun seitwärts durch die Tür, sodass Yami nur sprachlos rückwärts gehen konnte. Noch bevor er ganz drinnen war, schlüpfte der Hausherr aus den dreckigen Schuhen und drängelte sich weiter ins Wohnzimmer. „Wärst du wohl so gütig und nimmst mir mal was ab?“ „Warum?“ fragte sie von der Couch aus. „Damit ich wenigstens was sehen kann! Der Großteil von dem, was ich schleppe, ist für dich, Sissi.“ Doch eine Antwort durfte er nicht wirklich erwarten. Dafür nahm Yami ihm zumindest den riesigen Karton mit dem elektrischen Spielzeug ab und stellte ihn an den Rand. Finn schob die Getränkekisten mit dem Fuß an die Seite und schniefte. Er war ohne Regenschirm so richtig übel nass geworden. Doch das war auch nicht mehr wichtig als er sich wieder aufrichtete und Yami erblickte. Er zwinkerte und man sah ihm seine Überraschung ins Gesicht gemalt wie Picasso es nicht besser hätte schaffen können. „Seit wann spielst du mit elektrischen Autos?“ lächelte er ihn fröhlich an. „Ist nicht für mich“ antwortete er überrumpelt. „So? Für wen denn dann?“ „Für den Nachbarsjungen zum Geburtstag. Ist etwas groß, um es bei seinen Eltern zu verstecken. Was machst du hier?“ „Dich unheimlich niedlich finden.“ Finn war einfach zu süß so verplant wie er guckte. Da hätte sich selbst Seto als Verplanung in Übergröße noch ein Beispiel dran nehmen können. „Loki hat uns reingelassen“ erklärte er als nichts weiter kam. „Ach so. Na gut.“ Er war zu höflich, um etwas anderes zu tun oder zu sagen. Erst mal stellte er die Tüten auf den Tisch und zog sich die nasse Jacke aus. Da diese aber aus Stoff war, blieb er darunter nicht wesentlich trockener. Und Yami konnte nicht anders als auf schlimme Gedanken zu kommen. Das nasse Shirt klebte an diesem wunderbaren Oberkörper. Schade, dass es rot war und nicht weiß - oder entsprechend transparent. „Guten Tag, Yugi“ grüßte er höflich als er den auf dem Sessel sitzen sah. „Hallo Finnvid“ lächelte der zurück und stand kurz auf, als Finn ihm entgegenkam und die Hand hinhielt. „Entschuldige bitte, dass wir uns nicht vorher angekündigt haben.“ „Nein, kein Problem. Ich freue mich über Besuch.“ Was eigentlich nicht stimmte, er bekam ungern Besuch in seinem Privathaus. Er drehte sich herum und legte Loki im Vorbeigehen die Hand auf die Schulter. „Alles okay bei dir?“ „Hm“ nickte sie, aber kaute beharrlich weiter. „Musstest du gleich den ganzen Kühlschrank ausräumen?“ „Hm.“ Ein Wunder, dass er so lieb zu ihr war, obwohl sie ihn behandelte wie ihren persönlichen Diener. Aber er schien ihr das nicht mal übel zu nehmen. Sie moserte ihn an, dafür dampfte er ein bisschen vor sich hin, alles super. „Na ja, kann ich …“ Er rieb sich die klammen Hände und blickte zwischen Yami und Yugi hin und her. „Kann ich irgendwas für euch tun, oder …?“ „Was oder?“ fragte Yami ernst nach. „Ich wollte gern noch mal mit dir sprechen.“ „Das … ähm … das passt gerade etwas schlecht. Ich muss noch mal … rüber zum Nachbarn. Ihm helfen bei … Reparaturen und so was.“ „Red keinen Scheiß“ schmatzte seine große Schwester von hinten. „Wenn du lügst merkt das ein Blinder mit nem tauben Hund, selbst wenn beide geisteskrank sind.“ „Das überlass mal mir, ja?“ „Wenn du den Pharao anlügen willst, bitte sehr.“ Sie wusste wie sie ihn traf. Er war dem Pharao treu ergeben, verehrte ihn geradezu. Und ihn anzulügen, fiel ihm wahrscheinlich schwerer als Yami es fiel, diese Lüge zu bemerken. „Wenn du die Einkäufe weggeräumt hast, solltest du dich umziehen. Du hast schon ne Gänsehaut, Kleiner.“ „Hast du den Pharaonen wenigstens etwas angeboten?“ „Atemu ist schon beim Essen. Pharao Yugi wollte nicht.“ „Ich meine, hast du ihnen etwas anständiges angeboten? Hast du Kaffee aufgesetzt oder Tee gemacht?“ „Danke, uns geht es bestens“ beruhigte Yugi mit sanfter Stimme. „Geh dich doch erst mal umziehen, bevor du dich erkältest.“ „Bitte sag es, wenn du etwas brauchst“ bat er noch mal nachdrücklich. „Es ist alles prima, Finnvid. Danke schön. Loki war sehr nett zu uns.“ „Na gut, dann …“ Dann würde er gern erst mal auf eine einsame Insel reisen und sich von Kokosnüssen ernähren. „Dann gehe ich mich schnell umziehen.“ Er senkte den Blick und ging geduckt an Yami vorbei. Er konnte ihm einfach nicht in die Augen sehen. „FINN!“ rief Loki, bevor er noch ganz auf der Treppe war. „Mach Feuer im Kamin!“ „Gleich.“ „Mir ist kalt!“ „Dann dreh die Heizung an.“ Er wollte jetzt nicht zurücklaufen, nur schnell die Treppe hoch und sich fangen. „Nein, ich will dem Kamin zuhören! Mach ihn an!“ „Nimm den Grillanzünder oder warte auf mich! Du machst mich fertig.“ Er war schon oben und wollte eigentlich nur weg und jetzt nicht ihren Butler mimen. „Finnvid Rominter! Deiner großen Schwester ist kalt! Mach den Kamin an!“ Und sie wollte nun mal ein gemütliches Nachmittagsfeeling. So sehr er es auch versuchte, er würde sich so bald nicht gegen sie behaupten können. Also zischte es im Kamin, es rauchte, mit einem Pochen brannten die Holzscheite darin und sie hatte wieder einmal ihren Willen bekommen. „GEHT DOCH!“ Das Worte danke kannte sie auch nicht. Seine Antwort war eine leise zugehende Tür und sie konnte sich wieder ihrer Antidiät-Kampagne widmen. „Er kann Feuer machen ohne richtig hinzusehen“ würdigte Yugi erstaunt diese scheinbar leichte Aktion. „Wow.“ „Die einen Sachen fallen ihm leicht, andere eben nicht“ erwiderte sie und betrachtete mitleidig die Chipstüte. Auch wenn sie diese wohl nicht meinte. „Eure Anwesenheit bringt ihn ziemlich aus dem Konzept.“ „Hat er was gesagt?“ fragte Yami vorsichtig nach. Er war noch nicht ganz dahinter gestiegen wie eng das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden in Bezug auf solche Dinge war. Und er wollte auch nichts ausplappern, was ihm vielleicht unangenehm wäre. „Nein. Das braucht er nicht“ antwortete sie und sah aus dem Fenster. „Ich weiß was da zwischen euch gelaufen ist. In dieser Vollmondnacht.“ „Oh.“ Also wusste sie mehr als sie durchscheinen ließ. „Aber gesagt hat er dir nichts, oder? Oder hat er mal was gesagt in Bezug auf mich?“ „Du willst nicht ernsthaft von mir wissen, was du tun sollst, oder?“ fragte sie und blickte ihn durchdringend an mit ihren hellblauen Augen. „Das nicht. Aber du kennst ihn doch viel besser als ich. Wie kann ich ihm klarmachen, dass er keine Angst vor mir haben braucht?“ „Er hat keine Angst vor dir, sondern vor sich selbst“ erwiderte sie und faltete die Hände in ihrem Schoß. „Dass er sich in dich verliebt hat, habe ich geahnt, noch bevor er dich mit hierher brachte. Ich habe ihn noch niemals so gesehen. So träumerisch und so nachdenklich. Wärst du eine normale Frau, hätte er sich vielleicht schon an dich rangemacht. Aber du bist der Pharao und somit unantastbar. Davon abgesehen, bist du ein Mann und Finn ist wirklich nicht der Typ für solcherlei Neigungen.“ „Und deshalb hat er beschlossen, mich zu meiden? Nur weil ich der Pharao bin und zufällig auch noch männlich?“ „Nein, du weckst Gefühle in ihm, die er nicht haben möchte“ antwortete sie ihm sehr genau. „Finns erste Freundin, Belinda, war in einer festen Beziehung, aber er liebte sie trotzdem. Sie sagte ihm dann, sie habe sich freundschaftlich von dem anderen getrennt. Über ein Jahr lang waren sie zusammen bis er herausfand, dass sie sich niemals von ihrem anderen Freund getrennt hatte und er nur der Lückenfüller war, wenn sie sich einsam fühlte. Er wollte etwas Ernstes und sie hat ihn voll verarscht. Ich mochte sie nie, aber Finn hat sie geliebt. Letztlich hat er sie vor die Wahl gestellt und sie hat den anderen genommen. Das hat ihm das Herz gebrochen.“ „Aber ich bin nicht Belinda. Ich lüge ihm doch nichts vor. Er weiß doch von Seth!“ Das würde er niemals tun. In solchen Dingen spielte er immer mit offenen Karten. Finn wusste doch genau um Yamis derzeitige Partnerschaft. „Aber Finn ist bisher mit jeder Liebschaft auf die Schnauze geflogen. Besonders mit Nancy. Die Tusse wollte er sogar heiraten und dass sie ihn wegen seiner Schlafwandelei hat sitzen lassen, hat ihn echt fertig gemacht. Er ist eh schon sehr introvertiert und dann kommst du. Dich auf diese Art zu lieben, grenzt an Gotteslästerung und davon abgesehen, weiß er wie hoffnungslos es ist. Du liebst doch deinen Priester mehr als alles andere. Ihr seid beide alte Seelen mit einer großen Vergangenheit. Und er ist nur ein kleiner Vorstadtmagier. Er kann da nur verlieren.“ „Seth ist nicht mehr mein Priester. Ich habe mich von ihm gelöst“ sagte Yami fast erbost. „Und nur weil ich Seth liebe, heißt das doch nicht, dass ich Finn nicht auch … dass Finn nicht trotzdem etwas Besonderes für mich sein kann.“ „Was sagst du das mir?“ fragte sie und sah ihn intensiv an. „Ich bin nicht derjenige, in den du dich verliebt hast. Wenn du mit Finn zusammensein willst, musst du Finn das sagen. Und nicht seiner großen Schwester.“ Sie kam sehr schnell auf den Punkt und das ebenso schonungslos. Aber Klartext war das, was Yami am liebsten hatte und wahrscheinlich auch das einzige, was hier noch half. „Also erwiderst du die Liebe meines Bruders jetzt oder nicht?“ „Ich … na ja …“ Wenn er das so genau wüsste, dann fiele ihm manches leichter. Aber wäre er denn hier, wenn Finn ihm nichts bedeuten würde? Er sah Yugi an, aber der seufzte nur leise. Er konnte ihm ja auch nicht vorsagen, was er fühlte. „Aber was wäre denn, wenn ich … wenn ich mich auch in Finn verliebt hätte?“ „Was dann wäre?“ fragte Yugi sanft. „Dann hast du dich verliebt. Auf so etwas hat man keinen Einfluss. Nur wie du damit umgehst, das musst du wissen.“ „Ich … wenn ich ihm fernbleiben könnte, dann … dann wäre ich ja nicht hier.“ Das wusste er, aber dann auch nicht mehr. Er war mal wieder ohne Plan gestartet … „Yami, das musst du allein wissen“ musste Yugi ihn enttäuschen. „Was auch immer du machst, ich stehe hinter dir. Aber denk auch an Finn. Tue ihm nicht unnötig weh, nur weil du unentschlossen bist.“ „Ich hasse es, unentschlossen zu sein“ sagte er zu sich selbst und ballte unbewusst die Fäuste. „Vielleicht fühlt es sich nur deshalb anders an, weil Finn nicht Seth ist. Bisher habe ich nur Seth geliebt … aber Finn ist …“ „Finn ist nicht Seth.“ „Nein, das ist er nicht. Finn ist … anders.“ Und deshalb auch die Gefühle, welche er in ihm weckte. Er wusste bisher nur wie es sich anfühlte, einen einzigen Mann zu lieben. Aber jetzt eine neue Liebe zu spüren, eine andere … natürlich fühlte es sich anders an. Vielleicht war es auch dieses Gefühl, welches ihn stark machte. Hätte er sich jemals von Seth lossagen können, wenn er Finn nicht getroffen hätte? Mit Finn sah er wieder einen Sinn in dieser Welt, etwas Schönes, etwas was seinen Tag lebenswert machte. Mit Finn zusammen zu sein war so leicht, so prickelnd und so befriedigend. Wenn Finn da war, wirkten alle Probleme so belanglos. Finn machte ihn frei. Finn machte ihn zufrieden. Finn gab ihm das Gefühl von Leben. Und von Liebe. Nach kurzem Zögern drehte er sich auf dem Absatz um und sprang die Treppe hinauf. Er wusste jetzt, dass er dieses Gefühl nicht aufgeben wollte. Er liebte ihn und er wollte mit ihm zusammensein. Ein Pharao kämpfte für das was er wollte und selten lohnte sich ein Kampf so sehr wie dieser hier. Er würde sich Finns Herz erkämpfen und es niemals wieder loslassen. Der Kampf gegen die eigenen Triebe jedoch begann gleich an der Schlafzimmertür. Er ging direkt hinein und wäre fast zu spät gewesen. Finn nahm sich gerade eine frische Jeans aus dem Kleiderschrank, womit der Blick auf seinen knackigen Körper noch frei war. Schade dass er eine schwarze Short trug, aber sonst: „Lecker.“ „Ähm …“ Der Halbnackte lief rot an, schlug die Hose auf und schlüpfte schnell hinein. „Sorry, ist mir rausgerutscht.“ Er wusste zwar, dass es Finn nicht unangenehm war, wenn man die langen Narben auf seinem Körper sah, aber es war ihm durchaus unangenehm, wenn man ihn halb nackt erwischte. Yami vergaß manchmal, dass nicht jeder so freizügig dachte. „Ist unten was passiert?“ fragte er und knöpfte sich die Hose zu. An seinen Händen jedoch sah man wie nervös er war. Er kriegte die kleinen Metallknöpfe kaum durch die Löcher gefummelt. „Nein, ich wollte allein mit dir sprechen.“ Yami setzte sich aufs Bett und sofort ereilten ihn schauerlich schöne Gedanken. In diesem Bett hatte er sich so gut gefühlt. So gut wie lang nicht mehr. Mit Finn zu schlafen, war so erfüllend, so zärtlich und so heiß. Und am nächsten Morgen fühlte er sich ruhig und gereinigt. Wenn Finn sich doch nur auch daran erinnern könnte. „Der Wagen da draußen.“ Finn zeigte aus dem Fenster, an welchem die Regentropfen herabliefen. „Ist das eurer?“ „Der silberne Jeep?“ „Japp.“ „Das ist Yugis.“ Er musste nicht mal hinsehen, um zu wissen welches Auto gemeint war. Draußen auf der Straße stand ja nur das eine. „Warum? Stehen wir im Parkverbot?“ „Nein, da sitzt jemand drin.“ „Das ist nur Tato“ beruhigte er. „Er hatte keine Lust auf Regen und bleibt lieber im Wagen. Mit irgendeinem Buch für Oberschlaue.“ „Langweilt ihn das Warten nicht?“ Finn drehte sich herum und ging zurück zum Kleiderschrank. Schade, wahrscheinlich wollte er sich auch noch ein Shirt über diesen tollen Rücken ziehen. „Ihr könnt ihn doch hereinbitten.“ „Tato geht’s gut. Wenn er seine Ruhe hat und wir in der Nähe bleiben, kann er da noch stundenlang rumhängen. Drachen sind geduldige Viecher.“ Um Tato machte Yami sich weniger Sorgen als um Finn. Der musste doch ahnen weshalb er hier war, doch er suchte händeringend nach anderen Themen. „Und wie geht’s dir?“ „Bestens. Loki futtert mir die Haare vom Kopf, aber sonst.“ „Ach, dafür sieht deine Frisur doch noch ganz gut aus.“ Etwas sehr zerzaust zwar, aber das tat dem Glanz seines dunkelroten Haares keinen Abbruch. „Sobald ich wieder trocken bin vielleicht.“ Er fuhr sich den nassen Pony aus dem Gesicht und zog sich zu Yamis Enttäuschung nicht mal ein Shirt, sondern gleich einen Wollpullover an. Er war zwar dünn genug, dass man seine Statur noch erkennen konnte, doch das meiste war nun verdeckt. Warum nur mussten Feuermagier sich ständig so warm einpacken? „Du hast dich aber auch verändert, Pharao.“ „Ah, es ist dir aufgefallen.“ Er lehnte sich gemütlich zurück und lächelte ihn an. Auch wenn Finn vorgab, irgendetwas im Schrank zu kramen. „Ist ja schwer daran vorbei zu gucken.“ „Ich meine, weil du mich kaum ansiehst.“ Finn wich jedem Blick aus, egal wie direkt Yami ihn ansprach. Es war traurig. „Tut mir leid.“ Er zögerte einen Moment, doch dann schloss er die Schranktür und begab sich zur Tür. „Ich muss die Einkäufe wegräumen und mich um Loki kümmern. Entschuldige, wenn ich etwas kurz angebunden bin.“ „Du kannst dir doch denken, warum ich hier bin. Warum weichst du mir aus?“ „Wir können später reden. Wenn ich weniger im Stress bin.“ Er wollte die Tür öffnen und unelegant fliehen, doch nicht mit dem alten Pharao. Der erhob sich und hielt ihn, noch bevor er die Türklinke ganz hatte herunterdrücken können. Er schlang seine Arme um Finns Bauch, drückte sich an seinen Rücken und spürte den muskulösen Körper unter der Baumwolle. Finn war ganz warm, obwohl er durchgefroren war. „Verdammt, ich liebe Feuermagier.“ „Atemu, bitte.“ Finns Stimme wurde leise, zitterte ein wenig. „Lass mich los.“ „Nein, ich will nicht. Ich will dich spüren.“ „Ich muss runter zu Loki.“ „Loki ist bei Yugi gut aufgehoben. Jetzt bleib einfach mal hier.“ Und damit kehrte Stille ein. Finn erstarrte im Stand und hielt die Hand an der Klinke, während Yami die Arme um seinen Bauch geschlungen hielt und ihn nicht gehen ließ. Er wollte, dass er sich beruhigte und sich vielleicht endlich für ein klärendes Gespräch öffnete. Er spürte, wenn er Finn jetzt gehen ließ, dann würde er ihn kein zweites Mal einfangen. „Hast du … meinen Brief gelesen?“ fragte er nachdem einige Momente vorbeigezogen waren. „Das habe ich“ bestätigte Yami mit milder Stimme. „Dann kannst du dir denken, dass … dass mich das hier … verletzt.“ „Nein, du hast mich verletzt“ sagte er im Gegenzug. „Denkst du, ich nehme es einfach so hin, dass du mich abschiebst?“ „Ich wollte dich nicht abschieben, aber ich …“ „Aber du was?“ „Du hast es doch gelesen. Atemu, lass mich bitte los.“ „Nur wenn du versprichst, dass wir miteinander reden. Und dass du nicht davonläufst.“ „Ich weiß nicht, was es da noch zu reden gibt. Ich … wollte dich nicht beleidigen, aber ich … Atemu, ich fühle mich sehr schlecht. Bitte lass mich.“ „Wenn du wegläufst, sobald ich dich loslasse, dann halte ich dich die nächsten Jahre so fest. Ich lasse mich von dir nicht einfach abschieben, nur weil du mit deinen Gefühlen nicht klarkommst.“ „Aber ich …“ Was sollte er ihm denn noch sagen? Er konnte sich nicht mit Gewalt losreißen, es war immerhin der Pharao, der ihn festhielt. Aber wenn er noch länger diese angenehme Umarmung fühlte, sprang sein Herz entzwei. „In Ordnung, wir reden. Aber bitte lass mich los.“ „Schade. Ich habe gehofft, du zierst dich noch eine Weile.“ Aber aufgrund seines Versprechens musste er loslassen. Er trat sogar einen Schritt zurück und da Finn sich noch immer nicht bewegte, setzte er sich aufs Bett zurück und wartete. Dann erst konnte sein Opfer durchatmen und sich langsam umdrehen. Endlich trafen sich ihre Blicke, doch diesmal wurde ihm schwer im Herzen. Finns dunkelbraune Augen waren feucht und traurig, furchtsam. Er tat sich schwer mit Gefühlen und Yami wusste das. Es marterte ihn, dass er alles noch mal durchsprechen musste, was er doch so mutig zu Papier gebracht hatte. „Entschuldige.“ Finn drehte sich weg und wischte sich schnell über die Augen, atmete tief ein. „Was ist?“ fragte er gedämpft. „Was bringt dich so durcheinander?“ „Dein Blick. Du wirkst … stärker als vorher.“ „Ich bin stärker. Meine Augen sind jetzt offen für die Welt. Und auch offen für dich. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir beide noch mal miteinander sprechen.“ „Was willst du mir denn sagen?“ Finn blieb mit abgewandtem Kopf neben der Tür stehen, schien als wolle er jeden Moment fortlaufen. Auch wenn er das natürlich nicht tun würde, aber er wollte es. „Komm erst mal her. Setz dich zu mir.“ Er streichelte den Platz neben sich und wartete einige Sekunden bis ihm endlich Folge geleistet wurde und Finn ließ sich bedächtig neben ihm auf der Tagesdecke nieder. Er schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme. Ganz klare Abwehrhaltung. „Finn, hör zu.“ Er fasste seine Hand und stellte fest, dass sie noch immer klamm war. Leicht feucht und viel zu kalt für ihn. Armer Finn. „Du hast dich in mich verliebt, ja?“ „Sieht so aus“ antwortete er, wobei seine Worte mehr ein Flüstern waren. „Es tut mir leid, Pharao. Das hätte mir nicht passieren dürfen.“ „Sich zu verlieben, ist doch keine Sünde. Es muss dir nicht leid tun.“ „Ich weiß, dass ich mich nicht immer gut im Griff habe, wenn es um so etwas geht. Deswegen wollte ich Abstand nehmen und … ich habe gehofft, du würdest das akzeptieren.“ „Das tue ich nicht wie du siehst.“ Er lächelte sachte, auch wenn das gar nicht gesehen wurde. Finn musste es in seiner Stimme hören. „Es ist doch nichts dabei. Ich fühle mich glücklich und geehrt, dass du mir diese Gefühle entgegenbringst.“ „Aber ich … ich weiß nicht … ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ „Sag einfach was in deinem Kopf ist.“ „Das sagst du so leicht.“ Er musste noch mal tief atmen und genug Mut sammeln, um das hier durchzuziehen. „Ich wollte nicht, dass du mitbekommst, wie ich empfinde. Wärst du in jener Nacht nicht hier geblieben, hätte ich es vielleicht durchgehalten. Aber so … Atemu, es fällt mir sehr schwer, dir jetzt noch nahe zu sein.“ „Warum? Ist es weil ich der Pharao bin und du dich mir nicht ebenbürtig fühlst? Oder weil ich ein Mann bin und du unsere körperliche Nähe als schmutzig empfindest? Oder hast du einfach Angst, dass ich dir wehtue? Dass ich dich ablehne?“ „Es ist alles zusammen.“ Er zog seine Hand weg und stützte stattdessen seine Stirn hinein. „Atemu, ich bin verwirrt. Du bist der Pharao und ich dürfte dich eigentlich nicht mit meinen eigenen Problemen belasten. Abgesehen davon, habe ich niemals so für einen Mann gefühlt. Das ist doch nicht normal, einen anderen Mann so zu begehren.“ „Du hast Angst vor dem Schwulsein“ unterstellte Yami ruhig. „Das ist doch nichts schlimmes. Deine Sexualität bestimmt doch nicht dein Leben. Sex bereichert das Leben. Wenn du dich auf nur das weibliche Geschlecht beschränkst, halbierst du das Glück, dass dir zustehen kann.“ „Du kannst das vielleicht so bedenkenlos hinnehmen, aber für mich ist das alles andere als leicht“ sprach er und Yami hörte wie sich die Tränen in seiner Stimme sammelten. „Selbst wenn du kein Mann wärst, du liebst einen anderen. Du hast bereits einen Partner. Einen, dem ich niemals das Wasser reichen könnte.“ „Du glaubst, es ist sinnlos, weil ich Seth liebe?“ „Du wirst irgendwann fortgehen. Und dann werde ich dich wieder verlieren. Das halte ich nicht aus. Das habe ich doch alles schon geschrieben.“ Er verzweifelte langsam. Jetzt riss er schon an seinen Haaren. „Pharao, ich will jetzt bitte gehen.“ „Nein, so trenne ich mich nicht von dir.“ Er rutschte zu ihm auf und nahm erst mal seine fahrigen Hände herunter. Dann wischte er ihm übers Gesicht und entfernte die kleinen Tränen, die er nicht hatte zurückhalten können. Er legte seine Handflächen an die geröteten Wangen und zog seinen Kopf heran, schmiegte ihre Stirn aneinander. „Finn, hör zu. Du hast Recht, ich liebe Seth. Trotz allem was er tut, liebe ich ihn. Aber ich habe eingesehen, dass er nicht mehr derselbe Mensch ist. Der Seth, der uns bedroht, das ist nicht mein Seth. Das ist nicht der Mann, den ich liebe. Ich möchte hier auch gar nicht über Seth sprechen, sondern über uns. Über dich und mich. Denn auch ich habe Gefühle für dich.“ „Ich bin ein Nichts gegen ihn“ wisperte er geschlagen. „Ich kann niemals mehr sein als dein Gespiele und das ist mir nicht genug. Tut mir leid.“ „Nein, du bist mehr für mich als nur ein Abenteuer.“ Er wollte es ihm ganz ruhig klarmachen, aber insgeheim dachte er sich: >Alter, rede ich hier mit Seto oder was? Ich behaupte nie wieder, nur Yugi sucht sich gestörte Typen.< Aber er verstand, was Finn meinte. Ja, er wusste es nicht nur, sondern er konnte es wirklich auch verstehen. „Du glaubst, wenn wir uns zu sehr aneinander gewöhnen, dass du mich noch mehr lieben könntest. Und du glaubst, dass ich irgendwann mit Seth fortgehen werde und dich dabei zurücklasse. Richtig?“ Finn nickte und schluckte leise. „Ich gebe dir mein Wort, dass das nicht passieren wird. Selbst wenn mein Wunsch in Erfüllung geht und ich mit Seth nochmals zusammenfinde, so werde ich dich darüber nicht vergessen. Dafür bedeutest du mir zu viel.“ „Aber nicht genug“ hauchte er verzweifelt und wollte den Kopf wegziehen. Nur Yami ließ ihn nicht. „Ich kann niemals das für dich sein, was er ist.“ „Nein, du wirst niemals das für mich sein, was Seth ist. Aber du wirst immer das für mich sein, was Finn ist.“ Jetzt erst ließ er ihm ein wenig Abstand, aber nur um seine Augen in einem festen Blick festzuhalten. „Finn, ich liebe dich. Nicht auf dieselbe Weise wie ich Seth liebe, aber ich liebe dich so wie ich dich liebe. Ich will mehr von dir als nur Sex und ein paar lustige Stunden vor dem Fernseher oder auf dem Motorrad. Ich will, dass wir zusammenbleiben. Mit dir will ich alt werden.“ „Und genau das wird nicht möglich sein.“ Er versuchte wegzublicken, doch wen Yami erst mit seinen Augen festhielt, der konnte sich dem nicht entziehen. „Du wirst wieder mit ihm zusammensein und mir das Herz brechen. Ich weiß es.“ „Ja, vielleicht werde ich irgendwann wieder mit Seth zusammensein. Ich wünsche es mir sogar“ erwiderte er ernst. „Aber solange ich auf dieser Welt lebe und solange meine Seele nach dem Ableben im Reich meiner Götter weilt, solange will ich auch mit dir zusammensein. Seth ist keine Konkurrenz für dich, denn du bist Finn. Mein Finn. Ich liebe dich und ich will mit dir zusammensein.“ „Das ist hirnrissig, Pharao. Du wirst nach Domino City zurückgehen und ich werde hier bleiben und … und …“ „Und?“ „Und wahrscheinlich nie wieder glücklich werden“ quetschte er sich dann endlich seine Antwort heraus und griff schon wieder mit den Händen in sein Haar. Das schien eine Stressreaktion von ihm zu sein. Das Haarraufen. „Ich will nicht die Nummer Zwei sein. Ich will … ich will das nicht.“ „In meiner Zeit war es vollkommen normal, mehrere Partner zu haben. Es ist schade, dass ihr das über die Jahrtausende verloren habt.“ Er senkte seine Stimme und fuhr zärtlich mit der Hand durch sein zerzaustes Haar. „Du hast bereits deinen Platz in meinem Herzen. Du musst ihn nur einnehmen.“ „Ich kann aber … ich kann es nicht ertragen, wenn du …“ „Hey, Finnvid.“ Er sah ihm tief in die Augen und strich mit dem Daumen über seine bebenden Lippen. „Hab doch keine Angst vor mir. Ich liebe dich. So sehr, dass ich nicht an ein Leben ohne dich denken möchte. Ich will nicht von dir getrennt sein. Und wenn ich wieder mit Seth zusammenkomme, dann wird er das akzeptieren müssen. Dann wird er akzeptieren müssen, dass du an meiner Seite bist. Weil ich es so will. Ich bin der Pharao und ich wähle mir meine Geliebten selbst. Und wen ich erst erwählt habe, den werfe ich nicht einfach auf den Müll. Ich werde dich niemals zurücklassen. Ich werde mit dir zusammensein und dich lieben. Du bist jemand besonderes in meinem Leben. Du bist Finn und ich bin Atemu, daran wird sich nichts ändern. Ich kann dich nicht zwingen, mich so zu akzeptieren wie ich bin. Mich und meine Art zu lieben. Aber wenn du an meiner Seite leben kannst, dann kannst du auch deinen Platz in meinem Herzen einnehmen. Denn ich liebe dich aus tiefster Seele. Du bist für mich einzigartig und auf deine Art wundervoll. Ich fühle mich wohl bei dir und unendlich frei. Ich will dich nicht verlieren. Ich will, dass wir von heute an gemeinsam leben und uns lieben. Du musst nur einfach bei mir bleiben und keine Angst vor unserer Liebe haben. Wie genau unsere Zukunft aussehen wird, das weiß ich nicht. Aber ich bin bereit, mich mit dir auf etwas Neues einzulassen. Denn ich liebe dich, Finnvid. Ich liebe dich sehr.“ „Du … liebst mich?“ Das musste er erst mal schlucken. Er war von etwas anderem ausgegangen. „Ich dachte, du … du willst nur …“ „Dass ich nur eine Freundschaft mit Sex will?“ Yami wusste genau, was in seinem roten Kopf vor sich ging. „Ich gebe zu, das wollte ich auch. Aber ich habe mich schon vorher gefragt, weshalb ich mich so zu dir hingezogen fühle. Okay, du bist sehr attraktiv und für Feuermagier hege ich eh einen Faible, aber da war noch mehr. Selten hat mich ein Mann so angezogen wie du. Ich fühle mich wohl bei dir, zu wohl um es noch Freundschaft zu nennen. Es dauerte eine Weile bis ich es mir eingestehen konnte, aber nun kommt es ganz leicht über meine Lippen. Ich liebe dich, Finn. Ich liebe dich und ich will mit dir zusammensein. Mit dir zusammen leben und alt werden.“ Er lehnte sich etwas zurück und lächelte ihn liebevoll an. „Okay, für Kinder und Hausbauen bin ich vielleicht nicht der Typ, aber man soll niemals nie sagen. Ich höre mir deine Wünsche gern an und wenn du irgendwann selbst Kinder haben willst, finden wir sicher eine nette Frau für dich. Aber wehe, du verlässt mich für sie. Das würde mich sehr kränken.“ „Ich … ich würde dich niemals …“ Er fuhr schon wieder mit seiner Hand zum Haar, aber Yami hielt sie fest und blickte ihn an. „Ich kann das nicht. Ich kann nicht mit dir zusammensein. Wenn wir uns irgendwann trennen, wird der Schmerz unerträglich sein.“ „Und deshalb willst du dich jetzt von mir trennen, bevor wir uns trennen? Es tut dir doch jetzt schon weh. Warum willst du dich selbst unglücklich machen, nur weil du Angst davor hast, unglücklich zu werden? Das erkläre mir mal.“ „Das kann ich nicht erklären“ behauptete er und kniff die Augen zusammen, um nicht zu weinen und wandte sich ab. „Du glaubst, wenn du dich jetzt von mir fernhältst, tut es weniger weh als wenn wir erst eine Weile zusammenwaren und wir uns dann trennen? Je näher du mir bist, desto mehr wird es dich schmerzen. Ist es das?“ Finn nickte stumm und presste die Finger an seine Knie. „Das ist nun mal die Natur der Liebe“ erklärte er ihm sanft. „Je mehr man sich aufeinander einlässt, desto mehr kann man verletzt werden. Aber desto näher kann man sich einander auch fühlen und damit glücklicher werden. Wenn du so fest davon überzeugt bist, dass ich dich unglücklich mache, warum willst du dann vorher nicht das Recht in Anspruch nehmen, glücklich gewesen zu sein?“ „Ich bin bisher nur verlassen worden. Und je länger die Beziehung dauerte, desto …“ „Desto verletzter warst du hinterher. Ich kann es mir denken“ unterbrach er, rutschte ein Stück von ihm weg und legte die Füße aufs Bett. Er würde diese Diskussion so lange führen bis er bekam, was er wollte. „Finn, ich bin nicht eine von den Frauen, die dich bei den ersten Problemen sitzen lassen. Ich bin Atemu und ich stehe zu den Leuten, die ich liebe. Du hast mir viel verschwiegen und versucht, mich zu täuschen. Aber gleichzeitig stehst du zu dem Mist, den zu machst und versuchst immer, andere zu schützen. Du hast es vielleicht nicht bezweckt, aber ich habe mich in dich verliebt. Unter anderem eben auch, WEIL du Ecken und Kanten hast. Wenn du dich von mir fernhalten willst, muss ich das akzeptieren. Aber eigentlich will ich das nicht. Nur weil ich der Pharao bin, heißt das nicht, dass du dein ganzes Leben nach mir ausrichten musst. Du bist schließlich nicht mein Priester, sondern mein Liebhaber. Ich weiß, dass du hier Verpflichtungen hast und Menschen, die dir wichtig sind. Ich gebe zu, dass ich sehr dominant sein kann und versuche, meinen Dickkopf durchzukriegen. Aber ich sorge mich auch um dein Glück und ich gehe trotz meiner dominanten Art viele Kompromisse ein. Du brauchst keine Angst davor zu haben, dass ich dein Leben zerstören will.“ „Das habe ich auch gar nicht gemeint. Ich meine …“ „Und ich meine, dass du mich mal ausreden und mich meinen Vortrag beenden lässt“ unterbrach er ihn ruhig. „Finn, ich liebe dich. Und du liebst mich. Und wenn du akzeptieren kannst, dass ich noch einen anderen neben dir liebe, dann können wir sehr glücklich werden. Ich bin bereit, mich mit dir auf etwas Neues einzulassen. Dich zu meinem einzigen Geliebten aus dieser Zeit zu machen, die nicht die meinige ist. Ich würde mich sogar darauf einlassen, neben Seths nur noch dein Bett zu teilen. Und das ist wirklich ein sehr großes Zugeständnis. Alles, was du tun musst, ist, mir und meiner Liebe zu dir zu vertrauen. Kannst du das?“ Er sah ihn durchdringend an und hoffte so sehr darauf, dass seine Worte ihn endlich erreichen und erweichen würden. „Kannst du auf meine Liebe vertrauen? Darauf, dass du mir unendlich wichtig bist?“ Er sah ihm tief in seine braunen Augen und spürte die große Sehnsucht, welche in ihm verborgen lag. Er liebte Finn aus ganzem Herzen. Er liebte auch Seth, aber in diesem Augenblick wollte er nur Finns Herz gewinnen. Er hatte sich in ihn verliebt und er wollte eine Zukunft mit ihm. Eine Zukunft mit einem modernen Mann aus dieser Zeit. Eine Zukunft mit jemandem, der seine Interessen teilte und der ihm ein so unbeschreibliches Gefühl der inneren Zufriedenheit schenkte. Er wollte mit Finn zusammensein und es für immer bleiben. Deshalb holte er die Worte tief aus seiner Seele und sprach sie mit aller Überzeugung. „Ich liebe dich, Finnvid. Bitte bleibe bei mir. Als mein Wächter, als mein Freund und als mein Geliebter. So wie du bist, liebe ich dich und so wie du bist, will ich mit dir zusammensein. Wenn du mich auch lieben kannst. Finn, sieh mich an.“ Er lehnte sich zurück, stützte sich auf die Hände und wünschte, er könnte in seine Seele blicken, sehen was er dachte und was er tun musste, um ihn aus seiner selbst gewählten Einsamkeit zu befreien. „Sieh mir in die Augen und behaupte, dass du nicht mit mir zusammensein willst. Wenn du mir das sagen kannst, dann gehe ich und laufe dir nicht mehr über den Weg. Aber sag es so, dass ich es dir glauben kann.“ Draußen prasselten die Regentropfen ans Fenster und ein leiser Donner kündigte das nächste Gewitter an. Das war alles, was von der Welt hereindrang. Alles andere verschwamm und versank in Bedeutungslosigkeit. Finn sah dem Pharao in seine übernatürlichen Augen und öffnete den Mund, ohne ein Wort herauszubringen. Sein Kopf sagte ihm, dass eine Verbindung dieser Art eine denkbar schlechte Veränderung war. Rational gesehen sprach alles dagegen als Zweitgeliebter eines Pharaos zu fortzuleben und all seine Zukunftspläne, sowie seine bisherige Lebensart infrage zu stellen. Sich dem Spott der Bevölkerung und den Gefahren einer solchen Liebe auszusetzen. Aber sein Herz sang und johlte und tanzte und interessierte sich nicht einen Deut für das, wovor der Kopf warnte. Der Pharao liebte ihn und war hier, um ihn für sich zu gewinnen. Gab es denn etwas Schöneres als das? War das nicht ein ungeträumter Traum, der da in Erfüllung ging? Letztlich fand er kein Wort der Antwort, seine Stimme ging in Tränen unter als er sich dem Pharao entgegenwarf und an seiner Schulter die Verzweiflung und die Angst entließ, die ihm das Herz einzwängten. Er spürte die Arme, welche sich um ihn legten und festhielten. Es war ihm peinlich als erwachsener Mann zu weinen wie ein Schulmädchen, doch er konnte nichts anderes tun. Es war nicht zu vergleichen mit den Gefühlen, welche er zuvor zu seinen Freundinnen empfunden hatte. Das hier war … etwas völlig anderes und er wusste noch nicht wie er damit umgehen sollte, was von ihm erwartet wurde und ob das alles überhaupt eine gute Idee war. Aber dennoch … dennoch … die Nähe des Pharaos war übergroß. „Du, Finn?“ flüsterte Yami zärtlich in sein Ohr, während er seinen Rücken mit beiden Händen streichelte. „Ich interpretiere das als ein Ja. Oder?“ „Tut mir leid“ schluchzte er und drückte sich enger in seine Arme. „Ich heule sonst auch nie …“ „Tränen sind die Sprache des Herzens“ beruhigte er und küsste ihn ins Haar. „Ich bin froh, dass du endlich mit mir sprichst.“ „Atemu …“ Er wusste jetzt auch nicht, was er noch sagen sollte. „Also, sind wir jetzt ein Paar. Du und ich?“ Finn nickte nur. Er versuchte, die Tränen einzudämmen und sich möglichst schnell zu fangen. Der Pharao sollte ihn nicht für eine Heulsuse halten. „Schön, das finde ich sehr gut.“ Dafür hatte der sich erstaunlich gut im Griff. Auch wenn Finn an seiner Brust das Herz laut schlagen hörte. Er hatte seine Gefühle nur einfach besser unter Kontrolle. „Dann muss ich dir jetzt nur noch eine Bedingung sagen.“ „Bedingung?“ Er wischte sich die Augen sauber und blickte kurz zu ihm hoch. „Ja, es ist mir etwas unangenehm, aber ich muss darauf bestehen.“ Er drückte Finn ein wenig weg und sah ihn bitterernst an. „Früher war es schon so, dass meine Geliebten alle Kastraten waren.“ „Was?!“ Was sollte das denn heißen? „Na ja. Ich gestatte es zwar, dass meine Geliebten Frauen haben, aber sie dürfen keine Kinder mit ihnen zeugen. Wenn du Kinder haben willst, dann zeuge ich sie mit deiner Frau. Deshalb muss ich darauf bestehen, dass du dich kastrieren lässt.“ „Du willst, dass ich …“ Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich soll mir was abschneiden lassen?“ „So ist es Tradition“ zuckte er mit den Schultern. „Kommt dir vielleicht etwas komisch vor, aber mir sind meine Traditionen wichtig. Also, wenn du mich liebst … du hast ja nun zugestimmt.“ „Gar nichts habe ich!“ Er saß da wie angewurzelt und … er kannte sich ja mit den Traditionen und Gebräuchen von vor 5000 Jahren nicht aus. „Das ist nicht dein Ernst!“ „Das ist mein voller Ernst. Früher war es eine Ehre, wenn ich einen Mann darum bat, seine Männlichkeit für mich herzugeben. Es klingt komisch, aber vielleicht solltest du diese Bedingung als eine besondere Auszeichnung sehen. Und in den modernen Krankenhäusern heutzutage, ist so eine Operation auch kein großer Eingriff mehr.“ Aber über das königliche Gesicht breitete sich ein Grinsen aus und seine Augen zeigten ein neckisches Funkeln. Das würde noch sehr lustig werden mit Finn. „Atemu, du bist so gemein!“ Jetzt merkte auch er es, drehte sich um und wischte die juckenden Augen. „Mich so zu verarschen.“ „Mach dich locker, Finni“ lachte er und sprang ihm an den Rücken, kuschelte sich wieder an ihn. „Normalerweise heule ich nicht so schnell.“ „Ich weiß. Aber so ein Liebeschaos haut jeden um. Ich habe zuhause auch geheult. Kannst Yugi fragen, der hat literweise hinter mir aufgewischt. Aber jetzt lassen wir es uns gutgehen, okay?“ „Okay“ nickte er und nahm Yamis Hände, welche über seiner Brust lagen. „Tut mir leid, ich bin noch ein bisschen zittrig. Ich habe mich gleich wieder.“ „Du bist ja ein Sensibelchen“ lächelte er und küsste seine Wange. „Keine Angst, ich mag sensible Männer.“ „Na dann.“ „Du bist doch nicht beleidigt, weil ich dich auf den Arm genommen habe, oder?“ „Na ja … nett war das nicht.“ „Schön, ich mag beleidigte Männer.“ „Gibt’s auch irgendwas, was du nicht magst?“ seufzte er verzweifelt. „Natürlich. Sex erst nach der Ehe zum Beispiel.“ Finn seufzte noch tiefer und ließ den Kopf hängen. Das konnte ja was werden … Chapter 4 „Ist das zu glauben?“ Joey ließ sich neben Narla plumpsen, legte die Arme auf den Tisch und den Kopf drauf. „Was?“ guckte sie ihn verwundert an. „Ja, bitte sprich in ganzen Sätzen“ meinte auch Balthasar, welcher an seinen Tortellini kaute. „Leute, ich komme eben von Yugi, ja?“ „Oh ja, was für ein Kunststück“ kommentierte Noah von der Seite und spießte seinen grünen Salat auf. Abendessen war ne feine Sache. Zumal das Restaurant seit gestern für Gäste gesperrt war. Offiziell wegen Umbaumaßnahmen, inoffiziell wegen versuchter Kindesentführung. So hatte die Truppe das ganze große Haus komplett für sich allein. Bis auf Hannes, der weiter tat, was ein Wirt halt so tat. Dass er etwas mit der Sache zu tun hatte, konnte sich wahrlich niemand vorstellen. „Bärchen, wenn du was zu erzählen hast, dann erzähle und mach nicht so ein Heckmeck darum“ bat Narla und schob ihm ihre angefangene Tomatensuppe rüber, damit er sie aufaß. „Und nimm die Arme vom Tisch. Das ist kein Bett.“ „Ich bin nur total baff“ meinte er, nahm die Suppe entgegen. „Magst du nicht mehr?“ „Ist schon meine dritte. Iss auf.“ „Also, Yugi ja?“ Er tauchte den Löffel hinein, schaute aber Narla aufgeregt an. „Yugi hat mir eben erzählt, dass Yami jetzt mit Finnvid zusammen ist. Ihr wisst schon, dieser große Typ mit den roten Haaren. Wo wie alle dachten, der wäre Rentner.“ „Wir wissen wer Finn ist“ versicherte Balthasar. „Und alles andere wissen wir auch. Verbrabbelt sich ja nicht jeder so lang mit der Sekretärin wie du.“ „Wie? Ihr wisst das schon, dass Yami fremdgeht?“ „Fremdgehen würde ich das nicht nennen“ meinte Narla. „Er hat nur einen zweiten Geliebten. In Ägypten war das ganz normal, dass man mehrere Partner hat, wenn man sich in mehrere Leute verliebt. Damals nannte man das, jemanden zu seinem Favoriten zu machen.“ „Du sollst mich nicht immer verarschen!“ „Ausnahmsweise, mein blonder Schatz, verarsche ich dich mal nicht“ knutschte sie ihm mitten auf die Nase. Er war manchmal echt zu süß, wenn er sein Hirn nach Feierabend einfach ausstellte. Aber die Frage, ob er sich das bei Seto abgeguckt hatte, wollte sie in dieser Runde lieber nicht stellen - damit ärgerte sie ihn allein. „Wer’s glaubt. Trotzdem glaube ich nicht, dass Seth das so gern sehen wird“ redete Joey weiter und rührte seine Suppe um. „Selbst wenn das in Ägypten normal war, wird er bestimmt total eifersüchtig werden.“ „Das solltest du Ati überlassen“ meinte Balthasar. „Der weiß schon, was er tut. Davon mal weg, glaube ich, dass Finn ihm richtig gut tut. In unserer Zeit ist Ati ewig allein geblieben und hat Seth zwar was vorgebetet, aber nie wirklich die Kraft gehabt, ihm den Marsch zu blasen. Und jetzt guck ihn dir mal an. Er ist ein ganz neuer Mensch.“ „Ja, er sieht richtig gut aus“ pflichtete Narla ihrem Bruder bei. „Sicher wird Papa nicht begeistert sein, aber für Yami ist es das Beste. Er ist kein Typ, der allein leben kann. Und Finn ist voll sein Geschmack. Ich liebe meinen Papa, aber wenn er sich so sehr von sich selbst entfernt, darf er sich nicht beschweren, dass sein Pharao sich einen zweiten Geliebten nimmt. Er hat ja auch aus Liebe geheiratet und Yami hat das akzeptiert. Letztlich ist Finn nichts anderes als Marie.“ „Das würde ich nicht ganz so sehen“ warf Noah ein. „Marie war von Anfang an klar, dass sie ‚nur‘ die Frau des Priesters ist und soweit ich weiß, war Seth bereits mehrfach verheiratet bevor er mit Yami zusammenkam. Finn und Seth sind momentan aber auf derselben Ebene der zwischenmenschlichen Beziehung. Yami hat immer versucht, Liebesleben und Priesterschaft zu trennen und somit hat Seth seine Alleinstellung als Liebhaber verloren. Und das kurz nachdem Yami ihn unehrenhaft aus der Priesterschaft entfernt hat. Insofern muss ich Joey zustimmen, dass das zu Problemen führen kann.“ „Danke, Chef.“ Passierte ja selten, dass Joey auch mal Recht bekam. „Ich finde das ganz legitim“ sagte Balthasar mit einer wegwerfenden Geste. „Wenn mein Herr Vater so gegen die Prinzipien handelt, muss er damit rechnen, verdrängt zu werden. Ich habe gleich gesehen, dass Finn ein klasse Kerl ist. Und habt ihr das Leuchten in Atis Augen gesehen? Das war doch klar, dass der sich sofort verguckt hat.“ „Außerdem ist Yami viel freidenkender. Er braucht das“ pflichtete Noah bei. „Er hätte sich wahrscheinlich auch für Finn erwärmt, wenn Seth daneben gestanden hätte.“ „Yugi sagte, wir sollen Yami unterstützen“ erzählte Joey besorgt. „Wo Yugi Recht hat“ ergänzte Narla. „Aber ich kann mir das noch nicht so richtig vorstellen. Ich meine, kommt Finn dann mit uns nach Domino oder wie soll das aussehen?“ „Wichtig ist, dass wir Finnvid als seinen Partner akzeptieren“ riet Noah. „Wenn sie sich lieben, sollten wir da nicht intervenieren. Ich bin sicher, Yami hat sich das nicht leicht gemacht. Aber er ist auch kein Mensch, der gegen sein Herz handelt und wenn er sich verliebt hat und sich dabei gut fühlt, dürfen wir das nicht kaputt machen.“ „Ich find’s aber auch ungewohnt, so sehr ich es verstehen kann“ pflichtete Narla ihrem Joey bei. „Ich glaube auch nicht, dass Papa das gern sehen wird. Ich stehe ja voll auf Yamis Seite, aber ich kenne auch meinen Vater.“ Sie fuhr mit ihrem Zeigefinger die Rillen des Holztisches nach und überlegte. „Doch wie Noah sagt, wir müssen Yami unterstützen. Für uns ist so eine Liebschaft ungewohnt, aber der alte Pharao würde das hinkriegen, auch zwei Partnerschaften zu managen. Er ist immerhin zum Herrschen geboren und wird schon wissen, was er … buuhaa ...“ Plötzlich schüttelte sie sich und die Gänsehaut lief bis auf ihre Arme hinab. „Schatz?“ fragte Joey vorsichtig nach. „Alles okay?“ „Ja, geht schon wieder.“ Sie rieb sich die Arme und atmete tief. „Das muss ich unter Kontrolle bekommen.“ „Narla nimmt Geisterunterricht“ erklärte Joey dem verwirrt dreinschauenden Noah. „Geisterunterricht“ wiederholte der skeptisch. Trotz der täglichen Beweise stand Noah dem Okkultismus noch immer skeptisch gegenüber. Und an Geister glaubte er -eigentlich- nicht. „Ich habe doch schamanische Fähigkeiten“ erklärte sie und nahm die Hand ihres Schatzes, da der sich anscheinend um sie sorgte. „Yela hat mich einem alten Schamanen vorgestellt und den habe ich heute besucht. Er hat mir gezeigt, wie man Geister und solche Dinge spüren kann, aber seitdem erschauere ich immer, wenn etwas an mir vorbeistreift. Ich muss das erst mal kontrollieren lernen, bevor ich wirklich etwas sehen kann.“ „Was sehen?“ hakte Noah unwissend nach. „Poltergeister und so etwas? Gibt es das denn?“ „Natürlich gibt es Poltergeister“ lächelte sie. „Er hat mir ein Buch mitgegeben, das ich mal durcharbeiten werde. Ich habe meine Fähigkeiten nie richtig trainiert und da ich ja nur eine Hexe bin, sind sie derzeit nicht besonders stark. Vor einigen Jahren waren sie stärker, weil ich mit meinen Drachen verbunden war, aber ohne sie nimmt meine magische Kraft allmählich ab. Er sagte mir aber, dass meine Schamanenkraft wahrscheinlich stärker ist als meine Feuerkraft. Wir haben lange geredet und deshalb habe ich beschlossen, dass ich diese Fähigkeiten weiter ausbilden will. Vielleicht kann ich damit nützlicher sein als mit Feuerzaubern.“ „Genau, kleine Hexe, überlass das Feuer den Magiern“ grinste Balthasar sie provokativ an. „Halt die Klappe, HALB-Bruder.“ „Und was kannst du dann machen?“ wollte Noah weiter wissen. „Schamanen sehen doch nur die Seelen verstorbener Menschen. Oder? Sorry, ich kann mir darunter nicht viel mehr als Gläserrücken vorstellen. Oder Schamanen aus dem Urwald oder bei den Indianern.“ „Die meisten haben wirklich eher etwas mit Toten zu tun, aber in mir steckt mehr. Ich kann, wenn ich die Ausdauer bewahre, eine der mächtigsten Schamaninnen werden. Alfons hat das angeblich sofort in mir gesehen.“ „Alfons ist der Typ, wo sie war“ erklärte Joey zusätzlich. „Ich kann nicht nur die Seelen Verstorbener sehen, sondern vielleicht sogar herbeirufen. Quasi Tote aus dem Totenreich zurückholen.“ „Das klingt irgendwie merkwürdig“ murmelte der skeptische Noah. „Du meinst, du rufst Tote herbei?“ „Cool, Zombies“ grinste Balthasar. „Das ist aber wohl der schwerste Zauber“ musste sie eingestehen. „Ich weiß auch noch nicht wirklich, wie das gehen soll. Vorerst konzentrieren wir uns auf das Sehen von vorhandenen Geistern. Alfons sieht lauter Dinge. Er hat mir berichtet, dass er manchmal sogar helle Gestalten mit goldenen Flügeln und lieblichen Gesichtern sieht, die bei ihm verweilen.“ „Das sind Engel“ wusste Balthasar sofort. „Dein Meister kann wirklich Engel sehen?“ „Wenn er sein inneres Auge öffnet, ja. Er vertraute mir sogar an, dass er sich manchmal mit ihnen unterhält. Zwar nur wenige Worte, aber sie sollen ihm sehr zugetan sein. Er sieht aber auch Schatten. Er sagte, Schatten zu sehen ist wesentlich leichter. Sogar Menschen ohne Magie können sie sehen.“ „Das stimmt. Sogar wir sehen die starken Schatten“ nickte Noah. „Und was bringt es dir, wenn du das lernst? Ich meine, hat das alles auch eine praktische Seite?“ „Ja, natürlich“ lächelte sie aufgeregt. „Ich kann vielleicht irgendwann auch mit Seelen sprechen und ihren Beistand erbitten. Sogar tote Tiere könnte ich sehen und sie um Dinge bitten. Als Schamane kann man mit drei Welten in Kontakt treten. Nämlich der bewussten Welt in welcher wir uns jeden Tag befinden. Als zweites mit der unbewussten Welt, in welcher sich Engel und Schatten bewegen und auch Verstorbene, die noch hier weilen. Und als drittes mit dem Totenreich, dort wo alle Seelen weilen, welche noch nicht vergessen wurden.“ „Und wenn du sie rufst, hast du so eine Art Armee von Toten und du bist die Kommandantin“ grinste Joey, der bei diesem Gedanken in seine eigene, kleine Comicwelt abtauchte. Man wollte gar nicht wissen, was er sich da wohl ausmalte … wahrscheinlich war Narla in seiner Vorstellung dabei auch leichter als leicht bekleidet wie in einem seiner Mystery-Erotica-Büchlein … „Außerdem gibt es bestimmte Zauber, die nur von einem Schamanen gesprochen werden können oder Tränke, die nur wir brauen können. Alfons sagte mir aber gleich, dass man als Schamane sehr demütig gegenüber dem Leben und dem Tode sein muss. Man selbst ist nur ein Instrument zwischen den Welten und muss um alles unterwürfig bitten. Ich glaube, das wird mir am schwersten fallen. Ich ordne mich nicht so gern unter.“ „Stimmt.“ Mit diesem einen Wort schaute sie Joey auch schon wieder sehr intensiv an. Er wusste sicher am besten wie wenig sie sich unterordnen konnte. „Aber ich mag starke Frauen.“ „Du bist so süß“ lächelte sie und schmiegte ihren Kopf an seinen. „Ich liebe dich, Bärchen.“ „Ich liebe dich auch, Süße. Besonders wenn du zwischendurch so mädchenhaft bist.“ „Was? Ich dachte, du magst starke Frauen und keine kleinen Mädchen.“ „Ähm … na ja …“ Na super, wieder was gesagt ohne darüber nachzudenken, was er eigentlich sagen wollte. „Ich liebe ja auch nur dich.“ „Nicht besonders gut, aber immerhin gerettet“ seufzte sie und blieb gemütlich an ihn gelehnt, legte sogar die Arme um ihn. „Wenn du noch was Nettes sagst, gibt’s Sex heute Abend.“ „OH!“ Oh … oh … oh! Jetzt schnell was Nettes sagen! „Du hast den … oh … oh, ich weiß! Du hast pralle Boobies!“ „Na ja.“ Okay, unter Stress war er unkreativ. „Das lass ich mal noch so durchgehen.“ „Tja, so macht man das, Männer“ grinste er die beiden anderen stolz an und legte demonstrierend den Arm um seine Eroberte. „Schande, Schatz, du frierst ja schon wieder.“ Er strich über ihre Arme, war es gar nicht gewohnt, dass sie fröstelte - wo sie doch wörtlich ne heiße Braut war. „Erkälte dich mal nicht bei diesem Schamanenquatsch.“ „Aber weißt du, was cool ist?“ freute sich Balthasar. „Wenn du so stark wirst, dass du Tote rufen kannst, dann macht es gar nichts mehr, dass du auf alte Knacker stehst. Dann kannst du auch nach ihrem Tod mit ihnen zusammensein.“ „Ich glaube nicht, dass das so einfach ist“ lachte sie. „Außerdem stehe ich nicht auf Knacker.“ „Na ja, Joseph ist nun auch bald 30.“ „Alter, ich bin gerade 29 geworden!“ „Und deine Freundin? Die ist gerade mal süße 18, nech?“ „VOLLE 18!“ „Also doch Knacker.“ „Lass deine Sprüche mal bei Tato“ lachte Narla, während Joey sich grün ärgerte. Natürlich wirkte er neben einer jungen Freundin älter, aber es reichte schon, dass Narlas Freunde Sprüche klopften. Da durfte man doch wohl wenigstens in der eigenen Familie verschont bleiben. „Außerdem ist 30 keine so schlimme Zahl“ warf Noah zweideutig ein. „Ich wünsche mir übrigens ein neues Teeservice für’s Büro.“ „Ach ja! Du hast ja bald Geburtstag!“ „Blitzmerker, Joseph“ schüttelte Narla den Kopf. „Cool, dann musst du fegen gehen“ grinste Joey voller Freude. „Würde ich ja glatt machen“ grinste Noah vor sich hin. „Und warum grinst du so?“ „Weil d u das meinem Freund verklickerst“ zeigte er mit dem Zeigefinger auf Joey. Wenn der Mokuba erzählte, dass Noah von irgendwem geküsst werden sollte, war es fraglich, ob Joey selbst irgendwann mal 30 wurde. Wahrscheinlich eher nicht. „Okay, lassen wir das mit der Tradition“ seufzte der enttäuscht bis ihm etwas Geniales einfiel. „Narla, wenn ich nächstes Jahr auch 30 werde, müssen wir noch dieses Jahr heiraten.“ „Wieso?“ guckte sie ihn hilflos an. „Freust du dich nicht, wenn dich ein junges Ding knutscht? Ich jedenfalls werde das nicht sein, denn DU hast mich befleckt, mein Lieber.“ „Doch ich will schon geknutscht werden. Aber ich habe keine Lust auf körperliche Arbeit. Also musst du mich heiraten.“ „Ich heirate dich doch nicht nur weil du so faul bist. Du bist unmöglich“ schüttelte sie aufgebend den Kopf und erschauerte im selben Moment nochmals. „Meine Güte, hier sind viele … oh …“ „Viele oh was?“ sorgte Joey sich sofort wieder. „Was ist?“ „Ich höre ein Weinen“ erwiderte sie und blickte sich im Raum um. Doch hier unten war kaum noch jemand. Nur sie selbst und Hannes, der im Nebenraum seine Ablage sortierte. „Weint das Krümelchen?“ horchte nun auch Joey genau hin. „Aber sie ist doch bei Tea, da musst du keine Sorgen haben. Wir können schön Liebe machen.“ „Nein, das ist kein Babyweinen. Das hört sich anders an.“ Sie stand auf und spitzte die Ohren, untersuchte mit ihren stahlgrauen Augen den Raum. „Hört ihr das nicht?“ „Nein, ich höre nichts“ gestand Noah. „Vielleicht einer von deinen Poltergeistern.“ „Hm, vielleicht. Es kommt von dort.“ Sie zeigte auf die Treppe, doch da war nichts zu sehen. Deshalb ging sie darauf zu, auf das was die anderen nicht hören konnten. Kaum kam sie in die Nähe der Treppe, zischte und fauchte es und eine Gruppe von Schatten sauste an ihr vorbei, um die Stühle und Tischbeine herum und entfleuchten durch die Wände nach draußen. „Das habe ich jetzt auch gesehen.“ Balthasar sprang auf und lief bis neben seine Schwester, zückte bereits den Millenniumsstab zum Kampf. „Nein, bleib ruhig“ bat sie und nahm seinen erhobenen Arm. „Die wollten nichts von uns. Dafür sind sie zu schnell weg.“ „Narla“ flüsterte er und hob den Finger. Nun hörten es auch die anderen. Das leise Weinen. Ein helles Stimmchen, ganz rein und lieblich. Irgendwo unter der Treppe weinte es still und versteckt. „Das kenne ich! Mann, Alter!“ Joey sprang auf, lief an den beiden vorbei, fiel auf die Knie und krabbelte unter die Treppe. Jedenfalls wollte er es, wenn sich nicht aus der Dunkelheit eine Gestalt auf ihn zubewegt und vor ihm aufgebaut hätte. Er blieb unten knien und rutschte langsam zurück. Blickte in tiefschwarze Augen, eingebettet in blassweiße Haut. Die Hände von schwarzer, zähflüssigem Schleim bedeckt, eine hohe, dünne Gestalt und sie grinste mit scharfen Zähnen zu ihm hinab. Setos Angstgestalt, wahrscheinlich hatte sie die Schatten verscheucht. „Ey Mann, alles cool, ja?“ stammelte Joey und rutschte vorsichtig weiter zurück. Mit dem Vieh war nicht zu spaßen, solang kein Pharao in der Nähe war. „Seto.“ Trotzdem war Balthasar so mutig und sprach die Gestalt an. „Was machst du hier?“ Doch anstatt einer Antwort hörte er nur ein spitzes Atmen, wie ein Zischen. Und der Blick allein konnte Leben zerstören. Er war hier und er war nicht zu Scherzen aufgelegt. „JOOEEYY!“ Aber neben der ölig blassen Angst lief etwas kleines vorbei. Kurz leuchtete das blaue Herz und die unschuldige Seele patschte mit schnellen Schritten auf ihn zu. „Seto! Mann, komm her!“ Bloß weg von dieser Bestie. Er öffnete seine Arme, damit der Kleine zu ihm laufen konnte. Doch anstatt sich bei ihm verstecken zu können, flutschte er durch ihn hindurch und blieb hinter ihm stehen. Schnell drehte Joey sich zu ihm um und blickte in die traurigsten Augen, die es auf dieser Welt gab. Seto war verzweifelt. Ganz nackt stand das kleine Kind da, hielt sein kaputtes Herz fest in beiden Händen an sich gedrückt und atmete stockend. Die Schultern hochgezogen und die blauen Augen weit aufgerissen. Er war ganz außer Atem, ganz offensichtlich brauchte er Hilfe. „Mann, Seto.“ Joey fing gleich selbst an zu weinen bei diesem Anblick. Dennoch öffnete er hoffnungslos seine Arme. „Wenn ich Seelen berühren könnte, würde ich dich sofort umarmen.“ „Joey!“ Er patschte zu ihm und kam ihm so nahe es ging. Sie konnten sich sehen, aber nicht berühren. „Mann, was machst du hier?“ Auch wenn Joey ihn nicht anfassen konnte, so hielt er die Hände über seine zitternden Arme. Auch wenn es wenig half gegen die Angst, welche noch immer an der Treppe stand und mit gierigen Augen auf ihn blickte. „Ich bin gelaufen. Drei Tage“ antwortete der Kleine, sein helles Stimmchen bebte so aufgewühlt, dass man am liebsten über ihn weinen wollte. „Wo ist denn dein Körper, Süßer? Warum bist du so unterwegs? Wenn die Schatten dich erwischen.“ „Ich bin gelaufen. So lange. Es war dunkel“ bibberte er und blickte nervös zur Treppe, dann auf sein Herz. „So dunkel. Überall sind Schatten. Sie kommen. Sie wollen mich auffressen.“ „Natürlich wollen sie das. Du weißt doch wie gefährlich es ist, wenn du ohne deinen Körper rumläufst. Das sollst du doch nicht.“ „Aber ich wollte nicht … bitte … nicht böse sein.“ „Siehst du?“ zischte die Angst und tat einen Schritt nach dem anderen auf ihn zu, wie ein Raubtier auf der Lauer. „Alles, was du machst, ist falsch. Du machst nur Fehler. Du wirst niemals stark werden. Du solltest lieber gar nichts mehr tun als alle in Gefahr zu bringen. Jetzt hast du wieder alle enttäuscht.“ „DAS STIMMT NICHT!“ Da wurde Joey wirklich böse, wenn Seto sich so etwas einredete. Sicher, die Angst sollte ihn beschützen. Das tat sie auch, wenn Schatten in der Nähe waren oder wenn man vorsichtig sein sollte. Doch leider machte die Angst nicht nur andere fertig, sondern auch den unschuldigen Seelenkern. „Nicht schreien!“ Davon knickte auch die kleine Seele ein, versteckte ihr Herz an der Brust und den angezogenen Beinen. Kauerte sich auf dem Boden zusammen. Seto war völlig fertig. Kein Wunder, wenn man drei Tage und Nächte lang vor Schatten weglief und versuchte, sein Herz zu beschützen. Und dabei ging er Joey gerade mal bis zum Bauch. „Nein, ich schreie nicht. Ich bin ganz ruhig“ versprach Joey und sah wie Noah an ihm vorbei und die Treppe hinaufsprang. Sicher würde er Yugi alarmieren, damit er kam und Seto beistand. „Seto, ganz ruhig. Ganz ruhig, okay? Nicht weinen.“ „Ich weine nicht“ flüsterte das Seelchen. „Ich bin stark. Ich weine nicht. Ich muss stark sein.“ „Du bist nicht stark“ zischte die Angst, trat hinter ihn und kniete sich zu ihm herab. Wenn Joey sah wie nahe diese grässliche Gestalt dem armen Seelenkern kam, wollte er sie am liebsten fortprügeln. Aber sie war nun mal ein Teil von ihm und selbst wenn er die Angst verprügeln könnte, so würde er dem kindlichen Seto doch nur wehtun. „Joseph.“ Balthasar kniete sich zu ihm, sprach ganz leise, um Seto nicht zu erschrecken. „Ich kann deine Seele vom Körper lösen, aber solange Yugi nicht hier ist, könnte die Angst dich angreifen.“ „Ich will nichts falsch machen“ stammelte der Kleine vor sich hin. „Ich muss zu Yugi. Ich muss Yugi finden. Zu Yugi. Yugi muss … ich muss … zu Yugi.“ „Yugi ist oben, Süßer“ beruhigte Joey, ach wenn er ihn doch nur berühren und in den Arm nehmen könnte. „Ich kann nicht nach oben. Da ist … alle Schatten sind da. Sie wollen nicht, dass ich zu Yugi gehe. Sie lassen mich nicht.“ Deshalb hatte er sich unter der Treppe versteckt. Er kam dort nicht weiter. Die Schatten wussten wo er hinwollte und ließen ihn nicht. „Seto!“ Da kam Yugi auch schon die Treppe herabgepoltert und schreckte das zitternde Bündel am Boden auf. „Okay, Yugi. Aufpassen!“ Balthasar sprang ihm entgegen, der Stab in seiner Hand glühte auf und hüllte den Raum für einen Augenblick in goldenes Licht. Nur wenige Sekunden später war es vergangen und Yugis Körper hing leblos in Balthasars Armen. Der hatte ihn noch im Laufen aufgefangen, während dessen Seele Seto in die Arme schloss und endlich beschützte. Da lag das Seelchen nun endlich in Yugis Umarmung und seine lange Reise fand ein gutes Ende. Die Schatten hatten ihn nicht bekommen, Dank seiner Angst. Und Yugi hatte seine Angst schon lange bezwungen. Seto war endlich am Ziel, Dank Yugi. Weil er ihm wie immer das letzte Stück entgegenkam. „Hey, nicht weinen.“ Obwohl Yugi selbst die Tränen zurückhalten musste, tröstete er den Kleinen. Wollte ihm das Gefühl geben, dass alles in Ordnung war. „Ich bin da. Ich habe dich gefunden.“ Er verschwand fast in Yugis Armen, kuschelte sich an ihn, suchte die Nähe und die Wärme. „Ja, hast du. Du hast mich gefunden“ lobte er und streichelte über das weiche Kinderhaar, setzte ihn sich auf den Schoß und würde ihn so schnell nicht wieder loslassen. Selbst Joey wich zurück und setzte sich zu Narla, die mit Balthasar auf der Treppe blieb. Noah war von oben nicht zurückgekehrt und übernahm wohl das Zubettbringen der Kinder, wo er Yugi soeben abgelöst hatte. „Yugi, ich war tapfer“ erzählte er mit unsicherer Stimme und krallte sich in seinen Ärmel, während er mit der anderen Hand das blaue Strahlen verdeckte. „Die Schatten waren da und haben mich gejagt. Sethos ist nicht zurückgekommen. Er hat gesagt, ich darf nicht ohne ihn rausgehen, aber ich wusste nicht … ich musste zu dir.“ Tja, Sethos war nicht zurückgekehrt. Und würde es so schnell wohl auch nicht tun. Hoffentlich schaffte Seto es trotzdem. Man durfte ihm nur keine Angst machen. Die stand eh schon hinter ihm und wartete nur auf den richtigen Moment, um sich vorzudrängen. „Jetzt bist du ja hier.“ Yugi lächelte ihn an, blickte in die kindlich blauen Augen und sah sein Lächeln nach einigen Sekunden erwidert. Seto war so süß. „Und geht es dir gut, mein Engel?“ „Ein bisschen ja, ein bisschen nein“ antwortete er und rutschte so hin, dass er Yugi leichter ansehen konnte. „Geht’s Nini und Tato gut? Und Moki?“ „Ja, es geht uns allen gut. Mach dir keine Sorgen.“ Und dass er ihm Sethos‘ schlechten Zustand verschwieg, würde Seto später hoffentlich verzeihen. „Ich mache mir aber ein bisschen Sorgen um dich. Wo ist denn dein Körper?“ „Nicht hier.“ Ja, die Antwort eines Kindes. „Nur ich und die Angst sind hier. Die Angst beschützt mich vor den Schatten. Aber …“ „Aber was?“ Aber war nicht gut. „Yugi?“ wisperte das Seelchen und nahm Yugis Hand, drückte sie ganz vorsichtig an sein Gesicht. „Hast du mich noch lieb?“ „Natürlich habe ich dich noch lieb. Niemanden liebe ich so sehr wie dich. Das weißt du doch.“ „So eine dumme Frage“ zischte die Angst und beugte sich zähnefletschend über den kleinen Kopf. „Du stellst nur dumme Fragen. Du beschämst alle, wenn du so dumm bist. Du wirst niemals etwas lernen.“ „Zwischendurch darf man ja mal fragen“ lächelte Yugi erst die Angst und dann die kleine Seele an. „Und du? Hast du mich auch noch lieb?“ „Ja.“ Setos Wangen hauchten sich in ein zartes Rosa und beschämt schlug er den Blick nieder. „Ich habe dich unendlich lieb. Soll ich zeigen wie viel?“ „Na klar. Zeig mal.“ Seto legte sein Herz vorsichtig auf den nackten Schoß, drückte sich schützend an Yugi und breitete die Arme aus, streckte sich so weit er konnte. „Soooooo viel. Und noch viel mehr.“ „Wow, das ist wirklich viel Liebe“ lachte er und kuschelte ihn als auch er kichernd sein Herz wieder aufnahm und sich anschmuste. „Ach, mein Engelchen. Ich habe dich so vermisst.“ „Ich vermisse dich auch“ flüsterte er vertraulich zurück. „Yugi, ich will stark werden. Ganz stark, damit ich alle beschützen kann. Sethos sagt, ich kann das.“ „Da hat Sethos Recht. Du kannst alles, was du dir vornimmst“ stimmte auch er dem zu und küsste die Seele auf die Stirn. „Bitte entschuldige, wenn ich das frage, aber musst du nicht zurück in deinen Körper?“ „Er will dich loswerden. Er hasst es, dich zu sehen. Du bist so ärmlich.“ „Nicht doch“ besänftigte Yugi. „Ich möchte nur, dass dir nichts passiert.“ „Ich muss zurück ins Wasser. Sonst kann ich niemals stark werden. Und ich will stark werden, damit ich alle beschützen kann. Damit du stolz auf mich bist.“ Das war eigentlich ein Moment, in welchem die Angst sofort wieder einsetzen müsste. Ihm einreden müsste, dass er niemals stark genug werden könnte. Doch sie war ruhig. Sie sah nur mit ihren schwarzen, triefenden Augen auf den Hinterkopf des Kindes und atmete so leise, dass sie kaum zu hören war. „Du? Yugi?“ „Ja, mein Herzchen? Kann ich dir irgendwie helfen, damit du wieder in deinen Körper kannst?“ „Nein. Ich muss das alleine schaffen.“ Er rutschte zurück, weg aus Yugis schützenden Armen und kniete vor ihm, drückte das kaputte Herz an sich und blickte ihn flehend an. In seinen lieblichen Kinderaugen lag eine unendliche Unschuld und die tiefe Bitte danach, geliebt zu werden. „Du wirst es schaffen“ ermutigte Yugi und strich ihm sanft über den Kopf. „Du bist doch mein kleiner Liebling. Du kannst alles schaffen.“ „Aber Sethos hat gesagt, ich schaffe es niemals ohne dich“ sprach er mit hoffender, leiser Stimme. „Sethos hat gesagt, ich muss alles von mir aufgeben. Ich kann nur stark werden, wenn du auf mich aufpasst. Ich muss nichts sein und du musst alles sein. Sethos sagte, du musst alles über mich bestimmen. Ich muss dir alles geben, was ich habe. Ich kann nur stark sein, wenn du mich zerstören kannst.“ „Das klingt aber gemein“ beruhigte Yugi und sah ihn liebevoll an. „Ich will dich doch nicht zerstören. Ich will, dass es dir gut geht.“ „Ich habe ja nichts, was ich dir geben kann. Ich wusste nicht, warum Sethos so was sagt und er hat gesagt, ich muss alleine wissen, was das bedeutet. Aber ich habe nachgedacht und ich spüre, dass ich ganz doll stark werden kann. Aber nicht ohne dich. Ich brauche dich … also, du willst mich. Vielleicht.“ „Liebling, ich verstehe nicht, was du da sagst.“ Auch wenn er als Kind eine einfachere Sprache verwendete und immer alles so aussprach wie es in ihm war, manchmal war er selbst dann schwer zu verstehen. „Mein süßer Engel, warum bist du bis hierher gelaufen?“ „Ich weiß jetzt, was Sethos mir gesagt hat. Er sagte, du musst mich zerstören können. Du musst alles haben und ich nichts. Aber ich habe ja schon gar nichts. Nichts, gar nichts habe ich. Aber dann habe ich gedacht … doch … ich habe noch was. Alles, was ich noch habe.“ Als er seine Hände nach vorn streckte, wusste Yugi, wovon Seto sprach. Und er sah ebenso, was Sethos gemeint hatte, als er von einer zerstörerischen Verbindung sprach. Um Setos Übermacht zu kontrollieren, musste er seine ganze Existenz beherrschen. Und Seto bot ihm alles an, was er noch besaß. Sein Herz. Er hielt es ihm hin. In seinen kleinen, unschuldigen Kinderhänden bot er ihm sein Herz an. Sein kaputtes, geschundenes Herz. Es war über die Jahre schief und krumm geworden, fast zerbrochen an all dem Bösen dieser Welt. Doch er hatte es geflickt mit glitzerndem Diamantenstaub, hatte Träume geformt und Hoffnungen, um am Leben zu bleiben. Er kämpfte, damit sein verletzliches Herz nicht brach. Und nun bot er es dem Menschen an, den er über alles liebte. In seinem blauen Herzen lag alles, was er hatte, was er war, was er geben konnte. Seine gesamte Existenz bot er einem anderen dar. „Oh, Liebling.“ Yugi legte seine Hände unter die kleinen Finger, traute sich nicht, ihm das Herz zu entreißen. „Du willst mir dein Herz schenken?“ „Ja. Mein Herz sei auf ewig Dein“ hauchte er und sah ihn hoffnungsvoll an. Seine blauen Augen glänzten, so sehr hoffte er darauf, dass sein letztes Geschenk angenommen wurde. „Aber mein … mein Seto …“ Er musste schlucken, es schnürte ihm die Kehle zu. „Du könntest sterben ohne dein Herz. Das Herz ist das Wichtigste, was ein Mensch besitzt.“ „Nein. Du bist was Wichtigste“ antwortete er überzeugt. „Ich kann dir nichts Wertvolles geben. Nur das. Das ist alles, was ich habe.“ „Das ist zu viel. Ich kann doch nicht …“ Doch sein Zögern weckte die Bedenken in Seto. Ließ auch ihn zögern. „Ich habe es dir gesagt“ zischte die Angst und die öligen Hände fuhren die Arme der kleinen Seele hinauf, hinterließen hässliche Spuren. Die Angst griff die Handgelenke des Kleinen und schwarzer Speichel floss aus ihrem Mund. „Gib es mir. Niemand kann es so gut beschützen wie ich.“ „Nein, das ist nicht gut …“ Das Seelchen zitterte bei diesem Gedanken. Die Angst war mächtig. Sehr mächtig. „Ich kann es festhalten. Du bist schwach, aber ich bin stark. Ich kann uns alle retten.“ „Lass dir nichts einreden“ bat Yugi mit zärtlicher Stimme und drückte die bebenden Hände des Kleinen ein bisschen hinauf. Auch wenn es nicht so schlimm aussah, das hier war ein Kampf um Leben und Tod. Jetzt erkannte er, weshalb es nur die Angst war, welche Seto begleitete. Sie war das älteste seiner Gefühle, die stärkste Gestalt in ihm und sie war hier, um endlich das Zepter in die Hand zu bekommen. Sie hatte eingesehen, dass sie Yugi nicht besiegen konnte. Aber sie sah ihre Chance, doch noch Herr über Setos Geist zu werden. Wenn die Angst es schaffte, selbst Seelenkern zu werden, war sie Herrscherin über alles in Seto. Sie konnte ihm das Herz nicht entreißen, doch sie war drauf und dran. „Mein Engelchen, du bist ein guter Seelenkern. Du bist stark. Du hast die Angst geschaffen und du musst sie regieren.“ „Das sagt er nur, weil er unser hässliches Herz nicht haben will.“ Schrecklich, die Angst sprach bereits von ‚unserem‘ Herzen. Sie vereinte sich bereits damit. „Gib es mir. Ich bin stark. Ich kann uns beschützen. Uns alle.“ Sie fuhr mit ihren scharfen Zähnen die Schulter des Kleinen entlang und benässte ihn mit ihrem öligen Blut. Sie würde das Kind verschlucken und Seto in den Untergang treiben. Sie wurde übermächtig. „Das hier ist ein Scheidepunkt für dein Leben“ sprach Yugi und blickte dem noch Seelenkern in die unschuldigen Augen. „Du allein entscheidest, was mit dir geschieht. Du warst es, der all diese Facetten geschaffen hat. Die Angst und den Schmerz. Aber auch den Priester, den Pascal, den Drachen und den Eisprinzen. Deine Kraft ist unerschöpflich. Du allein hast all das geschaffen.“ „Nichts hast du geschaffen“ zischte die Angst und leckte gierig über sein Ohr. „Du hast uns abgestoßen, weil du keinen von uns halten konntest. Alle sagen, du sollst erwachsen werden, aber du schaffst es nicht. Du bist schwach. Im Gegensatz zu mir. Ich bin die mächtigste Kraft von uns. Ich allein kann auf unser Herz Acht geben und unsere Macht lenken. Yugi will dein Herz nicht haben. Du hast es gehört.“ „Das stimmt nicht“ fuhr der Pharao der Angst ernst über den Mund, musste aufpassen, dass er nicht zu laut sprach. Diesen Kampf durfte er nicht verlieren. Er durfte Seto nicht verlieren. „Seto, du bist gut so wie du bist. Du glaubst, du bist schwach, aber das ist nicht wahr. Du bist gut so, genau so wie du bist. Mit allem an dir. Mit allem Starken und mit allem Schwachen. Du hast eine wundervolle, vielfältige Seele. In dir steckt so vieles, so viele Gefühle. Du musst nicht erwachsen sein, denn das bist du doch schon. Der Priester und der Pascal sind doch erwachsen. Ihr seid gut, alle gleichwertig, alle gleich wichtig. Aber du, mein süßer Liebling.“ Er drückte gegen seine zitternden Hände und fühlte das scharfe, schleimige Gefühl der Angst an seinen Fingerspitzen. „Du bist der beste Seelenkern. Denn du hörst auf alle, du kannst alles betrachten. Die Angst hört nur auf sich selber. Der Drache hört auch nur auf sich selber und der Priester auch. Alle hören nur auf sich selbst. Aber du, du hörst auf alle gleich. Du hast sie alle geschaffen, um sie dir anzusehen, um sie zu verstehen. Du hast es gut gemacht. Deshalb liebe ich dich so sehr. Du bist unschuldig und gutgläubig. Deshalb kann ich mit dir sprechen, deshalb kannst du mich verstehen. Durch dich bin ich mit deiner ganzen Seele verbunden. Und ich liebe alles an dir. Ich kann alle verstehen und ich höre dir zu. Ich kann dir helfen und dich festhalten. Gib dein Herz nicht einem einzelnen Gefühl in dir hin.“ „Er redet Unsinn“ wisperte Angst feucht in sein Ohr. „Nur ich kann uns beschützen. Du weißt wie mächtig ich bin. Gib mir mein Herz und ich werde Yugi beweisen, wie mächtig wir sein können.“ „Es ist wie bei einem guten Kartendeck“ versuchte Yugi es möglichst verständlich zu sagen. Er sah die Zweifel in den unschuldigen Kinderaugen. „Alles muss ausbalanciert sein. Alles muss vertreten sein. Nur mit Zaubern oder nur mit Monstern kannst du kein Spiel gewinnen. Und genauso kannst du kein Leben leben, welches nur von Angst regiert wird. Deine Angst ist wichtig, aber nicht wichtiger als dein Intellekt, deine Kunst, deine Instinkte oder etwas anderes. Du bist als einziger Seelenteil rein genug, um gerecht zu entscheiden. Du bist der beste Seelenkern.“ Selbst die Angst war einen Augenblick ruhig und erstarrte mit ihren Lippen am Hals der kleinen Seele. Ihre Hände griffen noch immer gierig nach dem Herzen, doch was damit geschah, entschied allein Setos reine Seelenmitte. Er musste alles abwägen und tief in sich fühlen, was das war, womit er am besten leben konnte. „Willst du mein Herz haben?“ fragte er dann mit hoffender Stimmer. Aber Yugi lächelte nur und fragte ihn im Gegenzug: „Willst du mir dein Herz denn anvertrauen?“ „Nein!“ fauchte die Angst so giftig in sein Ohr, dass der Kleine zuckte und nur mit Mühe seine Arme ausgestreckt hielt. „Gib es mir! Ich beschütze uns! Gib es mir! Mir!“ „Ja“ antwortete der Seelenkern und blickte Yugi tapfer an. Er stellte sich gegen seine Angst und alle Gefühle in ihm. Er stellte sich gegen sein gesamtes Ich, gegen seine Existenz und alles, was ihn ausmachte. Er gab sich seinem Pharao hin. „Ich will dir mein Herz schenken.“ „Wenn es dein Wunsch ist, dann nehme ich dein Herz dankbar in meine Hände.“ Obwohl die Angst seine Handgelenke umklammerte und es zu verhindern suchte, die Augen aufriss und warnend fauchte, ihn davor warnte, etwas zu tun, was so wider die Natur stand, so zog der Seelenkern dennoch seine Hände auseinander. Ganz langsam glitt das strahlend blaue und diamanten funkelnde Krüppelherz in die Hände eines anderen. Er verschenkte sein Herz und damit sich selbst. Der geschundene Seelenstein glühte kurz auf als er die kindlichen Hände verließ und eine neue Heimat fand. Yugis schloss behutsam seine Hände darum und nahm es an sich. Fort von der Angst, aber auch fort von dem Kind. Er nahm Setos Existenz an, so wie sie war. Ein sanftes Goldstrahlen erfüllte den Raum und alles, was in ihm war. Das Herz verschwand in den pharaonischen Händen und ging ein in Yugis Seele. Er musste es nicht festhalten, er stieß es nicht ab. Er setzte es unter sein eigenes und schloss die Augen. Das Gefühl einer zweiten Existenz erfasste seine Seele. Anders als ein Yami, aber ähnlich nahe. Er fühlte sich dieser Existenz nicht verbunden und nicht verpflichtet. Er fühlte sie einfach. Fühlte das zweite Leben in sich. Es war selbstständig und nistete sich in ihm ein. Ein Fremdkörper, völlig getrennt von seiner eigenen Seele. Und doch, er fühlte Setos Existenz in sich. Fühlte sein Leben, seine Liebe und alles, was er war. Er fühlte seine Angst und seinen Schmerz, seine Treue, sein Genie, seine Instinkte und seine Magie. Und auch seine Unschuld, seine Frustration, seine Skepsis und seine Naivität. Und er liebte dieses Gefühl, für welches es keine Worte gab. Er spürte es in sich glühen wie einen zweiten Herzschlag. Nur ein Pharao konnte einen anderen Menschen so vollends in sich aufnehmen, ohne Bedenken oder Abscheu. Er nahm Seto an, so wie er war. Alles Schöne und alle Hässliche. Er nahm ihn an in seiner Gesamtheit. So sehr liebte er ihn. Doch er schloss dieses Gefühl nicht ein. Er nahm es an sich und öffnete es gegenüber der Welt. Er spürte wie die Energie der Erde durch ihn hindurch und um ihn herum strömte. Und er spürte wie das blaue Herz nach außen drängte. Es klopfte vorsichtig gegen seine Mauern und Ketten und erhielt ein Stück Freiheit geschenkt. Seine Lebensenergie kehrte in den Fluss allen Lebens und Vergehens zurück und schenkte seinem ehemaligen Eigentümer seine Kraft. Setos Lebensenergie floss zu ihm zurück, durch Yugis gütigen Willen. Nun war er von dieser Erde losgelöst und nur noch über seinen Pharao mit dem Leben verbunden. Yugi war nun die Nabelschnur, welche Seto mit der Kraft des Lebens verband. Yugi öffnete die Augen und sah die Angst und das Kind dasitzen. Sie blickten ihn beide an. Das Kind erwartungsvoll und hoffend. Aber die Angst gleichzeitig misstrauisch und vorwürflich. Seto blieb derselbe Mensch, doch er konnte nun nicht mehr selbst über sich entscheiden. Nun lag die Bestimmung über sein Sein in anderen Mächten. „Bist du beleidigt?“ fragte das Kind mit Zweifeln im Blick. „Nein, ich bin stolz“ lächelte Yugi und berührte seine zarte Wange. „Ich liebe dich und ich danke dir für das wunderschöne Geschenk. Ich verspreche dir, ich werde gut für dich sorgen.“ „Jetzt kann ich stark werden“ antwortete das Kind und stand auf, befreite sich aus der Angst, welche den Kampf um sein Herz verloren hatte. Sie würde sicher keine Ruhe geben, würde weiter versuchen, es zu bekommen. Sie würde niemals aufgeben, doch sie war ein Teil von Seto und sie hatte ebenso ein Recht auf ihr Dasein wie alles an ihm. Und Yugi würde auch die Worte der Angst abwägen und beurteilen. Nur Setos Herz, das würde er nun niemals mehr zurückgeben. Er war es nun, welcher Seto mit Lebensenergie speiste und welcher über ihn bestimmte. Über all seine Träume und Hoffnungen und auch darüber, welche Stärke er erlangte. Seto hatte das Rätsel gelöst und fand einen Weg sich und seine Existenz vollkommen zu unterwerfen und hinzugeben. Genau wie Sethos es prophezeit hatte. Und Yugi spürte nun was es bedeutete, einen anderen Menschen vollkommen zu beherrschen und dass dies seinen Geliebten zerstören konnte. Genau wie Sethos es prophezeit hatte. Doch Yugi würde alles tun, damit sie weiter gemeinsam leben und einander lieben konnten. Nichts sollte sie auseinander bringen. Keine übermächtige Magie, keine Götter und kein Schicksal. Nicht einmal sie selbst. „Ich werde für dich sorgen“ versprach er und entließ das Kind aus seiner Verpflichtung. „Ich werde dich und alles an dir lieben, immer und bis in die Ewigkeit. Indem du dich mir hingegeben hast, wirst du frei sein. Das verspreche ich dir.“ „Du sagst das schön.“ Das Seelchen wurde ganz rot im hellen Gesicht und schlug beschämt den Blick nieder. „Fühlst du dich denn komisch jetzt?“ wollte Yugi wissen und strich über seine nackten Arme. „Hast du das Gefühl, dass dir etwas fehlt?“ „Nein.“ Und das sagte er ohne überhaupt nachzudenken. Er traute sich und blickte wieder zu ihm auf. „Jetzt muss ich nicht mehr auf mein Herz aufpassen, das machst du jetzt. Dafür kann ich auf dich aufpassen. Du bist jetzt mein Herz.“ „Ich bin dein Herz?“ Was für ein schönes Gleichnis. „Aber jetzt muss ich stark werden. Sethos sagt, ich muss in Verbindung mit der Energie treten. Aber die Energie kommt vom Pharao. Also bin ich direkt an der Quelle. Wie eine Wasserquelle. Ich muss jetzt keine Angst mehr haben.“ Woraufhin die Angst hinter ihm angewidert zischte. Das nahm sie wohl persönlich. „Das sagt man doch nur so“ beruhigte Yugi dieses überraschend zickige Bruchstück einer Seele. „Du wirst weiter auf Seto aufpassen. Aber übertreibe es nicht.“ „Von dir lasse ich mich nicht belehren“ flüsterte sie uns blickte ihn mit ihren ölschwarzen Augen stechend an. „Ich muss dich lieben, doch das hält mich nicht davon ab, dich ganz genau zu beobachten. Und wenn du auch nur einen Moment schwach wirst, wenn du mich auch nur einen Augenblick verlässt, werde ich …“ „Verkneife dir bitte die Drohungen.“ Und das sagte Yugi so frohgemut als hätte er um ein Stück Sahnetorte gebeten. „Ist euer Körper weit weg? Braucht ihr Hilfe? Tato kann die Schatten sicher von euch fernhalten, wenn wir ihn bitten.“ „Wir sind hergekommen. Da kommen wir auch wieder zurück.“ Und alles andere war eine freche Unterstellung. „Gut“ nickte Yugi und streichelte den Kopf der kindlichen Seele. „Und lass dir Zeit, mein Herz. Setze dich nicht unter Druck, ich warte so lange auf dich wie es dauert.“ „Ich weiß. Aber ich will zurück zu dir. Ich strenge mich an und vielleicht ist Sethos dann stolz auf mich.“ „Das ist er dann ganz bestimmt. Wir sind alle stolz auf dich. Schon jetzt.“ „Ich weiß. Und wenn ich stark bin, dann … Yugi?“ „Was denn?“ Das klang nun aber besorgt. „Meinst du, dass ich dann anders bin?“ „Selbst wenn, dann wäre das nicht schlimm.“ Das war etwas, worüber er auch bereits nachgedacht hatte. Wenn diese große Kraft Seto veränderte, was würde dann sein? Letztlich hatte Yugi ihn nicht zu Sethos gehen lassen, um einen möglichst mächtigen Magier zurückzubekommen, sondern vor allem um seine verletzte Seele zu stärken und ihm Selbstvertrauen zu geben. Veränderung war der Grund für all das hier. Jedoch war es auch ganz natürlich, dass Seto sich vor dem fürchtete, was mit ihm geschehen konnte. „Vielleicht veränderst du dich, vielleicht auch nicht“ sprach er mit sanfter, weicher Stimme. „Seit ich dich kenne, hast du dein Verhalten oft verändert, aber dich selbst hast du niemals geändert. Du bist und wirst immer derselbe Seto bleiben. Deine Wünsche, deine Träume und deine Nöte sind noch immer dieselben. Und deine große Liebe hat sich auch niemals verändert. Nur ob du die Gefühle zulässt oder nicht, das macht den Unterschied.“ „Und wenn ich die falschen Gefühle zulasse? Wenn ich ein schlechter Mensch werde?“ fragte er verunsichert. „Yugi, sagst du mir dann bescheid, wenn ich was falsch mache?“ „Ja, dann sage ich dir bescheid“ versprach er und hielt ihm den kleinen Finger zum Schwören hin. „Wir machen ein Versprechen. Ich sage dir, wenn du etwas anders machen kannst und du sagst mir, wenn du dich ohne Herz unwohl fühlst oder wenn du was von mir brauchst, okay?“ „Okay, wir müssen uns immer alles sagen. Noah sagt, Reden verhindert Probleme.“ „Ja, Noah ist ein weiser Mann“ lachte Yugi und hakte seinen kleinen Finger ein, wiegte ihn mit leichtem Druck. „Und“ setzte der Kleine in seinem kindlichen Eifer hinzu. „Wir schwören uns ewige Liebe, ja? Schon wieder.“ „Ja, schon wieder“ versprach er auch das mit einem Lächeln und fühlte tief in sich eine Sicherheit. Sicherheit darüber, dass Seto sich niemals verändern würde. Er würde nur immer mehr er selbst werden. So wie man in der Mitte eines Labyrinths einen Schatz fand, so fand man in Setos Mitte etwas so reines und klares wie bei keinem anderen Wesen dieser Welt. Aber vielleicht war das auch nur die Formulierung eines schwer verliebten Pharaos. Chapter 5 Es war richtig niedlich wie Dante vor sich hinkicherte und die einfachsten Sachen toll fand. Jetzt gerade das dicke, rosa Schwein, welches eigentlich immer sauber bleiben wollte und nun nach einem Schubs des Esels in der Schlammpfütze lag - und dabei zugeben musste, dass es ihm dort ganz gut gefiel. Noah hatte ihm das Bilderbuch gekauft und er liebte es. Er kicherte jedes Mal über die Schlammpfütze. Auch wenn er den wenigen Text schon mitsprechen konnte, suchte er dennoch ständig nach einem Doofen, der ihm das Buch vorlas. Und jetzt gerade war eben Sareth diejenige, welche dran glauben musste. Sie saß neben ihm auf dem Rücksitz von Noahs neuem Mercedes, lehnte sich auf seinen Kindersitz und musste sich mit dem jungen Kaiba jedes Bild ganz genau ansehen und sich darüber unterhalten, was da alles drauf war, wie das Schwein grunzte und der Esel wieherte und wie lange man wohl nach so einem Schlammbad richtig baden musste, um wieder sauber zu sein. Lesen mit Dante war ein Fulltime-Job. Und zu Noahs Erleichterung machte der Kleine auch mal was sinnvolleres als immer nur Unsinn mit Tato oder Mokuba. Heute hatte Sareth sich kurzerhand der Einladung ihrer Onkel angeschlossen und begleitete sie zum Jahrmarkt in der Stadt. Immerhin schien die Sonne und die Bücherei hatte in den letzten zwei Wochen wegen Aufräumarbeiten geschlossen … wobei ihr wohl weniger die Bücher fehlten als mehr jemand bestimmtes, der dort arbeitete und der sich seit dem Flug zum Aquarium auch nicht mehr gemeldet hatte. Den Vormittag hatte sie auch heute dort im Aquarium verbracht, aber es herrschte nur gedrückte Stimmung. Um Sethos stand es noch immer schlecht. Die einzige Veränderung bestand in der Stärke seiner Blutung, welche mal ein wenig abheilte und dann wieder schlimmer wurde. Es war schwer mit dieser Ungewissheit einfach normal weiter zu leben. Sethos lag im Sterben, wie sollte man da überhaupt noch fröhlich sein? Zumindest die Kinder wollte man ablenken, damit sie von den Sorgen der Erwachsenen nicht zu viel übernahmen. Und was war da besser als der Jahrmarkt? Noah und Mokuba hatten wenig Zeit und gemeinsame Unternehmungen waren selten geworden. Doch heute hatte Noah seine Termine verschoben und folgte Mokubas Vorschlag - also auf zum Jahrmarkt! In stiller Hoffnung auch darauf, dass Sareth ebenfalls Ablenkung fand. Sie sorgte sich sehr um Sethos, auch um Seto zumal der sein Herz fortgegeben hatte und überhaupt war sie wenig fröhlich. Aber Dantes Kichern heiterte sie wohl doch ein bisschen auf. Wenigstens einer der sorgenfrei herumlief und die anderen etwas mitzog. Doch vielleicht zog Sareth heute auch noch etwas anderes mit, denn Noah verlangsamte seine Fahrtgeschwindigkeit und sah zum Fenster hinaus. „Sari, schau mal.“ „Was?“ Sie ließ die nächste Seite von Dante umblättern und schaute nach vorn. „Schau mal, wer da draußen sitzt.“ Er wies nach rechts zu Mokubas Seite und tatsächlich! Da saß ihr Vermisster! Am Gehweg vor einem dreistöckigen Bürogebäude auf einer kleinen Mauer. Er ließ die Beine herabbaumeln und beobachtete die Passanten, die an ihm vorbeiliefen. Seine Erscheinung wie immer etwas durcheinander, seine zerschlissenen Jeans, sein geknittertes, schwarzes Shirt und die ausgelatschten Schuhe. Doch seine Haare waren jetzt kürzer. Auch wenn die Frisur beim Friseur mit etwas Gel sicher gut aussah, war sie jetzt einfach nur gewaschen und hing lieblos platt herunter. Er legte eben nicht viel Wert auf solch schnöden Schönheitsquatsch. Abgelenkt wurde der Blick aber hin zu einem Greifvogel, der vertraulich nahe bei ihm saß. Nur etwa einen Meter neben ihm hockte ein einfarbig hellbrauner Falke mit leuchtend schwarzen Augen. Ein wunderschönes Tier, doch ungewöhnlich, dass diese sonst so scheuen Wesen mitten auf einer Gehwegmauer den Leuten zuschauten. Das taten sonst nur die Priesterfalken, doch den Gesellen dort kannte niemand. Zumal Edith wohl kaum sein Herr und Meister sein konnte. „Guten Tag Edith“ grüßte Noah zu Mokubas geöffnetem Fenster heraus und hielt den Wagen an. Glücklicherweise war die Ampel hinter ihnen rot und somit niemand da, der hupen konnte. Er hatte sie wohl schon kommen sehen, aber nicht mal gewunken. Und auch jetzt erübrigte er nur ein gelangweiltes „Tag“. Er wanderte mit den Augen nach hinten und sah Sareth hinter Dantes sperrigem Kindersitz. „Hey Prinzessin“ setzte er wenigstens noch leise hinzu. „Hey Edith“ antwortete sie und irgendwie versagte die Klimaanlage auf den Rücksitzen gerade. Ihr wurde so komisch warm. „Was machst du da?“ „Sitzen.“ Für die ganz Langsamen, die es nicht sofort sahen. „Das sehe ich“ antwortete sie nervös. „Ich meine, warum sitzt du da?“ „Warum nicht? Ist doch nicht verboten.“ „Nein, ich meine, hat das einen bestimmten Grund, warum du da sitzt? Wartest du auf jemanden?“ „Nö.“ Nun ja, vielleicht saß er ja wirklich einfach nur so da, weil er nichts anderes zu tun hatte. „Und was machst du?“ „Ich … na ja, ich lese ein Kinderbuch mit Dante.“ Sie zeigte das Bild des rosa Schweins hoch, doch ahnte schon, dass ihn das herzlich wenig rührte. „Sari.“ Noah drehte sich nach hinten und lächelte ihr lieb zu. „Frag ihn doch, ob er mit auf den Jahrmarkt will.“ „WAS?!“ Jetzt wurde sie richtig nervös. Ihr Onkel hatte komische Gedanken. „Ich kann ihn doch nicht …“ „Warum denn nicht?“ Mokuba unterstützte Noahs Vorschlag und zwinkerte nach hinten. „Ihr seid doch befreundet. Oder nicht?“ „Ich … ähm …“ Oh je! Sie hatte damit gerechnet, dass sie eine Runde mit Dante Kinderkarussell fuhr, ein bisschen Dosen umwarf und am Schluss noch was mit den dreien essen ging. Von einem Date unter Aufsicht von Erwachsenen war hier nie die Rede gewesen. „Wir verraten es auch deinem Papa nicht“ versprach Onkel Mokuba, der auch ahnte, woher dieses tiefe Rot auf ihrem Gesicht kam. Ganz schwer von Begriff war er nicht und dass sie und der ungehobelte Junge sich gut riechen konnten, war ja auch kein großes Geheimnis mehr. „Er hat bestimmt keine Lust auf solchen Kinderkram“ rechtfertigte sie sofort. „Och, ich mag Jahrmärkte auch ganz gern. Ist ja nicht nur für Kinder“ flüsterte Noah nach hinten. „Jetzt frag ihn schon. Mehr als nein sagen, kann er doch nicht. Oder soll ich ihn fragen?“ „NEIN!“ Oh Gott, wie peinlich! Das kriegte sie ja wohl hoffentlich noch selbst hin. So lehnte sie sich über Dante hinüber, um besser hinaussehen zu können. „Du Edith … ähm … wir sind … also, wir sind auf dem Weg zum Jahrmarkt und …“ „Schon klar“ meinte er und lehnte sich zurück auf die Hände. „Fahrt weiter, sonst kriegt der Alte noch einen Strafzettel.“ „Der Alte?“ Noah horchte auf und hoffte, dass damit doch wohl hoffentlich nicht er sondern der Oldtimer gemeint war. Obwohl der Oldtimer ganz neu war - der war fabrikneu. „Nein, ob du mitkommen willst.“ Jetzt war es doch raus. Er guckte sie erst mal nur an, schien nicht besonders interessiert. „Also ich … das wäre schon cool, wenn du … du musst ja nicht, aber vielleicht … wenn du nicht anderes zu tun hast … du hast keine Lust, oder?“ „Eigentlich finde ich Jahrmärkte zum Kotzen.“ „Du musst ja nicht, aber … aber ich … würde mich sehr freuen, wenn du … aber wenn du nicht willst.“ „Ich störe doch nur. Fahr mal alleine zum Familienausflug.“ „Das ist kein Familienausflug“ sprach Mokuba fröhlich zum Fenster hinaus. „Sari freut sich, wenn du mitkommst also warum willst du hier rumsitzen? Oder hast du doch was anderes vor?“ „Nicht wirklich.“ „Dann lass dich doch nicht so lange bitten. Wenn du keinen guten Grund zum Rumhängen nennen kannst, solltest du auch keine Körbe verteilen.“ „Onkel Moki!“ Das wurde noch richtig peinlich hier! Warum musste er sich da einmischen? Trotzdem sprang Edith von seiner Mauer und kam langsam zu ihr rüber. „Aber nur, wenn du mich wirklich mitnehmen willst. Du musst nicht höflich sein, Prinzessin.“ „Ach Quatsch. Spring hinten rein“ zeigte Mokuba und lotste ihn auf die andere Seite. Sareth saß eh schon auf dem Mittelsitz neben Dante und somit war dort noch genug Platz für einen Passagier mehr. Wie selbstverständlich stieg Edith ein und setzte sich nach hinten. Den hellbraunen Falken ließ er dort einfach sitzen. Und dort blieb er auch und sah ihm unbewegter Mine nach. Noah atmete sich erst mal die Falten weg und konnte losfahren, bevor der nachfolgende Verkehr sie erreichte. Um die Mittagszeit war auf diesen Seitenstraßen wirklich nicht viel los, zumal das hier eine Straße war, in welcher hauptsächlich Behördenbüros waren. Und die arbeiteten auf einem Mittwoch bekanntlich nur bis Mittag. „Schnallst du dich bitte an?“ bat Noah und hörte dann mit Beruhigung das Klicken von Ediths Gurt. „Sari guck!“ Jetzt forderte Dante aber wieder seine Aufmerksamkeit. „Das is das Huhn. Wie macht das Huhn?“ „Ich weiß nicht.“ Sie konnte doch hier vor Edith nicht das Gackern anfangen. „Wie macht denn das Huhn, Danti?“ „Gack gack gack! Gooooock! Gooooock!“ machte er und freute sich köstlich über sich selbst. Er liebte Tiergeräusche. „Der Falke da draußen“ fragte Mokuba endlich und drehte sich zu den Kindern nach hinten. „War das deiner?“ „Nö.“ Er blickte ihn kurz an, aber dann auf Sareths Knie. „Das Vieh ist mir zugeflogen und verfolgt mich.“ „Es verfolgt dich?“ „Keine Ahnung. Anscheinend“ zuckte er mit den Schultern. „Aber wenn’s kein Futter kriegt, zieht es irgendwann wieder ab. Ist wie bei Krähen.“ „Krähen?“ guckte Sareth. „Wie kommst du jetzt auf Krähen?“ „Sari, wie machen Krähen?“ wollte der Kleine sofort wissen. „Ich weiß nicht. Wie machen denn Krähen?“ „Krah! Krah!“ Tiere waren super! „Aber warum Krähen, Edith?“ „Wenn man sie füttert, bleiben sie und brüten. Wenn sie nichts kriegen, hauen sie wieder ab. Ich denke, du bist so schlau.“ „Na ja, Edith“ bemerkte Mokuba skeptisch. „Falken sind aber keine Krähen. Besonders nicht, wenn sie so anhänglich bei einem Menschen sind.“ „Was weiß denn ich? Ich hab das Vieh nicht angelockt.“ „Aber er war hübsch. Sehr hübsch“ versuchte Sareth ihn aufzuheitern. „Hast du ihm einen Namen gegeben?“ „Unsinn.“ „Weißt du denn wenigstens, ob es ein Männchen oder ein Weibchen ist?“ „Natürlich.“ Er zog seine vernarbte Augenbraue hinauf und sah sie pikiert an. „Ich habe nichts anderes zu tun als mir die Geschlechtsteile von Tieren anzugucken. Prinzessin, echt mal.“ „Natürlich … tschuldigung.“ Hach, warum stellte sie nur immer so blöde Fragen? Edith war auch ganz schön ablehnend. Sie hatte sich schon in den letzten Tagen gefragt, warum er sich so gar nicht bei ihr meldete. Er wusste ja, wo sie wohnte und wo sie so hinging. Aber seit sie sich vor fast zwei Wochen im Aquarium das letzte Mal sahen … er hatte gar nichts mehr von sich hören lassen. „Komisches Kleid“ bemerkte er und blickte an ihr rauf und runter. Sie trug heute einen dunkelroten Sari mit gelber Rankenbestickung und einer am Gürtel angenähten Tasche. Dazu leicht erhobene Stoffsandalen und etwas gewellte Haare. Eigentlich hatte sie diesen Sommerdress nur angelegt, weil Onkel Noah sie darin so gern sah. Sie hatte ja nicht erwartet, damit heute in die Öffentlichkeit zu gehen. „Ähm ja … etwas merkwürdig für einen Stadtgang, oder?“ „Ziemlich merkwürdig. Aber okay.“ Wobei ‚okay‘ aus seinem Munde fast ein Kompliment war. „Wenigstens siehst du nicht so nuttig aus wie die anderen Tussen.“ „Sari!“ Und Dante verstand nicht ganz, warum sie nicht auf sein flehentliches Gucken und Armstreicheln reagierte. „Liest du mir vor? Was steht da? Das Schwein.“ „Danti, möchtest du Bob hören?“ „BOB! JA!“ Mokuba hatte einfach die besten Ideen. Er kramte im Handschuhfach und schob eine CD in den schweigenden Player, welcher daraufhin mit fröhlichem Kindersingsang begann. Dante liebte Bob den Baumeister, der war im Kindergarten gerade total angesagt. Da konnte er stundenlang hinhören. Und Sareth konnte sich etwas unbeobachteter mit Edith unterhalten. Auch wenn der nur zum Fenster hinaussah. „Du“ sprach sie ihn leise nochmals an. „Du hast dich gar nicht mehr … ich meine …“ Aber sich aufzuführen wie ein Waschweib von wegen ‚Du hättest dich ja mal melden können‘ wollte sie dann auch nicht. „Ich habe dich gar nicht mehr in der Bücherei getroffen.“ „Schwer, wenn da wegen Umbau zu ist.“ „Du … auch woanders nicht. Ich habe immer geguckt, ob ich dich irgendwo sehe.“ „Ich war in der Bücherei. Regale aufbauen und rumschieben. Für das neue Schuljahr machen die da so Terz wegen irgendwelchen Schreibtischen. Keine Ahnung.“ „Na gut. Ich dachte … ich habe dich irgendwie vermisst.“ „Echt?“ Jetzt sah er sie doch an und war sichtlich überrascht. „Wieso?“ Und die beiden Onkels auf den Vordersitzen mussten sich das Lachen verkneifen. Der Kerl war doch echt schwer von Begriff. „Wieso nicht?“ antwortete sie nestelte nervös an ihrem Rock, während Bob seine Lieder über Bagger sang. „Ich dachte, wir … ist ja auch egal.“ „Ich dachte, du bist voll sauer auf mich.“ „Warum?“ Er dachte, sie wäre sauer? „Habe ich das gesagt?“ „Du hattest meinetwegen Probleme. So blöd bin ich nun auch nicht, dass ich das nicht merke. In Kämpfe von Pharaonen sollte man sich nicht einmischen. Das hätte ich lassen sollen.“ „Ohne dich hätten wir Sethos nie so schnell ins Aquarium fliegen können. Du hast uns geholfen.“ „Nachdem ich euch reingefunkt hatte. Ich wollte mich ja entschuldigen, aber dein Vater …“ Tato hatte wahrscheinlich so giftig geguckt, dass jeder die Flucht ergriffen hätte. „Ich dachte, es ist besser, wenn ich mich nicht mehr blicken lasse.“ „Ach, bei Papa darfst du dir nichts dabei denken. Der war nur gestresst und ich … tut mir leid, ich war so fertig, dass ich mich auch nicht richtig für deine Hilfe bedanken konnte.“ „Schon gut.“ Das war eben nicht der rechte Ort und nicht die rechte Gelegenheit gewesen, um herumzuturteln. „Wie geht’s denn deinem Fischfreund?“ „Sethos“ erklärte sie und seufzte betrübt. „Es geht ihm ziemlich schlecht. Wir wissen nicht, ob er … vielleicht … es sieht nicht so gut aus.“ „Verstehe“ bemerkte er und sah zum Fenster hinaus. „Ich renne dir nicht mehr nach. Dann passiert so was nicht mehr.“ „Habe ich dich deshalb nicht getroffen? Weil du dachtest, ich wäre böse auf dich?“ „Na ja … ich an deiner Stelle würde mir aus dem Weg gehen.“ „Das will ich aber gar nicht.“ Sie sammelte ihren Mut und schob vorsichtig die Hand zu seinem Ellenbogen, berührte ihn zaghaft. „Oder willst du mir lieber aus dem Weg gehen?“ „Quatsch.“ Na dann war doch wohl alles geklärt. Er schaute sie sogar kurz an und darüber hinaus war er freiwillig hier eingestiegen. Also war er nicht ganz auf Abstand aus. „Kann ich mal was sagen?“ sprach er dann etwas lauter nach vorn. „Da hinten rechts rum geht’s schneller. Auf der anderen Straße ist ne Baustelle.“ „Oh. Okay.“ Noah sah also von seinem Kurs ab und wechselte die Spur nach rechts. Er merkte schon, dass der Verkehr hier dichter wurde und die meisten links abbogen, aber das konnte auch daran liegen, dass bei dem schönen Wetter mehrere Leute zum Jahrmarkt wollten. „Woher weißt du denn das?“ „Da stand mein Bus vorhin im Stau. Links ist echt besser. Da geht’s auch schneller zum Glorienplatz.“ „Ja, ich sehe es schon.“ Noah konnte hier sogar die Parkplätze ausgeschildert sehen. „Ist wohl ein Geheimtipp, was?“ „Nur der Nebeneingang. Man muss ja nicht immer vorne rum.“ „Gut, dass wir dich eingepackt haben“ lächelte Mokuba und drehte sich zu ihnen herum. „Danti, möchtest du was trinken?“ Aber dann sah er, dass der Kleine sein Buch nur schwerlich auf dem Schoß festhielt und die Augen halb geschlossen hatte. Mit seinem offenen Mund sah er zum Knutschen süß aus. Es dauerte nicht mehr lange und die Müdigkeit würde ihn dahinraffen. „Hach, Kinder schlafen so wunderbar schnell ein.“ „Er hatte heute keinen Mittagsschlaf“ erklärte Noah nach einem kurzen Blick in den Rückspiegel. „Na dann ist das kein Wunder, wenn er pennt.“ „Nich penn“ murmelte Dante und hob seinen Kopf. Aber hier im warmen Auto ohne Beschäftigung fehlte ihm seine Mittagsruhe doch. „Sari, nimm ihm doch bitte mal das Buch ab.“ Vorsichtig entfernte sie das Buch und gab es nach vorn, wo Mokuba es verstaute. „Zum Glück haben wir den Buggy mit. Dante, möchtest du gleich im Buggy fahren?“ „Ja. Nich laufn.“ Schöner war gefahren werden. „Wenn er die vielen Süßigkeiten sieht, wird er schon wieder munter“ meinte sie, denn welches Kind konnte schon den ganzen Jahrmarkt verschlafen? Noch dazu den ersten seines jungen Lebens. „Warst du schon auf dem Jahrmarkt?“ fragte sie den anderen Jungen zur Linken. „Bin mal rübergelaufen. War blöd“ beantwortete der kurz. „Dann warst du mit den falschen Leuten da“ meinte Mokuba. „Mit uns wirst du sicher Spaß haben.“ „Ich war allein da.“ „Oh.“ Umso schlimmer. „Dann wirst du erstrecht Spaß haben.“ „Allein auf dem Jahrmarkt?“ stutzte Sareth. „Was macht man denn allein auf dem Jahrmarkt?“ „Sagte ich doch, ich bin rübergelaufen.“ „Du meinst, du hast ihn nur passiert? Ohne dir was anzusehen?“ „Du tust ja so als sei das verboten.“ Sie seufzte leise, aber wirklich schlimm fand sie sein barsches Benehmen nicht. Er war nun mal ein Einzelgänger und für bunte Glitzerwelten nicht zu haben. Umso süßer, dass er ihretwegen trotzdem mitkam. „Ich freue mich jedenfalls, dass du mitkommst. Ich bin sehr gern mit dir zusammen.“ „Wenn du meinst.“ Er war geschmeichelt, das sah sie ihm an. Aber da ihre beiden Onkel vorn saßen, konnte er auch nicht aus seiner Haut. Eigentlich war er ganz lieb, aber zeigen mochte er das nicht. Noch nicht. Vielleicht taute er ja etwas auf, wenn er sah, dass ihre Familie nicht so abgehoben war und auch nicht auf ihn herabsah. Er hatte sich seine Lebensumstände nicht ausgesucht. „Sind die Parkplätze kostenlos?“ Noah sah sich um, nachdem er den Wagen irgendwo in eine der Parklücken bugsiert hatte. „Hase, da kommt schon einer zum Abkassieren“ zeigte Mokuba aus dem Fenster. Da kam eine runde Frau in dunkler Uniform auf sie zu. Wohl der Parkdienst. „Du bezahlst und ich bette den Kleinen um.“ „Gute Arbeitsteilung.“ Noah stellte den Motor aus und öffnete die Tür. Mokuba sprang ebenfalls raus und ging gleich an den Kofferraum, um die Kinderlimousine aufzuklappen. „Ich bin froh, dass du mitkommst“ sagte Sareth ihm noch mal. Nun wo sie unter sich und ohne fremde Ohren waren. „Ich hatte wirklich Angst, du willst jetzt nichts mehr von mir wissen.“ „Unsinn, warum sollte ich so blöd sein?“ erwiderte er und sah sie ernst an. „Und du bist dir sicher, dass du dich mit mir abgeben willst?“ „Natürlich, du hast mir riesig gefehlt. Wie kannst du nur glauben, ich wolle dich nicht sehen?“ „Na ja …“ Wie sollte er das treffend ausdrücken ohne sich zu tief reinzureden? „Ich passe ja nun nicht so richtig zu dir. Ich habe gesehen wie besorgt alle um diesen Fischmenschen waren und irgendwie … ich passe eigentlich gar nicht in dein Leben. Ich meine eine Prinzessin wie du und ein Abschaum wie ich. Und der Blick deines Vaters hat mir ja eindeutig zu verstehen gegeben, dass ich …“ „Du sitzt hier aber nicht mit meinem Vater“ unterbrach sie sofort und glänzte ihn mit ihren intensiv blauen Augen an. „Du bist der erste Junge, den ich wirklich richtig mag. Du bist kein Abschaum. Es ist mir egal, wie deine Vergangenheit war. Ich meine, egal ist es mir natürlich nicht, denn du bist mir wichtig. Aber ich … ich weiß nicht wie ich das richtig erklären soll. Ich muss ständig an dich denken und ich … ich mag dich einfach so wie du bist. Und wenn du mir sagst, dass wir nicht zusammenpassen, dann tut mir das weh. Ich finde nämlich, dass wir gut zusammenpassen. Ich meine … wenn du das auch willst.“ „Auf mich kommt es dabei nicht an. Du bist diejenige, die zustimmen muss“ meinte er leise und schweifte zum Fenster hinaus. „Ich kann glücklich sein, dass ein Mädchen wie du überhaupt mit mir redet. Ich meine, du bist der Jackpot und ich … ich habe noch nie was gewonnen.“ „Dann sag so was nicht noch mal“ lachte sie verlegen und haute ihn auf den Arm. Doch natürlich nicht wirklich schmerzhaft. „Und melde dich zwischendurch mal.“ „Wenn du das willst, mache ich das“ versprach er und ihr Herz hüpfte, als sie sein schiefes Lächeln sah. Er wirkte jetzt erleichtert, dass sie ihn nicht abschob. „Du hast mir auch gefehlt, Prinzessin.“ „Du mir auch, Froschprinz“ lachte sie und lehnte sich an ihn. „Ich wollte schon immer mal ein Date auf dem Jahrmarkt haben. Das sieht man sonst nur im Fernsehen.“ „Na ja, ich habe gar keine Glotze“ meinte er und senkte seine Stimme. „Ich wusste gar nicht, dass intelligente Leute wie du überhaupt fernsehen.“ „Natürlich sehe ich fern“ meinte sie überrascht und blickte zu ihm auf. „Hast du echt gedacht, ich gucke nie auch mal was Sinnfreies?“ „Ich dachte, du liest nur.“ „Lesen tue ich viel, aber ich sehe auch gern fern. Am liebsten Telenovelas oder Liebesfilme.“ „Liebesfilme gucken die dummen Weiber bei uns im Gemeinschaftsraum immer. So was findest du gut?“ „Klar, ich bin romantisch veranlagt. Das habe ich von meinem Onkel, der hat mit mir immer Liebesschnulzen geguckt als ich klein war. Das prägt. Ich bin total romantisch und vielleicht finde ich ja bald jemanden, bei dem ich romantisch sein kann.“ „Aha.“ Jetzt bekam er trotz aller Coolness einen fetten Kloß im Hals. Das hörte sie schon an seiner Stimme, sogar in seinem laut besorgten Gedanken. >Und ich Trampel hab wieder voll keine Ahnung.< „Aber wenn du mir sagst, dass du mich magst, bin ich das glücklichste Mädchen der Welt.“ Und dass sie manchmal einen Gedanken auffing, sagte sie ihm lieber (noch) nicht. Sonst würde er nur Beklemmungen bekommen. Sie legte ihm die Hände an die Arme und rutschte zu ihm auf, blieb ihm ganz zugewandt. Sie wünschte sich, er würde die Gelegenheit endlich nutzen, um sie vielleicht noch mal zu küssen. „Na, du bist ja einfach zu beglücken“ meinte er und rutschte zurück. „Willst du raus?“ „Aussteigen müssen wir wohl schon irgendwann. Aber mit dir kuscheln ist auch gut. Wie du willst.“ „Ich meine nur, weil dein Onkel die ganze Zeit da draußen steht.“ Tatsächlich war Mokuba so galant und wartete draußen bis die beiden von selbst rauskamen. Er wollte zwar den schlafenden Dante in die Karre setzen, aber die zwei auch nicht stören. Noah löste sein Parkticket mit einem unfreiwillig großen Geldschein und brachte die Parkwächter in wirkliche Probleme beim Wechselgeld, aber Mokuba tat nur so als ob er rauchen wolle. „Ja, wir sollten wohl aussteigen.“ Schade, sie hätte gern noch etwas in seinem Arm gesessen, aber vielleicht ergab sich später noch eine Gelegenheit. Sie selbst hatte vor ihren Onkels keine Bedenken. Besonders nicht vor Onkel Noah, der wahrscheinlich der einzige war, mit dem man normal über so was reden konnte. Und Mokuba hielt sich mit doofen Sprüchen zurück, der würde auch zuhause dicht halten. Davon abgesehen war Onkel Moki ein fantastischer Lügner. Außerdem wollte sie auf keinen Fall in Edith den Verdacht wecken, dass sie sich für ihn schämte. Je mehr Abstand sie nahm, desto mehr würde er das denken. Also musste sie ihm sogar offen zeigen, wie sehr sie sich über ihn freute. „Ist es wirklich okay, wenn ich mitkomme?“ fragte Edith und stieg langsam aus. „Klar, sonst hätten wir ja nicht gefragt.“ Sareth folgte ihm und sah wie Mokuba seine Zigarette austrat und ihr kurz zuzwinkerte. Er hatte also tatsächlich extra gewartet bis er die Tür öffnete und den Kleinen aus dem Sitz pulte. Der schlief dabei einfach weiter, aber würde schon noch früh genug wach werden. Sareth sortierte sich erst mal, ordnete ihren Rock und den Taschengürtel. Dabei bemerkte sie Ediths Blick auf ihrem Körper, was sie kurz verunsicherte. In diesem roten Dress war sie sehr auffällig, auch wenn die anderen sagten, sie sähe niedlich aus. „Bin ich dir zu overdressed?“ „Wenn das heißen soll, dass du cool aussiehst, dann ja.“ Er steckte die Hände in die alte Jeans und sah sie durchdringend an. „Overdressed bedeutet eigentlich, dass man zu auffällig für einen schlichten Anlass gekleidet ist. Ich meine …“ „Lass dir nix einreden. Du bist ne Bombe.“ Mokuba konnte jetzt doch sein Kichern nicht mehr verbergen und auch Sareth schüttelte innerlich den Kopf. Das mit den Komplimenten war echt nicht sein Ding. „Dann bin ich ja beruhigt.“ Aber der Wille war erkennbar. „So, wir können bis ins nächste Jahrtausend parken und Kleingeld habe ich auch“ verkündete Noah, legte den Parkschein nach vorn und sah dann die beiden Jugverliebten an, die mindestens einen Meter Sicherheitsabstand hielten. „Edith. Schön, dass du mitgekommen bist“ lächelte er dann, während er zu Mokuba rüberging. Er ahnte, dass übertriebene Höflichkeiten bei Edith nur Unwohlsein hervorriefen und deshalb hielt auch er etwas Abstand, damit er sich erst mal an die ungewohnten Menschen gewöhnen konnte. Er erwartete aus der Richtung auch gar keine Antwort. „Häschen, klappt das alles bei dir?“ „Ich habe ihn schon angeschnallt“ antwortete der und schob den kleinen Schlafenden zu ihm herum. „Ich habe auch seinen Saft eingepackt und Wechselsachen. Und sein Sonnenhütchen.“ Welches er ihm in diesem Moment auf das blonde Haar legte. „Ist der Ausflug so genehmigt, Papahase?“ „Ganz wunderbar. Und bei euch? Habt ihr alles?“ „Ja, alles eingepackt“ lächelte Sareth ihren Schwarm an. Doch gerade als sie ihm näherkam, drehte der sich um und ging voraus. „Da hinten geht’s auf den Glorienplatz.“ Jetzt seufzte sie doch etwas lauter, aber das hörte er nicht. Er war eben kein geübter Gentlemen wie Onkel Noah, der genau jetzt seinen Arm um sie legte. „Alles okay, Schätzchen?“ „Ja, alles prima. Danke, dass Edith mitkommen darf.“ „Er ist nicht gerade ein Sunnyboy“ schmunzelte er, denn ein solcher würde nicht einfach schon mal vorlaufen. „Aber den biegst du dir noch zurecht.“ „Meinst du?“ „Klar, hast du seine Augen gesehen? Er ist total verschossen in dich. So was sehe ich sofort.“ „Und was siehst du bei mir?“ „Das behalte ich für mich“ lächelte er und küsste ihre Wange. „Aber ich kann verstehen, dass du was an ihm findest. Ich finde ihn auch sehr süß. Ehrlich, ein ganz süßer Bursche.“ „Das habe ich überhört.“ Natürlich war Mokuba nie weit fort und sah Noah sehr prüfend an. „Der ist doch viel zu jung für dich alten Sack.“ „Kommt, sonst läuft er uns noch weg“ und zog Sareth mit sich. Edith ging zum Glück nicht besonders schnell, sodass sie ihn leicht erreichten. „Onkel Noah“ flüsterte Sareth ihm vertraulich hinauf. „Findest du es schlimm, wenn ich … bei ihm gehe?“ „Nein, immer ran an den Mann.“ Er entließ sie nach vorn und fröhlich hoppelte sie zu ihm. Jeder normale Mensch sah, dass sie gern seine Hand oder seinen Arm nehmen wollte, aber er bemerkte das so wenig, dass sie nur nebenherlaufen konnte. Von Romantik hatte er wirklich keinen Schimmer. „Waren wir auch mal so?“ seufzte Mokuba, der mit dem Kinderwagen möglichst sanft über den Schotterplatz steuerte. „Wir? Nein. Nie“ lachte Noah und legte seinen Arm um ihn. „Du hast dich noch offensichtlicher an mich rangeschmissen.“ „Würde ich jetzt auch noch, aber du …“ „Jetzt sag nichts falsches.“ „Dann sage ich gar nichts mehr. Du kannst schieben.“ Er ließ die Karre einfach los und übergab Noah den Chauffeurjob. Er selbst musste erst mal eine neue Zigarette zücken und anzünden. „Hast du nicht eben schon geraucht?“ „Da musste ich zwei Drittel austreten. Jetzt noch mal richtig.“ Er steckte das Feuerzeug wieder weg, nahm die Zigarette in die andere Hand und hakte sich in Noahs Arm. „Schon ziemlich eifrig wie sie an ihm rumbaggert.“ „Tja, den hat sie sich ausgesucht“ stimmte Noah zu und blickte zu den beiden vor. Was sie zueinander sagten, war nicht zu hören, aber dass Sareth sich sehr zu ihm hingezogen fühlte, war mehr als nur offensichtlich. „Meinst du das wird was mit den beiden?“ „Das wird man sehen“ beschied er neutral. „Was glaubst denn du?“ „Oberflächlich betrachtet, passen sie überhaupt nicht zusammen“ überlegte Mokuba und atmete seinen Tabak ein. „Aber wenn einen Drachen erst die Liebe ereilt, ist ihm doch eh alles andere egal. Ich glaube nicht, dass wir Sari das ausreden könnten, selbst wenn wir es versuchten. Ich mache mir eher Sorgen darum, was passiert, wenn sie nicht zusammenbleiben können.“ „Du meinst, weil sie irgendwann in die Zukunft zurückmuss“ ergänzte Noah schweren Herzens. „Ja, das macht mir auch Kopfzerbrechen.“ „Ob sie sich darüber überhaupt im Klaren ist? Ich meine, sie weiß doch, dass Edith schlecht mit ihr gehen kann.“ „Wie du schon sagtest, Häschen, dem Drachen ist das egal.“ „Ja, ich weiß. Aber ich hoffe, sie endet nicht wie Tato mit gebrochenem Herzen. Du weißt doch, dass sich diese Art von Menschen selten zwei Mal zu verlieben. Wenn Sari das zu weit treibt, verliebt sie sich vielleicht zu sehr in ihn.“ „Ich glaube, das hat sie schon“ seufzte Noah leise. „Sieh sie dir nur an. Bei ihm öffnet sie sich, blüht richtig auf. Ich bin nicht fürs Kuppeln, aber ihr den Kontakt schlecht zu reden, wäre wohl der falsche Weg. Wir sollten das einfach laufen lassen, denn unterbinden können wir es eh nicht. Wir können ihr nur den Rücken stärken, damit sie nicht etwas Dummes hinter unserem Rücken tut.“ „Positiv denken, mein Hase.“ Mokuba drückte seinen Arm und ging ganz dicht bei ihm. „Wenn es diese Verbindung wirklich geben soll, wird es sie auch geben. Und dann finden die beiden auch einen Weg.“ Doch er musste leise lachen als Sareth versuchte, seine Hand zu greifen, aber er diese schnell in die Tasche steckte und sich wohl dafür schämte, sie angerempelt zu haben. Er merkte offensichtlich nicht, was sie von ihm wollte. „Sobald er was checkt natürlich.“ „Ich weiß ja offiziell nicht viel, aber ich glaube, die beiden sind sich näher als wir denken“ mutmaßte Noahs geschulter Romantiksinn. „Sie würde nicht so offensiv sein, wenn sie sich sehr unsicher wäre.“ „Du meinst, da ist schon was gelaufen? Sari ist doch erst zwölf.“ „Fast 13.“ „Wie auch immer.“ „Es ist ganz normal in dem Alter mit Jungs anzufangen. Außerdem ist sie geistig reifer als andere. Und ich denke auch so reif, dass sie genau weiß, wie weit sie in ihrem Alter gehen kann.“ „Na, ob er das auch weiß?“ „Na ja, ich denke schon, dass er über das mit den Bienchen und Blümchen bescheid weiß. Und auch darüber, dass sie eine gute Erziehung genossen hat.“ „Nein, ich meine er kommt mir nicht so vor als würde er sonderlich scharf auf sie sein. In ‚diesem‘ Sinne meine ich. Sie scheint viel reifer zu sein als er. Er benimmt sich wie ein ahnungsloser Zehnjähriger, der lieber mit Autos spielt als mit Mädchen.“ „Ich glaube, er ist nur gehemmt, weil wir hier sind und ich finde, wir sollten ihm ne Chance geben. Schließlich wissen wir nicht mehr über ihn als dass er wohl aus dem Zirkel kommt und ein Meister in Windmagie ist. Aber was er für Erfahrungen im Umgang mit Menschen gemacht hat, wissen wir nicht. Also schauen wir doch erst mal, was er für ein Typ ist, bevor wir urteilen. Ich denke, wenn Sari ihn mag, muss er ein guter Kerl sein. Sie hat Geschmack bei Jungs.“ „Ja. Schon klar.“ Allein wie Mokuba das sagte, lief dem armen Noah eine Gänsehaut über den Arm. Diesen Tonfall kannte er gut. „Wie du schon gesagt hast, findest du ihn ja wohl ziemlich … wie sagtest du noch gleich? Süß?“ „Häschen, du weißt doch genau wie das gemeint war.“ Oh, da kam gleich ein Schlagloch. Wenn er da rüber fuhr, wachte Dante vielleicht auf … das wäre gerade ganz passend. „Ich denke mir schon wie du das meintest. Nur verstehe ich es nicht. Was zieht dich zu jemandem hin, der so ungebildet redet und verlottert ist? Vorsicht Schlagloch.“ Mist, Mokuba hatte sein Ablenkungsmanöver verhindert und den Kinderwagen zur Seite gedrückt. Da blieb nur noch rausreden. „Moki, es zieht mich gar nichts zu ihm hin. Ich denke nur einfach, dass er vielleicht trotz allem ein gutes Herz hat. Mehr nicht.“ „Und jeder, der ein gutes Herz hat, ist also automatisch süß, ja?“ „Haaaach, bitte. Lass doch die Eifersucht.“ „Dann lass du die Seitenblicke.“ Und der Griff um seinen Arm konnte gar nicht fest genug sein. „Wenn du auf verlotterte Typen stehst, ändere ich gern meinen Stil. Nur jünger machen, kann ich mich leider nicht.“ „Du weißt doch, dass ich deinen Stil mag. Ich habe nur gesagt, dass ich Edith nett finde.“ „Nein, das Wort war süß.“ „Süß finde ich auch kleine gelbe Küken, da ist nichts zum eifersüchtig werden.“ „Nein, du hast keinen Sinn für Tierbabys. Süß heißt bei dir was anderes. Außerdem warst du derjenige, der ihn am Straßenrand entdeckt hat.“ „Du hast Recht, ich werde Sareth den Freund ausspannen.“ „Mann, jetzt sei doch mal ernst, Noah!“ „Nein, sei du ernst.“ Er sah ihn an, in seine pechschwarzen Augen welche im Sonnenlicht mystisch funkelten. Wie konnte nur jemand mit solch einem intensiven Blick wie Mokuba sich selbst so leicht verdrängt fühlen? Auch wenn Noah wusste, dass sein Schatz nicht absichtlich eifersüchtig wurde, kam dieses Misstrauen manchmal aus den merkwürdigsten Ecken. „Häschen, ich liebe dich. Ja, ich finde Edith hat etwas interessantes an sich, aber …“ „Aha. Danke.“ „Aber!“ Setzte er noch mal ernster an. „Du weißt, dass ich niemals fremdgehen würde. Das kränkt mich ja auch, wenn du mir so was unterstellst.“ „Das habe ich dir auch gar nicht unterstellt.“ „Worauf soll dann diese Diskussion hinauslaufen?“ Darauf musste Mokuba erst mal tief durchatmen und eine Sekunde nachdenken. Er wusste ja gar nicht, ob er überhaupt auf etwas hinauswollte. Es wurmte ihn nur einfach, wenn Noah zu positiv oder zu lange über jemand anderen redete. Dann bekam er das Gefühl, weggeschoben zu werden. Auch wenn er genau wusste, dass das niemals passieren würde. Nur dass er seinen Liebsten mit seiner Eifersucht sehr einengte. „Ich will auf gar nichts hinaus. Schließlich habe ich Edith ja auch eingeladen, mehr sogar als du. Ich habe nur nicht gewusst, dass du ihn süß findest.“ „Dafür hast du dich eben aber gut zurückgehalten.“ Zumindest bis sie unter sich waren. Die öffentlichen Szenen versuchte Mokuba abzustellen und das war ein echter Fortschritt. „Ich will dich nur daran erinnern, dass du mit mir zusammen bist. Du brauchst außer mir niemanden. Du weißt, dass ich alles für dich tun würde. Das wollte ich nur klarstellen.“ „Verstehe.“ Er lehnte sich zu ihm herunter und flüsterte vertraulich in sein Ohr. „Wenn du mich das nächste Mal an deine Vorzüge erinnern möchtest, darfst du das viel lieber dann tun, wenn wir die Tür zumachen und du das ein wenig freizügiger formulieren kannst.“ „Ich verstehe. Leg dich hin, wir müssen reden. Dafür bin ich dir gut genug, ja?“ „Mokuba, bitte. Du weißt, dass ich nur dich liebe und es keinen Grund gibt, mir irgendwas zu unterstellen. Ich würde uns niemals infrage stellen.“ „Das war jetzt auch nur ein Witz. Ach, Noah.“ Er schmiss seine Zigarette zu Boden und trat kurz drauf, während er weiterlief und seinen Arm um Noahs Taille legte. „Tut mir leid, Hase. Ich zweifele ja gar nicht an dir. Es ist nur … manchmal überkommt es mich einfach. Du bist so wundervoll, du könntest jeden haben. Ich vertraue dir ja, aber du musst wissen … ich würde alles für dich tun. Du musst es nur sagen. Wenn du nichts sagst, kriege ich Angst, dass du Frust schiebst.“ „Du musst nicht eifersüchtig sein. Nicht auf so einen ungeschliffenen Teenager.“ „Ich war auch mal ein ungeschliffener Teenager und das hast du geliebt.“ „Mach dir nicht so viele Gedanken. Das ist überflüssig.“ Auch er legte den Arm um ihn und zog ihn an sich, küsste seine Schläfe. „Ich werde dich nicht austauschen. Nicht in meinem Leben und auch nicht in meinem Kopf. Du hast keinen Grund zu so plötzlichen Eifersuchtsanfällen.“ „Ich weiß. Tut mir auch leid. Das war dumm.“ „Wenn du hören willst, dass ich dich liebe und dich begehre, dann sag es einfach.“ „Liebst und begehrst du mich noch?“ „Mehr als du dir vorstellen kannst, mein Süßer“ lächelte er und küsste seine Nasenspitze. „Du warst jetzt aber schon ziemlich lange nicht mehr eifersüchtig. Wir machen Fortschritte.“ „Ja, nicht wahr? Bist du stolz auf mich?“ Er schämte sich noch etwas für seine abwegigen Gedanken, die eigentlich gar kein echtes Ziel verfolgten. Manchmal musste er nur einfach mal wieder zeigen, dass er noch da war und seinen Noah nicht teilen wollte. Mit niemandem. „Und wie stolz ich bin, Häschen.“ Er kam seinen Lippen näher, aber gab ihm nur eine sanfte Berührung. Mit gesenkter Stimme setzte er aber leise hinzu: „Aber das mit der Erinnerungshilfe heute Nacht habe ich ganz ernst gemeint.“ „Ah ja, so ist das also“ schmunzelte Mokuba und küsste ihn kurz zurück. „Okay, als Entschuldigung darfst du dir was von mir wünschen. Was immer es sei.“ „Oh, ein Blankoscheck? Du bist aber mutig.“ „Ich vertraue dir eben, Hase.“ Und an dem Ding mit der Eifersucht arbeitete er weiterhin. War ja auch fies, ihn aus dem Nichts mit solchen Sachen zu überfallen. Da hatte er sich etwas Wunsch-Sex doch verdient. Kapitel 2: Chapter 6 - 10 ------------------------- Chapter 6 Vom Parkplatz aus war es ein kleiner Fußmarsch bis zum Nebeneingang des Jahrmarktes. Ganz am Anfang waren einige Stände mit dem üblichen Krempel aufgebaut. Ein Stand mit bedruckten Shirts von lustig bis gruselig, daneben einer mit Kunstschmuck und Namenstassen, daneben eine Wurstbude und daneben weiterer Klimbim, den kein Mensch brauchte. Ein Glück, dass Dante schlief, denn die Kuscheltiere hätten ihn sicher in helle Aufregung versetzt. Er liebte Tiere, besonders kuschelig und am liebsten groß. Wenn er erst die Hauptgewinne über den Losbuden sah … Noah sah sich bereits selbst mit einem überdimensionierten Teddybären auf den Schultern. „Hase, du hast ne Gänsehaut“ stellte Mokuba trocken fest. „Dir ist doch wohl nicht etwa kalt?“ „Quatsch, nur ein Schauer.“ Kuscheltiere! Überall Kuscheltiere! „Ziemlich bunt hier.“ „Sag bloß, du hast ne Abneigung gegen Jahrmärkte? Ich dachte, du stehst auf Achterbahnfahren.“ „Stehen kann man nicht sagen. Aber wenn Dante erst aufwacht, will er bestimmt noch ein Kuscheltier haben.“ „Ja und?“ „Wir wissen doch jetzt schon nicht mehr wohin damit.“ „Kuscheltiere sind super. Ich wusste gar nicht, dass du so kaltherzig bist und was gegen Stofftiere hast.“ „Ich bin nicht kaltherzig. Ich will nur nicht, dass unser Kinderzimmer als Friedhof für Kuscheltiere endet. Er weiß doch schon gar nicht mehr, womit er überhaupt noch spielen soll, so sehr verwöhnst du ihn.“ „Mann Noah, seit du Vater bist, bist du nur noch am Zetern. Bleib cool, Mann.“ Er rempelte ihn scherzhaft an und schenkte ihm ein Lächeln. „Dante liebt dich, egal ob du ihn verwöhnst oder nicht. Sei nicht so streng. Du bist doch sonst nicht so.“ „Ich will nur nicht, dass er …“ „Dass er was?“ Aber Noah kniff nur die Lippen zusammen. Er war nun mal kein Bauchmensch, doch mit schlichter Psychologie kam er da nicht weiter. Andere Leute und ihre Gefühle zu entlarven und ihnen gute Ratschläge zu geben, fiel ihm viel leichter als sich selbst auf die Reihe zu kriegen. Noah wollte die Dinge kontrollieren, aber Dante ließ sich leider nicht kontrollieren. Nicht so. „Mensch, Noah. Ist doch alles gut. Du wirst sehen, dass wir heute Spaß haben werden.“ „Wie kannst du das nur so locker sehen? Hast du nie Angst, dass du ihn verziehst und er dir deine Fehler niemals verzeiht?“ „Du meinst, er verzeiht es mir nicht, wenn ich ihn mit Kuscheltieren überhäufe?“ „Nein, natürlich nicht. Aber wenn er immer alles bekommt, was er will, wird er niemals lernen, sich etwas zu erarbeiten.“ „Und wenn er niemals etwas bekommt, wird er lernen, nichts zu begehren oder es sich mit Gewalt zu holen. Noah, der Kleine ist drei Jahre alt. Du musst nicht über jedes kleine Ding nachdenken.“ „Die Prägephase ist wichtig für Kinder. Was er jetzt lernt, wird ihn sein Leben lang begleiten. Und was er nicht lernt, wird ihm fehlen.“ „Noah, du könntest ein diplomierter Psychiater sein, aber als Vater hast du noch ne Menge zu lernen“ seufzte Mokuba und nahm seine Hand, während sie durch die lockere Menge schlenderten. „Soll ich dir mal sagen, was Opa mir am Telefon gesagt hat? Er sagte, dass Kinder zwar erzogen werden müssen, aber das meiste lernen sie vom Zusehen. Sag Dante nicht ständig, was er tun und lassen soll und denke nicht ständig darüber nach. Zeig ihm einfach wie du es machst und er wird es nachmachen.“ „Ich weiß nicht …“ „Vertraue mir. Er bewundert dich.“ Er schlackerte mit Noahs Hand und holte sich seinen Blick. „Ist dir schon mal aufgefallen, dass Dante in letzter Zeit fast nur noch Tee trinkt? Zuckerfrei?“ „Das ist ja auch das Gesündeste.“ „Er trinkt ihn, weil du ihn trinkst“ lächelte er liebevoll. „Er ahmt dich nach und du merkst es gar nicht.“ „Das ist mir tatsächlich so nicht aufgefallen“ musste er überrascht zugeben. „Ich habe ihm nur erzählt, dass er davon gesund bleibt.“ „Er glaubt eher, dass er davon wird wie du. Er versteht deine Argumente nicht, so gut sie auch sein mögen. Du bist doch Hobbypsychologe, also was für einen Rat würdest du einem Mann wie dir geben?“ „Ja, du hast ja Recht. Aber ich habe dir gesagt, dass ich das nicht draufhabe.“ „Du hast es voll drauf. Wenn du dir nicht selbst im Weg stehen würdest. Bleib locker, Hasenpapa. Dante liebt dich abgöttisch, glaube mir. Er betet dich an. Und ich auch.“ „Jetzt übertreibst du aber.“ Dennoch fühlte er sich geschmeichelt. Er wollte so sehr, dass aus Dante ein anständiger Mann wurde. Er wollte ihm Bildung vermitteln, Sinn für gesunde Lebensführung, Interesse an den schönen Künsten und vor allem ein vernünftiges Weltbild, eine korrekte Moral. So sehr, dass er manchmal vergaß wie klein er noch war. Doch Mokuba war ein begabterer Vater als er dachte. Auch wenn er die Dinge anders anging, hatte er das mit Seto gemeinsam. Sie hatten ihn einfach, diesen Familiensinn. Da kam auch Noah mit seinem Psychologensinn nicht gegen an. „Wie kamen wir jetzt eigentlich auf dieses schreckliche Thema? Ich wollte eigentlich was anderes sagen.“ „Du wolltest sagen, dass Dante schon zu viele Kuscheltiere hat.“ „Ach ja, genau.“ Jetzt wusste er wieder, worum es ging. „Also er braucht nun wirklich keine Kuscheltiere mehr. Er ist schon völlig überreizt bei dem ganzen Spielzeug. Zu viel ist nicht gut.“ „Bla bla bla …“ „Mokuba!“ „Mach dich locker, Hase. Ich wette, sobald er diese riesigen Frösche da oben sieht, gibt er eh keine Ruhe mehr. Und dann wird er dich ansehen und du kannst es ihm nicht abschlagen. Du wirst es zwar versuchen, aber dann färben seine Augen sich dunkel und du siehst, dass ihn das traurig macht. Und weil du ihn nicht traurig machen willst, wirst du die nächstbeste Losbude aufkaufen, damit er seinen Frosch bekommt. Jede Wette.“ „So etwas würde Seto machen, aber ich nicht.“ „Du auch, glaube mir.“ „Würde ich nicht.“ „Oh doch.“ „Mokuba!“ „Nenn mich nicht Mokuba, Noah!“ Noah ging darauf nicht weiter ein. Viel eher war ihm aufgefallen, dass Sareth und Edith stehenblieben und ein flehendes „Komm schon, bitte!“ zu vernehmen war. Vor sich hatten sie das erste Fahrgeschäft, die Wildwasserbahn. Ganz offensichtlich wollte Sareth damit fahren, doch Edith hatte die Hände tief in den Hosentaschen und schien davon noch weniger begeistert als von allen anderen Dingen hier. Wenn das überhaupt möglich war. „Gibt’s ein Problem?“ fragte Mokuba als sie die beiden erreichten. „Onkel Moki, ich möchte da gern rein“ zeigte sie auf den herabrasenden Plastikbaumstamm, welcher am Ende einige Passanten nassspritzte. „Und warum geht ihr nicht? Sieht doch ganz lustig aus.“ „Edith will nicht mitgehen“ eröffnete sie und bedachte eben den mit einem vorwürflichen Blick. „Warum nicht? Hast du Angst in solchen Fahrgeschäften?“ „Nein, aber da ist es scheiße nass“ moserte er und sah skeptisch das auf den Gehweg geplätscherte Nass an. „Ich habe keinen Bock auf Erkältung.“ „Quatsch von wegen Erkältung. Wir haben 25 Grad aufwärts.“ „Onkel Moki hat Recht“ argumentierte auch Sareth. „Es ist so warm, da machen die paar Tropfen auch nichts.“ „Das sind keine paar Tropfen. Guck dir die Leute doch an wie nass die werden.“ „Dann bist du wasserscheu?“ Eigentlich wollte sie ihn mit einer kleinen Herausforderung ködern, doch er entgegnete ihr ein schlichtes „Ja“ und nahm jeglichen Wind aus allen Segeln. Sie hatte keine Chance. „Ich gehe da ums Verrecken nicht rein. Geh du doch, ich warte hier.“ „Aber allein ist auch blöd.“ „Dann geht Moki eben mit dir“ meinte Noah. Er wusste nämlich um die Leidenschaft seines Häschens für Fahrgeschäfte jeglicher Art. Nach all den Jahren gab es nur noch zwei Leute, welche ihre Jahreskarte im Kaiba-Land nutzten. Yami und eben Mokuba. Selbst Joey hatte die Achterbahn über, aber Moki ging jedes Jahr mindestens drei Mal hin. Auch ein Grund, weshalb er den Jahrmarkt hier ausnutzen wollte. „Genau, ich habe jedenfalls keinen Schiss vor Grippe. Gehst du auch mit?“ fragte Mokuba dann Noah. Doch der schüttelte den Kopf. „Ich teile Ediths Meinung zum Thema Nasswerden. Außerdem muss ich bei Dante bleiben.“ „Ach, ihr seid solche Weicheier“ meinte er und nahm Sareth an der Hand. „Komm Schätzchen, dann gehen wir alleine - ohne unsere Memmenmänner.“ Sie wäre wohl lieber mit Edith gefahren, aber Onkel Moki war auch okay. Und so kletterten die beiden auf die Eisentreppen, hangelten um eine Kurve von Absperrungen und stellten sich in die kurze Reihe. Noah klappte in der Zwischenzeit das Vorzelt des Buggys nach vorn, um den kleinen Schläfer vor der heißen Sonne zu schützen. Schatten gab es hier weit und breit leider nicht - es sei denn, man stellte sich an eine der Wurstbuden und nach fetttriefenden Fleischschläuchen hegte Noah wenig Lust. Warum gab es auf solchen Festivitäten eigentlich niemals einen Stand mit Bio-Salat oder Vollkornbrot? Edith beobachtete währenddessen wie Sareth und Mokuba den vierten der vorbeischwimmenden Baumstämme bestiegen und darum rangelten, wer vorn sitzen durfte. Letztlich gewann aber Sareth, da sie kleiner war. „Ich kann verstehen, dass du da nicht rein wolltest“ versuchte Noah sich an einem unverfänglichen Gesprächsbeginn. „Es gibt nichts schlimmeres als in feuchter Kleidung zu stecken.“ „Stört mich weniger“ meinte er mit seiner dunkeltiefen Stimme. Er blickte Noah nicht an, sondern blieb genau dort stehen und beobachtete den Verlauf der Wasserbahn. „Gibt es denn etwas, was du gern machst?“ Es musste doch möglich sein, mit ihm ins Schwatzen zu kommen. Mit Sareth konnte er ja auch reden. „Eigentlich nicht.“ Aber er tat nicht besonders viel, um ein Gespräch ins Laufen zu bringen. Er war eben weniger eloquent als Noah. „Also, ich mag Spiegellabyrinthe“ lächelte der und ging ein paar Schritte mit der Karre bis er direkt neben ihm stand. „Aber nur, weil ich sie recht schnell gelöst bekomme und mein Häschen damit ärgere.“ Okay, das schien Edith schon mal brennend zu interessieren. So brennend, dass er paralysiert dastand und keine Mine verzog. „Warst du eigentlich schon mal auf einem Rummelplatz? Ich meine so aktiv und nicht als Abkürzung eines Weges.“ „Hat mich nie was hingezogen“ erwiderte er. Aber dieses Mal kickte er den Stein vor seinen Füßen unter die Eisentreppen und blickte zu Boden. „Aber danke, dass Sie mich mitgenommen haben.“ „Ist doch selbstverständlich. Wenn Sari dich mag, mögen wir dich auch.“ Irgendwie musste bei ihm ja mal ankommen, dass die Sache so okay war und es nichts zu danken gab. „Aber sag mal, Edith. Die reine Angst vor Schnupfen kann doch nicht der Grund sein, dass du da nicht rein möchtest. Du siehst nicht wie jemand aus, der sich von solchen Fahrgeschäften einschüchtern lässt.“ „Ich habe schon ganz andere Gefahren gesehen als solchen Babykram“ antwortete er mit verengten Augen zu Boden. „Der Jahrmarkt nervt mich einfach nur. Die bunte Scheinwelt mit vergnügungssüchtigen Schnöseln. Zum Kotzen.“ „Dann bist du nur für Sari mitgekommen?“ Das wäre sehr süß von ihm. Doch eine Antwort erhielt er darauf nicht. Er war wohl niemand, der sich in verliebtem Säuseln verlor. Erstrecht nicht mit jemandem, den er kaum kannte. „Man sieht ihr an, dass sie sich freut, mit dir hier zu sein“ bestärkte Noah den Schweigsamen. „Wenn ich dir einen Tipp geben darf, dann solltest du für deine Süße irgendwo etwas gewinnen. Ein Stoffherz oder etwas in der Art. Ich glaube, damit würdest du ihre romantische Ader treffen.“ „Ja, vielleicht.“ Er blickte zur Seite und sah, was da noch so vor ihnen lag. Losbuden, Dosenwerfen, Entenangeln, Lukashauen - alles beste Gelegenheiten, sich als großzügiger Siegertyp zu zeigen. „Du siehst nicht begeistert aus“ interpretierte Noah seinen steifen Ausdruck. „Du musst ja nichts gewinnen, war nur eine Idee.“ „Jeder wie er kann“ murmelte er und blickte zurück auf die Wasserbahn, wo die beiden schon zum zweiten Mal hochgefahren wurden, um gleich kreischend herab zu sausen. „Ach, ich bin mir sicher, dass du locker alle Dosen umwirfst. Zumindest so viele, dass es für einen Schlüsselanhänger reicht.“ Trotzdem schien Edith wenig angetan von Noahs galanten Idee. Es war trotz seiner Unlust gut denkbar, dass er einiges hier gewinnen könnte, auch wenn er den Dosen mit einem Luftstoß nachhelfen musste. Und wenn er Sareth den Hof machen wollte, wäre das doch die Gelegenheit. Okay, die Kinkerlitzchen, die man dabei gewann, entsprachen im Warenwert niemals dem Einsatz, aber Mädchen liebten solches Zeug. Mit diesem Gedanken kam Noah ein Gedanke, welcher Ediths Zurückhaltung erklären könnte. Vielleicht war es gar kein Unwille, sondern … „Edith, kann ich dich etwas fragen?“ „Ich kann Sie ja schlecht davon abhalten, die ganze Zeit zu reden.“ „Sag mal, hast du überhaupt Geld dabei?“ Er sah wie Ediths Narbe an der Augenbraue zuckte. Das war doch mal eine echte Reaktion. „Du hast kein Geld in der Tasche, oder? Deshalb bist du nicht mitgefahren.“ „Ich habe sehr wohl Geld“ erwiderte er beleidigt. „Aber so ne blöde Wasserbahn ist mir zu teuer. Sechs Knicken für zwei Minuten nass werden. Das ist reine Abzocke.“ Zumindest dann, wenn man es nicht so dicke hatte. „Edith, hör mal. Ich leihe dir gern etwas, wenn du für Sari …“ „Ich kann ihr schon was kaufen. Keine Sorge.“ Jetzt blickte er Noah an. Offensichtlich hatte man da an seinem Stolz gekratzt. „Aber hat nun mal nicht jeder so ne fette Brieftasche. Es gibt Leute, die müssen sich überlegen, wofür sie ihre zwanzig Kröten im Monat ausgeben und wofür nicht. Und Ihr großkotziges Gönner-Getue können Sie sich auch sparen.“ „Bleib ruhig. Ich wollte dich nicht beleidigen.“ Oh, da war aber jemand sehr stolz. Edith war es natürlich peinlich, dass er genauer hingucken musste, wie viel er wofür ausgab. Und so ein Jahrmarktsbesuch war wirklich kein preiswertes Vergnügen. Und verraten hatte er sich in seiner Nervosität auch. Ein Zwanni war nicht besonders viel, reichte gerade mal für eine Achterbahnfahrt zu zweit und ne Wurst mit Cola. „Wenn du erlaubst, würde ich dich gern einladen“ versuchte Noah sich an einem zweiten Friedensangebot. „Du bist ja nur mitgekommen, weil Sareth eh auf dem Weg hierher war. Wir haben dir keine Wahl gelassen. Also ist es nur recht, wenn du unser Gast bist. Sari ist ja auch unser Gast.“ „Ich brauche das nicht. Mir gibt das hier nichts.“ Er blickte zurück ins wilde Wasser und ballte die Fäuste in den Hosentaschen, knirschte mit den Zähnen. „Trotzdem wollte ich nicht unhöflich werden. Sie sind sehr freundlich, Mr. Kaiba.“ „Dann tue mir wenigstens den Gefallen und nenne mich Noah“ bat er und streckte ihm die Hand hin. „Okay?“ „Okay“ murmelte er und erwiderte den Händedruck. Noah bemerkte wie viel Druck seine recht dünnen Finger aufbauten. Ediths labbriges und klappriges Äußeres täuschte. Allein am Händedruck spürte er, dass der Junge mehr Kraft hatte als man es ihm zutraute. „Gut, ich glaube, wir gehen uns mal das Fotofinish ansehen.“ Noah wechselte elegant das Thema und schob den Kinderwagen die Eisenstufe hinauf, um dann zur Seite zu gehen. Dort an der Kassenecke waren fünf Monitore mit den obligatorischen Bildern in schlechter Qualität, welche man zu einem überteuerten Preis erstehen konnte. Doch das gehörte zum Jahrmarkt einfach dazu. Zumal sowohl Mokuba als auch Sareth zum Weglaufen aussahen. Mokubas langes Haar wehte ihm ins Gesicht und es sah aus als hätte er einen zu langen Schnurrbart. Und dass er Sareth dabei am Kleid zog, hatte er wohl nicht bemerkt. Sie wohl ebenso wenig, denn ihr Gesicht war vom Lachschreien verzogen und der Kopf so weit herab gebeugt und seitwärts gelegt, dass sie ein Doppelkinn bekam. Ein wirklich schlechtes Foto - so wie es sich gehörte. „Boah, ich glaube, wir müssen noch mal fahren“ lachte Mokuba als er mit Sareth die Monitore erreichte. „Wir sehen ziemlich schlecht aus.“ „Schlecht ist untertrieben“ lachte auch sie beschämt. „Mir fällt da ein anderes Wort mit SCH ein.“ „Ja, das passt auch. Mann, ich bin total nass.“ Er strich sein feuchtes Haar mit beiden Händen zurück und trat seitwärts bis er voll in der Sonne stand. „Das ist nur, weil du mich gezwungen hast, hinten zu sitzen. Deswegen ist mein ganzer Rücken nass.“ „Nöhl nicht rum, Onkel Moki, ich bin eine Lady. Das hast du doch gern für mich getan.“ „Noah“ seufzte Mokuba erleichtert. „Ich bin so froh, dass du ein Mann bist.“ „Ein Mann mit Beweisfotos“ grinste der und drehte sich um. In seiner Hand gleich drei Schreckensbilder im Papierrahmen. „Och nee. Die hast du jetzt nicht echt gekauft.“ „Das sind Andenken ersten Grades“ beschloss er und steckte sie in die Tasche des Buggys. „Eins für Sari, eins für Edith und eins für uns. Damit wir in schlechten Zeiten was zum Lachen haben.“ „Hase, das ist so ne Geldverschwendung.“ „Ist es nicht. Das nennt man Investition in die Zukunft, mein Häschen.“ „Sag mal, spielen wir hier verkehrte Welt? Ich dachte immer, nur ich gebe Geld für Mist aus.“ „Du sagtest doch eben, ich solle nicht alles so ernst sehen.“ „Das heißt aber nicht, dass du … haach manno. Kannst du für das Geld nicht lieber ein paar Patente anmelden oder was du sonst so machst?“ „Jetzt gerade nicht, ich bin privat. Komm nun, du blockierst den Verkehr.“ Er nahm Mokuba am Arm und zog ihn weiter, da noch andere Leute ihre Fotos ansehen wollten. „Dann spende das Geld doch lieber. Setos Stiftung freut sich’n Keks.“ „Ich muss Andenken für unser Familienalbum sammeln. Dafür hätte sogar unser Bruder Verständnis.“ „Ach Mann, Noah. Sari, sag du doch auch mal was!“ Doch Sareth und Edith waren bereits vorgelaufen und interessierten sich mehr füreinander als für die frotzelnden Onkels. An der nächsten Station sah Noah sich jedoch tatsächlich der Gelegenheit nahe, eine gute Tat zu begehen, ohne offenkundig wohltätig zu sein. Auf ganz subtile Art. Während Mokuba sich an einer Bude anstellte, um Getränke zu besorgen, musste der Rest warten. Zufälligerweise direkt neben einem Schießstand. Und sobald Ediths Blick dorthin schweifte, startete Noah sein Spiel. „Kannst du das?“ wollte er wissen und unterbrach das stockende Gespräch der beiden. „Geht so“ antwortete Edith trocken. „Und was heißt ‚geht so‘ genau? Gut oder schlecht?“ „Gut“ antwortete er erneut mit größerem Ernst. „Ziemlich gut.“ „Was hältst du von einem Duell? Ich bin nämlich auch ziemlich gut im Zielen.“ „Das sollten Sie lassen“ meinte er und drehte sich zu ihm herum, blickte herablassend zu ihm auf. „Du“ wiederholte Noah nochmals freundlich. „Du wolltest mich duzen.“ „Natürlich. Also, DU solltest es lassen, mich herauszufordern.“ „Warum? Hast du Angst, ich könnte es besser können als du?“ „Wohl kaum“ murmelte er und steckte schon wieder die Hände in die Jeans. Doch dieses Mal etwas entspannter in seine Hintertaschen. Noahs Hobbypsychologie sagte ihm anhand der Körperhaltung, dass er da einen Nerv getroffen hatte. Edith war einem Wetteifern also nicht abgeneigt. „Okay, machen wir ein Spiel“ schlug er vor und schob die Kinderkarre zu Sareth, welche sich das alles erst mal nur ansah und versuchte hinter das merkwürdige Verhalten ihres Onkels zu kommen. „Wir machen’s wie Männer und spielen um Geld.“ „Das ist nicht komisch“ zischte er und senkte sein Kinn bedrohlich herab. „Verstehe, du bist kein Spieler. Dennoch, sagen wir mal, jeder bekommt drei Schuss. Wer am besten trifft, hat gewonnen. Du setzt einen Zehner und ich multipliziere die Summe. Dann ist es fair.“ Edith sah ihn prüfend an. Sehr prüfend. Seine Augen sagten, dass er in diesem Moment sehr genau nachdachte. Nur Sareth schaltete. „Das bedeutet Noah setzt einen Hunderter.“ Denn der konnte nicht wissen, dass Edith bei seinem Schulwissen auf dem Stand einer zweiten Klasse war und im Kopf nicht multiplizieren konnte. „Das ist viel Geld“ raunte er mit einem merkwürdigen Unterton. Er klang etwas verärgert. „Aber ich brauche deine Spenden nicht. Ich kann prima für mich selbst sorgen.“ „Oh, das ist keine Spende. Ich bin wirklich ziemlich von mir überzeugt“ erwiderte er mit einem freundlichen Ernst. „Ich habe an der Universität eine Weile gefochten und daher ein gutes Auge. Außerdem gibt es kaum jemanden, der mich im Darten schlagen könnte. Da kann so ein Luftgewehr kein großes Hindernis sein.“ „Dann solltest du vielleicht lieber gegen mich darten. Alles andere wäre unfair.“ „Unfair? Warum?“ „Ich bin ausgebildeter Scharfschütze“ eröffnete Edith und wenn er das sagte, klang das nicht wie ein Scherz. „Die Wahrscheinlichkeit, dass ich besser bin als du, ist sehr hoch.“ „Kann ich mir kaum vorstellen. Ich habe großes Vertrauen in meine Fähigkeiten.“ „Was schnackt ihr denn hier?“ Mokuba balancierte vier Becher herüber und drückte Sareth erst mal zwei davon in die Hand. „Zwei Cola, richtig? Hase, Sprudelwasser? Zitrone gab’s nicht, nur Eiswürfel. Die Tusse war nicht begeistert, dass wir auch noch Sonderwünsche anmelden, aber ich finde für den Preis kann sie auch Eiswürfel rausrücken. Blöde Kuh.“ „Onkel Noah und Edith wollen sich am Schießstand duellieren“ brachte sie ihn sofort auf den aktuellen Stand. „Um Geld.“ „Ei, das ist aber unfair“ meinte Mokuba und zog seine Augenbrauen zusammen als er Noah ansah. „Hase, das ist fies. Du kannst den Kleinen doch nicht abzocken.“ „Mich zockt so schnell keiner ab.“ Edith rettete seine Ehre und zog dafür sogar die Hände aus den Taschen. „Okay, Kaiba. Drei Schuss ins Bulls Eye. Wer besser trifft, gewinnt.“ „Das solltest du dir überlegen“ riet Mokuba, der gar nicht ahnte, wie gut Edith höchstwahrscheinlich war. „Noah hat ein verdammt gutes Auge und ne ruhige Hand. Er hat meinen Bruder mal im Fechten geschlagen.“ „Ein Säbel ist was anderes als ein Gewehr.“ „Ich war zwar eher Meister mit dem Florett, aber ein Gewehr kann ich auch noch halten“ war Noah sicher. Auch wenn er Edith das Geld gönnte, würde der es sich erarbeiten müssen. So viel Stolz besaß er, dass er sich nicht ohne Gegenwehr von einem Teenager besiegen ließ. „Wir werfen eine Münze darum, wer beginnt. Häschen?“ „Kinderquäler“ murmelte er, stellte seine Becher auf den Boden und holte etwas Kleingeld aus der Hosentasche, wovon er das größte Stück wählte. „Edith, Kopf oder Zahl?“ „Kopf.“ „Dann kriegt Noah Zahl.“ Er nahm die Münze in beide hohlen Hände, schüttelte und klappte sie dann auf seinen Handrücken, lugte und konnte verkünden: „Zahl. Der Hase fängt an.“ „So habe ich mir das vorgestellt.“ Er schritt voran und führte die anderen im Schlepptau hinüber zum Schießstand, wo eben der letzte Herr eine Plastikrose für seine Tochter entgegennahm. „Zwei mal drei Schuss, bitte.“ Er legte der bierbäuchigen Halbglatze mit Totenkopfshirt einen Geldschein hin. Der Budenbesitzer sah prüfend an der hohen, schlanken Gestalt Noahs entlang und prüfte auch die anderen. Komische Truppe. Zu vorderst ein edler Herr mit Leinenhose, Bügelhemd und Markensonnenbrille - Modell neureicher Schnösel. Ein Mädchen mit Locken und indischer Tracht - Modell Overdressed. Ein schlicht schwarz gekleidetes Wesen mit langem Haar - Modell Möchtegerngoth. Und ein arrogant dreinschauender, aber verlotterter Teenager - Modell Straßenjunkie. Und mittendrin ein schlummerndes Kleinkind mit Teddybär auf der Mütze. Eine mehr als merkwürdige Zusammenwürfelung von Individuen. Aber Kunde war Kunde, jeder Schuss ein Geldschein. „Klar“ murmelte er, nahm ein Luftschussgewähr und lud es mit drei Patronen, bevor er es Noah hinlegte. „Worauf wollen Sie schießen? Häschen oder Scheibe?“ „Ich schieße nicht auf Häschen“ schmunzelte er und zwinkerte Mokuba über die Schulter zu, nahm das Gewehr und legte es an die Schulter. „Dann ist das Ihre“ zeigte der Budenmann und wies ihm eine der kleinen Zielscheiben zu, wo er in diesem Moment eine ockergelbe Karte einhängte. In der Mitte ein kleiner, schwarzer Punkt, den es zu treffen galt. Drum herum Ringe, aus denen er dann die Treffsicherheit ermitteln konnte. „Sehet und staunet.“ Noah senkte den Kopf und blickte durch den Sucher. Er zielte einige Sekunden mit ruhiger Hand und gab dann einen Schuss ab. Auf der gelben Karte war zu erkennen, dass er nicht ganz einen Zentimeter neben der Mitte getroffen hatte und das war für’s erste Mal doch gar nicht schlecht. „Super, Hase!“ lobte Mokuba. Auf der einen Seite freute er sich übers Noahs Begabung, auf der anderen bedauerte er den Herausforderer. „Ich habe gewusst, du kannst das.“ „Bin halt ein Naturtalent. Zieh dich warm an, Kleiner. Der nächste geht in die Mitte.“ Er setzte noch mal neu an, senkte den Kopf und visierte erneut. „Glaub ich kaum“ murmelte jedoch Edith und trat auf Noah zu, hielt ihn vom Schuss ab. „Darf ich dir mal helfen?“ „Helfen? Du siehst doch, dass ich treffe.“ „Das ist nicht mit anzusehen, was du da machst.“ Er nahm erst mal den Lauf des Gewehres und hielt ihn fest. „Stell dich richtig hin, Füße auseinander, das ist hier kein Schönheitswettbewerb.“ Mokuba musste sich ein Lachen verkneifen und Sareth wusste gar nicht, was sie davon halten sollte, aber Noah tat einfach mal perplex, was ihm gesagt wurde und nahm die Füße auseinander. So direkt wurden ihm sonst nie Befehle erteilt. Eigentlich wurden ihm niemals Befehle erteilt … außer von Mokuba vielleicht. „Und jetzt mach den Rücken gerade, stell dich aufrecht hin.“ Noah machte sich groß und nahm die Schultern zurück. „Und dann den Sucher zum Auge, nicht umgekehrt.“ Edith hob ihm das Gewehr hinauf, legte es an die Schulter, damit Noah beim Schießen keinen Buckel machte. „Und dann die Hand nicht vorn an den Lauf. Das ist ein Luftgewähr und keine Panzerfaust.“ Er schob Noahs Hand etwas weiter zurück und ging dann einen Schritt fort. „Und wenn du anvisierst, halt die Luft an. Atme langsam aus, wenn du abdrückst, dann ist deine Haltung ruhiger. Und nicht den Kopf runter. Bei so einer kleinen Waffe, gibt’s keinen nennenswerten Rückstoß.“ Noah wartete das erst mal ab und versuchte es so. Er hielt sich gerade, zielte einige Sekunden, stoppte den Atem und drückte dann ab. Und der nächste Schuss ging tatsächlich fast in die Mitte. Es fehlte nur noch ein Millimeter. „Was ein bisschen Haltung doch ändern kann“ lächelte er stolz auf sich selbst und versuchte es gleich nochmal. Und schon beim dritten Schuss traf die Kugel genau ins Schwarze. Noah hatte soeben gelernt, mit einem Gewehr umzugehen und auch noch zielsicher zu treffen. „Also, beim nächsten Treffen des Schützenvereins blamiere ich mich sicher nicht“ nickte er zufrieden und gab das Gewehr zurück. „Wollen Sie die Karte haben?“ fragte der Budenbesitzer und stellte ihm nebenbei eine Schachtel mit Kleinkram hin. Trostpreise für die, die nur ein Mal getroffen hatten. „Klar, für’s Familienalbum“ meinte Mokuba und schnappte dem dicken Budenbesitzer die Karte schon aus den Händen. „So, Edith. Jetzt zeig mal, ob du das besser kannst.“ „Ich sagte doch, dass ich es besser kann“ meinte der und wollte das Gewehr entgegennehmen, welches der Bierbauch nachgeladen hatte. Doch er bekam es nicht, stattdessen wurde gezögert. „Bist du denn schon 16?“ wollte er wissen und betrachtete den Jungen eingängig. „Klar“ meinte Edith und man sah ihm die Lüge nicht mal an. „Kann ich mal deinen Ausweis sehen?“ Aber das war ein Problem. Edith war doch erst 15 geworden und das stand auf seinem Kinderausweis auch drauf. Dabei war der Gebrauch von Waffen, selbst wenn es nur ein Luftschussgewähr auf dem Jahrmarkt war, in Blekinge frühestens ab 16 erlaubt. „Hab ich vergessen. Meinen Führerschein auch.“ Edith pokerte hoch. Obwohl er noch recht jung war, sah er eigentlich älter aus. Und einen Führerschein hatte man bekanntlich auch erst ab der Volljährigkeit. „Außerdem ist er ja in Begleitung von Aufsichtspersonen“ argumentierte Noah. Nicht nur dieses gute Argument, sondern auch der Hunderter, den er versteckt mit der Kiste der Trostpreise zurückschob, waren ein gutes Mittel zur Überzeugung. „Ich verbürge mich für mein Mündel.“ „Na gut, wir sind ja keine Korinthenkacker“ meinte dann der Dicke und steckte das Geld ein, bevor er eine neue gelbe Karte einhängte. „Dann mal viel Glück, Junge.“ „Glück ist was für Verlierer.“ Er nahm das Gewehr vom Tisch und war wesentlich schneller bei der Sache als Noah. Er stellte sich in einen festen, geraden Stand, legte die Waffe sofort an, blickte nach vorn und drückte drei mal hintereinander ab. Das Ganze dauerte keine fünf Sekunden und er legte das Gewehr wieder zurück. Ein Blick auf die Karte bestätigte: „Drei Mal ins Schwarze“ staunte der Budenbesitzer, nahm die Karte aus der Halterung und besah sie noch einen Moment. Doch er musste es wohl glauben - der verlotterte Kerl hatte zielsicher drei Mal getroffen. Der brauchte kein Glück. „Wow, Edith!“ staunte Sareth, nahm ihn am Arm und blickte ihm bewundernd in die Augen. „Das war richtig gut.“ „Ich habe doch gesagt, dass ich Scharfschütze bin … war.“ Und früher hatte er mit Sicherheit auf andere Ziele geschossen. „Okay, du hast berechtigt gewonnen“ musste Noah zugeben und verglich die beiden Karten miteinander bis er sie entschlossen an Dante gab, der seine Hände danach ausstreckte. Dass der Kleine bei dem Lärm aufgewacht war, fiel ihm gar nicht sofort auf. „Ich habe ja geahnt, dass du gut bist, aber so haushoch zu verlieren, deprimiert mich ja doch.“ „Mach dir nix draus, Kaiba. Gegen mich verliert jeder.“ „Tröstet mich auch nicht viel mehr.“ Seufzend zückte er seine Brieftasche, zog ein paar Scheine heraus und streckte sie ihm entgegen. „Lass mal, ist okay.“ Doch Edith nahm sie nicht. „Deine Almosen kannst du dir in den Arsch schieben.“ „Oh, mach dir keine Illusionen, mein Freund“ schmunzelte er und steckte ihm die Scheinchen ganz frech in die Gesäßtasche. „Nächstes Jahr treffen wir uns wieder und dann wollen wir mal sehen, wer besser ist.“ Er klopfte ihm auf die Hintertasche und dann noch einmal auf die Schulter, bevor er sich Mokubas dolchenden Blicken gegenübersah. Das würde nachher eine gehörige Standpauke geben. „Kommt, Kinder.“ „Ey, warte mal, Kleiner“ fuhr der Budenbesitzer schnell dazwischen. „Du hast drei Mal ins Schwarze getroffen, du hast freie Auswahl.“ „Stimmt, du hast den Hauptgewinn“ freute auch Sareth sich und wies nach oben auf die vielen Stofftiere, Schwarzweißfernseher und Sektflaschen. „Du kannst dir was aussuchen.“ „Da gibt’s doch nur Mist“ antwortete er in der Tonart als hätte man ihn persönlich beleidigt. „Was soll man denn davon haben wollen?“ „Daaaaaa~haaaaaa!“ quietschte Dante und streckte seine Arme aus. Genau wie Mokuba es prophezeit hatte, entdeckte er den dicken, grünen Plüschfrosch und hatte sich sofort verliebt. „Nooaahh! EIN FRUSCH! EIN FRUUUUUSCH!“ Äußerlich knickte nur Noahs Kopf nach vorn, innerlich brach alles zusammen. Der Moment der Wahrheit war gekommen. Jetzt musste er sich vor Mokuba behaupten und Dante erklären, dass zuhause mehr als genug Stofftiere auf ihn warteten. „Wie macht denn der Frosch?“ fragte Edith den Kleinen. „QUUUUUUAAAAAAK!“ Und seine Augen wurden hellgrün, leuchteten von innen heraus. „Der Frusch!“ Edith zeigte nach oben, bekam den überdimensionierten Frosch und stopfte ihn in die Kinderkarre. Dante war darunter gar nicht mehr zu sehen, nur seine kleinen Beinchen, die glücklich wackelten. Jetzt hatte er schon wieder seinen Willen durchbekommen. „Er hätte vielleicht doch lieber was für Sari aussuchen sollen“ flüsterte Mokuba Noah zu. Er gönnte Dante den Frosch zwar, aber ein Plüschherz für die Angebetete wäre angebrachter. „Aahh, du hast Dante einen Frosch gewonnen!“ quiekte Sareth und hängte sich entzückt in seinen Arm. „Du bist so süß, Edith!“ „Weißt du was?“ schmunzelte Noah leise zurück. „Der Kerl könnte zum Wiener Opernball im Tarzankostüm gehen und dabei die Tonleiter furzen und Sareth würde das süß finden.“ „Hast Recht“ musste er zustimmen und nahm Noahs Hand. „Verliebte sind alle Psychoten. Aber für Dante ist es ja prima gelaufen.“ „Anscheinend.“ Der kicherte und knuddelte noch immer. Noch mindestens fünf Minuten bis ihm der Frosch zu schwer und zu warm werden würde. „Da hat er Glück gehabt, ich hätte ihm das Ding nicht gekauft.“ „Wirklich? Hättest du nicht?“ „Lass uns weitergehen, sonst stehen wir hier morgen noch.“ „Hase?“ „Häschen?“ „Warte mal.“ Er hielt ihn fest und blieb stur stehen, sah ihn ernst an. „Los, küss mich.“ „Dafür brauchst du nicht so verbissen schauen, Süßer“ lächelte er, legte ihm die Arme um die Hüften und gab ihm einen zärtlichen, langsamen Kuss. Zwar standen sie mitten im Weg und blockierten den Strom der Fußgänger, aber das war temporär zweitrangig. Wenn Mokuba geküsst werden wollte, musste er geküsst werden. Das war ein Naturgesetz. „Und jetzt, mein Hase“ flüsterte Mokuba und griff mit beiden Händen bestimmt an Noahs Pobacken, „lässt du die Finger von den Ärschen anderer Jungs, klar? Sonst mache ich dir hier mitten auf dem Glorienplatz ne Szene wie es sie in keiner deiner Seifenopern jemals gegeben hat. Angekommen?” „Du kannst gern ne Szene machen, Schnucki“ lächelte Noah und hauchte ihm verliebt ins Ohr. „Dann steht das morgen in der Zeitung und ich habe noch was fürs Familienalbum.“ „Darf ich dann dem Reporter auch sagen, dass du abgehst wie ein Kater auf Baldrian, wenn man dir die Eier krault?“ „Wenn du riskierst, dass er es ausprobieren will, nur zu.“ „Gut, dann erzähle ich ihm auch, dass du dich beim Sex anhörst wie ein röhrender Hirsch.“ „Also, das wäre jetzt aber gelogen.“ Und dazu sehr rufschädigend so etwas aus der Luft Gegriffenes zu behaupten. „Ist ja egal. Ich erzähl’s ihm einfach. Ich erzähle alles, was deine Fans schon immer wissen wollten und nur nie zu fragen wagten.“ Mokuba ließ ihn los und schmatzte einen Kuss auf sein Kinn. „Also sei so gut und vergiss nicht, wer dir zuhause die Eier krault, mein röhrender Schatz.“ „Ich röhre nicht!“ Aber Mokuba wackelte bereits mit seinem Arsch weiter und wusste genau: In ihm hatte der große Noah seinen wahren Meister gefunden. So lief er also den anderen hinterher und fragte sich, was es eigentlich noch gleich war, weshalb er sich in Mokuba verliebt hatte. Seine Naivität … na ja, die war irgendwie verschwunden. Sein unschuldiger Blick … auch irgendwie erwachsen geworden. Seine verspielte Anschmiegsamkeit … ??? … das war Jahre her. Eigentlich war Mokuba heute ein ganz anderer Mensch als früher. Er war herrisch, dickköpfig, aufsässig, bockig und nicht zuletzt krankhaft eifersüchtig. Kaum eine Spur von dem süßen Wirbelwind von damals. Aber irgendwie musste Noah dabei lächeln. Wenn er seine stärksten Charaktereigenschaften aufzählte, klang das so negativ, aber er liebte genau das an ihm. Mit einem angepassten Liebchen könnte er wenig anfangen. Er brauchte Mokuba wie die Luft zum Atmen. Jemanden der darauf pfiff wie intelligent er war oder wie viel Geld er hatte. Und er war so schrecklich hübsch, wenn er sich so wie jetzt nach ihm umdrehte, sein langes Haar im Licht glänzte und sich die schlanke Statur von der bunten Welt abhob. Wie eine Elster zwischen Pfauen wirkte er dort von im Strom der Passanten und forderte ihn mit einer Handbewegung auf, den Buggy mal etwas schneller zu schieben. Mokuba war einmalig. „Ich muss Pippi.“ Durch den Lärm des Kettenkarussells erreichte Dantes Problem sein Ohr. Ihn durfte Noah in seiner Aufzählung nicht vergessen. Dante war alles, was Mokuba und ihm fehlte. Etwas, was man sich nicht erarbeiten und nicht kaufen konnte. In diesem merkwürdig normalen Moment nahm er erstmals wahr, dass sie nun zu dritt waren. Und dies zu realisieren, fühlte sich ungewohnt an. Unpassend und beängstigend endgültig. Es war dennoch ein schönes Gefühl. Befriedigend und wie der Beginn von etwas. Und wenn Dante ihm sein kleines Bedürfnis kundtat, fühlte er sich das erste Mal nicht bedrängt oder verpflichtet. Er verspürte erstmals Vatergefühle. In diesem merkwürdigen Moment. „Sehr doll?“ Danach würde er dann entscheiden ob er eine Toilette suchen ging oder einen Busch. „Ich muss mal ummie Ecke.“ „Na gut, dann steh lieber schon mal auf.“ Er griff herum und öffnete den Sitzgurt, nahm ihm auch den Frosch ab, damit der Kleine rausrutschen konnte und nicht eventuell noch mehr als nur seine Hose nassmachte. Den riesigen Frosch setzte Noah zurück und sah schon, dass die Pippi-Meldung nicht zu früh kam. Der Süße kniff schon die Knie zusammen. „Komm, wir laufen.“ Er nahm Dante an der Hand und zog ihn im Schnellschritt hinter sich her. Er bemerkte, dass Edith sein Geld bereits in einen Liebesapfel für Sareth investierte. Direkt vor dem Verkaufsstand prangten auf lautem Rotpfeil schon die rettenden zwei Lettern: WC. „Wer kommt in meine Arme?“ rief Mokuba und sofort löste Dante seine Hand und lief etwas schiefbeinig auf ihn zu, ließ sich auffangen und im Kreis drehen, bevor er lachend wieder abgesetzt wurde. Und natürlich blieb auch Mokuba die verkniffene Haltung nicht verborgen. „Danti, musst du mal um die Ecke?“ „Ja“ nickte er und drückte die Beine zusammen. „Doll.“ „Da lang, ich hab’s schon gesehen.“ Noah übergab Mokuba die Karrengewalt und ging schon mal vor. „Zwerg, komm.“ „Geht nich“ keuchte er und hielt sich den Schritt. „Lieber nich mehr laufen, Süßer.“ Da kam ihm eine Erinnerung an etwas, was er eigentlich lange vergessen hatte. Seine Mama und Gordon hatten ihm damals auch auf diese Weise ausgeholfen, bevor er alt genug war, um Gewalt über seine Blase zu erlangen. „Weißt du, was da gut hilft?“ lächelte er ihn an und hielt ihm die Hand hin. „Der Kaiba-Tanz.“ „Häh?“ guckte der Kleine ihn an. Damit konnte er verständlicherweise nicht viel anfangen. „Ja, wirklich. Guck.“ Er kniff die Knie zusammen und wackelte mit dem Arsch. Abgesehen davon, dass Noah dabei äußerst albern aussah, lachte nur Mokuba sich gleich Schrott, aber Dante nahm das für bare Münze. Auch das Schwenken von zwei erhobenen Fingern machte Noahs Tanz nicht ansehnlicher, aber wenn’s half. „Da muss man gar nicht mehr so doll“ erklärte er und tanzte davon. „Komm, Süßer. Gleich hast du’s geschafft.“ „Da muss man gar nicht mehr so doll“ wiederholte er und tanzte ihm nach bis er seine ausgestreckte Hand erreichte und beide zusammen den kleinen Weg entlang bis in den Toilettencontainer wackelten. Bei feuchten Nöten kam man auf diese Art also vorwärts und trocken ans Ziel. Gar nicht dumm. „Und da behaupte mal jemand, nur ich bringe ihm Quatsch bei.“ Mokuba schüttelte den Kopf. Dieses Benehmen war für Noah total untypisch. „Was bitte war das denn?“ fragte Sareth. Sie hatte ihren Liebesapfel schon angebissen und blickte den beiden kauend nach. „Das war dann wohl der Kaiba-Tanz“ lachte Mokuba und machte sich daran, den Frosch im Buggy festzuschnallen. „Also, mit Dante will ich später nicht in die Disco gehen.“ „Ich wusste gar nicht, dass Onkel Noah so albern sein kann. Halt mal, bitte.“ Sie drückte Edith ihren Apfel in die Hand und raffte das zausige Haar zusammen. „Und was hast du jetzt vor?“ wollte er wissen, da sie sich von ihm entfernte. „Ich werde auch mal tanzen gehen. Lauf ja nicht weg, Edi.“ „Du holst mich ja doch ein“ meinte er und bekam noch ein Lächeln von ihr, bevor sie sich an die Schlange vor dem Container für Damen anstellte. Aus der Ferne begegnete sie seinem Blick immer wieder, schlug verlegen die Augen nieder und blickte wieder zu ihm bis sie mit roten Wangen endlich dem Stau der anderen Frauen durch die offene Tür verschwand. „Warum küsst du sie nicht einfach?“ „Was?“ Edith fuhr herum und hatte gar nicht bemerkt, dass Mokuba bereits eine Weile neben ihm stand und sich die Zeit mit einer Zigarette vertrieb. „Warum du sie nicht küsst“ wiederholte er ernst. „Sie scharwenzelt um dich herum und du tust so als könntest du mit nem Mädchen nichts anfangen.“ „Kann ich sehr wohl!“ „Na, wenigstens hast du ihr nen Liebesapfel gekauft“ nickte er zufrieden und zog an seiner Kippe. „Sie hatte Hunger. Nur deshalb.“ „Ich an deiner Stelle würde sie aber einfach mal in den Arm nehmen und bei Gelegenheit ordentlich abknutschen.“ „Ich bin aber nicht du.“ „Aber du steckst auch nicht in den anderen Kerlen drin“ erwiderte er und sah ihn ernst an. „Siehst du die Typen da hinten?“ Er zeigte versteckt mit dem Finger zum Kettenkarussell, wo vier Jungs standen, die immer mal wieder zu ihnen sahen und eindeutig irgendwas besprachen, was mit ihnen in Verbindung stehen musste - so auffällig wie die immer wieder guckten. „Die schauen schon ne ganze Weile hinter Sari her. Besonders der mit der grünen Mütze.“ „Du hast Halluzinationen.“ „Kann sein. Ich wollt’s dir nur sagen.“ Er zuckte mit den Schultern und schnippte die Asche zu Boden. „Sari ist ein hübsches Ding und strahlt von innen heraus. Sie ist nicht wie andere Mädchen, sie ist etwas besonderes. Früher oder später bekommst du Konkurrenz.“ „Pfff.“ Er verschränkte die Arme, aber warf dennoch einen kritischen Blick zu den jungen Herren herüber, welche sich ein paar Meter bis zum nächsten Süßigkeitenstand bewegten. „Sareth sagt schon bescheid, wenn sie was will.“ „Wie deutlich soll sie denn noch werden?“ Mokuba fiel gleich vom Glauben ab. Konnte jemand wirklich so blind sein? „Sie läuft ein paar Meter vor uns, um mit dir allein zu sein, nimmt deine Hand, hängt sich in deinen Arm, bewundert dich. Also, wenn sie noch deutlicher wird, fällt das unter sexuelle Belästigung. Und du legst nicht mal den Arm um sie. Ich frage mich ehrlich, ob du überhaupt aufgeklärt wurdest.“ „Ich weiß sehr wohl wie das ist … mit den Jungs und den Mädchen.“ Das war ihm peinlich, er lief hochrot an. „Aber das … das ist nicht so einfach wie du denkst.“ „Wo genau liegt denn dein Problem? Magst du sie nicht anfassen?“ „Doch … deswegen ja.“ „Hast du Angst, dass du nicht gut küsst?“ „Nein. Das letzte Mal hat sie sich auch nicht beschwert.“ „Das letzte Mal?“ Oh? War das etwas, was er nicht wusste? „Ihr habt schon geknutscht?“ „Das geht dich gar nichts an!“ „Wo denn?“ „Das geht dich nichts an, Kaiba!“ „Na, dann ist doch alles klar.“ Er schlug ihm auf die Schulter und lachte. „Warum tust du dann so als ob du von nichts ne Ahnung hast? Ist es etwa, weil Noah und ich dabei sind? Du schämst dich doch wohl nicht?“ „Na ja, störend seid ihr Alten ja schon.“ Da sagte er so ernst, dass Mokuba erst mal das Lachen verging und er auch die Hand von der Schulter nahm. „Okay.“ Er zog an seiner Zigarette und blickte stur nach vorn. „Dann könnt ihr ja gleich rechts rum gehen und wir gehen links rum.“ Alt? Er? Das war frech. Das musste er sich nicht anhören. Er wollte nett sein, aber der letzte Kommentar ging zu weit. „Nein, das hast du jetzt falsch verstanden.“ Edith senkte den Kopf und blickte ebenfalls in eine andere Richtung. „Ich meine, ihr Onkels seid irgendwie komisch.“ „Inwiefern komisch?“ „Ihr … ich weiß ja nicht, aber ihr seid irgendwie aufdringlich. Erst fragt er mich aus und dann du. Ich meine, ich löchere euch ja auch nicht mit privaten Sachen, also lasst mich doch einfach in Ruhe.“ „Soll ich dir mal sagen, warum wir uns so engagieren?“ Mokuba zog an seiner Zigarette und atmete langsam aus, bevor er ihn mit dem kleinen Finger bedrohte und durchdringend ansah. „Wir wissen gar nichts von dir, mein Freund, außer dass du wohl aus dem Zirkel kommst und Windmagier bist. Ich persönlich will nicht nur wissen, mit wem sich Sari abgibt, sondern auch was mit dir los ist. Ich will dich kennen lernen und weil ich das Gefühl habe, dass du es mit Sari echt ernst meinst und sie mit dir, will ich dir einen Schubs in die richtige Richtung geben. Ich weiß nicht, was du früher so erlebt hast, also frage ich einfach. Wenn du sagst, dass dich das stört, ist das okay. Aber man muss ja überhaupt erst mal reden.“ „Ich bin nicht so gut beim Reden.“ „Macht ja nix.“ Er kniete nieder und drückte seine Zigarette aus. „Ich finde dich trotzdem irgendwie okay. Bist es nicht gewohnt, dass man nett zu dir ist, was?“ Er beförderte die Kippe in den Mülleimer und sah ihn ernst an. „Oder?“ „Du bist nicht mein Sozialarbeiter. Ich muss nicht mir dir reden.“ „Stimmt. Aber dann sei nicht sauer, wenn ich alleine rede.“ „Du bist ganz schön nervig.“ „Ich weiß.“ Das hatte er schön öfter von ganz anderen Leuten gehört. „Aber wenn mir was in den Kopf kommt und ich bin der Meinung, es muss gesagt werden, dann sage ich es. Ich will mich bei dir auch nicht einmischen, aber ich will dir mal sagen, dass du dir mit Sari nicht gerade ein normales Mädchen ausgesucht hast.“ „Das weiß ich auch.“ So langsam ging ihm diese Unterhaltung auf die Nerven. „Nicht nur, dass sie aus der Zukunft kommt und die Enkelin vom Pharao ist. Sie ist auch ein Drache und wenn sie sich erst in dich verliebt hat, dann hält das ein Leben lang. Und wenn du sie am langen Arm verhungern lässt, wird das sehr unschöne Folgen haben. Drachen sind was das angeht, extremer als normale Menschen. Wenn du ihr Balzen nicht bald erwiderst, wird sie das sehr persönlich nehmen.“ „Ich habe von Drachen keine Ahnung“ antwortete er mit verengten Augen. „Aber wenn ich mache, was du sagst, dann gibt’s auch Probleme.“ „Ach? Aha. Warum?“ „Weil sie ein Mädchen ist und Mädchen bedrängt man nicht.“ „Mein lieber Edith.“ Obwohl der das so ernst sagte, musste Mokuba lachen. Der Kerl war doch echt unglaublich. „Merkst du gar nicht, wer hier von wem bedrängt wird?“ „Du hast doch gar keine Ahnung! Nur weil sie mal bei mir rumhängt, heißt das noch lange nicht, dass ich ihr auf die Pelle rücken kann.“ „Ah, jetzt verstehe ich! Du hast Angst, dass sie dich wegstößt!“ „Du bist schwul, da ist das wahrscheinlich anders.“ Wie sollte er jemandem wie Mokuba bloß verständlich machen, dass das bei ihm etwas anderes war? „Ich kann nicht einfach bei einem Mädchen überall hinfassen. Das tut man nicht.“ „Einmal bin ich nicht schwul“ wollte er klarstellen. „Und zweimal kannst du auch bei Männern nicht überall hinfassen. Ich sage ja auch nicht, dass du an ihr rumgrapschen sollst. Aber sie mal in den Arm zu nehmen, tut doch keinem weh. Wenn sie das nicht will, kann sie sich doch rauswinden.“ „Vielleicht kann sie ja genau das nicht! Wenn ich mache, was ich will, will sie das vielleicht nicht und dann mache ich was kaputt, was alles kaputt macht. Und ich mache eh immer alles kaputt.“ „Das ist doch mal ein echter Einblick in dein Seelenleben.“ „Ach, du bist scheiße“ fluchte er und versenkte die Hände in den Taschen. Oder zumindest die eine, welche keinen angebissenen Liebesapfel hielt. „Lass mich einfach in Ruhe und führ dich nicht auf wie Supermann.“ „Und du halt mal die Luft an, ja? Ich versuche nur, nett zu sein.“ „Lass es.“ „Edith, sie liebt dich ganz offensichtlich. Das sieht jeder nur du nicht.“ Ganz offensichtlich hatte er das wirklich nicht gesehen. Umso größer wurden seine Augen als er Mokuba ansah und kein Anzeichen dafür sah, dass er scherzte. „Mann, sie hat sich voll in dich verschossen. So wie mit dir hat sie sich noch nie benommen. So direkt zu sein, ist sonst nicht ihre Art. Sie gibt sich richtig Mühe für dich, aber du lässt sie auflaufen. Und das ärgert mich, weil du das gar nicht siehst.“ „Hör doch auf, sie ist nicht verliebt in mich.“ „Mann, Edith!“ „Hast du mich mal angeguckt? Sie ist doch nur nett zu mir! So was darf man nicht ausnutzen.“ „Edith.“ Seufzend massierte er sich die Schläfen und rang um Ruhe. Der Kerl war doch echt so schwer von Begriff, dass er selbst den begriffsstutzigen Seto in den Schatten stellte. „Lassen wir das. Du kapierst es einfach nicht.“ „Ich weiß ja, dass sie mich vielleicht nett findet. Hat sie ja gesagt.“ Seine tiefe Stimme wurde noch tiefer und das Rot in seinem Gesicht ebenfalls. „Aber nur weil sie mich mal geküsst hat, heißt das noch lange nicht, dass sie was von mir will. Ihr lebt in einer ganz anderen Welt als ich. Ich werde ihre Freundlichkeit nicht falsch verstehen.“ „Überleg mal, was du gerade gesagt hast“ riet er mit besonnener Stimme. „Du sagst, sie küsst dich, ohne was von dir zu wollen. Hältst du sie etwa für eine Schlampe?“ „Nein, sie wollte nur nett sein, weil ich ihr leid tue. Entweder kapierst du das oder du lässt es sein.“ „Dasselbe gilt für dich, Mann. Aber lass dir von mir gesagt sein, dass sie sich nicht jedem so an den Hals wirft. Zu sehen, wie sie an dir rumbaggert, ist fast schon surreal. Ich hoffe nur, dass bei dir auch bald mal der Groschen fällt. Sie liebt dich, du liebst sie, wo ist dein Problem?“ Streit wollte Mokuba nicht provozieren, aber er hatte einfach das Bedürfnis, ihm mal bescheid zu stoßen. Vielleicht hätte er aber lieber Noah darum bitten sollen, der hatte ein diplomatischeres Händchen für solche Sachen. Deshalb war ja auch er die Briefkastentante der Familie und nicht Mokuba. Es entstand ein Moment des Schweigens. Er überlegte, ob er Edith nun vielleicht doch zu nahe getreten war. Irgendwie hatte er ja Recht, es war wirklich etwas unverschämt, sich in das Liebesleben fremder Leute einzumischen. Aber er war immerhin Sareths Onkel - also kein Fremder - und um ihr Wohl besorgt. Außerdem hätte ja auch Edith etwas einsichtiger sein können. Nein, Mokuba hatte sich nichts vorzuwerfen. Aus Prinzip schon nicht. „Wieder dahaaa!“ Dante hopste glücklich auf Mokuba zu. „Na super!“ Er fing den Kleinen auf und knutschte ihn. Er war gerade mal fünf Minuten weg gewesen und schon gab’s eine Wiedersehensszene. Dante war wirklich anhänglich. „Moki, ich hab Stehpippi gemacht. Kannst du das auch?“ „Alle echten Männer können das, Danti. Willkommen im Club.“ „Das wollen wir uns aber nicht angewöhnen“ warnte Noah sobald er die drei erreichte. „Das war nur wegen der unzureichenden Hygiene in diesen öffentlichen Pissoirs.“ „Ich finde Stehen cool“ meinte der Kleine breit grinsend. „Das is gemütlicher.“ „Ist es nicht. Das darf man nur, wenn … ach Mann …“ Aber Noah konnte nur seufzen. Das würde er ihm jetzt ein Leben lang nicht mehr abgewöhnen. Wenn ein Kerl erst mal auf den Geschmack gekommen war, gab’s kein Zurück mehr. Aber er als verantwortungsvoller Vater hatte ja keine Wahl. Entweder eine Armee von Viren und Bakterien fiel über den Kleinen her oder er legte die ersten Grundlagen des Machotums. „Willst du was essen, Süßer?“ „Nein, ich will noch nich hausegehen.“ „Wir müssen auch nicht nach hause gehen. Wir kaufen uns etwas.“ Noah griff ihn und nahm ihn auf den Arm. „Was möchtest du essen? Vielleicht eine Gurke?“ „POMMES!“ „War ja klar.“ Sobald Sareth also wieder zurück war, ging es auf zur nächsten Pommesbude. Noah blieb bei seiner gesunden Kost und bestellte sich ein paar gebratene Pilze und Wasser, Mokuba jedoch hatte wenig Schmerzen damit, sich die dickste Wurst zu bestellen und seine Riesenportion Pommes mit Cola runter zu spülen. Dante schaffte eh nur ein kleines Würstchen und eine Handvoll Pommes von Mokuba. Sareth versuchte mit einem Messer ihren Maiskolben zu schälen und somit ihr Gebiss sauber zu halten, denn es gab nichts schlimmeres als einen Maiskolben abzunagen ohne Zahnseide in der Nähe. Während Edith sich die Pilze in Rahmsauce genehmigte und die Art einen Maiskolben abzukratzen ziemlich schräg fand - aber dazu sagte er aus Höflichkeit nichts. Menschen mit guter Erziehung waren eben anders drauf. Alles in allem war so eine Pause am schattigen Stehtisch sehr erfrischend und Mokuba konnte mit Dante in Ruhe den weiteren Verlauf planen. Auf der Agenda standen Karussellfahren, Entenangeln und die Gruselbahn. Das Spiegellabyrinth für Noah wurde kurzerhand gestrichen und ganz zum Schluss war natürlich das Riesenrad das Sahnehäubchen. Sareth versuchte Dante zu erklären, dass das Riesenrad nicht zu einem Riesenauto gehörte, sondern ein Fahrgeschäft war, doch er verstand das nicht so recht. Hier gab es Riesenfrösche, warum sollte es nicht auch Riesenautos geben? „Entschuldige?“ Mokuba hatte es kommen sehen, doch Edith hatte es ja nicht geglaubt. Und nun war er da, der Junge mit der grünen Mütze. Und er sprach Sareth direkt an. Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn lächeln. Seine weiten Hosen, die lockeren Turnschuhe und das schlabbrige Shirt sagten, dass er wohl aus der Skaterecke oder dem Hiphop-Genre kam. Auch seine drei Freunde dahinter sahen ähnlich sportlich aus, wie Rapper bevor sie Gangster wurden. Einer davon mutete sogar eher wie ein Boxer an, kräftig und mit dunklem Gesichtsausdruck. Doch der Typ mit der schiefen, grünen Basecap machte eigentlich einen ganz netten Eindruck. Etwa 14, vielleicht 15 mit großen, braunen Augen und einem freundlichen Lächeln. „Entschuldigt, ich wollte nicht alle stören“ lachte er, sobald die Unterhaltung völlig zum Erliegen gekommen war. „Ich habe nur auf einen Moment gewartet, wo ich dich mal abpassen kann, aber der kommt irgendwie nicht.“ „Mich?“ Sareth sah nach hinten, aber da war niemand. Also sprach er wohl tatsächlich mit ihr. „Warum?“ „Ich wollte mich mal vorstellen.“ Er hielt ihr die Hand hin und perplex erwiderte sie die Geste und schüttelte sie. „Ich bin Erik. Und das sind meine Freunde. Lukas, Bennie und Holgi.“ „Hi … hi …“ murmelten die drei oder hoben ihre Hand zum Gruß. „Hi“ antwortete sie und sah Erik verwundert an. „Sorry, ich weiß, das kommt dir jetzt komisch vor“ lachte der verlegen und kratzte seinen Kopf durch die grüne Cap. „Ich habe dich gesehen und ich finde dich irgendwie süß. Und die drei haben mich gedrängt, dich anzuquatschen. Also dachte ich mir, ich frage mal nach deinem Namen.“ „Sareth“ antwortete sie immer noch befremdet. „Ich meine, ich heiße Sareth Muto.“ Es war zu beobachten, dass zumindest bei einem der drei Jungs ein Zucken durch den Körper ging und er große Augen machte. Dem Dünnen mit dem Graffitishirt sagte der Name offensichtlich etwas. Nur der Rest blieb ahnungslos locker. „Sareth. Das ist aber ein hübscher Name.“ Erik tat sein Bestes. „Und so ungewöhnlich. Du fällst hier ziemlich auf. Positiv meine ich. Du scheinst was Besonderes zu sein.“ „Ich? Quatsch.“ Jetzt merkte sie auch, was los war. Er versuchte sich an sie heranzumachen. „Ich … ich bin mit meinen Onkels hier. Ein Familienausflug, weißt du?“ „Nicht schlimm. Ich wollte dich auch nicht so lange stören. Vielleicht hast du ja Lust, mit uns ne Runde zu drehen. Wir treffen gleich noch zwei andere Mädchen, du musst also nicht alleine mit uns bleiben. Wir bringen dich dann auch wieder hier her zurück. Ich meine, dann können wir uns mal unterhalten oder ne Cola trinken oder so.“ „Das finde ich ganz süß von dir“ lächelte sie verlegen und blickte kurz zu Edith. Doch seine Miene war versteinert und er starrte Erik an. „Aber ich habe versprochen, dass ich heute was mit meiner Familie mache. Vielleicht ein anderes Mal.“ „Eben“ schaltete auch Noah sofort. „Sareth hat uns versprochen, den heutigen Tag nur mit uns zu verbringen. Sie ist sonst immer so beschäftigt.“ „Dachte ich mir“ seufzte Erik, aber noch gab er nicht auf. „Er griff in seine tiefe Hosentasche und holte ein etwa handgroßes Lebkuchenherz heraus. Er reichte es ihr hin und darauf war eine Nummer aus Zuckerguss zu erkennen mit einem Smiley daneben. „Ich habe meine Handynummer raufschreiben lassen. Wenn du Lust hast, kannst du mir ja mal ne SMS schreiben und wir gehen ein Eis essen. Irgendwann wenn’s dir mal passt.“ „Na ja, ich bin ja immer viel beschäftigt.“ Trotzdem streckte sie ihre Hände aus und wollte es annehmen. „Aber trotzdem danke. Das ist echt lieb.“ Doch so nicht! Das passte Edith dann doch nicht. Er schoss an ihr vorbei, stieß den Verehrer unsanft an der Schulter zurück und griff das Lebkuchenherz so hart, dass es einen Knick bekam. „Ey Mann, was ist denn mit dir los?“ Zwei der drei Jungs stellten sich sofort neben ihren Kumpel und klopften ihm auf die Schulter. „Ja, Kumpel. Kein Grund gleich aggro zu gehen“ meinte der Boxer. „Ich geb dir gleich aggro“ zischte Edith sauer. „Edith“ bat Noah mit ruhiger Stimme. „Bleib cool.“ „Ja, Mann“ meinte auch Erik. Er sah nicht aus als wolle er hier eine Prügelei riskieren. „Wir wollten doch eh gleich abziehen. Aber wenn Sareth was zu sagen hat, kann sie das auch selber.“ „Edith, bitte“ bat auch sie, nahm ihm das gequetschte Herz aus der Hand und legte es höflich auf den Tisch, bevor sie sich an die anderen wand. „Erik, es tut mir leid. Ich … na ja, ich bin mit Edith hier und … vielleicht schreiben wir uns ja mal. Aber dann nur so. Verstehst du? Ich … habe schon einen Jungen, den ich gerne mag.“ „Ihn da?“ Er schaute etwas ungläubig an Edith entlang, der ja nun eher wenig zu ihr passte. Rein äußerlich schon nicht. „Erik, lass lieber.“ Der Dünne mit dem Graffitishirt zog ihn an der Schulter zurück und drängelte sich dazwischen. „Sie ist nichts für dich. Glaub mir. Wir wollten nur gucken, ob du sie wirklich anquatscht.“ „Und jetzt verzieh dich“ setzte Edith noch nach. „Und wisch den Schleim auf, wenn du gehst.“ „Alter, du bist echt unterste Schublade“ erwiderte Erik und richtete seine Mütze. „Tut mir leid“ bat Sareth. Sie wollte ihm nicht den Tag verderben. Er schien ja ganz nett zu sein und sehr höflich. „Ich habe ja deine Nummer. Aber …“ „Nee, schon gut“ resignierte er gelassen. „Wenn du schon einen Freund hast, ist das okay. Das wusste ich nicht. Aber wenn du trotzdem mal Lust hast, was zu unternehmen, so rein freundschaftlich, dann kannst du dich melden. Ist echt ernst gemeint. Kannst deinen Freund auch mitnehmen, wenn er sich irgendwann mal abregt.“ „Mache ich. Danke.“ „Na dann.“ Er nickte und entgegnete Edith noch einmal mit einem warnenden Blick, bevor er sich umdrehte. „Viel Spaß noch. Kommt Mädels.“ „Wer war das?“ wollte Dante verblüfft wissen. Nur Sareth wartete noch bis die vier außer Hörweite waren, bevor sie sich an Edith wandte. „Sag mal, was sollte das denn?“ „Was das sollte? Der hat dich angemacht!“ „Ich wollte ihm gerade höflich absagen und du machst hier so einen Aufriss.“ „Was willst du mit seiner Handynummer?“ „Gar nichts.“ Während er sich aufregte, versuchte sie noch ganz ruhig zu bleiben. Mit tobenden Windmagiern kannte sie sich aus und wenn sie zurückschrie, würde alles nur noch lauter werden. „Aber ich kann ihm doch vor seinen Freunden nicht sagen, dass er sich verziehen soll. Das muss man höflich angehen, damit er sein Gesicht wahren kann.“ „Von wegen Gesicht! Du musst überhaupt nicht höflich sein, wenn du nichts von ihm willst. Du machst den Jungs nur falsche Hoffnungen.“ „Man sollte immer höflich sein, wenn man höflich behandelt wird. Und Erik war sehr höflich.“ „Kommt, wir gehen mal Entenangeln.“ Noah packte Dante und trug ihn davon. Das hier sollten sie wohl besser nicht mitbekommen. „Edith?“ Mokuba warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Er hatte ihn gewarnt, dass er besser auf Sareth aufpassen sollte. Dass er zeigen sollte, wem das Mädchen gehörte. Sonst lockte er nur Konkurrenz an. Das war bei Noah nicht anders. Wenn man nicht aufpasste, liefen ihm die Typen reihenweise nach. Jedenfalls solange da niemand war, der dazwischen stand. Und Edith sollte sich besser etwas einfallen lassen, um die Jungs auf Abstand zu halten. „Was war das denn für ein Blick?“ zeigte sie auf ihren Onkel, welcher den Buggy nach gegenüber zu den Kinderspielen schob. „Nichts. Ich …“ Ja, und was sollte er jetzt sagen? Dass es ihm leid tat? „Prinzessin, ich mag’s nicht, wenn Jungs an dir rumbaggern. Jedenfalls nicht, wenn ich’s mitkriege.“ „Ich wollte ihm doch einen Korb geben. Du bist der einzige Junge mit dem ich zusammensein will. Oder hast du Angst, ich laufe gleich wieder weg?“ „Um ehrlich zu sein, ja“ gab er ernst zur Antwort. „Dir ist doch wohl nicht entgangen, dass wir überhaupt nicht zueinander passen. Und der Typ da, kennst du den überhaupt?“ „Nein. Und ich will ihn auch nicht kennen lernen.“ „Eriks Familie gehört zu den reichsten in Blekinge. Der Typ ist ein verwöhntes Einzelkind und gibt sich nur mit der Elite ab.“ „Und du meinst, er will nur mit mir ausgehen, weil ich Muto heiße?“ „Nein, er weiß überhaupt nicht zu was für einer Familie du gehörst. Er ist kein Eingeweihter.“ Edith verschränkte die Arme und blickte schräg an ihr vorbei. „Dann passt er doch erstrecht nicht zu mir. Wenn er merkt, dass ich ein Drache bin, kriegt er sicher das Rennen und hält mich für ein Monster. Du aber bleibst völlig cool, egal was ich tue. Dir kann ich doch viel eher vertrauen.“ Sie trat dichter zu ihm und legte die Hände vorsichtig auf seine verkreuzten Unterarme. „Seit ich dich kenne, sehe ich mein Leben ganz anders. Ich hatte immer Komplexe, weil ich dachte, ich würde nie so gut sein wie die Männer in meiner Familie. Ich wollte auch immer ein riesiger Drache sein oder Priester werden und weil ich das niemals schaffen kann, hielt ich mich für minderwertig.“ „Du hast doch ganz andere Talente als nur Instinkte oder Tradition und Abstammung.“ „Ich weiß, doch das war mein Strebenshalt. Aber das alles ist mir jetzt gar nicht mehr wichtig. Weil ich dich kenne. Seit du da bist, hat sich meine Reflexion der Dinge vollkommen gewandelt. Ich will kein Drachenbulle mehr sein oder Priester werden. Ich will jetzt nur noch deine Freundin sein.“ „Wir sind doch schon befreundet“ antwortete er mit seiner schönen, rauen Stimme. „Ich meine, ich will deine Freundin sein. Dein Mädchen. Deine Geliebte.“ Er stutzte und sah ihr verständnislos in die leuchtenden Augen. „Meinst du nicht, das geht etwas weit?“ Er senkte seine Stimme bis sie nur noch ein Flüstern war. „Du musst nicht nett sein. Auch wenn dein Mitleid dich ehrt.“ „Quatsch, Mitleid!“ Sie haute ihm warnend auf den Arm und hielt ihn dann wieder fest. „In dir steckt doch mehr als nur deine Vergangenheit. Ich spüre in dir den reinen Wunsch danach, geliebt und verstanden zu werden. Du hast genauso Angst davor, dass du abgelehnt wirst wie ich. Aber ich spüre, dass du mich nicht ablehnst und keine Angst vor mir hast. Ich wünschte, du könntest spüren, dass ich für dich dasselbe fühle.“ „Ich kann aber keine Gefühle spüren. In Magie bin ich dir weit unterlegen. Du bist besonders.“ „Trotzdem behandelst du mich nicht wie ein rohes Ei oder tust so als wärst du mein Diener. Ich mag dich so wie du bist. Ich mag’s wenn du mürrisch und misstrauisch bist oder jählings auf die Welt schaust. Ich akzeptiere dich so, denn du bist auch was besonderes. Für mich zumindest.“ „Das …“ Was er darauf antworten sollte, wusste er nicht. Sie sah ihn erwartungsvoll an, doch er konnte die Situation nicht einordnen. Freundlichkeit war er nicht gewohnt und ausnutzen wollte er es auch nicht. Besonders nicht bei ihr. „Edith?“ fragte sie leise und strich über seine Arme, auf denen sich eine fühlbare Gänsehaut ausbreitete. „Ich weiß, dass es sehr direkt gefragt ist, aber bist du verliebt in mich?“ „Keine Ahnung.“ Er löste seinen Blick seitlich auf den Boden und zuckte mit den Schultern. „Denke schon. Vielleicht.“ „Und vielleicht nicht?“ „Woher soll ich das wissen?“ „Na ja, wenn du es nicht weißt, woher soll ich es dann wissen?“ „Du kannst doch Gefühle lesen. Mach doch und sag’s mir dann.“ „Ich lese die Gedanken und Gefühle der Menschen nicht absichtlich. Nur wenn etwas besonders stark ist, nehme ich es unwillentlich wahr und müsste mich konzentrieren, es nicht zu tun. Das was in den Menschen tief drin ist, gehört nur ihnen. Bis sie es freiwillig teilen. Und ich würde gern wissen, ob meine Verliebtheit einseitig ist.“ „Ich sag doch, ich hab keine Ahnung.“ Dennoch wurde er rot auf den blassen Wangen und seine Gänsehaut rauer. „Ich denke eben den ganzen Tag an dich, auch wenn’s mich nervt. Und wenn du mich anfasst, dann werde ich ganz … wie leblos, irgendwie steif. Obwohl mir ganz warm wird.“ „Dann soll ich dich lieber nicht anfassen?“ „Nein, das ist schon okay.“ Er atmete flach ein, seine Augen verrieten wie er mit sich um die richtigen Worte rang. „Wenn ich bei dir bin, will ich am liebsten weglaufen. Und wenn ich nicht bei dir bin, kann ich nur an dich denken. Dein Onkel sagte, du bist verliebt in mich.“ „Sagt er das, ja?“ „Ja. Ich habe ihm auch gesagt, dass du nur nett sein willst, aber er spinnt sich da irgendwas aus. Ich meine, ich will dich ja nicht bedrängen und dich ausnutzen.“ „Mensch, Edith“ seufzte sie und lehnte sich an seine Brust. Wie deutlich sollte es denn noch sagen bis er das richtig einordnete? „Merkst du nicht, dass ich in dich verliebt bin? So richtig?“ „Ähm … nein.“ Er trat zurück und sah sie perplex an, sah in ihre leuchtend blauen Augen und bewunderte wie sich ein zartes Lächeln auf ihrem süßen Gesicht ausbreitete. „Was grinst du so?“ „Was kann ich denn noch machen, damit du es verstehst? Soll ich mich nackt ausziehen und um dich rumtanzen, damit es mal klick sagt?“ „Das würde ziemlich albern aussehen, wenn du das machst.“ „Edith, sag mir ehrlich, was ich machen soll, damit du merkst, wie ich für dich fühle.“ „Du musst doch gar nichts machen“ erwiderte er und steckte fahrig weil nervös seine Hände zurück in die Hosentaschen. „Ich merke doch eh nur das, was du mir direkt sagst. Ich bin nicht so gut im Sachendeuten. Deinen IQ habe ich nicht.“ „Ich liebe dich“ sagte sie ihm ganz direkt ins Gesicht. „Und ich will mit dir zusammensein. Dich küssen, in deinem Arm kuscheln und dir nahe sein. Weil ich mich in dich verliebt habe. Nur in dich. Ist das jetzt deutlich genug für dich?“ „Ähm … ja.“ Ja, das war überdeutlich. Nun verstand sogar er die Sache. Sie wartete noch einige Momente, aber er stand nur da und sah sie an. Sie spürte, dass er aufgewühlt war, dass sein Herz schneller schlug und seine Körpertemperatur anstieg. Doch rein äußerlich war ihm außer etwas Röte nichts anzumerken. „Und?“ hakte sie dann noch mal nach. „Was sagst du dazu?“ „Nix.“ Er zuckte mit den Schultern und sah die abgenutzten Spitzen seiner Turnschuhe an. „Und was willst du jetzt von mir?“ „Dass du mir dasselbe sagst? Normalerweise erwiderst du jetzt mein Liebesgeständnis oder gibst mir freundlich einen Korb. Gar nichts zu sagen, ist irgendwie inkorrekt.“ „Ich war noch nie verliebt. Ich weiß nicht, ob sich das so anfühlt wie das was du meinst.“ Er hob seine Augen und blickte sie grimmig an. „Aber ich kann’s nicht ab, wenn andere an dir rumbaggern. Und wenn ich nicht bei dir bin, geht’s mir auch nicht gut. Ich finde das alles ätzend.“ „Dann … findest du mich ätzend?“ Hatte sie da vielleicht etwas missdeutet? Fühlte er sich von ihr in die Ecke gedrängt oder belästigt? Oder fand er sie einfach nur nervend? „Ich habe gesagt, ich finde DAS ätzend. Nicht DICH ätzend. Du bist ein super Mädchen und wenn wir nicht zusammensind, ist mir schlecht und ich kann nicht schlafen. DAS finde ich ätzend. Ich find’s scheiße, dass ich nicht so viel mit dir zusammensein kann wie ich will.“ „Wenn du mit mir zusammensein willst, musst du mir das aber doch sagen, Edith. Sonst bekomme ich Angst, dass ich dich nerve.“ „Quatsch, du nervst nicht. Ich will dir nur nicht auf die Pelle rücken oder was machen, dass du mich weniger magst. Ich dachte, du bist nur nett, weil ich dir leid tue.“ „Mitleid habe ich mit ausgesetzten Kätzchen, aber nicht mit Querulanten wie dir“ lachte sie, tat zwei Schritte und berührte mit den Handflächen seine dünne Brust, fühlte dir Rippen unter seinem Shirt. „Mir geht’s genauso wie dir. Ich muss ständig an dich denken und mir geht es nicht gut, wenn wir getrennt sind. Ich möchte am liebsten den ganzen Tag mit dir zusammen sein. Und wenn du sagst, dass es dir genauso geht, dann fühle ich mich besser.“ „Mir geht’s genauso“ sagte er dann sofort. „Was kann ich noch tun, dass es dir besser geht?“ „Du musst ehrlich sein. Wenn du mich nervig findest, musst du es sagen. Und wenn du mich magst und mich sehen möchtest, dann musst du es auch sagen. Ehrlichkeit ist ganz wichtig. Du musst genau sagen, was du willst. Und ich verspreche, dass ich das jetzt auch mache. Wenn du meine Anspielungen schon nicht verstehst.“ „Tut mir leid. Ich bin eben nicht so ein Klugscheißer wie du.“ „Klugscheißer ist kein Kompliment, Edith.“ Sie schüttelte den Kopf und legte die Stirn an seine Schulter, seufzte warm. „Ich glaube, ich habe mich schwer verliebt. Es ist mir ziemlich peinlich, so direkt zu sein, aber ich will nicht, dass du dich von mir abwendest.“ „Das muss dir nicht peinlich sein.“ Sie spürte wie er die Hände löste und die Arme um sie legte, sie ganz vorsichtig an sich drückte. „Du bist der liebste und hübscheste Mensch, der mir jemals begegnet ist. Ich will nix kaputtmachen und ich weiß, dass … ich weiß eigentlich nichts. Ich will nur, dass du glücklich bist und mich magst.“ „Ich mag dich nicht nur. Ich liebe dich, Edith. Das geht alles so schnell, dass ich ein bisschen Angst habe.“ „Musst du nicht. Ich beschütze dich doch, wenn du das selbst nicht kannst“ versprach er und legte seinen Kopf auf den ihren. „Wenn du sagst, du fühlst dich genauso schlecht wie ich, dann bin ich wohl auch verliebt. Ich dachte nicht, dass ich so was kann.“ „Liebe muss man nicht können. Man muss das Gefühl nur gewähren lassen, dann ergibt sich alles von selbst.“ „Denke ich nicht“ raunte seine dunkle Stimme, klang etwas beleidigt. „Mir musst du nachhelfen, sonst komme ich gar nicht in die Gänge.“ „Das liegt nicht an mir, dass du nicht in die Gänge kommst?“ „Doch, irgendwie schon. Ich habe Angst, dass wenn ich erst in Fahrt bin, dass ich dann was kaputtmache. Ich meine, du bist ja mächtiger als ich, von daher kann ich dir wohl eher nicht wehtun. Aber wenn du mich wegschicken würdest, dann würde mir das vielleicht … bestimmt wehtun. Und davor habe ich Angst. Ich hatte noch nie Liebeskummer und ich will auch keinen bekommen.“ „Du musst keine Angst haben. Wenn du mich nicht wegschickst, dann schicke ich dich auch nicht weg. Und je mehr wir zusammensind, desto weniger kann Liebeskummer aufkommen.“ „Meinst du, das ist echt so einfach?“ „Nein, glaube ich nicht. Liebe ist kompliziert und bis jetzt hat sie noch keiner so richtig verstanden. Mein Großvater sagte mir, dass Liebe immer auch Angst bedeutet. Nämlich die Angst davor, den geliebten Menschen zu verlieren. Aber wenn man sich der Angst nicht stellt, dann hat man ihn schon verloren. Also stelle ich mich meiner Angst und sage dir, was ich fühle. Damit ich dich nicht verliere, sondern dich gewinne.“ „Das klingt wirklich kompliziert. Kannst du das nicht einfacher sagen? Ich meine, damit ich es auch verstehe und gewinne?“ „Wenn ich dich liebe und du mich, also wir uns. Dann haben wir gewonnen.“ „Aha.“ Das war einfach genug für ihn. „Dann haben wir doch jetzt gewonnen. Oder?“ „Kannst du denn sagen, dass du mich liebst?“ „… denke schon.“ Nun ja, er war eben nicht der romantische Prinz aus dem Märchen, aber das sollte er auch gar nicht sein. Er musste nicht gebildet sein, nicht charmant und ein weißes Pferd musste er auch nicht besitzen. Er war gut so wie er war, genauso bewegte er ihr Herz. Und immerhin reichte sein Wille dazu, seine Hand ihren Rücken hinaufzustreichen und sie zu küssen. Mit sanften Lippen berührte er erst ihr Kinn und dann endlich ihren warmen Mund. Er war nicht zart besaitet und auch nicht Knigges Liebling. Aber sein Kuss war weich und seine Hände sanft. Er musste nicht mehr sein, er war bereits vollkommen. Chapter 7 „Hast du das verstanden, Danti? Kannst du das?“ Mokuba ermahnte den Kleinen noch mal eindringlich, dass er darüber zu schweigen hatte, was er heute sah. Zumindest dass Edith mit auf dem Jahrmarkt gewesen war, sollte er nicht erzählen. Das konnte Sareth ihrem Papa selbst irgendwann sagen. Wenn der herausbekam, dass seine Tochter in aller Öffentlichkeit rumknutschte, würde es das erste Mal in Skandinavien eine Tornadowarnung geben. „Ja ja.“ Seine Antwort war müde. Es war dunkel draußen und er selbst hatte gerade wenig Lust, sich über irgendetwas zu unterhalten, noch weniger etwas zu erzählen. Wenn Mokis Arme ihn und Riesenfrusch nun auch noch ins Bett trugen, waren all seine Wünsche erfüllt. „Na gut dann. Möchtest du noch was trinken oder Pippi? Oder gleich ins Bettchen?“ „Bett“ murmelte er und sackte mit dem Gesicht tiefer in Mokubas Armbeuge. „Ich bringe ihn mal nach oben“ beschloss der also, gab Noah einen Kuss und machte seinen Weg die Treppe hinauf. „Danke noch mal, Onkel Noah.“ Sareth gab ihm ihre Jacke, welche er mit seiner gemeinsam in die Garderobe hängte. „Ach, wofür denn?“ lächelte er und ordnete die Bügel. „Hauptsache du hattest einen schönen Tag, Schätzchen.“ „Ja, wunderschön. Dank euch.“ „Na, dann bekomme ich ja ein neues Pfadfinderabzeichen für eine gute Tat“ lachte er und ließ sich von ihr auf die Wange küssen. „Geh und sage lieber deinem Papa bescheid, dass du wieder da bist.“ „Der schläft bestimmt schon“ mutmaßte sie und sah auf die Uhr. Es war halb elf und wenn sie nicht mit ihren Onkels unterwegs gewesen wäre, hätte sie schon lange zuhause sein müssen. „Ich wette, er ist noch wach und wartet auf dich.“ „Ich wette nicht mit dir, Onkel Noah“ zwitscherte sie und hüpfte glücklich die Treppe hinauf. „Gute Nacht, schlaf gut.“ „Und träum was Süßes!“ rief er noch hinterher, bevor sie ganz verschwunden war. Er seufzte gerührt von dem jungen Glück und begab sich an die Bar, wo Hannes das Besteck für den nächsten Morgen polierte. „N’Abend Noah“ grüßte der runde Wirt und lehnte sich auf die Theke. „Und Spaß gehabt auf dem Glorienplatz?“ „Fast mehr als mir lieb ist.“ „Du meinst, weil Danti schon wieder ein neues Stofftier hat?“ „Du kennst mich gut, was?“ lachte er und nahm auf dem hohen Stuhl Platz. „Ich bin Wirt, da lernt man schnell die Menschen zu durchschauen“ lachte er zurück und nahm das Poliertuch wieder auf. „Geht dir doch ähnlich, oder? Mit der Menschenkenntnis meine ich.“ „In meinem Job geht es gar nicht ohne. Ich kann mich nicht mit Leuten einlassen, die am Ende die Zeche prellen. Genau wie bei dir.“ „Hey, ich habe die Wette gewonnen.“ Tristan trabte die Treppe hinunter, dicht gefolgt von einem fröhlichen Joey. „Noah, du machst mich arm“ schimpfte der spaßhaft und zog sich seinen Thekenstuhl dazu, genau wie Tristan, der sich auf Noahs linke Seite setzte. „Wir haben gewettet. Joey meinte, ihr macht die Nacht durch und kommt erst nach Mitternacht.“ „Aber wir hatten den Kleinen dabei, da können wir schlecht durchmachen.“ „Deshalb habe ich ja auch gewonnen. Du weißt doch, dass Joey jede Wette verliert.“ „Ich glaube eben noch an das Gute im Glück“ meinte der und versuchte, die Beine übereinander zu schlagen. Ging aber nicht, das war auf dem hohen Stuhl zu wackelig. Er würde sich nur auf die Fledde maulen, wenn er sich an Eleganz versuchte. „Und worum habt ihr gewettet?“ „Der Verlierer gibt ne Runde für alle aus.“ „Dann hast du ja Glück gehabt“ meinte Hannes polierender Weise. „Die letzten Gäste sind vor ner halben Stunde gegangen. Am Mittwoch ist abends eh kaum etwas los.“ „Tja, Glück im Unglück. Und das obwohl der Laden bis gestern geschlossen war. Schon komisch, zwei Tage ohne fremde Gäste im Haus.“ „So konnte ich wenigstens mal wieder anständig aufräumen und saubermachen.“ Joey klopfte auf den Tisch und warf drei Bierdeckel vor die Gäste. „Na dann, Hannes, mach uns mal ein sauberes Bierchen.“ „Für mich bitte Wein“ bat Noah. Er war kein großer Biertrinker. „Habt ihr eigentlich noch mal was von den Kidnappern gehört?“ fragte der Dicke und stellte zuerst Noah sein Weinglas hin. „Na ja, seit drei Tagen nichts mehr“ erzählte Tristan. „Hoffentlich haben sie Muffensausen bekommen und trauen sich nicht mehr. Wir sind ja auch vorsichtiger geworden jetzt. Keiner geht mehr ohne Magiebegleitung weg.“ „Sonst hätte Tato seine Kleine bestimmt nicht so lange weg gelassen“ war Joey überzeugt. „Aber ihr brauchtet ja Schutz und er selbst musste hier bleiben.“ „Tato kann ich mir auf dem Jahrmarkt irgendwie auch nicht vorstellen“ überlegte Tristan. „So ein bunter Glitzerkram ist gar nicht sein Ding. Na ja, Hauptsache es bleibt ruhig und wir unbehelligt von solchen Attacken.“ „So etwas ist untypisch für Blekinge“ schwor Hannes. „Besonders die Gegend hier ist eigentlich sehr friedlich. Trotzdem hatte ich heute Morgen ein paar Bedenken, das Restaurant wieder aufzumachen.“ „Wir können dir ja auch nicht ewig den Laden verrammeln. Außerdem wissen wir nicht, was sie wollten. An meiner Feli ist doch kaum was dran. Und solange wir das nicht wissen, muss das Leben irgendwie weitergehen. Wenn wir jedes Mal bei so etwas in Panik verfallen, dürften wir gar nicht mehr normal leben. Und du musst dein Geld schließlich auch verdienen.“ „Ist ja nicht so als würde ich keine Entschädigung für den Ausfall bekommen. Wenn Noah eure Logis nicht bezahlen würde, würde der Blekinger Stadthaushalt dafür aufkommen. Im Namen der Pharaonen seid ihr Ehrengäste.“ „Du musst es nur sagen, dann können wir dir leicht noch ein paar freie Tage verschaffen“ scherzte Joey. „Wir feiern einfach ne große Party mit Yami als Showact. Hinterher kommen garantiert wochenlang keine Gäste mehr.“ „Lass ihn das nicht hören“ lachte Tristan und nahm dankend sein Bier entgegen. „Ach was, Yami ist doch gut drauf im Moment. Wenn er mal hier ist zumindest.“ „Ich wette, wenn er bei Finn ist, ist er noch besser drauf“ schmunzelte Noah. „Und wir können wetten, wer drauf und wer drunter ist. Bei Yami weiß man das nie so genau.“ „Tristan, du bist ja ne echte Lästerschwester.“ Noah hielt seinen Rotwein hoch. „Nur solange es keiner hört. Prost, Noah.“ „Ja, Prost Chef“ stieß auch Joey an und nahm einen kräftigen Schluck, tat einen erleichterten Seufzer und setzte den Krug laut auf den Pappdeckel. „Intensiv im Geschmack, ein Erlebnis für den Mann am Abend.“ „Da habe ich schon bessere Werbetexte von dir gehört“ meinte Noah. „Ist ja auch noch nicht fertig. Hör erst zu, wenn ich fertig bin.“ „Dann unterhalte ich mich eben mit Tristan.“ „Und so leicht wird man ausgebootet“ seufzte Joey und lehnte sich weit über den Tresen. „Hannes, mein Guter, du bist doch Wirt.“ „Schön, dass du dir das gemerkt hast, Joeseph.“ „Ja, nicht wahr? Und jetzt sag mir mal, wie du so den typischen Biertrinker beschreiben würdest. Was sind das für Männer, für die du hauptsächlich zapfst?“ „Kannst du nicht mal Feierabend machen?“ schüttelte Tristan den Kopf. „Das nennt man Feldforschung, Taylor. Hannes ist doch ganz vorn an der Front.“ „Wir machen doch gar keine Bierkampagne“ stutzte Noah. Er dachte, er würde Joeys aktuellen Projekte alle kennen. „Noch nicht. Aber wenn demnächst die Recherchen zur zweiten Eros-Kampagne losgehen, kann ich nicht früh genug anfangen, mir Denkanstöße zu holen.“ „Kümmere dich lieber um die aktuelle Erana-Kampagne. Die weibliche Serie macht mir mehr Kopfzerbrechen.“ „Der Drache sagt, die Zahlen der Vorbestellungen sind gut. Mach dir mal keinen Kopf, Chef.“ „Haaaalloooo“ funkte Tristan freundlich dazwischen. „Ihr habt Feierabend, alle beide. Unterhaltet euch über etwas, wo ich auch mitreden kann.“ „Sari sah eben ganz glücklich aus“ warf Joey ein anderes Thema auf. „Hätte nicht gedacht, dass sie Jahrmärkte so mag.“ „Der Rummel in Blekinge ist aber wirklich schön. Mir hat’s auch Spaß gemacht.“ Und alles andere würde er auch nicht auspetzen. „Moki musste natürlich gleich drei Mal Achterbahn fahren, aber währenddessen hat der Kleine gleich drei Mal Enten geangelt.“ „Fühlt sich komisch an, wenn man plötzlich Papa ist, was?“ Joey legte seinen Arm um Noah und klopfte ihm auf die Schulter. „Haben wir dich überhaupt schon im Club der plötzlichen Väter willkommen geheißen?“ „Plötzlich war das eigentlich nur bei Tristan. Dante war schon ein paar Wochen bei uns und du konntest dich auch Monate vorher darauf vorbereiten.“ „Tja, selbst schuld, wenn das Kondom nicht hält. Mein kleines, süßes Löchlein“ lachte er und fasste sich an die Stirn. „Habt ihr Glück, dass euer Sex ungefährlich ist. Verhütung ist ne nervige Sache. Ich würde auch lieber poppen ohne nachzudenken.“ „Sag das nicht“ bat Tristan plötzlich sehr ernst. „Ich hätte gern ein gemeinsames Kind mit Nika. Sicher ist Adoption nicht schlechter, aber ein gemeinsam gezeugtes Kind ist doch etwas anderes. Allein schon die gemeinsame Zeit in der Schwangerschaft und wenn man später gemeinsame Ähnlichkeiten entdeckt. Ein Kind, welches zur Hälfte von mir und zur Hälfte von Nika wäre … sei glücklich, dass du und Narla schwanger werden könnt.“ „Ja, ganz super ist das in der Schwangerschaft, Alter. Je dicker sie wird, desto mehr Vorwürfe macht sie dir. Sex ist auch nicht mehr so wie vorher und du bist nur noch Laufbursche für saure Gurken und Vanilleeis.“ „Narla hat nie saure Gurken gegessen.“ „Du weißt doch, wie ich’s meine. Haaaach ja.“ Er trank noch mal an seinem Bier und musste dennoch hinzusetzen: „Trotzdem ist die Kleine super. Da hat sich die Arbeit doch gelohnt.“ „Arbeit?“ wiederholten die beiden anderen im Chor. „Und ich habe gelernt, dass man Kondome nicht in der Brieftasche aufbewahrt.“ „Na dann.“ Noah hob sein Glas zum zweiten Toast. „Auf die Freuden und oder Nichtfreuden der Verhütung und das kleine Glück, wenn mal etwas anders läuft als geplant.“ „Prost!“ antworteten die anderen und stießen auf das Kleingemüse an. Solange Mann abends noch mit Kumpels einen trinken konnte, war die Vaterschaft doch gar nicht so schlimm. Mit einem leisen Knacken öffnete sich die Tür und eine schlanke Gestalt trat herein. Durch das schummrige Licht und den Vorhang vor der Tür war nur eine Silhouette zu erkennen, welche zögernd im Halbdunkel erstarrte. „Guten Abend“ grüßte Hannes laut genug. „Guten Abend“ grüßte die Silhouette zurück. Eine weiche Stimme. Eindeutig männlich, aber in ihrem Ton sehr fein und geheimnisvoll lockend. „Haben Sie noch geöffnet?“ Hannes sah die drei kurz an und da die nickten, hatte er wohl doch noch nicht Feierabend. „Natürlich, kommse rein, junger Mann.“ Durch den Vorhang und ins Licht trat ein Fremder. Etwa 1,85 m groß, fließend glänzendes Haar in einem Kastanienton und große, dunkle Augen dominierten sein feines Gesicht. Er trug schmale Lederstiefel, eine gerade geschnittene Stoffhose und eine Seidenweste im selben Erdton. Das ellenbogenlange Hemd, ebenso wie sein knielanger Sommermantel waren aus beigem Baumwollmix. Auf den ersten Blick wirkte er wie der erste Herbstengel des Jahres, so edel und erhaben in seinen Bewegungen. Doch seine Erscheinung wurde natürlicher durch einen kühlen Gesichtsausdruck und eine lederne Umhängetasche. Er beachtete die Gäste auch nicht weiter, sondern nahm den kürzesten Weg bis zur Ecke des Tresens und legte seine Hand darauf als Hannes schon bei ihm ankam. „Was kann ich denn für Sie tun?“ fragte er und schwang sein Poliertuch über die Schulter. „Haben Sie Hunger oder nur was trinken?“ „Ich würde gern ein warmes Abendessen mitnehmen“ antwortete er mit weit entfernter Stimme. Er wirkte als wäre er nicht wirklich in dieser Welt und erstrecht passte er nicht in ein gutbürgerliches Wirtshaus wie dieses. Eher in eine gedämpfte Firstclass-Lounge im Herzen einer Weltmetropole. Er erschien hier deplatziert, zu edel und zu leuchtend für solch einen schlichten Ort. „Die Küche ist leider schon kalt, aber ich kann Ihnen noch ein paar Bratkartoffeln und Schnitzel machen“ bot Hannes freundlich an. „Haben Sie nicht etwas weniger schweres? Vielleicht ein Fischgericht oder mageres Geflügel?“ Dass die Küche bereits kalt war und Hannes extra für ihn noch mal kochen würde, schien ihm kein Grund, seine Ansprüche herabzuschrauben. „Salat mit Sojasprossen und Hähnchenstreifen“ bot er neu an. „Fettarm, frisch und gesund. Dauert aber einen Moment.“ „Zum Mitnehmen, bitte. Und Streifen von Hähnchenbrust ohne Haut.“ „Ich verstehe schon was von fettarmer Küche, mein Junge. Keine Sorge.“ Typisch Großstädter. Normalerweise verdrückten die Leute bei ihm gute Hausmannskost, aber spätestens mit Noahs und Yugis Einzug hatte er auch Exoten wie Sojasprossen im Hause und achtete auf eine Auswahl an vitaminreichen und fettarmen Lebensmitteln. Da war so ein Juppie wie dieser Gast doch ein Klacks. Pingeliger als Noah konnte ohnehin niemand sein. „Nehmen Sie Platz, dauert einen Augenblick.“ Während er also durch die offene Tür in die Küche verschwand, blickte sich der Fremde in dieser unpassenden Umgebung um. Schummrig und schwer wirkte der Raum mit den wuchtigen Holzmöbeln und den alten Schwarzweißfotografien von Feldarbeitern. Kein Ort für einen Menschen wie ihn. Beim Umsehen traf sein Blick auch die drei anderen Anwesenden. Tristan und Joey hatte er schnell abgehakt, doch an Noah blieben seine dunklen Augen haften. Er blickte ihm tief ins Gesicht, betrachtete seine Gestalt von oben bis unten wieder hinauf und erforschte sein Gesicht. Ebenso intensiv wie Noah ihn anblickte und ebenso ausforschte. Bis der Fremde dann seine Augen weit öffnete und hell von strahlenden Lippen lächelte. „Noah Kaiba?“ fragte er und wies freundlich zögernd mit dem Finger auf ihn. „Erfreut“ nickte der und lächelte zurück. Der schöne Fremde stieß sich vom Tresen ab und schwebte herüber, auch Noah erhob sich von seinem Stuhl, worauf Joey und Tristan es ihm aus Höflichkeit gleichtaten. „Guten Abend, Mr. Kaiba.“ Noch im Ankommen streckte er Noah die Hand entgegen und drückte sie. „Dass ich Sie ausgerechnet hier antreffe, habe ich nicht erwartet.“ „Sie machen aber auch nicht den Anschein als würden Sie häufig in Wirtshäusern verkehren.“ „In der Tat. Aber mein Hotel hat das Restaurant bereits geschlossen und ich habe den ganzen Tag noch nicht gegessen. Das Essen im Flugzeug war nicht wirklich genießbar. Die Firstclass ist eben auch kein Garant für gute Küche.“ „Ja, das höre ich öfter.“ Er ließ die feine Hand los und erwiderte den intensiven Blick des jungen Mannes. Tief sahen sie sich in die Augen bis der Fremde wieder sanft lächelte. „Tjergen Marnens“ half er ihm auf die Sprünge. „Besser bekannt als Terry Manison?“ „Ich weiß.“ Noah lachte und fuhr sich verlegen durchs Haar. „Das ist mir jetzt etwas unangenehm, doch ich habe so viele verschiedene Sprechweisen Ihres Namens gehört, dass ich einen Moment zögern musste.“ „Nichts für ungut. Mein Name wird gesprochen wie geschrieben, doch in den meisten Ländern funktioniert das nicht.“ „Ja, die Sache mit den Dialekten. Da werden manches Mal ganz neue Worte kreiert.“ „Bitte, nennen Sie mich auch gern Terry. Das geht den meisten leichter von den Lippen. Außerdem höre ich darauf mittlerweile eher.“ „Terry, gern. Ich bin Noah.“ „Ich weiß.“ Er zwinkerte neckisch und ließ seinen Blick auf die Getränke streifen, welche angebrochen dort standen. „Sie laden mich doch sicher auf einen Wein ein, Noah.“ „Sehr gern. Wenn Sie noch einen Moment bleiben möchten.“ „Bei Ihnen auch zwei Momente.“ Noah lachte und reichte ihm frohgemut die Hand, um ihm auf Joeys hohen Stuhl zu helfen - doch den anderen beiden blieb alles im Halse stecken. Der Schönling flirtete mit ihm und Noah lehnte das nicht mal ab. Wenn Mokuba das spitzkriegte, gäb‘s ein Donnerwetter. Dennoch schienen sich die zwei irgendwie zu kennen und nur noch nie getroffen zu haben. „Vielen Dank, Noah. Ach, es ist erhebend, Sie hier so ungezwungen anzutreffen und nicht erst am Montag.“ „Mir geht es ebenso. Da endet mein Tag mit einem unverhofften Highlight und ich habe etwas für mein Tagebuch.“ „Nur Erinnerungsfotos muss ich leider ablehnen“ lachte er und strich sich eine lange Strähne seines Kastanienhaares von den gecremten Lippen. „Noah?“ fragte Tristan misstrauisch. „Willst du uns nicht vorstellen?“ „Natürlich, entschuldigt bitte.“ Er erwachte aus dem erotischen Blickabtausch und wies auf Tristan. „Terry, Tristan Taylor. Ein Freund der Familie.“ „Mr. Taylor“ nickte er, reichte ihm jedoch erst nach einem kurzen Ausforschen die Hand, bevor er sich zu Joey wandte. „Joseph Wheeler“ stellte der sich selbst vor. „Dritter Präsident und Marketingvorstand der Kaiba Corporation.“ „Ich habe Sie bereits erkannt, Mr. Wheeler.“ Doch im Gegensatz zu Tristan schenkte er Joey neben einem Händedruck sogar ein routiniertes Lächeln. „Es ist mir eine Freude, Sie persönlich kennen zu lernen.“ „Ich kann mir nicht helfen, aber ihr Gesicht kommt mir bekannt vor“ bemerkte er, während er seine feinen Finger zu fest drückte. „Und ich hoffe, Ihnen gefällt, was Sie sehen. Obwohl ich heute nicht auf so hochrangige Bekanntschaft vorbereitet bin.“ Er ließ seine Hand los und drehte sich wieder zu Noah. Er schlug elegant und gar nicht wackelig die langen Beine übereinander - womit er sich spätestens in diesem Moment bei Joey unbeliebt machte - und ließ die Ledertasche von seiner Schulter auf den Boden gleiten. „Sie sind früh in Blekinge eingetroffen, Terry. Wie kommt’s?“ stimmte Noah ein wenig Smalltalk an, während die anderen beiden sich setzten, beziehungsweise Joey sich erst mal einen neuen Stuhl organisierte. Sonst wunderten sie sich nur, woher Noah so jemanden kennen konnte. Aber der kannte ja bekanntlich viele Menschen. „Ich hatte seit drei Monaten keinen freien Tag mehr“ antwortete Tjergen und knüpfte sich den obersten Knopf des Seidenhemdes auf, was seinen zarten Hals fast lasziv entblößte. „Mein Manager und mein Coach haben sich verschworen und mir einige Tage Zwangspause vorgeschrieben. Und da in London das Wetter derzeit bescheiden ist, habe ich mich entschieden, etwas früher nach Blekinge zu reisen und meine freien Tage hier zu verbringen. Das spart außerdem die separate Anreise, da ich ohnehin gerade unterwegs war.“ „Sie müssten sich in Skandinavien doch auskennen. Soweit ich weiß, sind Sie eigentlich Schwede, richtig?“ „Das Wort ‚eigentlich‘ trifft es recht gut. Leben tue ich offiziell in London, aber dort weile ich ebenso lange wie überall auf der Welt. Ich bin dort zuhause, wo meine Kunden sind. Ihr Glas?“ Er griff nach dem Weinglas und trank ein Schluck. Und der Blick, welchen er Noah dabei zuwarf, war mehr als deutlich. In seinen dunklen Augen glitzerte die Frage: Zu dir oder zu mir? Oder gleich hier? Ohne darauf einzugehen, stützte Noah seinen Ellenbogen auf den Tresen und sein Kinn auf die Faust, lächelte ihn offen an. Ihm schien der kleine Flirt kein bisschen unangenehm. „Gefällt Ihnen das Leben im Jetset?“ „Sie kennen das ja selbst. Es ist an manchen Tagen aufregend, an anderen anstrengend. Man muss den Jetset leben, solange man kann. Ich war jedoch verwundert, als ich las, dass Sie nun bereits ein halbes Jahr in einer Kleinstadt in Norwegen residieren. Blekinge ist nicht gerade der Nabel der Welt.“ „Blekinge ist alles andere als eine kleine Stadt, Terry. Die Ecke hier scheint etwas im hinteren Teil der Welt versteckt, doch Blekinge offenbart dem geneigten Besucher bei näherem Betrachten eine gewisse Neugier und Avantgarde. Die Stadt ist im Aufstreben begriffen und ein perfekter Ort für die Kaiba Corp. um das Engagement in Nordeuropa auszuweiten.“ „Ja sicher, aber hätten es nicht auch Helsinki oder Stockholm sein können? Oder Berlin oder Paris? Warum Blekinge so hoch im Norden und so weit fort von der nächsten Hauptstadt? Im Gegensatz zu Domino herrscht hier noch Mittelalter.“ „Wenn Sie sich Blekinge ansehen, werden Sie erkennen, weshalb wir hier so gern herkamen. Nicht nur wirtschaftliche, sondern zum Teil auch private Interessen haben uns bei der Auswahl beeinflusst.“ „Nun, ich habe freie Tage auszufüllen.“ Er nippte an dem Glas, stellte es ab und berührte wie zufällig Noahs Knie mit dem seinen. „Ich lasse mich gern von den Vorzügen dieser Stadt und einigen persönlichen Interessen beeinflussen.“ „Sie werden Ihren Aufenthalt sicher genießen und sich etwas entspannen können.“ „Sagen Sie, werden Sie denn auch etwas Zeit für mich freimachen können? Vielleicht zu einer privaten Erkundung?“ „Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Auch Noah schlug nun die Beine übereinander, ebenfalls überhaupt nicht wackelig, was Joey die Zornesröte ins Gesicht trieb. Doch er nutzte die Geste eher, um die verräterische Knieberührung wie zufällig zu unterbrechen. „In welchem Hotel sind Sie denn untergekommen, wenn ich das so direkt fragen darf?“ „Sie dürfen gern sehr direkt sein“ raunte er ihm zweideutig zu. „Ich bleibe im Northlight Hotel, ein paar Kilometer von hier.“ „Und ist es zu Ihrer Zufriedenheit?“ „Bis auf, dass die Küche ab zehn Uhr geschlossen hat, ja. Es hat einen guten Standard. Nicht zu vergleichen mit den Häusern, in welchen ich sonst absteige, doch es übertraf meine Erwartungen.“ „Das ist gut zu hören. Ein schlechtes Hotel kann einem die beste Laune miesmachen.“ „Sie sagen es.“ „Und wie kamen Sie dazu, sich so weit von Ihrem Hotel zu entfernen? Wenn ich mich recht entsinne, liegt das Northlight im Stadtzentrum und dort haben die Restaurants und Clubs bis in die frühen Morgenstunden geöffnet. Abgesehen davon hätte Ihnen doch auch der Zimmerservice mit Freuden etwas Gutes getan.“ „Ich esse ungern auf dem Zimmer. Der Geruch, wissen Sie? Außerdem bin ich lieber in Gesellschaft und wollte nicht sofort allein aufs Zimmer gehen.“ Er drehte das Weinglas zwischen den Fingern und legte mit der anderen Hand sein langes Haar zurück, wobei er provokativ seinen Hals und die Schulter streichelte. „Also bat ich den Fahrer, er möge mich zu einem guten Restaurant bringen. Und er setzte mich hier aus. Zu meinem Glück wie ich nun feststelle.“ „In der Tat. Hannes ist ein hervorragender Koch.“ „Das meinte ich nicht.“ Er streckte das längere Bein aus, stellte es neben Noahs auf dessen Hocker und drückte seinen Unterschenkel an ihn. Er sah ihm tief in die Augen und biss sich spielerisch auf die Lippe wie ein schüchternes Schulmädchen. „Ich verspreche es Ihnen“ lachte Noah und hob neckisch den Finger. „Sein grüner Sprossensalat ist besser als der von Ferran Andriá.“ „Wenn Sie es sagen, zweifele ich nicht daran. Haben Sie schon häufig bei Andriá gegessen? Kennen Sie ihn?“ „Wir pflegen eine sehr intime Beziehung“ vertraute Noah ihm mit einem verschmitzten Lächeln an. „So? Wie darf ich das verstehen?“ neckte er mit hochgezogener Augenbraue und griff erneut zu einem Schluck Wein. „Er wickelt seine Finanzgeschäfte über Kaiba Financials ab. Kann es etwas intimeres geben als Bankkonten?“ „In unseren Kreisen wohl kaum“ lachte Terry über den Scherz und legte Noah vertraulich die Hand aufs Knie. Wenn Mokuba jetzt die Treppe runterkam, war Noah einen Kopf kürzer. Und der hübsche Junge würde sich selbst als Hackfrikadelle auf dem Grill vorm Baumarkt wiederfinden. Noah stieg zwar nicht direkt auf diese mehr als eindeutigen Avancen ein, jedoch lehnte er auch nicht direkt ab. Das war ein Tanz auf der Klinge, welchen er da zum Besten gab. Und das ganz ungeniert vor seinen Freunden. Nur gut, dass in diesem Moment Hannes aus der Küche kam und eine Schale aus Styropor hinstellte. „Essen ist fertig. Sprossensalat an Joghurtkräutern mit Gemüsen der Saison und warme Hähnchenbruststreifen mit einem Tropfen nativen Olivenöl scharf angebraten.“ „Sie sind schnell, guter Mann.“ Er hätte wohl gern noch etwas länger mit Noah geturtelt und ihre Beziehung bis zum Bankkonto vertieft. „Was bin ich Ihnen schuldig?“ „Lassen Sie nur, Terry. Das geht auf mich“ bat Noah und erhob sich. „Hannes, gibst du bitte noch eine Flasche von meinem 1787er Chateau Lafite dazu?“ „Oh, Noah, nicht doch.“ Auch Terry stand auf und hielt ihm abwehrend die Handflächen entgegen. Es fehlte nicht viel und er berührte Noahs Brust. „Das kann ich nicht annehmen. Wirklich nicht. Sie übertreiben.“ „Ach, keineswegs. Der Lafite hat vor Jahren seinen Ruf als teuerster Wein verloren. Mein Depot ist somit fast wertlos“ lächelte er charmant, sodass ihm jede Frau sofort verfallen wäre. „Wenn wir uns einigen können, darf ich Sie sicher auf ein Glas 1945er Mouton Rothschild einladen. Dieser ist nämlich tatsächlich einem Toast auf unser beider Bindung würdig. Für heute wollen wir es bei diesem Tropfen bewenden lassen.“ „Sie sind sehr großzügig, Noah.“ Er reichte ihm die Hand, doch dieses Mal ließ er es eben nicht dabei bewenden. Er trat zu ihm heran, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste den Firmenboss ein paar Sekunden so nahe am Ohr, dass es aussah, er würde ihm etwas Feuchtes zuflüstern. Noah legte seine Hand an Tjergens Oberarm und hielt ihn leicht. Nicht zur Abwehr, sondern als Erwiderung. Während Joey und Tristan Stoßgebete zum Himmel schickten, dass jetzt nicht Mokuba die Treppe herunterpolterte und das Haus in Schutt und Asche legte. Im selben Moment fiel es beiden wie Schuppen von den Augen und sie warfen sich an Noah und dem Schönling vorbei erschrockene Blicke zu. Tjergen war von schlanker Gestalt mit langen Beinen und ausgeprägt dominanten, dunklen Augen. Sein sicherer Stil von nicht mehr als zwei Hauptfarben geprägt. Außerdem besaß seine Stimme einen Ton von Wärme und Arroganz gleichermaßen. Sein langes, glattes, glänzendes Haar und seine direkte, hartnäckige Art. Dazu diese Aura der edlen Mystik. Er war derselbe Typ wie Mokuba. Er war ein Volltreffer. Er entsprach genau Noahs Typ. Deshalb wehrte der den Flirt nicht ab … er ließ sich freiwillig anmachen, weil der andere ihm gefiel. „Ich möchte nicht aufdringlich sein, Noah.“ Wobei Tristan und Joey ein lautes Lachen ebenso im Halse stecken blieb wie alles andere. „Ich würde Ihnen gern mein Buch und meine Karte hierlassen, wenn ich darf.“ „Sehr gern“ nickte er und wartete bis Tjergen seine Tasche heraufgeholt und geöffnet hatte und ihm eine in hellbraunes Leder eingebundene Mappe übergab. „Ich hoffe, wir können unser Gespräch das nächste Mal etwas vertiefen.“ Er sah ihn herausfordernd an und brach genau im funkelnsten Moment den Blick, um seine Tasche über die Schulter zu werfen und nach der Styroporschachtel zu greifen. „Das hoffe ich auch, Terry“ erwiderte Noah und reichte ihm zum Ausgleich für den Abschied die Flasche, welche Hannes brachte. Das Etikett war fast verblichen und die Flasche aus dickem, schwerem Glas mit einem wachsversiegelten Korken noch jungfräulich. „Ich wünsche Ihnen mit diesem Schlummertrunk eine geruhsame erste Nacht in Blekinge.“ „Wenn ich jetzt so einsam noch Schlaf finde“ lächelte er, nahm die Flasche und berührte natürlich noch einmal Noahs Hände. Zufällig verstand sich. „Ich danke Ihnen für den reizenden Abend und wünsche Ihnen spannende Träume, Noah.“ „Gute Nacht, Terry.“ „Mr. Wheeler. Mr. Taylor. Mr. Hannes“ nickte er noch ein letztes Mal und drehte sich um. Unverhohlen blickte Noah dem eleganten Hintern nach, welcher durch das schummrige Licht hinter den Vorhang und durch die Tür entschwand. Auch als die Tür geschlossen war, blieb er noch einen Augenblick stehen und atmete tief durch. „Was bitte war das denn?“ stellte Joey ihn sofort zur Rede. „Das war Terry Manison“ antwortete er und setzte sich zurück auf seinen Stuhl. „Und WAS bitte war der?“ sprach er noch mal lauter. „Noah, bitte sag mir, dass das ein Callboy war.“ „So was ähnliches.“ „SO WAS ÄHNLICHES? Sag mal spinnst du? Wenn wir nicht anwesend gewesen wären, hättet ihr wohl auf dem Tresen gevögelt oder wie?“ „Joseph, jetzt reg dich mal ab.“ Jetzt klang Noah auch wieder als sei er bei Sinnen und schob das Weinglas zu Hannes rüber. „Machst du mir einen neuen?“ „Klar.“ Der Rest des Weins wurde weggeschüttet. Wenigstens ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass Noah dem Schönling nicht vollends verfallen war. „Noah?“ Tristan setzte sich ebenfalls und beugte den Kopf zu ihm herüber. „Dir ist doch wohl klar, dass der dich angemacht hat.“ „Das habe ich wohl gemerkt. Danke, dass ihr nichts gesagt habt.“ „Dafür bist du uns was schuldig, Mann“ raunte Joey, dem die ganze Sache sehr spanisch erschien. „Und erklärst du uns jetzt auch, warum du dem nicht den Wein über den Kopf gegossen hast?“ „Weil der Wein ihm offensichtlich geschmeckt hat.“ „Alter, das ist nicht komisch! Das war schon sexuelle Belästigung.“ „Noah, ehrlich mal.“ Wenigstens sprach Tristan ruhiger, nicht wie Joey, welcher gleich stellvertretend für Mokuba an die Decke ging. „Normalerweise weist du die Typen alle ab, die an dir rumbaggern. Du bist doch gar nicht der Mensch, der fremdgeht. Warum machst du dem jetzt Hoffnungen?“ „Weil ich ihn haben will, deshalb. Er ist auf meinen Wunsch hierher gereist.“ „NOAH!“ „Joseph, setz dich“ wies Noah ernst an und trank einen großen Schluck von seinem neuen Wein. „Seht euch das mit mir an und hört zu. Besonders du, Joey.“ „Ich höre zu, aber noch glaube ich dir kein Wort.“ Er beobachtete wie Noah die Mappe hinlegte und die erste Seite aufschlug. Links nichts weiter außer eine eingesteckte Visitenkarte, doch auf der rechten Seite … „Der Typ ist ne Nutte!“ Er sah dort ein Nacktbild von genau dem Kerl, der eben noch auf einen schnellen Piep aus war. Die Fotografie zeigte ihn kopflängs in die Kamera blickend mit nichts als einem goldenen Schleier, welcher die männliche Blöße verdeckte, jedoch nur eine Bewegung fehlen ließ, um alles sehen zu dürfen. Der Schleier hatte dieselbe goldene Farbe wie der sandige Untergrund und der dunkle Sternenhimmel. Eine nächtliche Wüste mit warmem Licht. Sein brünettes Haar in wilden Strähnen wie nach einem heißen Liebespiel, seine Lippen wollüstig geöffnet, seine dunklen Augen in ferne Sphären dem Betrachter zugewandt. Seine Gliedmaßen, seine athletische Brust und sein kondensierender Atem. Selbst Heteromänner wie Tristan und Joey fühlten etwas bei diesem Bild. Es war purer Sex. „Mutig, dieses Bild als Aufmacher zu nehmen. Wenn das nicht für mich war“ schmunzelte Noah und blätterte um. Auf der nächsten Seite war derselbe Mensch völlig anders dargestellt. In einem dunkelbraunen Designer-Anzug, welcher seiner schlanken Statur schmeichelte. Sein Haar zum Zopf gebunden und seine dominanten Augen funkelten unter einem leicht gelüpften Hut hervor. An der Seite eine zerbrochene Glasscheibe, auf der anderen ein dunkler Wagen, dessen geöffnete Tür sein ausgestrecktes Bein verdeckte. Obwohl man weniger von seinem Körper erkannte, wirkte das Bild mysteriös, wusste nicht, ob er ein kalter Gangster oder doch eher der Agent in hohem Auftrag war und man konnte nicht anders als hinzusehen. Auch auf dem nächsten Foto fesselte sofort seine Präsenz den Blick. Es war ein Portrait, sein Oberkörper leicht vorgebeugt und seine dunkelbraunen Augen blickten gezielt in die Kamera. Sein scharfer Blick sagte: ‚Komm her oder renn so schnell du kannst‘. Sein schmaler Hals war leicht seitlich geneigt und eine olivgrüne Python züngelte an seinen geheimnisvoll gehobenen Mundwinkeln. Vor sich berührten die grazilen Finger ein vor Kälte beschlagenes Glas mit Whiskey und Eiswürfeln. Das Bild wirkte bedrohlich, kühl und brennend gleichermaßen vor dem schwarzen Hintergrund und er selbst als würde er jeden Augenblick etwas Unaussprechliches tun. „Er ist der Beste“ beschied Noah und schlug die Mappe zu, brauchte die anderen Bilder gar nicht zu sehen. „Ist Mokuba dir nicht mehr genug?“ fragte Tristan furchtsam. „Du hast es doch nicht nötig, dir einen Callboy zu nehmen. So hochklassig er auch sein mag.“ „Nein, ich checke das langsam. Auch warum der mir gleich so bekannt vorkam.“ Wenigstens kam Joey Stück für Stück dahinter, nahm sich die Mappe und blätterte hastig darin. „Den habe ich schon oft gesehen. Diese Werbung für Wild Whiskey. Jetzt weiß ich es. Tristan, der Typ ist ein Supermodel.“ „Model?“ „Natürlich Terry Manison, jetzt hat’s klick gesagt. Ich habe mal versucht, ihn für eine Kampagne als Körpermodel zu buchen. Ich wollte seine Beine haben, eigentlich nur seine Füße bis zum Unterschenkel, aber sein Agent hat abgelehnt.“ „Er macht keine Teilaufnahmen. Jedenfalls nicht mehr seit er bessere Aufträge an Land zieht“ erklärte Noah, drehte sich herum und lehnte den Rücken an den Tresen, legte seine Ellenbogen darauf und überschlug die Beine. „Tjergen ist DAS Model im Moment. Er ist mit Abstand der Teuerste, aber auch der Beste. Er macht Fotoaufnahmen und läuft für weltberühmte Designer. Wer versucht, ihn zu buchen, muss mit Wartezeiten von bis zu zwei Jahren rechnen. Nicht er lässt sich buchen, sondern er bucht seine Kunden. Er kann sich seine Arroganz leisten, denn jeder will ihn haben. Und ich will ihn auch.“ „Sag das nicht so. Das klingt anrüchig“ warnte Tristan. „Wenn du Mokuba das so sagst, schläfst du auf der Couch. Auch bis zu zwei Jahre lang.“ „Sehe ich auch so“ stimmte Joey zu. „Egal wie begehrt er ist, du hast es nicht nötig, dich von ihm angraben zu lassen. Das war echt ziemlich aufdringlich von ihm.“ „Ich will auch gar nichts von ihm außer seine Dienstleistung. Und dass ich ganz anscheinend sein Typ bin, spielt ihn mir nur in die Hände.“ „Noah, du bist der Chef des weltgrößten Wirtschaftsimperiums“ warnte Tristan. „Du musst dich nicht für ein einfaches Model prostituieren.“ „Ihr versteht das nicht. Bis zu einem gewissen Punkt muss ich seine Avancen erwidern. Wenn ich ihm sage, dass er keine Chance bei mir hat und auf Abstand bleiben soll, wird er sich nicht von mir engagieren lassen. Ich glaube, er braucht dieses gewisse Knistern, um bei Laune gehalten zu werden. Sonst arbeitet er nicht für mich.“ „Trotzdem habe ich das Gefühl, dir gefällt dieses Knistern nicht nur im geschäftlichen Sinne“ versetzte Joey. „Ich sage auch nicht, dass ich ihn nicht anziehend finde“ gab er offen zu und blickte dennoch achtsam zur Treppe. „Tjergen ist ein wunderschöner Mann, genau die Art, die mich anspricht. Ich bewundere ihn schon lange und fände eine Zusammenarbeit sehr spannend, auch in privater Hinsicht. Man sieht nicht jeden Tag einen so herrlichen Mann, noch dazu mit solch einem Charakter. Dennoch kann er Mokuba nicht das Wasser reichen. Weder in Charakter, noch in Attraktivität kann er ihn übertrumpfen. Den Schönsten von allen habe ich im Bett, aber den Zweitschönsten hätte ich gern in meiner Kartei.“ „Die beiden haben wirklich viel gemeinsam. Sie sehen sich sehr ähnlich, zudem sind beide echt grausig arrogant“ meinte Tristan. „Aber du solltest dich hüten. Dieser Terry riecht nach Problemen.“ „Den weiß ich schon zu bändigen.“ „Pah, du kannst ja nicht mal Mokuba bändigen“ schoss es Joey heraus. „Nein, da besteht ein Unterschied“ stellte Noah ernst klar. „Mokuba will ich gar nicht bändigen. Tjergen aber werde ich bändigen. Den einen will ich wild, den anderen brauche ich gefügig.“ „Noah, du klingst wie Gozaburo, wenn du so über Menschen redest“ sagte Tristan mit aller Vorsicht. „Ich kann meinen Lehrmeister nicht verleugnen“ seufzte er, legte die Arme an den Körper und nahm sein Glas wieder in die Hand, nippte daran. „Mein Vater hat mir in Sachen Menschenkenntnis einiges beigebracht. Und auch wenn ich das Mokuba nicht sagen kann, gibt sogar Seto es zu, dass er nicht alles falsch gemacht hat. Sowohl Seto als auch ich haben so viel von ihm gelernt wie wir unter ihm gelitten haben. Wir haben nicht seine Ethik übernommen, aber er war ein genialer Wirtschafter und er konnte mit Menschen umgehen. Nicht unbedingt mit seinen Söhnen, aber … ich will nur sagen, dass Tjergen Marnens oder eben Terry Manison ein echter Gewinn für uns wäre. Wenn er für uns modelt, haben wir den meisten Unternehmen etwas voraus. Wenn er sogar unser Stammmodel wird, haben wir die nächsten Jahre einen Vorsprung. Sein Name wird immer mit der KC verknüpft werden. Ebenso wie Claudia Schiffer mit Karl Lagerfeld verknüpft ist.“ „Und wann genau hattest du vor, mir davon zu erzählen?“ fragte Joey etwas eingeschnappt. Er war der Mann für die Werbung und wenn Noah ein neues Gesicht für die KC suchte, hätte er ihn doch wenigstens ins Bild setzen müssen. „Eigentlich wollte ich dir morgen in unserem Briefing von meiner Idee erzählen. Seto habe ich auch noch nicht eingeweiht“ erklärte er besänftigend. „Ursprünglich wollte ich mich am Montag erst einmal mit George Dwight, Terrys Manager, zusammensetzen und meine Anfrage platzieren. Dass das Modell persönlich anreist, war gar nicht geplant. Erst recht nicht zu so einem frühen Zeitpunkt.“ „So wie es aussieht, ist dieser Terry einer Zusammenarbeit mit dir ja auch nicht wirklich abgeneigt“ stellte Tristan fest. Noah hatte noch gar keine offizielle Anfrage gestellt und schon reiste der Auftragnehmer an. Nicht zuletzt war dies sicher durch Noahs Anziehungskraft zu begründen. „Wofür genau willst du ihn denn haben?“ fragte Joey und legte die Mappe weit weg auf den Tisch. Das Ding war so überwältigend, dass es fast gefährlich anmutete. „Ich will ihn als Herbst für den Eros-Kalender und er soll das neue Gesicht der Eros-Metrolinie werden.“ „Herbst und metro ist ja wohl voll sein Stil“ musste selbst Tristan zugeben. „Das allein wäre mit ausreichend Geld auch zu machen. Models sind alle käuflich“ meinte Joey. „Dafür musst du ihm keinen Honig zwischen die Beine schmieren. Er kann froh sein, wenn die KC ihn haben will. Das ist mehr Werbung für ihn als für uns.“ „Ich will noch mehr, Joseph. Ich will eine Serie von TV-Spots mit ihm machen.“ „TV-Spots“ wiederholte er und sah ihn skeptisch an. „Fernsehen macht er doch gar nicht. Er macht Fotos und Laufsteg, aber keine Filmaufnahmen.“ „Irgendwann wird er welche machen müssen. Er ist jetzt 25 Jahre alt und er weiß, dass er spätestens in fünf Jahren Probleme bekommt. Alte Models will keiner mehr sehen. Besonders bei den männlichen, androgynen Models wird es im Alter eng.“ „Sagt man nicht, Männer werden im Alter interessanter?“ warf Tristan ein. „Das gilt für Schauspieler und Musiker, für George Clooney und Tom Jones. Meinetwegen auch für Politiker. Aber nicht für Models. Das Alter ist für jedes Model ein Todesstoß. Und Terry ist nicht der Typ, der Heizdecken oder probiotische Joghurts bewirbt. Mit dem schnellen Wandel der Fashion-Trends kann er mithalten, aber gegen das Alter ist jeder machtlos. Wenn die ersten Fältchen kommen, werden die ersten Kunden gehen. Und das weiß er auch. Deshalb muss er vorsorgen und je größer sein Repertoire ist, desto später kommt das Karriere-Aus. Wenn er rechtzeitig mit Film anfängt, kann er später eventuell schauspielern oder moderieren. Er braucht nur einen Kunden, für welchen es sich lohnt, sein TV-Debüt zu geben. Und dann kommt die KC ins Spiel.“ „Damit gehen wir ein hohes Risiko ein“ gab Joey zu bedenken. „Er hat noch nie Spots gedreht, das ist ein neues Feld. Wenn das von der Öffentlichkeit nicht angenommen wird, leidet unser Ansehen. Ich bin froh, dass Eros so gut angelaufen ist, aber wenn das mit der Metroline jetzt in die Hose geht …“ „Ich bin mir aber sicher, dass er das kann und wir einen Erfolg einfahren. Wenn wir ihn sogar dazu bekommen, sich mit einem Exklusiv-Vertrag an uns zu binden, wäre das für beide Seiten vorteilhaft. Er weiß, dass wir mit ihm ein Risiko eingehen, aber wir wären vermutlich der einzige Kunde, mit dem er das durchziehen kann. Wenn er für eine kleine Firma TV-Spots dreht, schadet das seinem Glamour. Große Konzerne aber denken genau wie du, Joey. Das Risiko ist zu hoch. Sie würden ihm für den Anfang überhaupt nur kleine Spots für Shampoo, Bodylotion oder Parfüm geben. Das ist aber nicht das, was er braucht. Er braucht einen richtigen Knaller, eine starke Marke, die ebenso viel Stil hat wie er. Und das ist Marke Eros-Metro der KC.“ „Eros ist aber was für richtige Männer. Für erfolgreiche, männliche Männer“ wandte Tristan ein. „Terry ist aber doch eher … sorry, aber wenn der nicht schwul ist, weiß ich auch nicht. Eros ist keine Schwuchtelmarke, Metro hin oder her.“ „Eros umspannt aber viele Altersgruppen und verschiedene Produktlinien. Sowohl die gestandenen Männer der oberen Zehntausend als auch die Gruppe der hippen Neuzeitjugend. Erana ist für die Damen, Eros für die Herren. Doch die Metro-Marke ist unisex. Wir werden eine der ersten Metro-Marken etablieren und dafür benötigen wir jemanden, der ebenso unisex ist. Metro wird Eros und Erana vereinen und die Zielgruppen erfassen, welche sich nicht für männlich oder weiblich entscheiden wollen. Und dies bedeutet wiederum, unser Model muss Männer wie Frauen ansprechen.“ „Wie Coca Cola“ versuchte Joey zu erklären. „Du hast Cola als Grundelement und zu Weihnachten sogar mit Weihnachtsmann. Die Marke ist gestanden und einprägsam. Ein Klassiker. Dann hast du Cola Light, das Image zielt eindeutig auf Frauen ab. Und du hast Cola Zero, das ist auf Männer geprägt. Light und Zero sind aber so ziemlich dasselbe, nur das Image ist anders. Bei Eros ist das ähnlich. Eros ist quasi unsere Cola. Du hast viele verschiedene Produkte, die sich im Image stark unterscheiden, aber letztlich aus derselben Fabrik kommen. Trotzdem will ich nicht, dass so ein Model uns die Linie kaputtmacht, nur weil er im Fernsehen nicht rüberkommt.“ „Terry ist wandelbar, sehr wandelbar und er versteht, was der Kunde von ihm will“ war Noah überzeugt. „Er ahnt auch, was wir von ihm wollen, aber er wird sich nicht so leicht dafür hergeben. Wie gesagt gehen beide Seiten ein Risiko ein, doch seines ist letztlich größer als unseres. Wenn Eros Metro floppt, stampfen wir es ein, denken uns was neues aus und in zwei Jahren weiß keiner mehr was davon. Außer dass unsere Bilanz etwas leidet, was wir aber aufgrund unserer Größe verkraften können. Terry aber kann dadurch entweder fürs Leben aussorgen und mit uns seinen Durchbruch im TV feiern oder mit Pauken und Trompeten untergehen. Deshalb hoffe ich, dass er dieses Risiko mit uns eingeht.“ Er nahm noch einen Schluck aus dem Glas und schwenkte das gute Rot im Kreis. „Und er wird sicher kein Risiko mit jemandem eingehen, den er unausstehlich findet. Dafür ist er zu egoistisch. Deshalb muss ich seine Annäherungen bis zu einem gewissen Punkt erwidern. Ohne Sympathie und Köder läuft bei ihm gar nichts. Das ist wie bei Moki.“ „Du solltest auch aufpassen, dass da wirklich nichts läuft“ riet Tristan. „Dass Terry dir gefällt, steht auf deiner Stirn geschrieben.“ „Na und? Joey steht auf Lady Gaga.“ „TUE ICH NICHT!“ „Das heißt noch lange nicht, dass er mit ihr ins Bett springen würde.“ „Würde ich auch nicht! Narla ist gaga genug.“ „Aber du weißt, wie Mokuba ist. Ich gehe jede Wette ein, dass wenn er und Terry aufeinander treffen, sie sich gegenseitig die Augen auskratzen. Zu viel erotische Sympathie … und du provozierst Missverständnisse geradezu.“ „Nur weil ich schwul bin und Terry mir gefällt, heißt das nicht, dass ich irgendwas aufs Spiel setze. Ich werde Mokuba auch das Buch zeigen und ihm sagen, dass ich demnächst einige Termine mit einem männlichen Model haben werde. Ich will da gar nichts geheim halten.“ „Du willst ihm das sagen?“ Da guckte Joey ihn doch sehr skeptisch an. „Ich glaube, Mokuba wird das ziemlich egal sein, ob Eros ein Erfolg wird oder nicht. Wenn er diese Fotos sieht, wird er deinem Model Gift in den Wein mischen oder ihm Säure übers Gesicht gießen oder so. Und du wirst zuhause eingesperrt und in Ketten gelegt.“ „Unsinn. Moki ist zwar eifersüchtig, aber er muss das vernünftig sehen. Ich kann doch nicht meine Geschäftspartner danach aussuchen, wie hässlich sie sind.“ „Siehst du das so, ja?“ „Ich weiß, dass Mokuba mir ne Szene machen wird“ lachte er und nippte am Glas. Genau deshalb liebte er ihn ja so sehr. Er liebte seine eifersüchtige Zicke. „Aber wenn Terry Interesse zeigt und ich meinen Exklusiv-Vertrag verhandeln kann, dann werde ich Moki auch einweihen. Bis dahin werde ich ihm nur sagen, dass Tjergen ein Model ist, das ich engagieren will. Das muss vorerst reichen.“ „Na, wenn du meinst. Du bist der Boss.“ „Sei nicht sauer“ schmunzelte Noah ihn an. „Du hast die erste Eros-Kampagne großartig gemacht. Aber dieses Mannequin ist noch eine Nummer zu groß für dich.“ „Wenn ich jetzt nicht das Wörtchen ‚noch‘ gehört hätte“ muckschte er. „Ich dachte immer, ich bin für die Werbung zuständig und du reißt mir das aus der Hand.“ „Ich reiße dir nichts aus der Hand. Ich habe nur den Köder ausgeworfen und hole den Fisch an Land. Sobald er an Bord ist, darfst du mit ihm machen, was du für nötig hältst. Du findest sicher eine Möglichkeit, ihn und das Produkt ins richtige Licht zu setzen. Du weißt doch, worauf die Leute anspringen.“ „Und der ist ja wohl voll auf dich angesprungen.“ „Spontane Sympathie würde ich sagen.“ Und egal was er sagte, man sah ihm an, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Wenn er sich nicht vor Jahren für Mokuba entschieden hätte, wäre dieser Abend anders ausgegangen. Dann hätte er geantwortet: Gleich hier. Chapter 8 Der Sonnenuntergang belebte voller Zauber den Abend eines ereignislosen Tages. Der Himmel verwandelte sich in einen Traum aus Rosa und Orange und zog die Schafswolken in lange Streifen, welche ihren Weg über den Horizont schlichen. Es war ein wunderbarer, ein ruhiger Ausklang und in einiger Entfernung hörte man volkstümliche Musik wie Nebel gedämpft durch die Gassen dringen. Wahrscheinlich aus der Kneipe am Straßenende, welche ihre Türen offen ließ und auch der Umgebung noch ein paar Töne schenkte. Oder einfach deshalb, damit der Zigarettenqualm abziehen konnte. Der Nichtraucherschutz hatte hier noch nicht überall Einzug gehalten. Wenigstens war Tato so rücksichtsvoll und rauchte seine Zigaretten draußen, wobei er auch gleich ein paar ruhige Momente mit Dakar genoss. Bis eben hatte Phoenix beide vom Fenstersims aus beobachten können und musste in sich hineingrinsen. Eigentlich wollte der Drache sich das Rauchen abgewöhnen, doch das schien ihm nicht so leicht zu fallen wie sonst alles andere. Er war eben auch nur ein Mensch. Doch wie er dort unten auf der kleinen Mauer saß, in Gedanken langsam seinen Glimmstängel aufsog und die letzte Asche ins Beet davor abwarf, den Stummel ausdrückte und ihn dann zielsicher in den Mülleimer schnippte - das alles gab ihm eine Aura des Übernatürlichen. Jede seiner Bewegungen schien wie die eines Fabelwesens … und irgendwie war er ja auch eines. Besonders wenn er so wie jetzt mit Dakar zusammensaß, der noch offensichtlicher kein typischer Mensch war. Es schien manchmal als hätten beide ein stillschweigendes Abkommen getroffen, dass sie nicht miteinander sprachen. Sie konnten für Stunden nebeneinander sitzen und sagten kein Wort. Nach außen wirkte es manchmal als würden sie einander ignorieren, doch wenn sie so wie nun allein und ungestört den Qualm in die Luft bliesen, dann sah man, dass dies eine eigene Welt war, welche außer ihnen niemand verstehen konnte. Eine Welt, in der man anders als durch Worte kommunizierte. Dakar sprach ohnehin nicht viel und auch Asato versank manchmal in sich selbst. Es war ein wenig unheimlich, wenn die beiden zusammen waren. Aber auch ein wenig beneidenswert. Er nickte Dakar zu, wurde ebenso wortlos verabschiedet, ging zurück ins Restaurant und verschwand von der Straße, während sein Rauchpartner sitzen blieb. Eigentlich war es schade, denn Phoenix beobachtete den Drachen gern aus der Entfernung. Seine Umrisse, vor allem wenn er frühlingsleichte Kleidung trug, deren ewig schwarze Farbe seiner Haut und seinen Konturen schmeichelte. Wenn Tato nicht wusste, dass man ihn beobachtete, war er so natürlich. Dann wurden seine Gesichtszüge weich und sein Körper entspannt. Wenn er in Gedanken versank, war es als würde er mit offenen Augen schlafen. Dann wirkte er so sanft. Irgendwie mystisch, weil man sich fragte, woran er wohl denken mochte, wenn er so deutungslos in die Ferne blickte oder seine Augen Dingen folgten, die andere gar nicht wirklich sahen. Dann zeigte sein stürmisches Herz, dass es auch mit einer leisen Brise die Welt umschmeicheln konnte. „An dir ist auch ne Katze verloren gegangen.“ Ruhig zog Tatos tiefe Stimme durch den Raum und weckte ihn aus seinen Gedanken. Phoenix drehte sich um und sah, wie er die Tür hinter sich schloss und die Schuhe am Eingang stehen ließ. „Warum?“ fragte er verwundert. „Weil du oft am Fenster sitzt und rausguckst wie ne Katze“ war die selbstverständlich gesprochene Antwort. Tato nahm auf seinem weichen Bett Platz, lehnte sich zurück und entschloss dann wohl doch, dass die liegende Position angenehmer wäre. Er streckte sich in ganzer Länge und bettete seine Arme in den weichen Federn des Kopfkissens, bevor er auch seinen Kopf zurücklegte und die Zimmerdecke betrachtete. Er war so lang, dass seine Füße vom Bett herabhingen, aber daran hatte er sich mit den Jahren wohl gewöhnt. „Hast du mich gesehen?“ Das wäre Phoenix sehr peinlich. Hatte er etwa bemerkt, wie er ihn beobachtete? „Ich brauche dich nicht zu sehen, um zu wissen, wo du hinsiehst. Dakar und ich riechen dich auch gegen den Wind“ antwortete er und schloss mit leisem Seufzen seine Augen. „Du bist ein Träumer, weißt du das?“ „Dann haben wir ja doch was gemeinsam. Du sitzt manchmal auch nur da und träumst dich in den Moment hinein.“ Er stand auf und schloss das geöffnete Fenster. Wenn Tato liegen bleiben wollte, würde ihm bei dem Abendwind sicher kühl werden. „Woran denkst du, wenn du mit Dakar so herumsitzt und ins Nichts siehst? Das habe ich mich schon immer gefragt.“ „So an dies und das“ antwortete er leise. „Nichts Bestimmtes. Die Gedanken kommen und gehen wie Wolken. Manchmal sind sie groß und regnen sich ab. Und manchmal sind sie so schleierhaft wie der Himmel jetzt. Und der Sonnenuntergang formt sie nur in abstrakte Formen, welche viele Deutungen erdulden.“ „Du bist ja ein Poet“ lächelte er und setzte sich auf sein eigenes Bett gleich gegenüber. „Jetzt weiß ich, wo Sari das her hat.“ „Tja ...“ Damit war das Thema wohl für ihn abgeschlossen. Phoenix blickte ihn noch einen Augenblick an, überlegte, was er noch sagen könnte. Wenn jemand im Raum war, war es doch besser, eine Unterhaltung zu suchen. Schweigen wie Dakar, das konnte er nicht so gut. Es passte irgendwie nicht. „Wo sind denn unsere Mitbewohner?“ fragte er ins Blaue hinein. „Wollte Sari nicht heute Abend ihr Buch zuende lesen?“ „Sari und Balthasar bleiben heute Nacht bei Yami“ antwortete Tato mit geschlossenen Augen und tonloser Stimme. „Ati ist zuhause? Und wo ist Finn?“ „Arbeiten oder so. Keine Ahnung. Interessiert mich auch nicht.“ „Kommt ja selten vor, dass die beiden mal getrennt ne Nacht verbringen. Hm … was meinst du? Ob er Finn schon rumgekriegt hat?“ „Das gehört zu den Dingen, die mich noch weniger interessieren.“ „Du bist langweilig. Und was macht er jetzt mit Sari und Balthasar? Ich meine, lohnt es sich hinzugehen?“ „Würde ich dir nicht empfehlen. Sie sagten irgendwas von einem Wettessen alternativer Zuckerwatte.“ „Was ist denn alternative Zuckerwatte?“ „Die Party findet beim alten Pharao im Bett statt. Willst du auf deine Frage wirklich eine Antwort haben?“ „Wow, dann sind die beiden aber mutig“ musste er neidlos anerkennen. Er würde sich auf nichts einlassen, was in der Verbindung Pharao, Bett und Essen stand. „Und wahrscheinlich haben sie morgen alle drei Bauchschmerzen.“ „Onkel Moki macht auch mit. Dann wird es hoffentlich nicht in einer Katastrophe enden. Und wenn meine Tochter sich doch den Magen verdirbt, drehe ich den drei Herren persönlich den Hals um. Dann habe ich auch noch ein bisschen Spaß an der Sache.“ „Du lässt sie mehr machen in letzter Zeit“ fiel ihm da nun auf. „Ich meine, sie hat letzte Nacht schon bei Kaya und ihren Mädchen geschlafen. Wundert mich, dass du ihr das erlaubst, dir jetzt schon wieder fern zu bleiben. Das sieht dir nicht ähnlich.“ „Was?“ „Na ja, du ...“ Wie sollte er ihm das freundlich sagen, ohne ihn zu verletzen? Aber er war einer der wenigen Menschen, die ihm immer die ehrliche Meinung sagen konnten und das dann auch überlebten. „Weißt du … du klammerst dich ein bisschen an ihr fest ... finde ich“ antwortete er dann vorsichtig. Auch wenn das jeder dachte, hatte noch niemand den Mut gehabt, ihm das mal zu sagen. „Sie wird langsam älter. Ich kann sie ja leider nicht ewig überwachen“ antwortete er mit ebener Stimme. Klang, als wäre ihm das Thema nicht neu. Überraschend wie gelassen er Phoenix’ Meinung aufnahm. „Das ist wahr.“ Und das war für ihn wirklich eine schmerzhafte Einsicht. Es fiel ihm so schwer, sie loszulassen, sie ihre eigenen Fehler machen und eigene Wege gehen zu lassen. Wenn es nach ihm ginge, würde er sie in einen Glaskasten setzen und nur zum Küssen herausholen. Er hatte große Verlustängste und sie frei zu geben, war ein innerer Kampf. Aber Sareth genoss ihre neue Freiheit und nabelte sich bei jeder Gelegenheit von ihrem Vater ab. Deshalb war sie letzte Nacht ganz fort und nun schon die zweite Nacht nicht im selben Zimmer wie ihr Vater, zumal Sethan im Aquarium und der Pharao ständig bei Finn schliefen. Somit war das Zimmer bis auf Phoenix komplett leer. Und sie war dort, weil sie es genoss, nicht ständig Rücksicht auf ihren Papa nehmen zu müssen. Darauf, dass er sich Sorgen machen könnte. Auf seine schwere Trauer und dass manches in ihm Erinnerungen weckte. Sie floh vor seinem Schwermut und er wusste das. Jetzt. „Nun ja ...“ Jetzt antwortete Tato schon wieder nicht. Er lag auf dem Bett, die Augen geschlossen und hob seine Stimme kaum an. Wahrscheinlich war er müde und wollte lieber seine Ruhe haben, anstatt sich zu unterhalten. Phoenix sah ein, dass eine weitergehende Unterhaltung nur wieder im Sande verlaufen oder ihn nerven würde. Deshalb griff er neben das Kopfkissen und öffnete sein Buch dort, wo das Lesezeichen ihn hinführte. Auf große Fresspartys hatte er ebenso wenig Lust, wie mit den anderen noch irgendwo zu sitzen und Musik zu hören und zu trinken oder auf die bereits schlafenden Kinder aufzupassen. Deshalb hatte sich wohl auch Tato zurückgezogen und suchte seine Abendruhe. Verständlich. Wenn man in großen Gruppen hauste, brauchte man ab und an seine Abgeschiedenheit. Und jetzt, wo sie das Zimmer für sich hatten, wollte er ihm auch nicht als Ersatz für die zwei Fehlenden auf die Nerven fallen. Er blätterte gerade die nächste, gelesene Seite um, als er über die merkwürdige Frage nachdenken musste, die ihm ans Ohr drang. „Hast du eigentlich darüber nachgedacht, worüber wir neulich gesprochen haben?“ Neulich gesprochen? Sie hatten in letzter Zeit nicht viel gesprochen. Nicht seit ‚diesem’ Abend. Erst in den letzten Tagen waren sie beide wieder ein wenig aufgetaut. „Ja, habe ich“ antwortete Phoenix und blickte ihn an. Auch wenn Tato ihn nicht ansah, hatte er dennoch die Augen geöffnet und schenkte seinen blauen Blick der lichtgefärbten Zimmerdecke. „Ich habe mich bei Balthasar entschuldigt und ... wir verstehen uns jetzt besser. Das sagt Mama auch. Ich glaube, du hattest Recht mit dem, was du gesagt hast. Ich habe ihm wirklich Unrecht getan.“ „Dass ihr euch ausgesprochen habt, habe ich beruhigt zur Kenntnis genommen“ antwortete er ausdruckslos. „Ich meinte, das andere.“ „Das andere ...“ Phoenix hatte geahnt, dass er wohl eher ‚darauf’ hinauswollte. Auf ihren geheimen Kuss in der Holzhütte. Aber er selbst wollte es nicht so sehr provozieren. Wenn Tato das jetzt nicht ansprechen würde - er selbst hätte das Thema niemals mehr aufgegriffen. „Hast du?“ hakte er nach einer schweigenden Minute noch einmal nach. „Ja, habe ich“ antwortete Phoenix langsam. Sein Herz schlug in pochenden Schlägen und Wärme stieg ihm den Nacken hinauf. Dies war ein aufwühlendes Thema. Natürlich hatte er ständig an Tatos Worte gedacht. Doch all seine Fragen, Warnungen und Befürchtungen endeten in dem Wunschbild, dass er ihn noch einmal küsste. Er konnte an nichts anderes denken als daran, nochmals diese männlichen Lippen zu spüren, seinen warmen Atem zu fühlen und seine starken Arme. Die stärksten Worte konnten dieses Gefühl nicht überdecken. „Und ist dabei etwas rausgekommen?“ wollte Tato wissen. Er klang, als würden sie sich über das morgige Wetter unterhalten. Fand er das Thema wirklich so langweilig wie er signalisierte? Oder war es einfach, um die Antwort nicht mit Emotionen zu beeinflussen? „Nicht wirklich“ erwiderte er mit einer Stimme, die sich allmählich ausdünnte. Er konnte nicht sonderlich gut schauspielern. Starke Emotionen konnte er nicht überspielen - ganz im Gegensatz zu Tato, der das manchmal gut konnte. „Ich ... ähm ... ich habe immer noch dieselbe Meinung. Ich meine ... so viel ich auch nachdenke. Es ändert sich nichts daran, dass ... du weißt schon.“ Daran, dass er in ihn verliebt war. Er hörte ihn nachts schnarchen und er wünschte sich nichts mehr, als in seinen Armen zu liegen, seine Wärme zu spüren und den Kopf auf seine atmende Brust zu legen. Und doch konnte er sich nicht bewegen und seinen Wunsch nicht äußern. Tato hatte gesagt, er brauche Zeit zum Nachdenken. Und wenn am Ende dieser Zeit nichts kam ... dann würde niemals etwas sein. „Und du?“ traute er sich unter großer Überwindung zu fragen. „Hast du auch ... nachgedacht?“ „Meinst du denn, dass du eine Entscheidung von mir akzeptieren kannst?“ fragte er zurück, ohne wirklich auf die Frage einzugehen. „Du meinst, wenn wir ... keine Beziehung … eingehen?“ versuchte Phoenix, sich selbst diese Frage zu erklären. „Ich meine, wenn du das nicht willst, dann kann ich dich ja zu nichts anderem überzeugen. Du bist kein Typ, der sich von anderen zu irgendwas zwingen lässt. Du machst ja immer nur, was du willst.“ „Ja, ich bin sehr selbstsüchtig“ bestätigte er mit tonlosem Blick an die Decke. „Selbstsüchtig würde ich nicht sagen. Du sorgst dich ja sehr viel um die Menschen, die dir was bedeuten. Du bist eher selbstsicher. Du machst nichts, wo du dir nicht sicher bist. Selbst deine Fehler begehst du aus Überzeugung. Egal, wie groß das Risiko ist. Deswegen bewundere ich dich so. Ich wäre gern ein bisschen mehr wie du. Ich würde auch gern meinen Kopf durchsetzen und ein bisschen impulsiver reagieren.“ „Es ist nicht schön, immer ein Dickkopf zu sein, der keinen Kompromiss eingehen kann“ sprach er wohl auch zu sich selbst. „Ich habe in meinem Leben schon so viele Leute mit meinem unbedachten Verhalten verletzt. Ich würde es mir niemals verzeihen, auch dich zu verletzen. Aber das wird passieren. So oder so.“ „Lass nur. Du brauchst nicht weitersprechen“ bat er und senkte seinen Blick zurück auf sein Buch. Die Buchstaben konnte er nicht wirklich erkennen, da ihm die Tränen in den Augen schwammen. Dass so etwas kam, hatte er eigentlich gewusst. Trotzdem tat es weh. „Ich habe schon verstanden. Ich habe gewusst, dass du so was sagst. Du hast ja auch Recht. Diese Gefühle sind sinnlos. Aber gut, dass du wenigstens einen Strich drunter ziehst. Dann weiß ich, woran ich bin. Ich weiß auch nicht, was ich mir da für Vorstellungen gemacht habe. Na ja … ist ja jetzt auch egal. Vergessen wir’s. Und das … das ändert doch hoffentlich nichts zwischen uns?“ „Kannst du das wirklich? Mich so einfach aufgeben?“ Tato war da etwas direkter, wenn er eine Sache klären wollte. „Ist es das, was du willst? Dass ich dir einen Korb gebe, damit du mir keinen geben musst?“ „Ich will dir keinen Korb geben. Und einen bekommen will ich auch nicht. Aber ich kann das verstehen. Wenn du mich nicht so liebst, wie ich dich, dann muss ich damit leben. Ich kann dich ja zu nichts zwingen. Vielleicht bin ich einfach auch zu jung und so eine Verliebtheit vergeht von selbst wieder … irgendwann …“ „Wenn du genau das nicht sagen würdest, Phoenix.“ Er senkte seine Stimme und klang ernster als zuvor. „Weißt du eigentlich, was es bedeutet, wenn ich dir mein Herz öffne? Wenn ich dich als gleichwertigen Partner sehe?“ „Ich ...“ „Es würde heißen, dass du auch mich annehmen musst. Und zwar als gleichwertig. Nicht als den alten Knacker, der dir Küken was zu sagen hat. Sondern als gleichwertig. Ich weiß, dass ich das sehr direkt sage, aber da brauchen wir uns nichts vormachen. Ich habe viel nachgedacht, aber ich traue mir selbst und meinem Urteilsvermögen schon lange nicht mehr. Ich bin unsicher. Und wenn du mir die ganze Entscheidungsgewalt aufbrummst, ist das sehr unfair. Ich bin vielleicht älter als du, aber bei weitem nicht weiser.“ „Was willst du denn hören?“ fragte er mit lauter, tränenverkloßter Stimme. „Dass ich dich liebe und dass ich eine Beziehung will? Dass ich alles mit dir teilen will? Egal, ob es positive oder negative Sachen sind? Dass ich mit dir schlafen will und abends vorm Fernseher kuscheln? Ich weiß, dass das Leben nicht immer rosig ist. Davon brauchst du mir nichts erzählen. Ich weiß, wie es ist, sich einsam zu fühlen, obwohl so viele liebe Menschen um einen herum sind. Willst du hören, dass ich dich verstehe? Dich und deinen Schmerz? Ich weiß nicht, ob ich deinen Schmerz verstehen oder lindern kann, aber ich weiß, dass ich es versuchen kann. Und dass ich es versuchen will. Aber ich habe ja keine Chance, wenn du mich nicht an dich ranlässt! Ich kann Risa nicht ersetzen! Und Dashi auch nicht! Da kann ich doch machen, was ich will. Ich weiß, dass alles Zureden manchmal bei dir keinen Sinn hat. Wenn du es selbst nämlich nicht kapierst, kann dir keiner helfen! So gut kenne ich dich, dass ich weiß, dass bei dir manchmal einfach kein Weiterkommen ist. Reden ist ja schön und gut, aber vormachen brauche ich mir nichts. Und das tue ich auch nicht. Ich träume davon, aber wenn ich die Augen aufmache … verdammt, ich weiß doch, dass es keinen Sinn hätte.“ „Siehst du das wirklich so?“ Nun endlich drehte er seinen Kopf zu ihm herum und blickte ihn mit tiefblauen Augen an, welche schimmerten wie eine Abendbrise. „Dass man bei mir manchmal einfach nicht weiterkommt?“ „Manchmal machst du einfach dicht“ sagte er und wischte sich die Tränen weg. „Und dann macht es mich so wütend, weil ich nicht zu dir durchdringe. Ebenso gut könnte ich einen Sturm anschreien. Denn wenn du nicht willst, dann kann ich dir auch nicht helfen. Da bin ich Realist. Ich bin vielleicht jünger als du, aber dumm bin ich nicht.“ „Wenn du so redest wie jetzt, wirkst du gar nicht so schwach“ sprach er sanft. „Davor habe ich wirklich Respekt. Du hast mehr Kraft als du dir selbst zugestehst. Du siehst die Dinge manchmal realistischer als ich …“ „Und du bist verletzlicher als du es wahrhaben willst. Du hast zwar einen Dickkopf, aber manchmal auch ein ziemlich weiches Hirn“ schniefte er und wischte sich noch mal über die Augen. Und leise flüsterte er: „Deswegen liebe ich dich ja so.“ „Und eben weil ich manchmal ein bisschen weich im Hirn bin, darfst du mir nicht alles durchgehen lassen. Du hast mir bisher immer deine Meinung ins Gesicht gesagt und dafür habe ich dich immer respektiert“ sprach er ruhig, stützte sich auf seine Ellenbogen und blickte ihn mit tiefem Blick an. „Phoenix. Leute, die mir nach dem Maul reden, habe ich genug. Ich brauche niemanden, der meinem Dickkopf nachgibt, sondern mir ebendiesen wäscht. Hast du eigentlich eine Ahnung, warum ich mich überhaupt in dich verliebt habe? Warum du für mich anders bist als die anderen?“ „Nein ...“ Darüber hatte er niemals nachgedacht. Er wusste, warum er sich in Asato verliebt hatte. Er hatte sich aber nie gefragt, woher diese erwiderten Gefühle kamen. Er war viel zu sehr an diese Einseitigkeit gewöhnt. Und doch kam ihm zu aller erst der Gedanke an Risa und wie sie ihn damals bekommen hatte. Sie war das erste Mädchen, welches sich ihm verweigert hatte. Sie wollte ihn und er hatte sie in den Wind geschossen. Dann wollte er sie und sie ließ ihn nicht ran. Asato war ein Mann, der schon immer alles und jeden haben konnte. Doch ihn reizte das, was er nicht haben konnte. Ihn berührte es, wenn man ihm die Meinung sagte. So dominant er auch immer war - er brauchte jemanden, mit dem er rangeln konnte. Er brauchte jemanden, der sich von ihm nicht verbiegen ließ. Jemanden, den er nicht aus Versehen kaputtmachte. Er suchte immer nach Widerstand. Nicht nach körperlichem oder geistigem Widerstand, sondern nach jemandem, der ihn emotional forderte. „Du bist immer ehrlich zu mir, Phoenix. Du schimpfst mich und du hältst mir meine Fehler vor Augen“ sprach Tato in seine vertiefenden Gedanken hinein. „Aber du tust das nicht, indem du mir ein schlechtes Gefühl gibst. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber deine Meinung ist mir wichtig. Vielleicht ist es auch einfach der Reiz des Verbotenen, der dir anlastet ... ich weiß es nicht. Ich kann es mir nicht erklären. Ich weiß, dass ich deine starke Seite sehr schätze und mich zu ihr hingezogen fühle. Und gleichzeitig mag ich deine zarte Zerbrechlichkeit, deine Weichheit. Du bist so gegensätzlich, dass ich ständig über dich nachdenken muss. Du wirkst so zerbrechlich, aber deinen Kern konnte ich nie knacken.“ „Du hast ja auch zwei Seiten“ lächelte er mit Tränen in den Augen auf seine Bettdecke. „Du bist auch ein Schizo.“ „Phoenix.“ Nun fasste er seinen Entschluss, stand vom Bett auf und wechselte hinüber auf das andere, um sich an seine Seite zu setzen. Er nahm ihm das Buch aus den Händen und legte es ans Fußende. Sie saßen so dicht voreinander, dass sie sich fast spüren konnten. Und als Tato die zarten Hände nahm und seine tiefblauen Saphire in seinem aufgeregtem Grau versenkte, zuckte die Spannung in den wenigen Zentimetern zwischen ihnen. „Phoenix, überlege dir das gut“ bat er mit entschlossener Stimme. „Du kennst mich. Ich habe Macken und wenn ich mich erst an dir festkralle, lasse ich dich nicht mehr los. Eher zerfleische ich dich als dich gehen zu lassen. Ich bin ein Mensch, der nicht leicht zu ertragen ist.“ „Ich weiß“ lächelte er mit wummerndem Herzen. „Ich kenne dich doch schon seit ich auf der Welt bin.“ „Und ich bin viel älter als du“ betonte er sehr ernst. „Man wird dich verspotten, wenn du mit jemandem zum Abschlussball gehst, der dein Vater sein könnte. Wir befinden uns in völlig unterschiedlichen Lebensabschnitten. Ich mache Rentenverträge und du erst deinen Schulabschluss.“ „Dann kannst du mir beim Lernen helfen und ich verdiene Geld, wenn du alt und grau bist.“ Auch wenn das den Charme eines Witzes besaß, war da nun mal ein Fünkchen Wahrheit dran. „Phoenix, ich bin nicht gut für dich.“ Fast machte es den Anschein, er wolle ihm die Idee von Zweisamkeit jetzt selbst ausreden. „Ich bin depressiv, Alkoholiker und ich weiß, dass ich mir viele Probleme nicht eingestehe. Ich bin gefährlich. Du hast gesehen, wie ich bei der Begegnung mit deinem Vater ausgeklinkt bin. Du kannst dich nicht auf meine Selbstkontrolle verlassen. Du musst dir wirklich gut überlegen, ob du es mit mir aushältst. Ob es dir wirklich ernst ist.“ „Warum sagst du mir das alles? Das hört sich an, als wolltest du dich selbst in ein schlechtes Licht stellen“ unterstellte er ihm. Es stimmte ihn traurig, wenn er hörte, wie er so schlecht über den Mann sprach, den er nicht nur begehrte, sondern auch bewunderte. „Du bist liebevoll und sehr zärtlich und du bist immer da“ entgegnete er ihm seine Meinung von ihm. „Ja, du bist manchmal seltsam, aber das macht dich doch aus. Du bist ungestüm und unberechenbar und du kannst ein ziemliches Arschloch sein. Aber du bist ein guter Mensch. Du beschützt, was du liebst und du weißt, was du willst. Du lässt dich nicht unterkriegen. Man kann sich darauf verlassen, dass du zum rechten Moment immer da bist. Auch wenn du manchmal schimpfst, lässt du nie an deiner Zuneigung zweifeln. Allem Schlechten in dir steht genauso viel Gutes gegenüber. Warum versuchst du, dich selbst bei mir schlecht zu machen? Das hast du nicht nötig.“ „Doch, habe ich“ gestand Tato und blickte betroffen auf seine Hände, welche sich nur so hart um die zarten Handgelenke schlossen, um nicht zu zittern. „Ich weiß genau, wenn ich erst in deinen Armen liege, kann ich nicht mehr allein sein. Dann brauche ich dich zum Leben. Und wenn du dann feststellst, dass du mich doch nicht liebst ... dann ... dann kann ich den Schmerz nicht ertragen. Ich kann nicht noch mal jemanden verlieren, den ich liebe. Wenn ich noch mal verlassen werde, ertrage ich das nicht.“ „Ich kann dir nicht versprechen, dass ich dich für die nächsten 80 Jahre immer bedingungslos lieben werde“ antwortete er ihm mit sehr überzeugter Stimme und begegnete seinem starken Händedruck mit einem etwas leichteren. Auch wenn es nicht ganz einfach war, bei diesem festen Druck die viel stärkeren Handgelenke zu umklammern. Und das wilde Schlagen seines Herzens trug ihm die Worte auch nicht ganz leicht in den Mund. „Aber ich weiß, dass ich dich jetzt liebe. Ich glaube, ich kenne deine Macken ganz gut. Ich weiß nicht, ob ich wirklich das bin, was dich glücklich machen kann. Aber ich weiß, dass ich es versuchen kann. Ich weiß nicht, was sein wird. Ich kann nicht in die Zukunft sehen. Aber ich weiß, dass ich dich liebe. Ich liebe dich, wenn du ausflippst und alles kurz und klein schlägst. Und ich liebe dich, wenn du betrübt in deiner Ecke sitzt. Und ich liebe dich, wenn du aus guter Laune heraus andere Leute in den Wahnsinn treibst. Ich liebe dich. So wie du bist.“ Tato seufzte schwer und schluckte, bevor er sprechen konnte. „Phoenix, wenn du so sprichst, schmerzt es mich vor Verlangen nach dir. Und ich ... ich will dir nicht wehtun. Überleg dir das zweimal, bevor du mich am Hals hast. Ich kann meine Frau nicht loslassen und du wirst für mich nie das sein, was du vielleicht sein willst. Ich werde keine Kinder mit dir haben und ich werde dich nicht heiraten. Selbst mein Grab wird neben meiner Frau sein und du wirst immer zurückstehen müssen. Es wäre ewig dasselbe mit uns. Ich werde dich verletzen.“ „Asato?“ Er blickte ihm liebevoll in die Augen und wusste selbst nicht, wo das hier noch hinführen sollte. „Versuchst du mir meine Liebe auszureden? Oder versuchst du eher, dir selbst etwas auszureden?“ Womit er gar nicht so Unrecht hatte. Er selbst glaubte daran, dass er Asato ewig lieben konnte. Obwohl er älter war, obwohl er voller Fehler war, obwohl er ihn niemals an die erste Stelle setzen würde. Phoenix selbst aber war wie seine Mutter, er gab sich eher mit dem zweiten Platz zufrieden als gar keinen Platz zu haben. Er wusste, dass er ihn lieben konnte und dass er jeden Platz in seinem Herzen einnehmen würde, der ihm zugewiesen wurde. Wahrscheinlich hatte Asato viel mehr Angst vor einer neuen Liebe. Er hatte Angst vor dem Verlust und er fürchtete sich, seine Vergangenheit loszulassen. „Ich weiß es nicht“ flüsterte er und blickte zweifelnd zu Boden. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Jeder Schritt wäre der falsche. Und gar keinen Schritt zu tun auch.“ „Du trägst nicht allein für alles allein die Verantwortung, Asato. Ich kann auch Verantwortung übernehmen“ versprach Phoenix mit ruhiger, ganz liebevoller Stimme. „Ich glaube daran, dass ich dich unendlich lieben kann. Glaubst du denn, dass du mich auch lieben kannst? Ich bin mindestens genauso voller Fehler wie du.“ „Du bist jung. Du darfst deine Fehler machen“ meinte er traurig. „Ich kann mir so etwas nicht mehr erlauben. Ich war jahrelang wie dein Vater. Ich habe deine Windeln gewechselt, ich habe dich in den Kindergarten gebracht, ich habe bei jeder Gelegenheit den Papa gespielt, wenn du einen brauchtest. Du und dein Bruder habt mir den Sohn ersetzt, den ich verloren habe. Überhaupt an mehr zwischen uns zu denken, ist pervers.“ „Findest du? Das ist doch mittlerweile eigentlich schon gesellschaftsfähig“ war seine recht abgeklärte Meinung. „Alte, reiche Säcke nehmen sich doch meistens irgendwas Blutjunges.“ Jetzt stutzte Tato, wand seinen Kopf und blickte ihn überrascht an. Aber dass Phoenix ihn verschmitzt anlächelte, änderte seine Stimmung. Wenn man es so betrachtete, erwartete man das doch direkt. Seto hatte schon so viele Skandale auf die Beine gestellt. Da würde es auch niemanden mehr jucken, wenn Tato mit einem 23 Jahre Jüngeren herummachte. Hugh Hefner hatte es vorgemacht und die Weiber waren teilweise mehr als 40 Jahre jünger. Also konnte das doch wohl nicht das Problem sein. „Trau mir ruhig mehr zu“ bat Phoenix, als er Tatos seufzendes Lächeln sah. „Ich sehe vielleicht zerbrechlich aus, vielleicht bin ich das auch. Aber wäre ich nicht so krank, würde man sehen, dass ich kein Kind mehr bin, sondern ein junger Mann. Ich brauche niemanden mehr, der vor meiner Schulklasse den Beruf des Papas erklärt.“ „Ich habe nie behauptet, du wärst ein Kind.“ Wenn er Phoenix nicht als jungen Erwachsenen ansehen würde, so hätte er niemals solche Gedanken. Er war vielleicht manchmal anders, aber Kinder gehörten nicht zu dem, was ihn derart anzog. „Würde ich dich für ein Kind halten, dann würde ich nie ...“ „Nie was?“ lächelte er und war glücklich, dass sich die schwere Stimmung ein wenig aufhellte. „Sprich dich aus, Dicker.“ „Nichts“ wehrte er ab, aber ein wenig rot wurde er beim Wegsehen doch. „Soll ich dir auch was gestehen?“ Er lehnte seine Stirn an Tatos Oberarm und allein bei dem Gedanken, stiegen ihm warme Gefühle den Rücken hinauf. „Ich habe nachts so Träume.“ „Träume?“ Er horchte auf und sah ihn besorgt an, auch wenn sein Blick nicht erwidert wurde. „Schlimme Träume? Schläfst du deshalb so unruhig?“ „Nein, keine schlimmen Träume“ flüsterte er. Aber ihm kam der Gedanke, dass er vielleicht nicht alles in Asatos Hände legen durfte. Zu so etwas gehörten immer noch zwei. Und wenn er nicht ehrlich war ... „Feuchte Träume“ wisperte er beschämt. „Seit du mich geküsst hast, spielen meine Gedanken verrückt. Fast jede Nacht habe ich so einen ... und wenn ich dich ansehe und ... es kribbelt, wenn du in der Nähe bist“ „Oh.“ Ach so! Solche Träume meinte er! Oh je! „Es ... kribbelt, wenn ich ... oh ...“ „Na ja ...“ Was konnte er dazu noch ergänzen? Es stimmte ja. „Ich habe ... ich ... ich will dich schon ganz lange fragen, ob du ... ob du mich noch mal küssen kannst.“ „Ich glaube, das kann ich nicht“ antwortete er mit ernster Stimme. Was Phoenix dann traurig stimmte. Dann war das also das Ergebnis seines mutigen Geständnisses und ihrer hilflosen Unterredung? Dann war das hier der Strich, der die Sache und das Nachdenken beendete? „Okay“ flüsterte er und fühlte den Kloß in seinem Hals wachsen. „Verstehe. Ist gut. Dann weiß ich ... dann weiß ich jetzt bescheid. Einen Versuch war’s wert. Tut mir leid … das ist mir jetzt peinlich.“ „Nein, nicht was du jetzt interpretierst“ ergänzte er und atmete langsam ein und aus, um ruhig zu bleiben. „Wenn ich dich küsse, dann weiß ich, dass es dabei nicht bleiben würde. Und das kann ich nicht verantworten.“ „Du meinst ...“ Er blickte zaghaft an ihm herauf und wurde wieder in eine hoffnungsvolle Stimmung gedrängt. Es war schwer, wenn man so unentschlossen war. Nur eine einzige, klare Ansage würde ihren Stand zueinander wenigstens klären. Ob dies nun positiv oder negativ ausginge. „Du bist nicht der Einzige, der solche Träume hat“ gestand er mit vollstem, festen Ernst und die grauen Augen weiteten sich mit Staunen. „Was erwartest du? Ich stehe in vollster Manneskraft und du schläfst jede Nacht wenige Meter von mir entfernt. Glaubst du, dass es mich kalt lässt, wenn nachts ich deinen regelmäßigen Atem höre?“ „Kann das auch der Grund sein?“ fragte er recht vorsichtig. „Wenn du zum Vollmond alleine sein willst ...“ „Ich würde über dich herfallen. Ganz sicher. Um meine Selbstbeherrschung ist es eh schon schlecht bestellt. Und würde ich dich jetzt küssen ... dann gäbe es kein Zurück mehr. Du solltest vorsichtig sein, mit dem was du dir wünschst.“ „So gefährlich wie du sagst, bist du gar nicht“ war Phoenix überzeugt. „Du würdest niemals jemanden absichtlich verletzen. Ich habe keine Angst vor dir.“ „Das sagst du einfach so“ seufzte er mit einem ungläubigen Lächeln. „Du hast gar keine Ahnung, in was meine Triebe mich verwandeln können.“ „Dann gib mir doch eine Ahnung.“ Er behielt auch seinen Ernst als ihre Blicke sich trafen und es ruhig wurde. „Ich fürchte mich nicht vor deiner Umarmung. Wenn du meinst, ich habe keine Ahnung, dann gib mir eine.“ „Meinst du wirklich, das klappt?“ fragte er zweifelnd zurück. „Das mit uns beiden?“ „Wir machen doch ständig das Unmögliche möglich. Vielleicht ist das ja Schicksal. Vielleicht wollen die Götter, dass ich dich ein wenig glücklicher mache. Und du machst mich dafür stärker. Man muss nicht alles negativ sehen. Ich glaube, wir hätten uns viel Positives zu geben. Weißt du … nicht alles, was passt gehört zusammen. Und nicht alles, was zusammengehört, passt. Aber vielleicht ist das mit uns so eine Art harmonierende Disharmonie. Wie passen zwar nicht zusammen, aber vielleicht gehören wir ja doch zueinander.“ „Manchmal bist du wirklich erwachsener als du aussiehst. Das könnte von meinem Vater stammen“ seufzte er schon halb besiegt durch diese aufblühende Entschlossenheit. „Du meinst wirklich ... dass wir das Richtige tun?“ „Sonst würde ich es nicht zitieren“ antwortete er und er meinte das aufrichtig. Wenn er es nicht wollen würde, so würde er es auch nicht tun. Denn letztlich tat er auch nichts anderes als nur nach seinem Gewissen zu handeln. Und wenn er diesen Mann haben wollte, durfte er nicht zögerlich sein. „Okay“ flüsterte Tato und blickte nachdenklich auf den Boden. „Dann ... hoffentlich kann ich dich, meine zweite Liebe, besser bewahren. Ich will nicht noch mal alles kaputt machen …“ „Du musst nicht alles alleine machen. Und kaputt hast du gar nichts gemacht“ beschied er und rutschte ihm näher, umfasste sanft seine muskulösen Arme. „Wir können es zusammen bewahren. Ich kann auch stark sein. Für dich. Ich werde mir Mühe geben und immer stärker werden. Solange bis ich dich vor mir beschützen muss.“ Obwohl Tato noch immer zweifelte. Konnte jemand wie Phoenix, der so jung und unerfahren war, wirklich jemanden lieben, der sich so vom Schmerz zerfressen durchs Leben schleppte? Jemanden, der so egoistisch und unbedacht handelte? Er wollte es gern glauben, aber er wollte ihm nicht wehtun. Er wollte ihn nicht verlieren, wie er Risa verloren hatte. Er war damals glücklich gewesen ... war es fair, von Phoenix zu erwarten, er könne ihm dasselbe Glück ein zweites Mal geben? Aber wenn er in seine Augen blickte, sah er nicht mehr das hilflose Kind, welches er einst vor den gemeinen Jungs auf dem Spielplatz beschützt hatte. Phoenix war viel stärker als man glaubte. Er war genauso zu einem jungen Mann gereift wie Balthasar. Nur weil er weniger Gewicht auf die Wage brachte, war er nicht weniger erwachsen. Es gab Menschen, die waren mit 16 noch Kinder. Aber es gab auch Menschen, die waren mit 16 bereits selbstständige Leute. „Vielleicht solltest du weniger nachdenken“ sprach Phoenix seinem blauen Blick entgegen. „Du hast mir selber mal gesagt, wer zu lange nachdenkt, hat schon verloren.“ „Man sollte es sich nicht so leicht machen. Phoenix, ich will dich nicht verletzen. Und auch niemand anderen. Ich bin nicht so stark wie du glaubst.“ „Das weiß ich“ beruhigte er mit heller Stimme. „Aber ich vertraue dir. Ich nehme alles, was ich von dir bekommen kann. Egal, wie das aussieht.“ „Du wirst das irgendwann bereuen. Du wirst mich verfluchen.“ „Sicher nicht.“ Das spürte er ganz tief in sich drinnen. Er würde es niemals bereuen, diese Gefühle zu ihm. „Meine Mutter hat meinen Vater geheiratet, obwohl sie immer eine Randfigur in seinem Leben war. Doch sie war glücklich so. Ich glaube, ich kann dir dieselbe Liebe entgegenbringen. Es liegt mir im Blut. Ich kann dich lieben, denn selbst wenn du mir nur wenig gibst, ist das mehr als genug. Ich will nichts mehr als zu dir gehören.“ „Auf deine eigene Verantwortung“ erwiderte Tato und legte langsam seinen Arm um ihn. „Wenn du das morgen früh immer noch sagst, dann glaube ich dir.“ „Und wenn ich das nicht sage?“ fragte er, auch wenn er sich das beileibe nicht vorstellen konnte. „Dann wirst du nie wieder sagen, ich sei ein guter Mensch.“ Chapter 9 Dass er kein guter Mensch wäre, konnte Phoenix so nicht gelten lassen. Asato war mit Abstand der beste Mensch, dem er jemals begegnen durfte. Zwar waren sie seit Jahren kaum einen Tag getrennt gewesen, dennoch lernte er in dieser Nacht einen anderen Asato kennen. Er kannte ihn als fürsorglichen Vater, der immer mit Rat und Tat und Trost und Schutz zur Seite stand. Aber nun lernte er ihn als Liebhaber kennen, als Partner. Und er konnte sich nicht vorstellen, dass er überhaupt noch besser sein konnte, als er es ohnehin schon war. Dennoch schlug in ihm noch ein ganz anderes Herz. Tato hatte seine Entscheidung getroffen und wenn er sich für etwas entschied, gab es kein Wenn und Aber mehr. Er hatte lange nachgedacht und war zu keinem Ergebnis gekommen. Es gab so unendlich viel was gegen die Auslebung seiner Gefühle sprach. Wie würde er das seiner Tochter erklären, wie würden seine Freunde das verkraften, was würde die Öffentlichkeit daraus machen? Und vor allem, wie würde Risa sich fühlen, wenn er eine neue Liebe fand? Wäre sie verletzt, gekränkt oder wütend? Oder würde sie ihm gnädig sein, da sie nicht bei ihm sein konnte? Aber es gab auch so unendlich viel, was dafür sprach. Nämlich das Gefühl, endlich wieder Ausgleich zu finden. Das Gefühl, geliebt zu werden und jemanden zu haben, den man nie wieder loslassen musste. Die warmen Küsse, die Geborgenheit, die Romantik und das Herzklopfen. Das Gefühl, lebendig zu sein und ein Leben zu haben. Etwas Schützenswertes zu besitzen. Erfüllt zu sein. Und zufrieden. Alles Negative würde sie noch früh genug ereilen. Diese Nacht stand unter einem besseren Stern. Als wäre es ein glückliches Schicksal, dass ihre beiden Mitbewohner genau heute Abend nicht zurückkommen würden. So hatten sie den Raum allein und kamen sich so nahe, dass niemand mehr dazwischen passte. Von draußen zog ein kühler Abendhauch zum Fenster herein, doch der Grund für diese wohlige Gänsehaut war ein anderer. Der Kuss, welchen sie erlebten, fühlte sich unendlich besser an als alles Vergleichbare. Für Phoenix war es der zweite Kuss seines Lebens und er schmeckte so männlich herb wie der erste. Er schmeckte nach Tabak und etwas Sahne. Ihm zog der herbe Duft von vergangenem Aftershave in die Nase und der heiße Atem streichelte seine Lippen, wenn auch die Zunge ein wenig Luft hereinließ. Tato küsste ihn so tief, so zärtlich, dass es nichts anderes in diesem Moment gab als das Gefühl, in seinen starken Armen zu liegen und es zu genießen, jemand besonderes zu sein. Jemand zu sein, der diese raue Schale von Trauer und Schmerz durchbrach und eine Hand nach dem Mann ausstreckte, der sich vor Jahren zurückgezogen hatte. Und auch Tato fühlte sich nicht anders. Phoenix zu küssen war wie ein Befreiungsschlag. Auch wenn er ein wenig zu seiner Entscheidung überredet werden musste, so zweifelte er in diesem Augenblick nicht mehr daran, dass es richtig war, was er tat. Diese weichen Lippen schmeckten so unschuldig und der Duft seines Haares entfloh so süß. Dieser fragile Körper ließ sich vertrauensvoll in seine Umarmung fallen und es tat gut, dieses Vertrauen zu spüren. Jemanden in den Armen zu halten, der einen liebte und akzeptierte. Der einen aufbaute und zur Vernunft rief. Das hatte er so sehr vermisst. Das hatte er sich so sehr gewünscht. Jemanden zu haben, einen Schatz, ein Kleinod, etwas Besonderes. Jemanden, der so zerbrechlich war, dass er ihn hemmungslos beschützen konnte. Die Gewissheit, nicht allein zu sein. Und er spürte, dass Phoenix ihn nicht verlassen würde. Nicht heute und hoffentlich auch nicht morgen und nicht mehr bis die Zeit endete. Es fühlte sich so unbeschreiblich an, wenn man nach jahrelanger, selbst gewählter Einsamkeit endlich wieder jemanden an sich spürte, der so wunderbar süß und verlockend atmete. „Wow“ hauchte Phoenix, als er nach Minuten einen Moment zum Atmen bekam. „Es heißt ja, dass Drachen gut küssen ... aber das ist ... Asato.“ „Du bist zu süß“ flüsterte er zurück und küsste seine Nasenspitze, bevor er ihm die verrutschte Brille herunternahm und sie auf dem Nachttisch platzierte. „Gib’s zu, du hast doch mit irgendwem heimlich geübt.“ „Nur mit dem Asato aus meinen Träumen“ versprach er und schlang seine Arme um den kräftigen Nacken. „Es fühlt sich gut an, so bei dir zu sein ... ich liebe dich, Asato.“ „Ich liebe dich auch, Phoenix“ erwiderte er. Es hörte sich merkwürdig an, es endlich auszusprechen. Aber es fühlte sich gut an. Als würde er die Last auf seiner Seele Gramm um Gramm abwerfen. Mit jedem Kuss, jedem Wort, jedem Atemzug. Sein Herz wurde leicht und hoffentlich flog es nicht fort. „Asato“ flüsterte er dann leise, als der sich an seinem Hals festküsste und die zarte Haut mit seiner Zungenspitze abfuhr. „Was denn?“ hauchte er verliebt. „Bist du ... auch … erregt?“ Es kostete ihn nicht viel Überwindung, aber doch ein wenig, dies zu fragen. Er spürte es an seinem Oberschenkel, dass sich dort Tatos Schritt stetig veränderte und ein wenig durch den Stoff an ihn drückte. „Ich habe es dir gesagt“ hauchte der ihm zärtlich ins Ohr. „Ich hatte seit Jahren keinen Sex mehr. Was erwartest du denn, wenn du mich so küsst? Dass mich das kalt lässt? Ich bin auch nur ein Mann.“ „Ich ... ähm ...“ Ja, stimmte. Er hatte es ihm gesagt. Asato war immerhin ein ausgewachsener Mann in den besten Jahren. Es war ganz natürlich, dass er gewisse Bedürfnisse hegte. Auch wenn Phoenix sich nicht daran erinnerte, so wusste er aus Erzählungen, dass der Drache in Liebesdingen nie sonderlich gehemmt war. Wahrscheinlich hatte er noch vor seiner eigenen Mündigkeit mehr Sex gehabt als andere Menschen im ganzen Leben. Und ihm schien das nicht peinlich zu sein, seine Bedürfnisse auch auszusprechen. Er war immerhin schon immer recht freizügig und auch manchmal sehr egoistisch. „Keine Angst“ beruhigte er mit sanfter Stimme. „Ich tue nichts, was du nicht willst. Solange du nicht bereit bist, halte ich mich zurück. Auch wenn’s schwer fällt.“ „Asato ...“ Das war wirklich süß von ihm. Er hatte ihn durch die Blume gewarnt, dass er auf nichts Rücksicht nehmen würde. Ganz oder gar nicht hatte er gesagt. Aber Phoenix wusste, dass er in Wirklichkeit viel sanfter war als er sagte. Er war alles an Vertrauen wert, welches man ihm schenkte. „Aber küssen darf ich dich doch, oder? Sonst halte ich das Warten nicht aus.“ „Du musst nicht warten“ antwortete er und schmiegte seine Wange an ihn, zog ihn mit seinen Armen ganz dicht zu sich herab. „Du hast lang genug gewartet. Tu mit mir, was du willst. Ich mache alles.“ „Du musst nicht. Du hattest noch nie Sex. Vielleicht sollten wir uns erst ein bisschen kennenlernen und uns Zeit lassen. Dir Zeit lassen.“ „Wir müssen uns nicht kennen lernen. Ich kenne dich schon mein ganzes Leben“ erwiderte er liebevoll, erwartungsvoll. „Ich brauche keine Zeit mehr. In meinen Gedanken sind wir schon viel weiter gegangen. Du weißt gar nicht, wie lange ich mir das hier schon wünsche.“ „Und wenn ich deinen Wünschen nicht entspreche? Wenn es anders wird als das, was du dir vorgestellt hast? Sex zwischen Männern kann mitunter sehr rüde sein. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich vorsichtig genug sein kann.“ „Dann gib dir Mühe und sei zärtlich zu mir, Dicker“ lächelte er mutig und umarmte ihn fest. „Ich liebe dich. Ich will ganz und gar dir gehören und alles tun, damit du dich wohl fühlst. Wenn du mich willst.“ „Du hast gar keine Ahnung, wie sehr ich dich will“ betonte er und sog tief den Duft seiner Halsbeuge in sich ein, kitzelte seine Haut und atmete berauscht langsam wieder aus. „Du riechst so unglaublich gut. Jedes Mal, wenn du da bist, habe ich das Gefühl, wahnsinnig zu werden. Du strömst irgendetwas Stimulierendes aus.“ „Dann halt dich nicht zurück“ bat er und war selbst ein wenig erstaunt, wie wenig Angst er hatte. Nicht einen Funken von Bedenken hegte er. Er begehrte diesen Körper, er wollte ihn fühlen, sehen und von ihm wieder begehrt werden. „Ich weiß, mein Körper ist nicht der schönste. Aber vielleicht ...“ „Das darfst du nie wieder sagen“ unterbrach er und zog seinen Kragen ein paar Zentimeter zur Seite, um seine Schulter zu küssen. „Ich bewundere deinen Körper. Ich verehre ihn. Du wirkst so zerbrechlich und bist doch so fest. Es ist gut so wie du bist.“ „Aber ich meine ...“ Und das war Phoenix‘ größtes Problem. Genau das schwächte sein Selbstbewusstsein so leidlich. „Du weißt doch, ich bin ... nicht wie andere Jungs.“ „Und das ist das Wunderbare an dir“ versprach er und langsam ließen seine sanften Küsse Phoenix tiefer atmen. „Vielleicht ist es dir entgangen, aber ich stehe eigentlich nicht auf Jungs. Dein Körper ist nicht sehr männlich. Ich mag das.“ „Aber ich habe ... du weißt doch, dass ich ... ich nicht eindeutig … ich …“ „Schscht“ hauchte er und legte seinen Arm eng um ihn, kam seinen Lippen ganz nahe. „Ich weiß es doch, Phoenix. Ich kenne dich doch. Ich finde deinen zarten Körper zwischen den Geschlechtern sehr reizvoll. So wie du sind die wenigsten.“ „Aber hast du ... nicht ...?“ Asato mochte eigentlich Frauenkörper. Er hatte sich niemals zu Männern hingezogen gefühlt. Dass er das für Phoenix änderte, war unwahrscheinlich. Aber vielleicht lag es genau daran. Phoenix war kein typischer Junge. Er war nur durch eine Operation und durch Medikamente überwiegend männlich. Aber die jahrelange Mitte hatte einen weiblichen Schatten hinterlassen, den er wohl niemals mehr loswurde. Dass dies etwas Reizvolles sein konnte, bestand in seiner Vorstellung nicht. „Sag mir nur eines, damit ich weiß, woran ich bin“ flüsterte der Drache sanft auf seine bebenden Lippen. „Lässt du mich ran? Jetzt?“ „Ja, genau jetzt.“ Auch wenn er sich in seinen Gedanken schon alles Mögliche vorgestellt hatte, fühlte es sich real doch ganz anders an. Er bekräftigte seine Worte und streckte sich einem Kuss entgegen, dessen Zärtlichkeit sich nun zunehmend Verlangen paarte. Asatos Lippen fühlten sich härter an, sein Atem tiefer und seine Zunge spielte weniger mit ihm, als dass sie ihn dirigierte. Er war schon jetzt sehr dominant, aber das war es, was ihn so begehrenswert machte. Man konnte sich bei ihm fallen lassen und war in guten Händen aufgehoben. In den besten Händen. Genau diese Hände schoben nun seinen dünnen Pullover höher, nahmen das Shirt darunter gleich mit und strichen mit festem Griff über seine schmalen Hüften. Phoenix hatte Angst gehabt, er müsse bei so etwas lachen, weil er sehr kitzelig war, aber dieses kraftvolle Streicheln ließ ihn eher kribbelig werden als kitzelig. Plötzlich kam er sich unter ihm so klein vor. Asato war um ein Vielfaches stärker und fast dreimal so schwer und doch war seine Kraft so zärtlich und behutsam. Obwohl Phoenix durchaus spürte, wie sehr sich sein Drache zurückhielt. Er wollte es langsam angehen und ihn nicht ängstigen, doch nach so langer Enthaltsamkeit ließ sich ein gewisses Drängen nicht verbergen. Als ihr Kuss zunehmend schmatzte, zog er ihm mit einem bestimmten Griff den Oberkörper frei. Zwar recht schnell, aber nicht zu schnell als dass man sich erschrecken musste. Eher fordernd. Nun fühlte Phoenix das erste Mal Scham in sich aufsteigen. Durch das schummrige Licht und die fehlende Brille konnte er eh kaum etwas erkennen, aber er sah, dass Tato sich erhob und mit verklärtem Blau auf ihn herab blickte. Er verfolgte seine zierlichen Schultern, die schmalen Hüften und die wenigen Bauchmuskeln. Er sah ihn an, wie er es sich niemals erlaubt hatte, mit unverhohlenem Begehren. „Asato ...“ Er fühlte sich ein wenig ausgeliefert und wollte lieber keinen Zweifel aufkommen lassen, dass er hier das Richtige tat. Aber wenn er nicht gleich weitermachte, würden vielleicht doch Bedenken an seine Tür klopfen. „Ich höre auf, wenn du es sagst“ versprach er und beugte sich zu ihm herab. Aber nicht, um ihm einen neuen Kuss zu schenken, sondern um seine helle Haut zu kosten. Ohne Zögern küsste er die weiche Wärme der Brust und kostete mit seiner Zunge ihre geschmeidige Beschaffenheit. Drachen erforschten viel mit ihren Sinnen. Nicht nur durch Geruch, oder Aussehen, sondern auch durch Geschmack. Nicht nur diese eine Stelle, sondern eine nach der anderen. In vollen Zügen genoss er den freien Zutritt, der ihm gewährt wurde und es dauerte kaum einen Moment bis Phoenix unweigerlich das erste Mal aufseufzen musste. Dass sich sein Körper ohne ein Zutun so wohlfühlen konnte, war neu, aber es fühlte sich gut an. Ihm wurde warm und seine Lungen begannen zu arbeiten. Ebenso wie sein Herz, welches aufgeregt schlug. Obwohl sein Körper in Aufruhr geriet und ihm heiß wurde, breitete sich innerlich ein solch behagliches Gefühl aus, dass es ihn ebenso gefangen nahm wie Asatos Arme sich um ihn schlangen. „Hhaahh!“ Es war wie ein wohliger Stromschlag, welcher durch ihn zuckte. Asatos Hand berührte die Innenseite seines Oberschenkels und strich sich Stück um Stück höher. Wie bei einem Liebesmahl, so hatte es den Anschein, machte er sich über den jungen Körper her, um ihn endlich in Besitz zu nehmen. Phoenix fühlte, dass das hier echt war. Er wurde wirklich begehrt. Es war ein unglaubliches Gefühl, sich so geliebt zu fühlen. „Hhaang ...“ Es war ihm schon ein wenig unangenehm, aber seine Lungen pressten die Luft so zusammen, dass seine Stimme herausdrang. Es geschah von ganz selbst. Er spürte, wie seine alltägliche Beherrschung einem anderen Gefühl wich, welches sich nicht beeinflussen ließ. „Hab keine Scham“ sprach er mit samtener Stimme und fuhr mit den Lippen unter den Bauchnabel, um dort die Haut feucht zu küssen. „Wenn du mir deine Stimme gibst, weiß ich, wie du dich fühlst.“ „Es fühlt sich so gut an. Besser als alles andere.“ Es war ähnlich wie sich in eine dampfende Badewanne zu setzen. In den ersten Sekunden war das Wasser heiß und stechend. Doch je lockerer der Körper wurde, wenn man sich zurücklehnte und die Wärme in den Nacken kroch, man die Beine ausstreckte und das erste Mal tief einatmete, da wollte man nicht mehr aufstehen. So fühlte sich das hier an. Nur viel besser. „Solange du nichts anderes sagst, mache ich einfach weiter“ beschloss Tato und schien gar nichts dagegen zu haben, dass man sich so in seine Berührungen fallen ließ. Er küsste ihn gern ausgiebig, wollte seinen Körper erkunden mit mehr als nur verstohlenen, verbotenen Blicken. Aber Phoenix kam der Gedanke, dass das hier eigentlich ziemlich unfair war. Er ließ sich einfach hinlegen und genoss all die Zärtlichkeit und Asato ging dabei leer aus. Dabei war doch das Liebesspiel ein Spiel für zwei. „Asato ...“ hauchte er und begann zu zittern, als sich eine zärtliche Hand über seinen spannenden Schritt drückte. „Was ist?“ erwiderte er mit leiser, ruhiger Stimme. „Magst du nicht, wenn ich das tue?“ „Doch ... sehr ...“ Seine Stimme ließ sich nur schwerlich zur Hilfe bitten. Eigentlich würde er gern so liegen bleiben, aber er würde auch so gern etwas zurückgeben. „Aber ich möchte ... Asato ...“ „Was möchtest du?“ Er löste sich von seinem Kusspfad und hob den Kopf ein Stück, um ihn sanft anzusehen. „Langsamer?“ „Nein“ lächelte er gerührt. Zu langsam ging ihm das hier nicht. Das Tempo war genau richtig. Aber ... „Ich möchte dich auch berühren.“ Tato blickte ihm einen Moment tonlos in die Augen, aber dann nahm er diesen Wunsch gern an. Er löste sich ganz von seinen Erkundungen und griff den Saum seines Shirts. Ohne Zögern zog er es über seinen Kopf und ließ es aus der Hand auf den Boden gleiten. Phoenix währenddessen erhob sich mit roten Wangen und betrachtete diesen kräftigen Oberkörper. Dieser Mann war so völlig anders gebaut. Muskulös und einfach perfekt. Die Bauchmuskeln, die kräftigen Hüften, die breite Brust und diese mächtigen Schultern. Genau so würde er sich seinen Körper aussuchen, wenn er es könnte. Ein perfekter Mannesleib. „So einen Körper würde ich auch gern haben“ wünschte er sich leise. Genau so würde er auch gern aussehen. Genauso männlich und stark. So absolut perfekt. „Steht dir alles zu Diensten.“ Tato rückte ein Stückchen zu ihm, wo er fast direkt vor ihm saß. Er beobachtete Phoenix, wie er ihn intensiv betrachtete und versteckt schluckte. „Was ist denn nun?“ fragte er mit einem Hauch der Herausforderung. „Ich ... ich habe jetzt doch ein bisschen Bammel“ gab er verlegen lächelnd zu. „Wenn du mich berührst, habe ich gar keine Angst, aber ... ich ...“ „Du musst nicht aktiv sein“ versprach er sanft. „Ich erwarte eigentlich gar nichts von dir. Nur, dass du mir vertraust und wenn du ... du bist zwar alt genug, aber wenn du noch Zeit brauchst …“ „Das ist es nicht“ unterbrach er ihn zaghaft und blickte scheu diese breite Brustpartie an, welche kleine Schatten auf die Haut warf, je weniger Licht es gab. „Du bist doch so sensibel und wenn ich ... wenn ich etwas falsch mache ...“ Jeder wusste, dass die Brust eine der intimsten Stellen an einem Drachen war. Wenn er ihn dort berührte, bedeutete das mehr. Dann war er verletzlich und empfindsam. An der falschen Stelle zu drücken, konnte sehr unangenehm und schmerzhaft sein. „Du bist ja niedlich, Kleiner. Glaubst du, du könntest mir wehtun?“ „Na ja ...“ Wenn er das so aussprach, hörte es sich irgendwie dumm an. Auch wenn es der Wahrheit nahe kam. „Um mir wirklich weh zu tun, musst du schon sehr gezielt diese Absicht verfolgen.“ „Aber ich habe ...“ „Ich beruhige dich jetzt mal ein bisschen, Schisser.“ Er senkte seinen Kopf und zog seinen grauen Blick nur mit den Augen zu sich hinauf. „Wenn du mal falsch drückst, ist das vielleicht etwas unangenehm, aber richtiger Schmerz ist was anderes.“ Er sah diesen nervösen Blick und befand das als schrecklich süß. Er selbst schien gar keine Angst zu haben, wobei er erwartet hätte, dass Phoenix viel beschämter reagierte. Stattdessen sorgte er sich, er könne den viel stärkeren Drachen in Drangsal bringen. Doch dazu gehörte schon etwas mehr, als ein bisschen Bruststreicheln. „Gib mir deine Hände.“ Er griff die aufgeregten, leicht verschwitzten Hände und legte ihre Flächen auf seine nackte Brust. „Siehst du? Alles gut. Und ich lebe noch.“ Er sollte ruhig ein wenig ausprobieren. Was für eine Reaktion er hervorrief, würde er dann schon selbst erfahren. „Du fühlst dich schön an“ flüsterte Phoenix und strich ganz behutsam über die kräftigen Brustmuskeln, welche sich fast an ihn schmiegten so fühlte es sich an. „Ich will dich schon so lange anfassen …“ Es war ein wundervolles Gefühl, ihn endlich berühren zu dürfen. So oft hatte er ihn angesehen und sich gewünscht, endlich diesen schönen Körper ertasten zu können. Und er fühlte sich viel besser an als er dachte. So fest. Mit sachten Händen strich er bewundernd über die Brustmitte, streichelte die Außenseiten und befühlte dann die Brustfalte mit den Fingerspitzen. Seine Haut war ganz weich und ... besonders an den Außenseiten, nahe den Schultern fühlte er sich mächtig an. „Das solltest du lieber nicht zu lange tun“ atmete Tato und senkte zitternd seinen Kopf. Phoenix hielt sofort inne und stoppte in seinen Bewegungen. Er hörte einen zaghaften Atem und bekam Herzklopfen. „Du erregst mich gerade mehr als gut ist.“ „Ist das schlimm?“ „Wenn du heute noch was von mir willst, ja. Küss mich wenigstens, wenn du mich schon kommen lässt .“ Was ihm zeigte, dass Tato auch im Bett total niedlich sein konnte. Vielleicht war ihm das doch ein bisschen peinlich, wenn er so empfindsam war. Und dann gleich noch die beste Stelle zu finden, war wirklich fies. Wahrscheinlich hatte er gedacht, dass er hier die Zügel in der Hand hielt, doch er hatte sie zu schnell abgegeben. Dass Phoenix gleich zielsicher die richtigen Berührungen fand, hatte er ihm nicht zugetraut. Und deshalb ertrug er die aufkeimende Erregung nur umso schwerer. Er nahm Phoenix an den Schultern und drückte ihn mit einem feuchten Kuss auf die Laken zurück. Die störende Bettdecke schob er endlich ganz beiseite. Nun würde er keinen Zwischenstopp mehr einlegen können, auch seine Geduld ließ sich nicht unendlich spannen. Seine Hände glitten direkt an den Hosenknopf, schoben den Reißverschluss auf und er spürte, wie sein Phoenix dabei etwas zittrig wurde. Er schlang seine Arme noch fester um ihn und hob sogar nach einem kurzen Stupsen brav seinen Po, damit ihm die Hose ausgezogen werden konnte. Die Unterwäsche war da auch nur ein leicht zu bewältigendes Hindernis und mit Tatos wiederbelebter Liebhabererfahrung ging alles seinen glatten Gang. So etwas verlernte man nicht so schnell. Ebenso wenig wie hoffentlich auch alles andere. „Phoenix.“ Tato kniete sich über ihn, küsste seine bebenden Lippen und bewegte ihn dazu, seine verhangen, grauen Augen zu öffnen. Die Erregung und Aufregung war ihm ins Gesicht geschrieben, seine Wangen rot und sein Lächeln ein einziges Schimmern. Seine Atemzüge gingen ruhig und tief, ab und an ein stimmuntermaltes Seufzen. Er war wirklich eine Sünde wert. „Das fühlt sich alles so gut an“ flüsterte er, schwimmend in diesen ungewohnten, schönen Gefühlen. Es war so leicht, sich in diese männlichen Küsse, in diese starken Hände hineinzulegen und die Welt verblassen zu lassen. „Okay“ lächelte er mit einem bezauberten Hauchen und küsste mit festen Lippen seine Schulter bis die Stelle ganz heiß anlief. „Hhaahh!“ Phoenix bäumte seinen schlanken Körper auf, griff in Tatos kurzes Haar und sein Herz wummerte ihm laut in den Ohren. Ein Knutschfleck! Ein echter, richtiger Knutschfleck! Er war immer so neidisch gewesen, wenn Balthasar mal einen von seiner Freundin bekam und nun bekam er selbst einen. Das war so gut! „Asato!“ „Steht dir gut“ lächelte er und pustete über die pochend heiße Haut. „Willst du noch einen?“ „Ja.“ Er sollte ihn am ganzen Körper kennzeichnen. Dann wusste er auch morgen noch, dass das hier kein Traum war, dass es wirklich geschah. Tato ließ sich auch nicht lange bitten, suchte sich direkt eine neue Stelle und küsste ihm ein dunkles Mal direkt auf seine schmale Brust. Mit Wonne lauschte er dem entrückten Atmen und ob Phoenix bemerkte, dass er unbewusst seine Hüften an ihm zu reiben begann? Süß, wenn er so erregt war. Dann war er noch niedlicher als sonst. Viel sündhafter als man es ihm zutraute, da konnte sich so manch ausgewachsenes Weibsbild ein Beispiel nehmen. So und nicht anders verführte man Männer. Während er sich etwas hinunterbewegte, um ihm auch über dem Bauchnabel ein kleines Zeichen zu zaubern, tastete er sich auch noch ein Stück weiter. Mit sanften Händen berührte er endlich die Spitze seiner recht kleinen Männlichkeit und bekam auch eine entsprechende Antwort. Ein überraschtes bis genüssliches Stöhnen überkam ihn und sein Körper bebte, sodass er mit seinem starken Küssen stoppen musste. „Asato! Haah ... hhaa ...!“ Seine Stimme verriet, dass er sich unsicher war, ob er nun eher beschämt oder genießend sein sollte. „Asato ... nhicht ... das ... hhaaaaa ...!“ „Schäm dich nicht. Alles ist gut“ beruhigte er, kam vorsichtig über ihn und gab ihm einen kleinen Kuss, während seine Hand langsam zwischen seinen Beinen auf und ab strich. „Wenn du Angst bekommst, hören wir sofort auf.“ „Nhicht aufhören“ bettelte er und spreizte seine Beine sogar noch ein Stück mehr unter ihm. „Asato, dhas ... fhült sich so ghut an ... dheine Hand ...“ Besser als in seinen Vorstellungen und Träumen. Ganz eindeutig besser. „Phoenix.“ Er sagte seinen Namen so unendlich zärtlich als er seine Hand fortzog, seine Wange nahm und ihm einen warmen Kuss aufhauchte. „Asato“ hauchte er hoch erregt zurück. „Bhitte ... ich whill mehr ... schon so lhange.“ „Ganz langsam, Kleiner“ besänftigte er und legte für einen kleinen Moment ihre Stirn aneinander. „Nicht zu schnell.“ „Asato ...“ Er legte seine Arme um ihn und streichelte seinen breiten Rücken. Er fühlte sich so kraftgeladen an, so wundervoll. „Du bist so lieb ...“ „Lass dich davon nicht täuschen“ erwiderte er und küsste seinen schwer atmenden Hals. „Phoenix ... öffnest du mir die Hose?“ Schändlich, dass er darauf nicht selbst gekommen war. Da lag er hier und ließ sich beglücken und vergaß darüber seinen Wunsch, ihm ebenfalls etwas entgegen zu kommen. Und als er mit seinen Händen vorsichtig tiefer glitt und nervös am obersten Knopf nestelte, da fühlte er doch, dass dahinter ein großer Druck verborgen lag. Wie konnte er nur mit einem so angespannten Gefühl noch immer so behutsam und zärtlich sein? Und es wurde immer schlimmer, das Gefühl drückte sich immer näher an ihn je mehr Knöpfe er öffnete. Den unteren Knopf brauchte er gar nicht mehr zu öffnen, da half Tato ihm ein wenig, griff selbst zu und schob sich die Jeans erst ein Stück herunter und wand sich dann mit kleinen Bewegungen heraus, ohne sich auch nur einen Moment trennen zu wollen. „Nur weiter“ bat er leise und küsste sich an seinem Ohrläppchen entlang. „Keine Angst, beißt und spuckt nicht sofort.“ Obwohl es ihm nicht unangenehm war, wurde er doch etwas nervös als er behutsam die enge Unterwäsche herabstreifte und dann auch gleich von heißer Haut berührt wurde. Er schluckte leise, nahm seinen Mumm zusammen und umfasste mit bebenden Fingern sein Glied. Er fühlte es heiß pochen und als er es so in der Hand hielt, überkam ihn doch eine gewisse Überraschung. Der Vergleich zu ihm selbst war da ... eigentlich wäre ein Vergleich gar nicht erlaubt. Asatos Männlichkeit war viel stärker ausgeprägt, größer und härter. „Was ist?“ hörte er seine tiefe Stimme am Ohr. „Hast du doch Angst? Oder findest du es eklig?“ „Nein, aber ...“ Na ja, wie sollte er ihm das ehrlich sagen? „Deiner ist so ... groß.“ „Ich nehme das mal als Kompliment“ lächelte er, hob seinen Kopf und blickte mit sanften Augen und einem blauen Glanz zu ihm herab. „Du darfst gern hinsehen, wenn’s dich interessiert.“ Zwar war es ihm etwas peinlich, aber neugierig war er doch. So senkte er mit hochrotem Kopf seinen Blick und auch wenn das Licht mittlerweile ziemlich schlecht war und er auch ohne Brille nicht wirklich viel erkennen konnte, so konnte er doch wenigstens das Eine sehen. Asatos Männlichkeit war bestimmt doppelt so groß und doppelt so dick wie seine eigene, während er selbst dagegen eher mickrig wirkte. So also sahen richtige Männer aus. „Ich wusste ja, dass meiner klein ist ... aber … das ist deprimierend.“ Er musste ja ein ziemlich erbärmliches Bild abgeben. Obwohl seine Erektion sich voll aufgerichtet hatte und anscheinend wenigstens da funktionierte, so konnte er doch bei einem richtigen Mann lange nicht mithalten. „Das kannst du nicht vergleichen. Der ist nur so groß, weil Druck dahinter steht“ meinte Tato, zog sein Kinn hinauf, um den geknickten Blick zurück in seine Augen zu lenken. „Ich bin froh, dass deiner schön klein ist. Er passt doch zu dir.“ „Findest du ...?“ „Ja, finde ich“ lächelte er und wollte ihn lieber ein wenig ermutigen. „Stell dir mal vor, du hättest so einen wie ich. Das würde nicht gut aussehen.“ „Aber ...“ Er blickte beschämt zur Seite und legte die Hände auf seinen Bauch, da er sonst nicht wusste, wohin. „Ich weiß nicht ... ich würde auch gern aussehen wie du. So überall meine ich. So … genauso männlich wie du.“ „Och nee“ verzog er etwas enttäuscht das Gesicht. „Dann würdest du ja aussehen wie meine Mama heutzutage. Dann würde ich sicher keinen mehr hochkriegen.“ Was Phoenix dann doch etwas lachen ließ. Da war viel Wahres dran. Würde er wirklich aussehen wie Tato, dann könnte er sich in diese Reihe der mehr als ähnlich aussehenden Herren einreihen. „Ich meine ja auch ... weil du so hübsch bist.“ „Ich finde dich auch sehr hübsch.“ Er senkte sich herab und hauchte ihm mit warmem Atem auf die Lippen. „Und ich möchte dir auch beweisen, dass ich dich wirklich sexy finde. Du hast einen Körper, den ich leidenschaftlich verwöhnen will.“ „Du auch“ erwiderte er gerührt und hob seine Hände, um sie sanft an Tatos breite Brust zu legen. Nicht um ihn wegzudrücken, sondern um ihn noch mal so niedlich erröten zu sehen. Er strich mit seinen schmalen Fingern über die Mitte nach außen und wärmte dort die feste Haut. Dabei beobachtete er, wie der blaue Blick langsam verklärte, seine Augen sich halb schlossen bis er dann zittrig tief einatmete. Er erinnerte sich daran, dass Ati ihm mal erzählt hatte, es wäre sehr leicht, einen Drachen zu erregen, wenn man die richtigen Stellen richtig anfasste. Aber er hätte nicht gedacht, dass es wirklich derart einfach war. Er brauchte ihm nur die Hände auflegen und ganz leicht zu halten und schon begann er tief zu atmen und so verschwommen dreinzusehen. „Haaaah ...“ Bis Tato sich dann mit einem Mal ein Stück erhob, um sich aus diesem Griff herauszubringen. Glücklicherweise ließ Phoenix auch sogleich von ihm ab und blickte überrascht zu ihm auf. „Okay, dhu bist mutigher als ich dhachte“ atmete er und sah ihn schwimmend an. „Dhas hätte ich dhir nicht erlauben dhürfen.“ „Ati hatte Recht“ lächelte er entzückt. „Du bist leicht zu erregen.“ „Nur wheil du gleich mheine empfindlichste Stelle ghefunden hast“ antwortete er mit bebender Stimme und fasste sich an die Stirn. „Ich dhachte, dhas dauert längher, aber ich habe dhich wohl untherschätzt. Puuuuhhhh …“ „Ich mag es nur so gern.“ Er antwortete mit seichter Stimme und fuhr verliebt diese starken Arme entlang. „Dich zu berühren, das ist so wundervoll. Dein Körper ist so schön.“ „Und dhu …“ Er atmete tief ein und wollte sich fangen. Wow, das hatte ihn jetzt doch aus dem Konzept gebracht. „Du bist schlimmher als du aussiehst.“ Er richtete sich kurz auf seine Knie, zog sich die eh schon verrutschte Unterwäsche ganz aus und legte sie mit einem kurzen Kramen auf den Boden neben den Rest der achtlos abgeworfenen Kleidung. Kaum beugte er sich wieder über seinen jungen Geliebten, wurde er sogleich mit sehnsüchtigen Armen empfangen und geküsst. Er war so süß, sein sündhafter Kleiner. Ein Engel mit kleinen Fledermausflügelchen, die er jetzt das erste Mal zeigte. Zu glauben, er wäre schüchtern und unschuldig, war wohl ein Fehler. Wie es aussah, war er in Sachen Liebe sehr selbstbestimmt. Tato hatte beim ersten Mal mehr Zurückhaltung erwartet, aber überraschender Weise zeigte Phoenix davon nur wenig. „Nhicht“ hauchte der als er sich entfernte und den wundervoll leidenschaftlichen Kuss abrupt beendete. „Du bist wirklich ein kleines Schummelpaket“ meinte Tato und küsste seine süße Nasenspitze. „Ich hatte erwartet, dass du ganz schüchtern bist. Aber wie es aussieht, habe ich mich da ein bisschen getäuscht.“ „Ich habe mich aber bei dir nicht getäuscht, Asato. Du bist genauso zärtlich wie ich immer dachte. Ich fühle mich so wohl bei dir.“ Er lehnte sich zurück und diesen unschuldigen Lolitacharme sollte er lieber nicht bei anderen Männern einsetzen. Diese unbedachte Lust, diese glänzenden Augen und das verliebt verträumte Lächeln – so etwas brachte Männer leicht um den Verstand. Ob er wusste, wie er wirkte? „Sieh mich weiter so an und ich vergesse meine gute Erziehung.“ Das war doch wohl Wahnsinn. Wo hatte Phoenix sich nur diesen reizenden Blick abgeguckt? „Vergiss ruhig alles“ lächelte er und glitt mit den Händen seine schönen Schultern entlang. „Ich weiß auch kaum noch etwas.“ „Du bist doch …“ Dazu fiel ihm nichts ein. Er fiel gerade vom Hocker, wo hatte er diese freizügige Unschuld nur gelernt? „Was ist denn?“ Sein Lächeln schwand und seine Augen tauchten sich in ein anderes Gefühl. War das Unsicherheit in Asatos Augen? „Nicht gut?“ „Nein. Zu gut. Lächle mich noch ein Mal so an und ich kann nicht garantieren, dass du hier heil rauskommst.“ Und was tat Phoenix? Natürlich lächelte er seinen Drachen an. Wäre doch interessant zu sehen, was dann geschah. Angst um seine Unbescholtenheit hatte er jedenfalls keine. „Okay, ab hier gelte ich als unzurechnungsfähig.“ Bis zu einer gewissen Grenze konnte er noch Acht geben, jedoch herausfordern sollte man Drachen nicht. Vor allem nicht, wenn sich die Triebe meldeten. Ein Wunder, dass Phoenix so gar keine Bedenken zu haben schien, ihn zu reizen. Aber er hatte einen Drachen noch nie in Aktion erlebt. Tato griff die schmalen Hüften und drängte seine Zunge durch die ohnehin kaum widerständigen Lippen. Nun ließ er Phoenix das erste Mal die Kraft spüren, welche hinter seinen bisher so zärtlichen Berührungen schlummerte. Die Kraft, welche er bisher unter körperlichen und seelischen Qualen zurückgehalten hatte. Nun beendete er sein Warten. Das Warten des Herzens nach Erfüllung und das Warten seines Körpers nach Erlösung. „Asato …“ Phoenix atmete schwer und fühlte sich weit unterlegen in diesem festen Griff. Er spürte seine Beine gespreizt und es war doch ein sonderbares Gefühl, als sein Liebster sich über ihn erhob und dazwischen legte. Es war ein Empfinden zwischen Scham und Verlangen als er die große, pochende Männlichkeit an seinen Schenkeln fühlte. „Stoß mich jetzt weg oder niemals mehr“ bot Tato ihm mit erregt gesenkter Stimme an. „Letzte Chance, deine Jungfräulichkeit zu retten.“ Aber indem er dies sagte und ein letztes Mal zögerte, spürte Phoenix nur umso mehr, dass ihm in diesen schützenden Armen ganz sicher kein Leid geschehen würde. Es gab keinen Ort der Welt, welcher sicherer wäre als in diesen Armen. „Die ist bei dir gut aufgehoben“ seufzte er und ließ sich doch mit einer Mischung aus Aufregung und Erregung tiefer auf die Matratze sinken. „Ich gehöre ganz dir. Tu mit mir, was du willst.“ Einige kurze Sekunden ließ er diese Worte nachhallen. Phoenix beobachtete die Änderung in seinen Augen. Blickten sie eben noch zögerlich, so verschwamm sein Blick, seine Lippen öffneten sich zu einem tiefen Seufzen der Erregung bis sein nachtdunkles Blau zu glitzern begann. „Ich liebe dich so sehr“ hauchte er, als würde er es selbst jetzt erst verstehen. „Ich liebe dich auch, Asato. Hab bitte keine Angst.“ Er legte seine Arme um den muskulösen Körper und zog ihn in einen tiefen, liebenden Kuss. Sanft und kräftig umspielten sich ihre Zungen, ihre Lippen drückten sich aneinander, Tatos Hand griff verlangend in das dünne Haar und fesselte seinen Kopf in einem herrschenden Griff. Nur aus dem Augenwinkel nahm Phoenix eine Bewegung war. Der Drache senkte die Hand herab und er hörte ein leises Knistern. Dies lenkte ihn ab und er entkam dem Kuss, indem er sich fragend beiseite wandte und dort ein zerknittertes, leicht eckiges Plastikpapier fand. Auch mit eingeschränkter Sehkraft erkannte er das. Jedoch der Inhalt fehlte. >Ein Kondom!< schoss es ihm durch den Kopf. Das letzte Mal hatte er eines gesehen, als ein paar Jungs in der Schule damit Späße trieben. Nie hätte er daran gedacht, selbst eines dazu zu verwenden, wofür es ursprünglich gemacht wurde. „Hah …“ Tatos Stöhnen war leise gehaucht, als er sich selbst das dünne Latex überrollte und Phoenix gleichzeitig am Hals küsste. „Warum …?“ fragte der leise, aber gleichzeitig zerging er in dem schönen Gefühl, als sich die kräftigen Lippen sanft an ihm festsaugten. „Bringe ich dir später bei“ versprach er mit atmenden Worten. „Ist nicht schwer …“ „Was …?“ „Pariser mit einer Hand öffnen.“ Er hob sich ein wenig an und blickte ihm sanft in die Augen. „Oder was meintest du?“ „Ich dachte, warum … hhhaaaaahhh …“ Das Gefühl schoss ihm heiß in den Kopf, als er eine zärtliche Hand zwischen den Schenkeln fühlte. Mit wohl dosierter Kraft schlossen sich warme Finger um seine härter werdende Männlichkeit und massierten über die feuchte Spitze, schoben sich fordernd herauf und herab. „Oh, Phoenix.“ Tatos Augen schlossen sich halb und ein sanftes Rot legte sich auf seine Wangen. „Du bist so süß. Ich will dich so sehr, dass es wehtut.“ „Asato, ich … hhaahh, das ist … so … oh, Asato … hah … hmmmjhhaa …“ Es war ein unglaubliches Gefühl. Das Blut schoss ihm heiß durch die Adern, staute sich zwischen seinen Beinen und ihm wurde so warm wie selten. Dazu noch Tatos herber Kuss und die drängende Zunge, welche sich ungefragt an seinen Schätzen bediente. Er spürte auch die zweite Hand herab wandern, erlebte wie sich der ganze Arm um ihn legte und wie sie sich ein Gefühl ungefragt zwischen seine Pobacken schob. Dann plötzlich drang eine harte Fingerspitze in ihn ein und noch während er den Mund öffnete, in den Kuss hinein stöhnte, folgte auch der lange Finger, welcher sich tief in ihn drückte und nur Millimeter hin und her bewegte. „Ich khann nhicht mher“ atmete Tato, verhärtete seine Hand und strich die junge Erektion mit männlicher Kraft. Trotz des hilflosen Atems verschloss er die feuchten Lippen mit einem drängenden Kuss, mischte ihren heißen Atem. „Thut es weh?“ „Nhein“ keuchte Phoenix, öffnete den Mund und ließ ein heiseres „Hhhaaaahhhh“ heraus, schloss halb vor Qual, halb vor Genuss seine grauen Augen. „Asatho .. dhu … ich … Asatho …“ „Phoenix …“ Langsam zog er seinen trockenen Finger heraus, griff die runde Pobacke und richtete sich ein wenig auf. Mit einem tiefen Stöhnen zwängte er sich in die Enge und hörte die schmerzvoll erregte Antwort in seine eigene Stimme gemischt. Er wollte ja vorsichtig sein, aber gleichzeitig war die Verlockung dieses zerbrechlichen Körpers so groß, dass es ihm den Willen raubte. Er spürte zwar wie Phoenix sich in seine Schulter krallte und den Rücken durchdrückte, sich verengte, aber damit vergrößerte er nur seinen Reiz. Umso fester schloss er seine Hand um die zarte Männlichkeit und massierte die feine, helle Haut darum, während er sich selbst immer wieder in ihn trieb. Mit tiefen Stößen gab er seinem Verlangen nach, griff hinauf unter den windenden Hinterkopf und versuchte sich an einem Kuss. Doch beide waren so in ihren verpaarten Stimmen und der sich verengenden Hitze gefangen, dass sie einander zu sehr begehrten, um sich noch näher zu kommen. Der Rest des Raumes verschwand in der Bedeutungslosigkeit. Nur noch das gemeinsame Gefühl des Begehrens und des Drangs regierte diesen Moment. Sie versanken ineinander, in ihren Stimmen. Tatos lautes Atmen bis es ein durchgängig heiseres Stöhnen wurde, seine immer fester verlangenden Stöße in der zuckenden Enge. Sein Körper wurde hart, spannte sich an vor Erregung und ließ alle Gedanken abfallen. Nur noch er und dieser wundervolle Körper unter ihm. Selbst wenn er ein flehendes Wort hören würde, er könnte jetzt nicht aufhören. Diese süße Lust, dieses Verlangen nach dem Verbotenem, dieses schmutzig reine Gefühl des Lasters … es war wie ein Rausch. Phoenix genoss dieses beschützt bedrohliche Gefühl. Diese neue Empfindung. Der männliche Körper über ihm fühlte sich so unglaublich an, stark und rau, aber gleichzeitig so zugewandt und einnehmend. Er selbst hörte seine eigene Stimme nur am Rande und kam kaum dazu, darüber zu staunen, welch unkontrollierten Laute seine Kehle auslassen konnte. Er hielt sich nur noch an dieser Macht über ihm fest, an dieser Kraft in ihm und der Fülle in seinem Herzen. Diese Stimme, die Hitze, einfach alles nahm ihn gefangen und noch niemals hatte er etwas so schmerzvoll Schönes gespürt. Er konnte kaum noch den Namen seines Liebsten über die Lippen bringen, als seine Stimme in Atem unterging und sein Körper losließ von allem, was ihn bestimmte. Mit einem Mal stieg eine Kraft in ihm empor, welche ihm einen Rausch durch die Adern trieb und sein Blut rückwärts zwang. Er hörte, wie sich eine tiefe, durchgehende Stimme hindurch rang und an den Wänden widerhallte. Plötzlich lief die Welt schneller, die Zeit rannte an ihnen vorbei, sodass es schmerzte und gleichsam süchtig machte. Nur um diesen Augenblick, diesen ersten Moment der Erfüllung ins Herz zu brennen. Ein Augenblick der vollkommenen Vereinigung zweier Seelen, welche zu lang nacheinander hungern mussten und nun zusammengeschweißt wurden. Ihre Körper waren voll von Lust, sodass sie nur mehr zucken konnten als ihr Atem eins wurde und dieses betäubende Gefühl ein Siegel über ihre junge Liebe legte. Mit einem leisen Atmen senkte sich der schwere Körper herab und sogleich spürte Phoenix, wie das füllende Gefühl verschwand. Er selbst musste den Schwindel zurückkämpfen, Kraft schöpfen und sich in diese neu gestaltete Welt einfinden. Doch es war angenehm, dass dieser kraftstrotzende Körper eng neben ihm lag und er sich an ihn schmiegen, Ruhe suchen durfte. Er lauschte dem tiefen Atem, welcher ebenso zur Ruhe kam und bemerkte am Rande wie das benutzte Kondom entfernt und vom Bett hinunter auf dem Boden landete. Aber zu lockend war diese breite Brust, welche sich immer langsamer hob und senkte und sich zum Ankuscheln geradezu anbot. Während er sich an den männlichen Körper schmiegte, spürte er eine Hand in seinem Haar, seinen Hals gestreckt und eine warme Zunge seine Lippen durchbrechen. Mit einem sanften, tiefen Kuss besiegelten sie ihr neues Leben, hielten sich aneinander fest, wollten ihn niemals mehr loslassen, diesen vollkommenen, perfekten Moment. Als sich der Sturm so weit legte, dass sie neben ihrem feuchten Kuss das Ticken der Uhr hörten, schmiegten sie ihre Wangen aneinander und verbargen sich unter der warmen Daunendecke vor der äußerlichen Welt. Noch einen Moment wollten sie hier bleiben, in ihrem kleinen Glück. „Hey Kleiner“ flüsterte Tatos tiefe Stimme und küsste seine entspannten Lippen, so zart dass keine Feder es hätte übertreffen können. „Alles okay?“ „Ja“ hauchte er mit geschlossenen Augen und fühlte sich nur wohl. Wohl in diesen starken Armen, wohl in dieser wonnigen Wärme. Zwar fühlte er eine warme Feuchtigkeit an seinem Bauch, die wohl von ihm selbst kam, aber er war nicht nur zu entspannt dazu, sondern es war ihm auch ein wenig peinlich, jetzt nach einem Tuch zu fragen. Säuberungen hätten vielleicht diese schöne Stimmung schnöde gemacht. „Hach, Shit“ seufzte Tato, legte seinen Kopf aufs Kissen und schmiegte seinen Kopf an ihn. „Ich war auch schon mal besser.“ „Warum denn?“ Er aber rutschte mit seinen Schultern ein paar Zentimeter fort, um in das entspannte Gesicht vor ihm zu blicken. „Das waren nicht mal fünf Minuten“ sprach er enttäuscht. „Dein erstes Mal und ich hätte dir gern den Himmel gezeigt. Stattdessen … tja, ich hatte wohl zu lange keinen Sex mehr. Ein bisschen kommt es mir vor, als hätte ich dich ausgenutzt.“ „Ich fand’s perfekt.“ Über die Länge des Ganzen hatte er sich jetzt gar nicht gesorgt. „Dir fehlt der Vergleich“ brummte Tato. „Ich hätte dich gern langsam erregt, dich ein bisschen hingehalten und dich dann ein paar Mal zurückgewiesen bis du dann am Ende bettelnd und langsam unter mir kommst. Das eben hatte mehr was von nem schlechten Hentai.“ „Also, ich fand’s trotzdem gut. Auch wenn’s eher ein Yaoi wäre“ wiederholte er mit einem tröstenden Lächeln. „Klugscheißer.“ „Selber. Mir fehlt vielleicht der Vergleich, aber ich glaube, ein erstes Mal kann auch schlimmer sein. Wie war denn dein erstes Mal?“ Da legte sich doch ein kleines Schmunzeln auf sein brummiges Gesicht und trotz seiner geschlossenen Augen wirkte er belustigt. „Eigentlich genauso“ antwortete er mit leicht erhobener Stimme. „Ich lag auch unten und sie war viel älter als ich. Nur ihren Namen weiß ich nicht mehr.“ „Deinen Namen werde ich aber ganz sicher nicht vergessen“ lächelte Phoenix, der mit sich und der Welt eigentlich nur zufrieden war. Er machte sich nicht so gern Sorgen über andere Sachen. „Vergessen habe ich ihn auch nicht. Ich habe ihn eigentlich nie gewusst. Sie war da, hat mich entjungfert und weg war sie wieder. Vielleicht hatte ich deshalb lange ein etwas merkwürdiges Sexualleben.“ „Dann habe ich ja ein gutes Sexualleben jetzt“ beschloss er und beobachtete, wie sich die blauen Augen langsam öffneten und ihn so zufrieden wie sonst niemals zuvor anblickten. „Du hast dich gut angefühlt, Asato. Ganz ehrlich. Und ich kann beurteilen, was sich gut anfühlt und was nicht.“ „Dann glaube ich dir das mal fürs Erste.“ „Würde ich lügen, wärst du der Erste, der’s riecht.“ Erfahrungsgemäß bekam der Drache es erschreckend schnell heraus, wenn ihm jemand etwas vorflunkerte. „Aber kann ich dich auch was fragen?“ „Du bist doch aber hoffentlich aufgeklärt“ scherzte er und machte gespielt ängstliche Augen. „Das hat deine Mutter erledigt, soweit ich weiß.“ Aber Phoenix ging auf sein Späßchen erst mal nicht weiter ein. „Was sollte das mit dem Kondom?“ fragte er bitterernst. „Selbst wenn ich noch weibliche Organe hätte, wären die so verkümmert wie alles andere.“ „Kondome sind ja nicht nur zur Schwangerschaftsverhütung.“ „Aber auch Krankheiten habe ich keine. Oder du?“ „Nein. Nur Gleitgel hatte ich keines und ich weiß, dass das trocken keinen Spaß macht, wenn man nicht gerade drauf steht. Das Kondom war extrafeucht. Das ist eben das Glück, wenn man schwule Väter hat.“ „Du hast deinen Eltern wie ein kleiner Junge das Kondom geklaut?“ Der Gedanke kam ihm nicht nur absurd, sondern auch ziemlich urkomisch vor. Dabei war Tato aus dem Alter doch eigentlich lange raus. „Um ehrlich zu sein, habe ich’s aufgedrängt bekommen. Aber das ist eine andere Geschichte“ seufzte er, räkelte seinen Arm und legte sich auf den Rücken, wobei Phoenix perfekt seine Seite füllte. Aber dann senkte sich seine Stimme etwas herab und er atmete entspannend tief durch. „Habe ich dir wirklich nicht wehgetan?“ „Na ja“ antwortete er und küsste seine Schulter, an welcher er so warm lag. „Um ehrlich zu sein … das mit dem Finger hat ziemlich wehgetan. Aber dann später, das war ganz angenehm. Also, ich meine … na ja, irgendwie … ich habe zwar was gefühlt, aber so richtig Schmerz war das nicht.“ „Ja, ich weiß, was du meinst. Sex ist ne komische Sache. Eigentlich ist das alles nur ein einziger Schmerz, der aber doch süchtig macht. Ich denke, Hauptsache ist, dass man sich dabei wohlfühlt.“ „Ich habe mich sehr wohl gefühlt“ versprach er leise. „Sag mal, hast du auch schon mal unten gelegen?“ „Nein“ kam es zwar ruhig, aber zügig zur Antwort. „Und falls du das jetzt weiterdenkst, kannst du dir die Idee gleich wieder abschminken. Entweder liege ich oben oder gar nicht. Ansonsten mache ich so ziemlich alles. Außer das, was auf dem Index steht oder meine Potenz langfristig gefährdet.“ „Du bist lustig“ lächelte er heiter. „Das war mein Ernst.“ „Ich weiß. Deswegen ja.“ „Irgendwie bekomme ich das Gefühl, meine Autorität sinkt gerade in den Keller.“ „Hauptsache du fühlst dich auch wohl“ meinte Phoenix, hob seine Hand und strich seinem Liebsten das durcheinandergeratene Haar zurück. „Kann ich dich auch fragen, was du am liebsten machst?“ „Du meinst Vorlieben, die ich früher oder später anbringen würde?“ „Hm“ nickte er vorsichtig. „Sagst du’s mir? Oder …?“ „Wenn es dich interessiert, natürlich. Eigentlich mag ich es am liebsten, wenn man mich reitet. Aber französischen Sex mag ich auch.“ „Blasen oder geblasen kriegen oder beides gleichzeitig?“ „Geblasen kriegen natürlich.“ Er wand ihm sein Gesicht zu, kniff skeptisch die Augen zusammen und musterte für Sekunden sein Gegenüber. „Sag mal, dich kann auch gar nichts beschämen, was?“ „Du denkst, dein freies Reden kann ich mich erschrecken?“ schmunzelte er mit glitzernd grauen Augen. „Hat Ati schon mal versucht, dich von der Sinnhaftigkeit eines gut gefüllten DVD-Regals zu überzeugen?“ „Okay, das war’s mit meiner Illusion des unschuldigen Jungen“ seufzte er und schaute zurück an die Decke. „Anscheinend hat dich schon jemand verdorben, bevor ich die Gelegenheit dazu bekam.“ „Schlimm?“ „Ja“ brummte er etwas beleidigt. „Aber weißt du, was wirklich schlimm ist?“ „Was denn?“ „Ich habe Dakar meine letzte Zigarette gegeben“ fluchte er mit gedrückter Stimme. „Du hast eben ein zu gutes Herz, Asato.“ „Anscheinend.“ „Aber ich liebe dein gütiges Herz.“ „Mach dir keine falschen Vorstellungen.“ Er setzte ein besorgniserregend selbstzufriedenes Grinsen in sein Gesicht und bedachte vorerst nur die Zimmerdecke damit. „Du hast mich noch nicht erlebt, wenn ich mir Nikotinersatz suche. Und wo ich doch gerade versuche, das Rauchen aufzugeben …“ „Lass es“ grinste er dagegen. „Ich bekomme keine Angst vor dir. Da musst du dir schon mehr einfallen lassen.“ „Grm.“ Vielleicht passten sie doch besser zusammen als gehofft … Chapter 10 Als Spatz am nächsten Morgen die Augen aufschlug, tat sein Herz bereits den ersten Sprung, bevor er überhaupt einen klaren Blick hatte. Der erste Gedanke galt seinem neuen ... ja, was war Asato nun eigentlich für ihn? Ein Partner? Ein Liebhaber? Ein Freund? Lebensabschnittsgefährte? Aber einen Liebsten durfte er ihn nun ganz sicher nennen und das allein reichte, um ihm sofort ein Lächeln ins Herz zu malen. Doch als er langsam seine Sinne sammelte, fand er sich in einer enttäuschenden Lage. Als er in der Nacht kurz wach wurde, lag er so eingebettet in den starken Armen wie er es sich immer gewünscht hatte. An diese kräftige Schulter gelegt, einen breiten Brustkorb umarmend und neben ihm ein ohrenbetäubendes Schnarchen. So hatte er sich immer ein Aufwachen gewünscht. Doch als ihn nun die Sonnenstrahlen weckten, war er ganz allein im Bett. Und da durfte man doch ein wenig geknickt sein. Den ersten gemeinsamen Morgen hatte er sich immer wie ein gemeinsames Aufwachen vorgestellt. Eine lächelnde Begrüßung und einen tagesfrischen Kuss hatte er sich gewünscht. Doch nun waren die Laken zerwühlt und sein Liebster fort. Vielleicht würde nicht nur dies anders sein als er es sich in seinem jungen Kopf ausmalte. Im Gegensatz zu Asato hatte er kaum eine Vorstellung davon, wie es war, eine echte Beziehung zu führen. Er konnte ja auch kaum erwarten, dass ein erwachsener Mann so euphorisch romantisch war wie ein Schuljunge. „Ach, du bist ja doch schon wach.“ Aber so allein war er gar nicht. Er hatte nur den Kopf gehoben und schon spürte er wie sich etwas Schweres hinter ihm auf der Matratze niederließ und sah einen Arm, der sich vor ihm abstützte. „Asato!“ Vielleicht etwas kindisch, aber er freute sich, dass er nun doch nicht so weit weg war. „Du bist ja hier!“ „Natürlich. Hast du sonst noch wen erwartet?“ fragte er ihn mit trockenem Humor, als Phoenix sich zu ihm umdrehte und mit roten Wangen anlächelte. „Nur zur Info: Das heißt erst mal guten Morgen, Mr. Taylor.“ „Guten Morgen, Dicker“ lächelte er überglücklich. „Du bist ja schon wach.“ „Laertes hält sich für den Hahn persönlich“ antwortete er und nickte auf das geöffnete Fenster. „Ein Wunder, dass du bei so einem Krach einfach weiterschlafen kannst.“ „Na ja“ schmunzelte er. „Du bist ja auch nicht gerade leise.“ „Meinst du beim Sex oder beim Schlafen?“ Er war da eben sehr direkt, während sein kleiner Schützling ein wenig dunkler anlief. Stimmte, bei beiden Dingen hatte er eine gewisse Lautstärke und das wusste er. Aber wer mit Asato klarkommen wollte, der durfte sich von seinen Tiraden nicht beeindruckt zeigen. „Also, wenn ich beim Sex einschlafe, hast du irgendwas falsch gemacht. Ansonsten stört mich deine Lautstärke eigentlich nicht.“ „Ziemlich freche Antwort zu so früher Stunde“ stellte er mit einer hochgezogenen Augenbraue fest. „Und das noch bevor ich Gelegenheit zum Rauchen hatte.“ Phoenix aber lächelte ihn nur einnehmend an und streckte seine Arme nach ihm aus. Vor dem Rauchen gab es ja wohl noch etwas anderes. „Du kannst so süß sein“ seufzte Tato und gab es auf, den Harten zu spielen. Damit kam er hier wohl nicht mehr durch. Also tat er brav, worum man ihn so wortlos bat und stützte seine Ellenbogen aufs Bett, ließ sich im Nacken herunterziehen und küsste sein neues Betthäschen ganz lieb in den neuen Tag. Es war schön, wenn endlich wieder jemand da war, den man küssen durfte so oft und so lange man wollte. Das hatte ihm sehr gefehlt. Nie wieder wollte er solch eine Einsamkeit im eigenen Bett fühlen. Es war viel schöner, wenn es nebenan warm herüberzog, sich ein leiser Atem in die Dunkelheit mischte und am nächsten Morgen ein Mensch wartete, dem diese Nähe ebenso wichtig war. Es war schön, dass er endlich die Erfüllung fand, die er sich selbst so lange verboten hatte. Und Phoenix machte es ihm leicht, über seine Bedenken hinwegzukommen und sich einfach nur darauf zu konzentrieren, dass es auch für ihn noch ein bisschen Glück gab. So waren sie in ihrem verliebten Kuss eingesunken bis durch das geöffnete Fenster laute Stimmen und ein kreischendes Lachen zu hören war. Hörte sich verdammt danach an, dass dort ein kleiner Wirbelwind vor einem Hund flüchtete. „Meine Fresse“ raunte Tato gestört in seinem Glück. „Müssen die immer über den halben Globus schallen?“ „Einer davon hört sich aber ganz nach dir an“ kicherte Phoenix gut gelaunt. „Widersprich mir nicht immer“ grummelte er, erhob sich und trat ans Fenster. Dabei bemerkte er nicht wie er begehrlich angehimmelt wurde. Phoenix genoss den Ausblick auf diesen Prachtkerl. Er trug nur seine schwarze Jeans vom Vortag, welche den ersten Knopf noch offen hatte. Ansonsten rein gar nichts. Sein breites Kreuz wurde von der Morgensonne beschienen, die Muskeln in seinen kräftigen Oberarmen zuckten und sein schlanker Bauch gehörte eigentlich in Gips gegossen für die Ewigkeit. Und obwohl die Narbe an seinem Rücken schmerzliche Erinnerungen barg, machte es ihn doch ein wenig erotisch, geradezu verwegen. „Ey!“ keifte er verstimmt zum Fenster hinaus. „Ich habe extra den Wecker ausgestellt und ihr macht so einen Terz! Es gibt auch noch andere Gäste, ihr Hooligans!“ „Selber ey!“ meckerte Joey zurück. „Nicht geraucht oder was? Bleib mal cool.“ „Das heißt erst mal guten Morgen, Mr. Muto“ ermahnte Yugis Stimme ihn scherzhaft. Was Phoenix innen doch etwas lauter lachen ließ. Da war die Abstammung ja wohl erkennbar und auch ein Asato musste sich belehren lassen. „Guten Morgen, Papa“ antwortete er ein wenig eingeschnappt, aber doch freundlicher. Seine Eltern hatte man mit Respekt zu behandeln. „Was macht ihr da? Esst ihr draußen?“ „Jupp“ bejahte Yugi und Phoenix hörte ein Scharren von Stühlen und einige, verwobene Stimmen hereindringen. Man richtete sich wohl vor der Tür der kleinen Pension ein. „War Teas Idee. Heute soll es ja so ein warmer, schöner Tag werden.“ „Ja, schön was?“ lächelte auch Tato zum Fenster hinunter. „Wir haben für nördliche Verhältnisse einen sehr warmen Sommer. Da werden wir richtig braun, während wir Vitamin D bilden. Gut für Geist und Körper. Ach, Onkel Moki? Hast du Zigaretten greifbar?“ „In meinem Zimmer irgendwo“ meldete der sich. „Du siehst aber auch so ganz zufrieden aus. Hast du gut geschlafen?“ „Nicht nur das“ antwortete er mit zufriedener Stimme. „Ich habe beschlossen, dass ich heute ein neues Leben anfange. Weniger Trübsal und Bitterkeit und dafür mehr Zuversicht und Gelassenheit. Und mehr Liebe.“ „Große Ziele für nur einen einzigen, nikotinfreien Morgen“ zeigte sein Onkel sich überrascht. „Und du meinst das ernst und hast nicht nur zufällig gerade mal gute Laune?“ „Ja“ lächelte er ruhig. Er kam allmählich zur Ruhe. Nach all den Jahren. „Das meine ich ganz ernst.“ „Dann willkommen zurück im Leben“ freute Yamis lustige Stimme sich von irgendwoher. „Das nennt man dann wohl den zweiten Frühling, was?“ „Nimm dich zusammen, sonst erlebst du nicht mal deinen ersten, Balthasar“ murrte Tato gut gelaunt zurück. „Sorry, die Vorlage war einfach zu gut“ lachte der. Man spürte, dass draußen die Sonne warm herab schien und die trübe Stimmung der Gruppe wesentlich lockerer und gelöster wurde. Wenn selbst die entspannte Fröhlichkeit bei dem ewig verbitterten Tato Einzug hielt. „Kommt ihr zum Frühstück?“ wollte Yami von ihm wissen. „Sonst nehme ich dein Croissant.“ „Finger weg! Die sind abgezählt!“ sprang wohl Yugi gleich dazwischen, bevor Yami vor allen anderen den Tisch plünderte. „Wir kommen gleich“ antwortete er dafür ganz ruhig. „Wir müssen nur erst duschen und dann will ich unsere Croissants unberührt sehen.“ „Duschen?“ jubelte Yami fröhlich. „Kann ich mitkommen?“ „Geht nicht. Wir sind schon zu zweit, bei dreien platzt die Dusche.“ Vielleicht hielten die anderen das für einen Witz und ein Lachen war auch im Hintergrund zu hören. Aber wie ernst das wirklich war, ahnten wohl nur einige wenige. „Ist Spatz auch schon wach?“ fragte Yugi, der diesen kleinen Zaunpfahl aber ganz gut gesehen hatte. „Ja“ seufzte er hinunter und wurde tatsächlich etwas rot auf den Wangen. „Wir … na ja, er liegt noch im Bett. War etwas aufregend gestern Abend … weißt du?“ „Deshalb der neue Optimismus.“ Yugi war schlau, der schaltete sofort. „Hast du dich endlich entschieden?“ „Ja“ nickte er zufrieden. „Danke Papa.“ „Ich bin froh. Dann geht duschen und … YAMI! Ich habe dir gesagt, die Croissants sind abgezählt! Sorry, Tato!“ „Schon gut. Bis gleich.“ Damit schloss Tato das Fenster und kippte es nur an, um noch ein wenig Luft herein zu lassen, aber den Großteil des Lärms auszusperren. „Meintest du das ernst?“ fragte Phoenix, der selbst noch nackt im Bett lag und ihn gespannt ansah, als sein Prachtkerl zu ihm zurückkam. „Was?“ fragte der gelassen. „Das mit dem Duschen.“ „Natürlich. Drei passen da partout nicht rein.“ „Ha ha. Ich meine …“ „Meine ich auch“ antwortete er, setzte sich zu ihm aufs Bett und lehnte sich langsam herüber, griff über ihn und schloss das wenig bedeckte Etwas unter sich ein. „Oder willst du nicht mit mir duschen? Ich verspreche auch, ich halte die Finger still.“ „Ich glaube dir kein Wort, du alter Lustmolch“ befürchtete er rotwangig. „Ganz schön misstrauisch. Das habe ich nicht verdient.“ Aber letztlich hatte der Kleine gar keine Chance. Ob er wollte oder nicht, jetzt musste er sich eben auch seinen ungestillten Gelüsten annehmen. Und Tato hatte viel Nachholbedarf. Aber dann lächelte er und kam seinen warmen Lippen ganz nahe. „Mach dir keine Sorgen. Ich kenne da ein paar Möglichkeiten, wie wir dich schonen und trotzdem unseren Spaß haben.“ „Ich mache mir keine Sorgen. Bei dir nicht“ versprach er, legte die Arme um seinen Hals und zog ihn weiter herunter, um sich von dem schützend kräftigen Körper bedecken zu lassen. „Ich lasse mir gern alles von dir zeigen ...“ Tato dachte das auch gern weiter, legte die Beine hoch und machte sich neben ihm lang. Ganz zart küsste er ihn und gab dann seinen Arm zum Einkuscheln frei. Nur noch einen Augenblick gemütlich liegen bleiben, bevor sie dann vom neuen Tag überholt wurden. Auch wenn er durchaus den ganzen Tag Sex haben wollte, wusste er doch, dass er mit dem etwas kränklichen Phoenix ein wenig langsamer sein musste. Vielleicht brauchte der erst mal Zeit, um sein erstes Mal zu verarbeiten. „Asato, darf ich dich was fragen?“ rückte er dann vorsichtig heraus. „Fragen ja, solange ich dafür nicht aufstehen muss“ seufzte er entspannt. „Was willst du?“ „Ich habe mich gefragt, ob du ... hast du eigentlich überhaupt schon mal mit einem anderen Jungen geschlafen?“ Das war ihm etwas peinlich, aber interessieren tat es ihn schon. Immerhin hatte der Drache nie anklingen lassen, dass er sich für etwas anderes als Weibchen interessierte. Da lag die Frage doch nahe. „Warum?“ raunte er zurück. „Hattest du das Gefühl, ich wüsste nicht, was ich da tue?“ „Nein, nicht deshalb. Eher im Gegenteil. Ich meine, du hattest ... wollte ich nur so wissen. Weil du ja früher ziemlich … also habe ich mir sagen lassen … also …“ „Ich hatte früher einen hohen Frauenverschleiß“ antwortete er schamlos, so war das nun mal und das konnte er nicht ändern. „Und ja, ich habe auch schon mit Männern geschlafen.“ „WIRKLICH?“ Das war doch nun ein Geständnis, welches eher nicht erwartet hatte. DAS hatte er nie gedacht! „Ich dachte immer, du bist nicht bi!“ „Man muss doch alles mal ausprobiert haben, bevor man sich eine Meinung bilden kann. Ich war jung und potent“ antwortete er und schien sich weder zu schämen, noch irgendwas verheimlichen zu wollen. Wenn man ihn etwas fragte, bekam man eben auch eine Antwort. Und wenn man die nicht haben wollte, durfte man eben nicht fragen. „Aber letztlich habe ich mich bei Frauen wohler gefühlt.“ „Wie viele Männer waren denn das?“ Nun wollte er es auch genau wissen. „Zwei.“ „Und … warum hast du … ich meine …?“ „Beim ersten wollte ich es einfach, weil ich ihn hübsch fand und mir dachte, dass Sex mit ihm sicher Spaß macht. War auch eine recht nette Sache im Großen und Ganzen. Ich war nicht gerade sein erster Mann und so war es eine neue Erfahrung, mich mal nicht von einer Frau verwöhnen zu lassen. Die Angelegenheit war ziemlich sexy, aber nichts, was mich jetzt zu neuen Ufern führte. Und beim zweiten hatte ich einfach das innere Bedürfnis danach. Ich weiß nicht warum, aber irgendetwas hat mich dazu gereizt. Er fragte mich, wie sich Sex anfühlt und ich hab’s ihm gezeigt. Ich glaube, ein wenig wollte er dabei auch mein Wohlwollen erlangen und er dachte, dass er mich durch Sex gnädig stimmen kann. Ich weiß es ehrlich nicht, aber es war gut. Beim ersten Mal war das also eher auf der körperlichen Ebene, aus Neugierde, das war nur Sex. Beim zweiten Mal war’s eher emotional. Nicht liebevoll oder verlangend, doch Gefühle waren irgendwie vorhanden. Aber wie schon gesagt, hätte ich mir niemals vorstellen können, dauerhaft lieber einen Mann als eine Frau zu haben. Frauenkörper sprechen mich einfach mehr an. Ich mag es weich und rund und kurvig. Um ehrlich zu sein hatte ich auch lieber mollige Frauen. Ich hatte immer das Gefühl, dass rundere Frauen zärtlicher zu mir sind und mich mehr Mann sein lassen. Ich mag es, wenn ich der Starke bin und nicht umgekehrt.“ „Zwei Männer also“ wiederholte Phoenix und musste sich das erst mal vorstellen. Das waren alles Dinge, die er sich schon lange fragte und nur nie zu fragen getraut hatte. „Wann war denn das? Und wer?“ „Du bist ganz schön neugierig“ schmunzelte Tato und lehnte sich gemütlich ins Kissen zurück, legte seinen Kopf auf den verschränkten Arm und blickte an die Decke. „Na ja … du musst ja nicht antworten, wenn du nicht willst. Ich dachte nur, ich … wenn ich Bettgeschichten hätte, würde ich es dir auch sagen … aber ich habe ja noch nie … ach vergiss es. Ich wollte nur … ist egal.“ „Du bist so niedlich, wenn du das Stammeln kriegst“ grinste er leise, aber atmete dann tief. Es war gemein, den Kleinen zu verarschen. Eigentlich war es doch süß, dass er sich für das Leben interessierte, welches Tato vor ihm geführt hatte. „Ich will dich ja nicht löchern“ entschuldigte Phoenix leise. „Wenn ich irgendwas spannendes zu erzählen hätte, würde ich es auch erzählen, aber … außer dir hatte ich ja noch niemanden.“ „Das klingt als würdest du noch jemand anderen wollen. ‚Noch‘ niemanden …“ „NEIN! So war das gar nicht gemeint! Ich …“ Aber dann sah er den Dicken versteckt grinsen und musste ihm nun doch mal warnend auf den Arm hauen. „Verarsch mich nicht immer. Das ist unfair!“ „Tut mir leid, Kleiner. Du forderst es aber auch heraus“ lachte er und pustete ihm zielgenau eine verirrte Strähne aus dem roten Gesicht. „Wenn dich was interessiert, dann frag ruhig. Ich bin ganz offen zu dir. Hast ja irgendwo ein Recht drauf, zu wissen, was du dir aufgebürdet hast.“ „Sprich nicht von dir als eine Bürde. Du bist ein Schatz. Du bist zwar fies, aber auch ein Schatz“ versuchte er zu trösten und legte sich zurück in seinen warmen, starken Arm. „Aber das interessiert mich doch ein bisschen, was das für Männer waren. Ich meine … waren sie wie ich? So … na ja … weiblich?“ „Weiblich … nein, kann man nicht sagen. Sie waren beide sehr unterschiedlich, aber nicht annähernd so süß wie du.“ „Dann waren sie … schwul? Oder … betrunken?“ „Nein, weder noch. Wobei mein erster Mann wohl doch schwul war. Irgendwie wusste das jeder, auch wenn er sich nie geoutet hat. Ich weiß nicht … kennst du Jasan Aran noch?“ „Jasan Aran?“ überlegte er angestrengt. „Woher kann ich den kennen?“ „When you leave me aloooone in here“ begann Tato leise zu singen. „I don’t know hooow to fiiind way back. Please don’t leave me aloooone in here …” „Der Sänger Jasan Aran?“ staunte Phoenix baff. „Echt jetzt?“ „Ich sage doch, der ist schwul. Ich weiß es“ lachte er über seinen verdutzten Süßen, der das erst mal schlucken musste. „Ich war damals als VIP auf einem seiner Konzerte eingeladen und während er da seine Show machte, dachte ich mir, ich würde ihn gern mal persönlich treffen. Ich habe mich also Backstage begeben und mir meine persönliche Show abgeholt.“ „Jasan Aran … ein echter Promi“ wiederholte er baff. „Wann war das denn? Der ist doch schon ewig dabei. Schon … da war ich ja noch gar nicht geboren als der berühmt wurde.“ „Ist schon länger her. Bevor ich mit Risa zusammenkam und Jasan ist auch bloß drei Jahre älter als ich“ tat er das ab. „Aber wie gesagt, es war nur der Reiz an ihm. Hinterher haben wir uns nicht oft gesehen, geschweige denn unterhalten. Ein Mal nur auf einem Festival, wo ich selbst auftrat. Wir haben ein paar Worte gewechselt, aber außer Smalltalk nix gewesen. Er wollte wohl noch mal in meine Kabine, aber ich habe ihn von der Security abweisen lassen. Er hat mich nicht annähernd so gefesselt wie du. Wusstest du, dass sein bürgerlicher Name Massimo ist?“ „Massimo? Ist er nicht eigentlich Türke?“ „Seine Eltern haben wohl an Geschmacksverirrung gelitten. Da hätte ich mir auch einen Künstlernamen zugelegt.“ „Und der zweite?“ fragte er vorsichtig weiter. „Der mit der Gefühlsebene? Der dich gnädig stimmen wollte?“ „Das verrate ich dir nur, wenn du damit nicht hausieren gehst“ bat er plötzlich ernst. „Ich … okay. Ich verkaufe es nicht an die Presse. Kenne ich den auch?“ „Ziemlich gut sogar“ vermutete Tato und überlegte einen Moment bis er aber entschied, dass er zumindest vor Phoenix offen sein sollte. „Mein zweiter Mann war Dakar.“ Da zog sich alles in ihm zusammen und Tato fühlte wie Phoenix sich kurz verspannte. Das gab ihm nun doch zu schlucken. „Dakar? Du meinst … unser Dakar?“ „Kennst du denn noch einen anderen?“ „Ich … aber … das hätte ich jetzt nicht gedacht.“ „Sag’s nicht weiter, ja?“ bat er leise. „Das war kurz nachdem er zu uns in die Villa gezogen war. Ich habe ihn damals nicht sonderlich gemocht. Er war Magier und ich habe mich in seiner Gegenwart irgendwie unwohl gefühlt. Er war mir zu glatt, er fühlte sich zu mächtig an. Ich konnte ihn nicht einschätzen, zumal er auf meine Provokationen nicht eingegangen ist. Er hat mir das Gefühl gegeben, ihm egal zu sein und das konnte ich nicht leiden. Ich hasse es, ignoriert zu werden.“ „Ich weiß.“ Jupp, da konnte er ziemlich aufsässig werden. Das hatte sich nie geändert. Mit Desinteresse strafte man ihn am meisten. Tato war jemand, der immer im Mittelpunkt stand und wenn er nicht bewundert wurde, bekam er seeeehr schlechte Laune. „Als ich ihn mal alleine abgepasst habe, forderte ich ihn zu einem Kampf heraus. Ich wollte wissen, wie mächtig er wirklich ist. Aber er stimmte einem Kampf nur zu, wenn ich ihm ‚Antworten gebe‘ wie er damals immer sagte. Ich weiß nicht warum, aber er fragte ausgerechnet mich, was an ihm falsch sei. Er bemerkte damals, dass die Leute auf mich flogen und vor ihm jeder zurückwich. Dass sich die Leute um mich scharten und er immer allein blieb. Ich hätte nie geglaubt, dass ihn das juckt. Er machte nie den Anschein als wäre ihm sein Image wichtig. Geschweige denn, dass ihn andere Menschen interessierten. Aber an seinen Fragen sah ich, dass er ziemlich einsam sein musste und er erkannte, dass er anders war und er fand sich nicht zurecht in einer Welt, die so anders war als er. Es war kompliziert. Ein Wort gab das andere und letztlich landeten wir eben im Bett.“ „Das hört sich … ziemlich verquer an.“ „Das war es auch. Ich hatte das Bedürfnis, mich über ihn zu erheben, ihn quasi in den Rang unter mich zu stellen. Und er hat mir diese Vorherrschaft auch gelassen. Als wolle er mich gnädig stimmen, um wenigstens irgendwen zu haben. Es fühlte sich an als würde er sich unterwerfen.“ „Du meinst ... so wie Drachen sich unterwerfen.“ „Ich war selbst verwundert, wie gut er mein Wesen einschätzen konnte“ überlegte Tato weiter in seine Erinnerung vertieft. „Ich glaube, er wusste genau, was mich an ihm störte. Er wusste, dass er für mich ein Buch mit sieben Siegeln darstellte. Ich meine, immerhin ist er außer uns Drachen der einzige Mensch, der von einem Gott geschaffen wurde. Und auch der einzige außer uns, der gehobene Instinkte besitzt. Und deshalb traute ich ihm nicht. Aber nachdem wir miteinander geschlafen hatten, verbesserte sich unsere Beziehung sehr schnell. Er hatte mir bewiesen, dass er mich als ranghöher akzeptierte und ich habe ihm das Gefühl gegeben, nicht so anders zu sein wie er dachte.“ „Das hört sich strange an“ musste Phoenix ihm gestehen. „Habt ihr danach … ich meine … war da noch mal was zwischen euch?“ „Nein, nie wieder. Jedenfalls nicht sexuell“ verneinte er. „Ich liebe Dakar, er ist mir wichtig. Zwischen uns herrscht seitdem ein schweigendes, ein blindes Friedensabkommen. Ich weiß, ich kann mich auf ihn verlassen und er sich auf mich. Wir haben wenig gemeinsam. Du weißt, dass ich manchmal viel zu emotional bin. Dakar fehlen diese Emotionen, er tut sich schwer mit sozialen Bindungen. Ich glaube, er braucht das auch gar nicht.“ „Wie eine Schlange“ meinte er leise. „Er braucht keine Bindungen. Du schon. Du bist ein Drache.“ „Ja, so könnte man es sagen. Aber trotz unserer Prägungen, verbindet uns doch etwas, obwohl wir vom Charakter her völlig unterschiedlich sind. Vielleicht das Animalische in uns. Das besitzt er genauso wie ich. Ich kann’s heute noch immer nicht greifen, aber der Sex hat irgendeine Art Verbrüderung zwischen uns begründet. Dakar und ich, wir müssen uns nur ansehen und wissen alles. Seine Gegenwart ist mir heute sehr angenehm. Was mich anfangs noch verunsichert hat, nämlich dass ich seine Gedanken nicht hören, seine Gefühle nicht spüren und ihn überhaupt nicht einschätzen konnte, das macht ihn für mich heute zu einer Art gesellschaftlichen Oase. Ich weiß, es liegt nicht daran, dass ich ihn nicht hören oder spüren kann, sondern einfach daran, dass er nicht denkt und nicht fühlt. Bei ihm gibt es nichts zu spüren, da ist schlicht nichts vorhanden. Natürlich hat er Gedanken und auch Gefühle, aber wesentlich weniger als ein normaler Mensch. Er ist emotional wie eine Schlange. Ganz ruhig, nur das Nötigste und am liebsten allein. Ganz anders als Drachen, die ihr Leben auf emotionalen Bindungen bauen. Seit er sich mir demütig gezeigt hat, kann ich ihn annehmen. Und er mich auch. Er ist mir einfach sehr angenehm. Wie gesagt, ich liebe ihn auf eine gewisse Weise. Aber nicht genug, um ihn auch zu begehren. Ich liebe ihn wie einen Bruder. Wie eine Art kleinen Bruder, den ich nie hatte. Aber zu einer Liebesbeziehung reichte es auf beiden Seiten nicht. Für Dakar ist Tea die einzige Frau, du weißt wie er sie vergöttert. Sie ist für ihn die heilige Madonna. Zwischen uns war niemals echtes Verlangen. Nicht so wie ich es zu Frauen empfunden habe. Na ja, entschuldige. Ich wollte jetzt nicht sinnieren wie toll ich ihn finde. Ich stehe eigentlich auf was anderes.“ „Dann ...“ So genau hatte er es vielleicht doch nicht wissen wollen. Obwohl es ihn reizte zu erfahren, was das für Männer gewesen waren, so fragte er sich nun doch eher, warum er seine Meinung änderte. Dass Tato mal etwas mit Dakar gehabt hatte, hätte er sich niemals träumen lassen. Vor allem, da er eigentlich nur Frauen liebte. Er brauchte damals Frauen wie die Luft zum Atmen. Und Risa war ganz eindeutig eine wunderschöne und starke Frau gewesen. Er hatte sie vergöttert, war ihr vollkommen verfallen. Sich nun vorzustellen, dass er einen intersexuellen Jungen neben sich liegen hatte, passte nicht ins Bild. Selbst wenn Tato schon Männer hatte, selbst wenn er mit so einen unheimlichen Typen wie Dakar geschlafen hatte … es erklärte nicht mal ansatzweise, weshalb er sich nun für einen Schwächling wie Phoenix erwärmen konnte. Das passte nicht in sein Beuteschema. „Ich höre, was du jetzt denkst und ich fühle, was dir Fragen aufgibt“ sprach Tato mit ruhiger Stimme fort. „Aber ich hätte mich nicht in dich verliebt, wenn mich nicht auch dein Körper ansprechen würde. Du hast dich vielleicht für die männliche Seite in dir entschieden, aber das tut keinen Abbruch daran, dass ich dich genauso süß finde wie eine Frau. Ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse. Und ich hoffe, du weißt das auch und nimmst jetzt nicht nach der ersten Nacht Reißaus.“ „Das ganz sicher nicht“ versprach er und drückte sich an ihn. „Ich fand es wunderschön letzte Nacht. Fällt mir zwar schwer, es zu realisieren, aber ich glaube, du hättest das nicht getan, wenn du mich nicht wirklich lieben würdest.“ „Nein, sonst wäre ich sicher nicht in dein Bett gestiegen“ stimmte auch er zu, wand seinen Kopf und blickte seinen Süßen mit sanften Augen an. „Ich hoffe, du liebst mich jetzt immer noch. Auch wenn du mein kleines Geheimnis kennst.“ „Ich denke, du fühlst, was ich fühle?“ Er versuchte zu lächeln. Tatos Geständnis war aufrührend gewesen. Aber letztlich würde er nicht hier liegen, wenn es ihm nicht ernst wäre. „Dann fühlst du auch, wie sehr ich dich liebe?“ „Ich wünschte, du könntest auch fühlen, was in mir vorgeht“ erwiderte er mit sanfter Stimme und so tiefblauen Augen, dass man darin versinken wollte. „Ich weiß, ich habe eine große Vergangenheit. Aber ich wünsche mir nun, dass die Zukunft dich zu ihrer Mitte macht. Ich habe jahrelang zurückgeschaut, mich zurückgesehnt und weiß nun, nur mit dir kann ich den Blick jetzt wieder nach vorn richten.“ „Ja“ lächelte er ebenso verliebt zurück. „Eine Zukunft mit dir würde mich sehr glücklich machen.“ „Mich auch, Phoenix. Mich auch.“ Und er besiegelte dieses schwergewichtige Liebesversprechen mit einem ebenso passionierten Kuss. Er hatte es beschlossen und wenn er sich für etwas entschied, tat er keinen Schritt zurück. Heute würde er ein neues Leben beginnen. Er würde weniger weinen, weniger deprimiert sein und weniger schimpfen. Dafür wollte er mehr lächeln, mehr Fröhlichkeit und mehr Ruhe. Er wollte endlich wieder Zufriedenheit erleben. Und jemand wie Phoenix, der noch so voller Träume und Unschuld war, konnte ihm diesen Wunsch durchaus erfüllen. Er musste nur einfach bei ihm bleiben und ihm zeigen, wie unbeschwert man leben konnte. Auch wenn es nach außen vielleicht merkwürdig wirken würde, hatten sie sich doch mehr zu geben als nur Liebe. Doch dass sie so schnell über den ersten Stein des Weges steigen müssten, hatten sie wohl beide nicht geahnt. Kaum waren sie vollends in ihren zärtlichen Liebeskuss vertieft, hörten sie am Rande wie sich Schritte auf dem Flur bewegten und leider nicht, wie sonst auch, an ihnen vorbeigingen, sondern die Tür geöffnet wurde. Doch erst als es ein Klirren gab, realisierten sie, dass jemand hereingetreten war. Balthasar stand in der Tür, hatte ein kleines Tablett mit Bechern und Tellerchen bei sich und da er so abrupt stehen geblieben war, tropfte nun der Orangensaft auf den Boden und weichte die mitgebrachten Zigaretten auf. Doch er musste seine Konzentration darauf verwenden, was er vor sich sah. Da lag tatsächlich sein Bruder, zudem noch nackt und nur spärlich halb von der Decke bedeckt unter dem ebenfalls nur halb bekleideten Asato und zerging in seinen Armen. Während sich Asatos Hand unter der Decke befand und seinen Oberschenkel streichelte, hielt Phoenix ihn ganz dicht an sich und öffnete den Mund weit, um die feuchte Zunge nicht an ihrem unzüchtigen Spiel zu hindern. „Das ist nicht das, wonach es aussieht“ sprach Balthasar mit einem eher verwirrten Lachen und kam dazu, auch den Boden vor dem Bett beachten zu müssen. Dort lagen Kleidungsstücke vom Vortag, zerknüllte Tücher und ein eher lieblos auf den Boden geräumtes Kondom, welches eindeutig benutzt worden war. Doch selbst wenn diese Indizien gemeinsam mit den Knutschflecken auf Phoenix Körper ein eindeutiges Bild zeichneten, wehrte sich Balthasar verzweifelt gegen diese Schlussfolgerung. „Doch“ half Tato mit ernster Stimme. „Das ist genau das, wonach es aussieht.“ „Ist es nicht“ stritt er ab und konnte sich nicht einen Zentimeter bewegen. „Erzähl mir nicht, du poppst meinen Bruder. Das ist doch wohl ein Scherz.“ „Nein“ widersprach er und war wenigstens so höflich, sich aufzurichten. „Das ist mein voller Ernst.“ „Ist es nicht“ wiederholte er verzweifelt. „Das ist nicht wahr. Ihr verarscht mich.“ „Nein“ sprach nun auch Phoenix vorsichtig und zog sich die Decke ein wenig höher, um seinen Körper zu bedecken. „Asato und ich wir ... wir gehen miteinander.“ Auch wenn das vielleicht etwas zaghaft ausgedrückt war, so traf es doch den Sinn, der vermittelt werden sollte. Und somit breitete sich eine schwere Stille aus. Balthasar stand nur da, hielt sein ramponiertes Tablett fest und starrte die beiden an, sah von einem zum anderen und verarbeitete diese Information. „Balthasar, hör zu.“ Tato wollte seine Gedanken stoppen, bevor sie vielleicht in eine falsche Richtung gingen. Dafür stand er auf und kam mit beruhigend gehobenen Händen zu ihm herüber. „Du weißt, dass wir das nie ...“ Doch das wollte der nicht hören. Er ließ das Tablett fallen und ging auf diesen Beruhigungsversuch nicht ein, sondern eher auf ihn los. Ehe er noch etwas sprechen konnte, flog seine Faust in Tatos Gesicht, deren Wucht erst seinen Kopf und dann seinen Körper drehte. Balthasar war kein Drache, aber er hatte Kraft. „DU SCHWEIN!“ schrie er und nur ein Schlag war ihm nicht genug. Sofort trat er ihm nach und prügelte mit geballten Fäusten auf ihn ein. „DU SCHWEIN! DU PERVERSES SCHWEIN! WIE KANNST DU NUR? DU SCHWEIN!“ Aus irgendeinem Grunde war er außer sich vor Wut. Wenn das hier kein Scherz war, war es noch weniger lustig, als wäre es einer gewesen. Es machte ihn rasend. „Bitte nicht! Hört doch auf!“ Doch Phoenix konnte da herzlich wenig tun. Während sein Bruder mit aller Wut, und davon hatte er nicht wenig, auf Asato einschlug, tat der nicht mal den Versuch, sich zu wehren. Er ließ sich von ihm mit jedem Schlag und jedem Tritt mehr durch den Raum treiben und lief ebenso wenig fort wie diese Prügel zu verhindern. Als würde ihn irgendetwas lähmen, ließ er sich Mal um Mal treffen bis sein Gesicht blutete. Doch das besänftigte Balthasar nicht mehr. Er konnte nicht aufhören, ihn zu beschimpfen und seine Wut an ihm auszulassen. Selbst als Phoenix versuchte, sich zwischen die beiden zu stellen, wurde er nur ruppig beiseite gestoßen und musste hilflos zusehen, wie sein Liebster die krachenden Schläge kommentarlos über sich ergehen ließ und sein Bruder unter Tränen eine Beschimpfung nach der anderen auf ihn warf. „Bitte hört doch auf!“ Doch er fand kein Gehör. Er war auch zu schwach, als dass es großen Sinn hätte, sich an Balthasar zu heften. Der war höher gewachsen und um einiges kräftiger. Er hatte die Muskeln und die Kraft, einen erwachsenen Mann krankenhausreif zu prügeln und wenn Asato sich nicht endlich wehrte, würde er genau dort auch landen. Doch ein Ende fanden diese Schläge nur durch eine eher versehentliche Trennung. Da Tato sich nicht wehren wollte und sich lieber prügeln ließ als zurückzuschlagen, traf ein weit ausholender Tritt seine Brust und bereitete dem Drachen erst wirkliche Probleme. Er musste aufjaulen und nach Luft japsen. Da konnte man ihn gemein verletzen und das wusste Balthasar auch. Und er nutzte diese Deckungslosigkeit und sein Taumeln, um ihm so kräftig er konnte, nochmal in den Bauch zu treten. Dies verstärkte nur das Taumeln des Riesen, ließ ihn zurückfallen und rückwärts durchs Fenster stürzen. Die Fenstergläser waren so alt wie das Haus selbst und nicht besonders dick. Wie Zuckerglas sprangen sie in tausend kleine Splitter und hielten den schweren Tato nicht ab, aus dem zweiten Stock zu fallen. Da er von dem Schlag gegen seine Brust noch aus dem Gleichgewicht und sein natürlicher Flugreflex ohnehin verkümmert war, konnte er sich nicht abfangen und mit einem dumpfen Knall, begleitet von überraschtem Schreien der unten Anwesenden, traf er auf den Steinboden. „Spinnst du?“ Phoenix hechtete an seinem Bruder vorbei und blickte ängstlich aus dem Fenster. Und Grund zur Sorge hatte er wirklich. Direkt unter dem Fenster lag er, die Glieder von sich gestreckt und aus dem Kopf sprudelte dunkelrotes Blut, welches eine Pfütze bildete, die sich schnell auf dem Stein ausweitete. Von den zusammengestellten Tischen nebenan standen seine Freunde auf, blickten rauf oder kamen sofort zur Hilfe. Sie wollten nur gemütlich vor dem Haus in der Sonne frühstücken und keine abstürzenden Drachen sehen. „ASATO!“ Das sah schrecklich aus wie er dort bewusstlos lag und die Wunde an seinem Kopf gar nicht aufhören wollte, dunkles Blut auszuspucken. „Was macht ihr denn da oben?“ schrie Sareth erschrocken, während sie sich neben Tato kniete und Yugi vorbeiließ, der sofort ins Haus rannte. „Er ... er hat ... das wollte ich nicht ...“ So viel Balthasar eben noch vor Wut kochte, so viel Angst schüttelte ihn nun. Ja, er wollte auf ihn eindreschen, aber er wollte ihn doch nicht umbringen! Dieses Bild war schrecklich und dass die schluchzende Sareth eben von Joey in den Arm genommen und weggedreht wurde, tat sein Übriges. Nur ein Glück, dass Mokuba nicht sonderlich weit fort war und dicht gefolgt von Yugi aus dem Haus herauslief und nicht lange angewiesen werden musste. Dass es hier ein Problem gab, war offensichtlich. „Sag mal, spinnst du?“ Phoenix drehte sich zu seinem paralysierten Zwilling um und fauchte ihn wütend an. „Hast du sie nicht alle? Warum verprügelst du ihn?“ Doch als nach drei Sekunden noch immer keine Antwort kam, rannte er an ihm vorbei aus dem Zimmer. Nur mit der Bettdecke um sich geschlungen sauste er den Flur entlang und ließ Tristan stehen, welcher vom Lärm aufgescheucht aus seinem Zimmer kam. Weiter die Treppe hinab, vorbei an den Frühstücksgästen im Restaurant und hinaus zu dem gestürzten Drachen. Mokuba hatte die gefährliche Wunde bereits weitgehend geschlossen, doch die rote Pfütze auf dem Boden sah gefährlich aus. „Wie geht’s ihm?“ Er wollte sich zu ihm knien, doch Yami nahm ihn in beide Arme und hielt ihn zurück. „Störe Moki nicht. Er kriegt das schon hin.“ „Aber das ganze Blut! Wenn er sich das Genick gebrochen hat oder sein Kopf …!“ „Überlass das Moki. Der hat schon ganz andere Sachen hingekriegt.“ „Aber sein Kopf! Wenn sein Gehirn kaputt ist! Das kann niemand wieder heilen!“ „Phoenix, jetzt setz dich erst mal.“ Der Pharao zwang ihn auf den Boden und so knieten sie gemeinsam zu Tatos Füßen. Mokuba war in seiner eigenen Welt verschwunden und hielt beide Hände fest auf den verletzten Kopf gedrückt. Joey und Marie hatten sich Nini, Tato und Dante geschnappt und schleppten sie ums Haus herum in den Garten. Das hier sollten sie nicht mit ansehen. Nini und Tato weinten bereits kläglich vor Angst und Schrecken. Dante schien kaum etwas mitbekommen zu haben. Mittlerweile war auch Tristan aus dem Haus gekommen, doch er trug Feli ebenfalls gleich wieder fort. Nur Yugi saß noch neben Tato und hatte eine Hand auf seine Brust gepresst. Noah sorgte dafür, dass nicht lauter Schaulustige aus dem Restaurant kamen und schloss mit Hannes gemeinsam die vorderen Türen. Mittlerweile war die Truppe notfallerprobt und schnell fand jeder eine Stelle, an welcher er nützlich sein konnte. Nur Phoenix fühlte sich schrecklich hilflos und hielt sich an Yamis Händen fest. Selbst als Sareth dazukam und sich in seine Arme drückte, machte ihn das nicht sicherer. Was wenn seine frische Liebe nun verantwortlich für den Tod seines Geliebten wäre? Selbst wenn Mokuba die Wunde heilen konnte, war das kein Garant dafür, dass nicht noch Schäden zurückblieben. Das Hirn war bei jedem Menschen zerbrechlich, darin saßen alle Persönlichkeit und alle Körperfunktionen. Wenn Tato nun nicht wieder gesund würde? Was dann? Die Zeit verschwamm, es vergingen Momente, Minuten oder Stunden, kein Gefühl reichte zur Beschreibung. Doch als der Drache endlich ein Lebenszeichen von sich gab, fielen mit seinem seufzenden Stöhnen tonnenweise Steine von allen Herzen. „Vorsichtig. Nicht so schnell“ mahnte Mokuba, doch Tato erhob sich trotzdem ins Sitzen und wurde sofort von Yugi gestützt. Er griff sich an den Hinterkopf und stöhnte erneut, doch wenigstens war er am Leben. „Papa!“ Sareth flog an seine Brust und umarmte ihn, während er nur abwesend den Arm um sie legte und mit der anderen Hand seinen brummenden Schädel hielt. „Ist alles okay?“ wollte Mokuba dringend wissen. „Kannst du uns hören und sehen? Weißt du, wer wir sind? Wie viel ist zwei plus zwei?“ „Onkel Moki“ stöhnte er und rieb sich das blutverklebte Haar. „Mir brummt der Schädel, aber ich bin nicht bekloppt.“ „Halleluja“ seufzte der Heiler und stützte die Hände auf den Boden. Der Drache war noch der Alte. „Was ist denn passiert?“ fragte Tea und brachte ihm ein Glas Wasser, was er jedoch mit einer Handbewegung ebenso ablehnte wie eine Antwort. „Hast du große Kopfschmerzen?“ sorgte sich seine Tochter und berührte vorsichtig seine Schläfen. „Geht schon. Mach dir keine Sorgen, Schatz.“ „Aber das ganze Blut …“ „Dein Vater hat einen Dickschädel“ atmete Mokuba und plumpste auf seinen Hintern. Die Heilung hatte ihn sichtlich erschöpft. „Sah schlimmer aus als es war.“ „Für nicht schlimm bist du aber ziemlich aus der Puste, Onkel Moki.“ „Ich sage doch, dein Vater hat einen Dickschädel. Der lässt sich ebenso schwer brechen wie heilen.“ „Und das Blut ist auch halb so wild“ meinte Tato und besah sich die Pfütze auf den Steinfliesen. „Das sieht mehr aus als es ist. Du weißt doch, dass sich Flüssigkeiten auf ebenen Oberflächen leicht ausbreiten.“ „Ich weiß, aber …“ „Mir geht’s doch gut, Schätzchen. Komm her.“ Er schloss sie in den Arm und drückte die Kleine. Anscheinend hatte sie mehr Angst gehabt als er. Nur Kopfschmerzen hatte er, denn er fasste sich wieder an den Hinterkopf und senkte den Kopf. Schwindelig war ihm auch. Immerhin war er ungebremst aus dem zweiten Stock auf den Rücken geprallt. Ein Wunder, dass er das so wegsteckte. „Was ist denn passiert bei euch da oben?“ wollte Yugi von Phoenix wissen. „Wir hörten nur Geschrei und dann so was.“ „Und wo hast du denn die Knutschflecken her?“ guckte Mokuba ihn zusätzlich an. Phoenix wurde hochrot und zog sich die Bettdeckte höher über die Schultern. Wie peinlich sein Aufzug war, bemerkte er jetzt erst. Sein ‚Coming Out‘ hatte er sich anders vorgestellt. Er hätte es auch irgendwie erklären können, wenn nicht sein Bruder in der Tür erschienen wäre. „Ihr seid solche Arschlöcher.“ Seine grauen Augen funkelten, Tränen standen darin und seine Fäuste waren zornig geballt. „Warum bist du so sauer?“ fragte Phoenix, der das gar nicht zuordnen konnte. Was er und Tato taten, war doch ihre Sache. Balthasar steckte da gar nicht drin. „Ich bin sauer, weil ihr ganz linke Schweine seid“ schimpfte er und so wie er näherkam, einen Schritt vor den nächsten setzte und seine Augen vor Wut leuchteten - er war seinem Vater mehr als ähnlich. „Balthasar“ ächzte Tato und bemühte sich, auf die Beine zu kommen. Hätte Yugi ihn nicht gestützt, wäre er jedoch zusammengeklappt. „Ich weiß nicht, weshalb du so aufbraust, aber ich möchte dir …“ „Nein, gar nichts möchtest du mir!“ Man sah wie sehr er sich zurückhalten musste, um nicht erneut auf ihn einzudreschen. Stattdessen sah er seinen Bruder an und die Enttäuschung stand in seinem Gesicht. „Das ist also der Grund, warum du plötzlich so nett zu mir bist, ja?“ „Was?“ „Weil ER dich drum gebeten hat!“ zeigte er wütend auf Tato. „Ich bin dir doch vollkommen egal. Ich krieche dir in den Arsch und lasse mir alles gefallen und du benutzt mich nur, um Großmut und ne heile Familie zu heucheln!“ „Das ist so ein Unsinn! Wie kommst du jetzt auf so etwas?“ „Wie lange geht das schon so? Wie lange verarscht ihr mich schon?“ „Wir verarschen dich nicht! Wir haben erst …“ „Ach komm, hör doch auf!“ Ein Glück, dass er kein Drache war, sonst würden bei seinem Geschrei noch mehr Gläser zu Bruch gehen. „Ich weiß jetzt, warum du plötzlich einen auf lieben Zwilling machst! Ich dachte, du machst das, weil du mich gern hast! Dabei willst du nur, dass der Alte dich vögelt! Ich bin dir dabei scheiß egal!“ „Das ist doch gar nicht wahr!“ Jetzt erhob sich auch Phoenix, um seinem Bruder entgegen zu treten. „Das hat mir dir gar nichts zu tun.“ „Ach ja, ich vergaß! Ich habe ja schließlich gar nichts mit deinem Leben zu tun! Ich bin ja nur dein doofer Bruder. Dein Pickel am Arsch!“ „Rede nicht so! Du weißt, dass das nicht stimmt!“ „Du bist so ein verlogenes Arschloch“ zischte er und zitterte am ganzen Körper. Er war bis zum Zerbersten mit Wut angefüllt. Er stieß ihn beiseite und ging an ihm vorbei. Doch das eine konnte er sich nicht verkneifen. „Vater hat Recht, ich wäre ohne dich besser dran. Du machst mich nur kaputt.“ „Balthasar!“ Doch es half nichts. Er ging einfach um die Ecke und wollte verschwinden. Phoenix musste ihm nachlaufen, doch wie aus dem Nichts erschien vor ihm ein Schleier aus Nebel, nein Qualm. Es qualmte gräulich weiß und roch verbrannt nach Holz und Kohle. In diesem Qualm schimmerte die Silhoutte einer Frau. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen, doch ihre Konturen und ihr langes, dunkles Haar. Auch Balthasar blieb stehen und befand sich damit direkt rechts von ihr. Sie streckte ihren qualmenden Arm nach ihm aus und senkte demütig das Haupt. „Kommt mit mir, Balthasar.“ Ihre Stimmte klang ebenso rau und stechend wie ihr Qualm die Luft biss. „Euer Vater erwartet Euch mit weiten Armen.“ „Balthasar“ schaltete sich jetzt Narla ein und ging zu ihm, nahm seinen Arm und hoffte, ihn von Fehlern abzuhalten. Fehler, welcher er in seiner Wut zu leicht begehen konnte. „Überlege dir das gut. Lass dich nicht von deiner Wut blenden.“ „Ihr könnt euch alle gehackt legen! ALLE!“ Er schüttelte sie ab, ging auch an der Rauchgestalt vorbei und stieg in die Straßenbahn, welche gerade hielt. „FAHR LOS, MANN! WAS GLOTZT DU SO?!“ Auch der Bahnführer blieb vor ihm nicht verschont, doch da die rauchige Gestalt in diesem Augenblick von Tato und einem Luftstoß vertrieben wurde, fehlte ihm der Grund, den Fahrplan noch weiter zu verzögern. „Immer mit der Ruhe, junger Mann.“ Er tat es wahrscheinlich als eine Sinnestäuschung ab, schloss die Türen und nahm den keifenden Herren kommentarlos mit. Das ging nun alles sehr schnell. Innerhalb von Minuten war ein ganz neues Problem aufgetreten. Dass Balthasar so ausflippen konnte, wo er doch eigentlich ein besonnener und frohmütiger Mensch war … aber er war anscheinend doch der Sohn seines Vaters und ebenso unberechenbar. „Okay, ich war ja jetzt ne Weile nicht hier“ durchbrach Yami dieses drückende Schweigen, „aber kann mich mal bitte jemand aufklären?“ „Geht nicht. Das ist neu“ antwortete Yugi ebenso verwundert. „Tato, was ist denn passiert da oben?“ „Phoenix und ich haben miteinander geschlafen“ eröffnete er und hielt sich den schmerzenden Kopf. „Und als er dahintergekommen ist, ist er ohne Vorwarnung wütend geworden. Ich dachte nicht, dass er damit ein Problem hätte. Jedenfalls nicht auf diese Weise.“ „Du hast mit Phoenix geschlafen?“ wiederholte Yami mit großen Augen. „Na, dann mal herzlichen Glückwunsch. Oder nicht?“ „Ja, danke“ murmelte er und drehte den Blick nach links. Dort war in diesem Moment Dakar neben ihn getreten und legte die Hand auf seine Stirn, um den Schmerz zu lindern. „Balthasar regt sich schon wieder ab“ meinte Narla und verschränkte seufzend die Arme. „Er ist nicht wie Seth. Er rennt nicht kopflos ins nächstbeste Verderben.“ „Aber er hat Tato aus dem Fenster gestoßen“ argumentierte Mokuba. „Das war ein Versehen. Er hat mich nur dumm erwischt“ erwiderte der und hielt Dakars wohltuende Hand fest auf die Augen gepresst. „Warum hast du dich nicht gewehrt?“ fragte Phoenix und hielt die Daunendecke eng um seinen nackten Körper geschlungen. „Du bist doch viel kräftiger als er. Du hättest ihn problemlos wegpusten oder k.o. schlagen können. Balthasar ist doch kein Gegner für dich.“ „Du sagst es, er ist kein Gegner für mich. Ich kann doch niemanden schlagen, den ich liebe.“ Er nahm Dakars Hand herunter und rieb sich die Augen. „Da lässt du dich lieber von ihm verprügeln? Du lässt dich auf die Brust schlagen?“ „Ich kann Balthasar nicht schlagen. Er ist wie ein Sohn für mich“ seufzte er und schloss den offenen Knopf seiner schwarzen Jeans. „Und wenn er mich totschlagen würde, ich würde niemals die Hand gegen ihn erheben. Ich würde niemals eines meiner Kinder schlagen.“ „Hey, kommt schon.“ Yami klatschte in die Hände und nahm Sareth in den Arm. „Nun blast kein Trübsal. Balthasar frustet sich jetzt erst mal ab und wir wollen erst mal frühstücken. Und dann will ich den neuesten Klatsch hören. Ich kriege hier ja wohl gar nichts mehr mit. Nicht mal dass Tato Sex hat.“ „Liegt daran, dass du nie hier bist“ neckte Narla grinsend. „Also geht’s deinem Liebesleben gut?“ „Na ja, war schon mal besser“ seufzte er gespielt schwer. „Ich muss Finni noch ein bisschen auf mich einstellen, aber da ist Potenz und Wille vorhanden. Wenn er noch ein bisschen härter zulangt, fällt’s mir auch nicht schwer, ihm treu zu sein.“ „Du hast ihm echt die Treue versprochen?“ „Ja, da habe ich mich um Kopf und Kragen geredet“ lachte er und kratzte sich am Kopf. „Aber das ist eben am Puls der Zeit. Monogamie ist in.“ „Und was wird aus deiner Bonuskarte vom Swingerclub?“ „Kann ich dir schenken“ grinste er sie frech an. „Fehlen nur noch neun Stempel, dann hast du einen Besuch frei.“ „Och du“ sang sie und drehte verlegen den Fuß. „Ich weiß ja nicht, was mein Joey dazu sagt.“ „Den kannst du mitnehmen. Ist auch was für Paare. Vielleicht gibt’s dann ja zwei Stempel pro Besuch. Ich habe jetzt Ersatzbefriedigung.“ Er holte sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche und zeigte stolz, was er hatte. „Ich habe jetzt eine Bonuskarte von der Drogerie, eine vom Supermarkt, eine Miles and More Karte, Punktesammeln beim Baumarkt, eine Payback Karte für Einkaufszentren, eine vom Sushiladen, eine von Finns Telefonanbieter, eine vom Zooladen, eine von der Stadtbank und eine vom Buchladen. Du glaubst gar nicht, was für tolle Sachen man da für umsonst bekommen kann, wenn man nur Punkte sammelt.“ „Oder Meilen“ meinte Yugi spöttisch. „Genau. Oder Meilen!“ „Yami, du hast sie doch nicht alle.“ „Oh doch“ zeigte er fröhlich. „Ich habe sie alle! Der Mensch ist ein Jäger und Sammler. Ich sammele. I’m gonna catch’em all und werde Bonuskartenmeister!“ Er war jetzt ein engagierter Bonusprogrammteilnehmer. Früher sammelten die Sammler Beeren und Kräuter und Pokemon. Heute sammelten sie Punkte und Stempel. „So was Tolles gab es in Ägypten damals nicht. Punktesammeln ist einfacher als feilschen.“ „Komm, Kleiner.“ Tato war fitt und betäubt genug um gerade gehen zu können. Er legte seinen Arm um Phoenix und zog ihn mit nach oben. „Wir gehen duschen.“ „Ähm …“ Er lief zwar rot an, aber folgte ihm dann besser. Hier draußen nackt stehenzubleiben, war keine gute Option. „Danke, Yami“ seufzte Narla und hakte ihn liebevoll ein. „Du hast die Situation mal wieder entschärft.“ „Höh?“ Echt? „Wieso entschärft?“ „Na, wegen der trübseligen Stimmung. Wegen Balthasar. Und damit es für Spatz nicht so peinlich ist.“ „Ach so. Ich dachte, das wäre schon abgehakt und wir reden beim Frühstück weiter.“ Da blieb nur noch, die Hand an den Kopf zu schlagen. „Ach Yami!“ Die gemeinsame Dusche an einem sonnigen Morgen hätte eigentlich etwas schönes sein sollen, sein können. Doch selbst wenn Tato sich vornahm, später noch einmal ruhig mit Balthasar zu sprechen oder es wenigstens zu versuchen, so hatte er da noch bei jemand anderem Klärungsbedarf. Denn als er mit Handtuch um die Hüften und Phoenix im Schlepptau aus dem Badezimmer kam, saß seine Tochter auf dem Bett und erwartete ihn bereits. Und ganz typisch für sie, hatte sie in der Zwischenzeit das Bett gemacht und sogar neue Laken aufgezogen. Sie war da wesentlich ordentlicher als ihr Vater. „Hey Kleines“ grüßte er und ging direkt an den Kleiderschrank. „Hey Papa“ grüßte sie zurück und traf Phoenix‘ Blick. Der drängelte sich schnell an Tato vorbei, fischte sich wahllos einige Klamotten heraus und duckte sich weg. „Ich gehe mich drüben anziehen, okay?“ „Meinetwegen musst du nicht gehen“ fuhr sie mit ruhiger Stimme dazwischen. „Nein, kein Problem. Ich … wir sehen uns unten.“ Und schon war er weg, raus zur Tür und die auch hinter sich zugemacht. „Hat er ein schlechtes Gewissen?“ fragte sie dafür ihren Vater. „Dir gegenüber? Kann sein.“ „Und du?“ „Ob ich ein schlechtes Gewissen dir gegenüber habe?“ Er nahm sich eine leichte, schwarze Stoffhose aus dem Schrank und blickte seine Tochter ruhig an. „Was meinst du? Sollte ich?“ „Warum nicht? Wäre doch naheliegend. Immerhin hast du mit Spatz … na ja. Seid ihr jetzt richtig zusammen? Du und er?“ „Kann ich mich erst anziehen?“ „Ich habe dir Kaffee mitgebracht.“ „Du hast noch einiges anderes gemacht.“ Er ging zu ihr, nahm den Kaffee von der Kommode und bemerkte, dass sie auch den Dreck weggemacht hatte, den Balthasar mit seinem Frühstückstablett hinterlassen hatte. „Schatz, das ist wirklich lieb von dir. Aber ich habe vor allem ein schlechtes Gewissen, wenn du immer hinter mir herräumst.“ „Du bist aber so unordentlich, Papa.“ „Nein, ich räume nur nicht so zeitig auf wie du. Ich liebe dich, aber bitte bezieh nicht meine vollgesauten Laken und meine dreckigen Kondome lass auch liegen.“ „Du kannst ja im Dreck untergehen, wenn wir wieder getrennte Zimmer haben, aber solange ich hier mit wohne … oder soll ich lieber in Sethans Zimmer ziehen?“ Und das klang nicht mal wie ein Vorwurf. Wenn die beiden jetzt öfter piep machen wollten, dann störte sie da nur. „Ach, Schatz.“ Wurde wohl doch nichts mit dem erst Anziehen. Also nahm er nur seinen Becher und setzte sich im Handtuch zu ihr aufs Bett. Er legte den Arm um sie und küsste ihre Stirn. „Meine Süße, du weißt doch, dass du mir das Wichtigste bist. Ich will nichts tun, was dich verletzt.“ „Ich weiß.“ Sie lehnte sich an ihn und seufzte tief. „Bist du jetzt mit Phoenix zusammen? Ich meine, seid ihr jetzt ein Liebespaar?“ „Du weißt, dass ich Mama niemals ersetzen würde. Das kann ich gar nicht. Du weißt, dass ich sie über alles liebe. Deswegen fällt mir das alles nicht leicht. Besonders schwer fällt es mir, dir das zu erklären.“ „Du brauchst ja gar nicht viel erklären. Wenn du sagst, dass du in Spatz verliebt bist und er in dich, dann weiß ich schon, was Sache ist. Und es ist ja nicht so als ob mir das neu wäre.“ „Ähm …“ Wie jetzt? Das war ihr nicht neu? „Warum sagst du das?“ „Ach, Papa“ lächelte sie versteckt. „Dass da was zwischen euch war, das hat doch jeder gesehen. Also, ich zumindest. Aber ich habe nichts gesagt.“ „Du hast das gewusst?“ „Nein, gewusst nicht. Aber ich hab’s geahnt. So wie du ihn anguckst und er dich, das ist schon auffällig, wenn man euch kennt. Aber so richtig auffällig war eigentlich nur, dass ihr euch aus dem Weg gegangen seid.“ „Schatz, ich …“ Er seufzte und fuhr sich durch das feuchte Haar, überlegte doch ihm fielen keine Worte zu. „Schätzchen, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich möchte nur wissen … bist du irgendwie böse auf mich?“ „Nein, nicht böse“ antwortete sie und legte beide Arme um seine warme Brust. „Aber komisch ist der Gedanke schon. Ich meine, Spatz und Balthasar sind wie Brüder für mich. Der Gedanke, dass sich mein Vater mit meinem Bruder liieren möchte, ist eigenartig. Verstehst du das?“ „Natürlich verstehe ich das. Aber ich habe lange darüber nachgedacht und mir das bestimmt nicht leicht gemacht. Das musst du mir glauben.“ „Ich finde es gut, wenn du jemanden findest, den du liebst. Und wenn Spatz das ist, dann ist das auch gut. Dann bleibt’s wenigstens in der Familie.“ „Eben genau da ist ja das Problem. Ich bin viel älter als er, wie sein Vater. Wenn du dich meinetwegen schämst … ich will dir keinen Kummer machen.“ „Kummer habe ich nur, wenn du traurig bist. Wenn Spatz ein Grund dafür ist, dass du wieder lachen kannst, dann ist das gut.“ „Sareth.“ Er sprach ihren Namen leise, vertraulich. Und es lag so viel Liebe darin, wie er ihn von den Lippen hauchte. „Wenn du nicht damit einverstanden bist, dass Phoenix und ich … na ja, ein Paar sind, dann musst du es mir sagen. Du bist die Einzige, auf die ich Rücksicht nehmen muss … nehmen will. Wenn du sagst, dass du das ablehnst, dann …“ „Was dann? Würdest du dich gleich wieder entlieben?“ „Nein, das nicht gerade.“ Er küsste sie ins Haar und drückte sie noch mal, hoffte auf ihren Segen. „Eigentlich wollte ich dir die ganze Sache schonender beibringen, es dir erklären und dich … dass du es so erfahren hast, tut mir leid. Wenn du jetzt partout dagegen bist, stellt mich das vor ein großes Problem. Weißt du, ich möchte gern mit ihm zusammensein. Mit allem Drum und Dran. Aber du bist mir wichtig, sehr wichtig. Ich würde alles für dich tun. Das weißt du doch?“ „Ja, das weiß ich. Du brauchst mir auch nichts erklären, Papa.“ Sie nahm seine Hand und hielt sie an ihre Wange. „Ich liebe dich auch über alles. Dich und Spatz zu sehen, wird komisch sein, aber wenn dich das glücklich macht, dann bin ich auch glücklich. Ich finde, du hast lange genug um Mama und Dashi geweint. Fast zehn Jahre lang. Ich finde, es ist Zeit, dass wir beide wieder glücklich sind. Dasselbe würde Mama bestimmt auch sagen.“ „Glaubst du?“ „Ganz bestimmt. Außerdem ist Spatz richtig lieb und wir verstehen uns super gut. Wir sind fast immer derselben Meinung. Und so muss er sich eben um dich kümmern und ich suche mir ein anderes Betätigungsfeld.“ „Um mich kümmern? Schatz, ich bin erwachsen und kann für mich selbst sorgen.“ „Ach ja?“ Sie sah ihn sehr skeptisch an und allein das sagte alles. Ihr Papa hatte es nicht so mit der Ordnung und überhaupt war Haushalt nicht so seine Sache. Aber wehe, es war dreckig oder unordentlich, das mochte er gar nicht. Er brauchte jemanden, der hinter ihm herräumte und aufpasste, dass er keine Dummheiten machte. Und das sollte doch jetzt gern Phoenix übernehmen. „Lass den Blick, Schnecke.“ Er wischte ihr mit der Hand über die Augen und stand entschlossen auf. „Also habe ich deine Erlaubnis, das mit Phoenix zu vertiefen?“ „Nur wenn du mir versprichst, dass du dann weiter so gut drauf bist. Wenn du gute Laune hast, bist du erträglicher, Papa.“ „Du bist ganz schön frech geworden“ stellte er fest und zog seine Augenbraue hoch, ein eindeutiges Zeichen, dass er das nur halb ernst meinte. „Was ist eigentlich aus diesem Jungen von neulich geworden?“ „Warum? Was soll mit dem sein?“ Das war ebenfalls etwas, was sie ihm gern schonend beibringen wollte. „Na ja, der hat dich angeguckt und … ich weiß ja nicht. Ich glaube, der macht sich Hoffnungen, dass er bei dir landen kann.“ „Und wenn er das könnte?“ „Wenn der meint, bei dir zu landen, dann fliegt er im hohen Bogen einmal um den Globus. Dafür sorge ich persönlich. Du bist noch viel zu jung für einen festen Freund. Und dann erstrecht für so einen verlotterten Kerl.“ „Du siehst das ziemlich oberflächlich, oder?“ „Sach ma! Kommst du schon in die Pubertät?“ schimpfte er spaßhaft, doch ein kleines bisschen Ernst konnte er nicht verbergen. „Du bist ziemlich aufsässig in letzter Zeit.“ „Rede du nicht über meine Pubertät, bevor du nicht deinen zweiten Frühling überwunden hast.“ „EY!“ Ein Windstoß pustete sie um, sodass sie ein Stück übers Bett rollte. Aber sie lachte nur darüber und wusste, dass er das lieb meinte und sie gleichzeitig auf die freundliche Art warnte. Er verstand Spaß, aber übertreiben sollte auch sie es nicht. Drachen regelten so etwas über scheinbar liebevolle Rangeleien. Das wusste sie und es fiel ihr leicht, die Geste zu verstehen. Wenigstens nahm er sie ernst. „Papa?“ Sie lächelte ihn vom Bett aus liegend an und legte ein kleines Leuchten in ihre blauen Augen. „Hinten auf dem Tisch habe ich dir Zigaretten hingelegt.“ „BOAH! Du bist so ein Schatz!“ Er stürzte sich gleich darauf und ehe sie noch ganz vom Bett aufgestanden war, atmete er schon den ersten Qualm aus. Das war genau das, was er gebraucht hatte. „Denk dran, dass du eigentlich aufhören wolltest.“ „Ich rauche schon weniger und irgendwann gar nicht mehr. Aber so schnell … warte mal! Ich muss mich gar nicht vor dir rechtfertigen, junge Dame.“ „Dann zieh dich endlich an und komm zum Frühstück“ lachte sie und tänzelte an ihm vorbei. „Du bist mal wieder der Letzte, der fertig wird.“ „Sag mal, wie redest du denn mit mir?“ „Jetzt gar nicht mehr. Ich muss noch mal nach Nika sehen, die hat Erkältung.“ „HEY! TOCHTER!“ Die Antwort darauf war eine zugehende Tür und ihr fröhliches Getrappel ein paar Zimmer weiter. „Meine Güte, ich glaube, ich büße meine Autorität ein.“ Er zog noch einen wohltuend tiefen Nikotinzug in seine Lungen und hörte Laertes auf dem Fenstersims einen gackernden Ton machen. „Bist du jetzt auch gegen mich?“ „Gacka gacka gacka!“ „Ich dachte, du wärst mein Kumpel!“ „KRAAAAA!“ „Oh Mann …“ Kapitel 3: Chapter 11 - 15 -------------------------- Chapter 11 „Hey Tris!“ Marie erwischte ihren Bruder gerade noch, bevor er die Treppe hinauf verschwand. Er drehte sich zu ihr herum und wartete geduldig bis sie ihren Kugelbauch zum Treppenfuß geschoben hatte. „Was denn? Ich gehe nur kurz Nika was zu Essen bringen. Sie hat seit heute Morgen nichts zu sich genommen.“ „Geht’s ihr besser?“ „Nein, eher schlechter“ erzählte er besorgt. „Ich war vor zwei Stunden oben, aber da hat sie geschlafen. Und ihr Fieber war auch raufgegangen.“ „Schade, dass Mokuba keine Sommergrippe heilen kann.“ „Tja, irgendwann erwischt es uns alle mal und wenn’s gar nicht besser wird, fahre ich sie nachher zum Arzt. Wolltest du was bestimmtes?“ „Ja, Balthasar hat angerufen“ zeigte sie ihr Handy, welches sie noch in der Hand trug. „Er sagte, er bleibt heute Nacht bei Sethan und Amun im Aquarium. Du wolltest doch eigentlich gleich noch mal hinfahren, kannst du ihm ein paar Sachen mitnehmen?“ „Ich gucke erst mal wie’s Nika geht und entscheide dann. Sonst frag Yugi, der wollte auch mit. Und wie geht’s dir? Was sagt der Arzt zu deiner Kotzeritis??“ „Mir ist immer noch schlecht.“ Sie hielt ihren Bauch und hatte sich heute schon drei Mal übergeben. „Der Arzt sagte aber, dass mit den Babys alles in Ordnung ist und ich nicht ansteckend bin. Ich reagiere wohl nur etwas empfindlich auf den Stress der letzten Tage. Und dass Balthasar mir mit Vorliebe in den Magen tritt, tut sein übriges.“ „Dass Spatz jetzt plötzlich mit Tato zusammen ist, ist aber auch ein Schock.“ „Das schockt mich weniger als dass Balthasar so ungehalten reagiert.“ „Also, mich hat ersteres mehr überrascht.“ „Typisch Mann“ schmunzelte sie zu ihm rauf. „Das hat doch jeder gesehen, dass da was im Busch war.“ „Also ich nicht.“ „Sag ich doch, typisch Mann.“ „Sag nicht, du hast damit gerechnet.“ „Nein, ganz sicher war ich auch nicht.“ Sie stützte sich auf das Geländer, lange stehen fiel ihr heute schwer. „Nur dass die beiden sich zueinander hingezogen fühlen, hat man gesehen. Nicht direkt, aber ich beobachte ja meine Söhne und so wie Spatz um den heißen Brei geredet hat, von wegen … nein, das ist doch jetzt zu vertraulich.“ „Also hast du’s auch nicht gesehen, sondern Spatz hat sich bei dir ausgequatscht.“ „Ohne Namen, aber so ungefähr. Ja. Aber Yugi und Nika haben’s gewusst.“ „Nika hat’s gewusst und mir nichts gesteckt?“ Welch Beleidigung. „Die kriegt was zu hören, wennse wieder gesund ist.“ „Sei nicht böse. Wir Frauen haben eben auch so unsere Geheimnisse.“ „Lass das mal nicht Frau Yugi hören. Und was hast du da vor?“ Er beobachtete wie sie sich am Geländer hochzog und ihre von der Wärme geschwollenen Füße jede Stufe erkämpften. „Soll ich dir rauf helfen, Mie?“ „Danke, das kriege ich noch selbst hin. Frag mich in zwei bis drei Wochen noch mal.“ Sie musste lachen über ihre Schwerfälligkeit, aber Zwillinge waren eben doppelt anstrengend. Besonders im heißen Hochsommer. „Geh schon rauf, das dauert jetzt ein bisschen bei mir.“ „Aber wenn du Hilfe brauchst, schreist du. Dann schiebe ich dich. Kühe treiben habe ich in der Pampa gelernt.“ „Verschwinde, Tris.“ „Na gut.“ Also ließ er sie die Treppe allein bewältigen und war selbst ganz geschwind oben. Seine Räume waren weiter hinten die vorletzte Tür links. Für den Fall, dass die Kranke schlief, drückte er ganz leise die Klinke hinunter und schob ebenso geräuschlos die Tür auf. „Nikaschatz“ hauchte er hinein. „Bist du wach?“ Doch anstatt einem fiebrigen Haufen Elend sah er einen Schatten aus dem Augenwinkel verschwinden, hörte schnelle Schritte und dann das Zuschlagen der Badezimmertür. „Nika?“ Herrje, hoffentlich war das bei seiner großen Schwester wirklich nur Schwangerschaftsstress und nicht doch die Magen-Darm-Seuche. „Nika? Schatz, ich bin da, okay?“ Er schloss die Tür hinter sich und fand alles unverändert. Gegessen hatte sie von ihrem Marmeladenbrot kaum etwas und der Orangensaft war auch noch fast voll. Anscheinend keinen Appetit gehabt. Trotzdem stellte er sein Tablett mit der Hühnersuppe auf den Tisch und schenkte ihr ein Glas Selter ein. Irgendetwas musste sie doch mal trinken bei diesen Temperaturen. „Schatz, alles okay?“ Er klopfte an die Badezimmertür, doch wenn ihr schlecht wäre, müsste er doch wenigstens ein Würgen hören. Stattdessen war es totenstill. Das war viel besorgnisvoller. „Nika, lebst du noch?“ Doch wieder war nichts zu hören. Alles still. „Liebes, ich komme rein, ja?“ Er hatte die Tür gerade einen Spalt geöffnet als sie ihm vor der Nase zugeschlagen wurde. Er erschreckte sich und taumelte einen Meter zurück. Was bitte war da drin los? „Nika, geht’s dir gut? Ist alles okay bei dir?“ „Tristan …“ Ihre Stimme klang rau und dunkel, sie zitterte und war mit Tränen gefüllt. „Meine Güte, du bist ja ganz heiser.“ Er stellte sich wieder an die Tür, doch als er die Klinke herunter und die Tür aufdrückte, traf er auf Widerstand. „Warum hältst du die Tür zu? Lass mich doch rein.“ „Nein … jetzt nicht. Ich … ich habe Probleme.“ Ihre Stimme klang schrecklich, als hätte sie drei Tage durchgesungen und gleichzeitig eine Mandelentzündung. „Komm schon, gibt nichts, was ich nicht schon gesehen habe. Sag mir, was los ist und wir gucken, wie wir dir helfen.“ Vielleicht hatte sie schlimmes Fieber und fantasierte. Es sah ihr doch sonst nicht ähnlich, dass sie ihn aussperrte. „Nein, du gehst besser“ kam die entzündete Stimme durch die Tür. „Geh weg. Glaub mir.“ „Ich gehe doch nicht weg, wenn du Probleme hast. Sag mir was los ist und ich fahre in die Apotheke.“ „Nein … da gibt’s kein Medikament. Tristan, geh einfach.“ „Nika, lass mich jetzt rein oder ich breche dir Tür auf und zerre dich raus.“ Aber seine Drohung kam nur aus Sorge. So ein Verhalten war total untypisch für sie. Sonst vertraute sie ihm doch auch alles an. „Komm schon.“ „Liebst du mich?“ Ihre kranke Stimme ging in Tränen unter, sie klang furchtbar. „Natürlich liebe ich dich. Da ändert auch keine Grippe was dran.“ „Du … du verlässt mich nicht. Nicht wahr?“ „Fang doch jetzt nicht so einen Quatsch an. Und hör auf zu weinen. Komm raus da.“ Er ließ die Klinke los und trat etwas zurück. „Schatz, ich mache mir Sorgen um dich. Komm bitte raus oder lass mich wenigstens rein.“ Es dauerte einige Sekunden, doch dann senkte sich die Türklinke und die Tür ging einige Zentimeter auf. Ganz langsam öffnete sie sich weiter und weiter und … was da heraustrat, traf ihn wie ein Blitzschlag. Dieses Gesicht hatte er seit Jahren nicht mehr gesehen. Nur auf Fotos, welche viele Jahre in der Vergangenheit lagen. Nika hatte … sie hatte sich verändert und eigentlich waren nur ihre tränenroten, bunten Augen dieselben. Doch alles andere … „Was ist passiert?“ Vor ihm stand nicht Nika, da stand Nikolas. So wie sie vor vielen Jahren gewesen war. Sie hatte breite Schultern, eine markante Nase und einen muskulösen, männlichen Körper. Nur in Tristans Bademantel gehüllt, welcher ihr auch noch zu klein war, stand sie vor ihm und sah verzweifelt herüber. Deshalb klang ihre Stimme so anders. Sie war nicht heiser, sie war … sie hatte sich zurückverwandelt. „Schatz, was ist mit dir passiert?“ „Ich weiß es nicht“ keuchte sie und hielt sich die Hand vor den Mund. Sie schluchzte tief und bebte am ganzen Körper. „Ich weiß nicht, was passiert ist. Bitte verlass mich nicht.“ „Sag so was nicht. Hey, ist doch halb so wild.“ Auch wenn er überhaupt keine Ahnung hatte, was hier geschah, musste er sie erst mal in den Arm nehmen. Sie drückte sich sofort an ihn und brach in Tränen aus. Ihre Knie gaben nach und sie war zu schwer als dass er sie so einfach halten konnte. Also bugsierte er sie so gut es ging zum Bett, wo sie sich vorerst setzen und ausweinen konnte. Das musste für sie ein größerer Schock sein als für Tristan. Vor zwei Stunden noch hatte sie im Bett gelegen und sah ganz normal aus. Also, sie hatte etwas Fieber und fühlte sich unwohl, aber so etwas - das war ganz sicher keine Erkältung. „Hey, beruhige dich.“ Er nahm ihr langes, lockiges Haar zusammen und hielt ihren Kopf an seiner Schulter. Er spürte die Tränen, welche sein Shirt durchdrangen und ihren heißen Atem, den sie stoßweise ausweinte. Selbst die Bartstoppeln, die schon wieder zu wachsen begannen. „Ist doch gut, wir kriegen das hin. Beruhige dich.“ „Ich weiß nicht, was passiert ist“ weinte sie und krallte sich an ihm fest. „Ich bin aufgewacht und alles war so … so wie es ist. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich wollte das nicht.“ „Das glaube ich dir. Hast du denn jemanden gesehen? War jemand hier?“ „Nein“ schluchzte sie völlig verzweifelt. „Hast du denn irgendwas geträumt oder etwas merkwürdiges gegessen?“ „Nein, alles war normal. Ich … ich weiß nicht, was passiert ist. Ich habe Angst, Tristan. Ich habe solche Angst.“ „Ist denn sonst alles okay mit dir?“ Er drückte sie etwas weg und blickte ihr tief in die Augen. Es war merkwürdig, dieses Gesicht wiederzusehen. Sie sah Enrico verblüffend ähnlich, fast noch etwas herber. Irgendwie ungerecht, dass sie fast männlicher aussah als ihr eigener Bruder und Tristan befiel ein schlechtes Gewissen, dass er in so einem Moment auch noch an so etwas denken konnte anstatt nur an ihre Tränen. „Schatz, ist sonst alles okay?“ fragte er erneut. „Bekommst du ausreichend Luft, kannst du gut sehen? Funktioniert alles oder fühlst du dich krank? Hast du Schmerzen?“ „Meinem Körper geht’s gut“ atmete sie. Sie war verzweifelt und hatte Angst, doch seine ruhige Art machte auch sie etwas ruhiger. „Mir ist schwindelig.“ „Das kann auch der Schock sein, aber gut. Willst du dich hinlegen?“ „Nein, ich … ich will wissen, was los ist. Ich weiß nicht, was passiert ist.“ „Hauptsache, dass alles sonst okay ist. Du fühlst dich nicht krank oder behindert?“ „Ich … ich … fühle mich so eklig …“ „Okay, falsche Frage. Komm her.“ Er umarmte sie und küsste ihre Stirn. Er streichelte ihre Wangen, auch wenn er darauf einen leichten Stoppelbart fühlte. Verdammt, das war so ungewohnt. Und wie mochte sie sich erst fühlen? „Okay, wir beruhigen uns jetzt und denken besonnen nach. Gut?“ „Ich kann nicht denken. Ich … ich habe … Tristan.“ Sie senkte ihre dunkle Stimme und duckte den Kopf schuldbewusst. „Es ist alles so wie damals. Alles. Ich meine … alles … auch da unten. Es ist schrecklich.“ „Wichtig ist nur, dass du lebst und dir nichts Schlimmeres passiert ist.“ „Schlimmeres?! Nichts Schlimmeres?! Was kann denn noch schlimmer sein?!“ Sie stieß ihn weg und griff an den Kragen des Bademantels, zog und zerrte daran. „Ich fühle mich schrecklich! So eklig! Ich will lieber tot sein als so! ICH HASSE NIKOLAS! ICH WILL DAS ALLES NICHT NOCH MAL DURCHMACHEN! HÖRST DU?! ES GIBT NICHTS SCHLIMMERES ALS DAS HIER!!! LIEBER WÄRE ICH TOT!!!“ „Das darfst du nicht sagen. Hey, hör auf damit.“ Er nahm vorsichtig ihre Hände, hielt sie fest und lächelte sie an. „Lass das, du machst meinen Bademantel kaputt.“ „Tristan …“ Sie schluckte und begann erneut zu weinen. Sie in Nikolas zurück zu verwandeln war fast das Schlimmste, was man ihr antun konnte. Es gehörte auf jeden Fall in die Top Drei der Katastrophen. „Wir kriegen das wieder hin. Das muss durch Zauberei gekommen sein. Anders geht so etwas nicht. Und wenn das durch Zauberei so gekommen ist, dann kann man es mit Zauberei auch wieder rückgängig machen.“ „Aber es wurde doch schon rückgängig gemacht“ schluchzte sie und fuhr sich zittrig über die Augen. „Und wenn es nicht wieder weggeht? Was dann? Wirst du mich dann verlassen?“ „Unsinn, ich werde dich niemals verlassen. An so etwas darfst du nicht mal denken.“ „Aber ich will das alles nicht nochmal durchmachen.“ Sie griff an sein Shirt und flehte ihn an. „Die ganzen Operationen, die Medikamente, die Schmerzen und die Blicke der Leute. Ich will das nicht noch mal durchstehen. Ich will das nicht noch mal durchmachen. Ich kann diese Blicke nicht noch mal ertragen!“ „Daran denken wir jetzt erst mal gar nicht, ja? Wir denken erst mal daran, was wir jetzt machen und daran, dass mit dir alles in Ordnung ist. Deine Gesundheit ist vorerst wichtiger als alles andere. Und alles andere kommt später.“ „Du verlässt mich nicht, Tristan. Das tust du nicht. Nicht wahr? Du liebst mich.“ „Natürlich liebe dich. Daran darfst du nicht zweifeln. Ich liebe dich über alles.“ Er schlang seine Arme um sie und drückte ihren festen, kantigen Körper an sich. Sie stand unter Schock und redete wirres Zeug. Kein Wunder, so etwas würde jeden schockieren. Auch Tristan war schockiert, doch wichtiger war, dass sie lebte und nichts Schlimmeres passierte. Alles andere war zweitrangig. „Okay, hör zu.“ „Du liebst mich“ stammelte sie und konnte ihn nicht loslassen. „Natürlich liebe dich dich, aber du hörst mir jetzt mal zu. Okay? Nika, hörst du mir zu?“ Sie nickte und blickte ihn ängstlich an. „Gut. Also.“ Er atmete durch und musste einen Plan machen, wie es nun weiterging. Wenn er nun auch in Panik geriet, würde ihr das nicht helfen. „Ich werde jetzt mal schauen, ob ich Mokuba finde, damit er dich durchcheckt. Und dann suche ich einen Magier und einen von den Pharaonen. Wir kriegen schon raus, was mit dir nicht stimmt. Und du trinkst in der Zwischenzeit deinen Saft aus, okay?“ „Aber ich will keinen Saft. Ich will diesen Körper nicht auch noch füttern.“ „Du musst jetzt erst mal etwas trinken. Das ist wichtig, okay?“ Trinken war natürlich eher unwichtig, aber sie musste sich mit irgendetwas beschäftigen, während er kurz weg war. Also griff er die kleine Flasche und drückte sie ihr in die Hand. Nur um dabei festzustellen, dass ihre Hände breiter waren als seine. „Hier nimm. Und das trinkst du jetzt in kleinen Schlücken aus.“ „Ich will aber nichts trinken. Ich muss irgendwas tun.“ „Du trinkst das jetzt.“ Er klang absichtlich ernst und entschlossen. Sie war ja kaum noch zurechnungsfähig. „Ich gehe Hilfe suchen und wenn ich wiederkomme, sitzt du immer noch hier und hast die Flasche leer. Verstanden?“ „Gut“ nickte sie und trank einen kleinen Schluck. Auch wenn es sie sichtlich anwiderte, diesem Körper Nahrung zuzuführen. „Okay, ich bin gleich wieder da. Warte hier und bleib einfach sitzen. Du bleibst hier sitzen bis ich wiederkomme. Ich bin gleich wieder bei dir.“ „Du kommst auch sicher zu mir zurück?“ „Zähl langsam bis 100. Aber wirklich langsam, okay?“ Er wusste, dass er allein hier nichts wurde. Von Magie und Flüchen und sonstigem Krams hatte er kaum Ahnung. Hier brauchte es Fachleute. Als er mit Begleitung ins Zimmer zurückkehrte, war sie mit leisem zählen bei 89 angekommen und schluchzte erleichtert, sobald sie ihn erblickte. „Tristan!“ „Schon gut. Du musst nicht weinen.“ Er nahm sie in den Arm und sah die anderen an. Er hatte unten Yami und Yugi eingefangen und Mokuba auch. Tato und Dakar waren über die Straße, um Zigaretten zu holen, doch die beiden wurden gerade von Narla alarmiert und kamen hoffentlich gleich dazu. „Das ist echt krass“ urteilte Mokuba über das, was er da sah. Trotzdem kam er näher und legte vorsichtig seine Hand auf Nikas breite Schulter. Er blickte in ihre verweinten Augen, doch … „Spontan kann ich bei dir nichts spüren. Kannst du Tristan mal loslassen?“ „Lass Moki mal machen“ bekräftigte der und rückte von ihr fort. Mokuba kniete sich vor ihr nieder, nahm ihre Handgelenke und blickte zu ihr auf. Doch seine schwarzen Augen blickten eher durch sie hindurch. Er versuchte irgendetwas in ihr aufzuspüren. Irgendetwas, was auf eine Krankheit oder eine Verletzung hindeutete. Irgendetwas, was nicht normal sei. „Ich bin wohl nicht besonders gut“ seufzte er als er sie aus seinem Blick entließ. „Nichts zu spüren?“ fragte Yugi genauer nach und bekam ein Kopfschütteln. „Es ist nichts zu spüren. Jedenfalls keine Verletzung oder irgendwelche Fremdstoffe im Körper. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, Nika ist kerngesund. Aber ich kann ja leider nur Verletzungen oder Vergiftungen erspüren. Es muss was anderes sein.“ „Ja, das sieht mehr nach einem Fluch aus als nach einer Verletzung“ stimmte auch Yugi zu. Nika sah ihn geschockt an - eine Verletzung wäre ihr tausendmal lieber gewesen. „Mach dir keine Sorgen, wir denken uns was aus, Nika.“ „Ich fühle mich so abartig.“ Selbst in ihrer Stimme hörte man die Abscheu, welche sich auf ihrem Gesicht spiegelte. Sie würde lieber in eine Jauchegrube springen als in diesem Körper zu stecken. „Wisst ihr, woran mich das erinnert?“ Yami hatte sich das erst mal kritisch beäugt, bevor er das Denken begann. „An einen Orichalcos-Fluch. Seth und Seto wurden ja auch komplett innerhalb von Stunden in Kinder zurückverwandelt.“ „Das habe ich zuerst auch gedacht“ erwiderte Yugi und verschränkte nachdenklich die Arme, während er sich auf die Lehne des Sessels setzte. „Aber der Orichalcos bewirkt auch eine geistige Rückverwandlung. Nika scheint sich jedoch an alles erinnern zu können.“ „Ich meine auch nicht, dass es genau das ist. Nur dass es mich daran erinnert.“ „Erinnerst du dich denn an alles?“ rätselte Mokuba. „An was sollte ich mich denn nicht erinnern? Ich weiß wer ihr seid und wo wir sind“ antwortete sie. Auch wenn die anderen erst mal ratlos waren, so dachten sie dennoch über ihr Problem nach und allein das war erstaunlich beruhigend. Mit den anderen und ihren Gedanken fühlte sie sich nicht mehr so verloren. Sie bekam das Gefühl, dass man sich jetzt um sie kümmerte und nach einer Lösung suchte. „Und … ähm … weißt du noch, was du gestern Abend gegessen hast?“ „Nudelsalat mit kaltem Hackbraten“ antwortete sie sogleich. „Ich hab’s mir mit Feli geteilt und sogar noch Maries Reste aufgegessen. Hannes macht einen super Hackbraten. Und wir haben mit Joey darüber gescherzt, dass Seto nur das Gemüse und die Nudeln gegessen hat. Obwohl der Hackbraten sehr lecker war.“ „Geistig scheinst du aber leider nicht ganz auf der Höhe zu sein“ meinte Yami. „Warum? Es gab doch Hackbraten … oder etwa nicht?“ „Ja, schon. Aber mal ehrlich, findest du nicht, dass dem Braten etwas Pfefferminzöl gut getan hätte?“ „Yami.“ „Ich muss doch rauskriegen, ob du geistig okay bist.“ „Manchmal frage ich mich eher, ob DU geistig okay bist“ schüttelte Mokuba den Kopf. Nur gut, dass in diesem Momente Tato und Dakar heraufkamen und eine Diskussion über Hackbraten und geistige Umnachtung durchbrachen. „Wir haben’s schon von Narla gehört“ eröffnete Tato gleich und ging direkt auf Nika zu, blickte sie aus seinem hohen Stand herab an. So wie er sie musterte, sank sie unweigerlich in sich zusammen. Sein Blick war so … als würde er sie gleich anschreien. „Bist du böse?“ fragte sie vorsichtig. „Sorry, ich gucke böse, oder?“ Na ja, wenigstens wusste er das. „Ich habe deine Gedanken gelesen, aber dir ist nichts ungewöhnliches passiert. Jedenfalls nichts, woran du dich erinnerst.“ „Ich habe gar nicht gespürt, dass du in meinem Kopf warst.“ „Wäre ja auch traurig, wenn’s so wäre. Aber falls es dich tröstet, ich finde für einen Mann siehst du ziemlich gut aus. Du siehst jedenfalls besser aus als du denkst.“ „Ähm … danke.“ „Ach, da sagst du danke, ja?“ muckierte Yami und drängelte sich zu Tato. „Hätte ich so was gesagt, hätte ich auch gleich wieder was drauf bekommen.“ „Bei Tato muss man ja auch keine Angst haben, dass man bei einem Danke flach gelegt wird“ meinte Mokuba und sah zu Dakar zurück. „Wo ist denn eigentlich Mokeph?“ „Spazieren“ war die schlichte Antwort seines Sohnes. „Was geht der immer spazieren? Immer dann, wenn man ihn braucht.“ „Frag ihn doch, wenn’s dich so interessiert“ moserte Tato. „Könnten wir mal auf Nikas Problem zurückkommen?“ rief Yugi die Meute zur Konzentration. „Sicher ist zwar, dass ihr nichts fehlt, aber sicher ist auch, dass hier etwas nicht stimmt.“ „Vielleicht ist das gar nichts böses“ orakelte Yami weiter und hatte die Bonbonschale auf dem Tisch entdeckt, die er auch gleich durchwühlte. „Es gibt Zauber, welche den Körper reinigen und in einen gesunden Zustand versetzen. Vielleicht wurdest du zufällig von einem gut gemeinten Zauber getroffen, der einfach deinen natürlichen Zustand wieder hergestellt hat. Habt ihr keine Orangenbonbons?“ „Das hier ist kein natürlicher Zustand. Überhaupt nicht“ flüsterte sie und stützte die Stirn in die Hand. „Ich fühle mich grässlich. Ich kann gar nicht in den Spiegel sehen.“ „Asato, es steht außer Frage, dass hier Magie am Werke war. Bevor wir nicht die Indizien klären, werden wir nichts tun können.“ Dakars flache Stimme schnitt in ihr Herz, doch gleichzeitig klang es als hätte er einen Plan. Warum sonst sollte er sich dazu zwingen, mehr als einen Satz am Stück zu sprechen? „Hast du so was schon mal gesehen?“ fragte Tato zurück. „Oder kennst du etwas Vergleichbares?“ Während alle mehr oder weniger ratlos rätselten, hatte Dakar in seiner Zirkelzeit verschiedene Magien und Zauber studiert und wusste vielleicht mehr darüber als jeder andere. Außerdem war Tato genau wie er ein sehr erfahrener Magier, dazu mit einer Unmenge an Begabungen. Wenn beide die Köpfe zusammensteckten, durfte sie vielleicht hoffen, wieder ‚normal‘ zu werden, ohne dass sie eine erneute Tortur von Operationen und Jahre mit Tabletten und Spritzen durchmachen musste. „Ich kenne die Schwarze Magie, Flüche, welche den Körper bis zur Unkenntlichkeit verändern“ erwiderte Dakar und sah Nika emotionslos an. „Es gibt jedoch auch Weiße Magien, welche körperliche Veränderungen rückgängig machen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben wir es mit Weißer Magie zu tun.“ „Ich dachte immer, Weiße Magie wäre die gute Magie“ warf Tristan ein. Auch wenn er wusste, dass er eigentlich keine Ahnung davon hatte. „Alles eine Sache, wie man es anwendet“ erklärte Tato. „Es ist wie mit Medikamenten. Richtig angewendet, tun sie den Menschen Gutes. Falsch angewendet, fügen sie Schaden zu. In diesem Falle ist jedoch kein direkter Schaden entstanden. Nikas Körper ist sogar eher noch gesundet. Der Schaden existiert in ihrem Kopf.“ „Somit haben wir zumindest Zeit gewonnen“ meinte Yami und blickte Nika liebevoll an. „Wenn Moki sagt, du bist gesund, dann hast du auch nichts zu befürchten. Wir denken uns was aus, wie wir dich wieder zurückverwandelt kriegen. Ich empfehle Nimm Zwei. Vor allem die Orangenbonbons.“ „Ich wäre da nicht so zuversichtlich“ warnte Dakar ohne Rücksicht auf Nikas aufgewühlten Gefühle. „Soll das heißen, ich muss so bleiben? Ich will das nicht.“ „Ich sage nur, dass Atemu das sehr zuversichtlich sieht.“ „Warum? Gibt es kein Nimm Zwei in Norwegen?“ „Yami, jetzt lass das doch mal mit den Bonbons“ bat Yugi ernst. Doch Dakar ignorierte das und sprach heiser weiter. „Es ist äußerst unwahrscheinlich, einen Zauber rückgängig machen zu können, welcher bereits selbst ein Rückwandlungszauber ist.“ „Du meinst, es ist ein Zauber und kein Fluch“ widerholte Tato, der sich auch noch keine Strategie wusste. „Grundsätzlich ist diese Veränderung für den Körper ja eine positive Gesundung.“ „Deshalb kann es schwer werden, jemanden zu finden, welcher den veränderten, eigentlich kranken Zustand wiederherstellt. Diese Art Talente sind äußerst selten.“ „Ja, Verwandlungen beherrsche ich auch nicht“ musste Tato zugeben. „Bedeutet das etwa, ich muss so bleiben?“ Nika wusste nicht, ob sie böse reagieren sollte, enttäuscht oder einfach nur verzweifelt. Sie wusste nur eines: Sie wollte kein Mann sein. Lieber wäre sie ein Wurm oder eine Wanze. Jeder Körper wäre ihr lieber als dieser. „Wir könnten Finn fragen“ schlug Yami vor. „Loki verändert doch jeden Neumond ihre Gestalt. Vielleicht haben die beiden Erfahrung mit Verwandlungen.“ „Werwölfe verändern sich nicht durch Zauber oder Flüche, sondern durch genetische Vererbung und den Mondzyklus“ widersprach Dakar. „Dennoch finde ich den Ansatz nicht so schlecht“ warf Tato ein. „Wenn ich bei so einer Verwandlung zusehen, sie vielleicht sogar dabei berühren könnte, so kann ich dem eventuell etwas abgucken. Vielleicht kann ich einen Fluch erfinden, welcher Nikas Körper zurück verändert.“ Dakar antwortete darauf nicht mehr, er verzog nicht einmal das Gesicht. Ein deutliches Zeichen dafür, dass er dem nicht zustimmte. Er widersprach Tato nur nicht allzu gern direkt. „Was ist?“ „Menschen mit Flüchen zu belegen, ist ihnen nicht gerade zuträglich, Asato.“ Er brauchte gar nicht direkt sagen, dass die Idee viel zu gefährlich war. „Wenigstens denke ich über Lösungen nach.“ „Du erhältst keine Lösung, wenn du das Problem nicht kennst.“ Er blickte abwesend aus dem Fenster und schloss seine Augen zur Hälfte als wäre er dem Sprechen bereits müde geworden. „Zuerst müssen wir wissen, was für ein Zauber sie getroffen hat. Dies können wir nur, wenn wir wissen, wann, wie und wo der Zauber gesprochen wurde.“ „Womit wir beim nächsten Problem wären“ überlegte Mokuba mit. „Wann, wie und wo … wie sollen wir das in Erfahrung bringen? Nika erinnert sich doch an nichts außergewöhnliches.“ „Einen gesprochenen Zauber hätte ich wahrgenommen“ war Tato fest überzeugt. „Ich habe ein gutes Gehör und wenn es kein verbaler Zauber war, so hätte ich doch zumindest eine Veränderung in ihrem Biorhythmus gespürt.“ „Das stimmt. Dein Gespür ist schwer zu umgehen.“ Dakar stimmte zu, rieb dabei nachdenklich die Spitzen von Daumen und Zeigefinger zusammen und beobachtete seine eigene, merkwürdige Geste. „Wenn es kein verbaler Zauber war, so muss es ein physischer gewesen sein. Nika muss durch direkten Kontakt verzaubert worden sein. Wenn der Zauber durch ihren natürlichen Biorhythmus verdeckt wird, nimmst du es nicht als widernatürlich wahr. So kann man dich täuschen, Asato.“ „Du meinst, man hat mich absichtlich getäuscht?“ „Fraglich ist, wie der Zauber in Nikas Körper gelangen konnte. Mokuba nimmt keine fremden Substanzen und keine Verletzung wahr und ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein starker Zauber durch ein Anrempeln im Supermarkt überspringen kann. Es muss eine Verletzung geben, doch da ist keine. Das steht meiner Theorie entgegen.“ „Also wissen wir, dass wir nichts wissen“ schlussfolgerte Yugi und seufzte tief. „Na super. Wir drehen uns im Kreis.“ „Wir müssen zuerst klären, wie Nika von diesem Zauber getroffen wurde“ erklärte Dakar mit versunkener Stimme und glasigen Augen. „Wenn wir wissen, auf welche Weise sie verändert wurde, können wir vielleicht auf den Zeitpunkt schließen und damit auf den Täter. Und wenn wir den Täter kennen, kennen wir seine Magie und ein Hochmagier wie Asato kann eventuell einen Gegenzauber entwickeln.“ „Das Wort ‚eventuell‘ stört mich“ fürchtete Nika. Das klang alles sehr vage und wirklich überzeugend war Dakars Indizienkette auch nicht. Geschweige denn wie man sie befolgen sollte. „Den Täter zu finden, wäre wohl wirklich nötig“ meinte selbst Tato. „Ich habe noch niemals einen Zauber gesehen, welcher keinerlei Energie ausstrahlt. Mit meinen Sinnen hätte ich etwas wahrnehmen müssen. Mokuba müsste auch irgendetwas spüren und die Pharaonen hätten einen starken Energiezauber auch wahrgenommen. Zumal wir all unsere Freunde mit leichten Schutzzaubern belegt haben. Wir spüren es, wenn ein Schutzzauber beschädigt wird. Die Frage ist, wer kann einen Zauber sprechen, der dermaßen unbemerkt bleibt? Oder liegt es an der eigenen Energie in dieser Stadt?“ „Es kann sein, dass Nika bereits vor einiger Zeit verzaubert wurde“ dachte Dakar weiter darauf herum. Ihm ließ das nun auch keine Ruhe. „Wenn meine Theorie stimmt und der Zauber durch Körperkontakt aktiviert wurde, muss davon etwas hängen geblieben sein. Eine Verletzung, ein blauer Fleck oder zumindest ein fremder Geruch.“ „Fremde Gerüche trägt jeder mit sich, der im Kaufhaus war. Und du weißt selbst, dass Hexen nicht anders riechen als normale Menschen auch. Selbst wenn Nika einen Geruch mit sich geführt hätte, hätte er äußerst unnormal gewesen sein müssen, damit du oder ich aufmerksam geworden wären.“ „Eben das will ich damit sagen, Asato. Es kann schon so lange her sein, dass wir uns nicht mehr erinnern.“ „Ich habe ein fotografisches Gedächtnis. Ich vergesse keinen Geruch.“ Dass er nicht auf die Lösung kam, fuchste ihn und man hörte an seiner Stimme, dass es ihn auch persönlich beleidigte. Irgendjemand hatte in seine Sippe eingegriffen und das ohne, dass er etwas bemerkte. Jemand hatte ihn mutwillig getäuscht und auf ganzer Linie verarscht. Er duldete es nicht, wenn jemand fremdes sein Revier betrat und dort sein Unwesen trieb. Er empfand Nikas Misere als einen persönlichen Angriff auf seinen Stolz als Platzhirsch. „Sicher ist, dass Nika getroffen wurde“ versuchte Yugi das zusammenzufassen. „Wir wissen nicht wann, wo oder wie. Die Frage ist also, wie wir herausbekommen, wie der Zauber verhängt wurde.“ „Das kann doch nicht so schwer sein, Jungs“ forderte Yami die beiden Brainstormer auf. „Ihr seid doch erprobte Magier, also lasst euch was einfallen.“ „Wenn Dakars Vermutung richtig ist, könnte ich das beweisen.“ Tato sah zu Nika herab, betrachtete sie sehr eingehend mit tiefblauen, kalten Augen. „Wenn du mir vertraust, kann ich die Stelle finden, an welcher der Zauber dich getroffen hat. Wenn es, so wie Dakar glaubt, ein physischer Zauber war, muss er irgendwo in dich eingedrungen sein. Wenn es körperlich in dich eingedrungen ist, kann ich ausmachen wo es war.“ „Wenn das so einfach ist“ fragte Tristan zweifelnd, „warum machst du dann so ein ernstes Gesicht?“ „Weil solche Stellen nur von Schatten gefunden werden.“ Er ließ einen Augenblick Pause, doch da Nika ihn nur erschrocken ansah, musste er die Sache genauer erklären. „Schatten sind gierige Wesen. Ihr einziger Daseinswille besteht darin, Energie in sich aufzunehmen. Sie finden zielsicher schwaches Leben, welche sie anfallen und abfressen können. Dies können verletzte Tiere sein, absterbende Wälder oder eben Menschen in psychischen Krisen. Menschenenergie bevorzugen sie ohnehin. Wenn ich den Schatten sage, dass bei dir etwas zu holen ist, werden sie sich genau die Stelle aussuchen, welche zuletzt von Magie durchdrungen wurde, denn dort finden sie den geringsten Widerstand. Dieser Körperstelle stellt für sie eine Art Trampelpfad dar. Sie werden hierdurch zu deiner Seele dringen wollen und dein Herz erreichen. Vorausgesetzt Dakar hat Recht und es war ein physischer Angriff.“ „Super“ verzog Mokuba das Gesicht. „Dann wissen wir zwar, wo Nika getroffen wurde, aber tot ist sie dann trotzdem.“ „Ich glaube nicht, dass Tato es so weit kommen lässt“ nahm Yugi seinen Sohn in Schutz. „Er hat seine Schatten unter Kontrolle und ich finde, wir sollten ihm vertrauen. Und wenn es kein körperlicher Zauber war, werden die Schatten wohl auch keine Stelle zum Eindringen finden.“ „Danke, Papa. Schatten können gesunde Menschen nicht sofort töten. Es dauert Jahre bevor sie sich durch eine Seele bis zum Herzen gefressen haben und ein Todesurteil ist es nur dann, wenn der Befallene nicht selbst den Weg zur positiven Energie zurückfindet. Schatten sind keine langfristig parasitären Wesen. Im Normalfalle jedenfalls.“ „Ich weiß ja nicht“ meinte Mokuba noch immer nicht überzeugt. „Wenn wir einen besiegten Feind im Schattenreich zurückgelassen haben, haben wir den auch niemals wiedergesehen …“ „Onkel Moki, du glaubst doch wohl nicht, dass wir unsere Feinde töten, indem wir ihre Seelen von den Schatten fressen lassen?“ Als Mörder wollte sich wohl kein Magier gern titulieren lassen. „Wir stellen sie nur vor die Wahl, wem sie sich hingeben wollen. Der dunklen Energie der Schatten oder der lichten Energie der Engel. Dies ist eine Wahl, welche jeder Mensch für sich selbst treffen muss. Und das Schattenreich ist eben ein Ort für diese Entscheidung.“ „Vielleicht könnten wir mal zum Thema zurückkehren“ bat Yugi und sah die hilflose Nika mitfühlend an. „Tato, was genau würden die Schatten tun? Würden sie Nika Schmerzen zufügen?“ „Nein, kein Schmerz im eigentlichen Sinne“ antwortete er und ging an Dakar vorbei zum Fenster. „Ich kann aber nicht verhindern, dass sie in Nika eindringen, wenn sie etwas finden. Immerhin mache ich sie heiß auf Beute“ musste er dennoch zugeben und drehte den Vorhang ein, um ihn dann durch das geöffnete Fenster nach außen zu hängen. „Doch töten werden sie dich eher nicht. Sobald sie die Stelle anzeigen, kann ich sie zu mir zurückrufen. Dir wird dabei nichts weiter passieren, außer dass du dich etwas unwohl fühlst. Du lebst schon so lang mit den Pharaonen zusammen und du bist ein so reinherziger Mensch, dass du dich immer dem lichten Lebensweg zuwenden würdest. Selbst wenn die Schatten dich befallen und ich sie nicht zurückrufen kann, würden sie irgendwann von selbst die Flucht ergreifen. Dir würden so viele Engel eine rettende Hand reichen, dass die Schatten dich irgendwann wieder verlassen. Darüber hinaus ist es niemals vorgekommen, dass ein Schatten sich mir widersetzt hätte.“ „Ich weiß nicht … ich traue Tato ja, aber mit Schatten gab’s immer nur Probleme.“ „Tristan!“ Nika nahm seine Hände und sah ihn aufgeregt an. „Und wenn das meine Chance ist, wieder normal zu werden?!“ „Schatz, diese schwarzen Viecher werden dich bestimmt nicht heilen.“ „Aber wenn es doch hilft!“ „So verzweifelt kannst du gar nicht sein. Es gibt sicher auch einen anderen Weg.“ „Aber ich kann doch so nicht unter die Leute gehen. Du hast selbst gesagt, dass du mich nicht liebst, wenn ich ein Mann bin.“ „Das hier ist doch eine ganz andere Situation. Ich verlasse dich doch wegen so etwas nicht.“ „Aber besonders anziehend findest du mich auch nicht. Ich muss jede Möglichkeit nutzen, um möglichst schnell wieder eine Frau zu werden.“ „Aber Nika, doch nicht mithilfe von Schatten. Die Viecher sind böse, verstehst du? Böse! Der Gedanke, dass sie deine Seele anfressen können, gefällt mir gar nicht.“ „Also“ mischte Tato sich mal freundlich ein und drehte sich um. „Wenn ihr dann zu ende gestritten habt, könnt ihr ja Bescheid sagen. So kommen wir nicht weiter.“ „Da gibt es nichts zu streiten.“ Nika stand auf und erwischte ihn auf dem Weg zur Tür gerade noch am Handgelenk. Bittend traf sie seinen Blick. „Bitte, Tato. Tu irgendwas, damit ich wieder normal werde.“ „Tristan hat aber Recht. Die Schatten sind nicht dazu da, um dir zu helfen. Sie werden dich höchstens verletzen. Auch wenn du bei mir sicher bist, werden sie ganz sicher Spuren hinterlassen. Physisch und psychisch. Vielleicht hätte ich das nicht einmal vorschlagen sollen.“ „Das ist mir egal. Ich vertraue dir. Und Tristan tut das auch. Nicht wahr?“ Sie sah zu ihm zurück und ihr Blick sagte alles. Sie würde alles tun, um nicht so bleiben zu müssen. Und wenn sie dafür auf die Hilfe von Schatten greifen musste, auch das. Und wenn Tristan das nicht verstand … er musste sie einfach unterstützen. Jetzt bekam man langsam eine Ahnung davon, weshalb verzweifelte Menschen sich leicht auf die falschen Heilsbringer verließen. Nika würde alles tun, sich sogar mit dunklen Mächten einlassen. Tristan tat einen tiefen Seufzer und winkte ab. „Deine Entscheidung.“ Und sich gegen ihre Entscheidungen zu stellen, hatte er eh niemals geschafft. Er musste seinen Freunden einfach vertrauen. „Du solltest Tristans Bedenken nicht einfach so fortwischen. Wir würden auch eine andere Möglichkeit finden“ versuchte Tato sie zu beschwichtigen. „Im Moment wissen wir noch gar nichts, aber irgendwie werden wir einen Weg finden.“ „Aber keinen, der schneller geht. Du hast den Vorschlag doch selbst gemacht! Oder glaubst du etwa, dass mir was passiert?“ „Nein, das nicht. Aber Tristans Bedenken sind nicht ganz unbegründet.“ „Das ist mir egal. Sieh mich doch an!“ Sie trat einen Schritt zurück und breitete die Arme aus. „Ich sehe schrecklich aus. So kann ich doch nicht vor die Tür gehen!“ Und dass sie eigentlich ein sehr gutaussehender Mann war, der bei den Frauen Gefallen finden würde, das sah sie selbst nicht. Sie empfand sich als abartig und einfach falsch. Sie konnte nicht sehen, dass auch ihr männlicher Körper ansehnlich war. „Im Augenblick bist du sehr durcheinander, Nika. Vielleicht solltest du dich erst mal ein oder zwei Tage beruhigen. So stellst du für die Schatten nur ein leichtes Opfer dar.“ „Dann sollen sie diesen Körper eben haben! So kann ich doch nicht weiterleben! So scheußlich wie ich aussehe!“ „Jetzt hör auf, das zu sagen“ unterbrach Yami ihr hysterisches Kreischen. Er sprach ruhig und hoffte, dass auch sie sich beruhigte. „Dass du wieder ein Mann bist, ist für dich sicher nicht schön, aber du bist alles andere als scheußlich. Tato hat Recht, du bist sehr attraktiv und überhaupt nicht scheußlich. Auch wenn du dich unwohl fühlst, musst du jetzt ruhig bleiben. Du hast gar keine andere Wahl. Wenn du durchdrehst, erreichen wir gar nichts. Also bleib ruhig und mach dich nicht selber fertig.“ „Du hast leicht reden.“ Ihr schossen bittere Tränen in die Augen und ihre Lippen bebten. „Weißt du, was ich alles durchgemacht habe? Wie es ist, wenn die Leute dich anstarren und dich auslachen? Wenn du jeden Morgen einen Haufen Tabletten frühstückst? Die Angst vor den Operationen und … und immer diese Angst und dieser Ekel. Du hast gar keine Ahnung, wie das ist!“ „Wir haben dich nie eklig gefunden oder dich dumm angestarrt“ erwiderte Yami mit liebevoller Stimme. „Wir lieben dich, du gehörst zu uns. Egal ob als Mann oder als Frau. Wir werden dir helfen, Nika, aber das können wir nur, wenn du ruhig bleibst. Panik oder Verzweiflung bringen uns nicht weiter. Dass du verwirrt bist, ist in Ordnung, aber bitte bleib einfach ruhig. Ja?“ „Okay“ hauchte sie und wischte sich die Tränen fort. Es war nicht einfach, alles andere als das. Gestern war noch alles in Ordnung und heute lag alles in Scherben. Wenigstens legte Tristan noch seine Arme um sie und küsste ihre Wange. „Tut mir leid, ich bin einfach … ich weiß nicht, was ich machen soll.“ „Wir kriegen das wieder hin“ versprach er leise. „Ich liebe dich, daran ändert sich auch nichts. Versprochen.“ „Sieh es doch einfach positiv“ meinte Mokuba und band sich die langen Haare zum Zopf. „Endlich trifft es mal nicht Seto. Wenn irgendwann mal wieder alte Leidensgeschichten ausgepackt werden, kannst du auch was beisteuern.“ „Das tröstet mich sehr“ raunte Nika mit erschreckend tiefer Stimme. Auf so eine Geschichte würde sie trotz allem Erzählungspotenzials gern verzichten. „Trotzdem würde ich gern möglichst schnell den jetzigen Zustand ändern.“ „Dann führt kein Weg an Asatos Schattenprüfung vorbei“ beschloss Dakar heiser und sah mit verkniffenen Augen in die Runde. „Ich kann dich in einen komatösen Zustand versetzen, wenn du dich vor Schmerzen fürchtest.“ „Vor dir fürchte ich mich irgendwie mehr.“ „Da tust du gut dran. Dakar kann echt unangenehm sein, wenn er so guckt.“ Und das sagte ausgerechnet der Drache mit dem dunkelsten Blick seit Erfindung der Schwärze. „Leg dich hin, Nika, dann hast du es gleich hinter dir.“ Er ging zu ihr und streckte seine Hand hin, aber sie zögerte nun doch. Zu wissen, dass er seine Schatten auf sie loslassen könnte, gewann an Schrecken mit dem Gedanken, dass ihm dies tatsächlich möglich war. „Vertraue mir“ bat er und bemühte sich, mit sanfter Stimme zu sprechen. „Dir wird nichts geschehen.“ „Und wenn doch?“ „Dann werde ich das erste Mal im Leben Angst vor Tristan haben. Ich glaube, der kann noch unangenehmer schauen als Dakar.“ Genau Letzter blickte mit stummen Augen zu dem Drachen und verzog kaum den Mundwinkel. „Verarschst du mich?“ „Würde ich nie tun, Schatzi.“ Dennoch schmunzelte er versteckt und nahm Nika am Arm, um ihr beim Platznehmen auf dem Bett zu helfen. Er schüttelte ihr sogar mit einem Luftstoß das Kissen auf. „Leg dich hin.“ „Wird’s wehtun?“ Sie wusste nur, dass Schatten nicht das waren, womit man gern kuschelte. Sich vorzustellen, dass sie in ihren Körper eindringen würden … „Nicht besonders. Du sollst dich nur hinlegen, falls dir schwindelig wird. Liegst du gut?“ „So gut man eben liegen kann.“ Sie faltete die Hände über dem Bauch und blickte furchtsam zu ihm auf. Es fühlte sich an als würde sie in ihrem eigenen Grab probeliegen. War Tato immer schon so gruselig gewesen? „Tristan.“ Tato drückte ihn an der Schulter vom Bett weg. „Stell dich zu Yami oder Yugi. Nur falls sich einer verirrt.“ „Und du?“ fragte Mokuba, der eh schon neben Yugi war. Nur Dakar stand abseits am Fenster und machte keine Anstalten, sich Schutz beim Pharao zu suchen. „Dakar gehen sie nicht an. Er hat zu wenig, was sie reizt“ erklärte Tato und stellte sich ans Fußende des Bettes. „Schatten gehen gern auf schwache Menschen, sie werden von starken Gefühlen angelockt. Und da Dakar nicht gerade ein Gefühlsmensch ist, interessieren sie sich nicht für ihn.“ „Kein Gefühlsmensch. Das klang jetzt aber sehr diplomatisch“ grinste Yami. Dakar war nicht nur kein Gefühlsmensch, er unterlag überhaupt nie Gefühlen. Und wenn dann waren sie sehr simpel. Hatte auch was für sich, wenn man sich nicht ständig mit seiner eigenen Gefühlswelt befassen musste. So hatte man mehr Zeit für andere Dinge. „Ich wünsche mir auch manchmal, ich wäre nicht so emotional.“ „Das wäre doch langweilig“ meinte Yugi und boxte ihn liebevoll in die Seite. „Ich liebe dich so wie du bist, mein Yami.“ „Dann beschwere dich auch nicht, wenn ich mal wieder …“ „Mal wieder was?“ „Mal wieder irgendwas mache, wo du dich beschweren könntest.“ „Na gut“ lachte er und ließ sich in den Arm nehmen. „Ein Mal hast du beschwerdefrei.“ „Könnt ihr mal ruhig sein?“ drehte Tato sich grimmig herum. „Ich würde mich gern konzentrieren.“ Er wartete und als keiner mehr etwas sagte, konnte er endlich zu Werke gehen. „Meine Fresse, was für’n Kindergarten.“ Beim Rufen der Schatten selbst musste er sich wenig konzentrieren. Genau wie Engel waren sie immer da, doch blieben für gewöhnlich unsichtbar. Er musste sie nur von dieser unsichtbaren Welt in die sichtbare locken. Hierfür streckte er seine Arme nach links und rechts, schloss die Fäuste und als er die Arme zurückzog, blieb an seinen Händen ein grauer Nebel haften, welcher sich nach Sekunden schwarz einfärbte. Die gerufenen Biester gaben ein Zischen von sich und wanderten über seine Arme den Körper hinab, umkreisten die Beine und waberten wieder hinauf, strichen um seinen Kopf und zurück zu den Füßen. Sie umschmeichelten seine Statur wie dunkle Schleier, prüften seine Gegenwart und die Kraft seiner Seele. Doch im Gegensatz zu den meisten Menschen, fühlte Tato sich von ihnen weder angewidert noch verschreckt oder bedroht. Sie schlängelten über seinen Körper als seien sie in einer natürlichen Einheit verbunden. Es waren etwa vier Schatten, vielleicht auch sechs oder sieben. Einige bewegten sich schneller, andere langsamer. Mal verharrte einer einige Sekunden, bevor er seine weichen Bewegungen fortsetzte. Wären Schatten nicht die Kehrseite alles Guten, wären sie in dieser Form fast als schön zu bezeichnen. „So, genug begrüßt“ sprach er mit leiser Stimme zu seinen gefährlichen Verbündeten. Er streckte den linken Arm auf Nikas bebenden Körper. „Macht euch an die Arbeit.“ Der erste Schatten fiel wie ein Tropfen von seinen Fingerspitzen auf ihre Füße und fuhr sofort unter den Körper an ihren Rücken. Schon folgte ein zweiter, welcher den Weg über die Beine bis zur Brust nahm. Einige schnellere Schatten zischten spitz und sprangen direkt auf ihre Arme. Bis hierher hatte Nika sich ruhig verhalten können, doch als eines der schwarzen Biester ihren Hals umschlang und ihre Lippen zu durchbrechen versuchte, quietschte ihre Stimme sie drehte angewidert und erschrocken den Kopf zur Seite. „Bleib ruhig“ bat Tato, ging zu ihr herum und setzte sich an ihre Seite. „Sie suchen deinen Körper ab. Lass sie gewähren.“ „Das fühlt sich an wie Sandpapier.“ Ihre dunkle Stimme war ungesund hell. Man hörte wie sehr sie sich fürchtete und welche Abscheu ihren Körper schüttelte. In einer Badewanne voll Scharben zu liegen, war bei weitem weniger eklig. Denn diese würden nur ihren Körper schütteln, nicht jedoch ihre Seele suchen. „Sie sind unter meiner Haut. Oh Gott! Sie fressen mich auf! SIE FRESSEN MICH!“ „Das tun sie nicht. Bleib liegen.“ Sanft drückte Tato ihre Schulter herunter und schnippte den frechen Schatten fort, welcher in Nikas Mund fliehen wollte. „Schrei nicht so und mach keine hektischen Bewegungen. Denk einfach an etwas Schönes, entspanne dich.“ „Das ist schlimmer als … als … ich will nicht mehr … nimm sie weg …“ „Ich weiß, es gibt angenehmeres.“ Zur Beruhigung setzte er ein zärtliches Lächeln auf und legte ihr die Hand über die Augen. „Schließe die Augen und versuche den Ekel zu ignorieren. Ich passe auf dich auf.“ „Haaaaaa!“ Ein Schatten packte ihren Arm und schnürte das Blut ab. Es fühlte sich an wie ein Seil aus Holzwolle, als würde ihre Haut aufgerissen. Sie wollte ihn abschütteln, doch das Biest ließ nicht los. Eher zog es sich noch fester und gab ein Fauchen von sich. Zum Hohn. Zur Drohung. „Lass sie suchen. Je mehr du sie hinderst, desto länger bleiben sie. Vertraue mir einfach. Hier. Leg deine Hände an die Seite. So.“ Er nahm ihre Hände und legte sie neben die Hüfte. „Bleib so liegen und konzentriere dich nur aufs Atmen. Wenn du ihnen keine Aufmerksamkeit schenkst, können sie dir nichts tun.“ Für ihn war es vielleicht einfach. Er besaß in sich etwas, was negativer und gieriger war als jeder Schatten. Für ihn war das Fauchen und Geifern der Schatten wenig einschüchternd. Er selbst war wesentlich gefährlicher. Sato war gefährlicher. Nikas männlicher Körper jedoch zitterte, war zum Zerreißen gespannt. Die Schatten schlichen um jede Stelle. Zwischen die Zehen und in die Ohren, selbst unter die Fingernägel. Jeden Millimeter suchten sie nach einer Möglichkeit, um zu ihrer furchtsamen Seele zu dringen. Tato sah ihnen dabei zu als wäre es normal, doch den anderen im Raume formte sich ein Kloß in der Brust. Die Kälte der Schatten drang bis zu ihnen herüber, ließ sie an der eigenen Haut frösteln. Jetzt erst war zu spüren, dass auch Yami und Yugi eine gewisse Aura besaßen, die man sonst kaum wahrnahm. In ihrer Nähe war es wärmer, sicherer. Wie unter einem Baum, während es überall regnete. Direkt neben den Pharaonen verloren die Schatten an Schrecken, zumindest ein wenig. Dennoch war der Anblick wie diese unwirklichen, körperlosen Gestalten um die arme Nika schlichen und sie quälten … es war kein schöner Anblick. Endlich nach vielen Momenten fauchte ein Schatten, so feucht und hungrig, dass es den Raum zusammenzucken ließ. Sofort ließen alle anderen Schatten von ihren Stellen ab und sammelten sich am linken Bein. Nika schrie auf, schnellte mit dem Oberkörper hoch und fiel sofort mit Schmerzen zur Seite. Die Schatten zischelten und schnaubten und waberten zu einer einzigen Gestalt verschmolzen um ihren Unterschenkel, während sie vor Schmerzen ins Kissen biss und elendig schluchzte. Kein natürlicher Schmerz wurde dem Gefühl gerecht wie ein Schatten sich seinen Weg ins Innerste fraß. „Sie haben’s gefunden“ sprach Tato und erhob sich vom Bett. Er berührte die Schatten und zog sie fort von der Stelle. Sie dort wegzubekommen, war schwieriger als sie anzusetzen, denn sie wehrten sich. Zwei schnellten sofort Tatos Arm hinauf, doch die anderen wollten bei Nika bleiben. Nun hatten sie doch endlich einen Weg gefunden, von wo aus das große Fressen beginnen konnte und da sollten sie sich wieder entfernen? Da musste der Meister schon nachdrücklicher werden. „Jetzt ziert euch nicht so. Freche Biester.“ Er legte seine Hand über die Stelle, zwang die Schatten seinem Willen nach den eigenen Arm hinauf und von ihr fort. Sie mussten sich seinem Willen beugen, denn er war gefährlicher als sie. Sie mussten ihn zuerst fressen lassen, wenn er das wünschte. Doch ein Schatten musste seine Wut ausdrücken, schnellte an seinen Hals und fauchte ihm ins Gesicht. Hierzu bildete er sogar ein mit weißen, spitzen Zähnen gesäumtes Loch aus und drohte einen Biss an. Sein lippenloses Maul geiferte und dieser schneidende Ton fuhr den Menschen ins Mark. „Wir wollen doch keinen Ärger, Süße.“ Doch er gab auf das Gebärden nicht viel. Stattdessen pfiff er laut und lang gezogen. Der Schatten knurrte ihm ins Gesicht, wollte sich nicht so leicht abfertigen lassen. Er hatte seinen Dienst getan und ihm nun den Lohn vorzuenthalten, gefiel gar nicht! Erst als Laertis zum offenen Fenster hereinsegelte und auf Dakars Kopf sitzen blieb, stoppten die Schatten und erstarrten. Wie schockgefroren blieben sie stehen und bewegten sich kein Stück mehr. Der kleine Falke gurgelte fröhlich und plusterte sich auf. Dass Dakar dabei kritisch einen Blick nach oben warf, entging ihm. Er fand seinen Sitzplatz wunderbar. „Hey Kumpel. Bock auf Fangenspielen?“ „Kuurriiiiiiiiieeeeee!“ Der Minifalke pfiff laut, so laut und hoch dass die Gläser im Schrank klirrten und die Schatten wach wurden. Sie zischten und drängten von Tatos Körper hinweg zu dem kleinen Federtier. Der drehte sich um und huschte zum Fenster hinaus. Die schwarzen Nebelgestalten ihm nach. Draußen war nur noch ein Pfiff zu hören und der Schrecken hatte den Raum verlassen. „Das habe ich ja noch nie gesehen“ staunte Yami und zeigte zum Fenster. „Du hetzt die Schatten auf deinen Falken?“ „Er hängt sie irgendwann ab“ zuckte er mit den Schultern. „Aber warum? Hast du keine Angst um ihn?“ „Quatsch, er findet das lustig.“ „Aber warum fliegen die ihm nach?“ wollte Mokuba erstaunt wissen. „Ich dachte, menschliche Seelen schmecken ihnen besser als Tierseelen.“ „Laertes und ich sind eins, deshalb würden sie ihn lieber fressen als jeden anderen. Aber da wir eins sind, fürchtet er sie ebenso wenig wie ich. Er spielt nur mit ihnen, genau wie ich. Also macht euch keine Sorgen um ihn.“ „Aber …“ Mokuba war hin und weg. War es möglich, dass Mensch und Tier ein so inniges Band vereinte, dass sich sogar ihre Seelen ähnelten? Dass die Falken sich auch vom Wesen her ihren Herren anglichen und Fähigkeiten über das Natürliche hinaus entwickelten, war ihm klar. Doch das erste Mal fragte er sich wie weit diese Verbindung wirklich ging. Er musste das intensiver beobachten. „Viel wichtiger ist, dass Dakar Recht hatte“ sprach Tato unbeeindruckt weiter. „Es muss ein physischer Zauber gewesen sein.“ „Dürfen wir jetzt wieder rankommen?“ wollte Tristan hören. Nika biss noch immer aufs Kissen und Tränen rannen durch ihre gekniffenen Lider. Er wollte sie nur noch trösten. „Klar. Seht euch das an.“ Tristan nahm zuerst Nika in den Arm, noch bevor die anderen ganz da waren und sich die Stelle besahen. Die Schatten hatten einen großen Riss am Unterschenkel geöffnet, aus dem Blut tropfte. Die Seiten der Wunde färbten sich hellgrau, wie abgestorbenes Gewebe. „Das sieht ja furchtbar aus“ keuchte Mokuba und legte seine Hände an das zitternde Knie. „Tut auch scheiße weh“ meldete Nika, die Tristans Hand gleich zermatschte. „Kann ich das heilen?“ „Moment noch.“ Dakar kniete sich neben ihn, legte die Fingerspitze in die Wunde und ignorierte Nikas Schmerzenslaut. Er fuhr zusätzlich das offene Fleisch nach. Das anhaftende Blut leckte er mit seiner langen Zunge ab und zog den Geschmack in seine Kehle. Er verharrte einen Moment, blickte ins Leere und erstarrte so bewegungslos wie die Schatten vor wenigen Momenten. Als er Sekunden später erwachte, erhob er sich und verschränkte die Arme vorm Bauch. „Keinerlei Fremdgeschmack, keine Spuren von Magie. Nur der bittere Nachgeschmack von Schatten.“ „Das bedeutet“ versuchte Tato zu verstehen, „wenn der Zauber sie hier befallen hat, hat er keinerlei Spuren hinterlassen. Weißt du was? Das passt mir gar nicht.“ „Hallo! Kann ich sie jetzt heilen? Das blutet wie Sau!“ Mokuba konnte das gar nicht mit ansehen welche Schmerzen Nika hatte und wie das Blut ungehindert auf die Bettdecke tropfte. „Klar, mach“ nickte Tato und lehnte sich nachdenklich an die Wand. Dabei fiel ihm auf wie gerade der kleine Bilderrahmen mit Felis Foto hing und er drehte ihn so lange bis das Bild auf dem Kopf stand. „Nika, ist das nicht die Stelle, wo Felis Entführer dich gekratzt hat?“ Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen und der Schmerz war für einen Augenblick vergessen. Sie fuhr hoch und sah ihn mit großen Augen an. „Was soll denn das heißen?“ „Ist das die Stelle oder nicht?“ „Ja, das ist die Stelle“ bestätigte Mokuba. Er hielt beide Hände auf die große Wunde und atmete tief. „Aber da war es nur ein Kratzer. Nicht der Rede wert. Das hier ist ne richtige Fleischwunde.“ „Das liegt an den Schatten. Wenn sie zubeißen, wird’s übel“ tat Tato das ab. Dass es unangenehm werden würde, hatte er vorausgesagt und so hatte er auch kein schlechtes Gewissen. „Ich frage mich, was der Entführer damit bezweckt, dass er Nikas natürlichen Körper wiederherstellt.“ „Und dabei keine Spuren hinterlässt“ ergänzte Dakar mit verkniffenen Augen. „Was ist das für eine Magie, welche so unentdeckt bleibt?“ „Aber so unentdeckt war seine Magie nicht. Zumindest seine ENERgie nicht“ wandte Yugi ein. „Ich habe eine Veränderung gespürt als er sein Medium verließ.“ „Überlege mal genau“ bat Yami und sah ihn ernst an. „Hast du seinen Energiefluss gespürt oder hast du erst etwas gespürt als er sein Medium verlassen hat?“ „Na ja.“ Darüber musste er einen Augenblick nachdenken. Er sah Felis kopfüber hängendes Bild an und versuchte, sich zu erinnern. Es war ja alles so schnell gegangen. Doch je mehr er darüber nachdachte … „Eigentlich habe ich erst etwas gespürt als mich der natürliche Energiefluss des Mannes, also der von Rick Patsson erreicht hat. Vorher war da … gar nichts. Irgendwie so eine Leere, dass es mir selbst nicht aufgefallen ist.“ „Also eine Magie mit einem Energiefluss, welcher selbst Pharaonen verborgen bleibt. Ich dachte nicht, dass es so etwas gibt“ bemerkte Dakar heiser. „Aber ich denke, du hast seine Gedanken in den besetzten Männern gesehen?“ wollte Tristan nochmals in Erinnerung rufen. „Nein, ich habe nicht SEINE Gedanken gesehen, sondern die Gedanken, welche er seinem Medium eingeflößt hat. Wenn Balthasar seinen Bruder besetzt und ihm befiehlt: ‚Iss ein Kirscheis‘, dann höre ich in Phoenix‘ Erinnerungen nicht den Befehl, sondern spüre, dass er Hunger auf Kirscheis hat. Und ich sehe, dass er selbst eigentlich gar kein Kirscheis mag. Dasselbe war es bei diesen Männern. In ihren Gedanken war niemals in ihrem Leben eine Intention zu sehen, ein Kind zu kidnappen. Und doch hatten sie ganz plötzlich das Bedürfnis danach. Diesen Unterschied konnte ich sehen. Nicht jedoch eine fremde Magie spüren.“ „Dann stellt sich aber eine Frage vornan“ wiederholte Yami. „Warum Feli? Oder hätte es auch jeder andere sein können?“ „Er wollte Feli. Das weiß ich“ versicherte Tato. „Sareth kam zu derselben Schlussfolgerung und hat diesen Gedanken bestätigt.“ „Dann hatte Felis Entführer es vielleicht nur halb auf Feli abgesehen, sondern eher auf Nika“ vermutete Yugi. „Er muss gewusst haben, dass sie sich dazwischen werfen würde, wenn man Feli was antut.“ „Aber was sollte er denn von Nika wollen?“ widersprach Tristan. „Nika ist für einen Entführer ebenso nutzlos wie ein unschuldiges Kind. Wenn er Lösegeld fordern wollte, wäre es doch einfacher, Feli zu entführen. Sie wehrt sich nicht so heftig. Und was für einen Grund hätte er, Nika das anzutun? Das ergibt doch keinen Sinn.“ „Augenblick. Seid mal ruhig.“ Yami hob die Hand und senkte den Kopf. Er strich sich abwesend das schwarze Haar zurück und versank in einer tief nachdenklichen Pose. „Du sagtest, Feli ist ein unschuldiges Kind. Und der Zauber hat keinerlei Spuren hinterlassen.“ „Yami? Alles okay?“ fragte Yugi und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Natürlich hatte er es auf Feli abgesehen!“ Er sprang zurück und breitete die Arme aus. „Er wollte Feli, ganz sicher! Wenn mein Gedanke richtig ist, dann ist Feli mächtiger als jeder Magier!“ „Bitte?“ Da verschlug es allen die Sprache, nicht nur Yugi. „Yami, drehst du durch?“ „Nein! Hey, hört zu!“ Er ballte die Fäuste und war ganz sicher. „Meine Magier und Hexen haben damals eine Magie erforscht, welche nur von Kindern angewandt werden kann. Von speziellen Kindern. Wir nannten sie die Kinder des Nils. Damals, kurz bevor ich gestorben bin, führte der Nil zu wenig Wasser und die Saat ging ein. Die Menschen litten schrecklichen Hunger und die Bauern waren natürlich richtig am Arsch. Ich hatte einen Krisenstab einberufen und Seth ausgeschickt, um Eishexen zu suchen, damit wir irgendwie unsere Felder bewässern können. Doch noch bevor er zurückkehrte, führte der Nil wieder Wasser. Zu einer völlig unpassenden Jahreszeit. Wir haben an ein Wunder geglaubt, aber Seth bestand darauf, dass es Magie war. Er sagte, die Kinder eines Bauern aus dem Süden hätten Regenwolken herbeigerufen und den Nil über die Ufer treten lassen. Er hatte die Kinder untersucht, doch es wahr keinerlei Magie festzustellen. Ja, die Kinder waren noch so jung, dass sie niemals zuvor Regenwolken gesehen hatten. Dennoch bestand er darauf, dass es die Kinder gewesen seien. Seths Intuition ließ keine andere Begründung für den plötzlichen Segen zu. Also weitete er die Forschung nach derlei Kindern aus und es fanden sich einige Geschichten, in welchen ganz gewöhnliche Kinder Wunder vollbrachten. Sie haben Pflanzen wachsen lassen oder Krankheiten geheilt. Ein Kind soll sogar eine Heuschreckenplage beendet haben. Und allen gemein war, dass es ganz normale, unauffällige Kinder waren, in deren Zaubern man keinerlei Magie und in deren Gedanken man keinerlei Absicht nachweisen konnte. Alle Kinder taten diese Wunder, ohne selbst davon zu wissen. Vielleicht gibt es neue Erkenntnisse und man kann Nilkinder nun irgendwie erkennen.“ „Du meinst, Feli soll Magie beherrschen?“ fragte Nika überrumpelt. „Das kann ich mir nicht vorstellen“ meinte auch Tristan. „Feli ist eine süße Maus, aber magisch doch vollkommen uninteressant.“ „Woher wollt ihr denn das wissen? Vielleicht ist sie ein Nilkind und wir haben es nur niemals bemerkt. Das wäre DIE Erklärung.“ „Das wäre EINE HALBE Erklärung“ wandte Tato ein. „Feli hat Nika ganz sicher nicht in einen Mann verwandelt. Warum sollte sie so etwas tun? Das was du schilderst, sind Wunder und vielleicht wurden sie sogar von Kindern vollbracht. Aber deine Wunderkinder haben deinen Beispielen nach das gemeinsam, dass sie Taten begingen, welche ihrer Umgebung Gutes taten. Das was Nika widerfahren ist, ist ganz sicher nichts, was Feli als gut empfinden würde. Außerdem, wenn sie wirklich so ein Wunderkind …“ „Kind des Nils!“ „… oder ein Kind des Nils wäre, dann hätten wir das doch bemerkt. So eine große Kraft kann doch gar nicht verborgen bleiben.“ „Doch, das kann sie.“ Dakar meldete sich zu Wort und sah Yami tonlos an. „In der heutigen Zeit nennt man diese Kinder Feen. Es ist wenig darüber bekannt, wie gewöhnliche Kinder so starke Magie einsetzen können, doch der Zirkel ist stark daran interessiert. Ich weiß nicht viel darüber, weil meine Fachstudien andere Schwerpunkte hatten, doch mein Meister sagte mir einst, wenn ich einer Fee begegne, solle ich einen Kampf vermeiden.“ „Seht ihr? Dakar hat mich bestätigt.“ Yami freute sich, dass er in diesem Detektivspiel endlich eine heiße Spur gefunden hatte. Er lief zu Yugi und packte ihn am Arsch. „HUA! YAMI!“ „Danke!“ Und entriss ihm das Handy. Er tippte schnell und hibbelte aufgeregt. „Yami, wen rufst du an?“ „Marik“ antwortete er und lächelte breit. „In unserem Fundus gibt es sicher Schriftrollen über Nilkinder. Ich glaube nicht, dass die Forschung nach meinem Tode eingestellt wurde. Vielleicht waren wir alten Ägypter der Zeit mal wieder voraus und … hey, Marik!“ Er wechselte das Ohr. „Hab ich dich geweckt? … Nicht? Du klingst so müde. … Ach so. Na ja, egal. Du musst mir einen Gefallen tun und ein paar Schriftrollen wälzen. Bitte such alles raus, was du in Zusammenhang mit Nilkindern findest. … Echt, habt ihr? Wow, euch ist langweilig, was? … Ja, mach mal.“ Er klemmte das Handy unter und nahm Yugi fröhlich in den Arm. „Marik sagt, die Grabwächter sind schon lange dabei, die ganzen Schriftrollen zu sichten und zu sortieren. Jetzt weiß ich auch, wozu du neulich so eine komische Genehmigung von mir haben wolltest.“ „Du erteilst Genehmigungen ohne zu wissen, wofür?“ fragte Yugi kritisch nach. „Ist doch nur Marik. Dem kann ich doch vertrauen. Hm? Ja, ich stehe neben Yugi. … Yugi, schöne Grüße.“ „Gruß zurück.“ „Gruß zurück. Und hast du was? … Oh.“ „Was?“ wollte Yugi jetzt auch wissen. Oh klang immer schlecht. „Marik sagt, er braucht ein paar Stunden.“ „Na ja, was hast du denn gedacht? Bei den vielen Schriftrollen?“ „Ist ja auch egal. Marik, wenn du was findest, kannst du dann herfliegen und die Rollen vorbeibringen? Aber nur die Abschriften, wenn du welche hast. … Weil ich nicht will, dass die Originale das Grab verlassen. Du hast doch Abschriften, oder? … Ja, siehste. Dann mach dich gleich an die Arbeit und sag bescheid, wann du fliegen kannst. Ich sage Noah, er soll dir ein Flugzeug schicken. … Ja, ist sehr wichtig. Und wenn du kannst, dann bereite doch schon mal ne Zusammenfassung vor. Den Rest arbeiten wir dann zusammen durch. … Ja, ist gut. … Kannst du nicht, ich habe mein Handy abgeschafft. Wenn was ist, musst du bei Yugi anrufen. … Ja, ist okay. Beeile dich, ja? … Mach ich. Hab dich lieb, tschau!“ Er klappte das Handy zusammen und ließ es wieder in Yugis Gesäßtasche verschwinden. „Marik sucht alles raus, was er zu Nilkindern finden kann und bringt die Sachen dann her.“ „Meinst du wirklich, dass Feli magische Kräfte hat?“ Nika wollte das nicht glauben. Die kleine, unscheinbare, schüchterne Feli sollte wirklich … nein, das passte überhaupt nicht zu ihr. „Warum denn nicht?“ meinte Yami, der das weniger abwegig fand. „Ey, da draußen fliegt ein Falke, der dieselbe Seelenkraft wie ein Magier hat. Warum sollte unsere Feli dann kein Nilkind sein?“ „Meinst du, sie hat das durch den engen Kontakt zu Magiern bekommen?“ fragte Yugi sich leise. „Yugischatz, Magie ist doch keine ansteckende Krankheit.“ „Ich meine, jeder Mensch besitzt eine gewisse Magie. Die einen mehr, die anderen weniger. Rein theoretisch kann jeder Mensch grundsätzlich ein Zauberer werden. Wenn Kinder nun engen Kontakt zu so starken Magiern wie unseren haben, meinst du, dass dadurch ihre eigene Magie sozusagen freigeschaltet wird?“ „Kann ich mir nicht vorstellen“ erwiderte Yami. „Soweit ich mich erinnere, wussten Nilkinder niemals darüber bescheid, dass sie Magie besitzen. Geschweige denn wie sie diese einsetzen sollten. Viel mehr entsprang diese magische Kraft aus einem starken Willen oder einem Wunsch heraus. Sobald die Kinder sich darüber klar waren, welche Fähigkeiten sie besaßen, war die Kraft schon wieder verschwunden. Ich weiß nicht, ob man später diese Kraft wiederbeleben konnte. Ich hoffe, dass in Mariks Überlieferungen etwas davon geschrieben steht. Meine Wissenschaftler haben gerade angefangen, die ersten Nilkinder auf die Probe zu stellen als ich leider dann schon gestorben bin. Aber sie haben sicher danach nicht aufgehört.“ „Wir können auch Arnor fragen“ schlug Yugi vor. „Dakar sagte doch, dass diese Kinder heute Feen genannt werden. Also ist das kein Phänomen, welches es nur in Ägypten gab. Vielleicht weiß er etwas darüber oder kennt jemanden, der was weiß.“ „Vielleicht sollten wir in einer anderen Richtung denken“ wandte Tato ein. „Wenn Feli tatsächlich diese Art Kraft besitzt und der Eindringling sie vor ein paar Tagen deshalb kidnappen wollte, dann müssen wir davon ausgehen, dass er nicht nur darüber bescheid weiß, sondern auch Verwendung dafür hat. Er würde Feli nicht haben wollen, wenn er sie nicht irgendwie benutzen könnte.“ „Das bedeutet?“ Und Tristan wünschte sich nur, er könnte hier irgendwie mitreden. Es war ein unschönes Gefühl, so abhängig von den anderen zu sein und nicht mal seine eigene Tochter oder seine Frau beschützen zu können. „Das bedeutet, wir müssen unsere Wissenslücken füllen“ sprach Tato mit entschlossener Stimme. „Solang wir nicht mehr darüber lernen, können wir die nächsten Schritte nicht planen. Ich schlage vor, dass wir sowohl Feli als auch Nika und auch Tristan unter meinen engen Schutz stellen. Sareth soll in der Zwischenzeit die Bibliothek nach magischen Büchern durchforsten. Sie ist gut darin, schnell viel Wissen aufzunehmen. Narla soll ihr helfen, denn sie kennt sich als Drachenjägerin mit fremden Magien ebenso gut aus.“ „Da will ich auch helfen“ meldete Yami sich sofort. „Ich kann auch sehr schnell sehr viele Informationen verdrahten.“ „Du und Papa, ihr bleibt besser hier bei mir“ verneinte Tato sofort. „Ich kann nicht auf euch aufpassen, wenn ihr in der ganzen Stadt verteilt seid und ich will nicht das Risiko eingehen, dass jemand einen ungeschützten Pharao erwischt. Wenn das okay für euch ist.“ „Wir haben wohl keine andere Wahl.“ „Och neeeee, Yugi!“ Yami brach zusammen. „Ich habe doch gar nichts gemacht, dass ich Hausarrest bekomme.“ „Nur solange bis wir wissen, was Sache ist“ tröstete der und klopfte ihm auf die Schulter. „Kannst Finn doch anrufen, dass er herkommt.“ „Aber wir wollten morgen auf den Jahrmarkt. Ich wollte Zuckerwatte kaufen.“ „Dakar, du gehst mit Onkel Noah und Joey ins Büro und passt da auf sie auf“ sprach Tato unbeeindruckt weiter. „Ohne Schutz eines Magiers oder Hexers sollte niemand von euch herumlaufen. Und Mokeph müssen wir auch sagen, dass er nicht ständig allein herumlaufen und dabei sein Handy ausmachen soll.“ „Was ist denn mit den dreien im Aquarium?“ hob Yami seinen Finger. „Die kriegen wohl keinen Hausarrest, was?“ „Ums Aquarium sind so viele Engel, da kommt keine fremde Magie durch. Glaube mir, das wäre der letzte Platz, an den sich jemand traut.“ Er verschränkte seine Arme und sah ihn beleidigt an. „Du kannst natürlich auch lieber im Aquarium herumsitzen und Amuns und Sethans Schweigen dokumentieren.“ „Sag das nicht so hart, sie machen sich auch nur Sorgen“ bat Yugi. Ja, das Aquarium war dieser Tage ein trauriger Ort. Amuns und Sethans Hilflosigkeit zu spüren, sorgenvoll durch die trennende Glasscheibe zu blicken und dem stolzen Priester beim Sterben zuzusehen - es war ein Ort voller Engel und doch voller Angst. „Das kam falsch rüber. Ich wollte nur sagen, dass ihr natürlich auch dort bleiben könnt, weil ihr da sicher seid.“ „Also, ich bleibe hier. Schon wegen der Kinder“ beschloss Yugi. „Aber ich will trotzdem täglich zu Sethos. Demjenigen, der es auf uns abgesehen hat, wird es nicht entgehen, wenn wir uns einschließen. Er weiß dann, dass wir ihm auf der Spur sind. Wir sollten deshalb möglichst so normal weiterleben wie möglich. Und das beinhaltet auch den regelmäßigen Besuch im Aquarium.“ „Ich hasse das“ fluchte Yami leise vor sich hin. „Ich dachte, in Blekinge sind wir sicher und bleiben ungestört.“ „Wo Pharaonen sind, bleibt es nie ruhig. Dafür seid ihr zu … anstrengend.“ „Das musst du gerade sagen, Tato“ hielt Yami dagegen. „Wer hat denn …?“ Doch seine Frotzelei wurde durch einen Kollaps unterbrochen. Mokuba war verdächtig ruhig geworden und kippte ohne Vorwarnung zur Seite. Das Bett war dort zu Ende und so wäre er auf dem Boden gelandet, wenn nicht Dakar gute Reflexe bewiesen und ihn aufgefangen hätte. „Er hat sich nur verausgabt“ beruhigte Tato, nahm Dakar den schlaffen Körper ab und legte ihn neben Nika aufs Bett. „Schattenbisse zu heilen, haut den stärksten Heiler um. Er hat wahrscheinlich gar nicht gemerkt wie erschöpft er ist.“ „Hättest du ihm das nicht sagen können?“ Yugi griff eine Wolldecke, setzte sich neben ihn und zog sie ihm über, damit er im Schlaf nicht auskühlte. „Er ist wohl nicht ganz fertig geworden“ stellte Nika fest und besah sich ihr Bein. Die klaffende Wunde war geschlossen, doch wo eine Narbe sein sollte, hatte sich ein hellgrauer, langer Fleck ausgebreitet. Wie abgestorbenes Gewebe sah es krank und blass aus. Doch mit dem Kringel um den Fußknöchel machte es fast einen kunstvollen Eindruck. „Das kann man nicht heilen. Damit musst du wohl ein paar Wochen leben“ erklärte Tato. „Ich dachte, Onkel Moki weiß, dass man Schattenmale nicht heilen kann. Selbst bei Sethos dauerte es Wochen bis die Zeichen verblasst sind.“ „Aber meins ist nicht schwarz so wie bei Sethos.“ „Einen schwarzen Schattenfluch hättest du auch nicht überlebt. Du bist nur ein Mensch“ war die schonungslose Antwort des Schattenmeisters. „Tut mir leid, ich dachte wirklich, er weiß das.“ „Na ja“ meinte Yami und blickte ihren erschöpft schlafenden Heiler an. „Spätestens jetzt weiß er’s wohl.“ „Er hat es zu gut gemeint. Typisch Heiler.“ Wow, sogar Dakar konnte sarkastisch sein. „Giftmagier mögen wohl keine Heiler was?“ grinste Yami ihn an. Darauf bekam er jedoch keine Antwort. Für heute hatte Dakar genug geredet. Chapter 12 Bevor jedoch die Sicherheitsvorkehrungen richtig ausgefeilt werden konnten, wurden sie bereits außer Kraft gesetzt. Bis spät in die Nacht hielten die Magier und Hexer eine Krisensitzung ab in welcher verschiedene Dinge beratschlagt wurden. Sollten sie den Rat der Alten Vier von Blekinge in ihre Probleme mit einbeziehen und das eventuell vorhandene Wissen nutzen oder die Sache im engen Kreise halten, um Mitwisser zu vermeiden? Sollten sie wie Yugi sagte einen möglichst normalen Tagesablauf beibehalten oder aus Vorsicht lieber in einer großen Gruppe bleiben? War es vielleicht sogar sinnvoll, die Pharaonen ins Aquarium zu bringen, um den Schutzwall der Engel für sich nutzen zu können? Und was war mit Feli, wie konnte man Nikas Problem lösen und sollte nicht auch Marik vorsichtshalber von einem Magier begleitet werden? Vielleicht sollte auch die Herberge erneut geschlossen werden, um keine Fremden anzulocken. Bei allem Nachdenken blieben nur wenige Feststellungen übrig. 1. Sie hatten ohne Seto und Sethos zu wenige Priester, um große Aktionen zu starten. 2. Über Nilkinder oder Feen war zu wenig bekannt, um die Schritte eines Entführers voraussehen zu können. Und 3. hatte der Schutz aller in der Gruppe oberste Priorität. Man beschloss Yugis Entscheidung zu berücksichtigen und vorerst Arnor um Hilfe zu bitten, da er das volle Vertrauen der Pharaonen besaß. Parallel würden sie Mariks Ankunft erwarten und die alten Schriften der ägyptischen Forschung durchsehen. Bis dahin sollte man nach außen nicht signalisieren, dass man einen bestimmten Verdacht hatte, sondern möglichst unscheinbar weiterleben. Nach diesen Schritten würde man nochmals neu nachdenken. Gleich nachdem man um drei Uhr morgens zu Bett ging. Noah war als Erster wach. Dachte er zumindest bis er unten im Restaurant Tato an der Bar sitzen und Kaffee trinken sah. Es war halb sieben Uhr und Hannes öffnete erst in etwa einer Stunde. Also musste er sich den Kaffee entgegen seiner Art selbst gemacht haben. „Guten Morgen“ grüßte Noah und weckte ihn offensichtlich aus tiefen Gedanken, denn Tatos Blick klärte sich erst nach Sekunden. „Morgen, Onkel Noah“ grüßte er dann zurück als Noah bereits bei ihm war. „Schon ausgeschlafen?“ „Ich teile das Bett mit zwei unruhigen Schläfern, die sich beide meiner Decke bemächtigen. Folglich ist das mit dem Ausschlafen so eine Sache. Ist noch Kaffee da?“ „Nee, das ist kalter von gestern“ antwortete er und schob angewidert den Becher von sich weg. „Machst du neuen?“ „Wenn überhaupt würde ich eher schwarzen Tee machen, aber weil du es bist, setze ich ausnahmsweise Kaffee auf.“ Dass er das eher deshalb tat, weil Tato so übermüdet aussah, ließ er unausgesprochen. Also ging er hinter den Tresen und suchte sich Kaffeefilter, -pulver und -kanne zusammen. „Und du? Warum bist du schon wach?“ „Ich habe gar nicht geschlafen“ erwiderte er und stützte das Kinn auf die Faust, während er ihm zusah. „Warum nicht? Wälzt dein neues Betthäschen dich auch wach?“ „Es ist wirklich ungewohnt, wieder mit jemandem gemeinsam im Bett zu schlafen“ seufzte er und schlug die Beine übereinander. Joey würde ausrasten - noch einer, der auf dem hohen Barhocker mit überschlagenen Beinen thronen konnte. „Aber wäre Phoenix nicht gewesen, hätte ich mich wahrscheinlich nicht mal hingelegt. … Ja … Onkel Noah, kann ich dich was fragen?“ „Ich hätte nicht gedacht, dass du mich mal was fragen musst“ lächelte er ihn kurz an, bevor er das Kaffeepulver einfüllte. „Meistens sind stille Wasser wie Phoenix unter der Oberfläche dunkel und tief und artenreicher als man denkt. Raubt dir das den Schlaf?“ „Mit meinem Freund komme ich schon klar und Probleme im Bett hatte ich noch nie. Ich habe was anderes auf dem Herzen und würde gern deine objektive Meinung hören. Du bist der einzige, den ich kenne, der immer objektiv bleibt.“ „Ich weiß nicht, ob ich dir wirklich hilfreich sein kann, aber ich will es gern versuchen.“ Er füllte das Wasser in die Maschine, kippte den Schalter um und lehnte sich auf die Theke Tato entgegen. „Was beschwert dich denn, Süßer?“ „Ich weiß nicht, ob ich dem gewachsen bin.“ „Ob du was genau gewachsen bist?“ „Dem Ganzen hier.“ Er breitete langsam seine Arme aus und verschränkte sie dann auf dem Tisch. „Gestern habe ich realisiert, dass sich alle auf mich verlassen, obwohl ich selbst völlig ratlos bin. Ich weiß nicht, was uns bedroht und ich weiß nicht, wer Nika oder Feli etwas Böses will. Ich habe die Pflicht, auf alle aufzupassen, aber ich kann meine Augen nicht überall haben. Natürlich kann ich Schutzzauber über alle legen, aber wenn einer gebrochen wird, bin ich vielleicht zu spät am Ort, um noch helfen zu können. Außerdem war ich noch niemals in Kontakt mit einer Magie, die ich nicht spüren konnte. Vielleicht passiert etwas, was ich gar nicht wahrnehme. Ich habe von meiner Pharaonin den Auftrag, Sethan beizustehen, aber ich tue alles mögliche außer das. Selbst als Sethos verletzt wurde, war ich nicht da, um einzugreifen. Ich weiß nicht, worauf ich zuerst achten soll, wem ich den Vorzug geben soll und wem nicht. Ich bin … vollkommen überfordert.“ Er fasste sich an die Stirn und sah die Platte des Tresens an. „Ich weiß nicht, ob ich dazu in der Lage bin, die richtigen Entscheidungen zu treffen.“ „Vermutlich wünschst du dir, dass ich dir auf die Schulter klopfe und sage, du schaffst das schon.“ Er legte ihm zwar die Hand auf die Schulter, aber nicht um zu klopfen. „Die Last kann dir aber leider niemand abnehmen, mein Großer. Du hast Recht, wir verlassen uns auf dich. Wir brauchen dich, weil du im Augenblick der führende Magier und einziger Priester bist. Auf dir lastet die Zukunft unser beider Zeiten.“ „Ich weiß. Deshalb bin ich so unsicher.“ Seine Stimme war flach und ohne Ton. Weinen konnte und wollte er nicht, aber ebenso wenig durfte er panisch werden. Er durfte sich jetzt keinen Fehler erlauben und keine Schwäche zeigen. „Du bist auch nur ein Mensch und Menschen sind sich oft unsicher und machen Fehler.“ Er nahm seine Hand fort und stützte sich näher zu ihm. „Von dir hängt im Moment viel ab und ein einziger Fehler kann fatal sein, das ist wahr. Ich kann dir keine Patentlösung anbieten, aber ich kann dir sagen, was ich denke und wo mir sicher auch alle anderen beipflichten.“ Er wartete bis Tato seinen blauen Blick hob und ihm in die Augen sah. „Du tust, was du kannst und alles, was in deiner Macht steht. Mehr kann niemand von dir fordern.“ „Es sind so viele Dinge passiert, die ich mir ankreiden muss“ beichtete er schweren Mutes. „Ich bin unkonzentriert. Ich sollte nach dem Entführungsversuch von Feli alarmiert sein, doch stattdessen kümmere ich mich um mein persönliches Liebesleben. Sethos liegt im Sterben, doch statt nach einer Rettung zu forschen, streite ich mich mit Balthasar. Er ist wie mein eigener Sohn und dass er mir die kalte Schulter zeigt, zieht mich doch mehr runter als es dürfte. Er redet nicht mal mehr mit mir und wenn er weiß, dass ich zu ihm will, verzieht er sich. Und selbst gestern. Ich hätte Onkel Moki sagen müssen, dass er nicht versuchen soll, das Schattenmal an Nikas Bein zu heilen, doch stattdessen lasse ich zu, dass er sich sinnlos verausgabt. Das und noch viel mehr sind Dinge, die einfach nicht passieren dürfen. Im Moment versage ich auf ganzer Linie.“ „Ich sage dir mal wie ich das sehe.“ Er stellte beiläufig den Zuckerstreuer wieder aufrecht hin, den Tato auf den Kopf gestellt hatte und wischte die weißen Körnchen elegant ins Waschbecken. „Wir sind alle noch am Leben. Selbst Sethos ist noch nicht tot. Sethan redet sowieso mit niemandem und solange er nichts von dir fordert, darfst du ihm auch nicht reinfunken.“ „Vielleicht sollte ich aber genau das tun.“ „So wie Sari bei Sethos reingefunkt hat?“ fragte er ernst. „Tato, wenn überhaupt jemand Sethan versteht, dann Amun-Re und ich glaube, die beiden haben ihren Plan bereits gemacht. Wenn sie dich woanders bräuchten, würden sie es dir sagen.“ „Aber ICH brauche Sethan. Er muss mir sagen, was ich tun soll. Deshalb bin ich Priester und nicht Herrscher. Er ist derjenige, der MICH anleiten muss - alles andere ist widernatürlich.“ „Ich kenne die Nini der Zukunft nicht, aber ich glaube nicht, dass sie dich an Sethans Seite gestellt hat, damit du irgendwelche Aktionen von ihm forderst.“ „Sondern?“ „Vielleicht damit du da bist bis Sethan mit Amun zusammenfindet. Du hast doch deinen Befehl von ihm bereits erhalten. Er will nicht, dass du dich einmischst. Das ist doch ein ausdrücklicher Wille.“ „Aber ich muss ihn beschützen. Er ist mein Neffe und ich liebe ihn über alles. Ich will ihn nicht mit alledem allein lassen. Nini sagte, ich soll auf ihn aufpassen.“ „Wenn er jemand anderes wäre, würde ich auch sagen: Geh zu ihm und misch dich ein. Aber genau wie die Pharaonen besitzt er ein Denken, das wir gar nicht nachvollziehen können. Die tun etwas, was über Fühlen und Denken hinausgeht. In ihren Köpfen herrscht irgendeine kosmische Energie. Das erkenne sogar ich. Und du hast bei Sethos doch gesehen, was passiert, wenn ein Außenstehender eigenmächtig aktiv wird. Wenn du meinen Rat willst, dann rate ich dir, nichts zu tun, was Sethan dir verbietet. Du kannst nicht viel mehr tun als wir auch. Nämlich ihm zu zeigen, dass du hinter ihm stehst und dass du ihn liebst.“ „Aber ich … ich muss an so vieles denken, Onkel Noah. Ich befürchte, dass ich hier an eine Grenze stoße und … wieder jemanden verliere, der mir wichtig ist. Wenn einem von euch etwas geschieht, weil ich unachtsam war … wenn Sethan etwas zustößt …“ „Tato, jetzt hör mir mal zu.“ Er zog die halb gefüllte Kanne aus der Maschine und füllte einen frischen Becher mit Kaffee. „Ich kann verstehen, dass dich unsere Situation belastet, aber du tust alles, was in deiner Macht steht. Sicher ist es dramatisch, wenn du einen Fehler begehst, aber selbst wenn …“ „Es sind so vermeidbare Fehler“ unterbrach er und nahm den heißen Kaffee entgegen. „Allein dass Onkel Moki gestern einen Kollaps hatte. Es wäre so vermeidbar gewesen.“ „Hey, der ist hart im Nehmen“ tröstete er und stellte die Kanne zurück unter den Tropf. „Außerdem hat er sich ja auch nicht bei dir beschwert, oder?“ „Das nicht, aber …“ „Es ist doch nichts weiter passiert. Du darfst das nicht dramatisieren, Schatz.“ Er ging herum, nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu ihm. „Hör mal, jedem passieren Fehler. Auch ihr Priester seid nicht davor gefeit. Doch bisher ist alles gut gegangen und an Sethos‘ Verletzungen hast du keine Schuld. Selbst wenn du dabei gewesen wärst, hättest du gegen Apophis nichts ausrichten können.“ „Ich hätte es aber versuchen können. Was wäre, wenn er Sethan angegriffen hätte? Das wäre unverzeihlich.“ „Selbst wenn“ beruhigte er und nahm seine Hand. „Selbst wenn dir ein schlimmerer Fehler unterläuft, so hast du es a) nicht absichtlich getan und b) hätte es auch kein anderer besser machen können. Selbst im Fall der Fälle macht dir niemand mehr Vorwürfe als du dir selbst. Alle wissen, dass du für jeden von uns an deine Grenzen gehst und dein Leben einsetzt. Mehr kann man nicht verlangen.“ Tato seufzte schwer, nahm den Becher und nippte und pustete den Dampf in die Morgenluft. „Das hilft mir irgendwie nicht weiter.“ „Ich will nur sagen, dass wir vielleicht nicht so viel von dir verlangen wie du. Du tust was du kannst und du tust es gut. Mach einfach so weiter und den Rest entscheidet das Schicksal. Wir können zwar die Zukunft verändern, aber gegen das Schicksal kann sich keiner wehren. Nicht mal du.“ Sie hörten Schritte auf der Treppe, drehten die Köpfe und unterbrachen ihre schwere Morgenkonversation. Noch jemand, der früh auf war, war Nika. Sie hatte in der letzten Nacht sicher auch kaum Schlaf gefunden, so fahl wie sie aussah. Doch dass sie jubelsingend herumtanzte, erwartete auch niemand. „Guten Morgen“ grüßte Noah und bemühte sich, eine möglichst normale Stimmung zu zeigen. „Schön, meine Sachen scheinen dir zu passen.“ Da Nika natürlich kein männliches Gepäck mitgenommen hatte, tat sich nach dem Blick in den Spiegel auch das Kleidungsproblem auf. Sie konnte ja nicht nur im Bademantel herumlaufen, doch Tristans Garderobe war ihr zu klein, da sie ein Stück höher und kräftiger war. Doch Tatos Klamotten waren ihr zu lang und zu weit. Mokuba war zwar in etwa gleichgroß, aber zu schlank und alle anderen Männer schlicht zu klein. Noah war der einzige, welcher in etwa ihre Statur teilte und er hatte auch nichts dagegen, seinen Kleiderschrank zu öffnen. Seine graue Sommerhose und das dunkelgrüne Poloshirt zählten zu seinen Freizeitklamotten, aber passten Nika ebenso wie seine neuen Stoffschuhe. Und auch wenn sie es nicht hören wollte, sah sie nicht so schlimm aus wie sie sich fühlte. Andere Männer würden gern so gut gebaut sein und so volles, brünettes, gelocktes Haar haben. Nikolas hatte zwar keine südländischen Wurzeln, sah aber dennoch aus wie ein Latinolover. „Danke“ murmelte sie und setzte sich neben Tato an die Bar. „Guten Morgen.“ „Morgen“ grüßte er ruhig zurück. „Wie fühlst du dich?“ „Dafür gibt es kein zivilisiertes Wort.“ Sie seufzte und rieb sich die Stirn. „Ich wünschte, ich würde mich krank fühlen. Dann hätte ich einen Grund, einfach im Bett zu bleiben.“ „Ich finde es gut, dass du heute aus dem Zimmer kommst“ notierte Noah. „Sich zu verkriechen, ist nicht der richtige Weg.“ „Etwas Sonnenlicht wird dir gut tun“ stimmte auch Tato zu. „Und unter Menschen zu sein, wird dich ablenken.“ „Ich werde das Feli erklären müssen“ fürchtete sie und wagte nicht aufzublicken. „Hast du sie gestern nicht mehr gesehen?“ fragte Noah und stellte ihr einen Becher Kaffee hin. „Mit Milch?“ „Bitte.“ Sie seufzte erneut, während Noah ihr etwas Milch eingoss. Ihre dunkle Stimme klang schwer, bedrückt. „Nein, Nika hat bei Mie geschlafen“ erklärte Tato. „Was hätte ich ihr denn sagen sollen? Hallo Püppchen, deine Mami ist jetzt ein Papi? Und das, wo sie endlich ihre Angst vor fremden Männern ablegt und jetzt kommt so etwas. Das versteht sie doch gar nicht. Sie wird Angst bekommen und weinen. Sie wird das Vertrauen zu ihrer Mami verlieren. Ich kenne sie doch!“ „Ich auch. Und Feli ist stärker als du denkst“ sprach Tato mit sicherer Stimme. „Sie hat ein starkes Herz und starkes Vertrauen zu Tristan und dir. Sie wird dein Herz erkennen, dich erkennen. Wenn du keine Angst hast, wird sie auch keine haben.“ „Auch einen Philosophen gefrühstückt, was?“ Sie rührte fahrig in ihrem Becher und war einfach nur deprimiert. Warum sie? Warum jetzt? Warum ausgerechnet das hier? „Entschuldige, ich bin nur …“ „Hab nix gesagt“ murmelte Tato und nippte an seinem Kaffee. „Wenn es dir hilft, mich mit bissigen Kommentaren zu bedenken, dann mach gern weiter. Ich habe ein dickes Fell. Und manchmal lasse ich mir das sogar gern gefallen.“ „Danke, aber so bin ich sonst auch nicht. Ich will nicht die falschen Leute vergällen.“ „Mach dir nichts draus. Testosteron steigert die Aggressivität.“ „Tato“ fluchte Noah leise herüber. Das war mal wieder sehr unangebracht. „Das mit dem Taktgefühl üben wir dann noch mal, Dr. Muto“ seufzte Nika und rührte noch immer ihren hellbraunen Kaffee um. „Wenn dann heißt es Dr. Dr. Muto. Außerdem gibt‘s doch nichts schlimmeres als wie ein rohes Ei behandelt zu werden. So bist du sonst auch nicht, Nika. Und jetzt hör endlich auf, den doofen Kaffee umzurühren, bevor ich ihn dir über den Kopf gieße.“ „Ich glaube, es ist besser, wenn ihr mich vorerst Nikolas nennt. Sonst wundern sich die Leute.“ Und mit diesem Entschluss nahm sie endlich einen Schluck von dem Kaffee, bevor sie ihn tatsächlich noch auf den Kopf bekam. „Willst du das wirklich?“ fragte Noah besorgt nach. „Natürlich. Nika ist ein Frauenname und im Augenblick bin ich alles andere als eine Frau.“ „Deine Seele aber hat sich nicht verändert. Es ist nur die Hülle.“ „In der Öffentlichkeit sehen die Leute aber nicht meine Seele und werden wenn überhaupt nur dumme Sprüche bringen. Ich will das alles nicht noch mal durchmachen.“ „Dennoch“ bat er und stützte sich zu ihr. „Schatz, so wie ich das verstanden habe, war Nikolas immer ein Schreckgespenst für dich. Willst du wirklich, dass wir dich so nennen? Ich meine, so schlimm ist ein Frauenname nicht.“ Dass er dabei an Edith dachte, wäre ihm fast rausgerutscht. Doch da Tato von seiner Tochter noch nicht ins Bild gesetzt wurde, verkniff er sich diesen Vergleich im letzten Moment. „Mit etwas Glück wird es ja nicht für immer sein. Ehrlich gesagt, ist es mir im Moment sogar lieber - allein, um nicht ständig etwas erklären zu müssen. Und ich bekomme nicht das Gefühl, dass ihr meinen Zustand ignoriert“ antwortete sie und schwenkte das hellbraune Gebräu, beobachtete den Strudel. „Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass jemand einen Weg findet, dieses Etwas rückgängig zu machen. Und wenn dem nicht so ist … dann muss ich irgendwann die Kraft finden, das alles …“ Doch sie konnte nicht weitersprechen, da Tränen ihre Stimme verstopften und den Kaffee versalzten. Die Kraft um erneut eine langwierige und schmerzhafte Umwandlung zu vollziehen, konnte sie derzeit nicht finden. Da blieb dieser Stunden nur die Hoffnung. „Ich bete darum, dass Sethos überlebt“ sprach Tato schwermütig. „Er wüsste sicher einen Weg, um dir zu helfen. Seine Weisheit fehlt uns sehr.“ „Nicht nur um seiner Weisheit willen vermisse ich ihn“ antwortete Nika und seufzte erneut tief und schwer. „Ich darf mich gar nicht beklagen. Er hat mehr zu erleiden. Wenn ich nur irgendwas tun könnte, um ihm … ihm etwas davon zurückzugeben, was er uns sonst gab.“ „Sei nicht traurig bei dem Gedanken an ihn“ bat Tato ernst. „Wenn du dich seinetwegen ängstigst, wirst du ihn kränken.“ „Wie bitte? Eher umgekehrt. Wenn ich im Sterben läge und sich keiner um mich sorgt, würde ich gleich freiwillig abtreten.“ „Das meine ich nicht. Sethos hat einen übertrieben großen Stolz.“ Und das sagte ausgerechnet der Tatodrache, während er mit dem Finger kleine Kringel in seinen Kaffeedampf malte. „Wenn wir vor Angst zittern und glauben, dass er sterben könnte, wird ihn das kränken. Er würde wollen, dass wir ihm vertrauen. Dass wir auf seine Stärke vertrauen und auf seine zähe Durchsetzungsart. Wenn wir ihm sagen, dass wir es für möglich halten, ihn sterben zu sehen … nein. Er will, dass wir an ihn glauben. Ich zumindest tue das und ich weine nicht eher um ihn, bevor es einen Grund gibt. Er kämpft, solange noch Leben in ihm ist. Und solange dürfen wir ihn nicht kränken.“ „Glaubst du?“ Sie blickte ihn zweifelnd an und fand es schwer, diese Gedanken nach zu vollziehen. „Es hört sich gemein an, aber wenn ich sterbe, würde ich schon wollen, dass ihr ein wenig traurig seid.“ „Er ist aber noch nicht gestorben. Diskussion beendet.“ „Tato, entschuldige bitte, falls das eine dumme Frage ist“ bat Noah und goss sich seinen schwarzen Tee mit brodelndem Wasser auf. „Du bist doch ein Empath. Kannst du nicht in Sethos hineinhorchen, ob er überhaupt irgendetwas um sich herum wahrnimmt? Ob er überhaupt wahrnimmt, dass wir ihn täglich besuchen?“ „Ich kann dir bei jedem Komapatienten sagen, ob er noch da ist oder nicht“ begann er eine leise Antwort. „Aber an Sethos gleite ich ab. Es ist als ob ihn eine emotionale Mauer umgäbe, die ich nicht durchstoßen kann. Ich finde keinen Zugang zu ihm. Vielleicht weil mir sein Denken und sein Fühlen fremd sind. Ich kann dir also nicht sagen, ob er uns wahrnimmt. Aber ich hoffe es sehr. Wenn er wieder da ist, wird er es uns wissen lassen.“ „Schade, dass Sethan nicht in andere Zukünfte blicken kann“ seufzte Nika nachdenklich. „Deine Zeit wurde doch schon sehr verändert.“ „In meiner Zeit war unsere Vergangenheit wirklich eine andere. Wir driften auseinander“ fügte er nachdenklich an. „Begonnen damit, dass die Zwillinge später auf die Welt kamen. Es gab keinen Dante und Mama hat niemals sein Herz verschenkt.“ „Was geschieht denn, wenn ihr zurückkehrt?“ fragte Noah vorsichtig. „Wenn wir eure Zeit so sehr verändern …“ „Wenn es unsere Version der Zukunft nicht mehr gibt, vielleicht lösen wir uns auf“ zuckte er mit den Schultern und trank noch etwas Kaffee. „Aber es ist doch vieles zum Positiven verändert. Dakar wächst bei Tea auf und Marie hatte bis jetzt eine unkomplizierte Schwangerschaft. Vielleicht kommt Phoenix gesund zur Welt. Und ihr habt Dante. Selbst wenn wir keine Zeit mehr haben, in welche wir zurückkehren können, behalten wir doch diese, in welcher unsere früheren Ichs existieren. Wenn wir in dieser Zeit nicht sterben, werden wir weiterleben. Und vielleicht gewarnt sein, vieles anders zu machen … besser Acht zu geben.“ „Weißt du, was ich mich gefragt habe“ brachte Nika rätselnd an. „Wenn Phoenix nun so früh geboren wird, seid ihr in einem ähnlichen Alter. Was meinst du, in wen du dich nun verlieben wirst?“ „Du meinst, ob ich mich in Risa oder ihn verliebe?“ Doch anstatt bei dem Gedanken an Risa betrübt zu reagieren, blickte er seine eigene Handfläche an, drehte seinen Ehering mit dem Daumen und lächelte. „Ich kann zwar meine eigene Zukunft nicht lesen, aber ich kann mir gut vorstellen, mit beiden zusammenzusein. Das wäre doch schön.“ „Vielleicht kommen auch Phoenix und Risa zusammen und du musst dir jemand neues suchen.“ „Glaubst du?“ Er zog die Augenbraue hinauf und blickte sie neckisch an. „Soll ich dich in die Klapse stecken? So unwiderstehlich wie ich bin?“ „Unausstehlich vor Narzissmus meinst du wohl.“ „Mein Narzissmus ist berechtigt. Wenn du mit mir geschlafen hättest, wüsstest du, warum ich für einen einzigen Partner eigentlich zu schade bin.“ „Ich glaube, meine Zukunft sieht keine Bettgeschichten mit dir vor. Tut mir leid.“ „Sicher? Ich habe schon einige ältere Frauen glücklich gemacht.“ „Ganz sicher“ lachte sie und hielt ihm beide Handflächen entgegen. „Kannst nachsehen.“ „Kann ich machen.“ Er stellte den Kaffeebecher hin, schnappte sich ihre rechte Hand und tat einfach mal einen Blick. Er konzentrierte sich sogar, fuhr mit der Hand etwas nach, wo nicht mal eine Falte war, aber für ihn irgendetwas ersichtlich. „Was siehst du?“ Eigentlich hatte sie das zum Scherz gesagt, aber vielleicht war die Idee gar nicht so dumm. Vielleicht konnte er wirklich etwas sehen, was in näherer Zukunft bevorstand. Sie hatte von Tristan gehört, dass die Magier aus der Hand lesen konnten. Und dass das bei denen kein Humbug war. „Soll ich dir wahrsagen?“ „Ja, wenn du das kannst.“ „Klar kann ich. Aber eine Sitzung bei mir ist nicht billig.“ „Ist dir ein Kuss als Bezahlung genug?“ „Wer weiß? Vielleicht erwartet mich ja doch noch etwas in deiner Zukunft“ lächelte er sie so charmant an, dass ihr unweigerlich warm wurde. Seit Tato wieder glücklich verliebt war, ließ er manchmal seinen Charme spielen. Und den Narzissmus konnte er sich durchaus leisten. Auch wenn sie ihm das nicht sagen würde. „Ich sehe, dass deine Tochter eine zentrale Rolle in deinem Leben spielt“ erklärte er und drückte seinen Daumen in die Mitte der Handfläche. „Normalerweise stehen Angehörige an den Fingerspitzen, aber Feli steht in der Mitte deines Handtellers. Das bedeutet, dass sie eine zentrale Rolle spielt. Sie lenkt dein Leben mehr als es für ein Kind typisch wäre.“ „Vielleicht, weil sie nicht meine leibliche Tochter ist.“ „Nein, sie setzt etwas in Gang. Diese Position bedeutet eine aktive Handlung. Feli handelt in deinem Leben. Kinder tun das für gewöhnlich nicht, sie sind passiv. Aber ich kann nicht sehen, welche Art des Handelns hier gemeint ist. Hm.“ Er verfolgte einen Weg bis zu ihrem Zeigefinger und strich sanft über die Spitze. Seine Augen verengten sich und zeigten ein kurzes Blitzen. Seine Lippen bewegten sich lautlos als würde er leise für sich etwas lesen. „Was ist? Was ist da?“ „Deine Hand ist überraschend“ argwöhnte er und blickte sie ernst an. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir das sagen soll. Bist du dir sicher, dass du weiteres wissen willst?“ „Ist es denn etwas schlimmes?“ „Zukunft kann sich ändern. Kann sein, dass deine Hand morgen anders aussieht. Vielleicht sollten wir es dabei belassen.“ „Nein, jetzt will ich es auch wissen“ setzte sie deutlich nach. „Was siehst du da?“ „Hier steht Tristan“ erklärte er und drückte ihren Zeigefinger bis er leicht rot anlief, als wolle er etwas Blut herauspressen. „Dass dein Mann an deinem Zeigefinger steht, deutet auf eine tiefe, feste Liebe hin. Aber neben ihm sehe ich eine Frau und ein Mädchen. Ein Kind.“ „Du siehst auf meinem Finger eine Frau und ein Kind?“ „Dieses Mädchen verbindet Tristan mit der Frau.“ „Kannst du bei der Frau irgendwas sehen? Bin ich diese Frau?“ „Diese Stellung ist für gewöhnlich ein Zeichen für zukünftige Babys. Dieses Mädchen ist mit ihm und der Frau verwandt. Blutsverwandt.“ Und dass sie mit Tristan keine Babys bekommen konnte, war ihr klar. Deshalb hatte er gezögert und sie gefragt, ob sie es wirklich wissen wollte. „Du meinst … er wird mir fremdgehen? Wird er mich verlassen, wenn ich ein Mann bleibe?“ „Darüber sehe ich nichts. Ein Seitensprung würde auch nicht auf deiner Fingerspitze stehen, sondern eher auf einer Falte der Handknöchel“ antwortete er, drehte ihre Hand und untersuchte ihren Rücken. Was recht schnell ging und er sich wieder der Innenfläche widmete. „Dein Handrücken ist leer. Es geschieht nichts hinter deinem Rücken und das wird es auch nicht. Dies bedeutet, du kennst die Frau und da sie auf deiner Fingerspitze thront, steht sie dir nahe. Hast du mal mit dem Gedanken gespielt, dein Sperma konservieren zu lassen, solange du ein Mann bist?“ „Was?“ Nein, das hatte sie nicht. Ganz und gar nicht. „Vor Dakars Geburt muss bei Tea eine ähnliche Konstellation gestanden haben, allerdings auf dem Handrücken. Doch bei dir sehe ich keinen Seitensprung. Keine Kränkung und keinen Betrug. Diese Verbindung könnte eine Leihmutterschaft bedeuten“ erzählte er weiter, während er auch andere Teile ihrer Hand betrachtete. Ihre Fingernägel, sogar ihre Handgelenke. „Ich sehe nichts darüber, ob Tristan eine Leihmutterschaft macht oder du. Bei künstlicher Befruchtung allerdings könntet ihr beide mehrere Eizellen befruchten und sie in eine Leihmutter geben. In diesem Falle wäre es Tristans Samen, aus dem ein Mädchen entsteht. Die Stellung dieser Frau allerdings“ fügte er hinzu und besah sich erneut ihre Fingerspitze. „Ihr kennt sie und du stehst ihr nahe. Wenn Tristans Samen eine Frau befruchtet, dann eine, die du schätzt und liebst. Aber wie schon gesagt.“ Er ließ ihre Hand frei und griff nach seinem Becher. „Morgen kann alles anders aussehen.“ „Ich habe mich damals gegen eine Samenspende entschieden. Ich dachte, es wäre falsch, mein Geschlecht zu ändern und trotzdem Kinder haben zu wollen“ erwiderte sie und besah sich ihre Hand, doch sie sah dort nur Falten und Abdrücke. „Vielleicht soll das bedeuten, ich soll meine Entscheidung revidieren. Das könnte die Chance sein, die das Schicksal mir zuspielt. Alles hat eine gute und eine schlechte Seite. Die schlechte ist, dass ich wieder ein Mann bin und alles noch mal durchmachen muss. Aber die gute ist, dass ich wieder eigene Kinder bekommen kann.“ „Ich kann dir nur das sagen, was ich sehe. Welche Schlüsse zu daraus ziehst, ist deine Sache. Es ist deine Hand und deine Zukunft. Ich bin Wahrsager und kein Lebensberater.“ „Danke“ murmelte sie und griff ebenso zu ihrem Kaffee und nippte daran. „Vielleicht ist diese Rückverwandlung wirklich eine Chance. Würdest du demnächst öfter in meine Hand sehen und es mir sagen, wenn sich etwas verändert?“ „So oft du möchtest“ lächelte er und stieß mit ihr an. „Auf deine Zukunft.“ „Auf die Zukunft“ seufzte sie und war ebenso verwirrt wie ermutigt. Momentan sah es so aus als würde Tristan doch noch eine leibliche Tochter bekommen - ohne Seitensprung, also mit ihrer Zustimmung. Aber noch hatte sie nicht über eine Leihmutterschaft nachgedacht, es könnte also auch ihre eigene Tochter werden, denn die Zukunft änderte sich ständig … sie würde darauf herumdenken und es beizeiten mit Tristan diskutieren. Und dann galt es noch, eine Leihmutter zu finden, was beileibe nicht leicht wäre. „Und du?“ schmunzelte Tato seinem Onkel zu, welcher recht nachdenklich wirkte und seinen Teebeutel zu lang schon schwenkte. „Ich?“ horchte er auf und zog endlich den Beutel heraus. „Was soll sein? Ich wünsche Nika natürlich auch alles Gute.“ „Du meinst Nikolas.“ „Oder so. Klar.“ „Ich meinte, ob du auch Fragen an deinen spirituellen Neffen hast“ lachte er und reichte ihm die Hand. „Willst du wissen, was die Zukunft für dich bereithält?“ „Eigentlich weiß ich das lieber nicht im Voraus. Aber eine Frage hätte ich schon.“ „Dann stelle sie und ich sehe, ob es dazu etwas gibt.“ Er nahm die fein manikürte Hand, strich einmal ganz darüber und blickte ihm dann in die Augen. „Ich sage dir nicht mehr als das, was du wissen möchtest.“ „Sag Moki nichts davon“ bat er um Voraus und stützte sich mit dem Ellenbogen auf die Theke. „Ich wüsste gern, ob es in nächster Zukunft Streit zwischen uns gibt. Ein Missverständnis oder sonst irgendwelche Spannungen.“ „Ist ja eine ungewöhnliche Frage.“ Er zog seine Stirn in Falten und blickte seine Hand an intensiv an. „Sagst du mir den Grund?“ „Nein. Sag mir nur, was du siehst.“ „Gut.“ Er verfuhr ähnlich wie bei Nika. Er prüfte die Falten der Hand und betrachtete sich scheinbar unwichtige Stellen sehr genau. Auch blickte er seinen Zeigefinger an, doch zwinkerte verwundert mit den Augen, besah sich die Beuge des Daumens und seine Nägel, den Handrücken und die Zwischenräume der Finger. Noah wartete geduldig bis er sich ein Bild gemacht hatte und schlussendlich antwortete. „Ich weiß, du willst es nicht wissen, aber es gibt in deinem Leben in nächster Zeit keine großen Rückschläge“ begann er, bevor er zur Antwort kam. „Ich sehe keinerlei Zwist zwischen Onkel Moki und dir. Eher im Gegenteil. Ich sehe ein sehr erfülltes Sexualleben. Die Falten hier“ zeigte er auf die Rückseite des Daumens, „stehen für noch unentdeckte Leidenschaften, welche in dir geweckt und erfüllt werden. Außerdem ist da noch etwas, was mir ungewöhnlich extrem erscheint.“ Er drehte Noahs Hand und fuhr über den Abdruck seines Daumens, wo eine tiefe Kerbe stand. „Tato, ich möchte nichts wissen, was nicht mit Moki zu tun hat.“ „Keine Sorge. Sicher ist dir das hier schon mal aufgefallen. Dieser lange Teil ist deine Partnerschaft. Für gewöhnlich stehen wie bei Nikolas Angehörige auf den Fingerspitzen. Meistens auf dem Zeige- oder dem kleinen Finger. Aber Onkel Moki steht sehr dominant auf deinem Daumen. Der Daumen ist unverzichtbar, damit die Hand greifen und packen und Werkzeuge verwenden kann. Onkel Moki dominiert dein Leben so stark, dass du ohne ihn so nutzlos wärest wie eine Hand ohne Daumen. Das sieht man selten und es deutet darauf hin, dass du dich in deiner Partnerschaft sehr stark dominieren lässt. Das habe ich bisher nur bei Mama gesehen.“ „Das ist ja kein Geheimnis“ schmunzelte Nika von der Seite. Seto und Noah waren beide sehr starke Charaktere, geradlinig und eigenwillig. Doch beide ließen sich in ihrer Partnerschaft beherrschen. Nur konnte Seto das weniger gut verbergen als Noah es konnte. „Also kein Streit?“ wollte Noah erleichtert wissen. „Nein, kein Streit. Deine Partnerschaft ist gefestigt. Sogar Dante steht brav auf deinem Zeigefinger. So wie es sich für Kinder gehört. Dies bedeutet, dass die Zukunft für euch drei Stabilität und Harmonie bereithält. Und wie gesagt, wirst du in Zukunft dein Sexualleben aufpeppen. Aber auch das bezieht sich allein auf Onkel Moki. Du solltest ihm also vertrauen, wenn er neue Ideen aufbringt.“ „Ich wollte nichts wissen, was nicht zu meiner Frage gehört.“ „Natürlich, entschuldige. Obwohl er sehr eifersüchtig ist, steht kein Misstrauen zwischen euch. Keine Missverständnisse und keine Probleme, weder auf emotionaler noch physischer Ebene. Du musst ihm die Vertrauensfrage also nicht stellen.“ „Wunderbar“ dankte er und bekam seine Hand zurück. „Das hatte ich gehofft.“ „Sagst du mir jetzt, warum du dir Gedanken über Streit zwischen euch machst?“ fragte er und trank seinen Kaffeerest in einem Zug leer. „Wie gesagt, bitte noch kein Wort zu ihm“ bat er und nahm den leeren Becher, um ihn nachzufüllen. Er hatte sich damit abgefunden, heute Morgen den Barkeeper zu mimen. „Wenn du dir Sorgen über Streit machst, hat das mit Mokis Eifersucht zu tun“ mutmaßte Nika und schüttete selbst noch etwas Milch in ihren Becher. „Du sagst es. Ich habe mich die letzten Tage mit einem überaus hübschen und berühmten Male-Modell getroffen und er weiß nichts davon.“ „Ei“ guckte Tato und nahm seinen neuen Kaffee entgegen. „Du bist ja mutig.“ „Und dieses Modell stößt mich nicht von der Bettkante“ fügte er hinzu. „Ich kann auch nicht behaupten, dass mir dieses Knistern missfällt, aber ich würde niemals auf seine Angebote eingehen. Doch ich ahne, wenn ich meinem Betthäschen davon erzähle, wird es keine Begeisterungsstürme geben.“ „Keine Begeisterungsstürme“ wiederholte Nika. „Du neigst zur Untertreibung.“ „Ihr werdet euch jedenfalls nicht streiten“ wiederholte der Wahrsager. „Und der gute Sex kommt aus der Partnerschaft. Also, jedenfalls sagt deine Hand …“ „Nein, ruhig“ bat er und hob die Hand, bevor er weitersprach. „Ich will nichts davon hören. Ich weiß lieber nichts von meiner Zukunft und ich weiß nun schon mehr als genug. Du weißt, dass ich eigentlich kein …“ „Pscht“ machte Tato und hielt ihm die Handfläche entgegen. Er spitzte seine Ohren und lauschte, doch für Noah und Nika war nichts zu hören. Nur der Autoverkehr, welcher draußen allmählich erwachte. „Was ist denn? Ich …“ „Onkel Noah, sei mal ruhig.“ Tato horchte noch immer. Seine Augen wanderten unstetig durch den Raum und verrieten nur, dass irgendetwas nicht stimmte. Irgendetwas störte seine Stimmung. „Hört ihr das nicht? Dieses Sirren?“ „Sirren?“ Nein, sie hörten beide nichts. Jedenfalls nichts ungewöhnliches. Mit einem Knacken öffnete sich das Fenster und ließ die lauschende Nika vor Schreck fast vom Stuhl fallen. Doch es war nur Laertes, welcher auf leisen Schwingen hereinsegelte und auf Tatos ausgestrecktem Arm landete. Ganz entgegen seiner Art pfiff er nicht oder gurgelte oder machte sonst irgendwelche lustigen Mätzchen. Er war ganz leise und kletterte seinem Herren auf die Schulter. „Was ist denn?“ flüsterte Noah, dem das nun unheimlich wurde. „Ich weiß es nicht. Der Ton ist verschwunden, aber irgendwas liegt in der Luft“ erwiderte Tato und strich nachdenklich über die Krallen seines Falken. „Laertes spürt es auch. Aber ich kann nicht spüren, was es …“ Als nun jedoch auch noch ein einzelner Schatten vom Fenster herein, über den Tisch auf den Boden floss und dann die Treppe hinauf flitzte, ahnte er, was Sache war. „DIE PHARAONEN SIND WEG!“ „Tato!“ Die beiden sahen ihn noch aufspringen und die Treppe hinaufstürzen. So schnell, sie konnten ihm kaum folgen. Unglaublich, dass sich ein so großer Mann so schnell bewegen konnte. Laertes hielt sich auch mit Schnabel und Krallen an ihm fest, damit er nicht herunterfiel. Eilig liefen sie ihm nach, hasteten die Stufen hinauf und ehe sie es sich versahen, durchliefen sie eine Mauer. Nein, keine Mauer. Eher eine Luftsäule. Es war ein leichter Druck zu spüren. Kein Windstoß, jedoch ein ähnliches Gefühl wie wenn man die Lüftung eines Kaufhauses durchquerte. Nun ja, durchrannte und dann vor sich nicht die Parfümerieabteilung fand, sondern einen beengend weiten Raum. Umgeben von schwarzen, glatten Schieferfelsen, welche im kalten Licht matt schimmerten und der Untergrund war ebenso beschaffen. Welche Weite dieser Raum maß, ließ sich schwer sagen. Es war eine optische Täuschung. Beim ersten Hinsehen schienen die hohen Wände nicht mehr als drei oder vier Meter voneinander entfernt, sodass man Angst hatte, gegen sie zu laufen oder erdrückt zu werden. Doch bei einem anderen Blick schienen sie so unendlich weit entfernt, dass es einen Tagesmarsch brauchte, um ihr Ende zu erreichen. Es war ein Schock. Eben noch saßen sie gesprächig beim Morgenkaffee und nur Sekunden später hatte sich alles geändert. So schnell, dass man sich nicht darauf hätte einstellen können. Einzige Orientierung waren die Personen, welche sich hier bereits befanden. Nur ein paar Schritte entfernt, standen Yami und Yugi zusammen und hielten Nini in ihrem Arm. Alle drei im Schlafanzug oder wie Yami nur in Jogginghose, jedoch von klein Tato keine Spur. Dafür war der alte Tato schon vor Ort und stellte sich schützend mit dem Rücken zu ihnen. Ebenso wie Sareth, welche in ihrem seidenen Nachthemd die Gruppe gerade erreichte und sich auf die andere Seite stellte, sodass sie und ihr Vater einen schützenden Wall um die Pharaonen bildeten. Nika und Noah drehten sich um. Dort wo sie eben hereinkamen, war nun keine Spur mehr von einem Portal oder irgendeinem Anzeichen, dass ein Ausgang wartete. Ringsum nur diese unübersichtlich hohen Felsen, zu glatt um daran hinaufzuklettern. „Kommt her! Los!“ Wies Tato an und pustete sie mit einem Windstoß in seine Richtung, sodass Nika gegen ihn prallte und Noah gegen Yami. „Bleibt zusammen.“ „Was ist denn das hier?“ wollte Sareth kurzatmig wissen. „Papa, wie sind wir hier hergekommen?“ „Ja, Papa. Das wüsste ich auch gern“ meinte eine Stimme. Von links kamen Mokeph und Dakar zu ihnen. Ebenso geweckt, da beide nicht wirklich stadttauglich angezogen waren und vor allem Mokephs Haare in alle Himmelsrichtungen abstanden. Dakar trug nur eine leichte Pyjamahose und Mokeph gar nur schwarze Unterwäsche. „Schattenreich. Hier waren wir ja lange nicht.“ Auch Narla erschien plötzlich im Raum und blickte sich verwundert um. Barfuß und im weiten, vollkommen unerotischem Schlafshirt mit Zahnpastaflecken. Selbst Mokuba saß auf dem Boden und blinzelte geweckt den Schrecken weg. Er hatte sogar noch seine Bettdecke in der Hand, welche er planlos ansah. „Komm, steh auf. Wir sollten zusammenbleiben“ sammelte Mokeph ihn vom kalten Untergrund auf und hievte ihn auf die Beine. Er zog ihn mit sich zu den anderen, damit sie schnell zur schützenden Gruppe kamen. „Was ist denn? Ich habe doch geschlafen“ murmelte er, während er gnadenlos mitgeschleift wurde. Erst nach ein paar Schritten, kam die Klarheit. „Verdammt! Wo ist Dante?“ rief er und schmiss die Decke hin. „Er lag doch eben noch neben mir! Was soll das?“ „Wir sind ja exquisit ausgesucht“ stellte Narla fest und sah sich um. Außer den nun Anwesenden erschien niemand mehr. Auch nach einigen Sekunden nicht. „Seht ihr, dass nur wir Hexen und Magier hergebracht wurden?“ „Bis auf Nika und mich“ ergänzte Noah und nahm den geschockten Mokuba am Arm, zog ihn zu sich. „Verdammt! Machst du dir gar keine Sorgen, wo Dante ist?“ „Der schläft wahrscheinlich tief und fest. Hier sind bis auf Nika und mich nur magische Menschen.“ „Ihr seid mir nachgerannt. Vielleicht ist das bei euch Zufall“ überlegte Tato und sah hinauf. „Das hier ist das Schattenreich, aber ich sehe keine Schatten.“ „Ich will wissen, wo Dante ist! Scheiße noch mal!“ „Beruhige dich“ sprach Noah ernst. „Panik hilft uns nicht weiter.“ „Wenn hier nur magische Personen sind, fehlen Babytato und Babydakar“ zählte Yugi nochmals durch. „Ich habe ein dummes Gefühl bei der Sache. Lasst uns zusehen, dass wir hier rauskommen und die Babys finden.“ „Hier sind keine Schatten“ wiederholte Tato nochmals nachdrücklich. „Solange ich keine Schatten sehe, kann ich dir keinen Weg hinaus zeigen.“ „Die Pharaonen können das Schattenreich auflösen und uns sofort wieder zurückbringen“ schlug Sareth vor. „Schlechte Idee, Schatz“ hielt ihr Papa dagegen. „Wir werden unter Garantie gerade beobachtet. Wir kennen unseren Gegner nicht und wenn wir jetzt auch noch Pharaonenenergie freisetzen, wissen wir nicht, wie sich das auswirkt. Vielleicht erwarten sie genau das. Und wir sind alle gemeinsam hier, damit niemand von außen eingreifen kann. „Ich habe zwei Theorien“ wartete Sareth sofort auf. „Entweder sind wir hier hergebracht worden, um von den anderen ferngehalten zu werden. Oder man hat es auf uns abgesehen.“ „Hoffen wir zweiteres. Hier kann ich euch beschützen. Die anderen wären hilflos.“ „Papa?“ Ein kleines Stimmchen kam aus Yugis Armen und Nini legte die Hände um seinen Nacken. „Warum sind wir nicht mehr im Bett?“ „Mach dir keine Sorgen, Schatz. Du hast nur einen komischen Traum.“ Er fasste Tato am Arm und sagte ihm damit alles. Nini sollte, was auch immer geschah, nicht zusehen. Sie war noch viel zu klein, um das Schattenreich kennen zu lernen. „Papa checkt die Lage“ erklärte Sareth kurz und drehte sich zu Nini herum, legte ihr ganz leicht die Hand auf den wuscheligen Kopf. Es war ein leises Seufzen von der Kleinen zu hören und ein langgezogenes Ausatmen. „Phapha …“ „Es ist alles prima, Mäuschen. Mach die Augen zu und kuschele dich an mich.“ Ob sie ihn gehört hatte, wusste er nicht. Sie schlief, bevor sie es selbst merkte und würde hoffentlich nicht aufwachen, bevor die Lage unter Kontrolle war. „Okay, was machen wir jetzt?“ begann Narla die Diskussionsrunde. Sie knetete die Hände und war für jeden Kampf bereit. „Was ist das für ein Sirren?“ „Sirren?“ Yami sah Sareth an und spitzte die Ohren. „Ich höre kein Sirren.“ „Doch, ein Sirren. Es wird lauter. Wie … wie eine Trillerpfeife. Davon bin ich eben aufgewacht.“ „Alles okay? Du siehst so …“ „Aahh … das tut weh.“ „Ich weiß auch nicht, was das ist, aber ich hasse es“ pflichtete Tato ihr bei und schüttelte den Kopf, legte sich die Hand über die Ohren. „Ah, Shit.“ Auch Sareth machte einen Laut des Schmerzes und hielt sich die Ohren. Ihre Augen wurden rot und ihr Gesicht verzerrte sich. „PAPA! WAS IST DAS?“ „Ich höre nichts!“ beteuerte Yami und sah sich um. Auch die anderen zuckten mit den Schultern. Wie es aussah, tat diese Stille nur Sareth und Tato weh. Sehr weh. „Ich höre es auch, aber nur leise“ antwortete Narla und trat nervös von einem Bein aufs andere. „Drachen hören im Ultraschallbereich. Töne, die das menschliche Ohr gar nicht wahrnimmt. Wie Elefanten oder Wale oder Fledermäuse.“ „ICH HASSE DAS!“ fluchte Tato, riss die Arme runter und schickte einen singenden Wirbel in die Ferne. Er traf zwar nichts, aber es hielt es nicht aus. Sein Gesicht war knallrot, seine Augen blutig. Dieser Ton quälte ihn so sehr wie Sareth, welche in Noahs Arme stürzte und vor Krämpfen zitterte, wimmerte und ächzte. Es quälte sie wahnsinnig. So sehr, dass bereits ihre Nase blutete. „Es kommt durch die Luft“ sprach Dakar mit seiner leisen, wispernden Stimme. Er leckte sich über die Lippen und seine schwarzen Augen huschten von einer Stelle zur nächsten. Er hörte es nicht, doch er spürte die Schwingungen. „Ah! Aaahh!“ Tatos Knie gaben nach und er verschloss sich die Ohren. Nur mit Mühe hielt er sich auf den Beinen und Laertes hatte ebenso Mühe, sich auf ihm zu halten. „Tato! Es kommt durch die Luft!“ wiederholte Yami. Hoffentlich laut genug, dass er ihn trotz des schrillen Tones hörte. „Bilde ein Vakuum um uns herum! Dann überträgt sich der Schall nicht mehr!“ „ICH KANN NICHT DENKEN!“ schrie er ihm entgegen, Blut tropfte aus seinem Mund. Er sah aus als würde sein Kopf jeden Moment explodieren. „Ein Vakuum! Bilde ein Vakuum!“ schrie er, packte ihn an den Schultern und bewegte seinen Mund überdeutlich. „EIN VAKUUM! LUFT ÜBERTRÄGT SCHALL! BILDE EIN VAKUUM!“ Er antwortete zwar nicht, aber mit aller Kraft machte er sich gerade, widerstand den Schmerzen und nahm sogar die Hände herunter. Ein Meisterstück seiner Selbstbeherrschung, denn seine Tochter hatte begonnen zu schreien und war außer sich. Sie war noch lange nicht so kräftig wie er und litt unter diesen Qualen. Schnell griff Mokeph nach dem Falken, bevor der Kleine in die Schusslinie geriet. Blut lief aus Tatos Ohren, seiner Nase und auch seine Zähne waren blutig. Dieser Ton raubte ihm den Verstand, Sareth wurde in diesem Moment bereits ohnmächtig. Jetzt war es klar: Man hatte es auf sie abgesehen und nicht auf die anderen. Tato taumelte ein paar Schritte vor und schwang die Hände durch die Luft. Er drehte sich um sich selbst und ein Luftsog war zu spüren, ebenso wie ein lautes Knacken in den Ohren ertönte. Er bewirkte eine Veränderung des Luftdrucks. Dass er sich selbst nicht die Luft zum Atmen nehmen konnte, war klar, aber zumindest ein ringförmiges Vakuum um die Gruppe musste er formen, um die Übertragung des Schalls zu unterbrechen. Dann war es ruhig. Tato atmete hastig und schwankte, doch es war ihm anzusehen, dass er jetzt etwas entspannen konnte. Yamis Plan war aufgegangen. Der für ihn unhörbare Ton war nun auch für die Drachen und Dakar nicht länger wahrnehmbar. „Genial, Ati“ lobte Narla lächelnd. „Es ist weg.“ „Nicht ganz“ keuchte Tato und fasste sich an den Kopf, wischte sich das Blut mit der Hand weg. „Das, was den Ton verursacht hat, ist hier noch irgendwo. Wir müssen das …“ … Er musste, doch er konnte nicht mehr. Aus den unendlichen Weiten des Raumes … Chapter 13 Es ging zu schnell, Tato hatte gar keine Möglichkeit zu reagieren. Er war noch benommen von der akustischen Qual, konnte kaum gerade stehen und wurde mitten im Satz unterbrochen. Es dauerte nur einen Wimpernschlag und er ging mit einem heiseren Grunzen in die Knie. Um seine Brust schlangen sich hellbraune Seile, zogen sich zusammen und versagten ihm das freie Atmen. Mokuba eilte zu ihm, wollte sehen, ob er etwas tun konnte, doch bei seiner Berührung stürzte Tato zur Seite und lag zitternd auf dem Boden. „Oh Gott“ keuchte Mokuba und besah sich seine Hände. Tatos schwarzes Shirt war von Blut durchtränkt und so auch die heilenden Hände. „Tato, kannst du mich hören?“ Er versuchte einen Finger unter die Seile zu bringen, wollte einen Weg finden sie zu lockern, doch sie schnitten zu tief ins Fleisch und zogen sich mit jedem Atemzug enger. Tato stöhnte auf bei der Berührung des Heilers. Jede Berührung, jede Bewegung, jeder Atemzug war reiner Schmerz und zwang Mokuba, seine Hände zurückzunehmen. „Wo kam denn das her? Ich habe gar nichts gesehen!“ Narla umrundete die Gruppe, doch auch ihre geschärften Augen konnten nichts ausmachen außer weit entfernte Schieferfelsen. Mokuba versuchte verzweifelt, die Blutung an Tatos Brust zu stoppen ohne ihm zu große Schmerzen zuzufügen, doch wer auch immer sie angriff, der wusste, dass man mit diesen Magiern kein leichtes Spiel hatte. Tato bebte auf vor Qual, doch aus seinem Mund drang nur ein atemloses Fiepen. Seine Beine waren an den Fußgelenken von derselben Art Seil gefesselt und das dunkle Blut rann seine nackten Füße herab. Jetzt hatte man ihn gänzlich niedergesteckt. „SCHEISSE! WO KOMMT DENN DAS HER?!“ So würde Mokuba ihn niemals heilen können! Er zog ihm die schwarzen FlipFlops aus und legte seine Hände über die Fesseln. Fast im selben Moment quieckte die eigentlich ohnmächtige Sareth auf, krümmte sich zusammen und blieb wieder leblos in Noahs Armen liegen. „Mokuba!“ rief er erschrocken. Er hatte es nicht kommen sehen, wie auch sie an den Fußgelenken gefesselt wurde. Auch ihre Wunden bluteten und ihre zarten Gelenke knackten laut hörbar. „Ich weiß! Scheiße, ich weiß doch!“ Aber er konnte Tato schon kaum helfen. Ein Heiler war einfach zu wenig. Er allein war zu wenig. „Wer auch immer uns angreift, er kennt unsere Schwachstellen“ versuchte Narla nachzudenken. „Tretet zurück, ich lege einen Feuerwall um uns.“ „Warte! Spinnst du?!“ rief Yugi und hielt sie gerade noch zurück. „Wir müssen uns doch schützen!“ „Aber doch nicht mit Feuer! Um uns herum ist ein Vakuum. Wenn du einen Feuerring legst, geht uns die Atemluft aus.“ „Irgendwas müssen wir doch tun und ich kann nun mal nur Feuer legen! Meine Schamanenkräfte sind noch nicht so weit!“ „Ich sehe mich mal um“ flüsterte Dakar und trat mit tonlosem Blick ein paar Schritte zurück. „Sei vorsichtig“ bat Mokeph und kniete sich zu Mokuba herunter. Er legte Tato die Hand auf die Stirn und dann über seine Augen. „Ich betäube ihn und sehe, ob ich die Fesseln mit Säure auflösen kann. Versuche du, Sari wieder fitt zu kriegen. Wenn das mit der Säure klappt, befreien wir Sari zuerst.“ „Aber Tato ist schwerer verletzt.“ „Genau deshalb“ bekräftigte auch Yugi, der die schlafende Nini in seine schützenden Arme drückte. „Tato zu befreien und zu heilen, dauert zu lange. Bei Sari ist die Chance höher.“ „Dakar! Da!“ Yami zeigte auf einen Mann, dessen Umrisse er recht nahe bei ihm erkennen konnte. Nur ein paar Meter neben dem Giftmagier bewegte sich eine gedrungene Gestalt auf ihn zu, wich aber mit diesem Ausruf sofort zurück. Dakar reagierte und fauchte den unbekannten warnend an. Er sah gefährlich aus, wenn er seine scharfen Zähne entblößte und einen schneidenden Ton aus seiner heiseren Kehle spie. Nur eine Sekunde später sprang er auf den Unbekannten zu. Glich einer Schlange, welche sich eine fette Ratte zum Frühstück aussuchte. Er wusste nicht, dass genau dies sein Fehler war. Noch im Sprung, blitzte hinter ihm eine zweite Gestalt auf und in der Schnelligkeit war das Geschehen nur zu erahnen. Dakars Nacken knackte, ein halbrunder Gegenstand wurde ihm wie eine Halskrause an die Schultern geschleudert und zwang ihn auf den Boden. Die erste Gestalt streckte seine Hände nach ihm aus und ohne eine richtige Berührung, zwang er den Eingekesselten mit dem Rücken auf den Untergrund. Dort lag Dakar nun und bewegte sich nicht mehr. In seinem Nacken irgendetwas, was ihn lähmte. Wenn er könnte, würde er sich bewegen, doch er tat keinen Mucks. Also kannten sie auch ihn und seine Fähigkeiten. Wie eine Schlange hatten sie ihn am Kopf gepackt und solange sie ihn festsetzten, war er ungefährlich. Und dem Vorgehen der Angreifer nach zu urteilen, würden sie weder die Drachen noch die Schlange zum direkten Kampf auffordern. „So, jetzt reicht es mir!“ wetterte Narla. Sie hielt es nicht mehr aus, tatenlos zuzusehen wie alle Kämpfer der Reihe nach ausgeschaltet wurden. Mokeph war mit Tato beschäftigt und Mokuba versuchte es bei Sareth. Damit war sie die Letzte, welche noch kampffähig war. Narla holte aus und zielte auf die beiden Gestalten, welche sich aufeinander zubewegten. Beide Arme schleuderte sie in ihre Richtung - und eigentlich sollte damit eine Feuersbrunst auf die Feinde zurasen … doch nichts geschah. Narlas Angriff sah perfekt aus, nur das Feuer ließ auf sich warten. Verwirrt zog sie die Hände zu such und suchte nach einer Erklärung. Sie atmete geschockt ein und starrte zu den zwei Menschen, welche sich nun zu erkennen gaben. Es waren ein älterer Mann und eine junge Frau. Er war etwas kleiner als sie und leicht untersetzt. Weite, braune Hosen und ein aufgeknöpftes Hemd, welches irgendwann mal weiß war, aber jetzt nur noch grau und geknittert. Sein Gesicht wirkte wie ein schlaffer Ballon und die Tränensäcke waren selbst aus Metern zu erkennen. Sie war einen halben Kopf größer, trug ihr hellbraunes Haar zu einem Pferdeschwanz und war auch sonst mit Jeans und einem engen, dunkelgrünen Shirt recht unscheinbar. Beide sahen abgekämpft aus, dennoch mussten sie hochgefährlich sein, denn sie hatten binnen weniger Momente alle Kämpfer ausgeschaltet. „Meine Magie“ keuchte Narla und öffnete ihre Hände, ballte die Fäuste und öffnete sie wieder. „Meine Magie ist weg.“ „Hexenblocker. Sehr effektiv besonders bei primären Elementen“ antwortete die junge Frau. Ihre Stimme klang ähnlich wie Narlas. Kräftig und mutig und doch von einer gewissen Milde. „Wer seid ihr?“ forderte Mokuba zu wissen. Die Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Ihr habt jetzt zwei Möglichkeiten“ antwortete sie ohne auf seine Frage einzugehen. „Die Pharaonen treten alleine vor oder wir zwingen sie dazu.“ „Was wollt ihr von uns?“ fragte Yugi und bemühte sich sehr um eine ruhige Stimme. „Das ist der kleinere von beiden, Aitemu, mit der Prinzessin Ilani.“ Sie sprach zu dem Mann neben sich und nickte zu der Truppe. Dann flüsterte sie noch etwas, was nicht für fremde Ohren bestimmt war. Er antwortete ihr ebenso leise und währenddessen richtete sie ihren Blick wieder auf die Truppe, bevor sie fragte: „Wo ist der zweite Pharao?“ Yami stand zwar neben Yugi, jedoch schräg hinter Nika. Dennoch konnte man ihn nicht übersehen. Konnten sie ihn nicht sehen? „Ihr beiden!“ wiederholte sie und zeigte auf sie. „Wer von euch ist Atemu?“ „Ich!“ sagte Nika sofort. Was auch immer geschah, die Sicherheit der Pharaonen hatte Vorrang. Auf sie konnte die Welt verzichten, auf Yami nicht. „Was wollt ihr von mir und meinem Hikari?“ Der Mann flüsterte wieder etwas zu seiner jungen Begleiterin, welche seufzend den Kopf schüttelte. „Du hast Recht. Mach du das, ich bin zu wütend.“ „Du bist nicht der Pharao Atemu. Er ist es.“ Er sah Yami an, der sich dann auch nicht weiter versteckte, sondern mit strammen Schultern vortrat und seinem Blick furchtlos begegnete. „Ich weiß nicht, weshalb du kein goldenes Haar hast, aber über die Ähnlichkeit zu Pharao Yugi kannst du nicht hinwegtäuschen.“ Das war der Grund für die merkwürdige Frage. Yami hatte sich die Haare schwarz gefärbt und das verwirrte die beiden offensichtlich. Dennoch waren er und Yugi und auch Nini sich gegenseitig wie aus dem Gesicht geschnitten. Diese Ähnlichkeit fiel selbst einem Blinden ins Auge. „Was wollt ihr von uns?“ erwiderte er mit forscher Stimme. „Warum bringt ihr uns hier her und fügt uns Wunden zu? Wer seid ihr und woher kommt ihr? Sprich!“ „Ich will nicht den Fehler machen und lange mit euch sprechen, bevor ihr doch einen Weg findet, uns niederzuringen.“ Er ballte die Fäuste, sein Doppelkinn bebte und in seinen Augen sammelten sich Tränen. „Du bist schuld, dass meine Frau und meine Tochter tot sind. Und deshalb werde ich euch töten, damit der Schrecken endlich ein Ende hat.“ „Ich weiß nichts davon, dass jemand für mich gestorben ist.“ Yamis Stimme war nun weniger bedrohlich. „Dass du trauerst, tut mir leid. Aber ich habe nichts zu büßen.“ „Doch, das hast du!“ zischte die junge Frau ihn wütend an, bevor sie schrie und in Tränen ausbrach. „Dein Priester hat sie getötet! Nur weil sie ihm die Meinung gesagt haben, mussten sie sterben! Du bist dafür verantwortlich, dass täglich Menschen sterben und …!“ „Schatz, nicht.“ Der Mann legte ihr die Hand auf die Schulter. Bei ihm überwog die Trauer, nicht die Wut. „Wir haben nie mit allem übereingestimmt, was der Zirkel tat. Wir haben immer an die Rechtschaffenheit der Pharaonen geglaubt und sind für unsere Überzeugung eingetreten. Doch was Aleseus derzeit tut, stellt alles infrage. Er tötet Unschuldige und rechtfertigt es damit, alles sei zum Wohle des Pharaos.“ Tränen rannen über seine hängenden Wangen, während sie neben ihm mit den Zähnen knirschte. „Deshalb werden wir euch, die Pharaonen, töten und ihm den Grund für seine Schreckensherrschaft nehmen. Und wenn es unser eigenes Leben kostet, wir werden es beenden. Das ist der Grund, weshalb du und die beiden anderen nun sterben müsst. Sonst findet diese Welt keine Ruhe.“ „Ich stimme nicht im Geringsten mit dem überein, was Seth tut“ widersprach Yami, trat noch weiter vor neben Narla und zeigte, dass er sich nicht fürchtete. Auch dann nicht, wenn seine Situation ausweglos war und er selbst fast nackt vor den Feinden stand. Seine innere Größe schmälerte das nicht. „Ich habe ihn verstoßen, er ist nicht mehr mein Priester. Und den Namen Aleseus trägt er zu Unrecht. Ich will ihm Einhalt gebieten, genau wie du. Dem Morden und der Unterdrückung ein Ende setzen. Und wenn die Zeit reif ist, werde ich mich ihm entgegenstellen. Doch außer mir wird ihn niemand bezwingen und auch ich brauche Hilfe. Schließt euch uns an und helft uns, damit die Toten nicht umsonst sterben mussten.“ „Wir wollten nicht deine Meinung hören!“ schrie die junge Frau ihn wütend an. „Sei dankbar, dass du wenigstens weißt, warum du jetzt stirbst! Und alle anderen deiner Sippe werden wir auch töten! Damit niemals wieder jemand Rache nimmt!“ „Aber nichts anderes tut ihr auch“ entgegnete Yugi, welcher nur Nini zuliebe im Hintergrund blieb. „Ihr nehmt Rache an uns. Und wenn ihr uns tötet, wird jemand an euch Rache nehmen und auch für euch wird sich jemand rächen. Bleibt auf unserer Seite und kämpft dafür, diesem Teufelskreis ein Ende zu machen.“ „Wenn ihr uns tötet, wisst ihr nicht, was Seth tun wird“ versuchte Yami es den beiden verständlich zu machen. „Wir haben an die Pharaonen geglaubt, doch geholfen hat es uns nicht“ erwiderte der Mann. Die Trauer und die Reue über sein Vorhaben stand offen in seiner Mine. Yami und Yugi bekamen eine Ahnung davon, wie schwer Amun-Re es haben musste. Er setzte sich für die Menschen ein, riskierte und gab alles von sich, machte sich Gedanken und kämpfte. Und doch schimpften ihm die Menschen ins Gesicht und er sah, dass es niemals genug war. Yami wollte Seth Einhalt gebieten, nichts wollte er mehr als das. Dennoch enttäuschte er die Menschen und ihre Herzen wandten sich ab. Über all die Grausamkeit, die Verzweiflung und die Rache verloren sie den Blick für das, was ihnen helfen sollte. „Ich kann euch verstehen. Ich würde ähnlich fühlen wie ihr. Auch ich wäre verzweifelt und wütend, wenn jemand meine Familie zerstörte“ sprach Yugi und küsste Ninis schlafendes Gesicht. „Doch unsere Kinder sind so unschuldig wie eure. Bitte fügt ihnen nicht dasselbe Leid zu, wie man es euch zufügte.“ „Und deshalb werden wir niemanden von euch am Leben lassen. Auch eure Kinder nicht“ wiederholte die Frau mit Zorn in der Stimme. „Papa, lass uns das endlich zu Ende bringen.“ „Meine Tochter hat Recht. Es tut mir leid, aber die Pharaonen auszulöschen, ist der einzige Weg, diesen Schrecken zu beenden.“ „Aber es wird immer einen Pharao geben!“ versuchte Yami ihn erneut zu verdeutlichen. „Der Pharao ist von zentraler Bedeutung. Wenn wir es nicht mehr sind, wird die Erde einen neuen Pharao bekommen. Mit unserem Leben oder dem unserer Familie setzt ihr nichts ein Ende.“ „Papa!“ Sie ließ sich von dem Gelaber nicht einlullen. Sie wollte Rache für ihre Mutter und ihre Schwester. Sie wartete nur auf die letzte Entscheidung. „Es tut mir leid, Pharao Atemu. Ich habe dich immer bewundert, doch ich sehe keinen anderen Weg. Aber wir werden euch drei zuerst töten, damit ihr nicht mit ansehen müsst, wie wir eure Familie auslöschen. Das ist der letzte Respekt, welchen wir noch bezeugen können.“ „Du machst einen großen Fehler.“ Yami ahnte, dass er den Alten weichklopfen könnte. Dass er im Grunde ein vernünftiger und rechtschaffender Mann war. Doch seine Tochter brannte auf Rache und er würde mit ihr an der Seite schwer vom Gegenteil zu überzeugen sein. Und die Pharaonen waren so ganz ohne Schutz hilflos. Alle Kämpfer waren niedergestreckt oder blockiert. Tato und Sareth lagen gelähmt und blutend am Boden, Dakar konnte ihnen auch nicht helfen und die Hexen waren ihrer Magie verhindert. „Ich kann dich auch so verkloppen!“ Doch nicht mit Narla. Die war zäh und bissig. Das war das Drachenblut in ihr, welche sie die Fäuste ballen und warnend zusammenschlagen ließ. „Ich mach dich fertig, Schlampe! Trau dich und komm ran hier!“ Ghettobraut wie Joey sagen würde. „Atemu“ flüsterte Mokeph währenddessen zu dem hinauf. „Ich kann versuchen, meine Milleniumswaage zu aktivieren und ihn zu strafen. Deine ist eine Energie, die sie nicht blockieren können.“ „Nein. Das lockt die Schatten an und dann haben wir noch ein Problem. Wir …“ Seine leise Antwort wurde von einem schrillen Kreischen unterbrochen. Alle Gesichter, selbst die der Angreifer, wandten sich in den Himmel und erblickten zwei riesige, schwarze Flügel. Die Krallen und der Schnabel waren dunkelbraun und blitzten bedrohlich im kalten Licht dieser Welt. Ein prächtiger Adler mit voller Stimme und intensivem Blick. Seine nachtschwarzen Augen waren selbst aus dieser Höhe respekteinflößend. „Leikos!“ rief Narla zuerst. Das bedeutete Hoffnung! Laertes beantwortete den Ruf des Großen, flatterte von Mokephs Schulter und stieg mit lautem Krächzen in den Himmel. „Papa!“ Jetzt bekam die junge Frau sichtlich Bedenken. Wenn ein Greifvogel in diese Welt eindrang, bedeutete das immer auch die Anwesenheit eines überaus mächtigen Priesters. Und wenn der sie zuerst sah, half ihnen auch der Überraschungseffekt nicht. „Tules!“ rief der Mann so laut er konnte. „Bring sie jetzt zur Strecke! Beeile dich!“ Doch nichts geschah. Bis auf das Krächzen des kleinen Falken blieb es totenstill. Nur das fast lautlose Flügelschlagen des mächtigen Adlers begleitete die Anspannung. „Tules!“ rief nun auch sie und drehte sich um. „Wo bist du? Worauf wartest du noch?“ Dann ging es erneut sehr schnell. Von rechts schwirrte etwas auf Yami zu, er bemerkte es gar nicht, doch er hatte Glück. Noch in einiger Entfernung wurde das Etwas abgefangen und bewegungslos stand eine kräftige, hohe, zerfetzte Männergestalt zwischen den Angreifern und den Pharaonen. Langes Haar bis fast an die Knie, ein mächtiger Rücken und lange, muskulöse Gliedmaßen. „Sethos?“ flüsterte Yami erstaunt und gleichsam erleichtert. Die beiden Angreifer stellten sich enger zusammen und nahmen einander an den Händen. Welcher Blick auch immer auf sie gerichtet war, es ließ sie erzittern. Langsam drehte er sich herum. Doch nicht um Yami anzusehen, sondern um auf seine eigene, ausgestreckte Hand zu blicken. Rotes Blut lief bis zum Ellenbogen hinunter und tropfte auf den Boden, zerschnitt die Finger und das Handgelenk. Dieselben Fesseln, welche bereits die anderen Drachen niedergestreckt hatten. Eigentlich müsste er vor Schmerz schreien oder wenigstens leiden. Doch die eiskalt blauen Augen betrachteten die blutende Hand ohne Ausdruck. Der Angriff hätte Yamis Kehle treffen sollen, doch so trafen sie nur den Arm eines anderen. „Yugi!“ Mokuba deutete auf den Himmel. Dort hatte sich zu dem großen Schwarzen und dem kleinen Schreihals auch ein eleganter, weißer Schatten hinzugesellt. Ohne Ton segelte sie im kalten Licht und hielt die bernsteinfarbenen Augen gesenkt, beobachtete das Geschehen weiter unten. „Lady“ erkannte nun auch Yugi. Die Zeit blieb stehen. Das war nicht Sethos. Seine Kleidung war abgewetzt, die Beine der Hose ausgefranst und die Schuhe verloren. Das Hemd war bis zu den Oberarmen zerrissen und das lange Haar verworren. Die helle Haut war schmutzig und glänzte feucht. Doch die kalten Augen verrieten ihn. Auch wenn der schmutzige Vollbart seinem edlen Wesen einen Touch von Straßenbettler verlieh. Doch so sah Mann eben aus, wenn er runde drei Monate verschwand. Seto war nun zurückgekehrt. Keine Minute zu früh. Er hob seinen Blick von der verletzten Hand weg und ohne eine weitere Regung den anderen zurück. Sein Blick streifte über Yugi, über Nini und Mokuba, über Sareth und Tato und dann erst hinüber zu Dakar. Seine Nüstern zitterten wie die eines Raubtiers, welches Blut roch. Er war angespannt, auf dem Sprung und bereit, sich sofort zu wehren. Und gleichzeitig wirkte er hart, wie gefroren. „Papa, welcher von beiden ist das jetzt?“ Auch wenn sie leise sprach, so zitterte ihre Stimme, sodass ihre Frage zu laut klang. Im selben Moment schoss eine Speer aus Eis vom Himmel herab und rammte sich krachend in den Boden. Der felsige Untergrund splitterte und der Schall des Aufpralls hallte lang nach. Um das klare Eis herum wanden sich hellbraune Seile, zogen sich zusammen. Als wären sie lebendig quetschten sie das Gefrorene, doch konnten es nicht durchtrennen und pulsierten vergeblich, um Halt zu finden. Setos Sinne waren geschärft. Er sah die Fesseln kommen, egal wie schnell sie sein mochten. Sie würden ihn kein zweites Mal treffen. Setos Hand zeigte nach links und spie einen feinen Nebel aus Kristallen hervor. Ein Strahl feinsten Schnees sauste lautlos in die Ferne und traf dort eine dritte Gestalt. Der Umriss eines Mannes wurde erkennbar. Schlank, etwa mittelgroß. Mehr war nicht zu erkennen, denn er schlang die Arme um sich und ging in die Knie. Das Klappern seiner Zähne war zu hören und das Ächzen, mit welchem er gefroren zu Boden fiel. „Da ist es wieder! Das Sirren!“ Narla hörte es. Die junge Frau hielt einen Eisenstab in der Hand, etwa so groß und breit wie ein Finger und blies am oberen Ende hinein. Also doch eine Pfeife. Wie eine Hundepfeife war der Ton so hoch, dass Menschen ihn nicht vernahmen. Doch die Drachen quälte er bis die Ohren zerplatzten. Sie holte nochmals tief Luft, kniff die Augen zusammen und blies hinein, so stark sie konnte. So stark, dass sie selbst rot im Gesicht wurde. Doch Seto wandte nur langsam den Kopf zu ihr um und zeigte sich äußerlich kaum beeindruckt. Ebenso wie ihn die Blutfesseln nicht schmerzten, blieb auch der quälende Ton effektlos. Sicher fühlte er den Schmerz, doch das war etwas, was ihn nicht lähmte. Schmerz war für ihn eine natürliche, eine notwendige Empfindung und auch das beginnende Nasenbluten kümmerte ihn nicht. Er ließ das warme Blut einfach in seinen ohnehin ungepflegten Bart laufen. Er streckte langsam seine Hand aus. So langsam als sei er selbst gefroren, als würde er bei schnellen Bewegungen zerbrechen. Er spreizte die Finger und würde sie ebenso einfrieren, wie den Mann eben. „Nein, bitte nicht!“ Ihr Vater trat seitlich vor sie und zog ihre Hände herunter. Damit endete auch ihr Pfeifton. Seto stoppte in seiner Bewegung, doch hielt die bedrohliche Hand auf sie gerichtet. „Wir kapitulieren“ sprach er weiter und senkte demütig den Kopf. „In einem direkten Kampf mit Euch haben wir keine Hoffnung. Es ist euer gutes Recht, uns jetzt zu töten, doch ich weiß, die Pharaonen sind gütig. Bitte, wenn ihr Rache nehmen wollt, dann tut es an mir. Bitte verletzt nicht meine Kinder.“ Seto reagierte nicht. Er hielt noch immer die Hand auf sie gerichtet und es brauchte nur einen Gedanken und er würde sie ebenso qualvoll niederstrecken wie sie es mit seiner Familie getan hatten. Und in seinem schmutzigen Gesicht war von Milde nichts zu erkennen. „Es ist okay“ bat Yami und atmete tief durch. „Seto, lass sie gehen.“ Doch der rührte sich nicht. Seine eiskalten Augen waren noch immer auf die Fremden gerichtet, seine blutende Hand mit den verkrampften Fingern von sich gestreckt. Wer wusste, was in diesem Augenblick in seinem Kopf vor sich ging? Nur eine falsche Bewegung und er würde etwas schreckliches tun. „Seto, bitte.“ Wenn er nicht auf Yami hörte, dann hoffentlich auf Yugi. Der schluckte den ersten Schrecken über Setos abnormes Verhalten herunter und trat behutsam auf ihn zu. Er durfte ihn jetzt nicht erschrecken, denn die ausgestreckte Hand glich einem Finger am Pistolenabzug. „Bitte verletze sie nicht. Sie haben aufgegeben. Sei gnädig.“ Er kam neben ihm an und blickte von der Seite in sein Gesicht. Keine Regung zu erkennen, kein Gefühl oder ein Hinweis auf das, was ihn antrieb. Kein Anzeichen darauf, was aus ihm geworden war. Yugi wusste, es war ein Risiko, ihn wegzuschicken und er wusste, es konnte ihn verändern. Doch er hoffte, nein er glaubte daran, dass Setos Wesen immer ein sanftes sein würde. „Liebling“ hauchte er und hob die Hand, legte sie sehr langsam und nur federleicht an seine Schulter. Die Haut unter dem dünnen Baumwollstoff war kalt, so kalt wie sein Blick. „Sei gnädig. Ich bitte dich.“ Yugi und alle anderen zählten die Sekunden. Doch endlich rang er sich zu einer Entscheidung durch und senkte die Hand, sah damit auch von einem Angriff ab. „Ich danke dir“ flüsterte Yugi und blickte ihm in die Augen. Seto hatte ihm das Gesicht zugedreht und schaute herab. Seine Augen waren klar und arktisch blau, tief und unergründlich. Sein Blick ruhte still und regungslos wie ein Ozean bei Nacht. Yugi spürte, dass er mächtig geworden war. Sehr mächtig. „Was ist mit Tules? Was hast du mit meinem Bruder gemacht?“ erhob die Frau ihre Stimme und nahm ihren Vater am Arm. „Hast du ihn getötet? So wie ihr immer alle tötet, die euch im Weg sind?“ „Ulia“ warnte ihr Vater leise. Sie sollte die Güte jetzt nicht mit Dreistigkeit erwidern. „Geht und seht nach ihm“ bat Yugi. Während der Vater sich verbeugte, lief seine Tochter bereits zu ihrem erfrorenen Bruder. Yugi war jedoch sicher, dass Seto ihn nicht getötet hatte. Sein Engel würde niemals jemandem unnötig wehtun. „Seto!“ Mokuba sprang auf und war nicht halb so vorsichtig wie Yugi. Kaum hatten sich die Feinde verzogen, sprang er seinem großen Bruder in die Arme, umarmte ihn trotz der blutigen Hände. „Ich bin so glücklich, dass du zurück bist! Ich habe dich vermisst, Großer! Du glaubst gar nicht wie du mir gefehlt hast.“ Und seine feuchte Stimme untermauerte diese Behauptung. Seto legte ebenfalls den Arm um ihn. Langsam und bedächtig und hielt die verletzte Hand weiter vom Körper abgestreckt, um ihn nicht zu beschmutzen. Dennoch reagierte er auf die Freude seines kleinen Bruders und blickte tonlos auf sein noch verwuscheltes Schlafnest. „Seto, die anderen sind schlimm verletzt!“ Doch selbst Mokuba konnte sich nicht länger freuen, wenn die anderen am Boden mit Schmerzen kämpften. „Ich kann sie nicht heilen, solange diese Seile sich zusammenziehen.“ „Ja, die Fesseln kriege ich nicht los“ bestätigte auch Mokeph hilfesuchend. „Ich weiß nicht, was das für ein Material ist, aber es ist nichts natürliches.“ Seto bedachte niemanden mit einer Antwort, jedoch sah er sich das an. Seine zerfetzte Gestalt bewegte sich langsam und kniete vor Tatos blutendem Körper. Die kalten Augen schweiften über ihn, bevor er seine gesunde Hand ausstreckte und den Verletzten auf den Bauch rollte. Er rieb Daumen und Mittelfinger aneinander und formte ein kleines, glänzenden Blatt aus Eis. Die Kanten waren scharf, schärfer als alles, was in der Natur zu finden war. Wie durch weiche Butter schnitt er die Seile, welche fauchend auseinandersprangen und sich erst wie Gummibänder zusammenzogen und dann wie Würmer auf dem Boden ringelten. Es täuschte also nicht, diese Seile besaßen ein Eigenleben. Mit derselben Leichtigkeit schnitt er auch die Fußknöchel frei und im selben Moment zog Tato Luft in seine Lungen. Befreit konnte er wieder atmen, doch nur einen Augenschlag später verlor er das Bewusstsein. Seto hatte genau zwischen den Schulterblättern und den Knöcheln geschnitten, sodass er die Haut nicht noch weiter verletzte. Dennoch bildete sich eine Blutpfütze unter dem Bewusstlosen. „Weg da! Lasst mich Arzt, ich bin durch!“ Sofort eilte Mokuba zum Dienst und umfasste die Fußgelenke. Er rieb sie eifrig, massierte und strich die Verletzungen bis sie sich unter seinen Händen schlossen. Da Tato ohnehin bewusstlos war, musste er wenigstens auf eventuelle Schmerzen keine Rücksicht nehmen. Seto währenddessen kniete sich auch zu seiner Enkelin und schnitt die Seile durch. Genau an einer kleinen Lücke, wo die Fersen nicht aneinander rieben und ein rettender Spalt offenblieb. Er bemühte sich, ihr nicht noch weiter zu schaden, obgleich sie aus ihrer Ohnmacht nicht erwachte. „Was das hier ist, wissen wir auch nicht.“ Narla und Nika hatten Dakar herangeschleppt. Dieser war offensichtlich bei Bewusstsein, denn seine Augen bewegten sich. Nur sein Körper war gelähmt, wobei sich seine Knie von selbst etwas beugten und streckten. Um seine Schultern und den Nacken saß eine Krause aus bastähnlichem Material und dieses gab bei keiner Bewegung und keiner Berührung nach. „Ahhhuf dhhhhhen Bhhhahhhug.“ Tato war bei sich. Mokuba hatte seine Knöchel schnell geheilt und widmete sich nun der Brust, bevor er gleich den Rücken richtete. Jetzt musste er langsamer heilen, ihn vorsichtiger berühren, um nicht noch mehr Schmerz zu verursachen. „Was?“ fragte Nika noch mal nach. Tato sprach so leise, dass man ihn kaum verstand. „Aufhh dhhen Bhhauch“ wiederholte er, seine Stimme formte zu viel Atem. „Drehhhht hihn haufhh dhhen Bauhhch.“ „Wir sollen ihn auf den Bauch drehen“ wiederholte Narla und ließ Dakar auf den Boden nieder. Die beiden folgten Tatos Weisung und legten ihn mit dem Bauch nach unten. Kaum hatten sie ihn herumgedreht, kehrten seine Kräfte zurück. Er konnte selbst auf allen Vieren knien. Aus seiner giftigen Kehle fauchte er einen langen Atemzug und schlug wütend die Fäuste auf den steinigen Untergrund. Sicher nicht, weil er sich zu einem Gefühl wie Wut hinreißen ließ, eher weil er nach einem Ventil für seine Kraft suchte. Er zischte nochmals laut als auch schon die Halsfessel von ihm abfiel. Er sprang auf und brachte sich instinktiv in einige Meter Entfernung von diesem Teufelsding, das ihn gefangen hielt. „Bei manchen Reptilien ist das so“ erklärte Narla selbst überrascht. „Wenn man sie am Nacken packt und auf den Rücken dreht, lähmt es sie. Ich hätte nicht gedacht, dass das auch für Dakar gilt.“ „Ist sein kleines, geheimes Geheimnis“ setzte Tato hinzu und atmete erleichtert auf. Mokuba hatte seine Wunden zur vollsten Zufriedenheit behandelt und er weilte wieder unter den Lebenden. „Was macht meine Tochter?“ „Bewusstlos, aber sie atmet“ gab Noah Auskunft und übergab sie unter Mokubas Hände. Er machte genau da weiter, wo er bei Tato aufgehört hatte. „So ein paar Schnittwunden sind nicht das Problem“ erzählte der, während er ihre Knöchel festhielt und mit vorsichtigen Bewegungen darüberstrich. „Aber die haben sich echt ne fiese Stelle ausgesucht.“ „Die haben gewusst, was sie tun“ meinte Narla und kratzte sich am Kopf, wobei ihr Blick zur Seite fiel und dort noch immer Seto stand. Still und bewegungslos. „Guter Auftritt, Seto. Filmreif.“ Er wand langsam den Kopf und blickte sie an. Mit seinen kalten, tiefen Augen. „Na ja“ versuchte sie auflockernd auf diesen Blick zu reagieren. „Die Tussnelda kann vor dir niederknien und sich bedanken. Ich hätte sie nämlich wirklich … na ja …“ Da fiel ihr ein, wenn sie nun sagte, dass sie wirklich losgeprügelt hätte, könnte das bei ihm sehr dumm ankommen. Was Schläge anging, reagierte er sehr eigen und das wäre bei seiner merkwürdigen Stimmung wohl kaum zuträglich. „Also, weißt du …“ Half nur nichts, das Kind lag bereits im Brunnen. Er konnte zwar ihre Gedanken nicht lesen, doch sie hatte sich zu deutlich verhaspelt. Also drehte er sich um, setzte sich in Bewegung und ging. Wortlos, ohne noch einen Blick zurück. „Seto!“ Yugi hielt Nini fest an sich gedrückt, trabte ihm nach, doch als er neben ihm war, reagierte der nicht. „Was ist? Wo willst du hin? Musst du wieder zurück?“ Er nahm die Klinge, die er noch immer zwischen den Fingern trug und schnitt sich die eigenen Seile durch. Doch nicht ganz so vorsichtig. Seine Hand war eh hinüber, da tat ein Schnitt mehr oder weniger auch nichts mehr. Und Yugis besorgten Blick erwiderte er auch nicht. Eher hob er den gesunden Arm, was ein lautloses Kommando nach oben war. Lady segelte herunter und landete etwas holprig auf seiner Schulter. Und dass sie seinen Kopf gern als Stopper nutzte, hatte sich nicht verändert. Sie schien die einzige zu sein, welche keine Veränderung bei ihm feststellte. Kaum war sie auf seiner Schulter angekommen, blinzelte der täuschende Raum und brachte sie zurück ins Treppenhaus. Dort wo alles begonnen hatte. Als habe sich nichts verändert. Nichts bis auf Seto. Chapter 14 Yugi traute sich dennoch und ging seinem Liebling nach. Nachdem er sich versichert hatte, dass es auch Sareth gut ging, verschwand er in seinem Zimmer. Er sah, dass die Badezimmertür geöffnet war, aber dennoch musste er schnell nach seinem Sohn sehen, ob bei dem alles in Ordnung war. Zu seiner Erleichterung lag der Kleine schnarchend in Ninis Bett und hatte von all der Aufregung nichts mitbekommen. Yugi konnte also Nini in das von ihrem Bruder warmgehaltene Bett zurücklegen und sich um sein drittes Sorgenkind kümmern. Seto hatte mittlerweile die Dusche angedreht und als Yugi vorsichtig durch die angelehnte Tür kam, sah er die kaputte Kleidung fein säuberlich auf den Boden geworfen. Eigentlich gehörte sie eher in den Mülleimer oder wenigstens in den Wäschekorb, doch zum Nörgeln war jetzt ein schlechter Moment. Also sammelte er die Klamotten auf und linste durch die milchige Duschwand. Dahinter zog ein kühler Hauch vorbei. „Hallo Liebling. Ich bin reingekommen, ja?“ Er wartete noch einen Moment, doch er erkannte nur, dass der Angesprochene sein bärtiges Gesicht abschäumte. „Alles in Ordnung bei dir? Soll ich dich nicht lieber verarzten?“ Eine Antwort darauf durfte er auch nicht erwarten. Seto vollzog eine schwer rituelle, ja sogar meditative Waschung. Also seufzte Yugi und musste sich etwas anderes einfallen lassen. Behutsam musste er vorgehen bis er wusste, was Sache war. Er legte die schmutzigen und außerdem feuchten Klamotten extra nicht in den Müll. Seto könnte das als Kränkung oder Vorwurf verstehen. Also legte er sie nur zusammen und auf den Deckel des Wäschekorbs. Das ließ offen, ob er sie waschen oder wegschmeißen wollte. Außerdem suchte Yugi ihm Handtücher zusammen. Die extra weichen und er hängte sie auf die Heizung im Badezimmer. Wenn Seto also aus der kalten Dusche stieg, würde er wonnig warme und gut duftende Handtücher vorfinden. Vielleicht besänftigte ihn das ein wenig. Und um sicher zu gehen, kramte er auch den großen, weißen Bademantel heraus und hängte ihn dazu. Nachdem er das erledigt hatte, blieb er noch einige Momente. Seto bewegte sich unter dem Wasserstrahl nicht mehr. Er hielt nur sein Gesicht hoch und ließ das kalte Wasser herablaufen. Nichts weiter. Sein überaus langes Haar floss den Rücken hinab und verdeckte die verschwommene Sicht auf auf seine knackigen Bäckchen. In drei Monaten hatte sein Haar einen Wachstumsschub sondergleichen erlangt. Langes Haar war ein Ausdruck von Würde und großer, magischer Kraft und es wenn man es pflegte, würde es ihm gut stehen. Doch ihn mit Vollbart zu sehen, war eine ganz neue Sache. Es erinnerte ein bisschen an die letzte Zeit, in welcher sich auch Seth verändert hatte. Blieb zu hoffen, dass Setos Wandlung positiver verlief. „Ist alles in Ordnung?“ Er wagte nochmals eine vorsichtige Annäherung. Vielleicht beruhigte sein Liebling sich ja ein wenig. „Ich mache mir etwas Sorgen um deine Hand. Das sah übel aus und tut bestimmt weh. Ich würde gern Mokuba rufen, damit er sich das ansieht.“ Antwort? Fehlanzeige. „Ist dir das Recht? Vielleicht … vielleicht kann ich dir irgendwas Gutes tun?“ Und ob er überhaupt noch sprechen konnte, fragte Yugi sich auch allmählich. Er hatte noch nichts gesagt. Kein einziges Wort. „Ich … ähm … entschuldige, aber nimmst du mich überhaupt wahr? Ich meine … deine Antworten sind recht … undeutlich. Ich sorge mich, ob deine Stimme noch da ist. Bist du gesund?“ „Alles in Ordnung.“ Endlich! Endlich! Er sprach! Er konnte noch immer sprechen! Zwar deutete nichts auf seine Stimmung hin, aber er hatte Stimme! „Jetzt bin ich erleichtert“ seufzte er und fasste sich ans Herz. Auch wenn Seto wortkarg war, seine Stimme klang noch immer voll und sanft. Eine Stimme zum Verlieben. „Ich habe dir Handtücher auf die Heizung gelegt. Sie sind warm und … wenn du das willst oder … möchtest du sie lieber kühl? Oder … kann ich irgendwas tun? Ich … entschuldige, ich bin nervös.“ Nervös wie ein Schuljunge. Er redete dummes Zeug und davon zu viel. Solange er Setos Stimmung nicht kannte, standen überall Fettnäpfe bereit. „Dann warte doch draußen.“ „Ähm … ja …“ Wenn es ihm so lieber war, dann auch das. Schade, er läge gern in Setos Armen, würde ihn küssen und ihm sagen wie sehr er sich freute und wie sehr er ihn liebte. Doch er war so unnahbar. „Ich … okay. Ich warte draußen.“ So zwang er seine Füße zurück ins Schlafzimmer und dort stand er nun. Sein Mann im Badezimmer und seine Kinder im Bett. Sein Kopf leer und sein Herz wild in der Brust polternd. Was würde nun kommen? Hatte Seto sich verändert? Konnte er ohne sein Herz überhaupt normal leben? Wenn ja, was hatte ‚normal‘ zu bedeuten? Fühlte er sich wohl oder begann nun ein neuer schwerer Weg? Fühlte Seto sich unterdrückt, minder geschätzt oder verloren? Er besaß nun zwar Setos kaltes, reines, verletztes Herz, aber er spürte seine Gefühle nicht. Es war als würde man ein wunderschönes Bild besitzen und ließ das Licht im Zimmer aus. Er war Eigentümer eines zweiten Herzens und auch wenn die Verlockung groß war, so wollte er es nicht ausnutzen. Seto war ein Individuum und sollte es auch bleiben. Natürlich könnte er ihn mit dem zerbrechlichen Herzen in seinen Händen zu einem Geständnis zwingen oder vielleicht sogar seine Gefühlslage verändern. Doch dann wäre Seto nicht mehr er selbst. Dann wäre er nur das, was Yugi sich vorstellte. Wenn zwei Liebende von dem Wunsch sprachen, eins zu werden, so waren das nur Worte. Yugi fühlte, was es bedeutete, wahrlich eins sein zu können. Es bedeutete, den anderen aufzugeben für das eigene Verlangen, für die eigenen Sorgen, die eigenen Wünsche. Nein, er durfte Setos Herz und sein Vertrauen nicht missbrauchen. Er behielt sein Herz und liebte es. Doch er wollte es nicht mit Gewalt beeinflussen. Und doch … es war schwer, dieser Versuchung zu widerstehen. Ja, er konnte sofort herauspressen, wie er sich fühlte. Doch er wollte es nicht. Seto hatte ein Recht auf seine eigenen Gefühle und Gedanken. Selbst vor Yugi. Er wollte eigentlich gar nicht über all das nachdenken. Er könnte wälzerdicke Aufsätze schreiben über all das, was sich in seinem Kopf überschlug. Doch stattdessen schaltete er den Fernseher an, wo ihm eine freundliche Dame vom Frühstücksfernsehen erzählte, dass lila in diesem Sommer die Modefarbe war und eine ältere Dame mit lila Seidenschal derselben Meinung war und auch erklärte, warum so und nicht anders und überhaupt. Auch wenn Yugi das wenig interessierte, so zwang er seinen Arsch auf die Couch und sah jetzt erst, dass Lady dort saß und sich schon länger schüttelte und mit dem Kopf wippte. Sie forderte ihn lautlos zu einer Kuschelrunde auf und der Depp merkte es nicht mal. „Entschuldige, Süße. Ich bin gerade etwas neben der Spur.“ Er streckte den Arm zu ihr bis sie auf seiner Schulter saß und sein halbes Gesicht zuplusterte. Sie gurrte ihm leise zu und knabberte an seinem Haar. Sie war froh, wieder zuhause zu sein. „Ich habe dich auch vermisst, Federchen. Sehr vermisst sogar.“ Sie zwickte in sein Ohr und wuschelte durchs Haar. Sie hatte ihn noch mehr vermisst. Mit Lady zu schmusen, war kurzweiliger als Frühstücksfernsehen und fast vergaß er, auf die Uhr zu schielen. Jedenfalls hatte er wenigstens die Uhrzeit vergessen als Seto endlich aus dem Bad kam. Er trug den von Yugi herausgehängten Bademantel und einen Turban, in welchem sein unnatürlich langes Haar versteckt blieb. Doch den Bart hatte er sich noch nicht rasiert. Nur gewaschen wie alles andere. Er steckte die Hände in die flauschigen Taschen und blickte Yugi an. Es lag keine Ablehnung in seinem Arktisblick. Nur etwas Scheu und eine unausgesprochene Frage. „Hallo Liebling.“ Er setzte ein sanftes Lächeln auf und wandte sich ihm zu. Doch er stand nicht auf, er wollte ihn nicht in eine Ecke drängen. Seto musste den ersten Schritt tun, er konnte nur die Arme öffnen. „Wie geht’s deiner Hand? Hast du Schmerzen?“ „Geht so.“ Er holte die rechte Hand aus der Tasche und besah sie sich, zeigte sie somit auch her. Zu erkennen waren tiefrote, feuchte Striemen, Blut floss nicht. Nicht mehr. Dennoch mussten die offenen Wunden schmerzen, egal was er sagte. Und der weiße Bademantel hatte auch schon Blutflecken am Ärmel. „Mir wäre es lieb, wenn ich dich verarzten könnte. Hast du was dagegen, wenn ich den Verbandskasten rauskrame?“ Seto sah ihn an, sah ihn ernst an. Als wäre das eine Frage, die irgendwas anderes bedeutete. Dann drehte er sich zur Seite und ging ins Kinderzimmer. Yugi atmete tief, rückte die Falkendame auf seiner Schulter zurecht und schlich ihm nach. Er fand Seto vor dem Bett knien. Er küsste Ninis Stirn und ihre schlafenden Lider. Seine gesunde Hand streichelte über Tatos Köpfchen, über seine Wangen und deckte die kleinen Schultern zu. Dann erst hob er den Kopf und blickte seine Kinder an. Endlich lag ein Ausdruck in seinen kalten Augen. Ein Ausdruck der Liebe und der Fürsorge. Egal wie sich sein Leben veränderte, die Liebe zu seinen Kindern würde niemals leiden. Er liebte sie innig, mit jeder Faser, jedem Atemzug. Die beiden gesund und friedlich zu sehen, gab auch ihm einen gewissen Frieden. „Sie haben dich vermisst“ flüsterte Yugi und traf seinen Blick im Halbdunkel. „Jeden Tag haben sie nach dir gefragt. Ich habe drüben einen Schuhkarton voller Bilder, die sie dir gemalt haben. Ich wette, wenn sie erst wach sind, wirst du sie den ganzen Tag nicht mehr los.“ „Ich würde sie niemals loswerden wollen“ antwortete er leise und strich Ninis goldenes Haar von der Nase. „Sie sind so wundervoll.“ „Besonders wenn sie schlafen“ lächelte er und wurde von einem bestätigenden Gurren begleitet. „Wenn sie wach sind, sind sie nicht mehr so friedlich.“ „Ich hatte auch nicht vor, sie jetzt zu wecken.“ „Das wollte ich dir auch nicht unterstellen.“ Oh, das hatte jemand falsch verstanden. Yugi musste die Goldwaage für seine Worte rauskramen. „Entschuldige, das war falsch formuliert.“ „Nein, ich …“ Er senkte den Kopf und blickte das Blümchenmuster des Bettvorlegers an. Auch nahm er seine Hände fort, legte sie in den Schoß. „Ich weiß auch nicht.“ „Komm raus“ bat er leise und schenkte ihm einen aufmunternden Blick. „Ich verbinde deine Hand, dann geht’s dir gleich besser.“ Um das zu bekräftigen, ging er schon mal vor und hoffte, dass Seto ihm folgte. Was er tatsächlich tat und die Kinderzimmertür anlehnte. Yugi saß bereits wieder auf dem Sofa, öffnete eine frische Verpackung Mullverband und schraubte die Heilsalbe auf. „Ich hoffe, das tut es fürs Erste. Nicht, dass du genäht werden musst.“ Er hob den Blick und sah ihn an der Tür stehen. Obwohl der lange Bart einen Großteil seiner Mimik verbarg, sprachen seine Augen ein leises Wort. Die Kälte war am Kinderbett gewichen und nun suchte er nach neuer Orientierung. „Setz dich zu mir, mein Engel.“ Yugi strich etwas Salbe auf ein Stoffpad und war erleichtert, dass der Gerufene tatsächlich neben ihm Platz nahm und nach Aufforderung die zerschnittene Hand hinhielt. Yugi sah sich das an und er konnte sich kaum vorstellen, dass das nicht wehtat. Es waren fünf große Schnitte erkennbar, die noch nicht ganz getrocknet waren. Auch am Bademantel klebte Blut und es wäre ihm doch lieber, wenn Mokuba sich das ansehen würde oder wenigstens ein Arzt. Solch offene Wunden bargen außer den Schmerzen auch ein Infektionsrisiko. Doch fürs Erste verteilte er vorsichtig ein paar Tupfen Heilsalbe auf die offenen Stellen und umwickelte es mit einem Verband. Seto zuckte nicht mal oder beschwerte sich sonst irgendwie. Er ließ es einfach über sich ergehen und wartete geduldig bis Yugi mit ihm fertig war. Zum Glück hatte es ‚nur‘ seine rechte Hand erwischt und nicht die, die ohnehin schon schmerzanfällig war. Und dabei notierte er, dass Seto seinen Ehering trug. Er hätte ihn auch abnehmen können, aber dass er es nicht tat, deutete er als positives Zeichen. „Du bist nicht gerade zu großen Reden aufgelegt, oder?“ fragte er und fixierte den Verband mit einem Pflasterstreifen. Er sprach erst weiter als er erwartungsgemäß keine Antwort bekam. „Freust du dich denn nicht, dass du wieder da bist?“ „Ich hatte mich gefreut“ erwiderte er mit bedrückter Stimme. „Aber?“ Er legte die Hand auf den Verband und blickte ihn zärtlich an. „Was ist? Dir liegt doch etwas im Bauch.“ „Aber außer Mokuba hat sich niemand über mich gefreut.“ „Was?“ Er schluckte die Antwort, aber sah ihn weiter fragend an. „Wie kommst du denn darauf? Alle freuen sich, dass du wieder da bist.“ „Nein.“ Er blickte auf den Boden und schloss seine Augen bis zu einem schmalen Spalt. „Alle haben mich so merkwürdig angesehen. Du auch.“ „Merkwürdig? Was genau meinst du mit merkwürdig?“ „Niemand hat gelächelt, ihr habt euch nicht gefreut. Eher als … als wäre ich irgendwas, wovor man Angst haben muss. Irgendwas, was nicht zu euch passt. Was nicht … nicht freuenswert ist. Alle haben sich geschämt für mich.“ Yugi atmete tief ein. Sehr tief. Beim Ausatmen lehnte er sich an Setos Oberarm und schüttelte innerlich den Kopf. Der Gedanke, sein Engel könnte sich verhärtet haben, war irrsinnig. Er war noch immer dasselbe Sensibelchen wie eh und je. „Was hast du denn erwartet?“ seufzte er und blickte zu ihm auf. „Wir waren in einer selten dummen Situation für Wiedersehensszenen. Die Typen wollten Yami gerade abmurksen und das mitten in einem schattenlosen Schattenreich. Und dann stehst du plötzlich da, völlig abgekämpft und mit einem einschüchternden Blick. Du hast nicht so gewirkt als wolltest du gekuschelt werden.“ „Tut mir leid.“ „Muss dir nicht leidtun. Aber bitte sage nie wieder, dass sich jemand für dich schämt. Niemand schämt sich, alle sind stolz auf dich.“ Er nahm die kalten Hände, küsste die Handflächen und legte sie wärmend an seine Wangen. „Alle freuen sich wahnsinnig, dass du wieder zurück bist. Allen voran ich.“ „Wirklich?“ „Natürlich. Welchen Grund hätte ich, dich anzulügen?“ Natürlich gar keinen. Seto war nur einfach mal wieder daneben. „Aber du bist mir ja auch nicht gerade in den Arm gefallen. Freust du dich etwa nicht, mich auch wiederzusehen?“ „Doch“ antwortete er zwar leise, aber umgehend. „Das ist schön.“ Er streichelte seine Finger und lehnte sich zurück, hielt Setos kühlen Hände umschlungen in seinem Schoß. „Wie hast du uns überhaupt gefunden? Wir jedenfalls wussten nicht mal ansatzweise, wo du bist.“ „Ich war in einer Höhle hinter einem Wasserfall. Gar nicht so weit von hier“ erzählte er und klang zunehmend entspannter. Vielleicht brauchte er einfach Zeit, um wieder anzukommen. Sein Körper war zwar hier, aber er selbst noch irgendwo anders. Und er brauchte Zeit, um all seine Eindrücke, die er höchstwahrscheinlich mitgebrachte, zu verarbeiten. „Deshalb sind deine Klamotten so nass. Ich hoffe, du hast dich nicht erkältet.“ „Ich habe kaum etwas von der Welt draußen mitbekommen. Wie lange war ich denn weg?“ „So etwa drei Monate. Nächste Woche sind es drei. Ich zähle jeden einzelnen Tag.“ „Drei Monate“ wiederholte er und ließ seinen tiefblauen Blick durch den Raum schweifen. „Liebling, ich hatte Angst, es könnten drei Jahre werden.“ „So lange kann ich doch gar nicht von dir getrennt sein.“ „Du bist so süß.“ Er strich seinen heilen Arm, doch Seto schien sich Gedanken über ganz andere Dinge zu machen. Wer wusste, was er durchgemacht hatte? „Was hast du denn gemacht so lange? War es anstrengend? Musstest du kämpfen?“ „Nein, gar nicht.“ Seine Stimme war leise, versunken. „Alles war sehr friedlich.“ „Erzählst du mir davon?“ „Sethos hat mich mitgenommen und dahin gesetzt. Wusstest du, dass er schweben kann?“ „Schweben?“ „Ja, schweben. Durch die Feuchtigkeit in der Luft und die Energie … ich kann’s nicht richtig erklären, aber es sah sehr einfach aus bei ihm.“ „Bei Sethos sieht alles einfach aus.“ „Richtig.“ Er wischte sich einen Tropfen aus der Stirn, welcher einem kleinen Spalt des Kopfhandtuches entkam und seine Augenbraue ärgern wollte. „Dann haben wir uns etwas unterhalten, aber eigentlich hat er mich nur gewarnt. Der Rest war … anders.“ „Anders?“ „Ich habe gedacht, ich muss Magie trainieren, üben und Übungen wiederholen. Wie mit Seth damals. Aber es war anders. Sethos blieb bei mir und leitete meinen Geist, meine Seele, mein ganzes Ich. Alles um mich herum. Er ließ mich die Elemente spüren. Also nicht die Elemente selbst, sondern ihre Energie. Diese Welt ist erfüllt mit verschiedenen Energien und die vier Elemente sind die stärksten von allen. Sethos hat mich die Energien spüren lassen. Wie einen Gegenstand, den ich mit dem Geist berühre. Es war … anders. Ich war begeistert und erschrocken zugleich.“ „Ja, das kann sehr verwirrend sein.“ Yugi kannte das. Er spürte diese und andere Energien immer und ständig. Es war für ihn so selbstverständlich, dass er es kaum wahrnahm. Er kannte es gar nicht anders und nahm es nicht als ungewöhnlich wahr. Doch eigentlich lenkte er die Energien nicht wie ein Magier es tat, er ließ zu, dass sie sich selbst lenkten. Und selbst wenn er als Pharao alles wahrnahm, wäre das nicht als Magie zu bezeichnen. „Wenn Magier Magie verwenden, werden sie eins mit den Energien ihrer Magie. Sie können sie gebrauchen, wie einen Gegenstand, den sie mit dem Geist führen. Deshalb sind Elementmagier die stärksten.“ Doch als Pharao wurde er selbst nicht eins mit der Energie. Er konnte sie lenken, doch sich niemals verbinden. Ebenso wenig wie ein Gott mit der Erde verbunden war. Deshalb war er mächtig, doch das konnte niemals der Kraft eines Magiers gleichen. „Doch die Erde und der Wind“ fuhr Seto fort, versuchte zu erklären, was er erlebt hatte. „Es war, als ob sie mich abstoßen würden. Sie entzogen sich mir. Ich fand keinen Zugang zu der Energie. Und das Feuer fühlte sich mir nahe. Wahrscheinlich weil ein Teil von mir noch immer wahrnimmt, dass dies Seths Körper ist. Er gehört mir, trägt meine körperlichen Erinnerungen, aber die Energien stoßen mich ab und wieder nicht. Ich kann sie berühren, jedoch mich mit ihnen zu verbinden, das ließ das Feuer nicht zu. Wenn ich danach griff, wich es zurück. Es floh nicht vor mir wie die Erde und der Wind, aber es blieb immer ein Abstand. Ich konnte es fühlen, aber nicht greifen. Nur das Eis. Das Eis war angenehm. Es war gütig.“ Er schloss die Augen und drückte leicht Yugis Hände. „Das Eis durchfloss mich, es drang in mich ein und erfüllte mich. I c h war das Eis. Ich war völlig eins mit ihm. Und dann fühlte ich Sethos. Es war als reiche er mir eine Hand und diese Hand war freundlich und vertraut. Es fühlte sich an als triebe ich in einem langsam dahinfließenden Fluss. Ich fühlte mich so klein, wie eine Schneeflocke im Ozean. Doch das Wasser fraß mich nicht auf, es schmolz mich nicht. Ich trieb dahin, spürte es an meinem Körper. Ich wusste, ich saß auf nassem Stein und ich hörte den Wasserfall. Ich roch das Laub und spürte die Sonnenwärme. Ich hörte das Schnattern der Enten auf dem Teich. Doch mein Geist schwamm dahin. Sethos sagte, ich solle es genießen. Ich solle mich verbunden fühlen, mich tragen lassen, Vertrauen fassen. Solange bis ich das Wasser selbst berühren könne. Bis ich begriffen hätte, wie ich mich in diesem Strom selbst halten kann, ohne zu ertrinken. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Dafür gibt es kein richtiges Wort. Es war anders als alles, was ich bisher erlebte.“ „Und dann?“ fragte Yugi gespannt weiter. Er wollte ihn nicht drängen und doch unbedingt wissen, ob er dieses Gefühl der Verlorenheit bewältigt hatte. „Und dann war Sethos plötzlich fort.“ Er öffnete die Augen und blickte ins Leere. „Ganz plötzlich verschwand seine Hand und ich … ich trieb dahin. Der Strom trug mich weiter, ich fühlte wie er mich einhüllte und auf meine Bewegungen reagierte. Ich versuchte, ob ich mich bewegen konnte. Allein. Ich probierte vorsichtig, wie ich mich verhalten konnte. Es war als ob ich darin schwimmen lernte. Doch dann schrie Leikos so laut und schrill, dass mich das Wasser verließ.“ Seine Augen kehrten zurück und blickten Yugi an. „Er warnte mich und ich wusste, ich musste ihm folgen. Und als ich meine Augen öffnete sah ich, wie man euch bedrohte. Ich hörte die bösen Gedanken dieser Menschen und fühlte verworrene Gefühle von Rache und Trauer und Reue. Ich wusste nicht, ob das ein Traum war, aber selbst im Traum darf dich niemand bedrohen.“ „Dann bist du quasi gerade aufgewacht und voll im Kampf gelandet.“ Das erklärte, weshalb er so merkwürdig verstimmt war. Es war als wäre er aus dem Tiefschlaf gerissen worden und sollte einen Düsenjet notlanden. Von Null auf Hundertachtzig. Da kam selbst sein Geist nicht mit. Das war gar nicht böse gemeint, er war einfach verwirrt gewesen. „Wo ist denn Sethos? Warum war er nicht bei euch?“ „Hier ist viel passiert seit du fort warst.“ Doch ob er ihm jetzt sagen sollte, dass Sethos im Sterben lag und dass niemand wusste, ob er noch mal das Bewusstsein zurückerlangte? Nein, dafür war Seto noch zu labil. Er sollte erst mal hierher zurückfinden, bevor er die Horrornachricht bekam. „Nika sah auch anders aus.“ „Ja, Nika wurde von irgendeinem merkwürdigen Zauber getroffen.“ Das zumindest konnte er ihm erzählen. „Doch nun bist du wieder zurück, das ist die Hauptsache. Alles andere erzähle ich dir in Ruhe. Dafür ist genug Zeit.“ „Ich weiß aber nicht, ob ich deinen Befehl ausgeführt habe“ widersprach er und zog unweigerlich den Kopf ein. „Ich weiß nicht, ob ich das Wasser jetzt beherrsche. Ich glaube nicht.“ „Du hast das Schattenreich aufgelöst und uns zurückgebracht. Ohne mit der Wimper zu zucken. Das konnte nicht mal Tato.“ „Nicht?“ „Sonst hätte er es getan.“ Er hob behutsam die Hand und strich über den noch leicht feuchten Vollbart. Er war weicher als er aussah und gar nicht struppig. „An deinem Blick sieht man, dass du mächtiger geworden bist. Ich spüre es.“ „Aber ohne Sethos finde ich in diesen Strom vielleicht nicht mehr zurück. Er muss es mir doch sagen, wenn ich es geschafft habe. Er muss mich anleiten.“ „Du bist so intelligent und so feinfühlig. Ich bin mir sicher, dass du alles richtig gemacht hast.“ Auch wenn es gefährlich war. Seto wusste nicht, wie viel mächtiger er war. Er kannte seine Grenzen nicht. Es war leicht möglich, dass er jemanden verletzte oder sich selbst verlor. Doch an der Situation war nun nichts zu ändern und Furcht war keine Lösung. „Aber ich trage dein Herz in mir. Wenn du über die Strenge schlägst, kann ich leicht die Energien von dir abhalten und deine Kräfte verbieten.“ „Ich habe nicht Angst, dass ich zu stark bin. Vielleicht bin ich schwächer als du denkst.“ „Das glaube ich nicht. Und selbst wenn, auch das kriegen wir zusammen hin. Du musst mir einfach vertrauen, so wie ich dir vertraue. Wir sind doch eine Einheit. Ein Wir.“ „Ein Wir.“ Er blickte seinen Ehering an und versank in Gedanken. Es gab vieles, worüber er sich nun Gedanken machen musste. „Und du stoppst mich, wenn ich etwas falsch mache? Bestrafst du mich dann?“ „Ich muss dich nicht bestrafen. Du bist niemand, der absichtlich Fehler macht. Und du bist der sanfteste Mensch, den ich kenne. Viel mehr sollte ich mir Gedanken machen, dass ich dich gut behandle. Ich meine … ich habe noch niemals einen herzlosen Menschen getroffen.“ „Ja, jetzt bin ich wirklich herzlos.“ Bei der Formulierung musste er lächeln. Jetzt hatten die Leute Recht, wenn sie ihn als herzlos bezeichneten. Erst war er nur kaltherzig, jetzt herzlos. Was für eine Steigerung. „Es macht dir nichts aus, dass du kein Herz mehr hast? Fühlst du dich nicht verändert?“ „Um ehrlich zu sein, spüre ich kaum einen Unterschied.“ Er legte seinen Blick in Yugis Augen und seine behaarten Wangen zeigten eine dunklere Farbe. „Ich mag das Gefühl, bei dir zu sein. In deinen Händen zu liegen. Wenn ich einen Unterschied fühle, dann nur den der Erleichterung. Ich fühle mich erleichtert. Ich musste immer Angst haben, dass mein Herz zerbricht oder noch hässlicher wird. Aber jetzt … jetzt muss ich mir darum keine Gedanken mehr machen. Es war überhaupt nicht schwer, mich dir hinzugeben. Ich dachte, es wäre schwer, aber das war es nicht. Es war ganz einfach. Weil du es mir leicht gemacht hast. Jetzt muss ich mich nie wieder verstellen oder etwas vor dir verstecken. Weil das kann ich nun nicht mehr und du hast mich in dir aufgenommen. Mit allem, was ich bin. Mit all dem Bösen und Hässlichen und dem Schwachen in mir. Und ich fühle mich erleichtert, dass ich das alles nun nicht mehr tragen muss.“ „Und es stört dich wirklich nicht, dass du nicht mehr bestimmen kannst, was mit deinem Herzen geschieht? Es ist immerhin der Mittelpunkt deiner Existenz.“ „Nein“ hauchte er und senkte den Kopf, legte seine Stirn an Yugis. „Seit du mich das erste Mal berührt hast, bist du der Mittelpunkt meiner Existenz. Ich hatte Angst, du würdest mich ablehnen. Weil ich dir zu anstrengend bin oder du mein Herz nicht als gut genug erachtest. Ich habe nur so viel Wert wie du mir gibst. Und nur in deinen Händen fühle ich mich ein wenig wertvoll.“ „Lass das ‚wenig‘ weg“ flüsterte er auf seine Lippen. „Es gibt nichts, was wertvoller ist als du. Und kein Juwel ist schöner als dein Herz. Dich berühren zu dürfen, mit meinen Händen und meiner Seele, dafür werde ich immer kämpfen und immer dankbar sein. Ich werde immer gut für dich sorgen, damit du dich erleichtert und frei fühlst. Damit ich für dich ein Zuhause sein kann.“ „Yugi?“ „Ja, Liebling?“ „Stört dich der Bart?“ „Nein.“ Das nahm er als Erlaubnis, ihn küssen zu dürfen. Das hätte er gern schon früher getan, doch ob Seto das zulassen würde, bezweifelte er. Nun wenn ihre Lippen eh schon direkt voreinander waren und ihn der Bart nicht hinderte, gab es kein Hindernis mehr. Lady flüchtete von Yugis Schulter auf die Rückenlehne, denn wenn ihr Sitzplatz sich so eng ankuschelte, war das zu wackelig. Und so wartete sie eben und putzte ihre Schwungfedern, während die beiden schnäbelten. Yugi hingegen ignorierte das Kitzeln, nahm es vor Glück ohnehin kaum wahr. Setos Lippen waren kühl und schmeckten sauber. Nach Zahncreme und frischem Wasser. Und das Gefühl war noch immer so erfüllend. Seto war ein Vielküsser und wenn man es gewohnt war, täglich mehrmals und lang zu küssen, waren drei Monate Abstinenz eine Ewigkeit. Er legte seine Arme um Setos breite Schultern und spürte wie er seinen Kopf senkte und zurückrutschte. Er öffnete seine Lippen weiter und zuckte dennoch zusammen als Yugi seine Zunge anstupste. „Ganz ruhig“ hauchte er und hielt Setos Wangen fest. „Was ist denn?“ „Nichts. Ich habe mich nur erschrocken.“ „Erschrocken vor meiner Zunge?“ wiederholte er lieb. „Du hast mich doch geradezu aufgefordert.“ „Nein, ich meinte … stört dich der Bart nicht?“ „Nein, überhaupt nicht.“ Hatte er da vielleicht was falsch verstanden? Wollte Seto nicht knutschen? Er streichelte über sein Kinn und zwirbelte das Haar zwischen den Fingern. „Ist viel weicher als ich dachte. Ich finde das nicht unangenehm.“ „Ich schon.“ „Ach so.“ Deshalb zuckte er zurück. Er mochte das Gefühl im Gesicht nicht. „Ich dachte, das war ne rhetorische Frage.“ „Ich wollte eigentlich sagen, dass ich mich erst rasieren will. Ich dachte, du findest mich auch eklig.“ „Ich finde dich niemals eklig.“ Schade, er hätte ihn gern noch länger geküsst, aber wenn Seto etwas störte, klappte das nicht. Dann konnte er sich nicht fallen lassen. Er schien ohnehin noch eine Weile zu brauchen, um körperliche Nähe zulassen zu können. Dafür war er noch zu aufgewühlt und Yugi wusste, dass er behutsam und geduldig sein musste. Seto musste selbst auf ihn zukommen, sonst drängte er ihn mit dem Rücken an die Wand. Doch der Wille war da, nur das Umfeld musste geordnet werden. Also kraulte er den Bart und besah sich neugierig das fremdartige Gewächs. „Und hast du damit etwas vor?“ „Was vor?“ „Vielleicht ein bisschen kürzer und mit Muster.“ „Ich weiß nicht … „ „Du kannst auch ein Zickenbärtchen tragen. Einen kleinen Flechtzopf kann man auch draus machen. Dir würde alles stehen. Okay, bitte keinen Pornobalken, aber einen Bart kann ich mir bei dir gut vorstellen.“ „Einen was?“ „Einen Bart“ wiederholte er und tippte lachend sein Kinn. „Ich rede über das hier.“ „Nein, du hast irgendwas versautes gesagt.“ „Was? Ich rede über Gesichtsfrisuren.“ Oder … ach so, das Ding. „Du meinst Pornobalken. Weißt du nicht, was das ist?“ Kopfschütteln. „Das ist ein dichter Schnauzbart. Der würde dir nicht stehen. Und selbst wenn - ich mag Schnauzbärte nicht so gern. Ich finde, das steht den wenigsten Männern.“ „Ich gehe mich rasieren.“ Das wurde ihm jetzt zu viel und zu kompliziert. Das Gewächs kam ganz ab. Das war das Einfachste. „Darf ich aufstehen?“ „Klar darfst du. Du brauchst doch nicht fragen.“ Das war ja süß. Er nahm die Hände von Setos Gesicht, worauf der sofort ins Badezimmer huschte. Yugi lachte leise und stand selbst auf. Er öffnete das Fenster und sah, dass es auch heute ein sonniger und warmer Tag werden würde. Hoffentlich auch ein friedlicher. Dann folgte er seinem Liebling ins Bad und sah ihn dort mit dem Rasiergel hantieren. Er hatte sich schon komplett eingeschämt und versuchte, beginnend am Hals, die Haare zu entfernen. Doch schon nach einem Zentimeter war der Nassrasierer so voll und verstopft, dass es nicht weiterging. „Liebling?“ Er lehnte sich an den Türrahmen und lächelte ihm liebevoll zu. „Darf ich dir helfen?“ „Das kriege ich schon noch alleine hin.“ „Ich weiß, du bist ein großer Junge, aber so wie du das machst, bist du morgen noch dabei. Und den Rasierer können wir hinterher wegschmeißen.“ Er trat ein, nahm den Hocker aus der Ecke und stellte ihn vors Waschbecken. „Setz dich und wasch den Rasierer aus. Ich bin gleich wieder zurück und dann scheren wir dich. Okay?“ „Hrm.“ Yugi hatte ja Recht, so konnte das lange dauern. „Ich bin gleich zurück.“ Er ließ ihn mit seiner Aufgabe allein und hatte eine viel komfortablere Idee. Er ging auf den Flur und sah, dass die Tür direkt neben ihnen offen stand. Ein Blick hinein zeigte, dass Noah und Dante in einer angeregten Diskussion steckten. Noah hielt zwei paar Kinderschuhe in der Hand. Ein Paar blaue Sandalen und ein Paar rote Turnschuhe. Dante saß auf dem Bett und zeigte mit beiden Fingern auf beide Schuhe. Yugi kannte das Problem. Dante wollte beide Schuhe anziehen, für jeden Fuß einen anderen. Und Noah musste ihm begründen, warum das nicht ging. „Onkel Yugi!“ Aber als er den sah, waren Schuhe Nebensache. „Hallo!“ „Guten Morgen Danti“ lächelte er, kam herein und erwiderte seinen innigen, feuchten Kuss. „Na? Suchst du dir Schuhe aus?“ „Er sucht aus, aber entscheiden tut er sich nicht“ seufzte Noah und ließ die Hände sinken. „Und wie geht’s meinem Brüderchen?“ „Er versucht, sich zu rasieren. Mit seinem Nassrasierer.“ „Na, das kann dauern.“ Jeder wusste das, nur Seto schaltete nicht. „Und sonst? Ist er … du weißt schon … normal?“ „Er hat den Szenenwechsel nicht so schnell verkraftet, aber ich glaube, er normalisiert sich bald wieder. Ich wollte nur fragen, ob ich dein Rasiermesser ausleihen kann. Wir haben keins.“ „Natürlich. Warte kurz.“ Er stellte die Schuhe auf den Boden und verschwand im Badezimmer. „Na, Süßer?“ lächelte Yugi und kniete sich zu dem Kleinen. „Hast du gut geschlafen? Bist ja schon früh wach.“ „Ja“ antwortete er und streckte die Füße aus. „Jetzt muss ich Schuhe anziehen.“ „Und welche?“ „Beide?“ „Noah hat dir aber bestimmt schon erklärt, dass das nicht gut ist, oder?“ „Kriegt man schiefe Füße“ wiederholte er. Das hatte er schon verstanden. „Aber morgen ist kalt und dann ist ganz heiß. Also rot und dann blau.“ „Aber nicht beides gleichzeitig.“ Das hatte er noch nicht verstanden. „Sonst hast du ja einen kalten und einen heißen Fuß. Oder?“ „Ja. Ist das doof?“ „Das ist ziemlich doof. Ich schlage vor, du ziehst dir erst Turnschuhe an und wenn du dann Schwitzefüße hast, ziehst du die wieder aus und ziehst Sandalen an.“ „Hat Noah auch gesagt.“ „Und Noah ist schlau“ betonte er mit erhobenem Finger. „Du tust gut daran, auf ihn zu hören. Er kann dir viel beibringen.“ „Noah ist schlau“ hob auch er seinen kleinen Finger. In diesem Moment kam der auch zurück und schmunzelte über die beiden. „Na, stimmt ihr über mich ab?“ „Nicht doch. Wir sind uns einig. Nech?“ Er wuschelte Dante durchs Haar und ließ ihn kichern. Mit der anderen nahm er das Etui mit dem Rasiermesser entgegen. „Und du?“ fragte Noah den Kleinen. „Turnschuhe oder Sandalen?“ „Was ziehst du an?“ wollte der lieber wissen. „Ich muss arbeiten im Büro. Ich ziehe Halbschuhe an.“ „Hab ich auch halbe Schuhe? Ich will mit arbeiten in Büro.“ „Du langweilst dich da nur, Kleiner. Willst du nicht lieber in den Kindergarten?“ „Neeeeiiiiin. Mit in Büro. Mit Noah.“ „Ich sage dir was“ schlug Yugi vor. „Du gehst erst in den Kindergarten und wenn wir dich abholen, gehen wir Noah im Büro besuchen und da gibt’s bestimmt was zum Arbeiten.“ „Geht das?“ Der Kleine sah so erwartungsvoll zu Noah auf, dass ein Nein nicht auszusprechen ging. „Ja, das geht“ versprach er seufzend. „Aber erst in den Kindergarten.“ „Und dann helfe ich arbeiten.“ „Und dann hilfst du mir arbeiten und wir machen zusammen Feierabend. Aber du musst auch wirklich in den Kindergarten.“ Er setzte sich neben den Kleinen und legte den Arm um ihn. „Meine Arbeit ist im Büro und deine Arbeit ist im Kindergarten. Mein Erwachsenenjob ist es, jeden Tag da hinzugehen und dein Kinderjob ist es, jeden Tag spielen zu gehen. Verstehst du das?“ „Wenn ich groß bin, hab ich auch ein Noahbürojob, oder?“ „Wenn du groß bist, gehst du erst in die Schule und wenn du da gut bist, dann kannst du auf die Universität gehen und wenn du da auch gut bist, dann kannst du irgendwann meinen Job machen. Wenn du das dann noch willst.“ „Ist das noch lange?“ „Ein paar Jahre dauert das noch. Aber du bist ja auch noch klein. Erst mal musst du das mit dem Kindergarten schaffen und da deinen Job gut machen. Malen, Basteln und Ballspielen üben. Das ist auch sehr wichtig. Okay?“ „Okay.“ Ja, das war doch eine echte Zukunftsperspektive. „Und dafür brauchst du die richtigen Schuhe. Also Turnschuhe oder Sandalen?“ „Ihr seid süß“ schmunzelte Yugi. Noah entwickelte sich zu einem richtigen Bilderbuchpapa. „Danke für das Messer.“ „Vorsicht, ich hab’s gestern desinfiziert und geschärft.“ „Du bekommst es heil und in spätestens ner halben Stunde zurück. Versprochen.“ Das Messer war ein Geschenk von Gordon. Es war sehr wertvoll mit einer feinen Klinge und einem Griff aus echtem Perlmutt und hochwertigem Silber. Und vor allem war es ein Erbstück von Urgroßvater Kaiba. Dem Großvater Gordons. Angeblich stammt es noch aus dem Privatbesitz von irgendeinem französischen König, auch wenn das wohl nur eine Geschichte war, denn Noahs Vorfahren waren allesamt Stahlarbeiter aus dem tiefsten Proletariat mit kleiner Viehzucht zur Selbstversorgung und keinerlei Verbindungen zum adligen Frankreich. Auf jeden Fall wurde das Rasiermesser unter den Männern weitervererbt und irgendwann würde vielleicht auch Dante es bekommen. Deshalb würde Yugi darauf besonders gut achten. „Ich passe gut drauf auf.“ „Bleibt ja in der Familie“ lächelte er und griff die Turnschuhe, wobei er den kleinen Siamkater vom Bett schubste, bevor der sich mit seinen Krallen über sein Kopfkissen hermachte. „Runter da, bitte.“ „Streichel darf nicht kuscheln?“ „Doch, aber nicht mit meinem Kopfkissen. So, Dante. Turnschuhe?“ „Gibt’s heute Milch oder Quark mit Müsli?“ Der war schon wieder beim nächsten Thema. „Was isst du, Noah?“ Yugi ließ die beiden Süßen allein und trabte zurück ins eigene Zimmer, wo er sich auch schnell die Küchenrolle schnappte. Die Kinder musste er auch in einer halben Stunde wecken und fertigmachen, sonst wurde es zu spät. Doch erst mal war Seto dran. Der saß wie erwartet still und geduldig auf dem Höckerchen, hatte alles schön sauber gemacht und ließ seinen Bart vom Schaum aufweichen. „Noahs Messer?“ stellte er fest, noch bevor Yugi ganz durch die Tür war. „Damit geht’s leichter als mit einem Klingenrasierer. Denkst du nicht?“ „Sei aber vorsichtig damit.“ „Ich werde dich schon nicht schneiden, mein Herz.“ „Nein, wir dürfen das Messer nicht kaputtmachen.“ „Ich mache weder das Messer noch dich kaputt. Halt mal, bitte.“ Er stellte ihm die Papierrolle auf den Schoß, öffnete das Samtetui, zog das Messer am teuren Griff heraus. „Darf ich hinter dich treten?“ Das mochte Seto nicht, also fragte er lieber. „Hm“ machte der nur. Langsam stellte er sich hinter ihn, hielt die Hand an seine Stirn und legte vorsichtig seinen Kopf zurück. „Wahnsinn, wie lang dein Bart in nur drei Monaten geworden ist“ erzählte er und setzte die Klinge an, welche problemlos über die Haut glitt und das Haar abtrennte. „Du hast ja sonst auch keinen so starken Bartwuchs. Machst du mal ein Blatt ab?“ „Ich mag Bärte nicht.“ Er riss ein Stück Küchenrolle ab und beobachtete wie Yugi das Haar-Schaum-Gemisch darauf abstreifte. Mit den langen Haaren würde sonst nur der Abfluss verstopfen. „Außer bei Opa.“ „Ja, Opa kann ich mir ohne Bart auch nicht vorstellen“ lachte er und fuhr fort, seinen Liebling von der ungewünschten Kinnfrisur zu befreien. „Was meinst du? Ob ich mir das Gesicht lasern lassen soll? Dann wächst da nichts mehr.“ „Und wenn du in 30 Jahren vielleicht doch einen Bart tragen willst?“ „Bestimmt nicht.“ „So schlimm fände ich das nicht.“ Er strich noch mal ab und kam schneller voran als er dachte. „Du hast in diesem Körper ja auch wieder Haare an den Beinen und das stört mich auch nicht. Oder dich?“ „Ich weiß nicht.“ „Damals hast du dich ja auch lasern lassen. Ist das wirklich so viel besser?“ „Weiß nicht. Ich habe mir das nicht ausgesucht.“ „Nicht?“ Er dachte immer, Seto hätte sich absichtlich enthaaren lassen. Aus ästhetischen Gründen. Obwohl es ihn schon etwas wunderte, dass er sich mit seinem Berührungstrauma in kosmetische Behandlungen begab. Doch um nichts aufzuwühlen, hatte er nie gefragt. „Sorry, wenn ich das jetzt nach so vielen Jahren erst frage, aber … du hast dich damals von niemandem anfassen lassen. Wie haben sie dir da die Haarwurzeln gelasert, wenn du … sie mussten dich dafür doch berühren.“ „Gozaburo hat mich gezwungen. Ich hab’s auch kaum mitgekriegt, weil er mir genug Beruhigungsmittel gegeben hatte.“ Seine Stimme veränderte sich nicht. Als beträfe ihn das gar nicht. „Als ich damals verletzt und vernarbt war, hat er mit mir experimentiert und hierfür einige Körperpartien enthaart. Die Narben sind auch alle verschwunden. Dafür sollte ich dankbar sein. Man hat mir meine Kindheit danach nicht mehr angesehen.“ „Ja, und du bist von den Medikamenten und den Versuchen schwer krank geworden. Ich weiß nicht, ob es das wert war.“ „Ich glaube schon. Ich wünschte, ich könnte die Zusammensetzung dieser Salbe noch irgendwo finden. Für viele Menschen wäre es gut, wenn sie anstatt schwerer kosmetischer Operationen, die manchmal nicht viel helfen, ein Medikament haben könnten, was Narben und Missbildungen einfach wegätzt und wieder natürlich aussehen lässt. Für Unfallopfer zum Beispiel. Sie wären dann äußerlich nicht mehr so stark entstellt, ohne Narben. Das bringt Lebensqualität.“ „Aber du hast selbst gesagt, die Nebenwirkungen sind hoch. Mokuba hat mir erzählst, du hast tagelang im Delirium gelegen.“ „Man könnte versuchen, die Rezeptur weiter zu entwickeln. Und selbst wenn, viele würden lieber ein Jahr Schmerzen und ein Fieberkoma erleiden als mit einem vernarbten Gesicht zu leben. Aber viele Archive sind mit Gozaburo verschwunden. Ab und zu stoßen Noah und ich noch auf alte Dokumentationen. Ich weiß nicht, was wir noch nicht aufgestöbert haben. Besonders von der medizinischen Abteilung. Gozaburo hat viele Geheimprojekte vor der Öffentlichkeit und der Regierung versteckt. Die Aufzeichnungen über Testläufe am Menschen sind besonders tief vergraben. Wäre das rausgekommen, hätte man ihn wohl wegen Missachtung der Menschenrechte verurteilt und eingesperrt.“ „Das hat ihn aber nicht davon abgehalten, an dir zu experimentieren. Armer Schatz.“ Er küsste Setos Stirn und streichelte seine Schulter. „Aber das ist vorbei. Für immer.“ „Er hat mich von meinen äußeren Narben befreit. Es war nicht alles schlecht.“ Er sah das verzweifelt positiv. Nachdem seine Mutter ihn so zugerichtet hatte, ihn sogar ins Koma prügelte, musste er mehr als nur eine Narbe davongetragen haben. Das hätte ihn ewig erinnert und entstellt. Also versuchte er dankbar zu sein, auch wenn es grausam war. Gozaburo hatte ihn aufgenommen und ihm eine Zukunft gegebenen. Er hatte in ihm vieles kaputt gemacht, aber ohne ihn, wäre auch vieles anders gelaufen. „Man kann die Vergangenheit nicht ändern, weißt du?“ „Jedenfalls nicht, wenn nicht gerade die ganze Menschheit bedroht ist.“ Er küsste ihn nochmals auf die Stirn und fuhr dann mit seiner Arbeit fort. „Möchtest du denn auch wissen, was hier so passiert ist?“ Nur das mit Sethos, das würde er ihm schonender beibringen als hier im Badezimmer. Chapter 15 Durch den morgendlichen Schrecken waren nicht nur alle wach, sondern auch sehr gespannt. Seto war wieder zurück und natürlich erwartete man Großes von ihm, doch die Freude darüber, dass er überhaupt wieder da war, überwog alles andere. Und so wartete man heute Morgen am Frühstückstisch umso gespannter. Yugi ging schon vor, um die anderen auf den aktuellen Stand zu bringen. Ja, Seto war noch der Alte und nein, er wusste selbst nicht, wie das jetzt mit seinem Lernerfolg war. Und man würde sich auch hüten, damit jetzt zu experimentieren, denn das mit Sethos wusste er auch noch nicht. Yugi bat nur darum, ihn nicht zu sehr zu bestürmen und zu bedrängen. Er brauchte noch eine Weile, um sich wieder einzuleben und dann würde auch hoffentlich alles wieder normal sein. Er brauchte vorrangig das Gefühl, wieder zuhause und ein Teil der Familie zu sein. Ganz normal weiterzumachen, würde dem Sensibelchen alles erleichtern. Auch wenn ein ganz normales ‚Guten Morgen‘ schwierig war, als er die Treppe zum Restaurant herunterkam. Beide Kinder trug er auf dem Arm, Nini links, Tato rechts und beide würden ihn so schnell nicht wieder loslassen. Dennoch sah er verändert aus. Er schien größer, auch wenn seine Statur dieselbe war. Rein äußerlich war kaum eine Veränderung erkennbar und dennoch wirkte er gewandelt. Er strahlte eine gewisse Ruhe aus, eine Tiefe, eine Friedlichkeit. Seine Augen waren klar und blickten ohne Hast herab. Sein Körper bewegte sich weich und geschmeidig trotz der Kraft, welche man ihm ansah. Er war noch immer Seto, doch seine Aura war ruhiger geworden. Sonst wirkte er immer etwas angespannt oder argwöhnisch, doch nun wirkte er einfach friedlich. Und verlottert sah er auch nicht mehr aus. Yugis Können und Noahs Messer hatten ganze Arbeit geleistet und sein Gesicht wieder freigemacht. Er hatte ihm das lange Haar gekämmt und trocken geföhnt und es mit einem von Ninis weißen Haarbändern zu einem Zopf am Nacken gebunden. Seto wollte es eigentlich sofort abschneiden, aber Yugi konnte ihn überreden, es sich noch mal zu überlegen. Er mochte das neue, lange Haar und konnte wenigstens eine Schonfrist aushandeln. Während denen, die ihn noch nicht gesehen hatten, der Atem stockte, hatten die Kinder ihre eigene Art, damit umzugehen. Risa hopste Mokeph vom Schoß und patschte mit ausgestreckten Armen auf ihn zu. Selbst Feli purzelte von Tristans Knien und wackelte ihm entgegen. Dante klatschte und konnte erst aufspringen als Mokuba seinen Stuhl zurückzog. Noch vor allen anderen hingen die Kinder an ihrem Lieblingsonkel, welcher sich zu ihnen herunter kniete und seine breiten Arme für alle öffnete. Sie küssten ihn, lachten und wiederholten glücklich seinen Namen. Ihn zurückzuhaben, war wie Weihnachten im Sommer. Er nahm sich alle Zeit, sie zu küssen, jeden an sich zu drücken und anzusprechen. Ein „Du hast aber süße Zöpfe“ für Risa, ein „Gut kannst du laufen, Püppchen“ für Feli oder ein „Du bist aber groß geworden“ für Dante. Und sein Lachen war genauso ehrlich und rein wie das der Kleinen. So groß und stark er auch sein mochte, er blieb immer einer von ihnen. Klein Joey kämpfte eigentlich noch mit dem Joghurt auf Mamas Löffel, doch als Theresa direkt neben ihr das Quietschen und dann das Plärren begann, weckte das auch ihre Aufmerksamkeit. Endlich hatten auch die beiden Babys ihn entdeckt und weil sie sich nicht selbst bewegen konnten, mussten sie lautstark Alarm machen. Umringt von allen Kindern und den beiden Jungs, die sich kichernd an seinen Beinen festklammerten, kam Seto nur langsam voran, aber konnte dann endlich auch die Winzlinge an sich nehmen. Narla machte Joey schnell sauber, während Tea ihm schon ihre Kleine aus dem Hochstuhl hinaufreichte. Eine links, eine rechts sprach er ihnen ruhig zu, küsste ihre rosigen Wangen und beruhigte ihr Weinen. Babys vergaßen schnell und drei Monate waren für sie eine Ewigkeit, doch ihn erkannten sie sofort. Er rührte etwas in ihren Herzen an, was sonst niemand erreichte. Und umgekehrt war es nicht anders. „Sie sind noch hübscher geworden“ sagte er mit einem Lächeln, welches das reinste seiner Gefühle ausdrückte. Er liebte alle seine Kinder, jedes einzelne für sich. In ihnen spürte er die Unschuld und die reinste Form der Liebe, ohne Widerspruch oder Missgunst. Kinderliebe war echt. „Hi Seto“ lächelte Tea zurück und bekam als Erste einen Kuss auf die Wange und als sie sich erhob und Theresa zurücknahm sogar eine Umarmung. Er drückte sie ganz fest an sich, sie hatte schon beinahe vergessen wie gut sich seine kühle Nähe anfühlte. Doch sein Blick fiel über ihre Schulter in den Stubenwagen. „Er hat richtig Farbe bekommen.“ Darin lag Dakar, frisch gefüttert und gewickelt und schaute schweigend aus seinen nachtschwarzen Augen. Ob er sich freute oder nicht, sah man ihm nicht an, aber Seto zumindest freute sich. „Ja, er hat auch ziemlich zugelegt in den letzten Wochen.“ Aus dem mageren, hässlichen Säugling war ein fast ansehnliches Baby geworden. Er hatte an Gewicht zugenommen und seine Wangen zeigten etwas Farbe. Aus seinen struppigen Borsten auf dem Kopf war weiches, glänzendes Babyhaar geworden. Er würde zwar keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, aber Teas Liebe hatte viel bewirkt. Er war zwar kein hübsches, aber ein gepflegtes Baby. „Schau mal, wer da ist!“ Sie lockte ihn und setzte ihre glückliche Tochter in den Hochstuhl zurück, nahm ihn aus dem Wagen und hielt ihn vor Seto. Dakar konnte sich sicher nicht mehr an ihn erinnern. „Ja, wer ist denn da? Das ist Seto! Seto kennst du gar nicht mehr, was?“ „Hallo Kleiner“ lächelte der, stützte seinen Windelpo mit der gesunden Hand, während Mini-Joey seinen Kragen befummelte. „Na, du erkennst mich gar nicht, hm? Ist ja auch schon lange her.“ „Ja, guck mal!“ sprach Tea weiter mit hoher Stimme. „Das ist der Seto. Guck mal, lacht Seto? Ja, schau doch mal wie er lacht!“ Ihre hohe Stimme fesselte ihn und er sah sie unverwandt an. Seto war ihm herzlich egal. „Ja zeig mal, wie das geht. Ja zeig Mama mal wie du lachen kannst. Kannst du lachen?“ Und tatsächlich tat sich was in seinem ausdruckslosen Gesicht. Er zog die Mundwinkel hoch und öffnete die Lippen, ahmte sie nach. Seine weit entwickelten Zähne waren nicht die eines Babys, aber er sabberte wie eines, kniff die Augen zu und quietschte. Er sah richtig normal aus wie er seine Mama anlachte und sich freute, weil sie sich freute. „Du kannst ja lachen!“ freute Seto sich mit ihm und küsste den lachenden Jungen auf die Stirn. „Dakar Knutschi! Knutschi Knutschi!“ piepste Tea. Der Kleine fuchtelte darauf mit den Armen und quietschte noch mal. Wenn er Mamas Stimme hörte, ließ er sich animieren. „Er freut sich ja richtig. Schau was du geschafft hast, Tea.“ „Ja, das haben wir viel geübt“ erwiderte sie und legte sich den Winzling auf den Arm. Zwischen den beiden war eine tiefe Bindung entstanden. So wie es sein sollte, brauchte Dakar seine Mami. Und sie gab ihn nicht mehr her, auch wenn er das Kind einer anderen war. „Ich bin sehr stolz auf ihn.“ „Er sieht gut aus. Aber bei so einer Mama …“ „Du siehst auch gut aus.“ Sie berührte seinen Arm und ließ ihn spüren wie glücklich sie über ihn war. „Die Haare. Wie hast du die so lang bekommen?“ „Wenn ich das wüsste. Ich weiß ja nicht mal, warum meine Klamotten so zerfetzt waren.“ „Möchtest du dich setzen?“ Noah zog einen Stuhl hervor, doch von Setos Beinen kam Protest. „Neeeeiiiiin! Nicht hinsetzen! Neeeeiiiin!“ Die beiden Rabauken saßen auf seinen Füßen und wollten lieber noch etwas herumgeschleppt werden. „Wenn du genug von den Kindern hast, kannst du uns ja auch noch mal begrüßen.“ „Natürlich. Entschuldige, Noah.“ Er nahm ihn in den Arm und drückte ihn. „Schön, dass du wieder da bist, Brüderchen.“ „Ich bin auch froh, euch alle gesund zu sehen.“ „Oma Seto?“ Sareth traute sich und war neben ihn getreten, zupfte vorsichtig seinen Ärmel. Während er sich von Noah löste, nahm der ihm das Baby ab und gab es an Narla zurück. „Hallo Schatz“ begrüßte er seine Enkelin und schloss auch sie in den Arm. Sie versank fast vollständig in ihm und versteckte die feuchten Augen. „Danke, dass du uns geholfen hast.“ „Ist doch selbstverständlich, Süße.“ Er drückte sie noch fester und setzte einen kühlen Kuss in ihren Scheitel, bevor er ihr zuhauchte. „Du bist stärker geworden, das fühle ich. Hast du neue Freunde gefunden?“ „Ja“ nickte sie und griff ohne einen Blick seine Hand, verschränkte ihre Finger mit seinen. „Ich bin so froh, dass wir dich wiederhaben. Ich habe dich so vermisst.“ „Also, wenn dich jetzt alle begrüßen, dann will ich auch noch mal richtig.“ Nach diesem herzhaften Beschluss von Yami hieß es: Hinten anstellen. Der Reihe nach mussten jetzt alle geknuddelt werden. Eigentlich wollten sie Seto in Ruhe zurückkommen lassen, doch so ganz ohne eine Umarmung ging das nicht. Jeder musste ihm persönlich noch mal sagen, wie beruhigend es war, ihn wieder da zu haben, dass man ohne ihn nicht komplett war und überhaupt gut, dass er gesund und munter vor ihnen stand. Sogar Dakar ließ sich entgegen seiner Art kurz den Arm umlegen, um seinen Respekt zu bekunden. Ungewöhnlich nur, dass Joey sich zuletzt erhob und ihm nicht vor allen anderen auf den Arm sprang. Das merkte sogar Seto und ließ Tristan los, um den Letzten in der Runde anzusehen. „Und du?“ fragte er mit gesenkter Stimme. „Du freust dich nicht besonders, mich wiederzusehen, oder?“ „Natürlich nicht.“ Trotzdem hatte er Freudentränen in den Augen. Er hatte zwar ständig gequengelt wie sehr er ihm fehlte und wie einsam er war und dass er nachts von ihm träumte, aber vermisst hatte er ihn natürlich überhaupt nicht. „Ich kenne keinen, der so viele Wiedersehensszenen produziert wie du. Langsam nervt das.“ Er schniefte und wischte sich die Nase. „Kannst du nicht mal richtig wegbleiben?“ „Tja, tut mir ja leid“ zuckte Seto mit den Schultern. „Sieht so aus als müsstest du damit jetzt leben, dass ich wieder da bin. Kannst natürlich auch in die Hütte draußen einziehen, dann müssen wir uns nicht ständig wiedersehen.“ „Das ist ne Spielburg, Mann. Keine Wohnung. Bist du blöd geworden?“ „Anscheinend. Ich habe das für ne Hundehütte gehalten und gleich an dich gedacht.“ „Du bist’n Arschloch“ betitelte er ihn, aber fiel ihm trotzdem in die Arme. „Und du stinkst“ erwiderte Seto und drückte ihn fest an sich, fester als alle anderen. Er hatte Joey natürlich auch überhaupt nicht vermisst. Nicht mal soooo viel. „Und wir hatten Angst, Seto kommt als anderer Mensch zurück“ meinte Mokeph. „So sehr kann nix meinen Bruder verändern“ beschloss Mokuba und pflückte Dante von Setos Bein ab. „So, ich fahre die Kinder in den Kindergarten. Wir sind eh schon zu spät.“ „Neeeeiiiin!“ protestierte der Kleine laut. „Bei Onkel Seto bleiben!“ „Onkel Seto muss heute noch viel machen. Du siehst ihn doch nachher wieder.“ „Können wir nicht zuhause bleiben?“ bettelte auch Nini ihren Papa an und krabbelte an Yugi hoch. „Bitte! Wir müssen feiern und tanzen und singen!“ „Wir feiern und tanzen und singen später, Mäuschen. Papa ist jetzt wieder da und er bleibt auch, aber das Leben muss ja weitergehen und ihr müsst weiter in den Kindergarten. Aber Tato kommt heute mit und passt auf euch auf.“ „Dann lasst uns mal los. Komm Schnecke“ beschloss der frisch ernannte Aufpasser und fischte sich Risa auf den Arm. „Aber wir haben noch nicht gefrühstückt!“ fiel Nini sofort ein. „Wir müssen mit Papa frühstücken.“ „Ihr hättet frühstücken können, wenn ihr oben nicht so lange gekuschelt hättet“ erwiderte Yugi. Er wusste, dass Nini jetzt alles probierte, um ihren Willen durch zu bekommen. „Ihr bekommt doch gleich Frühstück im Kindergarten und bis dahin kannst du dir ein geschmiertes Brot mitnehmen, ja?“ „Is will au Sedo bleibn“ schloss klein Risa sich der allgemeinen Meinung an und durchbohrte auf seinem Arm sitzend den großen Tato mit einem Bettelblick höchster Kunst. „Aaahhh!“ Er wandte sich ab und hielt kniff seine Nasenwurzel. „Schatz, guck mich nicht so fies an.“ „Bidde! Lieber lieber lieber Tado. Is will Sedo bleibn. Gib’s Kussi von mia.“ Und sie bestach ihn fachfrauisch mit einem dicken Kuss auf die Wange. „Haaa, manno!“ Da blieb selbst er nicht standhaft. Konnte er so einem süßen Mädchen etwas abschlagen? Und sie grinste ihn mit leuchtend schwarzen Augen an. Sie wusste ganz genau wie sie ihn weichgeklopft bekam. „Nicht weich werden, Schwiegersohn“ frotzelte Mokeph von der Seite. „Sie wickelt dich schon wieder um den Finger.“ „Du hast Recht.“ Er ging nicht anders, er musste wenigstens noch ein paar Jahre seine männliche Vorherrschaft verteidigen. „Also, nix da, Schneckchen. Wir benehmen uns und gehen in den Kindergarten. Gib Papa einen Abschiedskuss.“ Er hielt sie Mokeph hin, wo sie ihn schweren Herzens küsste und dennoch Seto sehnsüchtig fixierte. „Ich will bei Onkel Sido bleiben“ meldete sich Dante noch mal. „Bitte bitte!“ „Ja! Bitte bitte!“ schloss sich auch Mini-Tato an und klammerte sich noch fester ans väterliche Bein. „Ich geh nich weg! Nie in Leben!“ „Ach, Tatolino.“ Seto nahm ihn auf den Arm und küsste den Kleinen. Es war besser, wenn sie keinen so großen Zirkus um seine Rückkehr machten, auch wenn er eigentlich lieber mit allen zusammenbleiben würde. Dennoch musste das Leben normal weitergehen, um vor allem den Kindern ein Gefühl der Normalität zu vermitteln. „Komm, Mini-Ego. Du hast doch auch noch gar nichts gegessen.“ Tato griff sein kleines Ich am Kragen, zog ihn auf den Arm und flüsterte ihm extra laut zu, damit alle es mithörten. „Wir gehen im Auto bei McDonalds frühstücken.“ Da machten auch die anderen Kinder große Augen und plötzlich war die Fahrt in den Kindergarten gar nicht mehr so schlimm. „Im Auto essen“ wiederholte Tato aufgeregt. Das bedeutete: Drive-In zum Frühstück! Happy Meal mit Spielzeug!! Das war eine echte Alternative!!! „Ja, aber nichts verraten. Du auch nicht Rischen.“ Beide schüttelten verbindlich den Kopf, bevor klein Tato seiner Schwester dringlich zuwinkte. „Komm Nini, wir müssen losfahren. Vatrau mir.“ „Na gut. Tschüssi, Papa.“ Sie knutschte Yugi schnell ab und knutschte auch Seto noch mal. „Und dann feiern wir Wiedersehen ein anderes Mal, nä?“ „Ja, versprochen“ nickte er und winkte der Meute, die sich den Weg nach draußen bahnte. Tristan führte Feli an der Hand hinterher und Phoenix nahm dem großen Tato sein kleines Ich ab, um alle sicher in zwei Autos zu verstauen. „Moki, wo ist der Schlüssel?“ Dante forschte in Mokubas Hostentasche und bekam protestlos den Autoschlüssel überreicht, damit er schon mal das Auto aufschloss - ging ja zum Glück alles per Knopfdruck. Und an der Tür sprang ihm auch noch ein junger Siamkater entgegen, der laut maunzte. „Streichel kommt auch mit?“ „Jupp. Komm Streichel.“ Mokuba nahm den Kater hoch und hängte ihn Dante über den Arm, wo er sich halb im Pullover festkrallte und halb stützen ließ. Auf jeden Fall kannte er es, von seinem kleinen Herrchen umständlich herumgeschleppt zu werden und es störte ihn gar nicht. „Er nimmt den Kater mit in den Kindergarten?“ wunderte Seto sich nun doch. „Die beiden sind wie Pech und Schwefel“ antwortete Noah resigniert. „Der Kater rennt Dante überall hin nach und der Kindergarten hat nichts dagegen, wenn er ab und zu mal mitkommt. Der ist eher ein Hund als eine Katze. Dante und Moki haben ihm sogar Kunststücke beigebracht. Ich glaube, die haben zu viel Zeit.“ „Moki kann gut mit Katzen. Konnte er schon immer“ quittierte Seto, nahm Theresa zurück auf den Arm und setzte sich kuschelnder Weise mit ihr an den Frühstückstisch. Wenn schon alle Kleinkinder weg waren, blieben ihm wenigstens noch die Babys. „So eine Aufregung“ seufzte Yami glücklich. „Seto, du solltest echt Kindergärtner werden.“ „Das wäre wohl nicht so gut“ erwiderte der und nahm einen Kaffeebecher von Yugi entgegen. „Dann hätte ich nicht das Gefühl, zu arbeiten.“ „Außerdem wärst du körperlich ungeeignet“ ergänzte Narla. „Du bist so groß und in Kindergärten ist alles sehr klein, allein die Möbel schon. Die meisten Kindergärtner haben später Gelenk- und Rückenschäden.“ „Im Finanzbereich bist du wirklich besser aufgehoben“ pflichtete Joey bei. „Wir brauchen dich ja auch, Mann.“ „Und das von dir?“ „Ach, mir wäre das ja egal“ winkte er grinsend ab. „Aber Noah heult rum, dass ihm die Arbeit zu viel wird.“ „Das lasse ich jetzt unkommentiert“ meinte der. Natürlich war die Arbeit ohne Seto viel, aber das mit dem Rumheulen war eine Falschbeschuldigung. „Soll ich gleich heute mit ins Büro kommen?“ „Kannst du, musst du aber nicht“ antwortete Noah und nahm seine Müslischale wieder auf. „Akklimatisiere dich erst mal und wenn du wieder einen Kopf hast, kannst du einsteigen. Wie wäre es, wenn ich dich heute Abend auf den aktuellen Stand bringe?“ „Wenn dir das recht ist.“ „Natürlich. Mit etwas Glück gibt’s auch gute Neuigkeiten, wenn …“ … wenn nicht ohnehin gerade sein Handy klingelte. „Siehste?“ feixte Joey. „Noah kommt mit arbeiten nicht hinterher.“ „Oder es ist Moki, der irgendwas vergessen hat“ vermutete Marie. Das kam nämlich nicht selten vor, dass er sich von Noah Sachen hinterherschleppen ließ. Selbst wenn es sich nur um ein paar Meter handelte. „Entschuldigt“ bat er, nahm das Gespräch auf und wandte sich der Höflichkeit wegen leicht vom Tisch ab. „Guten Morgen. Schon wach?“ Er lachte kurz und wechselte das Ohr. „Mach dir keinen Kopf, das letzte Glas ist immer das zu viel. Ich hoffe aber, du bist fitt für heute? - … - Hm, wie bitte? - … - Ach so, ja selbstverständlich. - … - Ich bin gerade dabei, aber … - … - Nein, das würde mir sehr gefallen. Ich bin in einer Dreiviertelstunde am Hotel und hole dich ab, in Ordnung? - … -“ Er lachte und richtete sich abwesend den Kragen. „Ja, ist notiert. Dann bis gleich. - … - Bye.“ Er legte auf, steckte das Handy zurück ins Jackett, welches über der Stuhllehne hing und widmete sich kommentarlos seinem Müsli. „Terry?“ knurrte Joey misstrauisch. Der Hauptgrund, weshalb Noah im Augenblick nicht mit der Arbeit nachkam. Kein Wunder, wenn man ständig einen anderen Mann bespaßen musste, der seine ursprünglich zwei freien Tage jetzt schon um einige Nächte überzog. „Was will der denn schon wieder?“ „Frühstücken gehen. Er hübscht sich noch etwas auf und lässt sich dann von mir einladen.“ „Wer ist Terry?“ fragte Seto nach. Von dem hatte Yugi ihm nämlich nichts erzählt. „Ja, das wüsste ich jetzt auch gern“ fügte der an. Er konnte Seto ja nichts erzählen, was er selbst nicht wusste. „Terry ist doch dieses super hübsche Modell. Den habt ihr garantiert schon mal aufm Plakat gesehen“ erklärte Yami sofort. „Kann verstehen, dass Noah mit dem ausgeht. Ich habe mir gestern sein Buch angeguckt und wow, so sexy! Den würde ich auch gern mal zum Frühstück vernaschen.“ „Woher weißt du das denn jetzt?“ war Noah erschrocken. Wenn Yami das jetzt wusste, war es nur eine Frage der Zeit bis Mokuba auch davon erfuhr. Und das sollte er möglichst nicht von Yami. „Die bessere Frage ist“ warf Yugi dazwischen, „warum weiß Yami was, was ich nicht weiß? Alterego, erkläre dich.“ „Was? Habe ich dir gar nichts erzählt?“ Das tat ihm jetzt leid. Da hatte er Yugi in der Informationskette wohl glatt vergessen. Passierte ihm sonst nie. „Tristan hat’s Nika erzählt“ begann er aufzuzählen. „Nika hat’s Mie erzählt, Mie hat’s Spatz erzählt, Spatz hat’s Sari erzählt und die hat’s mir erzählt. Außerdem hat Joey es Narla gesagt und die hat’s Mokeph erzählt und der hat’s mir auch noch mal gepetzt.“ „Aha.“ Jetzt wusste Noah, wo der Frosch die Locken hatte. Der Flurfunk funktionierte mal wieder besser als die Internationale Presseagentur. „Und woher hast du sein Fotobuch?“ „Hab ich zufällig gefunden.“ „Zufällig?“ „Ja, rein zufällig.“ „In meinen Sachen.“ „Gestern hat jemand Happy bei euch eingesperrt und als ich sie rausließ, ist deine Tasche umgefallen, hat sie umgeschmissen und da war das drin.“ „Und dann musst du natürlich gleich neugierig sein.“ „Klar. Ich habe mir ja schon gedacht, was das ist und sexy Männer gucke ich immer gerne. Weißt du doch.“ Ein schlechtes Gewissen hatte er dabei nicht. „Weiß Moki von diesen privaten Treffen?“ sorgte Seto sich. „Nein n o c h“ wobei er Yami ernst ansah, „weiß er es nicht. Ich wollte es ihm erzählen, wenn der Vertrag unterschrieben ist. Was hoffentlich morgen Mittag der Fall sein wird. Wir verhandeln heute final mit ihm und seinem Agenten und die Vertragsunterzeichnung ist für morgen terminiert. Und wenn er mir danach ne Szene macht, ist das halb so wild, weil ich Terry dann ohnehin kaum noch zu Gesicht bekomme. Nach der Unterschrift kümmert Joey sich um den Rest.“ „Und du meinst, mein Bruder schluckt das so einfach?“ „Seto.“ Er stellte seine Schale hin und sah ihn ernst an. „Warum wollen mir immer alle etwas unterstellen?“ „Ich will dir nichts unterstellen. Ich weiß, dass du nicht fremdgehst“ erwiderte er ebenso ernst. „Aber Moki ist ziemlich besitzergreifend. Ich kann mir vorstellen, dass das anstrengend für dich ist.“ „Du meinst, es wäre verständlich, wenn ich mir ein leichtes Abenteuer suche?“ guckte er dann umso verwirrter. „Abgesehen davon, dass ich das niemals tun würde, wärest du doch der Erste, der mich einen Kopf kürzer macht.“ „Quatsch, ich könnte dir nichts tun. Das würde Moki nämlich noch vor mir höchst selbst erledigen. Ich habe nur keine Lust, deine Reste vom Boden aufzukratzen.“ „Da mach dir keine Gedanken. Meine Reste können gut auf sich selbst aufpassen.“ „Trotzdem, nimm das nicht auf die leichte Schulter. Betrogen zu werden, tut sehr weh“ riet Tea und dass Mokeph seinen Blick senkte, tat ihr wenig leid. „Selbst die Vermutung kann eine Beziehung kaputt machen. Gerade Mokuba würde schon beim ersten Verdacht Amok laufen und du machst dich gerade sehr verdächtig.“ „Ich glaube, Noah macht das schon richtig“ eröffnete Yami dennoch. „Ich würde das genauso machen. Wenn du Mokuba vorher was erzählst, kannst du das mit dem Vertrag knicken. Es gibt einfach Männer, denen musst du Honig auf den Hintern schmieren, damit sie überhaupt mit dir reden. Wenn du Moki hinterher ins Bild setzt, ist er nicht weniger oder mehr eingeschnappt als es es wäre, wenn du es ihm vorher erzählt hättest. Nur mit dem Unterschied, dass du so den Vertrag hast und ihm was hübsches kaufen kannst. Und dass du fremdgehst, glaubt sowieso niemand. Auch dein Langzeitlebensabschnittsgefährte nicht.“ „Amen“ ergänzte Yugi. Dass Noah fremdging, glaubte wirklich niemand. Mokubas Misstrauen war nur leider sehr ansteckend, sodass man bei ihm mehr darauf achtete als bei anderen. „Nur sagt ihm bitte nichts“ war ihm nochmals wichtig. „Ich nehme das selbst in die Hand. Sonst kriegt er das nur in den falschen Hals. Yami.“ „Warum guckst du mich so an?“ echauffierte der sich. „Ich bleibe heute bei Finn und Moki sehe ich wahrscheinlich eh nicht mehr. Obwohl ich mir dein Modell gern mal in natura ansehen würde. Können Finn und ich mit euch frühstücken?“ „Ha!“ Sareth atmete so laut ein, dass es jeder mitbekam. Ihr Kopf schoss hoch und starrte gebannt zur Tür. Sie hatte nicht erwartet, dass sie so früh Besuch bekam, doch da kam tatsächlich Edith herein. Mit einer dunkelgrünen Uniform und einem weißen Hemd sah er ungewöhnlich fein aus. Nur das mit dem Haarekämmen war nicht seine Sache und die schwarzen Turnschuhe waren auch staubig. „Wer ist das?“ fragte Seto. Sareth sprang sofort auf und lief zu ihm, während die anderen schmunzelnd weiter frühstückten. Sofort stellte er seine Tasche ab und erwiderte ihre Umarmung, was Setos Augen nur noch größer machte. „Das ist Edith“ erklärte Yugi leise. „Saris Freund.“ „Sie hat einen Freund? Sie ist doch erst zwölf und der ist wer weiß wie viel älter.“ „15“ wusste Noah sicher. „Edith ist 15.“ „Ich wette, er hat draußen gewartet bis Tato weg war. Papadrache reagiert sehr eigen auf seine Anwesenheit“ fügte Narla hinzu. „Aber Sari hat einen sehr wichtigen Verbündeten.“ Sie zeigte dezent über die Schulter, wo Phoenix an der Tür stand und nicht hereinkonnte bis die beiden Platz machten. Er war also nicht nur deshalb mit herausgegangen, um die Kinder zu verstauen und Tato zu verabschieden, sondern auch um ihn abzulenken und Edith bescheid zu sagen, dass die Luft rein war. „Außerdem ist Tato der Letzte, der sich über Altersunterschiede aufregen sollte“ meinte Marie. „Davon abgesehen, verstehen Spatz und Edith sich sehr gut, obwohl sie so unterschiedlich sind.“ „Ja, ziemlich“ erzählte Narla. „Gestern waren Spatz und Sari zusammen in der Stadt. Aber Spatz hat sich eigentlich mehr als Alibi zur Verfügung gestellt, damit sie sich mit Edith treffen kann, ohne dass ihr Vater Verdacht schöpft. Das hat mein Bruder mir abends nämlich selbst erzählt.“ „Ziemlich viel Geheimniskrämerei seit ich weg war“ stellte Seto argwöhnisch fest. „Jeder hat seine Geheimnisse. Jeder außer dir“ lachte Joey. „Wenn ich Tato zum Vater hätte, würde ich meinen Freund auch erst mal verstecken“ kommentierte Yugi. „Sie bringt ihm das schon noch bei. Sie kennt ihren Papa doch am Besten.“ „Und wenn Spatz ihr den Rücken stärkt, kann er sich nicht aufregen“ nickte auch Marie. „Ich sage, die beiden verbünden sich noch gegen ihn.“ Doch da kamen die drei auch endlich heran. Seit dem Jahrmarkt waren sehr ereignisreiche Tage vergangen. Ereignisreich in der Familie, aber auch mit der heimlichen Liebe. Sareth hatte ihn ausreichend umarmt, hielt seine Hand und obwohl sie ahnte, dass schon seit damals beim Luftballturnier jeder bescheid wusste, hatte sie ihn noch nie offiziell als Freund vorgestellt. Besonders bei Seto nicht, der im Zweifel sowohl Probleme machen als auch Probleme lösen konnte. Während Phoenix sich zurück auf seinen Stuhl setzte, stand sie vor der Gruppe und hielt ihren Galan fest an der Hand, ganz fest. „Ähm … Oma Seto, das ist Edith.“ „Aha.“ Er stellte seinen Becher zur Seite, erhob sich und stand in prächtigster Größe vor dem kleineren Jugendlichen, der möglichst furchtlos an ihm heraufschaute. Seto musterte den Jungen, betrachtete intensiv sein Gesicht und überlegte, ob er den jetzt gut genug fand oder nicht. „Edith, ja?“ wiederholte er mit dunkler Stimme. „Jo“ antwortete der mit fast genauso tiefer Stimme. „Edith und weiter?“ „Wittard“ stellte er sich ganz vor. „Edith Wittard. Und Ihr ganzer Name?“ „Edith!“ zischte Sareth ihm warnend zu. Er sollte lieber nicht so frech sein, während er beurteilt wurde. Selbst wenn das mit der Höflichkeit nicht sein Ding war. „Muto, Seto. Hat zu reichen“ erwiderte der und reichte ihm die Hand. „Ich bin Saris zukünftiger Großvater.“ „Aha.“ Er nahm die gereichte Hand und verzog keine Mine, auch dann nicht als seine Hand eiskalt gequetscht wurde. Wenigstens das ließ er über sich ergehen und nach ein paar Sekunden senkte er auch den Blick und hörte auf, dem Drachen in die Augen zu sehen. Narla applaudierte innerlich so laut, dass man es ihrer Mine ansah. Der junge Freier hatte soeben das Beste getan, was er tun konnte. Er hatte sich untergeordnet. Genau das hätte sie ihm auch geraten. Endlich ließ Seto ihn los und setzte sich mit erfüllter Mission zurück auf seine vier Buchstaben. „Willst du mit uns frühstücken, Edith?“ „Hab schon.“ Er steckte sich die eiskalte Hand in die Hintertasche, damit sie wieder warm wurde. Das war hart gewesen. „Wie kommt’s, dass du so früh hier bist?“ wollte Sareth wissen und schaute auf die Uhr. „Du kommst gleich an deinem zweiten Schultag zu spät.“ „Heute Morgen ist Probestunde für den Chor. Da gehe ich sicher nicht hin.“ Singen und er? Das passte nicht. Stattdessen klappte er seine Tasche auf und kramte ein abgewetztes Schulheft heraus. „Ich muss heute meine Übungen abgeben. Kannst du da mal rübergucken? Du hast gesagt, du machst das.“ „Klar. Natürlich. Was ist denn das?“ Sie war ganz entzückt. Er gab ihr seine Hausaufgaben, damit sie die Korrektur übernahm? Das war süß von ihm und ein echter Vertrauensbeweis. Sie blätterte das Ding auf und sah lächelnd hinein. „Deine Schrift ist viel besser geworden als das, was ich im Zelt gesehen habe. Du hast Schreibübungen gemacht, oder?“ „Du sollst nur gucken, ob das richtig ist und nicht wie es aussieht.“ „Komm, wir gucken da zusammen rein.“ Sie nahm seine Hand und führte ihn an einen etwas entfernten Tisch, wo sie ungestört die Köpfe zusammenstecken konnten. „Sie hat ihn nur dir vorgestellt, Seto“ schmunzelte Yami. „Ich bin beleidigt.“ „Wir haben ihn ja schon mal gesehen“ beschwichtigte Tristan. „Ich glaube, Setos Urteil ist eh wichtiger.“ Und ein erster Probelauf, bevor sie dann zum nächsten Drachen gehen musste. „Und? Wie findest du ihn?“ „Hrm.“ Er nippte an seinem Kaffee und tat einen Seitenblick zu den beiden. „Nicht gerade der perfekte Schwiegersohn. Außerdem ist er aus dieser Zeit.“ „Aber?“ wollte Yami genauer hören. „Er ist doch süß, oder?“ „Weiß nicht. Hauptsache, er meint es ernst mit ihr.“ „Gut gemacht, Liebling“ tätschelte Yugi ihm das Knie und schob ihm ein Quarkbrötchen mit Zuckersmiley vor die Nase. „Ich glaube, das war Sari jetzt wichtig.“ „Hm.“ Er griff sein Frühstück und biss hungrig einen großen Bissen heraus, den er dann bedächtig kaute. „Trotschdem sollde man sisch ma Dedanken mahen, wie dasch gehn scholl.“ „Liebling, erst kauen und dann sprechen.“ „Hrrm.“ Er schluckte seinen Bissen runter und ergänzte argwöhnisch: „Irgendwann muss sie zurück und er bleibt hier.“ „Ich glaube, das wissen sie beide“ antwortete Yugi und blickte sie nachdenklich an. Hoffentlich gab es eine Lösung vor der Trennung. Seto dachte noch eine Sekunde über den Jungen nach, aber schluckte die Sache dann mit dem zweiten Bissen runter. Sareth war in ihren Liebschaften nicht weniger kompliziert als ihr Vater. Wo hatten die Kinder das nur her? „Wo ist überhaupt Sethan? Mit Balthasar weg?“ Dass Balthasar ausgeflippt und wütend abgedampft war, wusste er. Doch über Sethan hatte Yugi ihm nichts erzählt. Denn das bedeutete, ihm auch das mit Sethos zu erklären. „Feli hat dich ja aber ganz gut aufgenommen“ wechselte Yami sofort das Thema zu Nika. „Sie sah gar nicht so geschockt aus wie befürchtet.“ „Ja, das war ganz strange“ erwiderte sie und rührte ihren Kaffee um. „Tristan hat ihr gesagt, dass Mami jetzt anders aussieht. Wie ein Mann.“ „Sie hat sich zuerst gewundert“ ergänzte er. „Aber dann hat sie es einfach hingenommen. Ich habe sie zu Nika gebracht …“ „Nikolas“ berichtigte die sofort. „Nikolas.“ Das musste er sich erst mal angewöhnen. „Auf jeden Fall musste sie sich das erst mal ansehen. Aber dann war es gar kein Problem.“ „Das hat mich sehr überrascht“ sprach Nika weiter. „Ich dachte, sie hätte Angst oder würde schwierige Fragen stellen. Aber sie hat mein Gesicht angesehen, meine Nase berührt und mein Haar und mir dann einen Kuss gegeben und gefragt, was es zum Frühstück gibt. Sie hatte überhaupt kein Problem.“ „Feli ist ein Powermädchen“ meinte Joey schulterzuckend. „Ich glaube, der kann man mehr zutrauen als man es ihr zutraut.“ „Selten schlauer Satz, könnte von mir sein“ sprach Yami und tunkte das Milchbrötchen ins Senfglas. „Aber ist doch gut, dass sie es so toll aufgenommen hat“ heiterte Tea die noch immer etwas traurig dreinblickende Nika auf. „Sie merkt gar keinen Unterschied. Da sieht man doch, dass sie ein Mädchen ist, das mit dem Herzen sieht.“ „Ja, Feli ist großartig“ lächelte nun auch Nika. „Das macht es mir viel leichter, damit klar zu kommen.“ „Wir finden schon eine Lösung“ bekräftigte Yami nochmals. „Jetzt wo Seto wieder da ist, haben wir ganz andere Möglichkeiten.“ „Erwarte nicht zu viel von mir“ bat der leise. „Ich bin nicht allmächtig.“ „Aber so gut wie. Das reicht mir schon, Süßer.“ „Es ist ziemlich viel passiert seit ich weg war“ stellte er fest und ließ sich von Yugi die bandagierte Hand wärmen. „Tato ist mit Spatz zusammen und wirkt auch sonst ziemlich verändert. Sari hat einen Freund, Yami hat Finn, Nika ist wieder Nikolas, Feli sollte entführt werden und irgendwie habe ich das Gefühl, dass kein Arsch über Sethan reden will.“ „Dem kann man nix vormachen“ stellte Joey unglücklich fest. Je mehr man Seto etwas verschweigen wollte, desto misstrauischer wurde der. „Wir wollten dich nicht gleich mit Problemen belasten. Wo du endlich wieder da bist“ versuchte Yugi vorsichtig das Thema zu erklären. „Ja, das war schon ziemlich viel heute Morgen“ redete Joey dazwischen. „Ich war ja nicht dabei, aber du kannst es nicht so gut ab, wenn man dich mit lauter Sachen überhäuft. Und du sollst erst richtig ankommen. Eigentlich waren die letzten Minuten schon turbulenter als gut für dich ist. Du bist doch so ein Sensibelchen.“ „Ich hasse es, wenn du mich behandelst als wäre ich labil“ zischte er zurück. „Aber du bist doch labil, Mann.“ „Du sollst mich aber nicht so behandeln! Das kann ich nicht ab!“ „Ganz ruhig.“ Yugi drückte seine Hand und lehnte sich an ihn. „Wir haben’s nur gut gemeint. Wir möchten, dass du dich in Ruhe sortieren kannst und erst mit dir selbst im Reinen bist.“ „Ich werde nie mit mir im Reinen sein.“ „Sei bitte nicht böse. Wir haben es gut gemeint.“ „Ich mag das Gefühl nicht, wenn ihr mich ausschließt“ erwiderte er. Seine Stimme klang aber nicht vorwürflich. Er wusste selbst, dass er schwierig war und dass es Mühe machte, mit ihm umzugehen. Aber er wollte auch, dass man ihm vertraute und in alles einbezog. „Sethan ist mein Enkel und wenn er Probleme hat, will ich das wissen.“ „In Ordnung. Aber bitte bleibe ruhig und mache nichts Unüberlegtes, ja?“ Er küsste seine Nasenspitze und seufzte. Er musste es ihm wohl sagen. „Seto … Sethan und Amun-Re sind im Aquarium. Schon seit einiger Zeit, weil sie bei Sethos bleiben wollen.“ „Sethos wohnt im Aquarium?“ Das war wirklich eine merkwürdige Neuigkeit. „Nein, nicht so richtig wohnen.“ Er nahm seine Hand und blickte Setos Gesicht an, um möglichst schnell seine Reaktion zu erfassen. „Apophis hat Sethans Kraft missbraucht und ist auf der Erde erschienen und um ihn zurückzuschicken, hat Sethos mit ihm gekämpft. Apophis ist jetzt in Menschengestalt bei unserem Seth und Sethos ist … er wurde gebissen und wir wissen nicht, ob er das überlebt.“ Seto sah Yugi an und dachte über das Gehörte nach. Vorerst schien er gar nicht zu reagieren, als würde er es nicht wirklich verstehen. „Du meinst … Sethos wurde vergiftet.“ „Ja, sehr schlimm. Und sein Körper ist in sehr schlechtem Zustand. Er hat das Bewusstsein verloren und … wir hoffen es nicht, aber er wird seine Augen vielleicht nicht wieder öffnen.“ „Unsinn! Sethos stirbt nicht!“ Er ließ Yugis Hände los, rückte vom Tisch ab und stand auf, auch wenn er nirgends hinlaufen konnte, um ihn zu retten. „Sethos ist niemals geboren worden. Also kann er auch nicht sterben.“ „Du weißt, dass er nur nicht so sterben kann wie wir“ versuchte Yugi ihm das zu erklären, was er eigentlich auch selbst wusste. „Seine Seele wohnt in einem ungeborenen Körper und wenn dieser Körper stirbt, dann stirbt er unweigerlich darin.“ „Aber wenn seine Seele stirbt … er hat kein Herz, welches seine Seele unsterblich macht. Er ist dann … er würde einfach verschwinden! Obwohl wir uns an ihn erinnern, würde er einfach verschwinden!“ „Deshalb wollten wir es dir schonend beibringen.“ Yugi hielt behutsam sein Knie und war nicht verwundert, dass Seto erschrocken reagierte. Er sollte nur nicht sinnlos überreagieren. „Sethos ist vergiftet“ wiederholte er und stützte den Kopf in die Hände. „Deswegen ist er einfach weg gegangen. Und ich habe ihm nicht geholfen … ich bin einfach sitzen geblieben. Ich war nicht da.“ „Wie denn auch? Du warst in Trance“ sprach Yugi ihm seine Schuld ab. „Und selbst wenn, du hättest gegen Apophis nichts tun können. Selbst du kannst es nicht mit einem Gott aufnehmen.“ „Aber ich hätte ihn unterstützen können.“ „Unterstützung war genau das, was er nicht brauchte“ meinte Joey und hielt ihm die offene Hand hin. „Du kannst in meinen Erinnerungen nachsehen, wenn du möchtest. Dann verstehst du, dass du nichts hättest tun können.“ „Ich hätte aber bei ihm sein müssen! Bei euch!“ „Seto!“ Er hielt ihm nochmals nachdrücklich die Hand vor. Wenn Seto sich jetzt Vorwürfe machte, würden ihn seine Gewissensbisse nur verzweifeln lassen. „Du hättest nichts tun können. Los, sieh dir an, was passiert ist.“ „Ich brauche deine Hand nicht.“ Mit einer Bewegung wischte er sie weg und sah Joey beleidigt an. Früher brauchte er vielleicht Körperkontakt, aber heute konnte er auch einfach so in die Gedanken eines anderen eindringen, wenn er wollte. „Aber ich brauche das.“ Also setzte er sich auf Ninis freien Stuhl und griff willentlich Setos eiskalte Hand, legte sie an seine warme Stirn und sah ihn ernst an. „Du hättest nichts tun können. Glaube mir. Los, sieh dir an, was passiert ist und mach dir selbst ne Meinung.“ Nach einigen Sekunden gab Seto dann auch nach. Vorsichtig entspannte er seine Finger, schmiegte sie in den blonden Haaransatz und blickte im tief in die Augen. Von außen war nichts zu erkennen außer dass sie sich intensiv in die Augen sahen und Joey anscheinend ein wenig wegträumte. Dann löste sich der Kontakt und gab Joey wieder frei. Der hatte sich nicht verändert, doch Seto sah bedrückt zu Boden. Er atmete tief und musste verarbeiten, was da geschehen war. Nicht nur, dass Sethos sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, sondern auch Seth anwesend war. Seth hatte nichts getan, um Sethos oder den anderen zu helfen. Er hatte nur verhindert, dass Apophis in seinem Tierkörper starb. Und was er nun in Begleitung dieses unberechenbaren Gottes tun würde … die Situation war denkbar schlecht und er war viel zu spät zurückgekehrt. Es gab vieles, was er verpasst hatte. „Tato kann wieder fliegen, ja?“ „Ja. Weil Risa durch Rah ihr Leben für ihn eingetauscht hat“ erklärte Yugi leise. „Ist alles in Ordnung? Möchtest du dich nicht lieber wieder setzen?“ „Ich möchte bitte zu Sethos fahren. Ich muss selbst sehen, wie es ihm geht.“ „Wahrscheinlich sehr schlecht“ musste Marie ihm vorsichtig gestehen. „Balthasar erzählte mir gestern spät abends am Telefon, dass er viel Blut verliert und selbst die Putzerfische von ihm fernbleiben. Und dass Amun verzweifelt ist.“ „Und das, wo Amun mehr an ihn glaubt als alle anderen“ seufzte Yami hinzu. „Wenn wir hinwollen, sollten wir wenigstens vorher anrufen und ihm sagen, dass Seto zurück ist.“ „Amun hat kein Handy“ warf Joey ein. „Dann rufen wir eben Balthasar an! Meine Scheiße noch mal! Ich werde doch wohl noch zu Sethos dürfen!!!“ „Liebling, bleib ruhig.“ Yugi suchte in der Tasche nach seinem Handy, aber … „Ich habe es oben liegen lassen.“ „Ich mache schon.“ Marie hatte ihres dafür auf dem Tisch liegen und drückte nur eine Taste, um ihren Sohn zu erreichen. Der ging auch schnell ran. „Guten Morgen, Schatz. Wie geht’s dir?“ grüßte sie ihn lieb. Doch ihr mütterliches Lächeln fror ein, während seine Stimme undeutlich durchs Telefon drang. „Oh … hm, das ist schlimm“ machte sie leise und hörte ihm genau zu, bevor sie antwortete und sich Tränen in ihren Augen sammelten. „Wenn Amun es sagt, dann … entschuldige, ich wollte euch eigentlich nur sagen, dass Seto heute Morgen zurückgekommen ist und …“ Sie atmete und wischte sich eine Träne weg. „Wir machen uns gleich auf den Weg. Ich sage bescheid. Bis gleich.“ „Was ist denn passiert?“ wollte Yami wissen, sobald sie aufgelegt hatte. „Es geht zu ende“ quetschte sie heraus und musste sich beherrschen, um nicht in Tränen auszubrechen. „Heute Nacht hat Sethos stark geblutet und alle Fische im Becken sind gestorben. Sachmet war noch mal da und sie sagt, dass … dass sie nichts mehr tun kann. Jeder, der möchte, soll noch mal kommen und Abschied nehmen.“ „Und warum rufen sie uns dann nicht sofort an?!“ rief Seto und sprang auf. „Wahrscheinlich weil Amun völlig fertig ist“ entgegnete Yami ernst und schob seinen Senf-Milchshake von sich weg. „Dann lasst uns jetzt keine Zeit mehr verlieren.“ Kapitel 4: Chapter 16 - 20 -------------------------- Chapter 16 Der größte Teil des Aquariumgeländes war abgesperrt und beamtete, eingeweihte Wachposten aufgestellt. Auch wenn aufgrund der für Menschen unsichtbaren Engelsgarde keine fremde Magie eindringen konnte, wollte man dennoch sicher sein, dass niemand unerlaubt dem Sterbenden nahe kam. Neben der Pharaonenfamilie durften nur wenige ausgesuchte Pfleger das Areal betreten, um die Tiere zu versorgen und die Technik zu warten. Jeder Ein- und Ausgang wurde persönlich kontrolliert und als die Wachen die Autos mit den Pharaonen sichteten, öffneten sie die Tore und winkten anstandslos durch. Obwohl jeder aufgeregt war und besonders Seto am ganzen Körper zitterte, glich ihre Karawane einem Trauermarsch. Wenn selbst die Heilungsgöttin die Hoffnung aufgab, dann standen die Chancen denkbar schlecht. Es war ein Wunder, dass Sethos überhaupt so lange überlebt und sich gegen das Gift behauptet hatte, doch nun unterlag er in seinem letzten Kampf. Das Kraft des Apophis war selbst von Göttern gefürchtet und man musste dankbar sein für die Gelegenheit, jemandem nochmals mehr oder weniger lebendig zu begegnen, der gebissen wurde. Es war keine Schande, dass Sethos unterlag, aber dennoch eine persönliche Katastrophe für jeden, dem er etwas bedeutete. Die priesterlosen Pharaonen verloren ihren Schutz, die Götter verloren Rahs Sprecher, die Engel verloren ihren Patronen, die Drachen verloren einen Bruder und die Menschen einen treuen Beistand. Es war ein Verlust in jeder Hinsicht und dennoch würde er aus allen Welten verschwinden als hätte es ihn niemals gegeben. Er ließ nichts zurück, was an ihn erinnerte. Außer dem Gefühl der Leere. Der Raum mit der gemütlichen, kleinen Tribüne war heller erleuchtet als an Besuchertagen, ebenso das große Haifischbecken, dessen Wasser rosa schimmerte. Die Kinder wollte man nicht aus dem Kindergarten holen und mit dem Tod konfrontieren. Dakar war aber bereits auf dem Wege um Tato abzulösen, damit der möglichst früh Abschied nehmen konnte. Er würde es sich als Sethos‘ Bruder nicht verzeihen, nicht noch mal bei ihm gewesen zu sein. Doch Mokuba und Tristan würde man erst im Kindergarten ablösen, wenn die Ersten zum Gehen bereit waren. Für Kinder wäre dieser Anblick auch eher traumatisierend, denn auf dem Sandboden lagen reglos drei Riffhaie, der vierte trieb mit dem Kopf nach unten und berührte nur mit seiner Schnauze den Grund. Bei näherem Hinsehen war der Boden übersät mit kleineren Fischen. Alles Leben in dem Becken war verendet an dem Blut, welches das Gift aus dem Körper schwemmte. Und ganz vorn an der Scheibe, dort wo Amun seine Stirn ans Glas drückte, dort lag Sethos. Seine Augen waren geschlossen und seine Wangen eingefallen, sein Mund stand einen Spalt offen. Die Haut seines Körper fahl und die sonst so kräftige Statur war nunmehr ein Schatten ihrer selbst. Das weiße Tuch, welches sie ihm um die Blöße geschlungen hatten, verlor langsam den Halt, da seine Muskeln schwanden und das Gift seinen Körper auszehrte. Seine Beine waren dünn und sein mächtiger Brustkorb zeigte nur noch dürre Rippen. Er lag mit dem halben Gesicht im Sand, seine knochigen Flügel locker an den Rücken gelegt. Aus seinem Mund, aus den Kiemen und aus dem verletzten Flügel stiegen kleine Blutpulse wie Rauch ins Wasser. Sein Herz schlug noch mit letzter Kraft. Die Trauer drückte an die Wände des Raums. Während Amun vorn an die Scheibe gepresst harrte, saßen Sethan und Balthasar auf den Polstern des Besuchertreppchens und harrten ihrer Gedanken bis die anderen eintraten. Allen voran schritt Seto zu Amun, welcher sich erhob und ihn in den Arm schloss. Noch niemals hatte man den positiven und optimistischen Sonnengott so niedergeschlagen gesehen. Angesichts dieses Verlustes konnte selbst er kein fröhliches Gesicht aufziehen. Auch die zwei anderen standen auf und begleiteten die Eingetroffenen zur Scheibe, wo sie hindurchblickten und sich hilflos fühlten. So vieles konnten sie zum Guten wenden, doch Sethos konnten sie nicht helfen. „Was machen wir jetzt?“ fragte Yami und legte seine Hand an das Panzerglas. „Wir können nicht ins Wasser, um ihn zu berühren, oder?“ „Besser nicht. Wir würden wahrscheinlich enden wie die Fische“ antwortete Balthasar. „Sie verwesen und wenn du durch die Tür hoch gehst, stinkt das Wasser erbärmlich.“ „Warum sterben die Fische jetzt erst?“ fragte Joey sich. Insgeheim suchte er noch immer nach einer Lösung. Es gab immer eine Lösung - man musste sie nur finden! Und das rechtzeitig! „Die Putzerfische haben doch sogar sein geronnenes Blut aufgepickt. Warum sterben jetzt alle Fische und vorher nicht?“ „Weil sein Körper das Gift jetzt nicht mehr neutralisieren kann. Er ist zu schwach“ antwortete Balthasar leise. „Ich kannte Sethos nicht besonders gut, aber ich … ist es anmaßend, wenn ich sage, dass ich ihn vermissen werde?“ „Amun, es tut mir so leid“ flehte Sareth mit leisem Stimmchen zu. Sie stand direkt neben ihm und doch wagte sie es nicht, ihn zu berühren oder seinen Blick zu provozieren. „Es tut mir so unendlich leid. Ich hätte ihm nicht reinpfuschen dürfen. Dann wäre das alles nicht passiert. Er hätte Apophis besiegt.“ „Er hat ihn besiegt, mein Schatz.“ Seine Stimme enthielt keinen Groll und keinen Vorwurf. Er gab ihr keine Schuld, er gab niemandem Schuld. Doch die Tatsache, dass er nicht beschützen konnte, was ihm am teuersten war, das würde er lange nicht verkraften. Man sah ihm an, dass er seit Tag und Nacht keinen Schlaf fand und keinen Appetit hatte. Er schien müde und abgekämpft und doch konnte er sich nicht dazu zwingen, an etwas anderes als einen Ausweg vor diesem unvermeidbaren Verlust zu denken. Er konnte nichts tun. Nichts. Er als höchster Gott war machtlos. „Auch wenn es dich vielleicht wenig tröstet“ sprach Yugi und legte den Arm um Amuns Hüfte, „wir lieben ihn auch und sind für dich da.“ „Danke.“ Dann entstand ein langer Moment der Stille. Was sollte man auch groß sagen, wenn man hilflos zusehen musste wie ein mächtiges Wesen verendete und verschwand? Von Sethos würde nur sein verletzter Körper bleiben und auch dieser würde irgendwann zu Erde verfallen. Er hatte kein Herz, welches seine Seele erhielt. Es gab keinen Ort, an den er gehen konnte. „Amun-Re“ sprach Seto fast lautlos. „Gibt es irgendetwas, was ich tun kann? Was es auch sei?“ „Nein, du kannst nichts tun“ antwortete er mit flacher Stimme. „Wenn es etwas gäbe, würdest du es mir doch sagen. Wenn ich ihm Kraft geben könnte oder etwas Lebenszeit. Wenn ich seine Seele in meinem Körper aufnehmen könnte. Irgendetwas. Wenn jemand etwas tun kann, dann ich. Ich bin ihm am ähnlichsten. Meine Magie ist seiner ähnlich. Also wenn es etwas gibt, dann musst du es sagen.“ „Es gibt nichts, Eraseus. Du kannst nichts tun.“ „Es tut mir leid.“ Sareth brach in Tränen aus und versank in Yamis Arm, der sie trösten wollte. „Es ist alles meine Schuld. Hätte ich nicht …“ „Nein, niemand ist schuld außer mir selbst“ unterbrach Amun und sah sie verkniffen an. Es kostete ihn viel Beherrschung nicht auch zu schluchzen. „Du konntest ja auch nicht anders“ erwiderte Yami. „Du musstest Sethos schicken. Sonst weiß der Geier was Apophis getan hätte. In diesem mächtigen Götterkörper hätte er …“ „Nein, meine Schuld beginnt viel früher. Und sie wiegt viel schwerer.“ Er blickte das blasse Geschöpf in dem rosa Wasser an und blickte doch in diesem Augenblick in sein eigenes innerstes Selbst. „Er wurde zu mir gesandt, damit ich ihn auf die Erde gebäre. Er sollte kein Priester sein, sondern der erste Pharao. Hätte ich ihn geboren, dann hätte seine Seele ein Herz freigegeben, hätte ihn an die Erde gebunden und er könnte nach dem Tode zu mir zurückkehren. Doch ich habe nicht nur der Welt den Frieden gestohlen und meinem Bruder den Sohn. Ich habe ihm auch das Recht auf ein unsterbliches Leben gestohlen. Und wenn er nun geht, dann bricht mein Herz verdient.“ „Bei allem Respekt, aber du redest Unsinn“ sprach Seto sehr ernst. Über diese Worte wich sogar für einen Augenblick die Trauer aus seinem Ausdruck. „Sethos hat dich geliebt und er wusste, was er für dich aufgab. Er tat es freiwillig und er war immer glücklich bei dir. Er hat sich für dich entschieden und gegen das Menschsein. Weil er es so wollte.“ „Ich hätte auf ihn einwirken müssen. Ich hätte ihn seiner rechtmäßigen Bestimmung zuführen müssen. Doch stattdessen habe ich meinen Bruder betrogen und der Welt meine Schuld aufgeladen. Ich setze mich über alles hinweg und anzunehmen, dass dies nicht irgendwann abgestraft wird, war so töricht. Ich bin ein Thor, nichts mehr. Wie kann ich mich Sonnengott nennen, wenn ich nichts als Verderben bringe?“ „Sethos wollte nicht von deiner Seite weichen. Nicht einen einzigen Tag“ hielt Seto mit starker Stimme dagegen. Denn er wusste ganz sicher, dass Sethos nichts und niemanden so sehr liebte wie seinen Gott. „Er wollte kein Leben auf der Erde, wenn es bedeutet hätte, sich von dir zu entfernen. Eine Geburt hätte ihn verändert und er wollte genau das Leben, welches er mit dir geführt hat. Vielleicht hat er sein Dasein nicht immer genossen, aber er wollte sich nicht durch eine Geburt verändern. Er wollte, dass zwischen euch alles so bleibt, wie es ist. Das war sein Wunsch, nicht deiner.“ „Er wollte sicher niemals den Hass seines Vaters und die ewigen Schuldgefühle. Und er wollte niemals das Gefühl, anders zu sein. Er wollte dazugehören. Zu den Menschen. Und ich habe ihm das versagt.“ „Du hast ihm seinen freien Willen geschenkt. Er hat sich für dich entschieden und damit gegen die Welt und gegen das Menschsein. Weil er dich liebt! Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen der Unsterblichkeit oder der Normalität oder dem Dazugehören auf der einen und Yugi auf der anderen Seite, dann würde ich alles aufgeben oder es ablehnen, etwas anderes zu erreichen. Lieber plage ich mich mit Schuldgefühlen und dem Anderssein und dem Hass von anderen als auch nur einen Tag zu viel von dem Mann getrennt zu sein, den ich liebe. Ich würde alles tun, um bei Yugi zu sein. Und Sethos hat genauso gefühlt. Nur deshalb hat er sich über Leben und Tod hinweggesetzt und mich auf die Erde zurückgebracht. Weil er wusste wie ich fühle. Und weil er wusste, dass er für dich genau dasselbe täte.“ „Du solltest lieber nicht so leichtfertig davon sprechen“ flüsterte er und wandte sich ab, sodass man seine Stimme kaum hörte. „Es hat einen Sinn, weshalb Tote tot bleiben sollen.“ In diesem Moment schrak Sethan hoch und entfernte sich einige Schritte von der Gruppe. Doch es war nichts dort im Wasser oder bei den anderen, was ihn alarmierte, sondern die Gestalt, welche die Tür öffnete und eintrat. Äußerlich war es Tato, der planmäßig eintraf und dennoch jemand ganz anderes. Normalerweise füllte diese dunkle, verruchte Aura die Umgebung so schwer, dass jedem Menschen der Atem stoppte, aber nun war diese Aura fast normal. Dennoch sah und spürte jeder, dass dort nicht ihr Tato stand, sondern derjenige, den Sethan die ganze Zeit jagte. Seth, sein Vater. Er trat gelassen in den Raum und nur seine unnatürlich blauen Augen verrieten seine Identität. Das war Tatos Körper aber nicht er selbst. Er war besessen von seinem eigenen Schöpfer. Seth blickte intensiv und doch undeutbar auf die Gruppe bis er seinen Bruder fixierte und seine Lippen ein zufriedenes Lächeln zeigten. „Das ist unfair!“ Sethan stellte sich in seinen Weg und damit frontal vor ihn. Es war gefährlich, sich ihm in den Weg zu stellen und doch tat er es ohne nachzudenken. So lange wartete er auf ihn und nun erschien er in dieser Form. „Du hast meine Macht missbraucht und Apophis geschickt! Du weißt genau, dass ich auf DICH warte! Und jetzt tauchst du hier auf und bist zu feige, mir direkt gegenüber zu stehen?!“ „Das hat mehr mit Intelligenz zu tun als mit Feigheit.“ Seine Stimme war ruhig, kein Zeichen von Wut oder Bitterkeit. Doch wer ihn auch nur ein wenig kannte, der wusste, dass seine Worte und seine Körpersprache trügten. Er konnte einen anderen inniglich küssen und ihm gleichzeitig die Zunge abbeißen. Sein Lächeln bedeutete nichts und ein gelassener Stand ebenso wenig. „Komm aus diesem Körper raus!“ schrie Sethan ihn an. Ungewöhnlich, dass er so viele Emotionen zeigte, doch nun war er deutlich angespannt und wütend. „Stell dich mir wie ein Mann und verstecke dich nicht hinter meinem Onkel! KOMM DA RAUS!“ „Zwing mich doch.“ Er legte seinen mystischen Blick auf ihn und war sich seiner Sache sehr sicher. „Ich bin überzeugt, du wirst Sato nicht töten wollen, aber tust du es doch, kannst du mich jetzt ganz einfach fangen. Sei ein Mann und nutze deine Chance. Du musst dich nur überwinden und deinen Bruder töten. Es ist ganz einfach.“ Deshalb war er so ruhig. Er wusste genau, dass Sethan seinem Onkel Tato nichts antun wollte. Er müsste ihn töten, um an die Götterseele zu gelangen. Mit dieser Gewissheit war er ein planbares Risiko eingegangen. Sethan ballte die Fäuste, schnaufte und rang mit seinen Gefühlen. Er war in diese Zeit gereist um beide Zwillingsgötter gefangen zu nehmen und in seinen Befehl zu stellen. Rah hatte sich bereitwillig fangen lassen, doch seinen dunklen Bruder festzusetzen, war ein beinahe unmögliches Unterfangen. In diesem Moment bot sich eine einmalige Gelegenheit. Er konnte all dem jetzt sofort ein Ende setzen. Doch dies bedeutete, dass Tato kampflos sein Leben ließ. „Ich wusste es“ hauchte Seth und ließ ihn stehen. Er schritt einfach an ihm vorbei und auf die anderen zu. „Ey, was soll das?“ Und Joey konnte mal wieder nicht die Klappe halten. „Warum kannst du hier so rumlaufen? Wo ist deine Aura?“ Anstatt eine Antwort zu hören, hörte Joey nur den Knall des Windes in den Ohren, schlug an die gegenüberliegende Wand und stürzte auf den Boden. Sein Kopf war schwindelig und er fühlte etwas Warmes den Hals hinunterlaufen. Er hörte Narlas Stimme, bevor ihn das Bewusstsein verließ. Seto wollte Narla zwar gern folgen und nach Joey sehen, doch er folgte dem stärkeren Instinkt, griff Yugi und stellte ihn hinter sich. Auch Yami krallte er sich, drückte beide zwischen sich und dem Panzerglas ein und verdeckte sie vor der Gefahr. Gegen seinen Gottvater konnte er sicher nie gewinnen, doch er wäre sicher stärker als Tatos Körper. Oder …? „Warum Tato?“ fragte er. Berechtigt, denn … „In meinem Körper wärst du mächtiger. Warum er? Warum sprichst du nicht durch mich?“ „Weil ich dem Irrglauben aufgesessen bin, ich hätte einen Wert für dich.“ „Was soll das? Warum sagst du das? Ich dachte, wir hätten Frieden geschlossen.“ „Das glaubte ich auch.“ Nun hörte man die altbekannte Verbitterung in der tiefen Stimme. Enttäuschung, jahrelange Einsamkeit und das Misstrauen gegen alles. „Bis du mir erneut davonliefst.“ „Ich laufe nicht vor dir davon. Warum siehst du mich nicht an?“ „Du bist der Einzige, dessen Körper er nicht besetzen kann“ beantwortete Sethan diese Frage. Wenn er ihn schon nicht fangen konnte, so wollte er ihm wenigstens die Tour vermasseln. „Aber du warst schon in Setos Körper“ meinte Mokeph. „Selbst als er unter dem Orichalchos-Fluch ein Kind war. Das war für dich nie ein Problem.“ „Doch nun hat Seto kein Herz mehr, mit welchem du in Verbindung treten kannst.“ Wenigstens indem er diese Machtlosigkeit des Mächtigen verriet, spürte Sethan eine gewisse Genugtuung. „Setos Herz ist durch Yugis Obhut vor jedem Zugriff geschützt. Selbst ein Gott kann diese pharaonische Kraft nicht überwinden. Und deswegen musst du mit Onkel Tatos Körper Vorlieb nehmen und dich durch meine Aura unterdrücken lassen. Ist es nicht so? Vater?“ Darauf antwortete er nicht. Er blickte Sethan nur an. Einfach nur ein Blick aus endlos blauen, endlos tiefen Augen. „Weshalb bist du hier?“ mischte sich nun Amun-Re ein. Denn dass sein Bruder grundlos ein solches Risiko einging und sich in Sethans Wirkungskreis begab, nahm er nicht an. Er bewegte sich nur mit einem Motiv. „Willst du raten?“ Dann kehrte ein Lächeln auf sein Gesicht zurück. Ein falsches Lächeln, denn seine Augen drückten nichts aus. „Seinetwegen.“ Er tat einen Schritt zur Seite und gab den Blick auf Sethos frei. Ob der überhaupt wahrnahm, dass sein Vater gekommen war? „Weiter“ bat der mit einem Nicken. „Weiter weiß ich es nicht.“ Er faltete die Hände und atmete tiefer durch, sammelte sich. Er musste jetzt stark bleiben. „Da du mich nicht angegriffen hast, gehe ich davon aus, dass du ausnahmsweise mal nicht auf deiner ewigwährenden Mission bist, mich zu töten. Vielleicht bist du hier, um dich an meinem Schmerz zu weiden. Ich hoffe jedoch, du bist gekommen, um ihn endlich von seinen Schuldgefühlen freizusprechen. Ich weiß nicht, ob er uns hört, doch wenn er es tut, dann weiß ich, dass ihm deine Worte viel bedeuten würden. Ich weiß, du liebst ihn. Und du würdest ihn nicht in Unfrieden sterben lassen. Das hoffe ich. Und wenn Hoffnung nicht genügt, so bitte ich dich darum.“ „Ob er stirbt oder nicht hängt ganz von dir ab.“ Er legte die Arme übereinander und sah seinen Bruder bedächtig an. Amun-Re antwortete ihm nicht, denn wenn sein Bruder etwas zu sagen hatte, so würde er es nur tun, wenn man ihn nicht drängte. Und so wartete er fast eine ganze, lange, unendlich lange Minute der Stille ab bis er weiter sprach. „Ich bin hier, um dir einen Handel vorzuschlagen, Re.“ „Einen Handel.“ Das konnte positiv sein. Ebenso das Gegenteil. Mit dem dunklen Seth zu handeln, war ebenso gewinnbringend wie verderblich. „Du willst um das Leben deines Sohnes handeln?“ „Um seines oder um ein anderes. Suche dir eines aus.“ Er drehte aus seiner entspannten Pose die Handfläche nach oben und ließ über seinen Fingerspitzen ein längliches Gefäß erscheinen. Erst war es ein gräulicher Nebel doch dann verfestigte sich der Gegenstand und bildete ein Röhrchen. Über seinen Fingerspitzen schwebte eine kristallene Phiole. Sie war in sich gedreht, wie ein kleiner Wirbel aus Glas und Eis und so funkelnd wie frischer Schnee. Ein wenig wie ein Eiszapfen mutete das Gefäß an, zerbrechlich, ein kleines Wunder. Und tief in seinem Kern eine weiße Flüssigkeit, welche sich immerzu in Richtung des Wirbels drehte. „Was ist das?“ Amun-Re schluckte. War es das, was er hoffte? Das, wonach sich selbst ein Handel lohnte? „Ein Antidot“ antwortete der Seth triumphierend, ob seiner Überlegenheit. „Ich allein habe Apophis geschaffen und ich allein kann sein Gift unwirksam machen. Diese Phiole enthält das Leben, welches um welches du bangst.“ Jetzt schluckte Amun-Re noch deutlicher und seine Mundwinkel zuckten. Es gab keinen Grund, an der Echtheit dieser Flüssigkeit zu zweifeln. Doch sie zu bekommen, wäre weniger leicht. „Du bist hier, um ihn zu retten. Du würdest ihn nicht wirklich sterben lassen.“ „Willst du es ausprobieren?“ Er drehte die Phiole über seinen Fingern und hielt sie dann zwischen Zeige- und Mittelfinger fest. „Handle mit mir und ich gebe dir, was du dir wünschst. Handle nicht und nimm seinen Tod in Kauf. Es liegt an dir.“ „Du hast gewusst, dass es so kommen würde. Du hattest von Anfang an vor, mich in die Enge zu treiben.“ „Um ehrlich zu sein, bin ich davon ausgegangen, dass Sethos und Apophis sich nicht begegnen. Der Ort, an welchem Apophis erschien, war nicht der, welchen er wählte. Die Engel haben seinen Weg abgeleitet und ihn in eure Arme getrieben. Ich habe geahnt, dass Sethos ein gefährliches Hindernis für ihn sein würde, also bat ich Seth für diesen Fall dazu.“ „Du hast Seth das Götterwandeln beigebracht“ erwiderte Amun-Re, welcher nun sichtlich angespannt war. „Wenn du ihn unterrichtest, wozu braucht er dann noch Apophis? Was hast du mit dieser Verbindung vor?“ „Möchtest du dich über Seth und Apophis unterhalten?“ Die Eisphiole in seiner Hand glänzte und funkelte und er war sich darüber bewusst, dass er nahe am Ziel war. Die Dinge standen zu seinem Besten. „Was willst du für das Antidot haben?“ Er wollte alles dafür geben. Doch er wusste nicht, ob er alles geben konnte. „Ein Leben im Tausch.“ „Wessen Leben?“ „Ein Leben, welches ich mir aussuche. Ich werde es mir holen und ich erwarte dann, dass du nichts tust, um mich zu hindern oder es mir wieder zu nehmen.“ „Wessen Leben?“ wiederholte er. Menschenhandel war ihm verhasst. „Wen forderst du? Seth? Oder Ilani? Enaseus oder mich? Oder Sethan? Ein Engelsleben? Yrian? Oder einen meiner Götter? Oder jemanden, der mit uns nicht in Kontakt steht? Rede, verdammt!“ „Ein Leben“ wiederholte er ebenso, jedoch stimmlich ruhiger. „Wen ich mir auswähle, muss ich dir nicht sagen. Rette deinen nutzlosen Priester und gib mir dafür jemand anderen.“ „Ich kann dir nicht einfach ein anderes Leben überlassen. Schlimm genug, dass du dir die Verdammten nimmst. Ich werde dir niemals einen Menschen mit reinem Herzen überlassen.“ „Gut, dann gehe ich.“ Er nahm die Phiole in seine Faust und setzte damit einen Punkt, von dem er nicht wich. „Wir hatten bereits den Deal, dass du Menschenleben für jeden Drachen bekommst. Und als Narla Drachen tötete, hast du deine Forderung nicht einmal geltend gemacht! Ich kann beeinflussen, dass niemand deinen Drachen nahe kommt. Aber ich kann dir nicht einfach ein unschuldiges Leben überlassen ohne mitwirken zu können. Nimm dir erst mal die Leben, die dir zustünden!“ „Ich will aber keine Leben, die du mir zuteilst.“ „Du bekommst Leben von mir. Das war der Handel! Wenn du nicht richtig verhandelst und ausformulierst, ist das nicht meine Schuld!“ „Und wenn du deinen Geliebten in den Tod schickst, ist das ebenso wenig meine Schuld. Re, mein Bruder.“ Während Seth gelassen und klar blieb, kochte in Amun-Re eine seltene Wut auf. „Du willst mich missbrauchen, indem du Eleseus rettest. Du willst daraus auch noch Profit schlagen, wenn du ihn sowieso heilst!“ „Wenn du dir da so sicher bist, dann lehne den Handel ab.“ Er lächelte ihn an und wusste um die Unsicherheit in seinem Bruder. Ob oder ob er nicht noch etwas für seinen ersten Sohn empfand, wusste er nur selbst. Und vielleicht nicht mal das. „Eleseus würde das nicht wollen“ sprach er, doch man hörte, dass er sich noch niemals so unsicher gewesen war. Es war seine Pflicht als Sonnengott, das Wohl der Vielen über das des Einzelnen zu stellen. Doch war es nicht auch seine Pflicht als Liebender, seinen Geliebten über alle anderen zu stellen? Als Sonnengott stellte er Gebote auf, an welche er sich selbst ebenso hielt wie er es von anderen erwartete. Er entschied häufig gegen sein Herz und zum Wohle der Menschen. Doch sein Priester war der Schwachpunkt in seinem selbst. „Ich würde mich für ihn opfern“ sagte Yami und trat hinter Setos schützendem Rücken vor. „Wenn er mein Leben fordert, übergebe ich es ihm. Ich würde für Sethos sterben.“ „Ich ebenso“ schloss sich auch Nika sofort an. „Sethos ist jemand, auf den weder Amun noch die Welt verzichten können. Amun, wenn er mein Leben fordert, übergebe ich es ihm.“ „Dem muss ich mich anschließen“ sagte auch Mokeph. „Ich wäre traurig, meine Frau und meine Kinder zu verlassen. Doch ich würde für meine Familie und für meine Freunde sterben. Und für Sethos allemal. Wenn er mein Leben fordert, übergebe ich es ihm.“ „Ich auch.“ Auch Sareth trat zu Amun-Re und sah ihn entschieden an. „Ich bedeute dieser Welt gar nichts. Außerdem bin ich nicht unschuldig an dieser Sache. Ich würde für Sethos sterben. Wenn er mein Leben fordert, übergebe ich es ihm.“ „Dasselbe gilt für mich. Und ich bin mir sicher, für Joey ebenso.“ Narla hielt den bewusstlosen Joey in den Armen, aber auch sie versicherte ihren Beistand. „Wir würden für Sethos eintreten. Ganz egal, was das bedeutet. Wenn er unser Leben fordert, dann übergeben wir es ihm.“ Dem schlossen sich auch millionen andere an. Neben Sethan erschien ein goldener Rauch und darin stehend die schimmernde Statur eines jungen Mannes. Auch wenn er nicht vollständig sichtbar wurde, war Yrian dennoch an seiner weichen, angenehmen Stimme zu erkennen. „Ich spreche für alle Engel in der hierigen und der anderen Welt. Jeder von uns, jeder einzelne, würde ohne Zögern für unseren Patronen eintreten. Denn niemand ist es mehr wert als Eleseus Sethos, der Schützer unseres Gottes, von Pharaonen, Werten, Menschen und Engeln. Wenn er ein Engelsleben fordert, werden wir es ihm übergeben.“ „Wie emotional“ kommentierte Seth diese schwülstigen Liebesbekundungen. Er öffnete die Faust und ließ einen neuen Blick auf das kunstvolle, wertvolle Gegengift zu. Es lag bei Amun-Re allein. Ging er das Risiko ein, dass der Sonnenpriester von seinem Gottvater ohnehin errettet wurde, weil dieser ihn trotz allem liebte? Oder ging er das Risiko ein, dass sein Geliebter dem Tode erlag und auf ewig verblasste? „Wir würden alle für Sethos eintreten“ sprach Yugi und nahm Seto an der Hand. „Du brauchst Sethos mehr als irgendjemand anderen, Amun. Nika hat Recht, die Menschen und die Götter können auf jeden verzichten. Aber du kannst nicht auf Sethos verzichten. Niemand kann auf ihn verzichten, weil er eine zentrale Rolle im Weltgefüge einnimmt. Selbst wir Pharaonen sind ersetzlich, aber ein Wesen wie ihn gibt es kein zweites Mal. Ich will nur für mich sprechen, aber wenn der Urseth mein Leben fordert, übergebe ich es ihm.“ „Und wenn Yugi es erlaubt“ reihte sich auch Seto ein. „Ich würde es mir niemals verzeihen, mein Leben höher zu werten als seines. Wenn Yugi es zulässt, übergebe ich auch mein Leben, sollte er es fordern.“ „Hast du nicht eben noch gesagt, du würdest alles tun, um bei Yugi zu bleiben? Und nun würdest du dich so einfach opfern?“ fragte Amun-Re, der noch immer mit sich rang. „Eleseus würde sich nicht für dich opfern. Für niemanden würde er sich opfern.“ „Für niemanden außer dich“ ergänzte Yami und griff seinen Arm, sah ihm direkt ins Gesicht. „Er würde sich für dich opfern und damit zum Wohle von uns allen. Geh den Handel ein.“ „Und wenn er Eleseus ohnehin retten will?“ „Willst du das riskieren?“ „Er würde es sich niemals verzeihen, wenn jemand für ihn stirbt.“ „JEDER würde freiwillig für IHN sterben.“ „Es gibt viele Menschen, die das nicht tun würden.“ „Die würde der Seth auch ohne Handel bekommen. Er will die Menschen, die sich für andere aufopfern und für andere eintreten. Menschen, die seinen Verführungen nicht erliegen. Selbst wenn es jemand ist, der Sethos nicht kennt! Vielleicht eine Medizinfrau aus den Tiefen des Urwaldes. Oder ein afrikanisches Straßenkind mit reinem Herzen. Oder eine Meerjungfrau, wenn’s die überhaupt gibt. Niemand sagt, dass es jemand von uns ist, obwohl jeder - J E D E R - von uns für Sethos sterben würde. Es gibt millionen von Menschen, die sich für Sethos hergeben würden. Menschen, die uns nicht kennen und die wir nicht kennen. Aber Menschen, die verstehen, wie wichtig und wie aufrichtig dein Priester ist. Er opfert sich für dich und somit für alles Leben auf dieser Erde. Und ich glaube fest daran, dass die Menschen ihm das danken würden. Viele würden es nicht tun. Aber viele würden es tun. Du darfst ihn nicht sterben lassen, weil du zweifelst. Zweifle nicht an den Menschen, das ist nicht deine Art. Glaube daran, dass die Menschheit so fühlt wie wir. Ein einziges Menschenleben für alle die, welche durch Sethos gerettet wurden und werden. Wenn du Sethos‘ Leben aufwiegst gegen irgendein beliebiges auf dieser Welt oder in der Götterwelt, dann würde seines immer auf der senkenden Schale liegen. Setze eines, nur ein einziges für ihn ein.“ „Du hast deinen Priester verstoßen, Atemu. Er ist wieder frei. Was, wenn er ihn fordert? Würdest du ihm Seths Leben geben?“ „Dann soll es so sein“ nickte Yami überzeugt. „Ich wäre am Boden zerstört, sollte er Seths Leben fordern. Aber mein Sethi, der echte, wahre Seth, den ich liebe, auch er würde sich für Sethos opfern. Davon bin ich überzeugt.“ „Und Finnvid? Er ist dein Geliebter und er macht dich glücklich? Würdest du ihm sein Leben geben?“ „Jedes“ schwor Yami mit fester Stimme. „Ich würde ohne zögern jedes Leben für das von Eleseus Sethos eintauschen. Ohne Ausnahme.“ „Er würde es sich niemals verzeihen“ flüsterte Amun-Re den Tränen nahe. „Amun-Re!“ schrie Yami und schüttelte ihn, damit er zur Vernunft kam. „Sethos stirbt, wenn du nichts tust! Wir wollen ihn retten und du willst es auch! Geh den Handel ein!“ „Tu es“ sprach dann auch Sethan und wandte sich zu dem Sonnengott um. „Ich bin mir sicher, dass er mein Leben nicht will. Und wir brauchen Eleseus. Wenn er stirbt, war alles umsonst. Allein das rechtfertigt jedes verlorene Leben.“ Der Sonnengott senkte das Gesicht und atmete tief in sich hinein. Er wollte nicht irgendein Leben opfern. Nicht das eines Menschen, eines Engels oder eines Gottes. Doch die anderen hatten Recht, sein Sohn Atemu allen voran. Wenn er das Leben seines Priesters in die Waagschale legte und auf die andere Seite das eines beliebigen anderen Wesens - Eleseus Sethos würde stets schwerer sein. Und so fand er seine Entscheidung. Er hob sein Haupt, strich sich das Haar aus dem Gesicht und trat auf seinen Bruder zu bis er nur eine Armlänge von ihm entfernt stand. „In Ordnung.“ Er streckte ihm die Hand entgegen und erwiderte seinen rätselhaften Blick. „Ich gestatte, dass du ein beliebiges Leben erwählst und ich werde nichts tun, um dich daran zu hindern oder es zurückzuholen. Und im Gegenzug erhalte ich von dir das Antidot, welches das Leben meines Priesters rettet.“ „Wie ich es erwartet habe.“ Er hatte somit, was er wollte und gab auch seinem Bruder, was der sich ertrotzt hatte. Er übergab die feine Phiole mit dem in sich drehenden, weißen Gegengift in Amun-Res Hände und genoss den Moment des vollkommenen Triumphes. Denn er wäre nicht der Herr aller Trüge, hätte er nicht noch ein Ass im Ärmel. Er wartete bis sein Bruder den Blick brach und sich zum Aquarium aufmachte bis er seine Stimme nochmals anhob. „Und Re?“ Nun zierte ein echtes Lächeln seine Lippen, denn seine Saphire blitzten erfreut. „Gib mir noch etwas dazu und ich sage dir, wie man das Antidot anwendet.“ Wie vom Donner gerührt stockte allen der Atem. Das war ein Handel mit Hintertür. Ganz langsam drehte Amun-Re sich zu ihm zurück und schloss die Faust um das glitzernde Eisgefäß, welches soeben von der Rettung zur Gefahr geworden war. Denn sein Zwillingsbruder hatte ihm keinen Hinweis zur Verabreichung gegeben. „Wie man es anwendet“ wiederholte er bestürzt. Wie konnte er sich nur von solch einem billigen Trick täuschen lassen? „Falsch angewendet kann es einen sehr schmerzvollen Tod verursachen. Jahre unendlicher Qual. Der letzte, der es erhielt, war ein abtrünniger Dämon.“ „Syron“ hauchte er. Ja, von dem hatte er vieles berichtet bekommen. „Was war mit Syron?“ fragte Sethan skeptisch. „Er hat die Leben zweier Männer verschont, welche sich im Austausch für ihre Frau und Schwester anboten“ antwortete er gedankenverhangen. „Soweit ich weiß, war es Neith, welche diese Strafe über ihren Dämon verhängte und ihm ein Gift verabreichte. Ich wusste nicht, dass es das Antidot war.“ „Und du hast gehört, was mit ihm geschah?“ wollte Seth triumphierend hören. „Seine Knochen brachen von selbst und seine Organe verfaulten bei lebendigem Leibe. All seine Körperöffnungen eiterten und er vegetierte in einem Fieberdelirium mit Mahren, welche sich kaum von seinen wachen Momenten unterschieden bis er letztlich an seiner eigenen Zunge erstickte. Ein falsch verabreichtes Antidot kann das Leben deines Priester aber zumindest verlängern.“ Auch wenn Amun-Re seinen Priester eher einen frühen Tod sterben ließ als ihn so verenden zu sehen. „Und du wirst mir nicht sagen, welche Verabreichungsform die ist, welche zur Heilung führt? Ich weiß, dass Syron das Mittel in die Ohren geträufelt bekam, während er schlief.“ „Die Dareichungsform unterscheidet sich je nach Zubereitung. Du kannst dein Glück gern einfach versuchen.“ „Macht es dir Spaß, mich zu triezen, ja?“ „Oh ja. Lang nicht solche Freuden gekannt. Um dich selbst zu zitieren: Wenn du nicht richtig verhandelst und ausformulierst, ist das nicht meine Schuld.“ Ja, er genoss es sichtlich, zuzusehen wie sein Bruder sich wandte und litt und betteln musste, um erlöst zu werden. „Was für Darreichungsformen gibt es denn?“ versuchte Mokeph zu denken. „Wir können es ins Blut spritzen, ins Wasser geben, als Schluck-Medizin, als Salbe … er könnte es auch inhalieren …“ „Raten hilft uns wohl nicht viel.“ Amun-Re kannte seinen Bruder zumindest so weit, dass er ahnte, worauf das hinauslief. Auf noch eine Forderung. „Du willst noch einen Handel.“ „Gut geraten.“ Er verschränkte die Arme und lehnte sich gelassen zurück. Tatos Körper wirkte damit noch größer und kräftiger, wenn er so stolz dastand. „Die Medizin hast du nun, doch ohne Wissen ist sie nutzlos.“ „Was forderst du?“ „Etwas, was dir sicher leichter zu geben fällt. Schade, vielleicht hätte ich meine Forderungen andersherum stellen sollen.“ „Rede nicht so überheblich daher. Sag einfach, was du forderst.“ „Ich fordere, dass ihr mir fernbleibt.“ Er senkte seine Stimme und verengte seine Augen. Ein Zeichen dafür, dass es ihm sehr ernst war. „Ich will für einen Tag als ich selbst auf der Erde wandeln und ich fordere, dass ihr mich nicht belästigt und unbehelligt in mein Reich zurückkehren lasst.“ „Findest du das nicht etwas sehr unfair?“ hielt Amun-Re dagegen. „Du willst Sethans Kraft nutzen, um in deinem eigenen Körper auf die Erde zu kommen und erwartest, dass er dich ungeschoren zurückgehen lässt?“ „Was willst du überhaupt in der Menschenwelt?“ wollte Sethan selbst wissen. „Das werde ich dir sicher nicht erzählen.“ „Ich kann dir nicht versprechen, dass Sethan nichts tun wird“ versuchte Amun-Re sich an einem Kompromiss. „Aber zumindest die Pharaonen und ihre Priester kann ich ersuchen, deinen Weg zu meiden.“ „Das ist mir zu wenig.“ Er beugte sich etwas vor und sah Sethan an. „Entweder gibst du mir dein Wort für euch alle oder du hast genau einen Versuch, deinen Priester zu heilen.“ „Du verlangst sehr viel, Bruder.“ „Es ist ja auch nicht so als ob du nichts dafür bekämest, Re.“ Beide blickten sich tief in die Augen. Seth verlangte wirklich viel. Erst ein Leben und dann auch noch einen Tag als Mensch. Das klang sehr nach einem ausgereiften Plan. Ihn gewähren zu lassen, war gefährlich für alle. Doch es bedeutete Rettung für einen einzigen. Für den einen einzigen. „Sethan?“ wandte Amun-Re sich damit an ihn. Er drückte die Phiole an sein Herz und öffnete die andere Hand in einer bittenden Geste. „Kannst du dein Wort geben, ihn nach einem Tag als Mensch wieder gehen zu lassen?“ „Du weißt, dass ich das nicht kann. Die Gelegenheit wäre zu einmalig. Es tut mir leid.“ „Und wenn ich dich bitte?“ Er hielt ihm die offene Hand entgegen wie ein Bettler. „Tu es wenn nicht für Eleseus, dann für mich. Ich habe dich vom ersten Moment unterstützt und dir nie misstraut. Ich habe niemals eine Gegengabe verlangt, aber dieses eine Mal … ich bitte dich. Bitte erwidere meinen Beistand nur dieses eine Mal mit Großmut.“ Sethan seufzte und trat unbewusst von einem Bein aufs andere. Dieses Versprechen zu geben, fiel ihm nicht leicht. Er musste den Seth gefangen nehmen. Koste was es wolle. Doch ohne Sethos würde sein Plan ohnehin nicht funktionieren. Es war eine Zwickmühle. Er hatte gewusst, dass es schwer werden würde, wenn man sich zwischen die Zwillingsgötter stellte. Doch dass es solche Ausmaße nehmen und solche Rückschläge kosten würde, hatte er nicht erwartet. Und die Chance, Sethos auf gut Glück zu retten, war denkbar gering. „Ohne Sethos ist ohnehin alles im Eimer“ sprach er zu sich selbst, bevor er Seths Blick erwiderte. „In Ordnung, Vater. Einen Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang.“ „Auf einem Erdteil meiner Wahl“ setzte der kluge Seth hinzu. Denn es gab durchaus Erdteile, wo das eine vom anderen nur eine Stunde entfernt lag. „Eine volle Erdumdrehung, 24 Stunden auf einem Erdteil deiner Wahl.“ Er nickte, wenn auch mit knirschenden Zähnen. „Und jetzt sage uns, wie wir das Gegengift verabreichen. Oder hast du auch hier wieder einen Haken vorgesehen?“ „Nein, ich habe bekommen, was ich erwartet habe.“ Er löste seine Haltung und blickte ins Aquarium, wo sein erster Sohn mehr tot als lebendig seinem Ende entgegentrieb. Ob er ihn auch ohne Handel gerettet hätte? Vielleicht wusste er es selbst nicht. „Es reicht, wenn du die Phiole ins Wasser wirfst.“ „Ich vertraue dir“ erwiderte Amun-Re und traf seinen Saphirblick, welcher binnen der letzten Momente jeden Ausdruck verloren hatte. „Ich vertraue darauf, dass du mich nicht betrügst.“ „Ich halte mein Wort, aber auf meine Ehrlichkeit solltest du nicht vertrauen.“ Mit diesen Worten verließ er den besetzten Körper und gab den Wirt wieder frei. Nach Luft ringend sank Tato auf die Knie und wurde von der schnell herbeispringenden Nika aufgefangen, bevor er das Bewusstsein verlor. Einen Gott zu beheimaten, noch dazu einen so mächtigen und so lange, dem hielt auch der stärkste Drache nicht stand. Amun-Re hingegen lief sofort durch die Tür auf der rechten Seite. Heraus drang ein Gestank von Verwesung und altem Fisch. Er erklomm die Treppe bis er oben im Geräteraum ankam, von wo aus er direkt zur Wasseroberfläche gelangte. Die anderen sahen nur wie die Phiole herabsank, knackte und Risse ausbildete und kurz über dem Sandboden zerplatzte. Die weiße Flüssigkeit verteilte sich mit dem Wasserstrom. Eine einfache Handlung, welche einen hohen Preis kostete. „Atemu! Yugi! Schaut euch das an!“ Stunden waren vergangen, der Abend war fast zur Nacht geworden, da durchdrang Amun-Res aufgeregte Stimme den Raum. Die beiden Gerufenen eilten sogleich herbei und folgten dem Zeig seines zitternden Fingers. Und tatsächlich war hinter der Scheibe eine Bewegung zu erkennen. Sethos‘ Augenlider bewegten sich. Dies war die erste Regung seit sie ihn ins Wasser gelegt hatten. Das Gegengift war echt und tat seine Wirkung! „Was meint ihr? Kommt er zu sich?“ Balthasar hockte sich dazu, so hofften sie gemeinsam. Nachdem die anderen zur Nacht den Heimweg angetreten hatten, waren außer ihm und Sethan nur noch die Pharaonen, Sareth und Seto anwesend. Nun ja, Pechvogel Seto gerade nicht, weil dieser in ausgerechnet diesem Moment für eine Zigarette vor die Tür gegangen war. Und natürlich geschah nach ereignislosen Stunden genau dann etwas. „Ich hole Oma!“ rief Sareth und stürzte zur Seitentür hinaus. Seto würde wahnsinnig werden vor Freude! „Es wirkt“ flüsterte Amun-Re und presste seine Hände an die Scheibe. „Das Leben kehrt in ihn zurück. Mein Bruder hat mich nicht betrogen.“ „Du hast die richtige Entscheidung getroffen“ pflichtete Yugi bei und blickte zu Sethan auf, welcher sich als einziger nicht hinhockte. „Oder, Sethan?“ Er schwieg einen Moment, bevor er schlicht antwortete: „Ich freue mich, wenn es ihm besser geht.“ Er klang wenig erfreut, doch sicher nicht, weil er sich nicht für Sethos freute. Er hatte große Kompromisse eingehen müssen und diese Heilung teuer erkauft. Und das musste er erst verarbeiten. Dann endlich ging ein Ruck durch das bange Warten. Sethos verzog das Gesicht. Er biss die Zähne aufeinander, kniff die Augen zusammen und spuckte dann etwas Blut ins Wasser. Seine Flügel zuckten zusammen und er krümmte den Bauch. Seine Finger bohrten sich in den sandigen Untergrund. Er schien Schmerzen zu haben, Krämpfe offensichtlich im Bauch oder an der Brust. „Halte durch“ redete Amun-Re an die Scheibe. Er litt mit seinem Priester. Dass er zu sich kam, war gut. Doch das bedeutete auch, dass er nun die Schmerzen spürte. „Es wird bald besser, Darling. Halte noch etwas aus.“ „Meine Fresse! Da ist man EIN MAL kurz weg!“ Seto eilte von seiner Enkelin getrieben herbei und quetschte sich sogleich zwischen Balthasar und Yugi. Er sah den krampfgeschüttelten, ausgemergelten Körper und zog fast unweigerlich dasselbe Gesicht wie Sethos. „Seto?“ sorgte Yugi sich sogleich. „Was ist?“ „Das fühlt sich furchtbar an.“ „Kannst du ihn spüren?“ fragte Amun-Re entrückt und starrte Seto an. „Ja … natürlich.“ War das so verwunderlich? „Nicht?“ „Papa konnte ihn nicht spüren“ erklärte Sareth erstaunt. „Und ich auch nicht. Nicht mal Narla findet Zugang zu ihm.“ „Ach …“ Jetzt wunderte auch er sich und sah genauso erstaunt ins Wasser. „Ich konnte ihn immer schon spüren. Ich dachte, das wäre normal.“ „Eigentlich ist seine Aura vor allen weltlichen Energien verschlossen“ erklärte Sethan ernst. „Eigentlich kann man geistig nur mit ihm kommunizieren, wenn er es aktiv zulässt. Aber ich glaube nicht, dass er in diesem Moment zu irgendeiner geistigen Öffnung fähig ist.“ „Ich wusste nicht, dass so etwas zwischen euch besteht“ gab Amun-Re zu und sah seinen Priester mitleidig an. „Ich habe geglaubt, das gehe nur von ihm aus …“ „Vielleicht wusste er es selbst nicht“ vermutete Balthasar. „Sethos ist ja kein Fan von vielen Worten.“ „Aber wenn dein Geist mit ihm verbunden bist“ kam dem Sonnengott eine Idee. „Hast du die Möglichkeit, mit ihm zu sprechen? Also, könnt ihr euch auch mental austauschen?“ „Ich weiß nicht … ich kann es versuchen.“ „Versuche es, Eraseus. Bitte. Ich will wissen, was er fühlt.“ „Okay“ hauchte er und legte die linke Hand an die kühle Panzerscheibe. Seine blauen Augen verloren den Fokus, als würde er durch die Dinge hindurchblicken. Seine Hand begann zu zucken und sein Atem wurde tiefer, langsamer. Er war angespannt und versuchte gleichsam, sich zu entspannen, sich nicht in einen fremden Geist ziehen zu lassen, welcher so viel größer war als seiner. Seine Bemühungen schienen erfolgreich. Sethos öffnete den Mund und sein zuckender Körper beruhigte sich ein wenig. Zwar zitterte er, doch er wurde ruhiger. Ganz allmählich kam sein kranker Körper langgestreckt und beruhigt auf dem Sand zu liegen und seine verkrampften Kiemen entspannten sich. Man sah wie die Öffnungen an seinen Hüften gleichmäßiger pumpten und auch sein Gesicht immer entspannter wurde. „Funktioniert es?“ flüsterte Yami ganz leise, um Setos Konzentration nicht zu brechen. „Er hat Schmerzen. Ihm fehlt die Orientierung.“ Setos Stimme klang abwesend, sein Geist war noch immer zum Teil bei Sethos, doch er löste sich und kam zurück. Er blickte Amun-Re an, welcher ihn und Sethos abwechselnd beobachtete. „Und?“ „Er ist zu sich gekommen, aber sein erster Gedanke war, dass er sich noch im Kampf befindet. Er wollte aufstehen, doch sein Körper gehorchte ihm nicht.“ „Aber du konntest ihn beruhigen?“ „Ich habe ihm gesagt, dass er sich in Sicherheit befindet und niemandem Gefahr droht. Er versteht mich wohl noch nicht ganz, sein Geist ist verwirrt und seine Gedanken verlangsamt. Aber er hat mich insofern verstanden, dass er nicht fliehen muss, dass wir in Ordnung sind und er sich entspannen kann.“ „Hast du ihm gesagt, dass er verletzt ist?“ wollte Amun-Re weiter wissen. „Er kann die Schmerzen nicht richtig einordnen. Ich habe ihm nur gesagt, dass er verwundet ist und sich ruhig verhalten soll. Er scheint mir zu glauben und versucht, sich zu sammeln.“ „Und weiß er, dass wir hier sind? Dass wir bei ihm sind?“ „Das weiß ich nicht. Ich kann es ihm aber sagen.“ Er legte seine Hand erneut an die Scheibe und blickte Sethos ins Gesicht. Es vergingen einige Momente, doch dann endlich öffnete dieser seine Augen einen Spalt. Kaum ein paar Millimeter, doch genug um das Blau seiner Ozeansaphire zu erkennen. Trotz allem war sein Blick klar und intensiv. Wenn auch müde, sehr sehr sehr müde. Er blickte Amun-Re an. Der rutschte tiefer, lag fast auf dem Boden, doch war mit ihm auf einer Höhe. Aufmunternd lächelte er ihn an und berührte mit den Fingerspitzen das kühle Glas. „Ich liebe dich“ flüsterte er. Noch niemals war er so erleichtert wie in diesem Moment. Ohne ihn … ein Leben ohne ihn … niemals wieder wollte er ohne ihn sein. Auch ein Gott brauchte jemanden, der ihm verbunden war. Und in diesem Augenblick stellte er schmerzenden Herzens fest, dass er ohne ihn nichts wäre. Er hätte nicht mehr derselbe Gott sein können ohne diesen Priester. Ohne dieses wundervolle Wesen. Mit ihm wäre auch sein Lächeln gestorben. „Er hat dich verstanden“ sprach Seto leise hinab. „Er hört dich kaum, aber er versteht deine Gefühle.“ „Ich weiß.“ Er wischte sich eine kleine Träne fort und lächelte unentwegt das müde Gesicht hinter dem Glas an. „Ich liebe dich, Darling. Bitte werde gesund, damit ich dich wieder in die Arme nehmen kann.“ Auch Sethos versuchte sich an einer Bewegung. Selbst wenn es nur eine kleine wurde. Er hob die Spitze seines Zeigefingers und drehte sie zu ihm. Auch wenn er kaum die Scheibe erreichen konnte, er wandte sich seinem Gott zu. „Er sagt dir, dass er dich liebt“ übermittelte Seto. Auch wenn er sicher war, dass Amun-Re diese Geste auch ohne Dolmetscher verstand. Doch das musste es mit ersten Zärtlichkeiten gewesen sein. Sethos hatte nicht genügend Kraft, um wach zu bleiben. Er öffnete erschöpft den Mund und schlief wieder ein. Doch dieses Mal hob und senkte sich sein Bauch, er atmete tiefer und nachhaltiger. Sein Körper brauchte nun viel Zeit, um zu Kräften zu kommen. Chapter 17 Zum Mittagessen waren dann auch fast alle zurück gekehrt. Im Aquarium blieben nur Balthasar und Amun-Re. Letzterer natürlich, weil er seinem Priester nun erstrecht nicht mehr von der Seite wich. Ersterer deshalb, weil er seinem Bruder nicht unnötig begegnen wollte. Er war noch immer sauer und verbrachte nicht mehr Zeit mit Tato und Phoenix als unbedingt nötig. Eine Aussprache würde Tato dann anstreben, wenn sich die Wogen etwas geglättet hatten und der Zeitpunkt gekommen wäre. Der war vorerst erleichtert. Nicht nur, weil das Oberhaupt der Drachensippe auf gutem Wege zur Genesung schien, sondern auch weil Sethan endlich mal wieder in die Gaststätte gekommen war. Im Aquarium hatte er tagelang keine Sonne gesehen. Er war müde und ruhiger als gewohnt. Also gab er dem Drängen endlich nach und würde sich im Kreise der anderen etwas ablenken, ordentlich essen und ausgiebig schlafen. Doch mit dem Schlafen musste er wohl noch etwas warten, denn er teilte sein Zimmer noch immer mit Yami und da dieser sich heute mit Finn verabredet hatte, nun ja. Eigentlich wollten die beiden gemeinsam schwimmen gehen, doch aufgrund diverser Bedürfnisse blieben sie eben auf dem Zimmer und Sethan wollte auch gar nicht wissen geschweige denn mitbekommen, was dort oben vor sich ging. „Sethan, mein Schatz.“ Yugi stellte ihm einen frischgepressten Orangensaft hin und umarmte ihn von hinten. Sein Enkel hatte schon die Augen geschlossen und es schien, er würde im Sitzen einschlafen. „Du kannst dich auch in unser Bett legen. Ich sorge dafür, dass dich niemand stört.“ „Und wenn ich verschlafe, habt ihr heute Abend kein Bett und die Kleinen können nicht in ihre Zimmer. Nein, lass mal.“ Er drehte sich zu Yugi herum und lächelte ihn an. Es war dasselbe Lächeln wie immer, wenn er eine Sache verharmlosen wollte und eigentlich sagte er damit nur: Lass mich in Ruhe. „Wenn du verschläfst, wecken wir dich auch nicht. Mach dir um uns keine Sorgen. Du musst dich ja auch erholen, Schatz.“ Er strich ihm über sein langes, blondes Haar und küsste seine warme Stirn. „Danke, Yugi. Lass gut sein. Atemu muss ja irgendwann mal wieder rauskommen.“ „Da würde ich mich nicht drauf verlassen“ meinte Mokuba und grinste sich einen. Wenn Yami erst mit seinem Lover Spaß hatte, konnte das unter Umständen Tage dauern. Vorausgesetzt Finn legte die erforderliche Ausdauer an den Tag. „Ich bin aber auch müde“ schloss Seto sich an. Seit er gestern zurückgekehrt war, hatte er kaum eine Minute zur Entspannung gefunden. „Ich schlage vor, wir essen und machen dann ein Mittagsschläfchen. Sethan.“ „Seto, ich …“ „Nein, keine Diskussion.“ „Ich bin froh, dass du wieder da bist. Tut mir leid, ich muss das einfach mal sagen“ sagte Tea und schenkte Seto einen warmen Blick. „Wir hatten Angst, dass du dich veränderst oder vielleicht gar nicht zurückkommst. Aber du scheinst wie immer zu sein.“ „Es tritt meist genau das ein, was man nicht erwartet“ antwortete er mit nachdenklicher Stimme und blickte sein Wasserglas an, in welchem sich die Eiswürfel mit Blubberbläschen schmückten. „Ich weiß nicht, ob ich mich verändert habe. Und wenn ja, was das bedeutet. Und wenn nicht … was das bedeutet.“ „Du kommst mir ruhiger vor“ sprach Yugi und setzte sich neben ihn. „Nicht mit dem, was du sagst oder in deinen Gesten. Ich habe das Gefühl, dass du innerlich etwas mehr gefestigt bist. Ist das so?“ „Gefestigt ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Vielleicht eher weniger steif. Flexibler. Das trifft eher meine Gefühlslage. Ich nehme mir die Sachen wohl noch immer zu sehr zu Herzen, aber es fühlt sich nicht mehr so an als zerstörten sie mich. Merkwürdig, oder?“ „Nein, das ist nicht merkwürdig“ meinte Sethan und sah seinen Großvater an. „Du hast die Verantwortung für dein Herz abgegeben. Vielleicht hättest du dich mehr verändert, wenn du einen anderen Weg gewählt hättest. Doch Opa Yugi hat dich so angenommen wie du bist und du fühlst dich von ihm wahrhaftig geliebt. Du hast also objektiv gesehen gar keinen Grund dazu, dich verändern zu müssen.“ „Du meinst, ich kann mich nun nicht mehr verändern? Ich werde immer so bleiben wie ich bin?“ Das wäre dramatisch, denn es gab so vieles, was er an sich noch ändern wollte. So viele Ängste, die er ablegen wollte und so vieles, was er lernen wollte. Er wollte sich verändern … oder zumindest nicht so kaputt bleiben wie er manchmal war. „Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, du kannst dich sehr wohl verändern. Nur mit dem Unterschied, dass du es nicht für die Magie tun musst, sondern für ganz andere Gründe.“ „Woher weißt du so etwas?“ fragte Mokuba ernst. „Wer bringt dir das alles bei? Durch die Zeit reisen, Dinge deuten. Woher kannst du das?“ „Das liegt in der Natur dessen, was ich bin“ antwortete er und schien dabei etwas traurig zu sein. „Ich erlange Wissen nicht absichtlich. Ich sehe etwas und weiß sofort, wie es funktioniert. Ich höre ein Problem und finde sofort den wahrscheinlichsten Lösungsweg. Schachspielen ist eine Strafe für mich.“ „Wie schrecklich“ entfuhr es Seto. „Warum? Ich finde das enorm“ sprach Mokuba dagegen. „Niemand kann dich hinters Licht führen und du bist nie im Ungewissen. Du schnippst und kannst mit anderen Leuten durch die Zeit reisen. Das ist Luxus Supreme. Ich wünschte, ich könnte das auch.“ „Das ist ganz furchtbar“ war die Meinung seines großen Bruders. „Dein Leben wäre völlig unspannend, du kennst jedes Geheimnis und du würdest dich für alles verantwortlich fühlen.“ „Das schlimmste ist, dass ich nicht alles beeinflussen kann“ ergänzte Sethan mit matter Stimme. „Ich kenne die Lösung, bin aber nicht in der Lage, sie herbeizuführen. Es wie einen Krimi zu lesen und den Mörder zu kennen, aber nicht in der Lage zu sein, das Opfer zu warnen. Das zermürbt mich.“ Ein solch überraschendes Geständnis, ein solch ungewohnter Einblick in sein Seelenleben, ließ seine Zuhörer verstummen. Sethan sprach nicht viel, erstrecht nicht über sich oder über das, was er war. Er sprach auch nicht über seine Taten, seine Hoffnungen oder seine Wünsche. Der Deal mit dem dunklen Seth musste ein herber Rückschlag für ihn sein, dass es ihn dazu trieb, etwas von sich preiszugeben. Es zermürbte ihn, dass er nicht vorankam. „Egal, was passiert ist oder was noch passieren wird“ fand Yugi die Worte. Er griff nach seinem Arm und sah ihm tief in die Augen. „Wir lieben dich, Schatz, und wir stehen zu dir. Und wir sind stolz auf dich. Sehr, sehr stolz. Selbst wenn du dich entscheidest, dein Unternehmen für gescheitert zu erklären, sind wir stolz auf deinen Mut und deine Durchsetzungskraft.“ „Ich will doch gar nicht aufgeben.“ Da war es wieder. Sein ‚Lass mich in Ruhe‘-Lächeln. „Jeder hat Zweifel und Angst zu versagen. Das ist kein Grund, sich zu schämen.“ Er stand auf, umarmte ihn und küsste seine warme Stirn. „Ich wollte dir nicht unterstellen, dass du scheiterst. Ich will nur sagen, dass wir dich lieben. Ganz egal, was kommen mag. So wie du bist. Und wenn du Unterstützung brauchst oder einfach jemanden, bei dem du dich anlehnen kannst, dann sind wir da. Wir sind deine Familie und wir lieben dich einfach um deiner selbst willen. In Ordnung?“ „In Ordnung. Entschuldige, dass ich so was gesagt habe. Ich bin wohl nur etwas müde.“ „Nein, ich finde es eigentlich gut“ bestärkte er ihn. „Es ist ziemlich schwer, an dich heranzukommen. Umso mehr freue ich mich, wenn du dich etwas öffnest. Und das geht Oma Seto und Onkel Moki bestimmt ebenso.“ „Bestätigt“ nickte Mokuba und Seto sah seinen Enkel liebevoll an. „Hört auf. Das ist mir unangenehm.“ Auch wenn er entgegen seines Vortäuschens sichtlich berührt war, dass man sich sofort um ihm kümmerte. Er brauchte nur unbedacht etwas fallen lassen und wurde bereits in die Arme geschlossen. Das fühlte sich gut an - stand jedoch seinem Vorhaben entgegen. Er wollte gar nicht, dass man ihn so eng in die Familie schloss. Er kannte sein Schicksal und er wusste, wenn er es erfüllte, würde er seiner Familie viele Tränen bringen. Also stellte er sich gegen seine Gefühle und entschied sich für die Vernunft. Er wusste, dass seine Familie ihn liebte, doch es wäre vernünftiger, wenn sie es nicht täte. Er wollte nicht zulassen, dass sie ihn zu sehr liebten. Denn dann konnten sie ihn nicht gehen lassen, wenn es erst so weit war. „Was denkst du?“ fragte Seto und weckte ihn aus seinem Tagtraum. „Nichts“ lächelte er müde. „Du machst ein trauriges Gesicht. Ich sehe doch die Sorgenfalten auf deiner Stirn.“ „Was für ein Glück, dass du mich nicht lesen kannst“ Er griff seinen Orangensaft. „Du würdest auch nur sehen, dass ich etwas Schlaf brauche.“ „Aber erst wird anständig gegessen“ beschloss Yugi und gab Hannes eine Geste, die ihn fragte, wann es etwas zu essen gäbe. Der zeigte eine volle Hand hoch. „Noch fünf Minuten. So lange könnt ihr noch wach bleiben, oder? Hannes und ich haben uns heute wirklich viel Mühe gegeben.“ „Wenn du meinst“ murmelte Seto und senkte die Augen. Das allein verriet wie dankbar er war, doch er wollte es nicht so offen zeigen. Er blickte erst auf als die Damenriege am Nebentisch zu kichern anfingen. Nicht allzu laut, doch Seto weckte das plötzliche Geräusch. Er hatte auch schnell ausgemacht, was die Frauen so erheiterte. Einen wie Marik hatten sie nämlich noch nicht oft gesehen. Mit seinem hellen Haar, der dunklen Haut und den violetten Augen stach er ja auch sehr aus der Masse heraus. Eigentlich schade für ihn, dass er den Großteil seines Lebens in einem unterirdischen Grab verbrachte. Er hatte Schlag bei den Mädchen und fände sicher leicht ein paar Freuden, welche über Geheimnishüterei hinausgingen. „Heeeyyyy! Marik!“ freute Mokuba sich und tappelte ihm auch schon entgegen. „Hallo!“ grüßte auch der gut gelaunt, stellte seinen Kleidersack neben die Tür und schloss Mokuba in den Arm. „Geht’s euch gut?“ „Klar. Wie geht’s dir?“ Er nahm den Seesack wieder auf und geleitete ihn zu den anderen, wo er zuerst Yugi begrüßte. Er nahm dessen Hand und küsste sie in einer kurzen Verneigung. Doch dann schloss auch Yugi ihn in den Arm und gab ihm einen Wangenkuss. „Schön, dich wiederzusehen. Hattest du eine gute Reise?“ „Da Noah mir einen Privatjet geschickt hat, ja natürlich“ antwortete er und grüßte Seto mit einem Handschlag. „Eraseus. Schön, dich gesund wiederzusehen.“ „Ebenso.“ Auch er umarmte und drückte ihn kurz. „Du siehst gut aus.“ „Danke. Ist etwas ungewohnt, mal wieder Stadtkleidung zu tragen“ gab er zu und strich sein kurzes Shirt glatt. Und auch blaue Jeans trug er im Grab nicht zu häufig. „Ihr kennt euch wahrscheinlich noch nicht“ meinte Yugi und wies auf Sethan. „Marik, das ist Sethan. Ninis Sohn.“ „Ich weiß. Ich habe schon einiges von dir gehört“ lächelte er und hielt ihm die Hand hin. „Ich bin Marik Ishtar. Vielleicht kennen wir uns ja aus der Zukunft.“ „Bedauerlicherweise ja.“ Sethans Blick verfinsterte sich und er erwiderte auch die Begrüßungsgeste nicht. Er blieb einfach stur sitzen und funkelte ihn an. „Bedauerlich?“ schaute er überrascht. „Oh je. Werde ich etwas tun, was dich verstimmt?“ „Das hast du gerade, Grabwächter“ zischte er und erhob sich so plötzlich, dass er den Stuhl umstieß. „Ich stehe weit über den Pharaonen und dennoch hältst du es für richtig, mich als Letzten zu begrüßen, obwohl du genau weißt, wer ich bin?“ „Ich …“ Marik war genauso überfahren wie die anderen. Solch ein rüdes Kennenlernen hatte er nicht eingeplant. „Außerdem habe ich dir nicht gestattet, mich zu duzen! Du solltest auf die Knie fallen und nicht mir die Hand hinhalten wie jedem Dahergelaufenen!“ „Ich … tut mir leid.“ Also kniete er sich schnell nieder und senkte den Kopf. Sethan hatte ja Recht, aber Marik war es mittlerweile gewohnt, den Pharaonen freundschaftlich zu begegnen. Dass Sethan so auf die Etikette bestand, hatte er nicht vermutet. „Bitte entschuldigt meine Unhöflichkeit, Gottkönig Sethan. Bitte erlaubt“ bat er und hob seine offene Hand. „Bitte erlaubt mir, Eure Hand zu küssen.“ „Nicht mal die Füße. Sieh zu, dass du mir aus dem Weg gehst, solange du hier bist.“ Er drehte sich um und ging. „Ich gehe schlafen.“ Und verschwand mit schnellen Schrittes die Treppe hinauf. Und hinterließ pure Verwirrung. „Was denn?“ giftete Mokuba zur Seite. Natürlich guckten die anderen Gäste aufgescheucht herüber. „Macht’s Spaß andere Gespräche zu begaffen?“ Schnell wandten alle ihre Blicke ab und widmeten sich wieder ihrem Essen, den Getränken oder anderen Sachen. „Steh auf“ bat Yugi und half ihm auf die Beine. „Alles in Ordnung?“ „Herrje, das habe ich nicht gewusst“ antwortete er und richtete seinen irritierten Blick zur Treppe. „Das war wirklich dumm von mir.“ „Ach was, du hast gar keine Schuld“ stritt Yugi ab. „Eigentlich ist Sethan gar nicht so aufbrausend. Ich weiß nicht, was das gerade war.“ „Vielleicht habe ich ihm in der Zukunft irgendetwas getan“ vermutete er und kratzte sich am Kopf. „Ich hätte ihn aber wirklich zuerst begrüßen müssen. Da hat er schon Recht.“ „Er hat aber trotzdem kein Recht, dich so anzufahren“ meinte Mokuba. „Aber das … das war doch schon ich, oder?“ Er checkte seine Kleidung und strich sich das Haar zurück. „Oder hat mein Yami irgendwas getan, was ich nicht mitbekommen habe?“ „Nein, das warst schon du“ erwiderte Seto und verschränkte nachdenklich die Arme. Warum nur tickte Sethan plötzlich so aus? Das passte überhaupt nicht zu ihm. Er wirkte überhaupt nicht launisch - und Seto wusste genau, wie man sich fühlte, wenn die Stimmung plötzlich umschwang und alle verwirrte. „Hätte mich trotzdem nicht gewundert“ erklärte Marik den dreien. „Malik und ich haben uns vor ein paar Tagen gestritten und seitdem redet er nicht mit mir. So eine kleine Rache traue ich ihm schon zu.“ „Nein, du warst du selbst. Das hätten wir gemerkt und Sethan auch.“ „Ich entschuldige mich für ihn“ bat Yugi und richtete den Stuhl wieder auf. „Eigentlich ist Sethan gar nicht so. Ich werde mal mit ihm sprechen.“ „Nein, lass. Er hatte doch Recht. Ich muss mehr auf meine Stellung vor ihm achten. Das ist sein gutes Recht.“ „Dennoch sieht ihm so etwas nicht ähnlich. Er ist eigentlich ein freundlicher, stiller Junge und nimmt Standesunterschiede nicht so ernst. Ich sehe mal nach ihm.“ „Bitte setz dich“ bat Seto, während Yugi sich auf den Weg nach oben machte. „Wo sind denn die anderen alle?“ „Die sind überall verstreut“ erzählte Mokuba. „Noah ist natürlich mal wieder arbeiten. Eigentlich sind nur wenige zuhause. Yami und Finn sind oben und Tato und Spatz auch. Der Rest ist irgendwie gone with the wind.“ Yugi war Sethan gleich nachgelaufen und fand ihn am Ende des Flures. Dort saß er am Fenster und stützte die Stirn in die Hand. In sein Zimmer konnte er ja nicht und um rauszukommen, musste er durch die Gaststätte oder aus dem Fenster springen. Langsam ging er auf ihn zu, setzte sich neben ihn und seufzte tief, bevor er einen Arm um ihn legte. „Was ist los, hm?“ „Nichts“ antwortete er kurzatmig. „Nach nichts sah das aber nicht aus. Du bist doch sonst ein eher ruhiger Mensch. Marik war nicht absichtlich respektlos.“ „Er vergisst, dass er nur ein Diener ist“ sprach Sethan und stierte den Boden an. An seinen Schläfen pochten die Adern und seine Mundwinkel zuckten. Er schien wirklich erbost zu sein. „Das ist doch aber kein Grund. Marik ist unser Freund. Er gehört quasi zur Familie.“ „Ich mag ihn nur einfach nicht. Das ist alles.“ „Du kennst ihn doch gar nicht.“ „Ich kenne ihn aus der Zukunft. Das reicht mir.“ „Hat er denn da irgendwas getan, was dich so sauer macht?“ Darauf erhielt er keine Antwort. Ein bisschen kam es Yugi vor als würde er mit dem sturen Seto sprechen. Aus dem war manchmal auch nur schwer eine Antwort herauszupressen. Und wenn dann waren sie einsilbig. „Sethan, was ist los mit dir? So habe ich dich ja noch nie erlebt.“ „Wie denn auch? Ihr kennt mich doch gar nicht. Niemand kennt mich.“ „Ich kenne dich insofern, dass ich weiß, dass das da unten nicht du selbst warst.“ „Doch, das bin ich. Genau das bin ich.“ Er stand auf und blickte Yugi wütend aus seinen mystischen Auge an. „Darf ich nicht auch mal böse werden, Opa? Ist das verboten?“ „Nein, natürlich nicht. Aber das zeigt mir, dass du Sorgen hast.“ „Warum meint ihr immer gleich alle, dass ich Sorgen habe? Nur weil ich mal schlecht drauf bin? Ich habe seit Tagen nicht geschlafen, muss mit eigenwilligen Göttern verhandeln und mir dann auch noch gefallen lassen, dass man mich wie einen dummen Jungen behandelt? Ich bin das Schicksal der Erde, da wird mir doch wohl ein Mindestmaß an Respekt und Distanz zustehen! Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt!“ „Sethan“ sprach Yugi mit sanfter Stimme und sah ihn liebevoll an. „Du hast in allem Recht, was du sagst. Wenn du etwas von uns brauchst dann bitte, ich bitte dich aus ganzem Herzen, bitte sage uns etwas. Lass uns an dir teilhaben. Ich kann nur etwas für dich tun, wenn ich weiß, was du brauchst. Wenn du dich nur ein ganz kleines bisschen uns gegenüber öffnen würdest … wir wollen dir doch nichts böses.“ „Wenn du etwas für mich tun willst, dann sorge einfach dafür, dass mir dieser Grabwächter vom Leibe bleibt. Ja?“ Er hielt Yugi noch einen Moment fest in seinem Blick. Dann drehte er sich herum, ging den Flur hinauf und öffnete die Tür zu seinem Zimmer. Die machte er auch nicht wieder zu, sodass Yugi aus dem Inneren noch eine Tür zuschlagen hörte. Sethan war nun also doch auf sein Zimmer gegangen. Schweren Herzens und ebenso besorgt ging Yugi ihm nach und fand Yami mit Finn erwartungsgemäß im Bett. Über die plötzliche Invasion waren beide etwas verwundert und so saß Yami neben Finn, der sich notdürftig mit einem Laken bedeckte. „Hey Yugi“ grüßte Yami und zeigte kurzatmig, weil ziemlich zerwuschelt auf die geschlossene Tür. „Was war denn das?“ „Wenn ich das wüsste“ seufzte er und lehnte sich an den Rahmen. „Sorry für die Störung. Finn.“ „Schon gut“ meinte der und durchkämmte mit den Fingern sein schwitzig rotes Haar, welches Yami in ein wildes Wirrwarr verwandelt hatte. „Ist ihm was über die Leber gelaufen?“ wollte Yami weiter wissen. „Wir können auch zu Finn gehen, wenn wir ihn stören.“ „Lieb von dir, aber ausnahmsweise bist du mal nicht schuld. Ich wollte euch auch nur kurz sagen, dass Marik eben angekommen ist.“ „Ah, meine Schriftrollen sind da!“ freute er sich und hopste aus dem Bett. „Finn, du bist fertig, oder?“ „Atemu!“ „Ach, ist doch nur Yugi“ lachte der hob seine Hose vom Boden auf. „Runde drei eröffnen wir heute Abend, okay?“ „Wo nimmst du nur die Kondition her?“ Der arme Finn sah völlig fertig aus. Die Knutschflecken an Yamis Körper und die Kratzspuren auf Finns Schultern wiesen auf ein wildes Intermezzo hin. Doch im Gegensatz zu ihm bekam der alte Pharao so schnell nicht genug. „Yugi, sag mir doch mal, ob das normal ist bei ihm.“ „Das Wort normal sollte man in Verbindung mit ihm meiden“ schmunzelte er. Er sah sich den halbbedeckten Finn einen Augenblick an und dachte sich, dass er da auch schwach werden könnte. Sex mit ihm war sicher heiß und aufregend. Kein Wunder, dass Yami sich in ihn verguckt hatte. Die beiden passten gut zusammen und Yami brauchte immer jemanden, der zwar viel Quatsch mitmachte, aber ihn vor Übermut schützte. Hoffentlich hielt das mit den beiden lange. Yami sah glücklich aus und seine Augen leuchteten, wenn er seinen Geliebten ansah. Finn war das Beste, was ihm passieren konnte. „Wir kommen gleich runter“ versprach Yami und schmiss seinem Lover die Box mit Tüchern aufs Bett. „Gleich nachdem wir geduscht haben. Nicht wahr, Finni?“ „Klingt nach Runde drei“ befürchtete er und traf Yamis funkelnden Blick. „Hmmm, weiß ich nicht … warum habe ich mir eigentlich überhaupt die Hose wieder angezogen?“ grinste er und zwinkerte Yugi zu. Natürlich bedeutete das noch mindestens einen Gongschlag. „Ist gut. Wir warten unten mit dem Essen auf euch.“ Yugi schloss die Tür hinter sich und entschied, Sethan erst mal in Ruhe zu lassen. Wenn er sich abgeregt hatte und wieder aus dem Zimmer kam, würde er es nochmals versuchen. Wenn er so abblockte, kam er ja auch nicht voran. „Papa?“ Er hörte Tatos Stimme hinter sich und sah ihn aus dem Zimmer kommen. Er trug nur eine halb geschlossene Jeans. Ein Indiz, dass auch er sich mit seinem kleinen Geliebten zurückgezogen hatte. „Na, Tatolino?“ schmunzelte Yugi. „So leicht bekleidet am helllichten Tage?“ „Ich bin auch nur ein Mann“ brummte er und lehnte die Tür hinter sich an. „Was war das hier für ein Krach? Hast du dich mit Sethan gestritten?“ „Nicht so richtig.“ Er wartete bis Tato ihn erreicht hatte und sich nebenbei eine Zigarette anzündete. Darüber musste Yugi versteckt grinsen, denn eigentlich versuchte er noch immer, sich das Qualmen abzugewöhnen. Nur leider stichelte Phoenix jedes Mal nach, sodass er begann, heimlich zu rauchen. Jedenfalls heimlich vor Phoenix. „Pass nur auf, dass Spatz die Schachtel in deiner Hosentasche nicht findet.“ „Ich weiß ja, dass er meine Klamotten durchsucht, bevor er sie wäscht. Das bin ich noch von dir gewohnt. So habe ich meine Kippen damals auch vor dir versteckt“ tat er das ab und lehnte sich mit verschränkten Armen und Kippe im Mund ans Treppengeländer. „Also, was ist los?“ Dann drehte er seinen Kopf in Richtung Stufen, blieb einen Moment so und stieß weiße Luft aus seiner Nase. „Hier riecht es nach Sand und altem Holz. Und Duschgel von Kaiba Niveau. Niveau benutzt doch von uns eigentlich niemand … außer Marik.“ „Gute Nase trotz Zigarette. Marik ist eben angekommen.“ „Ach so. Hast du Yami bescheid gesagt?“ „Natürlich. Sagst du ihm auch gleich hallo?“ „Yami oder Marik?“ „Spitzfindig wie dein Vater.“ „Werde ich wohl“ murmelte er und atmete langsam den Qualm aus. „Und was war jetzt zwischen dir und Sethan?“ „Zwischen uns beiden eigentlich nichts. Sag mal, du kennst ihn doch besser als ich.“ Er trat näher zu Tato heran. Nur für den Fall, dass fremde Ohren in der Nähe waren und sein Flüstern mithörten. „Weißt du etwas davon, dass er und der Marik aus der Zukunft sich gestritten haben? Oder ob irgendwas zwischen ihnen vorgefallen ist?“ „Er kann Marik nicht leiden“ antwortete er mit gesenkter Stimme. „Wenn möglich, geht er ihm aus dem Wege.“ „Und warum? Gibt es dafür einen Grund?“ „Ich weiß es nicht genau. In unserer Zeit ist Marik ja wesentlich älter und hat auch schon die Familienführung an Zehara abgetreten. Wenn Sethan etwas mit den Ishtars zu bereden hat, wendet er sich an sie. Wie gesagt, er geht Marik aus dem Wege.“ „Und … wer ist Zehara?“ „Zehara Ishtar ist die Tochter von Malik.“ „Malik?“ Na, wenn das keine Überraschung war. „Ausgerechnet der hat Nachwuchs?“ „Man soll es kaum glauben, aber er hat tatsächlich eine Frau gefunden, die ihn ertrug“ erklärte Tato und zerblies die Asche seiner Zigarette in so feinen Staub, dass sie mit dem Luftzug fortgetragen wurde. Aufgrund fehlendem Aschenbecher. War eben ein großer Vorteil, wenn man den Wind kontrollierte. „Sie hieß Imame und stammte von eingeborenen Wüstennomaden. Sie war mit einem ihrer Verwandten verheiratet, einem Cousin oder Onkel. Vielleicht sogar einem Bruder. Die Familienverhältnisse waren da nie geklärt. Weil ihr Stamm sich seit Jahrhunderten von der Zivilisation fernhielt, war Inzest natürlich ein großes Problem und sie brachte drei behinderte Söhne zur Welt. Ich kenne die Geschichte auch nur aus ihrer Erzählung, aber zwei der Jungen starben nach wenigen Wochen und der dritte war wohl so schlimm entstellt, dass man ihn und seine Mutter für verflucht hielt. Man war eben abergläubisch. Sie wurde von ihrem Stamm verstoßen und in der Wüste zurückgelassen. Dort hatte sie allein natürlich wenig Überlebenschance und als sie keine Muttermilch mehr hatte, verdurstete ihr Sohn innerhalb kurzer Zeit. Marik fand sie in der Nähe der Grabruine und hatte natürlich Mitleid mit ihr. Er nahm sie mit, eines ergab das andere und so fand zwar nicht er die Frau fürs Leben, aber eben sein Yami. Und ihr Pharaonen habt gern eingewilligt, dass Imame in die Familie Ishtar einheiratet. Yami hat sogar ein altes Trauungsritual abgehalten. Er hat sie als körperlich und geistig rein anerkannt und ihre Mitgift in Form von selbstgewebten Gewändern akzeptiert. Und sie hat ihren Eheschwur in alten, ägyptischen Worten auswendig gelernt, um ihre Dankbarkeit zu zeigen.“ „Wie romantisch“ lächelte Yugi. Sein Yami als Trauender, glaubte man das? „Leider starb Imame kurz nach Zeharas Geburt an einem Schlangenbiss“ erzählte Tato seine Geschichte weiter. „Die Diener fanden sie zu spät und das Gegenmittel wurde zu spät verabreicht. Ich habe sie selbst kennengelernt und kann sagen, sie war eine sehr zurückgezogene, fast devote Frau. Bei ihren Erfahrungen kein Wunder. Doch trotz allem empfand ich ihre Freundlichkeit nicht als gespielt und sie hatte großen Respekt vor unserer Familie und meinte ihren Treueschwur wahrlich ernst. Malik und sie liebten sich und waren unglaublich stolz auf ihre gemeinsame Tochter. Besonders Imame, da Zehara weder entstellt noch krank war. Sie wusste also, dass sie nicht verflucht war und das nahm ihr eine große Last vom Herzen. Zehara sieht ihrer Mutter sehr ähnlich, aber hat das zähe, raue Wesen von Malik geerbt. Mit ihr ist nicht gut Kirschen essen, aber sie ist eine gerechte und treue Wächterin.“ „Gut zu wissen, dass die Linie der Ishtars weitergeführt wird“ meinte Yugi. „Auch wenn ich ja mehr auf Marik gesetzt hätte.“ „Na ja, Marik ist ewig Single geblieben. Ich glaube, er ist zwar etwas traurig darüber, aber gleichzeitig auch sehr erleichtert, dass Malik an seiner statt für einen Erben gesorgt hat. So spielt das Leben.“ „Glaubst du, dass Sethan deshalb nicht mit Marik zurechtkommt? Weil nicht er, sondern Malik die Linie fortführt? Ich meine, eigentlich ist Malik ja keine richtige, eigene Person. Er ist ja mehr so etwas wie …“ „Wie ein Seelensplitter, der sich durch einen Millenniumsgegenstand verselbstständigt hat“ führte Tato mit Yugis Pause fort. „Ich weiß, Malik ist der einzige Yami, der aus seinem Hikari geboren wurde und nicht umgekehrt. Aber ich glaube nicht, dass es daran liegt. So diskriminierend ist Sethan nicht und er akzeptiert Zehara als vollwertiges Oberhaupt. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was da bei ihm aushakt. Wenn er Marik begegnet, wird er ganz angespannt und wenn man ihn anspricht, geht er hoch wie eine Bombe. Ich weiß nicht, was Marik an sich hat, was Sethan so ausrasten lässt.“ „Habt ihr Marik mal gefragt?“ „Natürlich, aber er weiß es auch nicht. Er behandelt Sethan sehr respektvoll. Als er noch klein war und wir bei den Ishtars zu Besuch blieben, hat Marik sogar mit ihm gespielt. Er hat ihm beigebracht, seinen Namen zu schreiben. Er hat ihm das Reiten beigebracht und die Kunst der Meditation. Auch alte Gesänge und Gebete. Sethan war früher als Kind viel und gerne im Grab zu Besuch. Er verbrachte fast alle Schulferien in Ägypten. Aber dann hat er irgendwann angefangen, sich von uns abzukapseln. Mit Marik hatte er damals noch eine Weile Kontakt. Er war für ihn ähnlich wie ein Vater oder ein großer Bruder. Doch irgendwann hörte das auch auf und als Marik mit ihm das Gespräch gesucht hat, ist er auf Ablehnung gestoßen. Seitdem reagiert Sethan sehr empfindlich darauf, wenn man ihn nach seinen Gefühlen und Gedanken befragt. Er spricht nicht gern über sein Innenleben. Manchmal bricht es aus ihm heraus, aber genauso schnell ist es wieder vorbei. Und so aggressiv reagiert er nur auf Marik. Wir können es uns auch nicht erklären. Und Sethan vielleicht auch nicht.“ „Und damit gebt ihr euch zufrieden?“ „Du glaubst nicht, was wir alles versucht haben.“ Er löste seine Pose und nahm die Zigarette aus dem Mund. „Du erlebst Sethan doch. Wenn man ihm zu nahe kommt, macht er einen Rückzieher. Früher als Kind war das niemals so. Er war ein Junge wie jeder andere. Vergnügt, neugierig, aktiv, ein bisschen frech. Wie Jungs eben sind. Aber in der Pubertät, hat er sich zurückgezogen. Sobald ihm klar wurde, wer sein Vater ist, wurde er zum Einzelgänger. Ich habe es bei ihm als Freund versucht, als Onkel, als Bruder. Mama genauso und selbst Sareth. Wir haben denselben Schöpfer, aber er distanziert sich von uns. Von uns allen. Ich weiß, dass er uns liebt und er weiß, dass wir ihn lieben. Aber er hat irgendwann zugemacht. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.“ „Das macht mich traurig“ seufzte er und strich nachdenklich über das Geländer. „Es muss doch einen Weg geben, wie wir an ihn rankommen.“ „Hey! Ihr steht hier ja immer noch rum!“ Yami hüpfte mit nassen Haaren und frischer Kleidung aus seinem Zimmer und sah die beiden dort stehen. Besonders Tato so sexy ganz oben ohne. „Na, Tato?“ raunte er schmunzelnd. „Grm“ machte der misstrauisch. Yamis gute Laune sollte man meiden. „Das ging ja schnell. Hast du schon fertig ‚geduscht‘?“ gestikulierte Yugi mit deutlicher Frage. „Ein bisschen schrubb schrubb und die Welt sieht rosiger aus. Zumindest für meinen Lover“ grinste er und klopfte Tato auf die Schulter. „Na, Großer? Du siehst auch aus als hättest du gut ‚geduscht‘.“ „Du musst es ja wissen, Yami.“ „Dicker?“ Phoenix steckte suchend den Kopf zur Tür heraus und fragte sich, wo sein Schatzi so lange blieb. Tato jedoch wurde sehr nervös. Wohin mit der fast aufgerauchten Zigarette? Ihm fiel nichts besseres ein als sie Yami in die Hand zu drücken und dann ein unschuldiges Gesicht zu machen. „Hallo Kleiner“ grüßte er und winkte hastig. Phoenix konnte ohne Brille kaum sehen und so blinzelte er und erkannte doch zumindest die Umrisse. „Hallo.“ „Hallo!“ riefen auch Yugi und Yami im Chor. „Spatz, geh doch wieder rein. Ich komme gleich nach.“ „Hier riecht es verbrannt. Hast du geraucht?“ „Nein, ich habe mich nur mit Papa unterhalten.“ Es war richtig süß anzusehen wie Tato sich ertappt fühlte. Die beiden Pharaonen mussten ein offenes Grinsen unter Schmerzen verbergen. Phoenix kramte irgendwo hinter sich und zog dann überraschend seine Brille hervor. Er setzte sie zwar nicht auf, aber blickte notdürftig hindurch. Den Fehler in diesem Bild fand er aber schnell. „Ati, rauchst du?“ „Ja … ist ne dumme Angewohnheit geworden“ log er sofort und drehte die Zigarette in der Hand. „Nach dem Duschen habe ich irgendwie das Bedürfnis eine zu rauchen. Aber wirklich nur nach dem Duschen.“ „Aha.“ Phoenix guckte zwar so als wäre er davon nicht ganz überzeugt, aber nahm dann doch die Brille wieder runter. „Geh doch wieder rein, Kleiner, bevor du dich erkältest. Ich bin sofort bei dir.“ „Na gut.“ Er zog den Kopf zurück und lehnte die Tür wieder an. Und Tato seufzte tief durch. Das war knapp gewesen. Gerade noch entwischt. „Du bist mir was schuldig, Tatolein.“ Und kam vom Regen in die Traufe. Yami etwas schuldig zu sein, war nicht wesentlich besser. Chapter 18 Am nächsten Tag kam Seto vom Büro nach hause und erfuhr von Nini, dass Papa jetzt auch im Büro arbeitete. Eine interessante Info. Ließ jedoch viel Interpretationsspielraum. Jedenfalls war er um das Wissen reicher, dass Yugi sich in dem neuen, kleinen Hausbüro befand, welches noch bis vor kurzem ein Abstellraum von Hannes gewesen war. Nur was Papa Yugi dort machte, das fragte er sich dann noch immer. Also ging er nachsehen. Zwei verhältnismäßig kleine Schreibtische - verhältnismäßig klein für Seto und Noah jedenfalls - standen sich gegenüber, seitwärts vor dem Fenster zur Straße. In der Mitte als grober Sichtschutz eine Zimmerpalme. An den Wänden keine Bilder und hinter der Tür eine kleine Couch mit einem winzigen Glastischchen. Ein Mini-Büro, das noch nicht ganz fertig war. Und in der schmalen Sitzecke fand er eine Ansammlung von Menschen. Yami und Finn hatten sich das Sofa genommen. Mokeph und Nika nutzten die beiden Bürostühle und Yugi teilte sich mit Marik den Fußboden. Damit war der kleine Tisch vollständig umrundet. Die kleine Glastischplatte sah man kaum, so vollgepackt mit Schriftrollen. Einige waren geöffnet, andere noch geschlossen. Etwas abseits standen zwei alte, schwere Holzkisten. Wunderschön mit Gold beschlagen und roter Farbe verziert. Eine davon geöffnet, doch innen lagen weniger Schriftrollen als auf dem Tisch. Zusätzlich hatte jeder einen Notizblock und ein paar bunte Stifte. Sah irgendwie wie die Gruppenarbeit damals in der Schule aus. „Sieht ja aus wie Projektwoche inner Schule“ brummte er und kam langsamen Schrittes zu der arbeitenden Gruppe. „Hey! Unser Miesepeter!“ freute Yami sich und streckte die Arme aus. „Komm her und gib deinem Lieblingspharao einen fetten Knutscher!“ „Nichts anderes hatte ich vor.“ Er kniete sich herab, kniete sich weeeiiiit herab und küsste seinen Yugi, seinen echten Lieblingspharao. „Hi Liebling.“ Er gab ihm noch einen Kuss und streichelte sein langes, gezopftes Haar. „Wie war dein erster Arbeitstag?“ „War nur Übergabe. Ist ja Sonntag.“ Das sollte zum Wiedereinstieg auch genügen. Heute hatten ihn seine beiden Kollegen erst mal auf den aktuellen Stand der Dinge gebracht und erst morgen würde er dann wieder ‚richtig‘ arbeiten. „N’Abend“ grüßte er dann auch kurz die anderen. „Was macht ihr da?“ „Wonach sieht’s denn aus?“ wies Yugi auf den vollgepackten Tisch. „Sage ich doch. Wie Projektwoche inner Schule.“ „So ähnlich ist das auch“ erklärte Yami. „Wir sehen die Schriftrollen durch, die Marik mitgebracht hat.“ „Ach, für Nikolas.“ Stimmt, da war ihm etwas zu Ohren gekommen. Yami hatte Marik und die Aufzeichnungen herbestellt, um Informationen zu sammeln. In der Hoffnung, dass es für Nika doch noch einen einfacheren Weg gab als eine erneute Hormontherapie und Operationen. Er nahm wahllos eine Rolle zur Hand und überflog die uralten Schriftzeichen, welche sehr filigran auf das dicke Papyrus gepinselt waren. „Das sind aber keine Originale.“ „Nein, das sind die Abschriften“ erklärte Marik. „Die Originale sollen das Grab nicht verlassen, aber du weißt, dass wir von fast allen Schriften Kopien besitzen. Das hier ist nur der Teil, den wir noch nicht auf Mikrofilm übertragen haben. Einen großen Teil habe ich digital mitgebracht.“ „Wir haben gerade erst angefangen“ erzählte Mokeph und legte seine Rolle beiseite. „Die Informationen sind nicht wirklich eindeutig. Vieles wissen wir heute besser und vieles ist zu ungenau beschrieben als dass wir es sofort deuten könnten.“ „Allein der Wortlaut ist ungewohnt. Die sind echt uralt. Selbst die Abschriften sind historisch“ ergänzte Yugi. „Und was habt ihr jetzt vor?“ „Wir durchsuchen die Schriften nach Stichworten und sortieren eventuelle Informationen aus. Den brauchbaren Teil behandeln wir dann nochmals eingehender.“ „Und was macht ihr beide?“ blickte er zu Finn und Nika. Die beiden konnten weder Hieroglyphen lesen noch welche die so uralt waren. „Wir suchen die da“ zeigte Finn zur Seite. Dort stand ein Flipchart und einige wenige Schriftzeichen mit Edding aufgemalt. „Wir können es zwar nicht lesen und allzu produktiv ist das sicher auch nicht, aber wenigstens beim Suchen nach bestimmten Symbolen können wir ein bisschen helfen.“ „Tja“ zuckte Nika mit ihren breiten Schultern. Sie würde sicher gern mehr tun, aber letztlich war sie wenig nutze. „Ich finde das schon sehr viel“ tröstete Seto und legte die Rolle zurück. „Ich würde auch nicht viel mehr machen als das Schriftbild abzuscannen. Alles zu lesen würde ja ewig dauern.“ „Finn hat schon einige gefunden“ erzählte Yami mit sichtlichem Stolz. „Ja, wir sind alle furchtbar stolz auf Finn“ schmunzelte Marik. „Was grinst du denn so?“ „Nikolas hat vier Symbole mehr gefunden als ich“ erklärte Finn. Nur für den Fall, dass Yami das schon wieder - ja wohl schon wieder - vergessen hatte. „Ich glaube an dich, mein Sahnetörtchen. Du holst Nika schon noch ein.“ „Bitte?“ „Nikolas“ warf sie nochmals nachdrücklich ein. „Ah, manno!“ schimpfte Yami, raufte sich das Haar und sah sie deprimiert an. „Ich habe mich jetzt aber an Nika gewöhnt. Kann ich nicht weiter Nika sagen?“ „Wenn er sich im Moment nicht wie Nika fühlt, musst du das auch akzeptieren“ meinte Seto, klappte die langen Beine zusammen und setzte sich zwischen Yugi und Marik auf den Boden. Dass er Marik dabei einen halben Meter wegdrängelte, ignorierte er einfach. „Er wird schon irgendwann wieder weiblich werden.“ „Da bin ich mir im Moment nicht so sicher“ seufzte die schweren Mutes. „Selbst wenn ich die Kraft fände, das alles noch mal durchzumachen, weiß ich nicht, ob ich das noch mal will. Die Prozedur an sich kommt mir im Moment genauso schlimm vor wie die Männlichkeit. Allein die ständigen Hormonspritzen - als hätte man Diabetis. Und … und der Sex ist … nun ja … auch im Moment eher nicht vorhanden. Ich weiß, dass Tristan auch darunter leidet und das … das macht es nicht gerade leichter.“ „Du musst dich nur an das erinnern, was du willst.“ Seto sah sie verständnisvoll an und legte wohl eher unbewusst seinen Arm um Yugis Taille. „Auf ein Ziel zu streben, ist niemals einfach. Es ist immer schwer. Umso schwerer je höher das Ziel. Aber wenn du es geschafft hast, dann genießt du nicht nur deinen Erfolg, sondern auch deinen Stolz. Denn du hast es dir verdient. Etwas zu erkämpfen lässt dich höher schätzen, was du besitzt. Und deshalb wirst du es so oder so schaffen. Sobald du die Kraft hast, den ersten Schritt zu machen. Und Tristan wird dir folgen. Weil er dich begleitet, auf jedem Weg.“ Nika senkte den Blick und nahm sich seine Worte zu Herzen. Er lag richtig und er wusste sehr genau, was es bedeutete, sich etwas zu erkämpfen. Besonders seelische Ziele. Immer und immer und immer wieder aufs Neue. Und leider auch wie es sich anfühlte, seinen Partner mit den eigenen Problemen zu belasten. Dennoch fehlte ihr derzeit die Kraft, um auf ihr Ziel zu streben. „Schöne Ansprache“ lächelte Yami und löste die sinnschwangere Stimmung. „Aber vielleicht finden wir ja auch einen leichteren Weg.“ „Und weißt du, was am meisten zählt?“ bestärkte Yugi die tränennahe Nika. „Tristan und Feli lieben dich. Für sie macht es keinen Unterschied, wie dein Körper beschaffen ist. Und das ist doch mehr wert als alles andere.“ „Das zu sagen, ist leicht für dich. Du hast keine Ahnung wie es ist, dein Spiegelbild nicht ansehen zu können. Ich habe das Gefühl, die Leute starren mich an und merken, dass ich falsch bin.“ „Ich weiß gut wie das ist, sich nicht ansehen zu können. Ich bin auch unzufrieden mit mir.“ Da horchten sogar die anderen auf. So gerade heraus hatte Yugi das noch nie gesagt. Jedenfalls nicht zu ihnen. „Du entsprichst wenigstens dem gängigen Schönheitsideal. Ich nicht. Mich halten die Leute wegen meiner Größe und meines weichen Gesichts immer noch für einen Teenager. Wenn du mit jemandem darüber reden willst, wie unzufrieden man mit dem eigenen Körper sein kann, dann tu’s mit mir. Mir geht es schon das ganze Leben so und im Gegensatz zu dir, kann ich nichts daran ändern lassen. Weder mit Hormonen noch mit Operationen.“ „Ihr redet beide großen Unsinn!“ schimpfte Seto und blickte beleidigt zwischen beiden hin und her. „Ihr seid beide wunderschön. Nikolas ist ein fantastisch aussehender Mann und Yugi hat auch einen tollen Körper. Das Problem besteht allein in eurem Kopf! Seid ihr eigentlich wahnsinnig, euch so fertig zu machen? Seid lieber dankbar, dass ihr eine treue Familie habt und bei Gesundheit seid!“ „Amen, Seto!“ rief Yami und hob die Arme. „Endlich haust du mal auf den Tisch!“ „Und wie!“ WUMMS! Und da hatte er doch glatt mit der Faust auf den Tisch gehauen, sodass ein paar Schriftrollen herunter kullerten. Nur Glück, dass die Glasplatte das aushielt. „Was ist denn hier los?“ Der große Tato kam herein und sah nur wie sein Vater den Tisch vermöbelte. „Seto redet Tacheles“ erklärte Yami. „Willst du auch mitmachen? Ist das der Geruch von Cheesburgern?“ „Vier Stück. Wie bestellt.“ Er trug zwei Papiertragetaschen mit dem großen, gelben M im Logo herein. Die eine öffnete er und warf Yami einen braunen Papierbeutel herüber, aus dem es wunderbar ungesund duftete. „Und meine Chickennuggets?“ „Auch vorhanden.“ Er kramte und weil er mittlerweile am Tisch angekommen war, reichte er ihm eine zweite Papiertüte rüber. „Und wo sind die Getränke?“ „Spätzchen kommt gleich. Hier. Ein doppelter ohne Tomaten und ein McChicken.“ Er drückte Mokeph ebenfalls einen Papierbeutel in die Hand und griff sich schon den nächsten um alle Gaben an die hungrigen Mäuler zu verteilen. „Für Nikolas zwei Hamburger mit extra Gürkchen und große Pommes. Papa ein Hamburger und ein Chicken Wrap und Finn ein Tasty Bacon, große Pommes und ChickenNuggets.“ „Wie praktisch doch ein gutes Gedächtnis sein kann“ meinte Yami und hatte vor allen anderen schon den Mund voll. „Unwoschi scheschts …“ „Erst schlucken, dann sprechen. Wie beim Sex, Yami“ bat Tato und reichte auch Marik sein Paket herunter. „Ich habe dir einen mit Fisch geholt, einen Chicken Wrap, Cheeseburger und Pommes. Wenn du was anderes willst, können wir tauschen.“ „Ich bin nicht so wählerisch. Danke schön.“ Er öffnete seinen Beutel und roch erst mal den guten Duft heraus. Er genoss dieses ungesunde Zeug. „Haaaaaach, das Laster der Zivilisation.“ „Ja, in der Wüste gibt’s weder Systemgastronomie noch Pizzadienste“ schmunzelte Yugi. Fast Food war für Marik also ein echtes Erlebnis. „Was für ein Glück“ meinte der und packte seinen Wrap aus. „Wenn’s das bei uns gäbe, wäre ich wahrscheinlich doppelt so breit. Ich liebe Fast Food.“ „Du musst dich echt bei Yugi bedanken“ riet Mokeph. „Normalerweise boykottiert er Schnellrestaurants.“ „Nur weil ihr sonst nichts anderes mehr esst“ erwiderte der und entwickelte seinen Hamburger. Kam selten vor, aber anlässlich von Mariks Besuch aß sogar er mit. „Und was ist mit mir?“ fragte Seto und sah hungrig an Tato hinauf. „Als ich losgefahren bin, wusste ich nicht, dass du auch noch kommst.“ „Na super.“ Er hatte auch Hunger und jetzt musste er den anderen beim Essen zusehen. Und die konnten ihm kaum etwas abgeben, weil überall Tier drin war. Wie gemein. „Du kannst meine Pommes haben“ bot Finn großherzig an und reichte sie ihm über den Tisch. „Fleisch isst du ja nicht, oder?“ „Laschma“ schmatzte Yami. „Dado vaascht ihn do nua.“ „ASATO!“ „Ach Mama“ grinste er und hockte sich zu ihm. „Du hast doch einen Mann, der immer an dich denkt. Da.“ Er ließ die letzte Tüte auf seinen Schoß fallen und stand wieder auf. Er ging um Marik herum und aufs Sofa zu. Dort erdolchte er Finn mit einem wildblauen Blick, der mit dieser zudringlichen Geste erst mal nichts anzufangen wusste. Doch Yami griff ihn am Ärmel, schob Nika auf dem rollenden Bürostuhl zur Seite und zog seinen verwirrten Geliebten mit sich auf den Boden. Darauf nahm Tato wortlos auf dem Sofa Platz und packte sein Futter aus. Die anderen hatten sich daran gewöhnt, doch für Finn waren diese Machtspielchen noch ungewohnt. Drachen machten sich grundsätzlich auf den besten Plätzen breit. Am liebsten auf Sesseln. Und wenn es keine Sessel gab, dann stand ihnen ein anderes, gemütliches Polstermöbel zu. Auf dem Boden saßen Drachen nur, wenn ihr Partner sich dafür entschied und sie ihm Gesellschaft leisten wollten. Doch hätte Yugi auf dem Sofa gesessen oder wäre nicht anwesend, hätte auch jemand für Seto weichen müssen. Und so zog Yami gewohnheitsmäßig um, ohne groß Theater zu machen. Er musste mit Tato keine Rangkämpfe ausfechten. Und dass der gerade einen Strohhalm in die Zimmerpalme steckte, bemerkte auch nur Finn, aber traute sich nicht, ihn danach zu fragen. „Oh! Donuts und Muffins!“ Das erfreute Setos Herz und schneller als Yugui gucken konnte, hatte er schon den halben Donut mit Schokolade im Mund. „Tato?“ blickte der dafür seinen Sohn scharf an. „Hatte ich nicht etwas von Salat gesagt?“ „Ja, hattest du.“ Seto stellte um des Friedens Willen die Plastikschale mit grünem Salat auf den Tisch. Doch zuerst aß er den Nachtisch. Den Süßkram hatte Tato dann folglich eigenmächtig hinzugekauft. Wenn Yugi nicht wäre, würde Seto sich entweder gar nicht oder nur von Süßigkeiten ernähren. „Asato! Manno!“ Phoenix kam rein und hatte es nicht ganz so leicht. Er trug gleich drei Paletten mit jeweils vier Bechern und musste sehr aufpassen, um nichts zu verschütten oder nass zu werden. „Kommst du auch endlich mal“ meinte der nur und biss in seinen Burger. „Duein Whuap wör gall.“ „Warum muss ich die Getränke schleppen? Du hast doch viel größere Hände!“ Marik griff nach oben und nahm dem armen Jungen die ersten Becher ab. Das war ja auch gemein, ihn so voll zu packen. Und Seto nahm die anderen Paletten und stellte sie auf dem Tisch ab, wo Yugi und Nika die Rollen beiseite schoben. „Asato! Ich rede mit dir! Warum muss ich die Becher tragen?“ „Getränke sind Weibersache“ schmatzte er völlig ungerührt, bevor er den nächsten Happen abbiss. „OH! HALLO?! Die sind total unhandlich und du trägst nur faul die beiden Tüten!“ „Hättescht ja schweima laufen gönn. Dann hascht du deine Pommesch glei wieda abdrehniert.“ „Du kannst so fies sein“ kommentierte Mokeph. Tato grinste und schluckte ungeachtet von Phoenix‘ bösem Blick den halben Burger herunter. „Deswegen liebt er mich ja so.“ „Pass lieber auf, dass ich dir nicht vor lauter Liebe den Milchshake über den Kopf gieße.“ „Das würdest du nicht tun“ forderte er seinen Kleinen heraus. „Willst du wetten?“ „Brauche ich nicht. Du bist zu lieb für so was.“ „Und du bist ein Pascha.“ „Ja ja. Komm her.“ Er rutschte weiter und klopfte neben sich aufs Polster. „Ich habe dir den besten Platz freigehalten.“ Phoenix seufzte schwer und kletterte über Marik, um zu Tato aufs Sofa zu kommen. Wahrscheinlich fragte er sich in den letzten Tagen, was er sich nur bei diesem Typen gedacht hatte. Wenn Tato gute Laune hatte, war er schwer zu ertragen. Eigentlich nur mit Humor, einem dicken Fell und einem starken Geduldsfaden. Doch wenn er dann wie selbstverständlich seinen Arm um ihn legte und von seinen Pommes anbot, dann konnte er dem Drachen nicht böse sein. Denn eigentlich war er ja auch ein Lieber und Süßer. „Das sind alles unsere?“ fragte Marik, bevor er sich versehentlich am falschen Becher bediente. „Die vier da sind Milchshakes.“ Das roch Seto sofort, griff einen heraus und stellte ihn Yugi ungesehen hin. „Mit Erdbeere.“ „Und der Rest ist Cola“ ergänzte Tato. „Außer die mit ohne Strohhalm, da ist Fanta drin. Und der kleine Becher vom Bioladen ist ein Smoothie für Nini. Don’t touch.“ „Wo sind denn die Kinder?“ fragte Seto zwischen Muffins und Milchshake. „Ich habe nur Nini getroffen.“ „Heute ist doch Straßenfest. Die anderen sind da alle hin.“ „Und Nini als einzige nicht?“ „Nein, sie hatte ein bisschen Bauchschmerzen vorhin, also habe ich sie zuhause gelassen.“ „Von Bauchschmerzen hat sie mir gar nichts erzählt.“ Seto legte sein Essen hin und musste das jetzt erst mal klären. Seine kleine Prinzessin hatte Bauchschmerzen und er war nicht informiert worden? „Warum hast du mich nicht angerufen?“ „Ich kann dich doch nicht jedes Mal anrufen, wenn mal jemand ein Wehwehchen hat.“ Er küsste ihn auf die Wange und nahm seinen Milchshake. „Ich vermute, sie hat nur zu viel Brause getrunken. Ein Küsschen, eine Wärmflasche und jetzt spielt sie schon wieder ganz fröhlich. Guckst du?“ Er wies nach hinten und als Seto sich zurücklehnte, konnte er sie sogar auf dem Spielplatz schaukeln sehen. Ihre üblichen Gefährten waren zwar nicht da, aber zwei Nachbarsmädchen leisteten ihr Gesellschaft. Nini war niemals lange allein. „Ist es nicht sehr gefährlich, sie draußen allein zu lassen? Gerade wo Feli knapp einer Kindesentführung entkommen ist und wir noch immer nicht wissen, ob die Typen noch mal wiederkommen?“ „Loki ist draußen und passt auf deine Tochter auf“ versicherte Finn. „Sie hat ein sehr feines Gespür für Gefahr. Sie riecht es, wenn jemand mit Absichten in ihre Nähe kommt. Egal ob die Absichten gut oder böse oder magisch oder normal sind. Was das angeht, lege ich meine Hand für sie ins Feuer.“ „Bei Feuermagiern kein großes Ding“ grinste Yami. „Außerdem spielt Nini sehr gern mit Loki“ erzählte Yugi seinem Liebling. „Nur das mit dem Stöckchenholen, das kriegen die beiden irgendwie nicht gebacken.“ „Tatsächlich? Warum?“ „Weil Nini nicht so richtig versteht, dass Loki kein Hund ist.“ „Darüber hinaus habe ich einen Schutzzauber um das Haus, die Terrasse und den Spielplatz gelegt“ beruhigte Tato und schlürfte nebenbei seine Fanta. „Wenn sich in diesem Umkreis jemand näher als einen Meter einem unserer Kinder nähert, wird er automatisch gelähmt. Da kann nichts passieren.“ „Ist das nicht etwas overdone?“ fragte Seto skeptisch. „Wenn Nini draußen an einem Gast vorbeiläuft und ihn anrempelt, wird doch ein Unschuldiger gelähmt.“ „Das ist keine Lähmung, welche dauerhaft oder bewusstseinsraubend wirkt. Es äußert sich wie eine Art Niesen. Man ist einfach kurz unfähig, sich zu bewegen. Die Betroffenen merken es gar nicht, denn wenn sie diesen Zustand nicht mit Nini in Verbindung bringen, löst sich der Zauber sofort wieder. Und falls doch, dann klingeln unsere Alarmglocken.“ „Aha.“ Er nahm das so hin, aber rührte noch einen ganzen Moment nachdenklich in seinem Milchshake, bevor er dann doch fragte. „Woher kennst du solch intelligente Zauber?“ „Von dir“ lächelte er lieb. „Du hast es mir nur noch nicht beigebracht.“ „Ach so. Du bist ja älter als ich“ erklärte er sich selbst. Tato war allein durch sein Alter erfahrener. Seto hatte nun vielleicht eine Kraft erlangt, die er selbst noch nicht kannte, aber das bedeutete nicht, dass er auch jeden Zauber kannte. Auch er musste noch viel lernen und das konnte er erst, wenn Sethos gesund genug war, um ihn anzuleiten. „Ward ihr bei Sethos heute?“ fragte er und legte das zusammengeknüllte Papier seines Muffins auf die Spitze eines Milchshakes. „Ja, zur Mittagszeit“ antwortete Mokeph. „Es geht ihm viel besser. Er ist heute sogar ein Stück geschwommen.“ „Ich weiß. Ich war heute Morgen und eben dort“ antwortete Seto und packte den nächsten Donut aus. „Sagt mal, ist Sethan eigentlich mit zum Straßenfest gegangen?“ „Schön wär’s“ seufzte Yugi und entfernte kommantarlos den Müll, den Seto auf die Getränke gelegt hatte. In den letzten Tagen legte Seto ständig Dinge an die merkwürdigsten Orte. „Als wir heute Mittag zu Sethos gefahren sind, ist er geschmeidig nach hause gefahren. Und jetzt sitzt er in seinem Zimmer.“ „Er ist wahrscheinlich immer noch sauer auf mich.“ Marik legte seinen Fishburger hin, der ihm nun nicht mehr schmeckte. Dass Sethan seine Anwesenheit so kategorisch mied, verletzte ihn. „Nimm dir das nicht zu Herzen“ versuchte Tato ihn aufzuheitern. „Er ist eben ein bisschen schwierig.“ „Von dem, was ihr mir vorher erzählt habt, aber nicht“ argumentierte er dagegen. „Ihr sagtet doch, er ist ein ruhiger, freundlicher Mensch, der nie laut wird.“ „Außer bei dir“ ergänzte Mokeph. „Ja, außer bei mir“ bestätigte er und schob sein Essen weg. „Es tut mir ja leid, dass ich nicht auf die Etikette geachtet habe, aber wenn er mich meidet, habe ich ja nicht mal Gelegenheit, mich zu entschuldigen. Und ich würde mich gern entschuldigen.“ „So schlimm war’s doch aber auch nicht“ meinte Seto, der seine klebrigen Finger abschleckte. „Seine Reaktion war übertrieben.“ „Das sagt ja der Richtige“ meinte Yami. „Ihr Drachen seid doch die Meister im Übertreiben.“ „Sind wir nicht!“ „Hast du ne Ahnung! Wenn ich Finn nicht vom Sofa gezogen hätte, hätte dein Sohn Hackfleisch aus ihm gemacht! Wobei …“ Er schmunzelte Finn an als der gerade genüsslich in seinen Burger beißen wollte. „Finni wäre die perfekte Fleischeinlage für ein Sandwich.“ „Ähm …“ Er ließ sein Essen sinken und musste sich irgendwas schlagfertiges einfallen lassen. Doch so leicht war das nicht, wenn der Pharao ihn so notgeil anfunkelte. „Nenn mich bitte nicht Finni. Das macht nur Loki, wenn sie mich ärgern will.“ „Wer sagt denn, dass ich dich nicht auch gern etwas ärgere, Finni?“ Er schmiegte sich an seine Seite und streckte sich bis zum Ohr hoch. „Du bist so süß, wenn ich dir zu viel werde.“ „Yami, lass den armen Finn am Leben“ lachte Yugi. Denn sein Opfer machte gerade einen etwas hilflosen Eindruck. Richtig mitleidserweckend. „Ich habe ihm das Leben vor einem dominanten Drachen gerettet. Dafür sollte ich doch wohl etwas sexuelle Dankbarkeit bekommen, oder?“ „Um noch mal darauf zurückzukommen“ warf Tato etwas ruhiger ein. Ob er Finn zu Hackfleisch gemacht hätte, würden sie ja nun nicht mehr geklärt bekommen. „Sethan ist kein Drache wie wir. Er übertreibt eigentlich selten bis niemals.“ „Umso mehr ein Grund, dass wir uns darum kümmern“ argumentierte Yugi. „Aber wie soll man sich um jemanden kümmern, der das restriktiv ablehnt?“ fragte Seto und lutschte an seinem halben Muffin. Anscheinend hatte er gar keinen Hunger. Er genoss nur. „Genauso wie wir dich geknackt haben“ lächelte Yugi seinen Liebsten an. „Einfach immer da sein, nicht nachgeben und keinen Druck ausüben. Und hoffen, dass er irgendwann darauf anspringt.“ „Und was haben wir im letzten halben Jahr gemacht?“ fragte er ernst zurück. Sie waren bereits die ganze Zeit an Sethan dran und versuchten eine engere Bindung aufzubauen. Doch er zog sich zurück, sobald man ihm zu nahe kam. Dann floh er in unverbindlichen Smalltalk, lächelte freundlich und entschuldigte sich bei der nächsten Gelegenheit. „Yugi hat Recht“ meinte auch Yami. „Dein Enkel ist schwerer zu knacken als du. Er ist irgendwie genau wie …“ „Wie wer?“ schaute Seto zu ihm herüber. „Wie der Seth“ fuhr er vorsichtig fort. „Vielleicht liegt es daran, dass er nicht wie ihr oder wir geschaffen wurde, sondern gezeugt. Wenn auch auf eine recht ungewöhnliche Weise, aber Seth hat ihn körperlich gezeugt. Deshalb stecken in ihm keine Drachensinne und keine irdische Magie. Und sein Verhalten erinnert mich sehr an seinen Vater. Auch Amun ist an seinen Bruder nie wirklich herangekommen. Sie haben sich geliebt und waren ihr ganzes Leben zusammen. Und doch hat Amun niemals wirklich gewusst, was in seinem Bruder vorgeht. Bei Sethan ist es dasselbe. Wir sind so viel mit ihm zusammen und wir sind uns unserer Liebe zueinander gewiss. Und doch wissen wir nicht, was in in ihm vorgeht.“ „Aber Atemu, Nini ist seine Mutter“ gab Mokeph zu bedenken. „Ich glaube nicht, dass er irgendetwas unbedachtes tun würde. Auch nicht im Affekt. Wir dürfen ihm nicht das Gefühl geben, Angst vor ihm zu haben.“ „Du meinst davor, dass er im Affekt jemanden erschlagen könnte?“ „Zum Beispiel. Ich glaube aber nicht, dass er zu so etwas fähig wäre.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher“ sprach Tato mit gesenkter, vertraulicher Stimme. Und dabei warf er einen vielsagenden Blick zu Marik. „Du glaubst, er könnte mich erschlagen?“ fragte der bestürzt. „Ich habe Sethan niemals so launisch erlebt wie bei dir. Du hast irgendetwas an dir, was ihn aus dem Konzept bringt.“ „Aber er würde Marik nicht absichtlich wehtun oder sogar töten“ argumentierte Phoenix streng dagegen. „Vielleicht ist er in in unserer Zeit nicht gut auf ihn zu sprechen, aber dann geht er solchen Situationen aus dem Weg. Er würde niemanden töten. Niemals.“ „Ja, vielleicht hast du Recht.“ Er legte seinem kleinen Geliebten die Hand auf den Kopf und griff sich mit der anderen einen Milchshake. „War nicht so gemeint.“ „Denk nach, bevor du jemandem so was unterstellst, Dicker.“ „Also wenn jemand unberechenbar ist, dann ja eher du“ sagte Yami dem Milchshakeschlürfer auf den Kopf zu. „Ich?“ guckte der verwundert zurück. „Ich bin berechenbarer als mir lieb ist.“ „Wenn ich da so an den Sato-Teil denke, finde ich dich imponderabler als alle anderen.“ „Was bin ich, Atemu? Imponderabel?“ „Natürlich. Seto hat zwar die Angst- und die Schmerz-Gestalt, aber auch die kann man mit etwas Erfahrung einschätzen. Sato aber …“ „Nein, das meinte er nicht“ lachte Yugi. „Du hast gerade ein lustiges Fremdwort benutzt.“ „Imponderabel? Warum? Kennt ihr das Wort nicht?“ „Also, ich weiß schon, was das heißt“ meinte Seto und legte den Papierball zurück auf einen der Becher. „Also, ich nicht“ meldete Mokeph an. „Das bedeutet nichts anderes als unberechenbar“ half Marik. „Ergibt sich aber auch aus dem Zusammenhang.“ „Habe ich von Sari gelernt“ erklärte Yami. „Die ist ein wandelndes Fremdwörterbuch.“ „Also, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich jetzt unbeliebt mache“ sprach Nika vorsichtig. „Aber ich fand Sato faszinierend.“ „Kriegst bei Gelegenheit einen Sato-Fanbutton“ schmatzte Tato. „Und du?“ fragte sie vorsichtig. „Du bist kein Sato-Fan, oder?“ „Ich bin nur Fan von mir selber“ antwortete er ungerührt und pulte die Tomate aus seinem doppelten Burger. „Sato ist mir zu hart, zu rücksichtslos. Und wenn er die Überhand gewinnt, muss ich mich hinterher immer bei irgendwem entschuldigen. Aber Asato ist auch nicht besser. Der ist mir zu lieb, zu abhängig von anderen. Dafür hat er aber ein Talent dazu, um die Ecke zu denken. Sato hingegen löst Probleme auf die direkte und schnelle Art. Wäre schön, wenn sich beide mal einigen könnten. Will jemand Tomate?“ „Du kommst mir in den letzten Tagen aber recht ausgeglichen vor, mein Schatz“ lächelte Yugi ihm sanft zu. „Ist das so?“ „Trotz all dem Trouble schon. Ja.“ Er stapelte seine Tomate auf Setos Papierball, klappte seinen tomatenfreien Burger wieder zu und drückte das Ganze platt. Mokeph wollte gerade fragen, was das sollte, aber da sprach er schon seinen nachdenklichen Satz weiter. „Wahrscheinlich musste ich erst abstürzen, bevor ich aufstehen konnte. Und damit ich erkenne, dass ich noch etwas habe, wofür es sich zu leben lohnt. Etwas, was mein Leben ausfüllt. Ich war ein Idiot, mich so gehen zu lassen.“ „Du hast getrauert. Das kann dir niemand zum Vorwurf machen“ meinte Yugi. „Ich habe meiner Tochter einiges verbaut und meiner Familie große Sorgen bereitet. Außerdem war ich weder für Nini noch für Sethan so da, wie ich es als Priester hätte sein müssen. Aber das ist jetzt vorbei und ich strenge mich an, um es wieder gut zu machen. Irgendwann muss es ja mal vorangehen. Ich denke, das ist auch das, was Risa mir sagen würde.“ „Das freut uns“ nickte Yugi stolz. „Wir wussten, dass du irgendwann zu dir zurückfindest.“ „Hat fast zehn Jahre gedauert“ seufzte er und sah seinen kälter werdenden Hamburger nachdenklich in Angriff. „Ich habe mich hängen lassen und in Selbstmitleid gebadet. Das darf nicht noch mal passieren.“ „Wird es sicher nicht“ grinste Yami und klaute sich die aussortierte Tomate von dem Getränke-Papierball-Turm. „Dafür sorgt unser Spätzchen schon, dass du bei dir nichts hängen lässt.“ „Häh?“ machte der Spatz. Spätestens jetzt konnte er nicht mehr folgen. Und Tato grinste nur vielsagend. Er hatte das sehr wohl verstanden. „Na ja“ erklärte Yami noch mal extra. „So wie ich das mitverfolgt habe, hast du ihn schon zwei Mal zum Stehen gebracht.“ Tato aber hob seinen Arm und zeigte selbstzufrieden vier Finger. „Vier?“ staunte Yami. „Ihr seid doch noch gar nicht so lange zusammen.“ „Eben.“ Und das Grinsen kriegte der Drache auch nicht aus dem Gesicht. „Aber du hast uns vorhin in der Waschanlage nicht mitbekommen.“ „IHR REDET ÜBER SEX?!“ Herzlich Willkommen, Phoenix. Jetzt bist du auch dabei. „Ihr macht es in der Waschanlage?“ freute Yami sich. „In welcher denn?“ „Die neben dem McDonalds. Eine Supreme-Wäsche dauert fünf Minuten. Das reicht vollkommen.“ „Asato!“ schimpfte Phoenix, dessen Kopf gleich platzte. „Ein Gentlemen genießt und schweigt!“ „Ich habe nie behauptet, ein Gentlemen zu sein.“ „Asato!“ „Finn, wir müssen dein Auto mal wieder waschen.“ „Ähm.“ Jetzt kriegte der Pharao auch noch unsaubere Ideen. „Atemu, ich besitze kein Auto.“ „Seto!“ „WHUA!!“ schreckte der hoch und warf glatt seinen dritten Muffin auf den Tisch. „Du sollst mich nicht anschreien!“ „Kauf Finn ein Auto!“ „Finn kann sich selbst ein Auto kaufen.“ „Sei nicht so ein Geizkragen“ schmollte er und kuschelte sich an Finns Seite. „Dann frage ich eben Mokuba.“ „Mokuba verdient kein Geld. Der kann Finn kein Auto kaufen.“ „Aber er weiß Noahs Kreditkartennummern auswendig.“ „Ähm … Atemu …“ „Pscht, Ati unterhält sich“ grinste er zu Finn. „Ich sorge schon dafür, dass du ein Auto kriegst, das wir waschen können.“ „Aber ich …“ „Ich finde schon jemanden“ betonte er und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Aus irgendeinem Grunde sind die Limits meiner Kreditkarten nämlich runtergesetzt worden.“ „Die sind nicht runtergesetzt, die sind gesperrt“ versuchte Seto genervt zu erklären. „Und warum bitte hast du meine Kreditkarten gesperrt?“ „Das war ich nicht, das war Noah. Weil DU deine Karten verloren hast.“ „Aber die habe ich doch schon wiedergefunden. Sie waren bei Finn in der Küche.“ „Dann musst du aber auch bescheid sagen! Dann hätte Noah sie nicht sperren müssen.“ „Was hat denn Noah bitte mit meinen Kreditkarten zu schaffen?“ „Yugi, sag ihm, er soll damit aufhören.“ „Lass dich nicht ärgern, Liebling“ lachte der und schenkte ihm einen Kuss auf die Wange. Erst wurde er angeschrien und dann auch noch mit Sachen genervt, in denen er seine Finger nicht drin hatte. Armer Seto. Schweres Leben. „Und Yami“ flüsterte er versteckt zu ihm rüber. „Nimm meinen Wagen. Der ist ganz staubig.“ Chapter 19 Während die anderen fleißig die alten Schriften durchsuchten, war Balthasar gerade auf dem Rückweg vom Joggen. Ewig und ständig nur im Aquarium herumsitzen, war nicht gut fürs Gemüt. Auch wenn Amun-Re ein angenehmer und lustiger Zeitgenosse war, fehlte ihm die Action der Großstadt und der Leistungssport. Zuhause ging er mit seinen Freunden weg, führte seine Freundin aus und hatte vier mal die Woche Fußballtraining. Und hier blieb ihm nur das Joggen, denn solang er nicht nach Blekinge zurückkehrte, konnte er auch nicht ins Fitnessstudio. Jedoch daran zu denken, seinen verlogenen Bruder und dessen noch verlogenerem Stecher zu treffen, dabei verging ihm sämtliche Lust. Auf den letzten Metern den Hügel hinauf legte er einen Spurt hin. Es tat gut, wenn die Waden schmerzten, die Lungen brannten und der Schweiß sein Shirt tränkte. Es forderte den Körper und erleichterte den Geist. Erst an der Spitze beendete er seinen Run, schaltete den MP3-Player aus und atmete tief durch. Die Sonne brannte auf ihn herab und es wehte kein Wind. Seine salzige Haut glühte und sein Atem stieß sich gequält aus der Brust. Und dennoch gingen ihm die Gedanken nichts aus dem Kopf. Die Welt war ungerecht. Seit vielen Jahren bemühte er sich um ein gutes Verhältnis zu seinem Bruder. Er holte sich Körbe ab, ließ sich beleidigen und akzeptierte, dass er wegen dessen Krankheit immer zurückstecken musste. Alle sorgten sich um ihn, sorgten für ihn, halfen und bemutterten ihn. Und Balthasar war immer der Große, der Starke, der Gute, der auf ihn aufpassen musste. Asato hatte ihm den Vater ersetzt und beschworen, dass er sie beide gleichsam liebte. Er hatte sich sogar dafür eingesetzt, dass Spatz einen Schritt auf ihn zuging und ihn weniger ablehnte. Und wofür? Nur, damit er von allen beiden ausgeschlossen wurde. Er wurde zum Narren gehalten. Schon sein ganzes Leben. Er duckte und nahm sich seines Bruders zuliebe immer zurück. Ertrug allen Spott, ja verteidigte ihn sogar. Und wofür? Dafür dass er ihm den einzigen Mann stahl, den er jemals als Vater respektiert hatte. Es war Asato niemals um ihn gegangen - es ging ihm wie immer nur um seinen armen, kleinen, kranken, schwachen und ach so süßen Bruder! Bruder traf es nicht mal! Geschwister war der richtige Ausdruck! Das Geschwister, welches ihm schon im Mutterleib seine Existenzberechtigung gestohlen hatte! Ohne das Geschwister wäre er ein vollständiger, unabhängiger Magier! Nur weil er den wenigen Platz unterm Herzen seiner Mutter teilen musste, brauchte er nun für jeden Funken Magie ein Medium! „Scheiße!“ Die Tränen stiegen ihm in die Augen, doch er verbot sie sich. Deshalb brannten sie in seinen Augen wie die Sonne auf seinem Rücken. Doch der Brand in seiner Seele war der einzige, welcher Wunden hinterließ. Immer schon drehte sich alles nur um seinen Bruder. Immer schon. Seit sie auf der Welt waren. Er hatte sich schon immer alles genommen! „Schöner Spurt.“ Er hatte diese Stimme selten gehört und doch wusste er sofort, wer ihn da ansprach. Er blieb gebückt und sah weiter die Kiesel zu seinen Schuhspitzen an, doch zu wissen, dass er in der Nähe war, stoppte seinen Atem. Alle Gedanken waren mit einem Schlag aus dem Kopf verschwunden. Er schluckte seine Unsicherheit hinunter und erhob sich langsam. Was sollte er nun tun? Selbst wenn er rannte, würde er nicht entkommen. Den Stab hatte er im Aquarium gelassen und es war rundum auch niemand, dessen Körper er in Besitz nehmen konnte. Und in Seth zu fahren, würde ganz sicher danebengehen. Auch wenn er seinen Vater fürchtete, bewunderte er ihn doch gleichsam. Er war eine stolze Gestalt wie er vor ihm stand und dem schnöden Kiesweg eine Aura von Heiligkeit verlieh. Das dunkelblaue Gewand in seiner Schlichtheit war prächtig anzusehen. Ebenso prächtig wie der brennende Wüstenhimmel in seinen Augen. Sein männlicher Bart und seine kantigen Züge. Seine stolze Haltung. Der Mann, von dem er die Hälfte in sich trug. Der Mann, den er am meisten ersehnte und den er am meisten fürchtete. „Was willst du?“ Letztlich war es egal, ob er wegrannte oder ihn angriff - Seth würde ihn so oder so erwischen. Nur ängstlich zugrunde gehen, dafür war er zu stolz. Deshalb flippte er die Kopfhörer aus den Ohren und sah ihn trotzig an. „Du musst mich nicht so bedroht ansehen, Balthasar. Ich bin nicht hier, um Hand an irgendjemanden oder irgendetwas zu legen.“ Er sprach mit ruhiger Stimme und hielt seine Arme von der langen Kutte verdeckt vor dem Bauch. Doch sein schulterlanges Haar glänzte magisch im heißen Sommerlicht und umrahmte sein edles, dunkelfarbiges Gesicht. „Und was willst du dann von mir, Seth, wenn du nichts weiter vorhast?“ „Ich bin aus zwei bis drei Gründen erst jetzt zu dir gekommen. Normalerweise rechtfertige ich mich nicht, jedoch bist du mein Sohn, oder du wirst es sein, und deshalb will ich offen mit dir sprechen.“ „Ach, plötzlich bin ich dein Sohn, ja?“ „Nun ja, du wirst es sein. Daran können weder du noch ich jetzt noch etwas ändern“ sprach er mit einem leicht bemitleidenden Lächeln. „Ich komme jetzt erst zu dir, weil ich zuvor mein Umfeld ordnen musste, um mich nun dir zu widmen.“ „Und unter ‚Umfeld ordnen‘ verstehst du wahrscheinlich ein paar Leute umbringen, ja? Oder doch eher ein paar Kleinstädte niederbrennen?“ „Verständlich, dass du das so siehst, da du meinen Standpunkt nicht verstehst. Andererseits ging es mir in den letzten Wochen gesundheitlich schlecht, sodass ich nicht die Kraft hatte, mit dir zu sprechen.“ „Scheiße, wenn man ne Kraft nutzt, die einem nicht zusteht, was?“ „Und zuletzt der vielleicht wichtigste Grund“ sprach er ohne Groll fort. „Ich denke, du hast dich genug von Asato als deiner Vaterfigur gelöst, sodass dein Gehör nun offen für mich ist.“ „Was zwischen mir und Asato ist, hat nichts, aber auch überhaupt gar nichts mit dir zu tun. Dass du es weißt!“ „Du musst nicht schimpfen. Ich verstehe deine Gedanken und Gefühle auch so.“ Er klang erstaunlich versöhnlich, ja gar verständnisvoll. „Ich habe nicht viel Kenntnis darüber, inwiefern wir uns in deiner Zukunft kannten, aber ich bin …“ „Ist ‚gar nicht‘ ne ausreichende Auskunft?“ giftete er zurück. Natürlich freute er sich, dass sein Vater endlich Interesse an ihm zeigte. Jedoch wusste er auch weshalb das so war. „Du hast dich einen Dreck um mich geschert und letztlich willst du auch gar nicht mich, sondern meinen Körper. Was erwartest du denn, was ich jetzt tun soll? Luftsprünge machen? Dir um den Hals fallen? Mich freuen, dass mein eigener Vater mich killen wird?“ „Es ist eine schlechte Entschuldigung, doch ich hatte selbst nie einen Vater“ sprach er mit zärtlicher Stimme und blickte ihm mild in das schwitzende Gesicht. „Mein Vater sah mich als Schande seiner Familie. Er ignorierte mich und seine fehlende Wertschätzung konnte auch all die Liebe meiner Mutter nicht auffüllen. Es war ähnlich wie bei dir. Eine Mutter, die ihren Sohn über alles liebt. Und einen Vater, den man nur aus der Ferne sowohl fürchtet wie auch ersehnt.“ Er löste seine Pose und strich sich das Haar hinters Ohr. „Es ist wahr, dass ich dich gezeugt habe, um später einen Körper zu haben, in welchem ich weiterleben kann. Ich will dir auch nicht verschweigen, dass dies auch weiter so ist, denn ein kräftiger, magischer Körper wie deiner ist der einzige, welcher meine Macht aushalten kann. Doch wenn du denkst, ich würde dich nur deines Körpers wegen begehren, so bist du einer Fehleinschätzung aufgesessen. Ich habe niemals behauptet, ich würde nicht für deine Seele sorgen. Ihr seht mich als grausam an, vielleicht scheint es tatsächlich so, doch mir fehlt Kaltschnäuzigkeit, um meinen Sohn der Verdammnis preiszugeben. Du bist mein Sohn, genau wie Narla meine Tochter ist. Keines meiner Kinder würde ich jemals leichtfertig für mich selbst opfern.“ „Und Spatz?“ fragte er vermeintlich treffsicher und ballte die Fäuste bei dem Gedanken an seinen Bruder. „Phoenix, dein drittes Kind. Ihn vergisst du anscheinend.“ „Ich denke, das kann ich ruhigen Gewissens“ erwiderte er sanft. „Narla ist bei Drachenjägern und dann bei Drachen aufgewachsen. Sie brauchte mich, um in ein normales Leben zu finden. Und Phoenix hat doch schon immer alles gehabt. Und nun besitzt er Asato.“ Womit er viel treffsicherer einen wunden Punkt in Balthasar fand. „Phoenix braucht mich nicht. Er hat sich einen anderen gesucht als mich. Für ihn war ich niemals wichtig. Anders als für dich.“ „Und ihn du liebst nicht? Obwohl er dein Kind ist?“ „Ich hasse ihn nicht und er ist mir auch nicht gleichgültig. Jedoch sollte man doch zuerst denjenigen lieben, der es mehr braucht. Denkst du nicht?“ „Und du denkst, ich brauche deine Liebe, ja?“ „Das denke ich nicht. Dessen bin ich mir bewusst. Denn du bist mir von meinen drei Kindern am ähnlichsten.“ Es entstand einen Moment Stille. Auch schon weil Balthasar nicht nur über das nachdenken musste, was er hörte, sondern auch weil er sein Herz beruhigen wollte. Er wusste, sein Vater war dem Wahnsinn verfallen und der Feind seiner Welt. Er verkörperte alles, was einen Bösewicht ausmachte. Und doch begehrte er seine Nähe, wollte seinen Zuspruch, sehnte sich nach seiner Anerkennung. Das, was er selbst nicht aussprechen wollte, sprach sein Vater aus. Narla hatte ihre eigene, kleine Familie und war glücklich und ausgefüllt. Sowohl in dieser als auch in seiner Zeit. Und Phoenix hatte sich Asato ausgesucht, der ihn glücklich machen würde in jeder Hinsicht. Nur Balthasar blieb als einziger auf der Strecke. Wurde belogen und hintergangen und ausgegrenzt. Und dann kam sein Vater und sprach genau das aus, was er sich selbst nicht traute. „Ich weiß, dass du mir misstraust. Und auch dass du meine Moral nicht teilst“ sprach der stolzeste aller Feuermagier mit warmer Stimme. „Dass ich dich jahrelang allein ließ, bedauere ich. Und das obwohl ich es wahrscheinlich auch in dieser Zeit nicht ändern kann. Die Menschen, mit denen ich mich umgebe, sind keine sichere Umgebung für meine Kinder, geschweige denn für einen Säugling. Außerdem fiele es mir schwer, dich von deiner Mutter zu trennen, welche dich über alles liebt und welche du über alles liebst. Dich als Kleinkind zu mir zu holen, wäre zu gefährlich für dich. Du sollst frei aufwachsen und unbeschwert. Bis auf den fehlenden Vater. Doch nun bist du selbstständig in deiner Meinung und in deinen Taten. Ich muss dich nicht mehr beschützen, sondern kann mit dir auf Augenhöhe sprechen. Und deshalb bin ich heute hier.“ „Um mir das zu sagen?“ Er ärgerte sich darüber, doch Seth lächelte über seine zittrige Stimme. Er freute und fürchtete sich gleichermaßen. Es war genau wie damals als er zu ihm kam und ihn mitnehmen wollte. Damals wäre er auch mit ihm gegangen, doch seine geliebte Kimera hatte ihn gebeten zu bleiben. Doch sie war nun nicht hier. Er war hier ganz allein. Und ob er sie jemals wiedersehen würde, war fraglich. Phoenix und Asato durften zusammensein. Aber ob er sein Mädchen vermisste oder sie überhaupt jemals noch mal im Arm halten konnte, kümmerte niemanden! „Ich bin hier um mich dir anzubieten“ brachte Seth ihm sanftmütig nahe. „Ich sehe wie zerrissen du dich fühlst. Einen Vater zu haben, den man eigentlich hassen müsste. Sowohl moralisch als auch aus eigenen Motiven. Und auf der anderen Seite die Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben und der Ungerechtigkeit, die man sich gefallen lassen soll.“ „Du erwartest nicht, dass ich dir jetzt folge wie ein kleines Kind?“ „Nein, du bist nicht mehr klein. Du bist ein stolzer, junger Mann. Du kannst für dich selbst denken und entscheiden“ lächelte er mit warmen Augen. „Ich erwarte rein gar nichts von dir. Doch ich kann dir viel bieten.“ „Und was? Was sollte das sein, wo ich doch gar nichts von dir will?“ Er freute sich und doch konnte er nicht über seinen moralischen Schatten springen. „Du tauchst hier auf und erwartest, dass ich mich unbändig freue? Denkst du, ich kann meine Probleme nicht selbst lösen? Ich brauche dich nicht! Ich habe dich niemals gebraucht! Und das werde ich auch nie! Deine Versprechungen kannst du dir in den Arsch schieben!“ „Dein Argwohn ist verständlich. Ich würde nicht anders reagieren. Dennoch will ich dir sagen, was ich dir sagen will. Allein um meiner selbst willen. Ich biete dir an, dich mit mir zu nehmen. Nicht, um deinen Körper zu stehlen oder dich von meinen für dich perfide wirkenden Ansichten zu überzeugen.“ „Und weshalb dann?“ „Um dich kennen zu lernen. Und um mich kennenlernen zu lassen.“ Er trat ein paar Schritte näher bis sie kaum einen Meter voneinander entfernt standen und sich ihre Blicke trafen. Balthasar fehlte noch ein ganzer Kopf, um wirklich Seths Augenhöhe zu erreichen. „Ich fordere rein gar nichts von dir. Ich erwarte auch nicht, dass du mich liebst. Doch wenn du meine Nähe suchst, werde ich sie dir geben. Ich kann dich aus dieser Starre lösen, in welcher du dich befindest. Du kannst zu mir kommen und hierher zurückkehren, wann immer dir danach ist. Aber meine Einladung, die wollte ich dir überbringen. Mehr nicht.“ „Mehr nicht.“ „Nein, mehr nicht“ versprach er und streckte seine Hand aus. Sanft für er über das verschwitzte Gesicht seines Sohnes. Der musste an sich halten, um nicht schwach zu werden. Er wollte mit ihm zusammensein, ihn kennenlernen, endlich einen Vater haben. Endlich jemanden, dem er wichtig war. Jetzt, wo sich sowohl Phoenix als auch Asato von ihm abgewandt, ihn ausgeschlossen hatten … stand ihm da nicht auch ein wenig Zuwendung und Anerkennung zu? Oder war das nur ein schwacher Moment, den sein Vater geschickt ausnutzte? „Ich nutze nur den Moment, in welchem du für mich offen bist“ erwiderte er auf diesen Gedanken. Er legte seine Handfläche an Balthasars Wange, welche ebenso heiß war. „Ich will dir nichts einreden und dich nicht gefangen nehmen. Ich biete dir nur an, auch die andere Seite anzusehen.“ „Ansehen … wirklich nur ansehen?“ Er merkte kaum wie er seine eigene Hand hob und sie auf die seines Vaters legte. Wie lange sehnte er sich danach, ein mal ebenso viel Aufmerksamkeit zu bekommen wie sie sonst sein Bruder bekam. Sein Bruder bekam immer alles, er brauchte nur einmal leidlich dreinschauen. Und er selbst? Er war immer stark und fiel niemandem zur Last. Mit dem Ergebnis, dass man ihn außen vor stellte. Vernünftig musste er sein. Und Rücksicht nehmen. Alle erwarteten, dass er den großen Bruder mimte. Bis auf seinen Vater, der nur auf diesen Moment wartete, da Balthasar ihn unparteiisch anhörte. Doch er wollte nicht schwach werden und so trat er einen Schritt zurück und entzog sich der väterlichen, heißen Hand. Alles sprach dagegen, ihm zu vertrauen. Er tötete Menschen und in der Zukunft hatte er selbst gesehen wie sein eigener Vater Seuchen und Feuerstürme über die Welt jagte, um den Großteil aller Ungläubigen auszulöschen. Ja, er verbündete sich sogar mit dem zwielichtigen Apophis und wer wusste, was er dem dunklen Seth als Lohn für seine Hilfe versprochen hatte. Nichts gab Anlass dazu, ihm zu trauen. „Außer diesem kleinen Funken in dir, welcher mir trotz allem vertraut“ antwortete Seth auf diesen unausgesprochenen Gedanken. „Es tut mir leid, aber ich kann dir nicht vertrauen. Ich weiß, dass du mich nur gezeugt hast, um meinen Körper zu übernehmen. Und Dante sollte nur dazu dienen, Atemus neuer Körper zu sein. Sag mir nur einen einzigen Grund, warum ich dir trauen sollte?“ „Weil ich kein kinderfressendes Monstrum bin“ antwortete er und der auffrischende Wind lenkte die Aufmerksamkeit auf das Lichtspiel in seinem langen Haar. Wie konnte ein so böser Mann nur so dermaßen imposant sein? „Du willst meine Seele verdrängen und meinen Körper übernehmen. Das ist nicht gerade etwas, was mich zu dir einlädt.“ „Ich bin ein Mörder, doch ich morde keine Unschuldigen.“ Seine sanfte Stimme floss in Balthsars Ohren. „Ja, ich töte Menschen für die Errichtung einer neuen Zukunft. Doch niemand stirbt umsonst, keine Seele geht verloren. Glaubst du wirklich, dass ich dir, der du mir so ähnlich bist, nicht einen besonderen Platz einräume?“ „Und was genau willst du von mir, Seth?“ „Ich will so viel von dir, wie ich dir im Gegenzug zu geben vermag.“ „Das ist eine ziemlich genaue Antwort. Super.“ „Du hast Recht. Ich an deiner Stelle würde mir nach all dem, was du gesehen und gehört hast, auch nicht trauen.“ Ein Lächeln umspielte seine Mine und in seinen Augen war keinerlei Boshaftigkeit zu erkennen. Als wäre er nicht derjenige, welcher die moderne Menschheit in die Apokalypse führte. „Ich gebe dir mein Wort, dass nichts gegen deinen Willen geschehen wird.“ „Sagte der Hypnotiseur und Gedankenleser.“ „Ich verführe dich nicht mit Magie. Das würdest du spüren“ beruhigte er sanft. „Ich kann dir hier und jetzt nicht alles erklären, doch ich lade dich ein, dir das junge Ankh Athu anzusehen, welches dieser Tage seine ersten Grundmauern zieht. Ich will dich weder für mich anwerben, noch dich listig verführen. Alles, was ich will, ist dir die andere Seite dessen zu zeigen, was du zu kennen glaubst. Und dir die Ehren zuteil werden lassen, welche dir zustehen.“ „Die da wären?“ „Mit Stolz den Namen Pasrahcal zu tragen“ sagte er und ließ seine Worte einige Sekunden wirken, bevor er ihn fragte: „Hat dir jemals jemand gesagt, dass du auch ohne Medium ein vollwertiger Magier sein kannst?“ „Ich fühle mich nicht minderwertig, falls du das meinst!“ Doch in seinem Kopf war ein anderes Bild. Wenn er gekämpft hatte, brach sein Bruder hinterher meist zusammen. Alle scharten sich dann um ihn, um den Kleinen, den Kranken, den Schwachen, der so mutig gekämpft und alles ertragen hatte. Und Balthsar? ER war derjenige, der kämpfte! ER war derjenige, der die Schmerzen während des Kampfes ertrug! ER war derjenige, der im Kampf aufmerksam sein musste und die Verantwortung trug! Und WER bekam die Anerkennung? Phoenix, allein der süße Spatz! Alles wäre anders, wenn er verdammt noch mal kein Medium bräuchte! „Ich entspreche vielleicht nicht deinem Weltbild des perfekten Vaters“ sprach Seth mit fester Stimme weiter. „Aber ich kenne das Gefühl der fehlenden Wertschätzung. Denn die meisten verwechseln Wertschätzung mit Mitleid. Dies ist ein Grund, weshalb ich meine magischen Grenzen überwinden und der Mächtigste von allen sein will. Und auch wenn du es verneinst, so weißt du genau, dass es dir ähnlich geht. Man hat dir beigebracht, deine Magie so zu akzeptieren wie sie ist. Und doch stellst du dir vor, wie es wäre, kein Medium zu brauchen. Dann erst würden sie sehen, wer wirklich etwas leistet. Ist es nicht so?“ „Du blickst in meine Gedanken und meine Gefühle. Es ist leicht, mir Zweifel einzureden.“ „Die Zweifel redest du dir nur selbst ein.“ Er ließ noch einen Augenblick Pause und blickte in den Baum am Wegesrand. Dort saß seine Falkendame und beobachtete Balthasar sehr genau. Mit ihren klaren, allsehenden Augen. Wenn er doch nur mit ihr sprechen könnte wie Sareth es konnte. Er würde sie so vieles fragen wollen. Und sie könnte ihm Dinge erzählen, die kein anderer von Seth jemals gesehen hätte. „Auch wenn du Recht hast“ antwortete er mit zitternder Stimme und entwand sich der verlockend zärtlichen Hand. „Ich werde niemals sein wie du. Ich werde niemals ein Mörder werden. Als ich Asato aus dem Fenster gestoßen habe, habe ich erahnen können, was es für ein Gefühl ist, mit dieser Schuld leben zu müssen. Und das will ich nicht. Ich werde niemals, NIEMALS, einen Menschen morden oder ihm unnötig Schaden zufügen. Ich werde niemals …“ „Und genau deshalb brauche ich dich“ unterbrach Seths warme Stimme. „Du bist der Teil von mir, welcher niemals vom Wege abgekommen ist und es auch niemals wird. Und ich will der Letzte sein, welcher dich beschmutzt. Wie gesagt, bin ich nur hier, um dir meine Einladung zu überbringen. Wenn du bereit bist, dir meine Zukunft abseits von Blut und Terror anzusehen und das zu erkennen, was darüber hinaus entstehen kann, so bist du mir willkommen.“ „Dann willst du mich nicht jetzt sofort mitnehmen?“ „Das würdest du doch gar nicht wollen“ erwiderte er und streckte seinen Arm hinauf. Sofort startete Lela von ihrem Ausguck, segelte fast lautlos zu ihm herab und landete nach einer kleinen Umrundung sicher auf seinem Unterarm. „Wenn du dazu bereit bist, dich mir anzuvertrauen, dann stehen meine Tore für dich weit offen und meine liebste Lela wird dich zu mir führen.“ Er küsste ihren geplusterten Kopf und empfing dafür ein glückliches Gurren. „Denke darüber nach, Balthasar, und tue nur das, was du selbst willst. Und lass dir niemals von jemandem einreden, du müsstest dich verbiegen.“ „Gurruu?“ „Nein, wir gehen jetzt, mein Lieb.“ Seth ließ die Fälkin auf seine Schulter klettern und nickte seinem Sohn anerkennend zu. „Überlege es dir, Balthasar. Phaena Kiqed.“ Chapter 20 Erst als die Sonne und die Kinder und viele andere bereits schliefen, fand Seto Zeit, um seinen morgigen Arbeitstag vorzubereiten. Obwohl Noah und Joey ihm eine ausführliche Übergabe gegeben hatten, fühlte Seto sich dennoch als müsse er noch etwas nachholen. Ihn interessierten nicht nur die vorausgesagten Börsenkurse, sondern auch die der letzten Zeit. Auch wenn Noah ihm sagte, dass die Marktlage aus Sicht der KC recht entspannt aussah, war es dennoch Setos eigener Job, das im Auge zu behalten. Für den Laien oder Hobbybörsianer waren so ein paar Prozentpunkte hinter dem Komma nur ein paar Dollar. Aber bei der Masse, die Seto an der Börse besaß, waren diese Hundertstel bereits ein sechs bis siebenstelliger Betrag. Und letztlich fand er auch keine Ruhe zum Schlafen. Bis spät in die Abendstunden hatten sie Schriftrollen gewälzt und morgen würde man sich um die digitalen Schriften kümmern, welche wesentlich zahlreicher waren. Außerdem sorgte er sich um Sethan und sein absonderliches Verhalten. Sethos war zwar auf dem Wege der Besserung, doch der Handel, den Amun-Re mit seinem Bruder gemacht hatte, sagte Probleme voraus. Zudem hatte Seth, ihr Seth, sich lange nicht mehr bewegt außer dass er mit Apophis paktierte. Seto wusste nicht, ob er seinem Yami nun gewachsen wäre. Er und auch Yugi wollten seine eventuell gewachsenen Kräfte nicht auf die Probe stellen. Auch wenn Tato sicher gern ein kleines Gefecht im Schattenreich abhalten würde, hätte Seto zu große Angst, ihn zu verletzen. Sethos war der einzige, an dem er sich messen konnte und durfte. Und ob er Yamis Verhältnis mit Finnvid guthieß, wusste er auch nicht. In seinem Gefühl gehörte er zu Seth und zu keinem anderen Mann. Jeder schien es zu akzeptieren und auch er versuchte, sich in Verständnis und Akzeptanz zu üben. Dennoch konnte er nicht hinsehen, wenn Yami genüsslich die Augen schloss und einen fremden Mann küsste. Und ihm sagte, dass er ihn liebte. Seto schwieg sich aus, er wollte und durfte es nicht kaputtmachen. Er hatte nicht zu bestimmen, wem Yami sein Herz schenkte. Dennoch fühlte er sich selbst dadurch etwas verraten. Sicher hatte Seth sich verändert und sicher hatte Yami das Recht auf Liebe. Doch wenn Seto sich nun auch veränderte … würde Yugi sich dann auch …? Und zu alledem hatte Nini auch noch Bauchschmerzen gehabt. Sorgen in Hülle und Fülle und das in allen Formen und Farben. Wie konnte er da Schlaf finden? Da konnte er ebenso gut Währungszeichen von Asien nach Europa nach Amerika schieben. Das machte keinen Unterschied außer auf dem Bankkonto. Mit einem Seufzen nahm er einen Schluck seines kaltgewordenen Tees und klickte in ins Mailpostfach. Noah und Joey hatten es während seiner Abwesenheit bearbeitet, doch seit heute Mittag auch nicht mehr. Die meisten Absender und Betreffs kannte er und brauchte sie eigentlich nicht mal lesen, um zu wissen, was drin stand. Nur zwei der Mails erregten Aufmerksamkeit. >Ich dachte, mein Spamfilter wäre zuverlässiger.< Also musste er wohl auch noch das Virenprogramm nachziehen. Er klickte sich in die Steuerung seiner Sicherheit und stutzte nun wirklich. >Warum ist der Absender als zuverlässig eingestuft?< Das sollte bei einer Absenderadresse wie ‚info-service@searchinghearts.com‘ eigentlich verhindert sein. Am Programm konnte es nicht liegen, so etwas ging nur manuell kaputt zu machen. Wer also zum Geier hatte so einen Absender als zuverlässig eingestuft? Er öffnete die Historie und brach über der Tastatur zusammen. >Natürlich. Der Köter.< Joey hatte den Absender genehmigt. >Jetzt surft der auch noch in Kontaktbörsen über meine Adresse. Das gibt Rache.< Wenn Joey ihn schon mit Liebes-Spam ärgerte, dann durfte er ihm doch wohl auch an die Kandarre fahren. Wenigstens etwas Ablenkung von den kleinen und großen Sorgen. Joeys Passwort zu knacken, dürfte nicht allzu schwierig werden. Das war ja nur ne Partnerbörse und nicht das FBI. Wobei zweiteres auch kein Hindernis wäre, aber auch nicht halb so lustig. Er ging ins interne KC-Netzwerk, verfolgte die heutigen Aktivitäten von Joeys IP-Adresse und fand sich schnell auf der Anmeldeseite von SearchingHearts wieder. >Na warte, du räudiger … Nutzername voreingestellt, wie blöd muss man sein?< Der Nick ‚WonderboyInBlond‘ war vorgemerkt. Das konnte nur Joey sein. >Und jetzt suche, Programm. Suche.< Seto startete sein Passwortprogramm und beobachtete den Ladebalken. So ein blödes Passwort hatte sein Sicherheitsprogramm schnell geknackt. Er konnte nicht mal seinen Becher austrinken, da blinkte bereits ein grünes Häkchen neben dem Eingabefeld. >JoeyIsTheBest1a … was für ein kreatives Passwort.< „Na fein.“ Er loggte sich also ein und kam auf Joeys Profil. >Na, wenigstens hat er kein Foto eingestellt.< Das wäre ein gefundenes Fressen für die Presse. Stattdessen ein kleiner Steckbrief. Geschlecht: Männlich >Wer’s glaubt.< Alter: 29 >Hundejahre?< Größe: 1,78m >Winzling.< Gewicht: 75 Kilo >Dachte, er wäre fetter.< Haarfarbe: Blond >Offensichtlich.< Besonderheiten: Reinbraune Augen, weiße Zähne, sportlicher Körperbau >Das Wort Reinbraun gibt es doch gar nicht.< Beruf: Leitender Angestellter, Selbstständig. >Was denn nun? Angestellt oder selbstständig? Idiot.< Familienstand: Ledig, 1 Kind >LEDIG? Ob Narla das weiß?< Hobbys: Ausgehen, Konsolen-Spiele, Lesen, Sprachen (Englisch, Französisch, Russisch, Spanisch, etc.) >Seit wann kann der lesen und was heißt hier etc.?< Profiltext: Ich bin ein humorvoller, spontaner und aufgeschlossener Mensch. Mit mir kann man wilden Spaß haben, aber auch romantische Abende verbringen. Vor allem bin ich sehr treu und stehe zu den Menschen, die mir wichtig sind. >Deshalb steht da auch ‚ledig‘, was?< Ich bin kinder- und tierlieb. Ein Haustier habe ich zwar nicht, aber eine fast einjährige Tochter, die ich über alles liebe und welche auch bei mir lebt. >Ich habe zwar kein Tier, aber dafür ein Kind … was für ein Ersatz …< Ich bin aufgeweckt, leicht für Neues zu interessieren und generell ein lustiger Geselle. >Zum kranklachen.< Ich hoffe, über diese Seite neue Freunde oder auch eine neue Partnerschaft zu finden. Wenn auch ihr männlich seid und auf der Suche nach jemandem zum kennenlernen, seid ihr bei mir an der richtigen Adresse. Ich freue mich auf eure Mails! >No comment.< Das gab ihm nun doch zu denken. Warum stellte Joey Partneranzeigen ein, um ausdrücklich männliche Bekanntschaften zu machen? Davon abgesehen, dass er weder homo noch ledig war. Und wenn er neugierig auf männlichen Sex war, gab es doch genug Möglichkeiten. Yami würde sofort zusagen. >Was bitte denkt er sich dabei? Ist der doof? Morgen nehme ich ihn in die … Moment mal!< Der Adressat seiner Spam-Mails war aber gar nicht ‚WonderboyInBlond‘, sondern ‚MeltingMan‘ … >Das ist nicht das Profil, zu welchem ich Mails bekomme. Hat Joey zwei Accounts?< Wobei ihm der Nick ‚MeltingMan‘ auch gar nicht stand. >Mir schwant Böses. Moment mal …< Er loggte sich aus, trug den Nick ‚MeltingMan‘ ein und holte sich das Passwort. ‚SetoMeansJoeyIsTheBest1a‘ >Oh no …< Er klickte sich auf die Profilseite von ‚MeltingMan‘ und wurde zunehmend blass im Gesicht. Geschlecht: Männlich Alter: 28 Größe: 2,09m Gewicht: 114 Kilo Haarfarbe: Braun Besonderheiten: Saphirblaue Augen und ein intensiver Blick, muskulös, hoch intelligent, gebildet, sehr kinderlieb, Zahlenmensch Beruf: Selbstständig Familienstand: Ledig, 2 Kinder Hobbys: Arbeiten, Lesen, Essen, Kuscheln, Musizieren, Meckern Profiltext: Ich bin ein schüchterner Mensch, dem Sicherheit in finanzieller, aber vor allem emotionaler Hinsicht wichtig sind. Meine distanzierte Art wird manchmal als arrogant verstanden, doch wenn ihr mich erst kennenlernt, werdet ihr sehen, dass ich ein überaus treuer und pazifistischer Mensch bin. Ich bin ein kleiner Morgenmuffel (okay, „klein“ ist gelogen) und brauche erst mal eine Kuscheleinheit und einen schwarzen Kaffee, bevor sich mein Hirn einschaltet. Ich bin zugegeben manchmal etwas cholerisch und pedantisch („etwas“ ist auch gelogen), aber ich bin auch sehr fürsorglich und zärtlich. Meine beiden Kinder (2 und 5 Jahre) leben bei mir und sind der Mittelpunkt meines Lebens. Als einfachen Menschen würde ich mich nicht bezeichnen und mein Partner sollte viel Geduld und Verständnis für meine Macken mitbringen. Doch dafür sehe ich sehr gut aus und habe mehr Geld als Heu. Wenn ihr es riskieren und mich kennenlernen wollt, freue ich mich auf jede Email. PS: Ich bin schwul, auch wenn ich das abstreite. „AAAAAAAAAAHHHHHHHHHHHHHH!“ Das gab’s doch gar nicht! Joey hatte ein Partnergesuch für Seto eingestellt! Und nun kamen sogar Zuschriften! „Ich bringe ihn um. Ich schwöre es, dieses Mal bringe ich ihn wirklich um! Ich tu’s! Gleich morgen früh! Und bei Narla gehe ich auch petzen! Du wirst schon sehen, was du davon hast!“ !!! Sie haben eine Chat-Einladung !!! „Na super, jetzt auch noch chatten oder wie? Joey, echt! Ich hau dich!“ !!! GoldenBoy wartet auf Ihre Antwort !!! „GoldenBoy. Was für ein toller Name. Der kann mich mal! Ich sehe gut aus und habe Geld! Klar, dass der sich meldet. PS Ich bin NICHT SCHWUL! JOEY, ICH BRINGE DICH UM!“ !!! GoldenBoy wartet auf Ihre Antwort !!! „Ja ja, ist ja gut. Wie lehne ich jetzt ab?“ Er klickte auf die Einladung und es geschah genau das, was er nicht wollte. Er war mitten im Chatprogramm. >Scheiße, wenn ich mich ärgere, geht die Konzentration flirten … äh flöten. Kacke.< Also schrieb er dem armen Interessenten lieber gleich, bevor der sich falsche Hoffnungen machte: MeltingMan: Das ist ein Fake-Profil. Such dir einen anderen. GoldenBoy: Hallo Liebling. >?????????????????????????????????????????????????????????< „GoldenBoy?“ >Den gucke ich mir erst mal an. Ich lasse mich doch nicht verarschen!< Es war nur ein Klick und er fand das Profil seines neuesten Verehrers. Geschlecht: Männlich Alter: 28 Größe: 1,47m Gewicht: 51 Kilo Haarfarbe: Goldblond Besonderheiten: Sportlich, muskulös, freundlich, spontan Beruf: Sportler Familienstand: Ledig Hobbys: Lesen, Kochen, Leute bemuttern Profiltext: TBD !!! GoldenBoy wartet auf Ihre Antwort !!! >Wollen die mich verarschen? Was haben die getrieben, während ich weg war?< MeltingMan: Was soll das? Das ist nicht lustig! GoldenBoy: Hast du dir mein Profil angesehen? MeltingMan: Steht ja nicht viel überraschendes drin. GoldenBoy: Ich bin erst seit ein paar Minuten angemeldet. Ich hatte noch keine Zeit, viel reinzuschreiben. MeltingMan: Yugi! Was soll das? GoldenBoy: Sorry. Ich bin nicht Yugi. MeltingMan: Du weißt genau, dass Joey mich hier reingestellt hat. Ist der bekloppt, meine Emailadresse anzugeben? Wenn das rauskommt, haben wir die Presse am Hals. GoldenBoy: Warum? Bist du so berühmt? ;o) MeltingMan: Hör auf damit! Wieso schläfst du nicht? GoldenBoy: Weil ich mit dir chatte, mein Engel. MeltingMan: Geh schlafen! !!! GoldenBoy hat sich abgemeldet !!! „Geht doch.“ Ein schweres Seufzen entfuhr ihm als er sich mit angehenden Kopfschmerzen zurücklehnte. Waren denn jetzt alle verrückt geworden? Erst stellte Joey für ihn ein Profil in der Partnersuche ein und dann spielte Yugi das Spiel auch noch mit. So ein … >Ein Spiel< fuhr es ihm durch den Kopf. >Das ist ein Spiel. Ich wette, das ist wenn überhaupt nur zur Hälfte auf Joeys Mist gewachsen. Yugi hat auch nicht weniger Scheiße im Kopf.< !!! Ihr Favorit GoldenBoy hat sich angemeldet !!! !!! Sie haben eine Chat-Einladung !!! !!! GoldenBoy wartet auf Ihre Antwort !!! >Was auch immer das für einen Sinn hat.< „Na gut, Einladung annehmen.“ >Mal sehen, was er damit bezweckt.< GoldenBoy: Guten Abend MeltingMan: N’Abend GoldenBoy: Sorry, mein Notebook wurde von einer wilden Katze zugeklappt. Schön, dass du noch hier bist. MeltingMan: Wo ich bin, weißt du ja nun. Und wo bist du? GoldenBoy: In einem großen, einsamen Bett ;o) „Haaaach, Yugi.“ Darauf lief das also hinaus. Yugi wollte ein Spiel der besonderen Art. Nannte sich dann wohl Cybersex. MeltingMan: Sorry, für so was fehlt mir im Moment echt der Kopf. GoldenBoy: Tut mir leid, das sollte ein Witz sein. MeltingMan: Sehr lustig. GoldenBoy: Jetzt denkst du bestimmt, ich bin so einer, der nur auf Sex aus ist, oder? MeltingMan: Das ist ja ziemlich eindeutig. GoldenBoy: So bin ich eigentlich gar nicht. Bitte denke das nicht. MeltingMan: Und was soll ich dann denken? GoldenBoy: Dass ich dich kennenlernen möchte. Ehrlich. MeltingMan: Ehrlich GoldenBoy: Ganz ehrlich. Außerdem könnte alles andere schwierig werden, denn mir fehlt die WebCam. Und ich sehe doch ganz gern, mit wem ich „chatte“ MeltingMan: Hast einen merkwürdigen Humor, was? GoldenBoy: Ich bin ganz brav. Soll ich mich noch mal neu anmelden oder gibst du mir auch so noch ne Chance? Ich würde mich nämlich gern bei dir empfehlen. MeltingMan: Nee, lass. Ist okay so. GoldenBoy: Ehrlich? MeltingMan: Ganz ehrlich. MeltingMan: :o) GoldenBoy: Wow, ein Smiley. Schick! MeltingMan: Nicht wahr? GoldenBoy: :oP MeltingMan: :oC GoldenBoy: Ooooooh! Bist müde? MeltingMan: Geht so. Bin noch am Arbeiten. Nebenbei hasse ich Smileys. GoldenBoy: Was arbeitest du denn? MeltingMan: Rate GoldenBoy: In deinem Profil steht, du bist selbstständig. MeltingMan: Wer lesen kann, ist im Vorteil. GoldenBoy: Also arbeitest du irgendwas, wozu man einen PC braucht. Sonst könntest du ja nicht online sein. MeltingMan: Kleiner Sherlock Holmes, was? GoldenBoy: Hihi MeltingMan: Ich leite eine Firma und war gerade dabei, mir Börsenkurse anzusehen. GoldenBoy: Und war’s spannend? MeltingMan: Ist wie die Zeitung von gestern zu lesen. Informativ, aber nicht spannend. GoldenBoy: Und was macht deine Firma? MeltingMan: Sachen verkaufen? GoldenBoy: Was denn für Sachen? MeltingMan: Elektronik, Rohstoffe, Dienstleistungen - so was eben. GoldenBoy: Klingt aber nicht nach einer kleinen Firma MeltingMan: Ich rede nicht so gern mit Fremden GoldenBoy: … über die Arbeit MeltingMan: Meine ich doch GoldenBoy: Und sonst? MeltingMan: Sonst auch nicht. GoldenBoy: Sonst auch nicht was? MeltingMan: Mit Fremden reden. Mache ich nicht gern. GoldenBoy: Ich meine, was du sonst so machst. Wenn du nicht gerade nicht mit Fremden über die Arbeit redest MeltingMan: Hast du mein Profil gesehen? GoldenBoy: Klar. Natürlich. Deswegen schreibe ich dir ja. MeltingMan: Wegen des guten Aussehens oder wegen des Geldes? GoldenBoy: Selbst Schuld, wenn du die Männer damit köderst. MeltingMan: Hast ja Recht. Aber sonst gäbe es ja auch kaum Gründe, mir schreiben zu wollen. GoldenBoy: Warum? Auf mich machst du einen ganz lieben Eindruck. Ein bisschen grummelig, aber du hast ja geschrieben, dass das nur Schüchternheit ist. MeltingMan: Das Profil hat ein Freund von mir eingestellt. Da hatte ich kein Mitspracherecht. Ich glaube, er wollte mich nur ärgern. GoldenBoy: Und jetzt hast du mich am Hals. Armer Schatz. MeltingMan: Gibt schlimmeres als dich. GoldenBoy: War das ein Kompliment? MeltingMan: Vielleicht. MeltingMan: :o) GoldenBoy: Oh, noch ein Smiley. MeltingMan: Ich hasse Smileys. GoldenBoy: Warum machst du sie dann ständig? MeltingMan: Für dich. Aber jetzt lassen wir das dumme Smilen GoldenBoy: Du bist ja süß!!! MeltingMan: … GoldenBoy: Entspricht dein Profil den den Tatsachen oder hat dein Freund da viel beschönigt? Oder eben nicht beschönigt? Ich meine, wenn er dich ärgern wollte … MeltingMan: Ich befürchte, er hat mich ganz gut getroffen. GoldenBoy: Warum befürchten? Gibt doch Schlimmeres als gutes Aussehen und Geld. MeltingMan: Geld ja. Aber das mit dem guten Aussehen ist Geschmackssache. GoldenBoy: Du hast ja leider kein Foto eingestellt. MeltingMan: Gibt keine guten Fotos von mir. GoldenBoy: Warum? Siehst du so blendend aus, dass der Film überbelichtet? >Yugi!< Das war so eine typische Yugi-Logik. Jetzt ahnte Seto auch langsam, was das werden sollte. Yugi wollte ihn nicht nur mal wieder zu einem kleinen Rollenspiel auffordern, welches nach ein paar feuchten Aktionen wieder beendet war, sondern er strebte etwas Längeres an. Seto fragte sich, wie es wohl wäre, wenn er und Yugi sich heute nochmals kennenlernen würden. Übers Internet. Wie würde das ablaufen? Würden sie sich überhaupt jemals treffen? Abgesehen davon, dass Seto sich auf so etwas normalerweise niemals einlassen würde. Aber hatte er damals nicht selbst eine Partneranzeige aufgegeben, um Yugi eine Frau zu hinterlassen? War er so sicher, dass er, wenn er Single wäre, nicht doch übers Internet suchen würde? Er war mit Yugi verheiratet, überaus glücklich verheiratet, und musste an so etwas keinen Gedanken verschwenden. Aber vorausgesetzt, er wäre ledig mit zwei Kindern und sehnte sich nach einem Partner … nein, er würde sich wahrscheinlich nicht nach einem Partner sehnen. Auch nicht nach einer Partnerin. Aber als er noch Pascal ohne Erinnerungen war, war er auch auf jede Avance hereingefallen. Seto war kein Mensch, der alleine sein wollte. Aber er war auch kein Mensch, der weggeschoben werden wollte. Er war nicht dumm, aber auf emotionaler Ebene leider sehr naiv. Nein, er würde höchstwahrscheinlich gar nicht im Internet inserieren. Bei seinem Glück, geriet er an irgendwelche dunklen Typen. Aber … >Ach, was weiß ich! Ist doch nur ein Spiel. Und Yugi sitzt auf der anderen Seite. Soweit kommt das noch, dass ich vor meinem eigenen Mann kneife.< Er wollte sich gar nicht vorstellen, wie ein Leben ohne Yugi wäre. Dafür reichten weder seine Fantasie noch seine Nerven. Ein Leben ohne Yugi war nicht vorstellbar, das existierte nicht mal in der Eventualität. Also warum nicht mal sehen, wie es hätte sein können, wenn er und Yugi sich auf andere Weise kennengelernt hätten. GoldenBoy: Bist du noch da? MeltingMan: Sorry, ich war in Gedanken. GoldenBoy: Gedanken worüber? MeltingMan: Ob es realistisch wäre, dass ich Bekanntschaften übers Internet suche. Eigentlich ist das nicht meine Art. Und dann wieder doch. Ich habe ein merkwürdiges Gefühl hierbei. GoldenBoy: Das verstehe ich. Um ehrlich zu sein, passt das auch zu mir nicht. Aber wenn ich jemanden wie dich hier kennenlernen kann, war die Idee nicht so schlecht. MeltingMan: Sorry, aber ich verstehe dich nicht. Mein Profil verspricht abgesehen von Geld und „gutem“ Aussehen einen eher komplizierten, nervigen Menschen. GoldenBoy: Und du fragst dich, warum ich gerade dir schreibe MeltingMan: Ja, tue ich GoldenBoy: Ich mag komplizierte Charaktere MeltingMan: Das musst du mir erklären GoldenBoy: Das kann ich nicht. Es ist einfach so MeltingMan: Klingt sehr überzeugend GoldenBoy: Zyniker, was? MeltingMan: Problem damit? GoldenBoy: Ich mag zynische Männer MeltingMan: Aha GoldenBoy: Und du bist eindeutig zynisch veranlagt MeltingMan: Touché GoldenBoy: Vielleicht mag ich bei anderen genau das, was ich nicht habe MeltingMan: Was hast du denn nicht? GoldenBoy: Mir fehlt es an äußerlicher Stärke. Ich bin nicht zynisch. Ich bin auch niemand, der leicht in den Mittelpunkt gerät. Und nennenswerte Alltagsmacken habe ich auch nicht. Ich gehe in der Masse unter. Vielleicht faszinieren mich deshalb Menschen, die so völlig anders sind als ich. Spannender. MeltingMan: Du hast doch aber sicher auch deine Qualitäten GoldenBoy: Ja, sicher habe ich die. Aber da muss man sich schon Zeit nehmen, um die zu finden. Wie gesagt, ich bin eher unscheinbar. Ich glaube, ich könnte mir die Haare grün färben und im Hühnerkostüm die Oscar-Verleihung besuchen und niemand würde es bemerken MeltingMan: Bist du denn Schauspieler? GoldenBoy: Ha ha. :o( Du weißt doch wie ich das meine MeltingMan: Sorry, habe einen schlechten Humor GoldenBoy: *herzchenaugen* MeltingMan: ??? GoldenBoy: Ich habe Herzchen in den Augen. Ich mag Männer mit schlechtem Humor MeltingMan: Du versuchst ja ziemlich offensichtlich zu flirten GoldenBoy: Natürlich. Das hier ist ne Flirtseite. MeltingMan: Kann ich eigentlich irgendwas sagen, damit du den Chat abbrichst? GoldenBoy: Kann ich mir nicht vorstellen. Da müsstest du schon ein ziemlicher Schwachmat sein. MeltingMan: Schwachmat in welcher Hinsicht? GoldenBoy: Du müsstest mir auf die Pelle rücken. Von wegen „Triff dich mit mir bei mir zuhause oder zumindest in der Kneipe nearby“. Oder „Ich will dich ganz schnell heiraten, weil sonst kann ich mich auch vor die Bahn werfen“ oder „Pass auf, ich erzähle dir jetzt mein ganzes Leben, vor allem die Geschichten von meiner Ex und ich frage dich zwar nichts von dir, aber ich glaube, aus uns kann echt was werden“ oder so. MeltingMan: Klingt als hättest du schon mehrere Onlinebekanntschaften gemacht. masamume: Oh ja … ich könnte Geschichten erzählen, die sind so was von wahr, dass sie schon wieder ausgedacht klingen T_T !!! GoldenBoy kickt masamume aus dem Chat !!! MeltingMan: Danke GoldenBoy: Bitte MeltingMan: Wo waren wir? GoldenBoy: Onlinebekanntschaften. Ja, hatte ich schon ein paar. MeltingMan: Und? GoldenBoy: Und nichts. Waren Nieten. MeltingMan: Warum? Hatten die kein Geld oder sahen nicht gut aus? GoldenBoy: Sowohl als auch. Die wo Geld hatten, waren zu sehr von sich eingenommen. Und die wo gut aussahen auch. Und die anderen hatte alle irgendeinen Schaden. In Mails und Telefonaten waren die meisten ganz nett, aber das erste Treffen war dann eigentlich immer ernüchternd. Der eine hat mir sogar beim Brunch im Fünfsternehotel erzählt, dass er Tierpornos gut findet und ein anderer hat die ganze Zeit beim Essen in der Nase gebohrt. Ich befürchte, im Netz sind nur gestörte Typen unterwegs. MeltingMan: Wer sagt dir, dass ich nicht auch so ein gestörter Typ bin? GoldenBoy: Mein Gefühl MeltingMan: Du kannst gar kein Gefühl haben. Du hast nicht mal ein Foto von mir, geschweige denn jemals real mit mir gesprochen. GoldenBoy: Vielleicht. Aber du hast einen interessanten Stil, den ich hoch schätze MeltingMan: Was für einen Stil? Flirten online finde ich eher stillos GoldenBoy: Nein, gar nicht. Zum Beispiel benutzt du normale Wörter und keine Abkürzungen. Du hast Ahnung von Rechtschreibung und Interpunktion. Und so wie es scheint, chattest du augenblicklich nur mit mir und nicht mit hundert anderen nebenher und das ist für mich ein Zeichen von Respekt. MeltingMan: Respekt? GoldenBoy: Klar. Okay, wenn wir uns jetzt öfter schreiben, ist es auch okay, wenn man Insider benutzt oder Abkürzungen oder eben klein und durchgängig schreibt. Weil’s halt einfach schneller geht. Oder wenn man nebenher auch mal etwas anderes macht. Aber für’s erste Mal chatten, finde ich es wichtig, dem anderen Respekt und Wertschätzung entgegen zu bringen. Besonders beim Flirten. Das zeugt von Intelligenz und guten Manieren MeltingMan: Oder einfach davon, dass man es nicht besonders oft gemacht hat GoldenBoy: Oder das :o) MeltingMan: Lass die Smileys GoldenBoy: Erzähle mir von dir MeltingMan: Was willst du wissen? GoldenBoy: Bist du wirklich schüchtern? MeltingMan: Würde ich nicht sagen. Ich nenne es lieber zurückhaltend GoldenBoy: Dein Hobby ist kuscheln? MeltingMan: Nicht mit jedem Dahergelaufenen GoldenBoy: Wenn ich dich auf einen Drink einladen würde. Was würdest du sagen? MeltingMan: Verpiss dich GoldenBoy: Die Antwort kam jetzt aber schnell MeltingMan: Darüber musste ich nicht nachdenken GoldenBoy: Warum? Bin ich dir unheimlich? MeltingMan: Ich kenne dich nicht. Ich werde einen Teufel tun und mich mit jemandem treffen, mit dem ich höchstens ein paar Buchstaben ausgetauscht habe GoldenBoy: Aber da entgeht dir etwas MeltingMan: Lass es bleiben. Wenn du mir auf die Pelle rückst, mache ich die Fliege und gehe schlafen - allein GoldenBoy: Ich habe nicht gesagt, dass ich in dein Bett will MeltingMan: So verstehe ich das aber GoldenBoy: Bitte nicht :o( MeltingMan: SMILEY!!! GoldenBoy: Sorry. Ich will keinen ONS. Das ist nicht meine Art. Ich möchte dich nur kennenlernen MeltingMan: Was bitte ist ein ONS? Drück dich klar aus! GoldenBoy: Das ist ein One Night Stand. MeltingMan: Ach so GoldenBoy: Du bist nicht oft online, oder? MeltingMan: Nicht auf solchen Seiten. Chatten tue ich grundsätzlich nicht. Das hier ist reiner Zufall. GoldenBoy: Du klingst beleidigt MeltingMan: So klinge ich nicht nur GoldenBoy: Was kann ich tun, um dich gütlich zu stimmen? MeltingMan: Nein, ich meine, so klinge ich nicht NUR … ich kann auch anders klingen. So meine ich das GoldenBoy: Du bist süß MeltingMan: Sag das nicht immer GoldenBoy: Aber wenn es doch so ist? MeltingMan: Verarscht du mich? GoldenBoy: Nein, ich finde dich wirklich süß. Du bist ein bisschen wie ein trotziges Kind. Nein, eher ein verlegenes Kind, das sich seine Verlegenheit nicht anmerken lässt MeltingMan: Du weißt doch, dass ich schüchtern bin GoldenBoy: Ich dachte zurückhaltend MeltingMan: … MeltingMan: Ich muss jetzt wieder arbeiten GoldenBoy: NEIN WARTE!!! MeltingMan: Was denn noch? Wenn du mich ärgerst? GoldenBoy: Ich wollte dich nur ein bisschen aus der Reserve locken. Entschuldige MeltingMan: Lass einfach solche Anspielungen und ärgere mich nicht GoldenBoy: Ich glaube aber, du wirst ganz gern ein bisschen geärgert :o) MeltingMan: … kill the smiley. Echt jetzt! Das nervt! GoldenBoy: Tut mir leid. Ich bin ein bisschen nervös. Mir liegt was daran, dich nicht zu vergraulen MeltingMan: Davon merke ich nicht viel GoldenBoy: Was kann ich tun? MeltingMan: N i e - w i e d e r - S m i l e y s !!! GoldenBoy: Okay. Versprochen :o) MeltingMan: Grrrrrrrrr GoldenBoy: Ich mag dich GoldenBoy: Wirklich GoldenBoy:? GoldenBoy: Hallo? GoldenBoy:? GoldenBoy: Klopf klopf? MeltingMan: Du überspannst den Bogen jetzt wirklich. Ich habe keine Lust auf Typen, die sich nur über mich lustig machen. Ich will nicht sagen, dass man mit mir keinen Spaß haben kann, aber ich kenne dich nicht und kann dich rein schriftlich nicht einschätzen. Deswegen versuche bitte ernst zu bleiben, ja? GoldenBoy: Okay. Entschuldige. Ich fange immer an Unsinn zu machen, wenn ich nervös bin. Ich möchte mich eigentlich nur bei dir interessant machen. MeltingMan: Und das soll ich dir glauben? GoldenBoy: Bitte. Soll ich noch mal anfangen? MeltingMan: Nein, ist okay. Ich bin nur etwas empfindlich, was das angeht. Ich kann nicht mit Leuten Spaß machen, die ich nicht kenne. GoldenBoy: Schlechte Erfahrungen? MeltingMan: Sozusagen. GoldenBoy: Willst aber nicht drüber reden? MeltingMan: Nicht wirklich GoldenBoy: Ist okay. Entschuldige bitte, wenn ich dir auf die Nerven falle. Ich bin wirklich kein Fake-Account, sondern habe ehrlich Interesse an dir. MeltingMan: Obwohl ich dich gerade anraunze? GoldenBoy: Eben deshalb. Du reagierst auf mich. MeltingMan: Wer sagt dir, dass ich kein Fake bin? GoldenBoy: Niemand. Außer dir. MeltingMan: Wenn ich ein Fake wäre, würde ich dir das natürlich nicht sagen GoldenBoy: Du hast mir ja schon gesagt, dass ein Freund dein Profil ohne dein Zutun gebastelt hat MeltingMan: Ein Hinweis mehr auf einen Fake GoldenBoy: Oder genau das Gegenteil. Weißt du, wenn ich jeden hier für einen Fake halten würde, dann würde ich auch niemals jemanden kennenlernen. Man muss einfach etwas Vertrauen vorschießen. Sonst kann man es gleich lassen MeltingMan: Du willst also sagen, ich soll dir vertrauen oder es gleich lassen GoldenBoy: Nein, so nicht. Eher, dass ich dir vertraue, dass du ein realer Mann bist, der real vor einem PC sitzt und reale Dinge schreibt. MeltingMan: Und wenn ich nun jemand bin, der sich nur mit dir treffen will und einen ONS will? GoldenBoy: Dann würde ich mich wahrscheinlich freundlich aus de Affäre ziehen oder in deinen Worten „Verpiss Dich“ sagen GoldenBoy: Okay, das würde ich wahrscheinlich nicht sagen. Fluchen kann ich nicht besonders gut MeltingMan: Und wenn ich dich nicht gehen lasse? Wenn ich dich entführe oder dich in irgendeine dunkle Ecke ziehe? GoldenBoy: Hör auf, jetzt wird’s unheimlich MeltingMan: Deswegen halte ich nichts von Online-Dates GoldenBoy: Das ist ja auch nur, um sich anzutasten. Auch wenn ich dir etwas frech vorkomme, bin ich eigentlich traditionell eingestellt. Erst ein bisschen chatten, dann Fotos austauschen und telefonieren und sich dann vielleicht treffen. An einem belebten Ort zu einer hellen Tageszeit. Zum Mittag oder zum Brunch. Und geküsst wird beim ersten Date auch nicht. Besser ist das. MeltingMan: Warum nicht? Kannst du nicht küssen? GoldenBoy: Das Urteil überlasse ich dem Geküssten :o) MeltingMan: … GoldenBoy: Sorry, ohne Smiley. MeltingMan: :oP GoldenBoy: Hey! MeltingMan: GoldenBoy: Süß! Und du? Kannst du küssen? MeltingMan: Küssen wohl schon. Nur ob das nun gut oder schlecht, weiß ich nicht. Habe mich noch nie selbst geküsst. GoldenBoy: Schade. Da hast du bestimmt was verpasst. MeltingMan: Ähm … GoldenBoy: Ja? MeltingMan: Nichts GoldenBoy: Ooooookay. GoldenBoy: Ich habe gelesen, du hast zwei Kinder. MeltingMan: Zwei sehr süße sogar GoldenBoy: 2 und 5 Jahre alt? MeltingMan: Genau. Mein Sohn ist 2, meine Tochter 5. Sie sind das allerwichtigste für mich. Wichtiger als alles andere. GoldenBoy: Das ist schön MeltingMan: Und willst du auch irgendwann Kinder haben? GoldenBoy: Ja, sicher. Wenn die Partnerschaft stimmt, warum nicht? MeltingMan: Vorausgesetzt, wir beide verstehen uns gut. Würdest du meine Kinder akzeptieren? GoldenBoy: Ich glaube, die Frage ist falsch herum. Da deine Kinder dein Ein und Alles sind, müssen sie zuerst mich akzeptieren. Wenn sie mich nicht mögen, kann ich mir den Papa wohl auch von der Backe putzen. Oder? MeltingMan: Wahrscheinlich. Aber meine beiden sind sehr liebenswürdig und neuen Menschen gegenüber aufgeschlossen. Du würdest sie sicher mögen. GoldenBoy: Das beruhigt mich etwas. Darf ich dir auch eine persönliche Frage stellen? MeltingMan: Ich finde, wir sind schon sehr persönlich. Aber gut, nur raus damit. GoldenBoy: Bei dir steht, dass du schwul bist. Ich meine, sind das deine eigenen Kinder aus einer Hetero-Partnerschaft oder sind sie adoptiert? MeltingMan: … GoldenBoy: Zu persönlich? MeltingMan: Ein wenig. Es sind meine Kinder. Meine beiden, meine. Mehr zählt nicht. Vorausgesetzt, wir beide würden heiraten. Würdest du dann einen Unterschied machen zwischen meinen und deinen Kindern? GoldenBoy: Und mir vorwerfen, dass ich zu schnell zur Sache komme … jetzt sind wir also schon verheiratet, ja? MeltingMan: Beantworte einfach die Frage GoldenBoy: Okay. Ich denke, so etwas kann man nicht pauschal mit Ja oder Nein beantworten. Sicher ist, dass es immer deine Kinder wären, weil sie vor mir da waren. Ich würde mir wünschen, dass sie mich als Papa akzeptieren, aber sie müssten mich nicht Papa nennen, nur weil ich es so will. Und bei einer Trennung müsste ich immer darauf gefasst sein, dass sie bei dir bleiben würden. Natürlich bleibt da eine gewisse Distanz. MeltingMan: Dann würdest du eher dazu tendieren, dass es meine Kinder wären? GoldenBoy: Wie gesagt, das kann ich nicht pauschal sagen. Ich weiß ja auch kaum etwas von dir oder ihnen oder eurem Leben. Ich würde auch nicht mit dir zusammenkommen, nur um mich dann wieder zu trennen. Ich weiß aber, dass ich mich sicher nicht wie eine böse Stiefmutter verhalten würde. Wenn ich dich liebe, dann liebe ich auch deine Kinder und sorge für sie. Schon weil sie ein Teil von dir sind. Ich wäre gern ihr Papa, würde sie aber nicht zu etwas unnatürlichem zwingen. Das ist ein schweres Thema. MeltingMan: Stimmt. Wir sollten es wechseln. Soll ich dich nun etwas fragen? GoldenBoy: Klar. Mach. MeltingMan: Du bist momentan nicht in einer Partnerschaft? GoldenBoy: Ledig. Genau. MeltingMan: Warum nicht? GoldenBoy: Viele Freunde, viele Bekannte, viele Kollegen, aber niemand da zum Lieben und Begehren. Ich nehme nicht gleich den Nächstbesten und gebe mich auch nicht für den nächstbesten hin. Gemeinsamkeit, das ist wichtig. Und du? MeltingMan: Sieht so ähnlich aus. Ich habe Schwierigkeiten, Vertrauen zu fassen. GoldenBoy: Warum? MeltingMan: Schlechte Erfahrungen. GoldenBoy: Böse Männer und/oder Frauen, die dich so vorsichtig gemacht haben. Dabei scheinst du doch eigentlich ganz lieb zu sein. MeltingMan: Lieb würde ich das nicht nennen. GoldenBoy: Dann süß? MeltingMan: Das ist deine Meinung. GoldenBoy: Wie würdest du dich denn beschreiben? MeltingMan: Ich finde nur schwer gute Eigenschaften an mir. Ich brauche viel Zuspruch, das ist wohl mein Problem. GoldenBoy: Bei mir ist es genau umgekehrt. Ich habe eine gute Meinung von mir und ärgere mich, wenn andere das nicht erkennen oder missdeuten. Ich will mich nicht anbiedern, aber ich will etwas dafür tun, damit man mich mag. Schwierig. MeltingMan: Niemand sagt, dass Liebe einfach ist. Einfach ist nur die Liebe eines Kindes. GoldenBoy: Kann ich dich noch etwas fragen? MeltingMan: Du denkst jetzt, ich habe nen Schaden, oder? GoldenBoy: Sowieso. MeltingMan: Danke GoldenBoy: :oP MeltingMan: Smiley MeltingMan: Was willst du denn? GoldenBoy: Hast du mein Profil gelesen? MeltingMan: Natürlich. Quasi schon auswendig gelernt. GoldenBoy: Und? MeltingMan: Und was? GoldenBoy: Dir ist nichts negativ aufgefallen? MeltingMan: Außer dass du noch keinen Text drin hast. Aber ein Foto habe ich auch nicht. So what? GoldenBoy: Ich meine … ich bin nicht gerade groß MeltingMan: Und ich bin nicht gerade klein GoldenBoy: Eben MeltingMan: Du denkst, ich bin zu faul, mich zu bücken? GoldenBoy: Oder schämst dich mit einem … Winzling wie mir? MeltingMan: Ich weiß zwar nicht wie du aussiehst, aber du hast dich mit sportlich und muskulös beschrieben. Das klingt doch sehr gesund. GoldenBoy: Aber du bist mehr als einen halben Meter größer als ich MeltingMan: Höchstens höher, nicht größer GoldenBoy: Gehupft wie gesprungen MeltingMan: Ich finde es nicht schlimm. Um ehrlich zu sein, mag ich Männer, die nicht ganz so riesig sind GoldenBoy: „nicht ganz so riesig“ ist nett. Aber 1,47 ist - klein MeltingMan: Ich wollte es nicht so ostentativ sagen, aber ich mag kleine Männer. Manche mögen dunkles Haar, andere mögen große Hände, ich mag kurze Männer. GoldenBoy: Das sagst du jetzt hoffentlich nicht extra MeltingMan: Tue ich wirklich nicht. Schau: MeltingMan: :o) MelzingMan: Extra für dich. GoldenBoy: Okay okay, ist klar. MeltingMan: Wenn das deine einzige Sorge ist. GoldenBoy: Es war mir wichtig, das gesagt zu haben. MeltingMan: Gibt’s da noch mehr, was du loswerden willst? GoldenBoy: Wie meinst du das? MeltingMan: Schlechte Eigenschaften. Was würdest du als deine schlechteste Eigenschaft nennen? GoldenBoy: Was mich selbst oder was andere nervt? MeltingMan: Sowohl als auch. GoldenBoy: Mich selbst nervt eben meine Körpergröße. Auf der Straße werde ich für einen Schuljungen gehalten und von vielen Leuten nicht ernst genommen. Das würde ich als meine körperlich schlechteste Eigenschaft bezeichnen. MeltingMan: Und mental? GoldenBoy: Meine mental schlechteste Eigenschaft? Ich würde sagen, dass ich eine Glucke bin. Überbehütend. Ich stecke mich oft in Sachen rein, die mich nichts angehen (sollten). Helfersyndrom nennt man das wohl. MeltingMan: Aha GoldenBoy: And you? MeltingMan: Schlechte Eigenschaften habe ich viele. Soll ich dir die ganze Liste schicken oder willst du nur die Top 100? GoldenBoy: Die Top 3 reichen mir auch. MeltingMan: Kritikunfähig, Cholerik, Anhänglichkeit. In beliebiger Reihenfolge. GoldenBoy: Anhänglichkeit ist eine schlechte Eigenschaft? MeltingMan: In dieser Form ja. Ich fühle mich schlecht, wenn mein Partner mich allein lässt. Und wenn ich verliebt bin, werde ich sehr anhänglich und manchmal auch eifersüchtig. Ich brauche ständig Nähe und Zuwendung. Es nervt mich selbst, aber ich kann es nicht ändern. Es ist schwer mit mir. GoldenBoy: Das werde ich dann ja sehen. Und deine körperlich schlechteste Eigenschaft GoldenBoy: Hallo? MeltingMan: Ich überlege GoldenBoy: Schwer etwas zu finden? MeltingMan: Nein, ich weiß nicht, ob ich es dir sagen soll. Das ist sehr persönlich GoldenBoy: Warum? Fehlt dir ein Bein? Ein Auge? Ne Arschbacke? MeltingMan: Nein, nicht so offensichtlich. Sorry, das ist mir jetzt zu intim. GoldenBoy: Okay, dann frage ich auch nicht weiter. Sag es, wenn du soweit bist. Aber gibt es denn nichts, was dich oder andere nervt? MeltingMan: Andere fühlen sich von meinem Blick verunsichert. GoldenBoy: Warum? Hast du den bösen Blick? MeltingMan: Wahrscheinlich. Manchmal sehe ich die Leute nur an und sie ergreifen die Flucht oder benehmen sich nervös oder fahrig. Ich provoziere das nicht, aber mein Freund sagt, ich sollte aufpassen, wen ich wie ansehe. Ich werde häufig falsch verstanden und kann solche Missverständnisse nur schwer ausräumen. Ich kann nicht gut mit Menschen umgehen. Häufig weiß ich auch einfach nicht, was sie von mir wollen. GoldenBoy: Und mit deinen Kindern? MeltingMan: Ich liebe meine Kinder. Mit Kindern verstehe ich mich allgemein gut. Bei denen habe ich keine Angst vor einem ungerechten Urteil, weil sie auf andere Dinge achten. Für Kinder sind Gut und Böse noch dasselbe. Das schätze ich. GoldenBoy: Aber auch Kinder können grausam sein. Sehr grausam. MeltingMan: Ich weiß. Aber ich mag Kinder trotzdem. Ich meine, richtige Kinder. Vom Babyalter an bis zu fünf oder sechs Jahren. Je älter sie werden, desto mehr nehmen sie das Verhalten der Erwachsenen an. Ich mag kleine Kinder mit kleinen Herzen und einer unverstellten Art. GoldenBoy: Dann hättest du Kindergärtner werden sollen MeltingMan: Vielleicht. Aber das wäre ja keine Arbeit im eigentlichen Sinne. GoldenBoy: Du sag mal, dieser Freund, den du jetzt ein paar Male erwähnt hast MeltingMan: Nur EIN Freund. Nicht MEIN Freund. Falls du das meinst. GoldenBoy: Meinte ich MeltingMan: Wir sind nicht zusammen. Herrgott, herrje! Das würden meine Nerven nicht mitmachen. GoldenBoy: Warum? MeltingMan: Er nervt von morgens bis abends. Ich brauche jemanden, der ruhig und geduldig ist und mich nicht durch die Gegend hetzt. GoldenBoy: Klingt als hättet ihr Spaß MeltingMan: No comment GoldenBoy: Schade. GoldenBoy: Entschuldige, ich muss mich jetzt ausloggen. MeltingMan: Schon? GoldenBoy: Ja, mein Typ wird verlangt. Aber wollen wir uns morgen Abend wieder treffen? MeltingMan: Warum nicht? GoldenBoy: Ich weiß nicht MeltingMan: Das sollte Ja heißen. GoldenBoy: Dann freue ich mich MeltingMan: Ich mich auch MeltingMan: :o) GoldenBoy: Du bist süß. Dann arbeite nicht mehr so viel und geh bald ins Bett, ja? MeltingMan: Wartest du auf mich? GoldenBoy: Hi hi. Du Schlimmer, du! MeltingMan: Schlaf gut und bis morgen. GoldenBoy: Ich werde da sein. Schlaf gut, MeltingMan. MeltingMan: Du auch, GoldenBoy GoldenBoy: *kiss* !!! GoldenBoy hat sich abgemeldet !!! Kapitel 5: Chapter 21 - 25 -------------------------- Chapter 21 Nun wollte er wissen, weshalb Yugi sich so schnell aus dem Staub gemacht hatte. Wo er sich doch gerade ans Chatten gewöhnte. Er klappte den Laptop zu und verließ das Büro. In der Gaststätte saßen noch ein paar letzte Gäste. Der Stammtisch, der jeden Sonntag stattfand und immer dieselben acht älteren Herren umfasste. Und hinten am Fenster ein junges Pärchen, welches beim Dessert Händchen hielt. Und Hannes, welcher seine Theke für den morgigen Tag vorbereitete. Er winkte Seto mit einem kurzen Salut und der nickte ihm stumm zu, bevor er die Treppe in großen Schritten erklomm. In seinem Zimmer brannte erwartungsgemäß das Licht, Yugi ließ es immer noch jede Nacht für ihn an. Doch der lag nicht im Bett. Er hatte wohl dort gelegen, denn sein Laptop lag am Fußende und seine Seite des Bettes war benutzt. Doch er selbst war nicht da. Seto lauschte und hörte Flüstern aus dem Kinderzimmer. Aus Tatos Zimmer. Er drückte leise die angelehnte Tür auf und sah, dass Yugi am Bettchen saß, auf dem Boden mit Tato auf einer Höhe und dem Kleinen den Kopf streichelte. Nebenbei sprach er leise Worte und küsste seinen Sohn. „Alles in Ordnung?“ fragte Seto leise. Ganz leise. Yugi nickte und stand möglichst lautlos auf. „Papa?“ hörte man leise unter der dicken Daunendecke. „Ich dachte, du schläfst schon wieder.“ Also setzte er sich zurück auf den Boden und streckte die Hand unter die Decke. „Mach die Augen zu, Süßer. Ich bin ja hier.“ Auch Seto schlich sich dazu, setzte sich zu Tato aufs Bett und legte ihm die Hand auf die Stirn. „Er ist ganz warm.“ „Tato hatte einen bösen Traum.“ „Won Blom“ ergänzte der mit müder Stimme. „Von Blumen“ bestätigte Yugi, während Seto seinem Mini ebenfalls einen Kuss auf die roten Wangen gab. „Schlaf wieder ein, Tato. Es ist schon Nacht und die Blumen schlafen jetzt auch alle. Papa und ich sind ja da und beschützen dich.“ „Un Nene?“ „Und Nini beschützen wir auch. Euch beide. Schlaf wieder ein, Knutschi. Papa und ich sind immer hier. Wir sind immer bei dir. Auch wenn du schläfst. Alles ist gut.“ „Mama …“ „Schlafe wieder ein, Großer.“ „Gehd nich …“ „Soll ich dir ein Schlaflied singen?“ „Hmmm.“ Das klang nach Zustimmung. Also streichelte Seto ihm sanft durchs Haar und sang seinem kleinen Alpträumer ein zärtliches Liedchen. „Schlafe mein Prinzchen, es ruhn Schäfchen und Vögelchen nun. Garten und Wiese verstummt, auch nicht ein Bienchen mehr summt. Luna mit silbernem Schein gucket zum Fenster hinein. Schlafe beim silbernen Schein. Schlafe, mein Prinzchen, schlaf ein. Schlaf ein, schlaf ein. Wer ist beglückter als du? Nichts als Vergnügen und Ruh! Spielwerk und Zucker vollauf, und noch Karossen im Kauf! Alles besorgt und bereit, dass nur mein Prinzchen nicht schreit. Was wird da künftig erst sein? Schlafe mein Prinzchen, schlaf ein. Schlaf ein, schlaf ein.“ „Mama …“ „Schläfst du denn immer noch nicht?“ seufzte er und küsste seinen Kleinen. Das musste ja ein schlimmer Blumen-Traum gewesen sein, dass er die Augen nicht zumachen konnte. Normalerweise überwachte Tato nicht mal die erste Strophe von Mamas Gesang. „Was ist denn, Tatolino?“ „Nommer sing“ blubberte er und kuschelte seine Stirn gegen Yugis Hand. „Mein Tado-Schlafenlied.“ „Tato-Schlafenlied?“ „Das hat Tato ihm vorgesungen. Er ist ganz vernarrt darin“ lächelte Yugi und legte seinen Kopf zu ihm aufs Kissen. „Soll ich mal versuchen, dir vorzusingen?“ „Hmmmm.“ „Na gut.“ Yugi und singen. Na, das konnte ja was werden. Aber woher sollte Seto auch wissen, welches das Tato-Schlaflied war, wenn drei Monate fort gewesen war? Obwohl der Text so typisch für ihn war. Für den großen als auch den kleinen. „Als ich ein kleiner Bube war, war ich ein kleiner Lump. Zigarren raucht' ich heimlich schon, trank auch schon Bier auf Pump. Zur Hose hing das Hemd heraus, die Stiefel lief ich krumm. Und statt zur Schule hinzugehn, strich ich im Wald herum. Wie habe ich's doch seit jener Zeit So herrlich weit gebracht! Die Zeit hat aus dem kleinen Lump 'nen großen Lump gemacht.“ „Typisch Tato“ seufzte Seto. Der brachte sich selbst auch nur Unsinn bei. Er musste sich ja schließlich nicht selbst erziehen. Dieser Lumpenbube. „Aber er schläft jetzt wieder“ flüsterte Yugi und küsste seinen Kleinen, bevor er vorsichtig die Hand zurückzog. „Erst hat er nur im Schlaf geredet und ich dachte, er nickt wieder ein. Aber als er zu weinen anfing, musste ich doch gucken gehen.“ „Und er hat von Blumen geträumt?“ „Müssen wohl Monsterblumen gewesen sein. Er hat eine lebhafte Fantasie.“ Er nahm Setos Hand und hielt sie an seine eigene Stirn. „Schön, dass du immer so kalte Pfoten hast, Engelchen.“ „Du fühlst dich auch ganz warm an.“ „Ich habe mir Sorgen gemacht und wohl mit Tato mitgefiebert.“ Er legte sich die Hand in den Nacken und atmete entspannt durch. Setos Hände waren besser als jedes Kühlpad. „Das war sein erster Alptraum. Nur ein Traum, aber er sah wirklich verschreckt aus.“ „Meinst du, dass das ein spezieller Traum war?“ „Ich wollte ihn nicht weiter fragen. Und selbst wenn, dann werden wir aus seinen Erklärungen wohl nicht schlau. Aus deinen nächtlichen Visionen bin ich auch nie schlau geworden.“ „Dann meinst du, es könnte eine Vision gewesen sein?“ „Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Ich weiß nur, dass er geweint hat und wirklich weglaufen wollte. Aber er hat nur die Decke runtergestrampelt.“ „Warte.“ Er legte seine andere Hand an Tatos schlafendes Köpfchen. Er schloss seine Augen halb und horchte tief in ihn hinein. Tato würde das gar nicht mitbekommen, aber wenn es eine Vision gewesen war, würde Seto das erkennen. „Und?“ fragte Yugi leise und hob den Kopf. „Eine Vision?“ „Ich weiß nicht genau“ antwortete er mit abwesender Stimme und leerem Blick. „Ich sehe eine Wiese. Eine grüne Wiese und es stehen rosa Blumen dort. Sie sehen aus wie … Orchideen und … Hyazinthen. Fuchsien. Viele Gräser und auch sie tragen rosa Blüten. Es sieht friedlich aus.“ „Und warum hatte Tato dann solche Angst?“ „Ich kann es nicht sagen.“ Er stoppte, spürte, sah, fühlte, deutete. Seine blauen Augen verloren sich in der Weite eines immateriellen Raumes. Dann erst konnte er Yugi mehr sagen. „Es weht kein Wind. Alles steht still. Das könnte ihm Angst gemacht haben.“ „Sieh in den Himmel. Was ist dort?“ Yugi beobachtete Setos Gesicht und bemerkte dort ein Zucken. Nur kurz, doch es war eine ungewöhnlich starke Reaktion. „Liebling, was ist dort oben?“ „Der Himmel ist schwarz. Nein, nicht schwarz … silbergrau. Er glänzt blau, doch er scheint unnatürlich dunkel … nein, nicht dunkel … es ist das Licht. Es scheint keine Sonne. Es ist hell, aber es gibt keine Lichtquelle. Wie als wäre man im Wasser. Das Licht kommt von überall her und der Himmel wirkt drückend. Mir wird … schwindelig.“ „Dann höre lieber auf.“ „Der Himmel nimmt die Farbe an, die ich ihm andichte. Denke ich an schwarz, ist er schwarz. Denke ich an blau, ist er blau. Denke ich an rosa, ist er rosa. Aber es gibt keine Sonne. Rundherum sind Berge. Nein, nicht rundherum. Nur auf einer Seite. Ich will in Richtung der Berge gehen, doch sie weichen und dann ist dort wieder diese windstille Wiese mit rosa Blumen. Es ist schön, aber … alles wirkt beengend. Als würde mich diese Wiese gefangen halten.“ „Das hat Tato geträumt? Passiert nichts weiter?“ „Nein, es passiert nichts. Es ist nur diese Wiese und die Blumen. Es ist als wären sie lebendig, als würden sie mich ansehen. Augen. Überall Augen. Aber es sind doch nur Blumen. Die Blumen beobachten mich …“ Er zog seine Hand zurück und rieb sie als hätten Fesseln die Finger zusammengequetscht. Er blickte den schlafenden Tato an, doch den Traum konnte er nicht deuten. „Yugi, das war eine Vision. Tato kann sich so etwas nicht ausdenken. Das wurde ihm geschickt.“ „Geschickt? Wer sollte ihm so eine Vision schicken? Er ist noch fast ein Baby.“ „Vielleicht sollten wir diese Vision sehen. Seit du mein Herz hast, kann mir kein Gott mehr eine Warnung oder eine Drohung schicken. Vielleicht benutzen sie Tato, um uns etwas mitzuteilen.“ „Amuns Götter würden Tato nicht benutzen, um mit uns in Kontakt zu treten“ bemerkte Yugi. Selbst wenn sie es täten, würden sie ihn nicht ängstigen. Amuns Götter waren zartfühlend und schickten kleinen Kindern keine solchen Träume. „Dann war es einer von den anderen Göttern“ ergänzte Seto und sah Yugi ernst an. „Hältst du es für möglich, dass das an uns gerichtet war?“ „Der einzige von den dunklen Göttern, der Visionen leiten kann, ist Chons“ antwortete Yugi besorgt. „Seth hat doch seinen Deal. Warum sollte er Tato solche Bilder schicken? Er würde sich dafür jemanden aussuchen, der sich besser artikulieren kann. Abgesehen davon, würde Seth seine Sachen selbst regeln.“ „Noch eine Sorge mehr auf meiner Liste“ seufzte er und lüftete seinen Kragen. „Ich sollte heute Nacht vielleicht lieber bei Tato bleiben. Ich traue der Sache nicht.“ „Nein, wir machen das anders. Tato kommt in unser Bett und Nini auch.“ „Meinst du, dass Ninis Bauchschmerzen auch so einen Auslöser hatten?“ „Nein“ lachte Yugi und schüttelte wissend den Kopf. „Da war definitiv die große Flasche Brause Schuld dran. Na komm, ich nehme Tato und du nimmst Nini.“ „Das … das Gefühl kenne ich …“ „Welches Gefühl?“ Seto machte ein komisches Gesicht. Er wurde ganz blass und sah Yugi mit geweiteten, glasigen Augen an. Doch als er auch seine Schultern hochzog, wusste Yugi, welches Gefühl er meinte. Er bekam Angst. „Seto, ganz ruhig. Es war doch nur ein Traum.“ „Nein, nicht das. Das ist Sethan.“ „Sethan?“ „Sethan hat … er fürchtet sich!“ Sofort sprang er auf und rannte hinaus. Er hatte noch niemals eines von Sethans Gefühlen aufgeschnappt. Und noch niemals eines, welches so intensiv war, dass er es auf diese Entfernung spürte. Und dann auch noch dieses, welches ihm so innig vertraut war. Yugi hörte es draußen poltern, doch ihm nachzulaufen, würde nichts bringen. Er nahm Tato aus dem Bett und brachte ihn zu seiner Schwester. Wenn Sethans Gefühl mit Tatos Traum zusammenhing, war es besser, zusammen zu bleiben. Seto indessen kam an Sethans geöffneter Tür an. Yamis Raum war leer, der war noch mit Finn unterwegs und würde frühestens in den Morgenstunden zurücksein. „Komm rein.“ Seto sah den großen Tato neben dem leeren Bett stehen und ihn heranwinken. Seiner leichten Bekleidung, sprich nur Unterwäsche, zu urteilen, war auch er geweckt. „Du hast es auch gespürt, oder?“ „Ich habe Sethan noch nie so intensiv gespürt“ antwortete er mit leiser Stimme, ging zu ihm und legte Seto die Hand auf die Schulter, sprach ihm vertraulich zu. „Aber wir sollten jetzt noch nicht stören.“ „Warum? Was ist los? Ich rieche Marik.“ „Marik ist bei ihm. Bis eben hat Sethan ihn angeschrien, aber jetzt ist Ruhe. Komm.“ Auf nackten Sohlen traten die beiden Drachen zur Tür und horchten herein. Doch als auch nach einer vollen Minute keine Stimme herausdrang, schauten sie, ob etwas zu tun war. Doch auch der Blick nach innen zeigte keine allzu beängstigende Situation. Sethan saß in seinem grauen Morgenmantel auf dem Fenstersims, hatte der Tür und somit auch Marik den Rücken zugewandt. Marik stand noch immer in seiner Tageskleidung nahe der Tür und sah Sethan mit bewegungslosen Augen an. „Können wir helfen?“ fragte Seto vorsichtig. „Ja.“ Sethan klang verärgert. Sehr verärgert. „Schafft ihn mir aus den Augen.“ „Ich weiß einfach nicht, wo Euer Problem liegt“ widersprach Marik. Er klang weder unterwürfig, noch respektlos. Er hielt nur offensichtlich diese Ablehnung nicht aus. Jedenfalls nicht ohne zu wissen, woher die kam. Er breitete die Arme aus und forderte seine Antwort. „Ich habe mich bei Euch entschuldigt. Was soll ich denn noch machen?“ „Einfach verschwinden. Ist das so schwer zu verstehen?“ „Ja, ist es!“ Er ballte die Fäuste. Marik wurde selten wütend. Das war eher sein Alterego, dem solche Gefühle lagen. Doch auch der treueste Diener ließ sich nicht ewig alles gefallen. „Wir haben kaum zwei Sätze miteinander gewechselt und Ihr bringt mir nichts als Ablehnung entgegen. Wenn Ihr mich schon mit Eurer Verachtung demütigt, dann will ich wenigstens den Grund wissen. Ich denke, das zu fordern, steht mir zu.“ „NICHTS STEHT DIR ZU! GAR NICHTS! HÖRST DU?!“ Er sprang auf, wickelte den lockeren Morgenmantel eng um sich und stierte ihn mit funkelnden Augen an, dass Tato und Seto zusammenzuckten. Marik jedoch schien das nicht zu bemerken. „DU HAST KEIN RECHT DAZU, IRGENDETWAS VON MIR ZU FORDERN! GEH ZURÜCK IN DEIN GRAB, WO DU HINGEHÖRST!“ „Der Pharao hat mich gerufen. Also gehöre ich im Augenblick hierher“ entgegnete Marik mit wesentlich ruhigerer Stimme. Er wollte sich trotz seines Ärgers nicht zu einem Wutausbruch hinreißen lassen. Das war nicht sein Stil. „Und ich denke, es ist nicht zu viel verlangt, wenn auch Ihr mit mir zusammenarbeitet, Sethan. Ich bin hier, um einer Freundin zu helfen und Eure Hilfe wäre dabei ebenso zu erwarten.“ „Du kapierst es nicht, oder?“ fauchte er und krallte seine Finger tief in den dünnen Stoff. Es fehlte nicht mehr viel und er würde irgendetwas zertrümmern. „Wenn ich dir sage, du sollst zurück unter die Erde dann hast du das zu tun.“ „Bei allem Respekt, aber Ihr habt mir nichts zu befehlen.“ „DOCH! DAS HABE ICH!“ „Nein. Die Pharaonen und ihre Hohepriester sind meine Herren. Niemand anderes.“ „ICH BIN HÖHER GEBOREN ALS DIE PHARAONEN! IHR WORT ZÄHLT GAR NICHTS GEGEN MEINES!!! V E R S C H W I N D E E N D L I C H !!!“ Völlig überraschend zog Marik sein T-Shirt aus. Er zog es einfach über seinen platinblonden Kopf und drehte Sethan seinen tätowierten Rücken hin. „Da steht es“ zeigte er mit der Hand auf seine Schulter. „Allein der Pharao gebietet über die Familie. Er ist der Herr des Grabes und der Kräfte darin, der Geister und des Wissens, sowie über die Wächter darselbst. Ich, Marik Ishtar, bin dem Pharao durch Geburt zur Treue bis in den Tod verpflichtet. Ich weiß genau, was in meine Haut gebrannt steht und dort steht nichts von einem höheren Wesen als dem Pharao. Und selbst wenn es eines geben sollte, bin ich noch immer dem Pharao verpflichtet.“ Er drehte sich herum und warf ihm mit Nachdruck sein Shirt vor die Füße. „Ich weiß doch, was da steht und ich weiß auch wie man es deutet. Doch Ihr anscheinend nicht. Dass ich hier vor Euch krieche, tue ich allein aus Respekt und Ehrgefühl. Doch Ihr tretet meine Loyalität mit Füßen. Und ich bin der Meinung, dass ich das nicht verdiene!“ „V E R S C H W I N D E !!!“ Sethan war außer sich. Er riss mit einem Schrei den Vorhang vom Fenster und zertrümmerte damit die Nachttischlampe. Er konnte kaum an sich halten, so wütend war er. Doch nur Seto und Tato spürten, dass es keine Wut war, die ihn befiel. Es war Angst. Unglaublich große, lähmende, grauenvolle Angst. „Marik“ bat Tato und trat mit großer Vorsicht zwischen die beiden. „Vielleicht solltest du jetzt lieber gehen. Bitte.“ „Findest du nicht, dass mir eine Antwort zusteht?“ fragte er ihn nachdrücklich. „Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen. Und wenn ich gemaßregelt werde, dann will ich zumindest wissen wofür.“ „FÜR DEINE EXISTENZ!!!“ Sethan stapfte zu ihm, stieß Tato aus dem Weg und starrte Marik direkt in die Augen. Doch seine Augen waren feucht und sein Gesicht verzogen vor Emotionen, die Marik und jeder andere schnell als Wut deutete. Dabei fürchtete er sich zu Tode. „DU HÄTTEST NIEMALS GEBOREN WERDEN SOLLEN! DEINE EXISTENZ IST EINE SCHANDE FÜR …“ Doch da packte Marik ihn an den Händen und drückte ihn so schnell an die Wand, dass keiner der beiden Priester reagieren konnte. „Was nimmst du dir heraus, du verzogenes Balg?“ „Malik, lass ihn los.“ Tato legte ihm die Hand auf den nackten Rücken, während Seto mit einer deutlich kalten Warnung seine Handgelenke nahm. „Jetzt hör mal zu, du Miststück“ zischte er dem in die Enge Getriebenen mitten ins Gesicht. Sethan hatte nicht die Körperkraft, um sich einem Paket wie Malik zu stellen. Und der ging mit niemandem zimperlich um. „Es ist mir egal, ob du dich König der Götter nennst. So etwas muss er sich nicht von dir sagen lassen. Wenn hier eine Existenz schändlich ist, dann deine. Du bist nur ein keifendes, verzogenes Balg!“ „Malik, es reicht jetzt!“ fuhr Tato nun härter dazwischen. „Lass ihn los oder wir trennen euch.“ Und das konnte sehr schmerzhaft werden. Denn gegen einen Drachen wäre wiederum Malik unterlegen. Nur der war noch nicht fertig mit dem, was er sagen wollte. „Wenn du dich für so edel und hochgeboren hältst, dann benimm dich auch so. Auf seine Diener zu spucken, ist schändlich und alles andere als …“ „MALIK! LOSLASSEN! LETZTE WARNUNG!“ „Wenn ich noch ein Mal mitbekomme, wie du Marik demütigst“ warnte er Sethan, der ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte. „Dann sorge ich dafür, dass du niemals mehr dein Schandmaul gegen irgendwen aufreißt. Haben wir uns verstanden, du Kakerlake?“ „Malik …“ Doch Sethans Wut oder Angst war verschwunden. Tränen rannen über sein Gesicht und seine Züge formten schiere Verzweiflung. „Halte ihn von mir fern. Ich bitte dich. Halte ihn fern. Bitte. Beschütze uns und halte ihn von mir fern.“ „Malik. Lass ihn jetzt los.“ Tato griff mit fester Hand in seinen Nacken und beugte den kräftigen Yamikörper. „Lass ihn los. Sofort. Ich tue dir weh, ich schwör’s dir, Kumpel.“ Endlich stieß der dann Sethan weg und brachte sich selbst in ausreichenden Abstand zu ihm und den beiden Priestern. Doch er blickte das verflennte Häufchen eines Gottkönigs an und wusste anscheinend auch nicht, was er davon nun halten sollte. Eben noch warf er mit Beleidigungen und Gegenständen um sich und dann bettelte er um Hilfe. „Du bist doch nicht normal, Mann“ urteilte er und rieb sich den Nacken. Tato hatte dort ganz sicher mehr als nur einen einzelnen blauen Fleck hinterlassen. „Behandle ihn einfach seinem Stand entsprechend. Sonst kriegen wir Ärger.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und ging aus dem Raum. Tato sammelte den zitternden Sethan vom Boden auf und hielt ihn in den den Armen. Er wollte ihm die Tränen fortwischen, doch Sethan wandte sein Gesicht ab und erledigte das alleine. „Hat er dir wehgetan?“ sorgte Seto sich und kniete zu den beiden herab. „Nein“ antwortete er mit versteckter Stimme und wischte sich mehr verzweifelt als tapfer übers Gesicht. „Alles gut. Ihr könnt wieder ins Bett gehen.“ „Sethan, warum hast du Angst vor Marik?“ „Ich habe keine Angst. Ich kann ihn nur einfach nicht leiden.“ „Sethan, wir sind Empathen“ wirkte auch Tato auf ihn ein und streichelte beruhigend seine Schultern. „Mama und ich, wir spüren, dass du dich fürchtest.“ „Ihr … spürt mich?“ Das verwunderte und schockierte ihn gleichermaßen. Er nahm die Hände herunter und sah erst seinen Großvater, dann seinen Onkel erschüttert an. „Niemand kann mich spüren. Niemand kann in meinen Geist eindringen.“ „Nicht wir dringen in deinen Geist ein, sondern du in unseren“ versuchte Seto ihm zu erklären. Er nahm seine Handgelenke und schloss sanft und kühlend seine Hände darum. Er war ganz heiß. „Sethan, nicht dein Geschrei hat uns geweckt, sondern dein Gefühl. Du hast dich so stark gefürchtet, dass es bis zu uns gestrahlt hat. Was lässt dich so fühlen?“ Doch er schwieg sich aus. Er antwortete einfach nicht. Nein, er blickte seitwärts zu Boden und blieb eine Erklärung schuldig. „Okay, du willst nicht darüber sprechen“ seufzte Tato, schlang seine Arme um ihn und küsste seine Schläfe. „Marik ist niemand, vor dem du Angst haben musst. Er hat keine magischen Kräfte. Und sein Millenniumsglöckchen ist auch keine Bedrohung für dich. Und auch mit seinem großen Wissen kann er dir nicht schaden. Du hast keinen Grund, dich zu fürchten.“ Auch hierauf erwiderte er nichts. Er blieb einfach stumm. Nichts weiter. „Sethan“ versuchte auch Seto es nochmals. „Wir lieben dich. Bitte rede doch mit uns.“ „Bitte erzählt niemandem, dass ich geweint habe.“ Das war seine einzige Sorge. Jedenfalls die einzige, welche er äußern wollte. „Wir wissen, dass auch du nicht immer stark sein kannst“ bat Seto, hob sein Kinn und blickte ihm tief in die feuchten Augen. Sanft und behutsam legte er seine kühle Handfläche an die rotglühende Wange. „Auch wenn du dich für unser aller Schicksal hältst, selbst wenn du es wirklich bist, so musst du dennoch nicht alles allein tragen. Gib uns etwas von deiner Last ab. Wenn nicht um deinetwillen, dann wenigstens um unseretwillen. Lass uns dir helfen. Bitte.“ „Danke, Oma“ flüsterte er. Er legte seine fiebernde Wange in die kühle Hand und fing sich langsam wieder. Auch lehnte er sich zurück und ließ sich von seinem Onkel stützen. „Du bist zu jung, um schon zu verzweifeln“ sprach Tato ihm mit gesenkter, sanfter Stimme zu. „Egal wozu du geboren wurdest, du bist noch immer ein Teil unserer Familie. Und zu sehen wie du dich quälst, ist auch für uns schmerzhaft. Und zu fühlen wie du dich uns entziehst, macht uns Sorgen und bereitet uns Trauer.“ „Ich will niemanden traurig machen. Besonders euch nicht.“ Er atmete langsam und tat dann seine Augen auf. „Deshalb fragt mich bitte nicht weiter. Sonst verliere ich die Fassung.“ „Vielleicht solltest du das ab und zu mal“ lächelte Seto ihm zärtlich zu. „Glaube mir, ich weiß wovon ich rede. Ich bin quasi Meister in peinlichen Gefühlsausbrüchen.“ „Muss in der Familie liegen“ scherzte auch Tato und küsste seinen Neffen. „Sethan, auch wenn du der Mächtigste von uns bist, kannst du dennoch nicht verhindern, dass uns ein starkes Band verbindet.“ „Wer sagt denn, dass ich das verhindern will?“ „Alles an dir“ erkannte auch Seto und strich ihm über den Kopf. „So viel du auch bewirken kannst, du kannst nicht unsere Gefühle verändern. Wir lieben dich. Dagegen kannst du dich nicht wehren.“ „Wir lieben dich seit deiner Geburt. Nein, schon seit du uns prophezeit wurdest“ bekräftigte auch Tato und schmiegte den Kopf an seine Schulter. „Lass lieber zu, dass wir dich lieben. Du weißt, dass wir Drachen sonst sehr ungemütlich werden können.“ „Ja, ich hab’s verstanden. Und jetzt hört auf, mich zu trösten und zu betatschen.“ Langsam wurde ihm das peinlich. Er war ein junger Mann und wurde hier mitten auf dem Boden gekuschelt. Sowas taten auch wirklich nur Drachen ohne Bedenken. „Okay. Und morgen entschuldigst du dich bei Marik“ beschloss Tato, griff ihm unter die Arme und hob ihn völlig problemlos auf die Füße. Dabei war Sethan auch nicht gerade zierlich. „Ich glaube nicht, dass ich das tun werde.“ „Doch, wirst du“ hielt er dagegen und legte den Arm um ihn. „Ihr müsst ja nicht gleich heiraten, aber zumindest solltest du seine Anwesenheit akzeptieren und ihm ein kleines bisschen Respekt entgegen bringen. Er reist doch schon bald wieder ab und dann bist du ihn los. Genieße es lieber, den jungen Marik zu sehen, bevor er alt und schrumpelig wird.“ „Marik ist cooler drauf als du vielleicht denkst“ legte auch Seto ein gutes Wort für ihn ein. „Als ich noch eine halbe Mumie war, hat er sich aufopfernd um mich gekümmert und sich nicht einen Augenblick geekelt. Und als er, Odion und Ishizu meine einzigen Gesprächspartner waren, habe ich viele gute Seiten an ihnen entdeckt. Besonders an Marik. Er ist ein gutes Oberhaupt und handelt sehr weise, obwohl er noch nicht mal 30 Jahre alt ist. Nebenbei finde ich es bewundernswert wie natürlich er sich im Stadtleben verhält, obwohl er größtenteils in einem historischen Grab unter der Erde lebt.“ „Nächste Woche wollen wir zur Eröffnung des neuen Clubs gehen“ erwähnte Tato nochmals extra. „Du solltest dir überlegen, ob du nicht vielleicht doch mitkommen willst. Du musst dich ja nicht mit ihm in die Lounge kuscheln, aber ihm in einer großen Runde mal zuzuprosten, dazu solltest du dich schon herablassen. Allein um ihm ein wenig Respekt für seine Dienste zu zollen. So viel Ehrgefühl traue ich sogar dir zu.“ „Ich stecke mich nicht gern in diese Diener-Meister-Verhältnisse rein.“ „Aber in Familienangelegenheiten bist du verwickelt, da bist du nun mal reingeboren“ meinte Seto. „Und die Ishtars gehören zur Familie. Auch wenn sie nicht mit uns leben, sind sie uns eng verbunden. Wir sollten sie nicht anfeinden. Besonders ihr Oberhaupt nicht.“ „Könnt ihr jetzt mit der Gehirnwäsche aufhören?“ Er richtete sich seinen verrutschten Morgenmantel und fuhr sein hüftlanges, blondes Haar zurück. Seine Strähnen hatten sich verzottelt und er blieb mit den Finger darin hängen. „Du siehst unbegeistert aus“ stellte Tato belustigt fest. „Mama ist ja nicht hier …“ „Bitte?“ Seto blickte beide abwechselnd an. „Habe ich einen Insider nicht mitbekommen?“ „Sethan mag seine langen Haare nicht“ erklärte Tato. „Aber Nini liebt sie. Deshalb lässt er sie nicht schneiden, obwohl sie ihn nerven.“ „Die hat wohl dieselben Flausen im Kopf wie Yugi“ tröstete Seto den haargeplagten Sethan. Er selbst trug ja auch eine Frisur, die er nicht ausstehen konnte. „Ich hätte auch lieber wieder kurzes Haar.“ „Ihr seid aber auch Memmen“ meinte Tato mit verschränkten Armen und modischer Kurzhaarfrisur. „Wenn ihr euch die Haare abschneiden wollt, dann macht es doch einfach. Seid Männer.“ „Und wenn Spatz sagen würde, du sollst sie wachsen lassen?“ bemerkte Sethan. „Das ist nicht nötig. So viele Haare habe ich nicht, dass wachsen sich lohnen würde.“ „Ich meine wachsen im Sinne von Längerwerden. Nicht im Sinne von rausreißen. Sei nicht immer so spitzfindig, Onkel Tato.“ „Ich habe mir noch nie gern was vorschreiben lassen. Wenn ich kurze Haare will, habe ich kurze Haare. Und wenn ich mir nen Bart stehen lasse, dann lasse ich mir einen Bart stehen. Und wenn ich mir die Fingernägel bunt lackiere, dann tue ich auch das. Da kann mein Spätzchen sich auf den Kopf stellen.“ „Ich glaube dir kein Wort“ dachte Seto und sah seinen Enkel an. „Und wir beide gehen morgen zum Frisör. Ob’s jetzt jemandem passt oder nicht.“ „Meinst du? Ich hatte noch nie kurzes Haar.“ „Schiss?“ grinste Tato ihn provokativ an. „Geht so“ seufzte er, wischte sich über die Augen und blickte zu Boden. Als würde er sich schämen, so sprach er nach unten. „Onkel Tato?“ „Was denn? Soll ich die Schere gleich rausholen? Ich ärgere meine Pharaonin Schrägstrich Schwester nämlich nicht gerade ungern.“ „Nein. Ich dachte … es ist mir unangenehm, aber kann ich heute Nacht bei dir schlafen?“ „Klar.“ Er senkte seine Stimme und wurde sofort sehr fürsorglich. Er wusste, dass Sethan so etwas nicht leicht über die Lippen kam. „Willst du in Balthasars freiem Bett schlafen oder bei mir? Oder soll ich hier bleiben?“ „Nein, ich … wenn du hier bliebest …“ „Natürlich. Schlafen kann ich überall.“ „Nur wenn es Spatz nicht stört oder … ihr noch …“ „Quatsch, Sex hätte heute eh nicht mehr stattgefunden. So viel Potenz kann er gar nicht vertragen.“ Und das sagte er so selbstverständlich als würde Yami im Zimmer stehen. „Außerdem schläft meine Tochter im Bett nebenan. Da kann nicht mal ich. Selbst wenn ich wollte.“ Er nahm ihn in den Arm und küsste die Klette in seinem Haar. „Ich bleibe gern bei dir heute Nacht. Soll ich dir eine Geschichte vorlesen?“ „Du sollst mich nur einfach nicht ärgern.“ „Dann sage ich auf dem Rückweg drüben bescheid, dass du ausräumig nächtigst“ nickte Seto und küsste Sethans Stirn. „Und wenn du etwas brauchst, dann rufst du, okay?“ „Mache ich. Danke, Oma.“ „Ab morgen darfst du wieder Seto zu mir sagen.“ Das Oma wollte ihm nicht so recht schmecken. Er trug keine Perlenketten und so tief waren die Falten auch noch nicht. Außerdem fehlten Einkaufstasche, Gesundheitsschuhe und Blumenbluse. Er fühlte sich nicht wie eine Oma. „In Ordnung, Oma.“ „Dein Onkel hat einen schlechten Einfluss auf dich“ argwöhnte er und zog die Augenbraue hoch. Auch wenn ihm nicht nach Scherzen zumute war, wollte er jetzt nicht weiter darauf herumreiten. Sethan schien außer der Weltrettung noch ein ganz anderes Problem zu haben. Nämlich sich selbst. Und in seinen Gedanken bemerkte Seto gar nicht wie er auf dem Rückweg Yamis Haarbürste in den Schuhschrank legte … Chapter 22 „Du pennst ja noch!“ Als Tato am nächsten Morgen ins Zimmer kam, lag Phoenix langgestreckt im Bett und ließ sich die Sonne auf den Rücken scheinen. „Dicker, es ist nicht mal sieben Uhr“ murmelte er müde. „Es ist keine Schande, noch im Bett zu liegen.“ „Du bist hier, um die Welt zu retten und nicht, um Urlaub zu machen. Los, sei ein Medium und steh auf.“ Er zog ihm die Decke vom Arsch, aber Phoenix zog dafür nur das Kissen über den Kopf. Er wollte noch nicht aufstehen. „Musst du so gute Laune haben?“ „Ist das verboten?“ „Sollte es werden.“ „Wo ist meine Tochter?“ „Bad.“ „Du bist ja muffeliger als ich. Soll ich dich mit einem Lied erfreuen?“ „Nein. Danke.“ „Guten Morgen liebe Sorgen!“ „Ich schlafe noch, Mann!“ schimpfte er, zog das Kissen beiseite und sah ihn verstimmt an. „Warum ärgerst du mich?“ Und mit einem Grinsen erwiderte er: „Weil du dich so schön ärgern lässt.“ „Bah!“ Er steckte den Kopf wieder unters Kissen und beschloss, ihn einfach zu ignorieren. Ein Drache mit guter Laune war noch schlimmer als einer mit schlechter Laune. Dafür spürte er wie Tato sich auf die Matratze neben ihn setzte, sein sonnengewärmtes Schlafshirt hochschob und ihm einen feuchten Kuss auf den nackten Rücken knutschte. „Wir schwingen unser linkes Bein behände aus dem Bett, der Bettvorleger gibt uns Schwung bis direkt vors Klosett. Na, wo wir schon mal da sind, da bleiben wir auch hier … Wooaah! Fertig! Wo ist das Papier?“ „Asato“ maulte es irgendwo unter dem Kopfkissen. „Muss das sein?“ „Ja, es muss. Ich singe bis du aufstehst.“ „Und denkst, ich gebe jetzt nach, ja?“ „Wenn ein Tag so wunderschön beginnt, ist alles drin. Heute bleibt die Dusche kalt, das Wasserrohr ist hin. Wir gleiten auf den Fliesen aus und prellen uns den Steiß. Als Krönung schmeckt der Kaffee heute irgendwie nach Schweiß.“ „Diiiiicker“ seufzte er leicht bis mittelmäßig genervt. Musste seine volltonige Stimme so einen nervigen Unsinn von sich geben? „Ja, mein Schschschschpatz?“ Man hörte das Grinsen in seiner Stimme und dass er provokativ über seine Wirbelsäule leckte, machte die Stimmung nicht besser. Wenn Phoenix nicht genau wüsste, dass da definitiv KEIN Schokoladenüberzug auf seinem Rücken wäre … es fühlte sich an als würde der Drache ihn gleich weglutschen wollen. „Dicker, sag mal?“ Was anderes fiel ihm nicht ein. Nur nach dem Sex fiel der Gute meist schnell in einen komatösen Schlaf. Yami und Yugi hatten beide bestätigt, dass das ne Drachenkrankheit war. Sex wirkte narkotisierend. Und er wusste nicht, wie er sonst in absehbarer Zeit ausschlafen konnte. „Gibst du Ruhe, wenn ich dich mit Sex betäube?“ „Nur wenn du mich das noch mal vor allen Leuten fragst.“ Das würde er natürlich nicht. Deshalb lüpfte er das Kissen und blinzelte ihn aus dem Dunkeln heraus an. „Die Zeitung ist geklaut - was soll‘s, die schreiben eh nur Dreck. Ein Zettel auf dem Tisch - für mich? Aha, mein Freund ist weg. Mit meinem Auto, meinem Geld - das nennt der nu Liebe. Die Porno-Sammlung hat er auch, Gelegenheit macht Diebe.“ „Du hast doch gar keine Porno-Sammlung.“ „Meinst du! Guten Morgen liebe Sorgen, seid ihr auch schon alle da? Habt ihr auch so gut geschlafen? Na, dann ist ja alles klar! Guten Morgen liebe Sorgen …!“ „Ah! Hör auf, mich abzulecken!“ Jetzt leckte er sich auch noch bis unter die Gürtellinie. Das musste ja nun wirklich nicht sein. „Dicker, Finger weg!“ „Komm schon, Kleiner. Steh auf und kümmere dich um mich.“ „Wer von uns beiden ist hier in der Pubertät, ha?“ Doch als die Hände nun auch noch seine Unterwäsche herunterschoben und eine freche Zunge zwischen die beiden Bäckchen fuhr, drängte sich ein unheilvoller Verdacht auf. Tato hatte morgens niemals gute Laune. Das war total untypisch. Total untypisch … bis auf einen einzigen Tag alle vier Wochen. Und das bedeutete, dass diese gute Laune auch ganz leicht umschlagen konnte. „Dicker …?“ „Jaaaaaa, mein Zuckermuffin?“ Er saugte sich an seiner Arschbacke fest. Das würde einen richtig schönen Fleck geben. Und Phoenix traute sich nicht wirklich zu fragen. Das konnte seine gute Laune nämlich leicht verhageln. Und dennoch … „Dicker, welche Mo…“ Pling! Pling! Pling! Gerettet wurde er von einem piependen Handy, welches irgendwo auf dem Nachttisch lag. Das lenkte die Aufmerksamkeit des Drachen ab und ehe Phoenix es sich versah, wurde von ihm abgelassen und das nervende Ding gesucht. Tato fegte die leere Wasserflasche herunter, nebenbei auch die Brille und hatte endlich das Handy in der Hand. „Wer schreibt dir denn, Spatz? Dein Lover? Betrügst du mich?“ „Unsinn. Leg das Handy zurück. Das ist …“ Er konnte ja nicht ahnen, dass Sareths Handy in Reichweite lag. Wahrscheinlich hielt er es für das seines Geliebten - es war jedoch das seiner Tochter. Und die SMS las er auch mit stetig veränderndem Gesichtsausdruck. >He babe hast du gut geschlaafen? Brinkst du mich heute zu schule? Hol dich gleich ap. Kuss Edith.< „Leg das Handy hin. Das ist Saris!“ Phoenix hatte sich unter Tatos Arm endlich soweit aufgerichtet, dass er ihm das Ding wegnehmen konnte. „Man liest keine fremden SMS.“ „Die ist von dem Spasti“ zeigte er auf das Handy und zog die Augenbrauen zusammen. Spätestens jetzt kam der gefürchtete Stimmungsabfall. „Das ist doch egal. Lass Saris …“ „Wer redet über mich?“ Genau die kam gerade aus dem Badezimmer. Sehr süß sah sie aus mit einem kniefreien, roten Sommerkleid und lockenstabgeformten Strähnen. Anscheinend hatte sie sich etwas herausgeputzt, denn sonst scherte sie sich wenig um ihre Frisur und heute hatte sie sogar Löckchen. Sie bemerkte mit einer leichten Rötung, dass Phoenix sich schnell die Unterwäsche hochzog, bevor sie etwas anderes merkte. „Was macht ihr mit meinem Handy?“ „Du hast ne SMS bekommen“ antwortete Papadrache mit tiefschwarzem Unterton. „Oh. Okay.“ Sie tat ganz ahnungslos und wollte es von Phoenix zurücknehmen, doch Tato funkte dazwischen, schnappte es sich und las laut vor: „Hey Babe, hast du gut geschlafen? Bringst du mich heute zur Schule? Hole dich gleich ab. KUSS, EDITH! Was schreibt der Spasti dir für Nachrichten?“ „Edith ist kein Spasti, Papa. Warum liest du meine SMS?“ „Das ist doch egal. Was sind das für Sachen, die er da schreibt?“ „Das geht dich gar nichts an. Das ist meine Privatsphäre.“ „Du bist zwölf! Du hast keine Privatsphäre! Besonders nicht mit dem!“ „Papa! Verdammt noch mal!“ Sie streckte die Hand aus, doch er war immer noch größer und so bekam sie ihr Handy nicht leicht zurück. „Gib’s mir zurück!“ „Erst will ich eine Erklärung. Was geht da zwischen euch?“ „Gar nichts geht da! Gib mir mein Handy zurück!“ „Ich bin dein Vater! Ich habe ein Recht darauf, zu wissen, mit wem du dich triffst.“ „PAAAPAAA!“ schrie sie jetzt mit hochrotem Gesicht. Sie wollte ihm eigentlich nicht auf diese Weise sagen, dass sie einen Freund hatte. Sie wusste wie er reagieren würde. Außerdem gingen ihn ihre SMS gar nichts an! „Schrei mich nicht an, junge Dame!“ „Dicker, komm schon“ versuchte es auch Phoenix. Er stand dafür sogar auf und griff seinen Arm. „Gib ihr das Handy zurück.“ „Und dazu noch so eine miese Rechtschreibung. Was willst du mit dem Dummbatz? Kriegst du keinen mit mehr Intellekt?“ „Ich bin froh, dass Edith überhaupt so gut schreiben kann!“ schimpfte sie und drehte sich um, griff ihre Kniestrümpfe und setzte sich aufs Bett. „Was bitte soll das heißen?“ „Edith hat sein Handy erst seit gestern“ erklärte sie, während sie ihre hübschen Beine bedeckte. „Aber er kann schon richtig gut SMS schreiben. Du hast keine Ahnung wie schwer das für ihn ist. Er gibt sich sehr viel Mühe mit allem.“ „Ist der dumm im Kopf oder was?“ „Nein, Edith strengt sich sehr an und lernt ganz viel! Er ist sogar sehr intelligent! Du bist ungerecht!“ „Ich und ungerecht? Das ist der denkbar schlechteste Umgang für dich!“ „Edith ist ein feiner Kerl!“ verteidigte sie ihn und stampfte zu ihren Schuhen rüber. „Was hast du vor?“ „Ich begleite Edith zur Schule. Das habe ich vor.“ „Du tust gar nichts!“ „Und wie ich das tue! Pass nur auf!“ „Sareth Muto! Du bleibst gefälligst hier!“ Und mit einem Windstoß hatte er ihr die Sandalen aus den Händen gefegt. Nun stapfte er selbst zu ihr und blickte wütend herab. „Du hältst dich von diesem Sozialfall fern. Und mach dir ne anständige Frisur und zieh dir was richtiges an. Du siehst nuttig aus!“ „Du kannst mir gar nichts verbieten!“ „Und wie ich das kann! Pass nur auf!“ Und Phoenix schlug sich die Hände vor die Stirn. Das konnte ja was werden mit den zwei Dickköpfen und er mittendrin. „Fein! Dann gehe ich eben barfuß!“ Entschieden zog sie sich die Strümpfe von den Füßen, schmiss sie ihrem Vater hin und streckte die Hand nach oben. „Und jetzt hätte ich gern mein Handy zurück.“ „Das ist konfisziert.“ Und verschwand vollends in seiner Faust. „Das bekommst du erst wieder, wenn du den Spasti zum Teufel gejagt und dich richtig angezogen hast.“ „Edith ist kein Spasti. Er ist ein aufrichtiger und lieber Junge und hat keine unlauteren Absichten. Ich bringe ihn nur zur Schule und vielleicht hole ich ihn auch wieder ab. Und dann gehen wir ein Eis essen und machen all die schlimmen Sachen, die Jugendliche nun mal machen. Nämlich in die Bücherei gehen und vielleicht dann noch ein bisschen auf der Parkbank rumsitzen. Oder Schock! Vielleicht halten wir sogar Händchen! OH DEIN GOTT!“ „Und kommst schwanger nach hause und dann?“ „Vom Eisessen oder Händchenhalten wird man nicht schwanger. Ich könnte gar nicht schwanger werden, denn ich habe noch nicht mal meine Periode!“ „Das wird dem aber ziemlich egal sein.“ „Weißt du was?“ zischte sie zu ihm machte dann eine merkwürdige Geste mit der linken Hand. Es sah aus als wolle sie ihre süßen Locken eindrehen. „AUA!“ Doch stattdessen schlug Tato sich an den Hals und sah ein fettes Insekt zur Tür fliegen. „Davon fliegen noch mehr draußen rum“ drohte sie, hüpfte hoch und hatte sich im unbeobachteten Moment ihr Handy geschnappt. „Du redest mit Mücken?“ „Das war ne Pferdebremse, du Hohlkopf. Als Strafe, dass du so mies über meinen Schatz herziehst.“ „DEINEN WAS?!“ „Ich würde mal Onkel Moki besuchen. Bremsenbisse können nämlich sehr schmerzhaft sein und anschwellen. Guten Morgen, Vater.“ Er war so was von perplex, dass er die Herrin der Fliegen nicht daran hinderte, die Tür aufzumachen und wütend hinter sich zu zu knallen. Und da stand er nun. Der Papadrache. Von ner Pferdebremse gebissen und seiner Autorität beraubt. Mit einem denkbar enttäuschenden Schwiegersohn in spe. „Ich glaube“ bemerkte Phoenix vorsichtig, „jetzt sind wir zu zweit in der Pubertät.“ „Komm mir nicht mit Pubertät.“ Er rieb seinen anschwellenden Bremsenbiss und trat beleidigt die Strümpfe aus seinem Weg. Jetzt war seine gute Laune definitiv hinüber. Schmollend plumpste er auf den Sessel, lehnte den Kopf zurück und stierte an die Decke. Das musste er jetzt erst mal verarbeiten. Phoenix hob die dünne Sommerdecke vom Boden auf, wickelte sie um seinen schmalen Körper und setzte sich behutsam zu seinem Drachen auf die Lehne. Jetzt stand ihm seine erste Drachenbesänftigung bevor. Er war sein Partner und fühlte sich nun dafür zuständig. Früher hatte er ihm zwar auch mal die Meinung gesagt, aber das war etwas anderes. Da ging es nicht um solche Sachen. Nicht um so private, tief persönliche und einschneidende Sachen. Sareth hatte ihrem Vater noch niemals die Stirn geboten. Sie hatte immer auf seine Trauer und seinen Stolz Rücksicht genommen. Doch nun setzte sie sich durch und das war eine neue Situation für ihn. Und Phoenix wollte nicht darin versagen, ihm richtig beizustehen und ihn bei dieser Umstellung zu unterstützen. Seine Tochter war noch immer sein Lebensinhalt und alles, was ihm von seiner geliebten Frau geblieben war. Natürlich wollte er sie nicht loslassen. Doch nun wollte Phoenix ihn erst mal milde stimmen und ihm dann ruhig ins Gewissen reden. Wenn das zur Mondphase überhaupt möglich war. „Möchtest du Kaffee, Dicker?“ „ … “ Das hieß dann wohl nein. Und die arme Zimmerdecke stand bei seinem dunklen Blick sicher Todesängste aus. „Oder eine Zigarette?“ „ … “ Na, super. Das konnte schwierig werden. „Kann ich irgendetwas tun, um deine Stimmung aufzuhellen?“ „Blas mir einen.“ „Ähm …“ So hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt. „Dann lass mich einfach.“ „Hey, komm schon.“ Er nahm seinen Mut zusammen und vertraue darauf, dass ihm schon nichts passierte. Keine Angst vor großen Tieren. Er rutschte von der Lehne auf seinen Schoß, griff sich den muskulösen Arm und legte ihn um seine Taille. „Sei nicht böse. Rede mit mir.“ „Du spielst gern ein doppeltes Spiel, was?“ Er funkelte ihn mit seinen stürmisch blauen Augen an und kräuselte die Stirn. „Warum sagst du so was gemeines?“ „Du hast doch gewusst, dass sie sich mit dem Spasti trifft.“ „Wie …?“ „Ihr redet doch über alles. Habt ihr schon immer. Du bist ihr gegenüber also loyaler als mir. Gut zu wissen.“ „Jetzt sei nicht sauer auf mich.“ „Bin ich aber. Du hättest es mir sagen müssen.“ „Bitte, lass uns nicht streiten.“ „Ich bin nicht derjenige, der Geheimnisse hat.“ Er wandte den Blick zur Seite und war jetzt einfach beleidigt. Da halfen auch keine guten Worte mehr. Phoenix seufzte und lehnte sich an Tatos Schulter. Wie konnte er ihn jetzt dazu bringen, nicht auch noch sauer auf ihn zu sein? Reichte doch, wenn er sauer auf Sareth war. So kamen sie ja nicht voran. „Na gut“ beschloss er geknickt, stand von dem gemütlichen Schoß auf, warf die Decke fort und zog sich eine Jeans über. Sein Drache gab sich ignorant und schien wenig dagegen zu haben, wenn er jetzt ging. Aber solange er brav dort sitzen blieb, war Phoenix das auch ganz recht. Er knöpfte sich die Hose zu und verließ nebenbei das Zimmer. Er musste irgendwas zur Bestechung suchen. Kleine Friedensgeschenke. Den Tipp hatte er sich von Yugi abgeschaut. Der kam auch mit kleinen Gaben, wenn Seto am Schmollen war. Im Restaurant saßen schon die ersten Gäste. Ein paar Schüler hatten sich an einem Tisch versammelt, aßen belegte Brötchen und schrieben nebenbei ihre Hausaufgaben ab. Phoenix ließ sie links liegen und erlaubte sich Eintritt in die Küche. Dort stand doch tatsächlich Sareth am Herd und drehte irgendetwas in einer Pfanne um. „Na?“ grüßte er mitleidig und schaute, was sie dort tat. „Du machst Pfannkuchen?“ „Pancakes. Für Edith“ antwortete sie. „Und schmollt er noch?“ „Hast du ne Ahnung. Jetzt ist er auch noch sauer auf mich, weil ich ihm nichts gesagt habe.“ „Das tut mir leid. Ich wollte dich da nicht mit reinziehen.“ „Ach was. Der regt sich schon wieder ab, aber schneller geht’s mit Hilfe“ meinte er und sah sich um. „Ist schon Kaffee fertig?“ „Hinten“ zeigte sie, stürzte den Pfanneninhalt auf einen Teller und füllte erneut Teig ein. Phoenix nahm sich einen der großen Becher und goss ihn mit dampfendem Kaffee voll. Das war doch schon mal ein Anfang. „Spatz?“ „Ja?“ „Meinst du, ich war zu hart zu ihm? Hätte ich vielleicht subtiler reagieren sollen?“ „Vielleicht. Aber anders kapiert er’s ja nicht.“ Sie schien nicht glücklich damit zu sein. Sie stritt sich nicht gerne. Besonders nicht mit ihrem geliebten Papa. „Aber ich muss den Dicken in Schutz nehmen. Die SMS hat er nicht absichtlich gelesen.“ „Nicht?“ „Na ja, absichtlich schon. Aber ich glaube, er hielt das für mein Handy.“ „Der ist vielleicht doof“ seufzte sie und drehte den zweiten Pancake um. „Ich habe doch Steinchen auf meinem Handy und du nicht. Das weiß er auch.“ „Vielleicht hat er’s nicht gesehen. Morgen ist Vollmond und du weißt, dass seine sieben Sinne da verrückt spielen.“ „Ja, besonders der siebte.“ Das schien ihr Entschuldigung genug zu sein. „Spatz, sag mal. Soll ich dann heute Nacht lieber woanders schlafen?“ „Du meinst, weil er vielleicht …?“ Unangenehm! Es stimmte zwar, dass er und Sareth immer alles miteinander besprachen. Schon seit Kindesbeinen tauschten sie ihre Geheimnisse. Auch wenn Phoenix sich für die Jungenseite entschieden hatte, war er Sareths beste Freundin. Aber ob das jetzt auch noch galt, wo sie irgendwie in einer Stief-Verbindung standen? Wahrscheinlich kam es beiden merkwürdig vor, dass der Drache nun nicht mehr der Papa für beide war, sondern für einen von ihnen der Partner. „Genau deswegen“ nickte sie. „Das wäre die erste Mondphase, die er mit dir verbringt. Ich würde da nur ungern stören.“ „Ja … darüber muss ich auch noch mit ihm reden. Oh je.“ Er stellte den Becher auf die Arbeitsplatte und setzte sich daneben. „Ist dir das unangenehm, wenn wir über so etwas zusammen reden?“ „Es ist ein bisschen komisch, dass mein Papa jetzt dein Liebhaber ist. Aber für mich ist das kein Problem. Ich bespreche auch weiter private Sachen mit dir, denn ich weiß, dass du mir nicht in den Rücken fällst. Wenn das für dich auch okay ist.“ „Natürlich …“ „Also? Soll ich nun lieber woanders unterkommen? Du musst es nur sagen.“ „Um ehrlich zu sein … ich weiß gar nicht, ob ich mich schon sicher genug fühle. Ich meine ... wenn er nun … du weißt schon …“ „Aber ihr habt doch schon. Oder etwa nicht?“ „Natürlich. Aber Vollmond ist was anderes. Ich weiß nicht, ob ich … ich weiß nicht, ob ich da mithalten kann. Mir ist das ein bisschen unheimlich, weil ich nicht weiß wie sehr sich sein Verhalten ändert. Ich habe ein bisschen Angst vor ihm. Aber ich weiß nicht, ob ich ihm das sagen sollte.“ „Solltest du. Geht doch nicht anders.“ Sie stürzte den zweiten Pancake auf den Teller und machte sich an den dritten. „Wenn du’s ihm nicht sagst, fällt er vielleicht über dich her. Und hinterher tut’s ihm dann leid.“ „Ja, vielleicht …“ „Du hast gewusst, dass er kein gewöhnlicher Mann ist.“ Sie wandte den Blick über die Schulter und seufzte ihm verständig zu. „Da hast du dir was eingebrockt, was?“ „Ich liebe ihn ja. Aber … ich weiß auch nicht. Ist das feige von mir?“ „Morgen, Kinder.“ Seto kam herein. Fertig in Anzug und Krawatte, geduscht, gestriegelt, gezopft und einer morgendlichen Zigarette im Mund. Ungewöhnlich wach für diese Uhrzeit. „Morgen“ antworteten beide im Chor. Er ging gezielt zu einem der Hängeschränke, aber stutzte davor, nahm die Zigarette zwischen die Finger und sah die beiden an. „Mein Thermobecher?“ „Hannes hat umgeräumt“ half Phoenix und wies nach rechts. „Drei Schränke weiter.“ „Hrm.“ Also versuchte er dort sein Glück und fand einen schwarzen Halbliterbecher mit Trinkverschluss. Das silberne Herz war mit Nagellack aufgemalt und sah sehr kindlich aus. Da hatte Nini sich dran versucht und für Papa seinen liebsten ‚Lieblings-Kaffee-ins-Büro-mitnehm-Becher‘ bemalt. Den Kaffee fand Seto dann aber immer noch selbst und goss seinen Becher randvoll. „Habe ich euch gestört?“ Die beiden waren verstummt seit er da war. Das fiel sogar ihm auf. „Nein, sorry“ lachte Phoenix verlegen. „Du hast doch was.“ Seto entging seine angespannte Äußerung nicht. Da er ohnehin noch etwas Zeit hatte, stellte sich neben Phoenix und nahm die Pancakes auf der anderen Seite der Küche ins Visier. „Was ist los? Irgendwas stimmt doch hier nicht.“ „Ich hatte eine Kontroverse mit Papa“ erzählte Sari und legte den mittlerweile vierten Pancake auf den Teller. „Edi hat mir eine SMS geschrieben, er hat sie gelesen und ist total ausgeflippt.“ „Und?“ „Und ich irgendwie auch. Er unterstellt mir, dass ich mich schwängern lasse und nennt ihn einen Spasti et cetera. Ich finde, er ist ungerecht und vergreift sich im Ton.“ „Wahrscheinlich macht er sich nur Sorgen“ mutmaßte Seto und zog mit eindeutig hungrigen Augen an seiner Zigarette. Die Pancakes rochen gut und sahen lecker aus. Ob sie ihm davon etwas abgab? „Trotzdem.“ Und sie sah den hungrigen Blick hinter sich gar nicht, war so beschäftigt mit der Pfanne. „Er tut so als würde ich sofort heiraten und auswandern und irgendwo in einem Wohnwagen nen Haufen ungebildeter Sozialhilfeempfänger großziehen. Er ist vollkommen irrational.“ „Vaterliebe ist niemals rational“ meinte er, griff über Phoenix und nahm sich einfach den Becher mit Kaffee. Seinen wollte er ja ins Büro mitnehmen, musste folglich einen anderen trinken. „Vielleicht solltet ihr euch nach Vollmond noch mal vernünftig unterhalten.“ „Kannst du nicht ein gutes Wort für Edith einlegen? Auf deine Meinung gibt er wenigstens was.“ „Ich weiß nicht, Schatz. Ich kenne Edith ja kaum.“ Er trank den Becher leer und zog an seiner Zigarette. Was er aber eigentlich haben wollte, wurde soeben mit Nutella bestrichen und in eine Tupperdose gelegt. „Sari?“ lächelte Phoenix freundlich. Sie drehte sich zu ihm um und er nickte vielsagend auf den rauchenden Kaffeedieb. Bestechung lohnte sich! „Oma, möchtest du auch einen Pancake haben?“ „Nenn mich nicht Oma.“ Aber sein Blick gab eine deutliche Antwort. Also bestrich sie den nächsten ebenfalls mit Nutella, klappte ihn zusammen, legte eine Serviette darum und brachte ihm ihr Bestechungsgeschenk. „Du redest doch mit Papa, oder?“ Er stellte den leeren Becher fort, griff das Geschenk, zögerte nicht lange und biss sofort in den weichen Teig, kaute langsam und sah sehr zufrieden aus. Drachenfütterung erfolgreich. „Und schmeckt gut?“ „Yummy yummy“ schmatzte er und nahm noch einen Bissen. Sie kehrte zu ihrer Küchenarbeit zurück, aber er nahm seinen Part auch wahr. „Okay, ich werde mal mit deinem Papa sprechen. Bring Edith doch übermorgen mal ganz unverbindlich zum Grillen mit.“ „Edith isst aber kein Fleisch. Er ist auch Vegetarier.“ „Sari, es geht ja nicht ums Essen“ half Phoenix aus. „Oder meinst du, dass wir vegetarisch kochen müssen, damit er uns besucht?“ „Nein. Wenn ich ihn bitte, wird er ganz bestimmt kommen. Ich bin nur etwas durch den Wind.“ Den nächsten Pancake bestrich sie mit Kirschmarmelade. „Ich hoffe, dass die beiden sich bald besser verstehen. Dieses Versteckspiel macht mir nicht wirklich Spaß.“ „Du bist ziemlich reif für eine Zwölfjährige“ bemerkte Seto und und steckte sich das letzte Stück in den Mund. Diese leckeren Dinger waren einfach zu klein. „Musst du jetzt auch damit anfangen? Ich werde nicht schwanger! Ich habe noch nicht mal einen Eisprung!“ „Ich meinte nicht deine körperliche Reife, sondern deine geistige“ erklärte er ganz ruhig und gelassen. „Mir brauchst du deine Vernunft nicht beweisen. Ich rede dir nicht aus, in wen du dich verliebst. Aber gibt es nicht auch etwas anderes, worüber du dir Gedanken machen solltest?“ „Und das wäre?“ „Euer Altersunterschied. Und ich meine nicht nur die momentan drei Jahre.“ Er meinte den Unterschied einiger Jahrzehnte, der sie trennte. Wenn Sareth geboren wurde, wäre Edith bereits ein reifer Mann. Und wenn sie ein Teenager war, war er schon fast Rentner. Das war es, worüber sie sich eher Gedanken machen sollte. Dass er auf ihre Geburt wartete, war mehr als unwahrscheinlich. „Und du?“ schaute er zu Phoenix. Es war deutlich, dass Sareth hierüber nachdenken musste. Auf jeden Fall würde sie darauf so schnell nicht antworten und drängen wollte Seto sie auch nicht. Edith schien ja ihre große Liebe zu sein und an eine Trennung zu denken, war schmerzhaft. Dieses Thema musste man behutsam angehen und nicht mit dem Brecheisen. „Was ich?“ Er legte die Serviette beiseite und rauchte gelassen seine Zigarette weiter. Von der Fensterbank hinter sich nahm er einen Aschenbecher und schnippte die Asche ab. „Was ist mit dir, Spatz? Du siehst auch aus als hättest du etwas auf dem Herzen.“ „Bist du jetzt unter die Hobbypsychologen gegangen?“ lachte Sareth und machte mit dem nächsten Pancake dann auch die Dose voll. „Ich habe nur zu viel Zeit bis der Köter auch endlich mal antrabt. Und ihr seht aus als bräuchtet ihr Hilfe von einem Erwachsenen.“ „Du und erwachsen, Oma?“ „Ha ha.“ Sehr lustig. Wirklich. „In der Tat. Vielleicht kannst du mir helfen“ nickte Phoenix. „Es ist mir etwas peinlich, aber … morgen ist ja Vollmond.“ „Wie jeden Monat. Na und?“ „Na, dieses Mal …“ „Mann, Seto“ schlug Sareth sich an die Stirn. „Denk doch mal erwachsen.“ „Oh.“ Nun wurde er rot im Gesicht. „Ach so … das.“ „Ja, ach so das.“ „Und ich weiß nicht, was ich machen soll“ stammelte Phoenix und baumelte verlegen mit den Beinen. „Ich liebe ihn ja, aber ich weiß nicht, ob ich ‚dafür‘ bereit bin.“ „Aber … ihr habt doch schon. Oder nicht?“ „Warum fragen mich das alle?“ „Ja, haben sie“ half Sareth. „Aber du weißt selber wie ihr brunftigen Drachenbullen dabei abgeht.“ „Könntest du bitte eine Formulierung finden, die weniger nach Narla klingt? Frau Drachenweibchen?“ „Ich kann nur verstehen, dass Spatz sich davon eingeschüchtert fühlt.“ „Ich bin da nicht so gut drin. In solchen Sachen“ entschuldigte er und kratzte sich ebenso verlegen am Kopf. „Vielleicht solltet ihr das mit Onkel Noah besprechen.“ „Aber du weißt doch, wie man sich dabei fühlt“ bat Phoenix. Er wollte dieses Problem nicht bei jedem in der Familie breittreten. „Würdest du dich beleidigt fühlen, wenn Yugi … na ja … wenn er nicht so recht will?“ „Wenn er sich ‚drücken‘ würde“ ergänzte er und rauchte an seinem immer kleiner werdenden Stummel herum. „Ein Mal war Yugi von einer Erkältung geschwächt. Da hat er mir einfach gesagt, dass er es den Monat nicht schafft. Also haben wir’s gelassen. Ich war nicht beleidigt. Eher im Gegenteil.“ „Im Gegenteil?“ „Ich fände es traurig, wenn Yugi sich nur um mich kümmert, weil er muss. Ich würde nicht wollen, dass er sich zu ‚so etwas‘ verpflichtet fühlt. Da ist es mir lieber, wenn er mir ehrlich sagt, ob er will oder nicht. Er sollte wollen und nicht müssen. So.“ „Du meinst, ich soll es ihm sagen, dass ich … ich will ja, aber jetzt noch nicht. Ich habe ein bisschen Angst, wenn er … na ja … die Kontrolle verliert.“ „AH! Vollmondgespräche!“ Yami kam in die Küche getanzt. Er sah jedoch nicht aus wie frisch aufgestanden, sondern eher wie gar nicht ins Bett gegangen. Doch sonderlich müde schien er auch nicht, denn er bediente sich sofort an dem Aufschnitt, den Hannes auf einem Tablett hinter der Tür angerichtet hatte. „Kann ich helfen?“ „Du ganz sicher nicht“ brummte Seto. Yami sprach ihm das zu offen aus. „Lass mich raten.“ Er rollte ein paar Scheiben Schinken zusammen und kaute glücklich darauf herum. „Dado würd rollich un Spatsch kriescht Angscht. Richtich?“ „Treffer versenkt“ seufzte Phoenix. „Seto meint, ich soll es ihm sagen und kneifen.“ „Das hat mit Kneifen nichts zu tun, mein Süßer.“ Er blieb gleich beim Tablett stehen und pickte die besten Stücke heraus. Der erste Happen war nur die Probe, ob die Sachen so lecker waren wie sie aussahen. „Seto, sorry wenn ich das jetzt mal frei ausdrücke.“ „Als würde dir was leidtun.“ „Tato ist ein ausgewachsener Drachenbulle“ sprach Yami ungerührt weiter. „Er hat sowieso schon starken Nachholbedarf. Jetzt stell dir mal vor, der wird rollig. Der arme Kerl weiß doch gar nicht wohin mit seinen Gefühlen. Oh Salami! Und dann kommt da ein schmächtiges Bürschchen wie du daher. Du hast ihm doch gar nichts entgegen zu setzen. Ich will dir ja keine Angst machen, aber wenn er richtig in Fahrt kommt, kann er dich durchaus schwer verletzen. „Meinst du?“ „Also, mein Drache hat mir mal ne Rippe gebrochen.“ „So schlimm ist das ja nun auch nicht“ intervenierte Seto beschämt. „Es ist ja nicht so als würden wir gar nichts mehr mitkriegen.“ „Das sage ich auch nicht. Aber du kannst nicht leugnen, dass ihr eure Kraft nicht immer richtig einschätzen könnt. Oder hat Yugi dich noch nie gepackt und ruhig gestellt?“ „Ich … nein! Hat er nicht!“ „Du bist so ein schlechter Lügner, Engelchen“ schmunzelte er und schob sich eine zusammengerollte Schinkenscheibe in den Mund. Man sah es an Setos Nasenspitze, dass er log. Nein, er log nicht. Er wollte es nur nicht zugeben, dass er sich nicht immer unter Kontrolle hatte. „Schpatsch, schauma. Dasch had mid Gneifen niksch schu tun.“ Schluck. „Es ist ganz normal, dass man vor einem Kerl wie Tato Respekt hat. Mit seiner Kraft und der überschüssigen Energie kann er schon ziemlich einschüchtern. Ich will nicht sagen, dass er dir notgedrungen wehtut, aber es kann passieren, dass er deine Einwände als Spiel versteht und anfängt, mit dir Katz fängt Vögelchen zu spielen. Und dann ziehst du den Kürzeren.“ „Also …“ Diese klaren Worte machten Phoenix traurig. „Das klingt, als wäre ich nicht der Richtige für … diese Sachen.“ „Für Mondsex“ brachte er es klar auf den Punkt und steckte sich ein kleines, rohes Würstchen in den Mund. „Ich bin schon ziemlich enttäuschend für ihn, oder?“ „Nein, verstehe mich nicht falsch. Ich war noch nicht fertig.“ Und Seto blickte auf die Uhr. Hoffentlich war Joey gleich fertig, damit er endlich ins Büro fahren konnte und Yami nicht mehr bei seinen zwar treffenden, aber auch peinlichen Erklärungen lauschen musste. Er stellte lieber den Blumentopf ins Regal zu den Gläsern und lauschte dem seelenruhigen Monolog des alten Pharaos. „Ich an deiner Stelle würde auch nicht sofort die Mondphasen mit ihm verbringen. Und jetzt kommt mein Rat an dich, Spätzchen. Du solltest erst mal lernen wie man einen Drachen hinlegt und dann kannst du auch deinen Spaß mit ihm haben.“ „Wie hinlegen? Ich kann ihm doch keine K.O.-Tropfen untermischen oder einen Elektroschocker mit ins Bett nehmen.“ „Du hast ja lustige Ideen.“ „Ati, das war ein Beispiel.“ „Ja ja. Aber wenn du weißt, wo du hinlangen musst, kannst du ihn auch mit ganz wenig Körpereinsatz an dummen Aktionen hindern. Seto ist weitaus kräftiger als ich, aber wenn ich wollte, könnte ich ihn jetzt sofort mit zwei Handgriffen auf den Boden legen.“ „Was wir hier nicht ausprobieren wollen“ wehrte der sofort ab. Soweit kam das noch, dass er sich hier als Anschauungsobjekt hergab! „Und er weiß, dass ich das kann“ schmunzelte Yami dreckig. „Und du kannst das auch. Wenn du deinen Drachen erst ausreichend erforscht hast, brauchst du nur die richtigen Knöpfe drücken und er legt sich so hin wie du willst. Nichts anderes habe ich mit Seth auch gemacht. Wenn er zu stürmisch wurde, sodass ich meine Gesundheit in Gefahr sah, habe ich ihn einfach gezwungen, sich zu beruhigen. Dann legst du ihn hin, wartest ein paar Minuten bis er runtergefahren hat und danach kann’s weitergehen. Du musst dich vor rolligen Drachen einfach in Acht nehmen und mit gutem Zureden, kommst du nicht immer weiter. Dafür musst du aber nicht kräftiger oder größer sein. Du musst nur seine Reaktionen kennen. Du musst dir mal angucken wie Yugi seinen Drachen nachts durchs Bett bugsiert. Und der Schüsche kriescht dasch nisch ma mid. Auaaa!“ Der Fleischsalat war wohl doch noch nicht ganz aufgetaut. Mensch, an den Fleischstücken brach man sich ja die Zähne ab. „Davon abgesehen“ ächzte er und bohrte sich die gefrorene Fleischwurst aus dem Gebiss. „Davon abgesehen, halte ich Tato für so vernünftig, dass er deine Bedenken versteht und akzeptiert. Hat mal einer nen Zahnstocher?“ „Nein“ brummte Seto. Aus Prinzip schon nicht. „Ich schätze ihn sogar so ein, dass er diese Mondphase nicht mal unbedingt mit dir verbringen will. Ich glaube, er weiß selbst nicht wie er nach so langer Zeit reagiert. Ich meine, er hat Nachholbedarf und steht in der Blüte seiner Potenz. Und er will dir ja auch nichts tun. Du solltest keine Angst haben und das Thema einfach offen ansprechen. Denn letztlich weiß niemand besser als ihr beide, was zwischen euch abläuft. Punkt.“ „Was für eine Ansprache“ murrte Seto und drückte seinen Zigarettenstummel aus. „Ja, ich bin gut drauf, was?“ freute er sich und nahm gleich die ganze Schale mit Speck, die er mit den Fingern verspeiste. „Wollt ihr denn auch wissen, wo ich letzte Nacht Sex hatte?“ „Kein Interesse.“ Da sprach Seto wohl allen aus der Seele. „So langsam kriege ich Finn richtig gut eingeritten. Aus dem wird noch ein richtiger Hengst! Also ich meine, das ist er eh schon. Aber er öffnet sich langsam auch für spannendere Sachen. Ich glaube, er würde alles für mich tun. Vielleicht sogar seine Zunge in …“ „Yami, es sind Minderjährige anwesend.“ „Ja ja. Aber was ich sagen wollte! Letzte Nacht … huch!“ „Tschuldigung.“ Hannes kam herein und sah nicht, dass Yami direkt hinter der Tür stand. Da hatte er ja eigentlich auch nichts zu suchen. „Gutem Morgen zusammen“ grüßte er in die Küche. „Morgen“ grüßte die Küche zurück. „Pharao, alles heil?“ „Ja, ich habe mich nur erschrocken“ lachte er und nahm seine Speckschale mit. „Sag mal, Lieblingswirt, können Finn und ich heute Frühstück im Bett bekommen?“ „Natürlich, kein Problem. Wann wollt ihr denn frühstücken?“ „Jetzt gleich?“ „Oh.“ Das passte ihm wohl gerade nicht allzu gut. „Hast du was dagegen, wenn ich erst die Käseplatte fertig mache? Olga hat mich heute nämlich leider im Stich gelassen.“ „Warum?“ „Magen-Darm. Sie bleibt bis Mittwoch zuhause.“ „Klar, wir können warten“ meinte Yami und hatte ja seine Schale mit Speckwürfeln, die ihm die Wartezeit vertrieb. „Finn und ich gehen eh erst duschen. Lass dir Zeit.“ „Prima. Danke.“ „Und klopfe lieber an, bevor du reinkommst. Nur zu deiner eigenen Sicherheit.“ „Ähm … danke.“ Das war ein durchaus hilfreicher Tipp, denn es gab Dinge, die wollte man nicht mutwillig sehen. „Und was habt ihr heute vor?“ fragte er die anderen. „Seto, du bist schon so früh auf“ stellte nun selbst Yami fest. „Wichtige Termine am ersten Arbeitstag?“ „So in der Art. Wir müssen heute zum Frühstück mit unserem neuen Eros-Modell. Noah ist schon unterwegs.“ „So früh?“ „Er holt ihn persönlich ab und mir ist die Uhrzeit auch ganz recht. Vielleicht komme ich dann früh genug raus, dass ich mit Sethan zum Frisör gehen kann.“ „AH! ZUM FRISÖR?“ Yami hoppelte auf ihn zu. Das gab nicht nur ihm die Gelegenheit, Setos wunderschönen Flechtzopf zu bewundern, sondern auch Hannes den freien Weg zu nutzen, und den fehlenden Aufschnitt zu ersetzen. „Aber Seto. Engel. Herzchen. Deine Haare sind so schön lang!“ „Eben deshalb. Ich mag das nicht.“ „Aber Yugi hat doch gesagt, du sollst sie lang lassen.“ „Aber nur ein paar Tage. Und er hat gesagt, wenn ich sie dann immer noch nicht mag, kann ich sie abschneiden.“ „Aber Seto!“ Er nahm die Schale in die andere Hand und griff mit der sauberen den hüftlangen Zopf, fühlte das dicke, weiche, seidige Haar zwischen seinen Fingern. „Ach Seto, du hast so schönes Haar. Du weißt gar nicht wie viel das wert ist.“ „Ich will’s ja auch nicht verkaufen.“ „Du bist doch doof. Hast du ne Ahnung, was ich drum geben würde, deine Haare zu haben? Die kannst du doch nicht einfach abschneiden lassen. Ach, da würde ich wirklich was drum geben … alle Leute bewundern deine Haare.“ „Würdest du auch die Küche verlassen?“ „Was?“ Nun guckte er verwundert an ihm herauf. „Ob ich die Küche verlassen würde, wenn ich deine Haare hätte?“ „Autsch … Ati“ warnte Sareth. Die roch den Braten. „Ich würde alles dafür tun, wenn ich deine Haare hätte, Großer“ meinte Yami. „Bitte geh nicht zum Frisör.“ „Ich nehme dich beim Wort.“ „WHUA!“ Yami sprang zurück als Seto sich das Küchenmesser aus dem Holzblock griff und ihn ernst ansah. „Engel, was hast du vor?“ Und er tat es wirklich. Es machte ZING und der Zopf war ab. Alle in der Küche hielten geschockt den Atem an. Seto war echt so verfroren und schnitt seine tollen, langen, wunderschönen Haare ab. Einfach so. Er hielt sie Yami hin, der den Flechtzopf zögerlich entgegennahm und selbst völlig perplex war. Das hatte er nicht kommen sehen. „Du hast gesagt, du würdest alles tun, wenn du meine Haare hättest“ grummelte Seto und legte das Messer in die Spüle. „Also bitte. Dann geh jetzt zu Finn ins Bett und nerv mich nicht weiter.“ „Ähm …“ Er betrachtete den Zopf und es fiel ihm tatsächlich kein schlauer Kommentar dazu ein. Kompliment, Seto hatte gewonnen und Yami mundtot gemacht. „Schon klar“ stammelte der und behielt den Zopf einfach. „Also dann, viel Spaß beim Frisör!“ Er winkte den anderen und verschwand wieder. Selbst schuld, wenn er so einen dummen Handel einging. Doch er war Manns genug, um sich dran zu halten, alles für Setos Haare zu tun. Da verließ er sogar die Küche. „Hat eigentlich jetzt einer rausbekommen, was er wollte?“ zeigte Sareth auf die zugeschwungene Tür. „Wahrscheinlich Frühstück bestellen“ mutmaßte Seto und blickte nochmals auf die Uhr. Wo blieb der Köter nur? „Jetzt hast du ganz schiefe Haare“ seufzte Phoenix, zog sich das dünne Zopfband heraus und reichte es Seto. „Wenigstens bis der Frisör es richtet.“ „Danke.“ Seto band die schiefen Fransen zu einem vergleichsweise winzigen Zopf zusammen und sah wenigstens ein bisschen konservativer aus. „Soll ich dir helfen beim Frühstück für den Pharao?“ bot Phoenix dann Hannes an, der etwas gehetzt die Aufschnittplatte nachfüllte. „Nein, danke. Das geht schnell. Ich brauche demnächst eher dringend noch einen zusätzlichen Koch“ seufzte er, denn die Arbeit ganz ohne Küchenhilfe wuchs ihm heute über den Kopf. „Frag doch Yugi, ob er dir hilft“ meinte Phoenix. „Der kann ganz prima kochen. Yugi ist ein Meister der Gewürze.“ „Ich kann doch nicht den Pharao bitten, meine Gäste zu bekochen. Nein, wirklich nicht“ schüttelte er den Kopf und holte ein großes Holztablett aus dem Regal. „Oder falls wir dir helfen können“ bot er zusätzlich an. „Ich habe eigentlich wenig zu tun. Und die anderen helfen dir bestimmt auch gern aus. Wir können zwar alle nur normal kochen, aber zum Überbrücken reicht es vielleicht erst mal.“ „Das ist lieb von euch, aber in absehbarer Zeit brauche ich eh einen neuen Koch oder zumindest eine Küchenhilfe. Seit Georg vor vier Monaten sein eigenes Restaurant aufgemacht hat, fehlt mir einfach eine Kraft. Und auf Dauer wird das für Olga und mich auch zu viel. Oh.“ Da entdeckte er etwas und ging zu Seto und Phoenix herüber. „Was denn?“ schaute Phoenix und hüpfte schnell von der Arbeitsplatte. Ärsche hatten auf der Arbeitsplatte eigentlich nichts zu suchen. „Sorry.“ „Quatsch, bleib ruhig sitzen“ bat Hannes und beugte respektvoll seinen Kopf vor Seto. „Bitte sei mir nicht böse, Eraseus, aber es wäre mir lieber, wenn in der Küche nicht geraucht wird.“ „Natürlich. Entschuldige.“ Er gab ihm anstandslos den dreckigen Aschenbecher und sah das auch ein. Die Küche war ein hygienischer Raum und es sollte selbstverständlich sein, das Rauchverbot einzuhalten. „Kommt nicht wieder vor.“ „Vielen Dank. Das ist sehr rücksichtsvoll von dir.“ Er entsorgte den Stummel und beugte nochmals seinen Kopf. Er wusste, dass er mit den Priestern äußerst respektvoll umzugehen hatte. Dann gab es auch bei Kritik kein böses Blut. Weniger respektvoll war Joey, der mit ungebundener Krawatte in die Küche stürmte und nebenbei wenigstens den Gürtel schloss. „Mann, Drache! Wo bleibst du denn so lange?“ „Ich bin nicht derjenige, der noch seine Freundin beglücken musste.“ „Hast ja nicht mal ne Freundin. Stattdessen stehst du da, süffelst Kaffee, gehst den Leuten auf den Keks und dabei haben wir einen wichtigen Termin um acht Uhr.“ „Morgen fahre ich einfach ohne dich und deine Libido. Idiot.“ Er nahm seinen Thermobecher, ging zu Sareth und küsste sie zum Abschied, während die noch die Tupperdose mit einer liebevollen Schleife verpackte. „SÄTO! Hör auf rumzuknutschen und komm endlich! Noah killt uns, wenn wir zu spät kommen. Du weißt wie zickig sein Model wird und so kriegen wir den Vertrag nie unterschrieben. Ich habe die Kampagne schon fast fertig. Das einzige, was noch fehlt, ist die Unterschrift dieses verdammten Models.“ „Mit dir habe ich aber auch noch ein Hühnchen zu rupfen, Köter.“ „Ich denke, du bist den manischen Vegetariern beigetreten und rupfst keine Hühner mehr.“ „Ich bin vielleicht Vegetarier, aber nicht im Hundeschutzverein. Warum hast du mich bei dieser bescheuerten Onlinedating-Seite angemeldet?“ „Ah, du hast es rausbekommen?“ „WARUM WILL ICH WISSEN?“ „Ich wollte gucken, wer mehr Zuschriften bekommt“ antwortete er locker aus dem Stand. „Du hast bis … ja, vorgestern habe ich das letzte Mal reingeguckt. Da hattest du 83 Kontaktanfragen bekommen.“ „Ach. Und darüber soll ich mich freuen?“ „Solltest du. Ich habe nur 15 bekommen. Du bist eindeutig der bessere Schwule von uns beiden.“ „KÖTER!“ „Was denn? Freu dich doch. Was hast du überhaupt mit deinen Haaren gemacht? Mit der scheiß Frisur verringerst du nur deine Onlinechancen.“ „WAS?!“ „Ich wollte eigentlich demnächst Bilder von uns einstellen. Ich wette, dass ich dann mehr Zuschriften bekomme als du.“ „Los, raus jetzt.“ Er schob Joey aus der Tür und setzte die Diskussion dann auf der Fahrt fort. „Hast du alle Pancakes eingepackt?“ fragte Phoenix, der wie gewohnt diese täglichen Zankereien ignorierte. Pancakes wären die perfekte Bestechung für Papadrache. „Sorry. Sind schon versiegelt“ zeigte Sareth die liebevoll dekorierte Dose hoch. „Du suchst nach was Süßem für Papa, oder?“ „Was Süßes für deinen Drachen habe ich noch“ konnte Hannes helfen. „Komm mit in den Kühlraum, Kleiner.“ Phoenix trabte ihm nach bis ans Ende der Küche. Dort schob Hannes eine dicke Eisentür auf und ließ sich in den kleinen Raum mit den weißen Blechregalen folgen. Dort griff er nach oben, holte eine große, runde Pappschachtel herunter und stellte sie in ein freies Regal darunter. „Schau.“ Er öffnete die Schachtel, holte eine kleinere Plastikdose heraus und öffnete sie. Und darin zum Vorschein kam ein Viertel einer Schokoladentorte. Oben auf mit Marzipanrosen verziert und Blättern aus Edelbitterschokolade. Der Teig aus dunklem Schokoladenboden und zwischen zwei Schichten Kirschmarmelade. Das ganze überzogen von dunkler Zartbitterschokolade, marmoriert mit weißer Schokolade. „Wow!“ staunte Phoenix und sah seinen Atem kondensieren. „Das ist ja ein Meisterwerk. Woher hast du das?“ „Der Sohn von meinem Freund hat kürzlich seine Lehre als Konditor abgeschlossen und das ist eines seiner Machwerke. Ich hatte noch keine Gelegenheit zu probieren, aber wenn es so gut schmeckt wie es aussieht, ist das genau das richtige für euch Zuckermäuler.“ „Hannes, du hast mein Leben gerettet. Darf ich die haben?“ „Wo das herkommt, gibt’s noch mehr“ lachte er und überließ ihm großzügig die Dose. Dazu noch ein Kaffee und die Besänftigung stand unter einem guten Stern. Mit einem Viertel Schokoladentorte auf einem mit Sahneblumen garnierten Teller und einem dampfenden, schwarzen Kaffee bewaffnet, traute er sich zurück in die Höhle des Drachen. Der war zwar nicht brav auf seinem Sessel sitzen geblieben, aber nur aufs Bett umgezogen. Dort ließ er sich nun seinerseits die Morgensonne auf den nackten Rücken scheinen und öffnete mürrisch die Augen als das Öffnen der Tür seine schmollende Stimmung störte. Phoenix bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Tato den Stuhl in die Dusche gestellt hatte und eines der Bücher über den Fernseher hing. Ständig legte er Sachen an die merkwürdigsten Orte, doch wenn man ihn darauf ansprach, ignorierte er das und jetzt würde Phoenix zwar zu gern eine Erklärung dafür aus ihm herauspressen … aber dafür war nicht der richtige Moment. „Hey, Dicker“ lächelte Phoenix, schloss die Tür leise und brachte ihm die guten Gaben ans Bett. Noch bekam er keine Reaktion, aber er schob ihm den Teller bis fast vor die Nase und wedelte den Duft des Kaffees in sein Gesicht. Ganz wie in der Werbung. „Du willst mich bestechen“ bemerkte er mit beleidigtem Ton. „Stimmt“ erwiderte er dafür mehr versöhnlich. „Und funktioniert es?“ „Denkst du, ich bin so einfach gestrickt?“ „Um ehrlich zu sein … ja?“ Er musste noch einige Momente warten, doch dann konnte der Drache eben doch nicht widerstehen. Er richtete sich in den Schneidersitz auf, griff den Teller, nahm die Vierteltorte mit der Hand und biss ein großes Stück heraus. „Asato“ seufzte er höflich. „Kannst du nicht die Gabel nehmen?“ „Warum sollte ich?“ „Damit du nicht ganz so asozial aussiehst. Hier.“ Er gab ihm die Gabel sogar in die Hand. Ein Mindestmaß an Benimm sollte doch wohl zu verlangen sein. Der Drache brummelte zwar, aber nahm dann doch das Besteckt. Er probierte die Sahne, paarte sie mit der Torte und verfrachtete sie mit mürrischem Gesichtsausdruck in den Mund. Er war noch immer nicht begeistert, aber wenigstens nahm er die erste Näherungsgeste an. Drachen waren eben doch ganz simpel. „Hör zu.“ Während Tato den Mund voll hatte, konnte er vielleicht in Ruhe sprechen und sagen, was er zu sagen hatte. „Es stimmt, dass ich es wusste, wenn Sari sich mit Edith trifft. Um ehrlich zu sein, habe ich dich auch absichtlich etwas abgelenkt. Aber eigentlich nur, damit sie sich in Ruhe klarwerden kann, ob das mit Edith etwas Ernstes ist. Sie kann ja nicht einen Jungen kennenlernen und gleichzeitig mit dir kämpfen, wenn sie nicht weiß, ob überhaupt etwas draus wird. Aber ich glaube, sie hat sich wirklich verliebt und sie hätte es dir auch gesagt, wenn der richtige Moment gekommen wäre. Ich liebe dich wirklich über alles, aber ich will mich auch nicht zwischen Sari und dir entscheiden. Sari ist für mich wie eine Schwester und ich kann sie nicht verpfeifen. Das ist nicht gegen dich gemeint, aber … ich weiß nicht wie ich das formulieren soll. Ich liebe dich wirklich und ich will, dass das zwischen uns beiden eine Zukunft hat. Ich strenge mich wirklich an, damit ich dir gewachsen bin und ich will dir auch beweisen, dass ich zu dir stehe und ehrlich zu dir bin. Aber Sari ist mir auch wichtig und ich will nicht, dass ihr Vertrauen zu mir leidet nur weil du ihr Vater bist. Ich weiß nicht, ob du das verstehst. Ich wollte dich nicht hintergehen, aber sie auch eben auch nicht. Wenn ich ein schlechtes Gefühl bei Edith hätte, hätte ich dich sofort alarmiert. Aber ich glaube, dass Edith es wirklich aufrichtig und ernst meint. Er ist kein schlechter Kerl. Deshalb habe ich nichts gesagt und …“ „Kannst du auch mal ruhig sein?“ Tato hatte seinen Kuchen schon fast aufgegessen und nichts gesagt, aber so langsam schien ihn das Gelaber zu nerven. Auch als geschwiegen wurde, beschäftigte er sich weiter mit Essen und würdigte den Spender keines Blickes. Und Phoenix saß neben ihm, blickte die sonnenbeschienene Bettdecke an und seufzte in sich hinein. Wie konnte er es nur so erklären, damit Tato es auch verstand? Er wollte ihn nicht hintergehen, aber er machte es einem auch nicht gerade einfach, ehrlich zu sein. Irgendwann stellte der Drache seinen Teller aufs Kopfkissen, stand auf und ging kommentarlos zum Fenster. Als Phoenix sah wie er hinausstarrte und die Fäuste ballte, fasste er den Mut und ging ihm nach. Auch er blickte hinaus und sah Edith auf der anderen Straßenseite stehen. Seine dunkelgrüne Schuluniform war zwar sauber, aber seine Turnschuhe abgenutzt und das Haar ungekämmt. Und der schwarze Rucksack hatte auch schon mal bessere Tage gesehen. Kein Wunder, dass Tato sich einen adretteren Schwiegersohn ausgesucht hätte. Doch Sareth sah diese Sachen nicht oder nicht so eng. Sie lief barfuß und lächelnd über die Straße, blieb vor ihm stehen und unterhielt. Sie wechselten erst ein paar Worte, bevor er die Hände aus den Taschen nahm und sich umarmen ließ. Und als sie sich auch noch einen kurzen, unspektakulären Kuss gaben, schnaufte Tato so laut, dass Phoenix sich erschreckte. Es fehlte nicht viel und er würde platzen. Aber er blieb einfach stehen und beobachtete wie sie um ihren Schwarm herumlief, seinen Rucksack aufzog und die Dose mit der Schleife darin verstaute. Dann nahm sie seine Hand, strahlte ihn verliebt an und spazierte von dannen. Sie war so was von deutlich verliebt, dass es schon wehtat. „Sie hat ihm Frühstück gemacht, ja?“ stellte er grimmig fest. „Na ja …“ Das konnte er nicht verleugnen. Tato hatte ja Augen im Kopf. Der fragte auch nicht weiter, sondern öffnete das angekippte Fenster, lehnte sich hinaus und pfiff. Es dauerte nur wenige Sekunden da flatterte ihm auch schon sein kleiner Falke auf die Fensterbank und gab eine Tirade schneller Pfeiftöne von sich. Er freute sich, schüttelte alle Federn zur Begrüßung und knabberte an Tatos Hand. Wenigstens der hatte gute Laune. „Kumpel, hör zu“ brummte er und kraulte seinem guten Geist das geplusterte Köpfchen. „Du fliegst den beiden jetzt nach und wenn sie Unsinn machen, hackst du dem Spasti die Augen aus. Verstanden?“ „Brrrruuuuuu!“ gurrte er und sah zu ihm hoch. Was war denn das für ein komischer Befehl? „Ich meine es ernst. Wenn er sie angrapscht, gehst du dazwischen. Keine Gnade.“ „Krrrraaaaaa!“ Das klang nicht begeistert. Gar nicht begeistert. „Ich kaufe dir beim Schlachter einen Kaninchenbraten ohne Fell. Deal?“ Der bunte Falke sah seinen Herren stechend an, aber plusterte sich dann dick auf und nickte mit dem Kopf auf und ab. Darauf ließ er sich ein. Es war unglaublich, aber er schien die Worte wirklich zu verstehen. „Okay. Und lass dich von Sareth nicht bequatschen. Und du erzählst ihr nichts von unserem Gespräch.“ Nein, das würde er doch niemals tun. Er krächzte und flatterte davon, um seinen Auftrag zu erfüllen. Und natürlich um sich seinen Kaninchenbraten ohne Fell zu verdienen. „Du schickst Laertes spionieren?“ „Nicht spionieren. Bodyguarden. Ihm kann ich wenigstens trauen.“ Er schloss das Fenster, setzte sich zurück ins Bett und widmete sich dem Rest seiner Torte. „Warum bist du so gemein zu mir? Ich habe doch versucht, es dir zu erklären.“ „Tja … ist sich eben jeder selbst der Nächste.“ Das verletzte ihn nun mehr als alles andere. Er konnte doch seine Schwester nicht verpfeifen. Tato hätte Nini auch nie verpfiffen. Und er suchte den Fehler nicht mal bei sich und seiner übertriebenen Vaterliebe. „Weißt du was?“ Das musste er sich nicht anhören. „Du kannst ein ganz schönes Arschloch sein.“ Er zuckte mit den Schultern und kratzte den Rest Torte zusammen. „Und ein Ignorant bist du auch.“ Er ging an den Schrank, nahm sich ein paar Klamotten heraus und blickte nicht zu ihm zurück als er zur Tür ging. Er war schon fast draußen als er Tatos leise Stimme vernahm. „Was?“ giftete er zurück. „Noch irgendwelche Beleidigungen, die du loswerden willst?“ „Sei nicht so streng mit mir.“ Er stellte den Teller weg und nahm den lauwarmen Kaffee, klopfte neben sich auf die Matratze. „Komm schon her.“ „Und dann?“ „Dann bleibst du hier.“ „Um mir noch mehr Sachen an den Kopf werfen zu lassen?“ „Nein, weil ich ein Arschloch bin. Komm schon. Lass mich hier nicht so sitzen.“ Phoenix seufzte, kam zurück und machte auch die Tür wieder zu. Die Klamotten legte er ans Fußende und setzte sich neben seinen Drachen. Jetzt war’s umgekehrt. Nun durfte Phoenix schmollen. Diskutieren war ja okay, aber auch Tato musste fair bleiben und nicht mit so verletzenden Kommentaren um sich werfen. „Du bist echt schwierig, Asato. Weißt du das eigentlich?“ „Ich weiß … aber ich kann auch nicht aus meiner Haut. Sei nicht sauer.“ „Du wirfst mir an den Kopf, ich wäre nicht vertrauenswürdig und jeder ist sich selbst der nächste und erwartest, dass ich mir das gefallen lasse? Ich bin vielleicht ein Schwächling, aber auch Schwächlinge haben ihren Stolz.“ „Ich weiß. Jetzt schimpf mich nicht aus. Ich bin ja eigentlich gar nicht sauer auf dich.“ „Sondern?“ „Auf mich. Weil meine Tochter mir Sachen verschweigen muss. Bin ich echt so ein schlechter Vater?“ „Du bist überbehütend. Sari ist zwar deine Tochter, aber nicht dein Eigentum. Verstehst du? Anstatt ihr den Umgang zu verbieten, solltest du dich lieber mit ihr unterhalten und versuchen, sie zu verstehen. Da musst du eben mal aus deiner Haut - aber nicht aus der Haut fahren. Sonst lebt sie ihr Leben irgendwann hinter deinem Rücken. Und mich darfst du auch nicht so anfahren. Ich meine es gut mit dir, also rede mit mir und spiele nicht die beleidigte Leberwurst.“ „Ist ja gut.“ Er schaute traurig zu Boden und drehte den Becher zwischen seinen Händen. „Ich weiß ja, dass ich so bin. Aber ich kann’s nun mal nicht ändern.“ „Jetzt guck doch nicht so bedröppelt, Dicker. Wenn es dir leid tut, entschuldige dich einfach und gut ist.“ „Entschuldigung.“ „Siehst du? Ist gar nicht so schwer.“ Er rutschte zu ihm auf und legte die Arme um ihn. Tato ließ sich etwas zur Seite fallen und kuschelte seine Wange an der schmalen Brust an. Er wollte ja gar nicht so ungerecht sein, aber er war eben ein Sturkopf. „Weißt du, Kleiner. Manchmal frage ich mich echt, wer von uns beiden in der Pubertät ist.“ „Ach, weißt du, Drache. Du kommst von der Pubertät gleich in die Midlife-Krise. Das wird nicht mehr besser mit dir.“ „Du bist ganz schön frech.“ „Tja.“ Er küsste ihn ins Haar und schmuste seinen Schmusedrachen. „Ich liebe dich trotzdem. Du Trotzkopf.“ „Ich liebe dich auch, Mr. Lolita.“ „Ey! Nenn mich nicht so!“ Er buffte ihn neckisch an die Schulter. Doch dann kuschelte er ihn auch schon wieder und küsste sein ungemachtes Haar. „Und jetzt ist wieder alles gut? Zwischen uns?“ „War doch nie schlecht.“ „Na ja.“ „Ich bin nicht mal laut geworden. Das war kein Streit. Das war … das war einfach blöde. Weißt du, ich stehe mir manchmal einfach selbst im Wege.“ „Ich weiß. Ich weiß auch wie du bist. Aber bitte zeig mir nie wieder die kalte Schulter. Kannst du das?“ „Ich versuche es“ murmelte er, rutschte herunter und bettete seinen Kopf auf Phoenix‘ Beinen. „Danke für die Torte.“ „Die hat dir natürlich geschmeckt, was?“ „Geht so.“ „Ja ja.“ Jetzt wurde er ja doch ganz anschmiegsam. Der Große schmuste sich an ihn, schloss die Augen und ließ sich den Kopf kraulen. So sanft war er selten und Phoenix merkte wie er die Nähe suchte. Er genoss es auch, sein kurzes Haar zu streicheln, seine nackten Schultern, seinen Rücken und sein entspanntes Gesicht zu beobachten. Wenn er nicht so ein cholerischer Dickkopf wäre, könnte er doch eigentlich immer so lieb sein wie jetzt. Wie ein Kätzchen, dass auf den Schoß sprang und seinem Besitzer nichts anderes schenkte als seine Anwesenheit. Drachen waren da ähnlich. Allein ihre Anwesenheit war angenehm. Wie gesagt, wenn er nicht gerade rumzickte. Aber was das anging, kannte Phoenix ihn auch schon etwas länger. Es war ja nicht das erste Mal, dass er ihn auf den Boden zurückholte. Es war nur das erste Mal, dass er es in der Rolle seines Partners tat. Auch wenn er sich im Moment mehr als Schmusemaschine fühlte. „Asato?“ Nach einigen ruhigen Minuten tastete er sich vorsichtig heran und versuchte ihm in die Augen zu sehen. Es war vielleicht besser, das Thema anzubringen, bevor ihn seine Gefühle überkamen. „Was denn?“ brummte er und stieß mit seinem Kopf leicht in den dünnen Bauch. „Ey, nicht aufhören.“ Er machte also lieber weiter und kraulte seinen Nacken. Wenn ihn das besänftigt hielt. „Asato, du weißt, dass morgen Vollmond ist, oder?“ „Ja, ich weiß“ brummelte er und klang nicht mehr so begeistert. „Warum fragst du?“ „Na ja … ich wollte wissen, ob du … ob du … na ja, ob du rollig wirst. Bei mir.“ „Ich liebe und begehre dich. Natürlich regen sich da gewisse Bedürfnisse. Gerade jetzt habe ich das starke Bedürfnis, dich anzufassen und dich dazu zu bringen, mich anzufassen. Mehr als nur ein bisschen Kuscheln. Du weißt, dass ich das will.“ „Dafür bist du aber ziemlich ruhig.“ „Ich habe gelernt, mich zu beherrschen. Ich habe meine Gefühle für dich ja lang genug gezähmt.“ „Nun, zähmen ist das richtige Stichwort. Ich …“ Okay, nur Mut. Er wird schon nicht gleich an die Decke gehen. „Ich möchte wirklich gern mit dir diese besondere Zeit verbringen. Ich möchte gern der einzige sein, den du willst. Aber …“ „Bevor du weitersprichst, Kleiner“ unterbrach er, nahm seine schmale Hand und küsste sie langsam und zärtlich. „Ich liebe dich sehr. In ein paar Stunden werde ich mich aber vielleicht nicht mehr so ruhig verhalten können. Ich hoffe, du bist nicht beleidigt, aber es ist mir noch zu früh. Ich liebe den Sex mit dir, aber ich bin noch nicht bereit, es auf diese Art mit dir zu tun.“ „Du bist derjenige, der sich nicht bereit fühlt?“ Das wunderte ihn nun doch sehr. Er dachte, er wäre der einzige, der sich darüber Gedanken machte. „Ich sage es dir ganz ehrlich. Risa war bisher die einzige, zu der ich mich so hingezogen fühlte. Und es ist schwer für mich, dass diese Gefühle zu dir sehr ähnlich sind. Es sind Erinnerungen, die mich einholen und mich traurig machen. Ich liebe dich, aber diese Liebe zu dir zu fühlen, weckt auch die Sehnsucht nach ihr.“ „Das verstehe ich.“ Auch wenn es bedrückend war. Er wollte nicht, dass Tato sich schlecht fühlte und trauerte, wenn sie zusammen waren. So gern er auch der einzige sein wollte, er war es nun mal nicht. Er war nur die zweite Liebe. Risa würde immer in seinem Herzen sein und seine Liebe endete nicht mit ihrem Tod. Das musste er akzeptieren. Ebenso wie Tato es akzeptieren musste. „Wenn du möchtest, dass ich gehe, dann musst du es nur sagen. Ich weiß, dass du sie liebst und ich möchte mich nicht irgendwo reindrängen, wo ich nicht hingehöre. Auch wenn ich mir wünsche, dass du mich irgendwann genauso sehr lieben kannst.“ „Ich liebe dich sehr. Ich liebe dich auf eine andere Weise, die aber nicht weniger intensiv ist.“ Er strich über Phoenix‘ zarte Finger und und verschränkte seine Hand hinein. „Ich möchte irgendwann auch meine Leidenschaft mit dir teilen. Mich selbst mit dir teilen. Nur jetzt noch nicht. Ich brauche noch Zeit.“ Nun tat es ihm leid. Er hatte nur daran gedacht, wie er sich selbst dabei fühlen würde. Wie es wäre, wenn der Drache über ihn herfiel und seine Leidenschaft kein Ende fand. Er hatte aber nicht einen Augenblick daran gedacht, was Tato dabei fühlen würde. Dass es auch für ihn nicht leicht war, sich zu öffnen und sich einem anderen völlig hinzugeben. Da war mehr im Spiel als nur sexuelle Lust. Es war ein großes Sammelsurium von Gefühlen. „Es tut mir leid, Spätzchen.“ „Das ist in Ordnung. Wirklich. Es tut mir leid, dass ich gedacht habe, ich sei der einzige, der darüber nachdenkt. Wirklich … es tut mir leid, dass ich hier nur an mich gedacht habe.“ „Hast du?“ „Ja, habe ich. Ich wusste nicht, wie ich dir sagen sollte, dass ich mich noch nicht reif genug fühle. Dass ich mich dir noch nicht gewachsen fühle. Aber ich habe nicht daran gedacht, was du fühlst. Und das tut mir jetzt ziemlich leid.“ „Muss es nicht, Kleiner.“ Er küsste die zarte Hand und hielt seine Stirn eng daran gepresst. „Ich weiß, dass ich manchmal übers Ziel hinausschieße oder Signale falsch deute. Risa kannte mich gut und wusste, wie sie mit meinem Drängen umgehen musste. Ich habe ihr vertraut und konnte mich bedenkenlos fallen lassen. Ich wusste, sie achtet darauf, dass ich weder sie noch mich verletze. Aber auch bei ihr hat es gedauert bis ich mir sicher war. Weißt du, es ist auch für mich nicht leicht, wenn das mit mir geschieht. Wenn man mich so meinen Gefühlen ausgeliefert sieht. Ich tue vielleicht Dinge, die ich normalerweise nicht tue. Dinge, für die ich mich vielleicht entschuldigen muss.“ „Das ist nicht schlimm für mich. Ich weiß, dass das nicht absichtlich mit dir passiert“ tröstete er und kraulte sein kurzes Haar. „Du bist als starker Magier den spirituellen Energien eben mehr ausgeliefert als normale Menschen. Du hast dir das nicht ausgesucht. Ich verspreche dir aber, dass du dich dafür nicht schämen musst. Wirklich nicht.“ „Das ist lieb von dir. Ich will aber nicht, dass du Angst vor mir bekommst und ich will nicht, dass ich aus Versehen jemanden verletze. Bitte sei mir nicht böse, aber ich bin noch nicht bereit, mich dir hinzugeben. Vielleicht in ein paar Monaten. Aber jetzt noch nicht.“ „Dann bittest du mich, dass ich gehe?“ „Jetzt noch nicht“ flüsterte er und küsste seine Hand, schmiegte sein Gesicht in die Handfläche. „Ich will noch mit dir zusammensein. Ich will in deinen Armen liegen und dir nahe sein. So lange wie es geht. Ich liege gern bei dir und spüre dich. Deine Hände, wenn sie mich streicheln. Und dein warmer Atem, wenn du mich küsst. Aber wenn es zu stark wird, solltest du mich besser allein lassen. Bevor sich meine Instinkte über meine Beherrschung stellen. Ich will jetzt keinen Sex … ich möchte einfach nur in deinen Armen liegen. Kannst du das verstehen?“ „Ich bin froh, dass du mir das sagst.“ Er beugte sich herab und kam seinem Gesicht ganz nahe. Er küsste seine Schläfe und legte den Kopf auf seine Schulter. „Ich bin froh, wenn wir uns noch etwas Zeit lassen. Ich möchte bei dir sein so lange wie du es aushältst. Und wenn du merkst, dass es zu viel wird, dann schick mich weg. Okay?“ „Geh lieber selbst, wenn du das Gefühl bekommst, dass ich zudringlich werde“ bat er beschämt. „Ich kann nicht garantieren, dass ich den Moment erkenne. Ich verspreche dir aber, dass ich dich dann auch gehen lasse.“ „In Ordnung.“ „Versprichst du mir im Gegenzug auch etwas?“ „Natürlich, Dicker. Alles, was du willst.“ „Wenn ich wieder aufwache, bringst du mir dann wieder Torte ans Bett?“ „Ist das deine einzige Sorge?“ „Im Moment schon …“ „Ihr Drachen seid so berechenbar“ lachte er erleichtert. Dieses Thema zu klären, war einfacher als gedacht. Und er war einiges an Wissen und Sicherheit reicher. Tato war häufig egoistisch und ungerecht und auch ein wenig verschlossen. Aber er sprach über seine Gefühle, wenn er den Moment gekommen sah. Er öffnete sich, wenn er sich sicher fühlte. Er wollte, dass Phoenix seinem Herzen nahe kam. Doch in einem Tempo, welches für beide gut war. Tato war ehrlich und das machte es leichter. Für beide. Chapter 23 Der tägliche Besuch im Aquarium weckte heute endlich wieder positive Gefühle. Als Seto und Sethan hereinkamen, sahen sie wie Tristan, Balthasar und Narla Möbel aufbauten. Einen niedrigen Tisch und darum eine dreischenklige Polsterecke. Die breite Sitzfläche reichte auch zum Liegen und Schlafen und auf die flachen Lehnen konnte man sowohl Arme als auch Kopf stützen. Das war wirklich etwas anderes als die Luftmatten, Feldbetten und kleineren Sofas, die sie provisorisch hingestellt hatten. Schlaf hatte hier ohnehin kaum jemand gefunden und gemütlich wollte es sich niemand machen, solange Sethos dem Tode entgegentrieb. Eigentlich war das Aquarium auch kein Wohnzimmer, doch jetzt sah es allmählich danach aus. Wichtig war jedoch, dass sich dies nun alles für Sethos lohnte. Der schwamm schon wieder fleißig herum und bewegte seine schweren Glieder. Die Fischleichen hatte man mittlerweile entfernt, sodass er das einzig noch lebende Exemplar war, welches nun wie ein Walhai seine langsamen Runden durch das Wasser pflügte. Sogar seine Flügel hatte er wieder eingezogen, sodass er fast aussah wie ein Neck, den man gefangen hielt. Seto sah ihn kurz herüberblicken und nickte zurück, bevor Sethos sich abwand, um die Ecke schwamm und kurz verschwand, bevor er auf der Rückbahn etwas weiter oben wieder erschien. Normalerweise durchquerte er ganze Ozeane und selbst in diesem riesigen Becken wirkte er irgendwie deplatziert. Lange würde er es dort auch nicht mehr aushalten. Einen Drachen wie ihn konnte man nicht einsperren. „Na, hier sieht’s ja wohnlich aus“ meinte Seto und machte sich bemerkbar. Da die große Tür weit offenstand und Licht hereinließ, merkte man nicht wenn jemand hineinkam. „Ist ja nicht für ewig“ meinte Tristan und zog die Schrauben an dem kleinen Holztisch fest. „Tag ihr beiden.“ „Tag“ grüßte Sethan zurück, während Seto sofort in die hinterste Ecke ging. Dort stand nämlich der Kinderwagen mit der kleinen Joey drin, die er noch vor allen anderen begrüßen musste. „Wo ist denn Amun-Re?“ „Der bringt mit Nikolas den Müll raus“ zeigte Narla und schmiss ein paar Kissen auf die riesige Sitzecke. Dann erst bemerkte sie mit großen Augen: „Sethan! Was ist mit deinen Haaren passiert?“ „Warum? Ist es so schlimm?“ Aus seinem langen, blonden Zopf war eine pflegeleichte Kurzhaarfrisur geworden. An den Seiten abgeschoren und der breite Streifen in der Mitte mit etwas Liebe und Haarschaum nach hinten gelegt. Nur der lange Pony fiel zu einer Seite herunter bis hinters Ohr. Er strich sich die Strähnen zurück und befürchtete eine schlechte Kritik. „Nein! Sieht super aus!“ Narla lief sogleich herbei und besah sich das Ganze aus der Nähe. „Das ist ja ne echte Designerfrisur.“ „Meinst du?“ „Ja, wirklich. Du siehst gleich viel jünger und hipper aus. Nicht mehr so weibisch.“ „Du hast mich vorher weibisch gefunden?“ „Wenn ich das jetzt so vergleiche ja. Aber du siehst toll aus.“ „Und meine neue Frisur sieht keiner, ja?“ meckerte Seto aus der Ecke. Klein Joey schlief ja gar nicht, also hatte er sie auch schon auf dem Arm. Doch auch die interessierte sich nur für Papas Zottelmähne und nicht für andere Frisuren. „Doch, du siehst auch super aus“ bestätigte Narla sofort. „Aber du hast ja dieselbe Frisur, die du immer trägst. Da fällt das nicht so auf.“ „Super! Da kann ich eineinhalb Meter Haar abschneiden und keiner merkt was. Vielleicht sollte ich sie mal pink färben, damit ich jemandem auffalle.“ „Seto, mein Drachenschätzchen“ lächelte sie ihn liebevoll an. „Möchtest du denn überhaupt auffallen?“ Das wollte er natürlich nicht. Er war jemand, der gern unbemerkt blieb und am liebsten irgendwo in einer stillen Ecke stand. Eine unauffällige Frisur war also sogar seine Absicht. Und weil ihm nicht einfiel, wie er sich da rausreden sollte, sagte er einfach „Ach, lass mich doch in Ruhe“ und widmete sich wieder dem quietschenden Mädchen auf seinem Arm. „Hey, ihr seid ja schon da!“ Amun-Re freute sich und ging sofort zu Sethan, um ihn in den Arm zu nehmen. „Sethan, super siehst du aus!“ „Danke.“ „Amun“ tippte Narla ihn an und wies auf Seto. „Und du natürlich auch, Eraseus!“ Von Seto kam nur ein undefinierbares Murmeln. Er stellte sich mit der Kleinen zu Sethos an die Scheibe und ließ sie reinschauen. Mit ihr unterhielt er sich bei weitem lieber. Auf ihr „Bu bu bu“ und „Wa wa wa“ antwortete er mit liebevollem „Ja, was ist denn da?“ und „Guck mal das Wasser. Guck mal da oben die Wellen“. Das konnte er jetzt stundenlang so weitermachen. Gab man ihm ein Baby war er selig. „Und? Sind wir jetzt fertig?“ fragte Nika und zog sich die Bauarbeiterhandschuhe aus. Wenn man es nicht besser wüsste, würde sie heute als überzeugtes Mannsbild durchgehen. Turnschuhe, Jeans und schwarzes Muskelshirt. Mit ihrem Körper konnte sie sich sehen lassen. Doch wahrscheinlich lag es eher daran, dass es keine anderen Klamotten für sie gab und die Sachen hauptsächlich von Noah und Balthasar geliehen waren. Selbst einzukaufen, würde bedeuten, diesen Zustand auf längere Zeit zu planen - und das hatte sie noch nicht über sich gebracht. Und da heute Bauarbeiten auf dem Plan standen, war Balthasars Kleidung nur praktisch. „Mal sehen“ antwortete Tristan und steckte das Werkzeug in den Kasten. „Wir haben die Polsterecke aufgebaut, den Tisch und den Kühlschrank in der Küche ausgetauscht. Habt ihr die Sachen im Container fertig verstaut?“ „Ja, alles“ seufzte sie und steckte die Hände in die Hintertaschen. „Die Umverpackung, die alten Möbel und den Bauschutt. Nur den Kühlschrank haben wir so stehen lassen.“ „Dann können wir nachher alles abholen lassen.“ „Bauschutt?“ fragte Seto verwundert. „Woher habt ihr denn Bauschutt?“ „Wir haben heute Morgen ein Fenster eingebaut“ wies Tristan hinter sich. Ein Fenster war dort nicht zu sehen, aber ein dicker, schwarzer Vorhang über etwa zwei Meter Länge. „Und warum ist das abgehängt?“ „Weil vorhin der Glaser draußen war und die Arbeit abgenommen hat. Wir wollten nicht, dass er reinschauen kann.“ Und es war natürlich einfacher, das Fenster abzuhängen als das ganze Aquarium zu verstecken. „Eigentlich haben Tristan und Nikolas die Arbeit gemacht“ erklärte Narla. „Balthasar und ich konnten nur handlangern.“ „Hat eben auch gute Seiten, wenn man kräftig ist“ versuchte Nika sich selbst zu trösten und etwas Optimismus an den Tag zu legen. „Ich finde das ganz lieb von euch“ dankte Amun-Re und verbeugte sich vor seinen Helfern. „Ihr schleppt Möbel und baut Fenster in massive Wände und das nur, damit kein Fremder eintritt und mein Priester wieder gesund wird. Danke.“ „Ist doch selbstverständlich“ meinte Tristan. „Wenn Sethos wieder rauskommt, muss er es doch einigermaßen wohnlich haben.“ „Und die heilende Wirkung von Tageslicht auf Drachen ist auch nicht zu unterschätzen“ ergänzte Narla. Deshalb wahrscheinlich das Fenster nahe der Polsterecke. „Wir haben nur Glück, dass Tristan unser Heimwerkerkönig ist.“ „Unsinn. Ich kann nur Baupläne und Anleitungen lesen. Mehr nicht.“ Er stellte die Werkzeugkiste in die Ecke und dehnte seinen Rücken. „Aber um ehrlich zu sein, möchte ich kein Bauarbeiter werden.“ „Warum?“ lachte Amun-Re fröhlich. „Wände kaputtkloppen macht doch Spaß.“ „Ja schon. Aber das Steineschleppen nicht.“ „Steineschleppen?“ „Du weißt schon, Amun“ erinnerte Narla schmunzelnd. „Das war der Zeitpunkt, wo du ganz dringend beten gehen musstest.“ „Das sind wichtige Geschäftskontakte! Eraseus, du verstehst das doch, oder?“ „Darf ich mal gucken?“ Der interessierte sich viel mehr für die Arbeit an sich. Nach Tristans Okay schob er den Vorhang beiseite, löste ein Stück Klebeband und besah sich das neue Fenster. Vorsichtig fuhr er die Silikonschicht nach und blickte nach oben. „Und was sagt der Fachmann?“ „Gute Arbeit“ nickte er, schloss den Vorhang und gab seinen Finger wieder zum Lutschen her. „Das hat Tristan gut gemacht, nicht wahr Hönigtöpfchen? Dann kann Sethos bald schön in der Sonne liegen und gesund werden. Hm?“ Und sie war voll und ganz seiner Meinung. Ganz bestimmt. „Okay. Jetzt muss Sethos da nur noch rauskommen. Ich habe sogar extra große Handtücher gekauft.“ Narla ging an die Plastiktüten, welche nahe der Tür geparkt waren und packte ein großes, weißes Zweimetertuch aus. „Also, es war verdammt schwer, so große Strandtücher zu bekommen und wenn das nicht reicht, dann weiß ich auch nicht. Und Klamotten haben wir auch mitgebracht.“ „Das wird bestimmt bald etwas“ versprach Amun-Re und lächelte über seine Schulter zurück. „Nicht wahr, Darling?“ „Wann wissen wir denn den Moment, wenn er wieder aus dem Wasser kommen darf?“ fragte Nika und beobachtete die hypnotischen Bahnen, mit welchen Sethos Mal um Mal die Länge des Beckens durchquerte. „Das Gegengift ist jetzt schon seit fünf Tagen drin und seit gestern kann er wieder schwimmen …“ „Ich denke, das muss er selbst wissen“ mutmaßte Amun-Re. „Wenn er sich bereit fühlt, wieder an Land zu kommen, soll er es versuchen. Und wenn er sich schwach fühlt, kann er wieder ins Wasser zurück. Und solange bleibe ich bei ihm. Was ist denn?“ Sethos hatte seine Bahnen gestoppt und schwebte fast bewegungslos im Wasser, nur sein langes Haar breitete sich in der seichten Strömung aus. Er blickte mit großen, blauen Augen zu ihnen herüber und schien überrascht. „Darling, was ist denn?“ Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck von Überraschung zu einer leichten Verärgerung. Er machte eine Geste von sich weg und schien über irgendetwas nicht sonderlich begeistert. „Seto?“ bat Sethan freundlich. „Könntest du uns das bitte übersetzen?“ „Er scheint das nicht gewusst zu haben“ erzählte der ganz neutral. „Sethos meint, es wäre zu nett gewesen, wenn ihm das auch mal jemand gesagt hätte.“ „Aber wir haben doch mit Sachmet gesprochen heute Morgen“ rechtfertigte sich Amun-Re. „Sie war diejenige, die gesagt hat, er darf rauskommen so wie es sein Empfinden zulässt. Was meint er denn, weshalb wir hier den ganzen Auftrieb machen? Doch nur damit er zwischen Sofa und Wasser pendeln kann wie er es braucht. Genau wie meine Göttin es angeordnet hat.“ „Da hat er aber geschlafen“ wandte Seto ein. „Und wenn er schläft, kannst du noch so viel mit ihm sprechen. Wenn er schläft, dann schläft er. Das weißt du doch.“ „Ich dachte, das hättest du mitbekommen.“ Er ging bis zur Scheibe und legte entschuldigend seine Hand darauf. „Ich dachte, du hättest Sachmet wahrgenommen, weil dir sonst auch keine Anwesenheit entgeht. Auch nicht, wenn du schläfst.“ „Im Moment ist sein Schlaf aber zu tief, Amun-Re.“ Auch wenn Seto das taktvoll übersetzte, sagte das Augenverdrehen von Sethos alles. Da hatten er und sein Gott wohl eine ihrer Kommunikationsstörungen. „Dann bedeutet das, du möchtest jetzt schon aus dem Wasser gehen? Schaffst du das denn, Darling?“ Sethos zuckte mit den Schultern. Das konnte er doch nicht wissen, bevor er es versucht hatte. „Wenn du es versuchen möchtest, helfe ich dir“ bot Seto an. „Wenn ich darf.“ Sethos gab sich einen Stoß und schwamm an die Oberfläche. Mit Seto verlief die Kommunikation wesentlich einfacher als mit einem Gott. Die kleine Joey wanderte wieder zu ihrer Mama und ihr Seto musste sich um anderes kümmern. Da konnte sie ihm und seinem Nuckelfinger noch so sehnsuchtsvoll nachblicken und ihre Ärmchen ausstrecken. Und als alles nichts half, begann sie eben zu schreien. „WHÄÄÄÄÄÄÄ!!!“ So ging das doch nicht! ER KONNTE DOCH NICHT EINFACH WEGGEHEN UND DEN NUCKELFINGER MITNEHMEN!!! „Du bist genauso ein Dickkopf wie dein Vater“ seufzte Narla und ging mit ihr hinaus. Wenn Sethos aus dem Wasser kam, wollte er sicher nicht von einem kreischenden Baby begrüßt werden. Seto ging durch die Seitentür, zu welcher Amun-Re bereits gelaufen war. Dort führte eine schmale Stahltreppe hinauf zu der Wasseroberfläche. Diente eigentlich dazu, um von oben Futter ins Haibecken zu werfen und die Maschinen zu überprüfen, aber man konnte auch Leute ins Becken einlassen und wieder rausholen. Normalerweise waren das Taucher, welche die Algen entfernten. Jetzt war es eben ein kranker Drache. Glücklicherweise war der starke Geruch nach Verwesung und altem Fisch verflogen, seitdem man die toten Tiere aus dem Becken gefischt und entsorgt hatte. Als die beiden oben ankamen, sahen sie, dass Sethos bereits den Kopf herausgesteckt hatte. Mit seinen Armen stützte er sich auf den Boden der Plattform und atmete mit vorsichtigen, flachen Atemzügen. Es fiel ihm sichtlich schwer, seine Atmungsweise zu ändern. Seine Kiemen waren unversehrt, doch seine Lungen mussten noch heilen. „Hey, du bist ja schon dabei!“ Amun-Re kniete sich zu ihm hinunter und legte vorsichtig die Hand auf seinen nassen Arm. „Es tut so gut, dich wieder zu berühren. Wie fühlst du dich?“ Sethos wollte antworten, doch schon nach dem ersten Ton folgte ein feuchter Husten, der seinen geschwächten Körper schüttelte und einige geronnene Blutstücke aus der Luftröhre spülte. Er konnte sich nicht festhalten und rutschte zurück ins Wasser. „Ganz ruhig. Lass dir Zeit. Du bist noch zu schwach!“ Und sein Liebster fieberte mit ihm. Es war das einzige, was er tun konnte. So gern er ihm helfen würde, er konnte ihm nur gut zureden. Sethos beruhigte sich langsam, atmete etwas Wasser und kam dann erneut zum Rande der Plattform. Er stützte sich auf die Unterarme und streckte behutsam den Kopf heraus. Amun-Re legte ihm die Hände auf die Schultern und stand ihm bei, soweit es möglich war. Der Priester normalisierte seinen rasselnden Atem mit vorsichtigen Zügen. Er winkte ab und griff dann nach Amun-Res Hand. Wer hier wen beruhigte, war irgendwie nicht mehr zu erkennen. „Bist du dir sicher?“ fragte Seto und kniete sich neben die beiden. „Vielleicht solltest du noch etwas im Wasser bleiben. An Land ist dein Körper doch viel schwerfälliger. Und atmen kannst du auch kaum.“ Sethos schüttelte den Kopf und Seto seufzte. Da konnte man nichts machen. Was der Oberdrache wollte, das wollte er nun mal. Keine Diskussion. „Seto?“ rief Tristan und erschien unten auf der Treppe. „Braucht ihr Handtücher?“ „Noch nicht. Aber du kannst mal raufkommen und mir helfen, Sethos aus dem Wasser zu heben.“ „Warum benutzt du keine Magie und lässt ihn schweben?“ „Weil ich jetzt keine Magie in Verbindung mit Wasser benutzen will!“ schimpfte er zurück. „Dann bleib eben unten und lass es bleiben!“ „Nein, ich komme ja schon.“ Er wäre auch die Treppe raufgestiegen, wenn nicht Nika sich an ihm vorbeigequetscht hätte. „Lass mich. Du hast doch schon Rückenschmerzen.“ Außerdem war sie im Augenblick kräftiger als er und kam geschwind die Treppen hinaufgesprungen. „Oder magst du es nicht, wenn ich dich anfasse, Sethos?“ Um keinen neuen Husten zu provozieren, antwortete er zwar nicht, doch er griff ihren männlichen Arm und sagte damit genug. „Okay. Du links, ich rechts und Amun-Re geht schon mal runter“ beschloss Seto und kletterte an dem vorbei, um auf die richtige Seite zu kommen. „Aber seid zärtlich zu meinem Darling, ja?“ Sethos hauchte irgendetwas, was aber nur Seto verstand. „Du sagst es. Also los.“ „Wie machen wir das jetzt?“ fragte Nika vorsichtshalber. Schließlich wollte sie an Sethos ja nichts kaputtmachen. „Du nimmst seinen Arm und hängst ihn dir über die Schulter. Dann ziehst du ihn mit rauf. Aber pass auf, dass du seine Brust nicht quetschst.“ „Warum muss Tristan auch Rückenschmerzen haben? Sethos, du schreist, wenn dir was wehtut, ja?“ „Thue hich nhichth“ keuchte er und senkte den Kopf. Die Blöße würde er sich nicht geben. „Sethos hält Schmerzen aus. Also los jetzt.“ Seto griff den einen Arm und Nika tat es ihm auf der anderen Seite gleich. „Auf drei. Eins, zwei …“ Bei drei hoben sie den schweren Brocken gemeinsam in die Höhe. Sethos hatte zwar viel an Gewicht verloren, sein Körper schwach und ausgezehrt, doch sein langes Haar war vollgesogen mit Wasser, was das ganze Unterfangen erschwerte. Mit zwei so kräftigen Männern war er jedoch schnell aus dem Wasser raus und hing wie ein nasser Sack. Er konnte zwar seine Füße auf den Boden stellen, doch sein eigenes Gewicht nicht aufrecht halten. Ohne Hilfe würde er sofort zusammenbrechen. Sein Atem stockte bereits und war von einigen Hustern durchzogen. „Geht’s?“ fragte Seto und legte den freien Arm um seine Hüfte. Wobei er darauf achtete, nicht die empfindlichen Kiemen zu berühren, welche sich nicht so schnell schlossen. „Wenn du nicht atmen kannst, versuchen wir es später noch mal.“ „Hnheihn“ atmete er tief. Er hielt sich aufrecht so gut er konnte. „Dhas Whassher sthinkth.“ „Da sagst du was.“ „Findet ihr?“ Nika schnüffelte in die Luft, doch es roch ganz normal nach salzigem Meerwasser und okay, einem kleinen bisschen Fisch. Doch lange nicht mehr so schlimm wie vor dem Anwendung des Antidots. Der angebliche Gestank stach wohl nur noch in empfindlicheren Nasen. „Ich gehe vor. Du passt auf, dass er dir nicht aus dem Arm rutscht.“ Seto trat den Weg die Treppe hinunter an und stützte den schweren Körper. Nika trug dadurch weniger Gewicht und passte mehr auf, dass ihre teure Fracht nicht herunterfiel. Gemeinsam hievten sie ihn langsam aber dafür sicher die Stahltreppen bis in die Halle, wo Amun-Re bereits mit Handtüchern wartete. „Damit du nicht frierst.“ Und schon hängte er Sethos das große Tuch über. Doch der schien ganz andere Probleme zu haben. Er würgte, verkrampfte seinen Bauch und atmete, presste die Lippen zusammen. Er kämpfte mit einem starken Brechreiz, der seinen Körper schüttelte. „Alles in Ordnung, Darling? Kann ich etwas für dich tun? Brauchst du etwas? Eraseus, was hat er?“ „Es ist der Gestank. Das Wasser riecht furchtbar. Nach Verwesung“ antwortete er und griff etwas kräftiger um den würgenden Körper. „Nikolas, lass ihn los. Ich kann ihn allein halten.“ „Aber …“ Doch sie rief sich ins Gedächtnis, dass Seto schon wusste, was er tat. Er war der einzige, der wirklich wusste, was Sethos brauchte. Also ließ sie ihn los und Seto lehnte den nassen Drachen gegen sich, hielt ihn allein fest. Sicher könnte er ihn auch wie eine Prinzessin auf dem Arm tragen, doch das würde Sethos nicht wollen. Es war bereits demütigend genug, dass er sich an Land nicht selbstständig bewegen konnte. „Wir gehen den schlechten Geruch abduschen. Dann geht es dir gleich besser.“ Sethos nickte und ließ sich von Seto zu einer seitlichen Tür schleifen. Diese führte zu einem Waschraum mit einer Mehrpersonendusche. Für gewöhnlich wuschen sich hier die Algentaucher das Salz von den Neoprenanzügen, aber nun standen Pflegeartikel um die Waschbecken, es hingen Handtücher herum und sogar eine Duschbrause war installiert. Man hatte sich hier so gut es ging eingerichtet. „Ich dachte mir, vielleicht braucht ihr den.“ Tristan erschien einige Sekunden später mit einem schlichten Plastikstuhl und stellte ihn in die Mitte der drei Duschen. Stehen konnte Sethos nicht und ihn auf den Boden zu legen, wäre ihm auch nicht angenehm. „Ich hatte mal eine Oma, die war pflegebedürftig und die hat auch immer einen Hocker in der Dusche gehabt“ erklärte er auf das wundernde Schweigen. „Ist okay. Danke.“ Seto setzte Sethos vorsichtig ab, Amun-Re hielt ihn an den Schultern gerade bis sein Liebster wieder zu Atem kam. „Ist doch in Ordnung für dich, wenn ich hier bleibe, oder?“ Wieder nickte er und wehrte sich nicht. Es blieb ihm ja nichts anderes übrig, wenn er den üblen Verwesungsgestank loswerden wollte. „Okay, wir gehen dann“ meinte Tristan und ließ die beiden mit dem bangenden Amun-Re allein. „Wenn ihr Hilfe braucht, dann ruft ihr einfach.“ „Machen wir. Bitte mach die Tür zu.“ Tristan schloss die Tür wie gewünscht, aber möglichst leise. Seto zog sich die Schuhe und die Strümpfe aus, dann das Hemd um nicht ganz nass zu werden. Amun-Re lief ohnehin in Latschen herum, die er problemlos in die Ecke kickte. Dann knieten sich beide zu Sethos, der schlaff auf seinem Stuhl hing und immer jemanden brauchte, der ihn festhielt und nicht vom Stuhl kippen ließ. Seto griff die Duschbrause und wärmte das Wasser an, damit es angenehm war. Amun-Re verteilte vorsichtig etwas Duschgel auf den knochigen Schultern und ließ sich von Seto das Shampoo reichen. „Eraseus, wir müssen aufpassen, dass keine Seife in seine Kiemen kommt“ bat er und massierte mit sanften Händen sein langes Haar von der Kopfhaut herab. „Schon okay. Wir sind vorsichtig.“ „Und du machst dich bemerkbar, wenn du Schmerzen hast“ sagte Amun-Re mit ernster Stimme. „Keine falsche Tapferkeit. Ja?“ „Jha dhoch“ seufzte er und versuchte seinen Arm zu heben. Doch er schaffte es gerade bis zum Bauch, bevor er aufgeben musste. An Land war sein Körper einfach zu schwer. Er schloss seine Augen und versuchte nur tief zu atmen. Nicht aus Genuss, sondern eher weil ihm das hier sehr unangenehm war. Dass sich ein stolzes und erhabenes Wesen wie er waschen lassen musste - nicht wollte, sondern musste - das nagte an seinem gekränkten Ego. „Du kannst stolz sein, dass du überhaupt überlebt hast“ meinte Seto und löste das stinkende Lendentuch. „Amun-Re.“ „Ja, wir tauschen.“ Diese Stellen sollte doch lieber jemand übernehmen, der ihn dort schon öfter berührt hatte. Seto übernahm da eher den aufwendigen Job und spülte sein Haar durch bis es wieder einen schönen Duft annahm. Sein sonst seidig glänzendes und festes Haar war nun zerrupft und stumpf. Der Kampf und das ätzende Gift hatte ihm teilweise einen ganzen Meter Strähnen herausgetrennt, sogar ganze Büschel waren herausgerissen oder einfach ausgefallen. Am Hinterkopf prangte eine Wunde, welche mit zarter, rosaner Haut überzogen war. Dort würde so schnell wohl gar kein Haar mehr wachsen. Und Sethos verharrte bewegungslos auf dem Plastikstuhl, während die anderen beiden ihn behutsam wuschen und den Gestank der Verwesung fortnahmen. Seine Würde konnte er heute nicht mehr wiederherstellen und wohl auch in den nächsten Tagen nicht. „Es ist das erste Mal seit Jahrtausenden, dass du so schwach bist“ sprach Amun-Re mit sanfter Stimme und schäumte die langen, geschundenen Beine. „Nicht seit …“ „Hich wheiß“ atmete er und hielt den Kopf gesenkt. Als sein Vater ihn verflucht hatte, war es ihm ähnlich schlecht gegangen. Seitdem waren seine Ohren empfindsam, weil er die Worte seines Vaters nicht gehört hatte. Seitdem waren seine Knöchel verletzlich, weil er seinem Vater davongelaufen war. Seitdem war seine Brust ein großer, wunder Punkt, weil sein Herz seinen Schöpfer betrog. Und insgeheim zweifelte er daran, ob sein Vater ihn auch ohne Gegenleistung errettet hätte. Er ahnte, ohne Amun-Res Opfer wäre er auf unwürdigste Weise verendet. Er wollte ihm so gern sagen, dass er ihn liebte, dass er dankbar war, doch seine Lungen waren zu schwach und eine schwere Schwärze senkte sich in diesem Augenblick über ihn … Chapter 24 Es vergingen ein paar Tage, die glücklicherweise sehr ereignislos waren. Sethos war langsam wieder ansprechbar, Seto machte sich im Büro nützlich, die Kinder gingen in den Kindergarten, die Frauen hatten ein neues Hobby: Babysachen shoppen, Yami schleppte den armen Finn auf jede Party, die im Blekinger Tageblatt angekündigt wurde und auch der Rest genoss den Sommer auf seine Weise. Nur für eine hielten die nächsten Stunden einen Genuss deluxe bereit. Die Überraschung war groß als ein Kuriertransporter vor dem Hotel hielt. Es war Nachmittag und eigentlich empfing Hannes seine Ware eher nach dem Frühstück, wenn nur wenige Gäste das Restaurant besuchten . Doch um diese Uhrzeit war die Gaststätte zur Eis- und Kuchensaison gut besucht und die Truppe hatte bereits vor zwei Stunden die besten Plätze auf der Terrasse besetzt. Mal ganz davon abgesehen, dass dieser Kurier eher nach Post- als nach Großmarktlieferant aussah. Noch größer war die Überraschung, als der Liefermann mit einem sperrigen, flachen Paket, welches ein wenig aussah wie die Schachtel einer Familienpizza, gezielt auf die Gäste zuging und ins Blaue fragte: „Mrs. Gardener?“ „Ich?“ Tea bekam Ware? Sie legte Dakar bauchlängs auf ihren Arm und stand auf, um sich zu melden. „Ich habe aber gar nichts bestellt“ sagte sie verwirrt als der Kurier das Paket auf den Tisch legte und einen kleines Computerpad aus der Umhängetasche seines Gürtels zog. „Ist bereits alles bezahlt“ antwortete er und hielt ihr einen Plastikstick und das Display hin. „Wenn Sie bitte hier unterschreiben?“ „Vom wem kommt denn das?“ Wenigstens das hatte sie von ihrer Mutter, der Rechtsanwältin, gelernt: Unterschreibe niemals, wenn du nicht genau weißt, was die Folgen sein werden. „Georginnia de Feveren“ las Narla neugierig auf dem Paket, welches ungewöhnlich hochwertig aufgemacht war. Also eine Familienpizza für Superreiche. Dicker, dunkelblauer Riffelkarton und eine beschriftete Goldschleife. So etwas konnte man wirklich nicht mit schnöder Post schicken. „Das ist der Modeladen in der Stadt“ erklärte Marie sofort. „Tea, da sind wir neulich noch dran vorbei gegangen. Als wir Babysachen kaufen waren.“ „Ach, der.“ Jetzt dämmerte es ihr. „Aber wir waren nicht mal drin. Warum bekomme ich jetzt ein Paket von da?“ „Gute Frau“ bat der Kurier und blickte kritisch auf seine Uhr. „Unterschreiben Sie doch einfach und wenn es eine Falschlieferung ist, senden Sie es danach wieder zurück.“ Er musste noch weiter, Zeit war Geld. „Na gut.“ Sie unterschrieb also auf dem Pad und wünschte dem Kurier einen schönen Tag, bevor sie sich der unbekannten Sendung zuwandte. „Was ist da drin?“ nervte Yami und untersuchte bereits neugierig die dicke Schleife mit der eingestickten Schrift. Er schüttelte es und horchte aufmerksam. „Es tickt nicht, also ist es keine Briefbombe. Vielleicht sexy Unterwäsche.“ „Unsinn, wer sollte mir denn Unterwäsche schicken?“ Sie gab Dakar direkt an Marie zur Aufbewahrung und machte sich daran, das Band zu lösen. Schnell hatte sie auch den feinen Karton gelüpft und atmete tief ein. „Das gibt’s doch nicht.“ „Was denn? TEA!“ Yami hasste es, wenn er nicht sofort aufgeklärt wurde! Rätsel konnte er einfach nicht ungelöst lassen. Sie legte den Deckel zur Seite und hob mit aller Vorsicht ein Kleid heraus. Es war aus königsblauer Seide und schlug am Saum elegante Wellen. Arm- und rückenfrei und an der Brust enger genäht. Sicher nicht gerade ein Werbegeschenk. „Mrs. Gardener. Ich noch mal.“ Da war der Kurier schon wieder da, bevor er überhaupt mit dem Lieferwagen wegfahren konnte. Und er und stellte ihr noch einen Karton auf den Tisch. Doch dieses Mal kleiner, dafür höher. Die passende Ladung Muffins zur Familienpizza. „Wenn Sie hier noch mal unterschreiben würden?“ Wortlos, aber mit großen Augen legte sie das Kleid zurück und unterschrieb ihm auch den zweiten Teil. „Sie wissen nicht zufällig, warum ich ein Kleid geliefert bekomme?“ „Nein, nicht wirklich.“ Er tippte auf seinem Display herum, aber schien selbst ahnungslos. „Ich habe nur Anweisung, Ihnen das persönlich zu übergeben. Und zwar zwischen halb drei und vier Uhr. Und den Hinweis, dass Sie wahrscheinlich auf der Terrasse sitzen. Die Versandkosten werden dem Absender berechnet.“ „Aha …“ Nicht wirklich aufschlussreich. „Wer ist denn der Absender?“ „Gute Frau, wenn Sie Probleme haben, rufen Sie einfach die Nummer auf der Rückseite an“ sagte er und gab ihr einen Zettel. „Dann komme ich heute Abend noch mal und hole die Sachen wieder ab. Kostenfrei natürlich.“ „Okay … danke.“ „Tea, mach auf!“ Aufgeregt hielt Yami ihr das zweite Päckchen hin, doch bemerkte bei einem Seitenblick: „Yugi, was grinst du so hämisch?“ „Nichts“ schmunzelte er und spielte verräterisch an seinem Strohhalm. „Mach auf, Tea.“ „Ist das von dir?“ „Yugi schenkt dir Unterwäsche?“ „Yami“ guckten sie ihn beide mahnend an. Er übertrieb es mal wieder. „Yugi, ist das Paket jetzt von dir?“ „Quatsch. Warum sollte ich dir Klamotten schenken?“ „Aber du hast vorhin schon sehr darauf bestanden, dass wir hier sitzen und nicht spazieren gehen.“ „Zufall.“ „TEA!“ „Ja doch! Wir hören dich, Yami.“ Sie gab dem Drängeln nach und löste auch die zweite, goldene Schleife, öffnete den Karton und zum Vorschein kam keine Unterwäsche, sondern ein Paar Schnürschuhe aus derselben, tiefblauen Seide, lange Bänder, eine silberne Schnalle und recht breite, hohe Absätze. „Das sind Tanzschuhe!“ staunte sie mit offenem Mund. Ein Kleid und Tanzschuhe? Aus dem Nichts heraus? „Seit wann stellen Boutiquen Tanzschuhe her?“ „Tea, schau mal“ zeigte Mokuba und zog einen Umschlag unter dem Schuhkarton hervor. „Eine Nachricht.“ „Bestimmt die Rechnung … ich bin ruiniert“ fürchtete sie, aber traute sich trotzdem. Sie brach das altmodische Wachssiegel und entfaltete einen Bogen aus dickem Büttenpapier. Darauf geschrieben mit blauer Tinte und einer elegant geschwungenen Handschrift. „Lies vor, wer ist dein Verehrer?“ bettelte Yami, der es gleich nicht mehr aushielt. „Liebste Tea“ las sie, auch wenn sie selbst die Worte kaum hörte. „Seit ich dieses Kleid an dir sah, verfolgt mich dieses Bild und die Rastlosigkeit danach, deinen Wunsch in diese Welt zu holen. Deshalb bist du sehr herzlich gebeten, dieses Kleid anzuprobieren und mir den heutigen Abend zu schenken. Ich werde dich um 18 Uhr abholen und hoffe auf die Erlaubnis, dich entführen und die neuen Schuhe mit dir durchtanzen zu dürfen. In Liebe, Seto.“ „Du hast das gewusst“ unterstellte Yami dem grinsenden Yugi. Natürlich hatte der das gewusst! Seto tat doch kaum etwas ohne seine Einwilligung. „Rück raus, Yugi, was hat er mit Tea vor?“ „Der Mittsommerball!“ rief Tea, welche in diesem Moment zwei Karten aus einer kleinen Tasche des Büttenpapiers gelöst hatte. „Oh mein Gott!“ „Amun ist im Aquarium“ meldete Yami sich fröhlich. „Er hat Karten für den Mittsommerball besorgt“ atmete Tea und musste sich auf den Schock erst mal setzen. Ungläubig blickte sie das durchgestanzte Papier an, das teure Seidenkleid und die hochwertigen Tanzschuhe. Das hatte Seto alles vorbereitet. „Will er da etwa mit mir hin?“ „Bestimmt nicht“ meinte Marie kopfschüttelnd. „Er kauft dir ein Kleid und Schuhe und besorgt Karten. Ich bin mir sicher, er will sich nur die Fernsehübertragung angucken.“ „Aber woher hat er das gewusst?“ Natürlich wollte sie hin! So gern! Dieses Jahr fand der Benefiz-Ball in Oslo statt und man konnte daher besonders in Norwegen den Ankündigungen in den Boulevardblättern, den Fernsehberichten und den Radiodurchsagen kaum entkommen. Es gab ein Konzert, feinste Speisen und Getränke, herausgeputzte Leute, eine Menge Prominenz und vor allem viel Livemusik und Tanz, Tanz, Tanz. Dieser Spenden-Event hatte die prominente Besetzung der Filmfestspiele in Cannes und den Charakter des Wiener Opernballs. Natürlich wollte sie dort hin. Aber das Fragen hätte sich gar nicht gelohnt. Sie hatte kein Kleid, keine Schuhe und keinen Begleiter. Davon abgesehen, dass es so gut wie unmöglich war, Karten für dieses Ereignis zu bekommen. Die VIP-Gäste wurden schon ein bis zwei Jahre vorher eingeladen und die Restkarten für diesen Event kosteten ein halbes Vermögen - und waren selbst dann nur über Beziehungen zu ersteigern. Normalverbraucher waren auf dieser hochtrabenden Veranstaltung nicht erwünscht. „Woher … woher … was denkt er sich nur dabei?“ „Wahrscheinlich hast eher du gedacht“ tippte Yugi an seinen Kopf. „Und das anscheinend auch ziemlich laut.“ „Ja, er hat ja geschrieben, dass er das Kleid an dir sah“ kombinierte Yamis helles Köpfchen. „Wenn du daran gedacht hast, hat er den Gedanken aufgefangen. Bei Seto musst du mit solchen Wünschen aufpassen.“ „Er wusste, dass ich da hin will. Schon als kleines Kind wollte ich da hin“ sprach sie ungläubig aus und sah Yugi an. „Aber Yugi, das ist … wie ist er da rangekommen? Die billigsten Plätze starten bei 5000 Dollar und sind alle ausverkauft, obwohl du damit nicht mal auf die Tanzfläche oder ans Büffet darfst. Aber das hier“ zeigte sie die beiden Karten. „Das sind Karten erster Wahl. ERSTE WAHL! Damit darfst du sogar in den Musiksaal und hast einen eigenen Tisch im Gesellschaftsraum! Da kommen nur Megafunktionäre und A-Promis ran.“ „Tea“ lächelte Yugi vielsagend. Wenn man ihn jeden Tag erlebte, vergaß man schnell, dass Seto sowohl ein A-Promi als auch ein Megafunktionär war. „Das ist ein Geschenk von Seto. Mach ihm doch die Freude und geh da mit ihm hin. Wenn er sich das Streichkonzert nicht live anhören kann, heult er mir nur die Ohren voll. Außerdem gehen die Erlöse an einen wohltätigen Zweck und du weißt wie sehr Seto auf wohltätige Zwecke abfährt.“ „Außerdem sollen da jede Menge Promis sein“ ermutigte Nika. „Sogar George Clooney und Claudia Schiffer! Vielleicht sogar Landespräsidenten und richtige Adlige. Da mischt sich die High Society aus den USA und aus Europa sowieso. So viele hübsche und wichtige Menschen findest du nie wieder auf einem Haufen.“ „Ich weiß“ stotterte sie und sah ungläubig die Karten an. „Mein Kindermädchen hat früher jedes Jahr die Live-Übertragungen mit mir angeschaut. Sogar mitten in der Nacht, sodass ich am nächsten Tag ausnahmsweise zuhause bleiben durfte. Sie sagte immer, dass ist eine Traumwelt mit Glitzer und Glammer und wer dorthin geht, der hat’s echt geschafft.“ „Du solltest nur rechtzeitig fertig sein, sonst schaffst du es nicht“ half der alte Tato ernst nach. „Mit dem Flugzeug brauchst du mehr als zwei Stunden bis nach Oslo und wer zu spät kommt, trifft auf dem roten Teppich nur noch den Staubsaugermann.“ „Mir wird gerade ganz schwindelig.“ Sie wurde tatsächlich ziemlich blass. Mit einem Schlag war sie von der Milchkuh zur Königin befördert worden. „Das gibt sich unter der Dusche.“ Marie erhob sich, wobei sie ihren Bauch eher stemmen musste als ihn tragen zu können. Mit Zwillingen unterm Herzen hatte sie im siebten Monat das zu schleppen, was andere Mütter im zehnten Monat hätten. Das ging an sämtliche Kräfte. Trotzdem schaffte sie es, Tea aus ihrer Schockstarre zu lösen, Dakar zu Phoenix zu geben, bevor sie die Paralysierte hinein schob. „Wartet! Ich komme auch mit!“ Und Nika trug ihr dann noch Kleid und Schuhe nach. „Aber wer holt denn die Kinder ab?“ sorgte Tea sich. Noch immer ungläubig gegenüber dieses unverschämten Glücks. „Die hole ich ab“ rief Yugi ihr nach, bevor sie in der Gaststätte verschwand. „Yami und ich machen den Babysitter!“ „Ach, machen wir?“ guckte der ihn überrascht an. „Ich dachte, jetzt wo Seto den Abend weg ist, muss ich dich ein bisschen trösten.“ „Du kannst mich trösten, wenn die Kleinen im Bett sind“ zwinkerte er ihm zweideutig zu. „Auf meine Töchter kann ich immer noch selbst aufpassen“ meinte Mokeph und zündete sich beleidigt eine Zigarette an. „Das war auch mehr nur ein Witz“ entgegnete Yami ebenso ernst. „Ich habe meinen Abend schon mit Finn auf mir obendrauf verplant.“ „Geht’s dir gut?“ horchte nun auch Mokuba auf. „Du guckst so mürrisch.“ „Ich gucke nicht mürrisch“ seufzte er und ließ den Kopf hängen. „Warum bin ich nicht auf die Idee gekommen, ihr Karten zu besorgen?“ „Wahrscheinlich aus verschiedenen Gründen“ tröstete Mokuba. „Allem voran wahrscheinlich, weil du kein Gedankenhörer bist.“ „Dafür muss man doch wohl keine Gedanken hören können“ schimpfte er mit sich selbst und gestikulierte mit fahriger Hand. „Tea liebt tanzen und guckt sich jedes Jahr die Übertragung dieses komischen Spendenballs im Fernsehen an. Und ich habe sie seit Monaten nicht mehr ausgeführt. Unter deinem Namen hätte ich garantiert Karten bekommen. Als Kaiba bekommt man überall Karten!“ „Aber du hättest garantiert das falsche Kleid gekauft“ versuchte Mokuba es weiter. „Umso trauriger, dass fremde Männer die Größe meiner Frau besser kennen als ich.“ „Und du bist nicht ihr Tanzpartner“ tröstete er unvermindert. „Seto und Tea haben schon zusammen getanzt, bevor du überhaupt hier warst.“ „Ich hätte aber rechtzeitig Stunden nehmen können. Ein ganz toller Ehemann bin ich.“ Verzagt atmete er den Tabakrauch ein und ärgerte sich für sich selbst. Es wäre so einfach gewesen, Tea diese Freude zu machen. Aber nein, da brauchte es Seto, um sie zu überraschen. Traurig. „Dir fällt bestimmt was anderes ein, womit du ihr eine Freude machen kannst“ baute Mokuba ihn auf und schob den Aschenbecher in seine Richtung. „Gib nicht auf, sie liebt dich doch eigentlich.“ „Nur, dass sie mich mit dem Arsch nicht anguckt“ meinte er traurig. „Vor den Kindern zeigt sie es nicht so, aber sie meidet jeglichen Kontakt mit mir. Sie fehlt mir, aber ihr ist das völlig egal. Geschieht mir recht.“ „Mokeph.“ „Und da müssen andere Männer kommen und sie ausführen. Wie tief bin ich gesunken, dass ich das nicht mehr selbst hinbekomme?“ „Du kannst aber nicht eifersüchtig auf Seto sein“ meinte Tristan. „Mit dem kann keiner von uns mithalten.“ „Da muss ich ihm zustimmen“ meinte auch Mokuba. „Wenn mein großer Bruder den Galan-Modus einlegt, kann sogar Noah einpacken. Und der ist immerhin schon Galan von Gottes Gnaden.“ „Absolut begnadigt“ nickte Yami fröhlich, aber das entlockte nur dem Rest nur ein leises Seufzen. Seine Scherze waren auch schon mal besser gewesen. „Es nutzt nichts“ erwiderte Mokeph vollends entmutigt. „Ich verliere sie mit jedem Tag mehr … letztlich habe ich ihr nie etwas geboten. Sie ist eine tolle Frau mit großen Träumen und stattdessen gibt sie alles auf und bekommt meine Kinder … ich bin so ein Idiot …“ Da half es auch nichts, wenn er die Zigarette im Aschenbecher verstümmelte. Die konnte da ja nun wirklich als letzte etwas für. Pünktlich um kurz vor sechs Uhr am Abend fuhr auch Seto vor. Eine lange, weißsilberne Cabrio-Limousine hielt vor der Gaststätte und aus der hinteren Tür stieg er selbst. Er hatte sich sichtlich auf den Abend vorbereitet und trug neue, schwarze Lederschuhe -pardon, KUNSTlederschuhe -, eine Hüfthose aus Stoff, welche ebenso königsblau gefärbt war wie Teas sommerliches Ballkleid. Dazu ein langärmliges, weißes Hemd aus Seide mit dunkelblauer Weste, welche seine männlichen Umrisse heraushob und ihm eine elegant schmale Hüfte verlieh. Ebenso verzichtete seine Garderobe auf überladene Zier wie Nähte oder Taschen. Beim Näherkommen erkannte man nur am Kragen und den Manschetten eine silbern aufgestickte Reihe von dornigen Rosenranken. Auch entgegen dem Modestandard war das Hemd leicht geöffnet und hochgekrempelt. Immerhin war es selbst in der Nacht noch weit über 20 Grad und es war schon eine Überwindung, dass er mehr als zwei Schichten Kleidung trug. Zum Glück hatte sie sich ein blaues Kleid ausgeguckt und kein gelbes, sodass das mit dem Partnerlook gut ging. Über seine Kleidung hinaus verriet aus der Ferne auch schon die Rolex an seinem rechten Handgelenk, dass er zu den Besserverdienern zählte. Das schlanke Armband, welches Yugi ihm zu seiner Priesterweihe geschenkt hatte, wirkte dagegen fast unauffällig, obwohl es doch für Wissende die wahre Kostbarkeit darstellte. „N’Abend“ grüßte er in die Allgemeinheit, während er sich zu Yugi herabbeugte und ihn küsste. Nebenbei legte er den flachen, viereckigen Kasten aus schwarzem Holz, welchen er mit sich trug, auf dem Tisch ab. „Na?“ lächelte Yugi ihn verliebt an. „Du siehst umwerfend aus, Liebling. Und du, hmmmm, du riechst gut.“ „Dankeschön“ lächelte er zurück. „Und? Hat sie sich gefreut?“ „Sie wäre fast in Ohnmacht gefallen. Aber sie ist gleich nach oben gegangen und Marie hilft ihr, sich fertig zu machen.“ „Ich gucke schnell, wie weit sie ist“ meinte Sareth und flitzte hoch, um bescheid zu sagen, dass ihr Begleiter eingetroffen war. „Deines, oder?“ Seto griff sich zielsicher Yugis Glas und leerte das kühle Wasser in einem Zug. Es war definitiv zu warm für ihn. „Ich glaube, du hast voll ins Schwarze getroffen“ meinte Mokeph leise. „Ich habe Tea lange nicht mehr so aufgeregt gesehen.“ „Sie war ja auch lange nicht mehr tanzen“ erwiderte Seto. „Eigentlich habe ich auch gar keine Lust, mir diesen Promi-Quatsch anzutun, aber …“ „Und warum tust du es dann?“ Er wusste nicht, ob er Seto nun dankbar sein sollte, dass er seine Frau beglückte oder ob er ihn zum Faustkampf auffordern wollte. „Weil sie sich in diesem blauen Kleid auf der Tanzfläche sieht. Dieses Bild steht seit Tagen in der Luft“ entgegnete er mit ruhigem Ton. „Und weil ich neulich Nacht von ihr geträumt habe, muss ich jetzt mit ihr ausgehen.“ „Du träumst also von meiner Frau, ja?“ „Nur für den Fall, dass du es zwischen Schuldgefühlen und Babywindeln vergessen hast“ biss er spitz zurück. „Tea ist eine klasse Frau mit Grips und Stil. Und einen Mann, der mehr an sich selbst als an sie denkt, hat sie definitiv nicht verdient. Sie opfert sich schon genug für uns alle auf. Und wenn du sie nicht aus ihrer Lethargie holst, tue ich das mit Handkuss. Denn ich liebe sie und im Gegensatz zu dir, scheue ich mich nicht, ihr das auch zu zeigen. Und zwar aus echter Liebe und nicht wegen gekränktem Stolz.“ Punkt, der Drache hatte gesprochen. „Also mach mich nicht dumm von der Seite an, okay?“ Mokeph schwieg und das im passenden Moment, denn wer da eben auf die Terrasse trat, war nicht eine Mama im Jogginganzug wie in den letzten Tagen, sondern eine wahre Königin. Sie trug das lange Kleid, welches Seto ihr geschenkt hatte. Es betonte ihre volle Oberweite und floss locker bis zu den Knöcheln, welche von den Seidenbändern der Tanzschuhe umwickelt waren. Ein Traum in dunkelblau. Ihr Haar trug sie hochgesteckt und Marie hatte es kunstvoll mit vielen, kleinen Strähnen verflochten, sodass es elegant aussah und nicht auseinander fiel. Die passende Handtasche aus weißem Kunstleder hatte der Kurier beim dritten Mal dann auch nachgeliefert und so sah sie tatsächlich strahlend schön aus. Da staunte ein jeder, dass sie auch nach zwei Kindern und einem zu stillenden noch immer so begehrenswert wirken konnte. Ja, sie sah nun wirklich wie eine echte Königin aus. So sehr, dass Mokeph sich schamvoll abwandte. „Hi Seto“ lächelte sie etwas beschämt darüber, dass sie auch von den Fremden im Restaurant so angesehen wurde. „Danke für das Kleid. Und die Schuhe.“ „Du siehst fantastisch aus“ erwiderte er, reichte ihr die Hand und küsste sie standesgemäß. „Du bist wunderschön, Tea.“ „Nur weil du es ausgesucht hast“ meinte sie und strich über ihre Taille. „Meine Hüften sind nicht mehr das, was sie früher waren. Eine Nummer kleiner und ich sehe aus wie eine Presswurst.“ „Rede keinen Quatsch.“ Das wollte er gar nicht hören. Er trat hinter sie, legte sein Kinn auf ihre Schulter und strich mit den kalten Händen über die warme Seide an ihrer Taille. „Deine Hüften sind Weltklasse. Genau wie eine Frau sein soll.“ „Ach, Seto.“ Das war doch wirklich ein Traum. Er war so lieb und Komplimente hatte sie auch seit langer Zeit nicht mehr bekommen. Das war Setos, wie nannte Mokuba es so schön, Galan-Modus. Er konnte Komplimente machen und Frauen anfassen, ohne dabei billig oder schleimig zu werden. Täte ein anderer Mann das, würde der wahrscheinlich einen Preis für den schmierigsten Baggerspruch bekommen. Der Unterschied war einfach der, dass Seto meinte, was er sagte. „Aber eine Sache haben wir noch offen, beziehungsweise zu öffnen“ sprach er dann, griff um sie herum und nahm den Holzkasten vom Tisch, um ihn ihr zu geben. „Für mich?“ „Für dich.“ Sie nahm den Kasten, doch er war so schwer, dass sie ihn gleich wieder auf dem Tisch abstellen musste. „Meine Güte, hast du da Wackersteine drin?“ „Ich bin das Geißlein, nicht der böse Wolf.“ Dann erst öffnete sie das Scharnier, hob den Deckel ein Stück an, doch kaum hatte sie einen Blick erheischt, knallte sie ihn gleich wieder zu. „Seto! Das ist nicht dein Ernst!“ „So schlimm?“ guckte er besorgt von der Seite um sie herum. „Du hast doch neulich noch überlegt, wie sich das wohl anfühlt.“ „Das ist … SETO! Das liegt doch im tiefsten Russland unter Panzerglas! Wie hast du DAS denn geliehen gekriegt?“ „Doch nicht geliehen“ echauffierte er sich und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Das russische Volksmuseum hat sich gegen eine Spende so sehr gefreut, dass sie es mir quasi aufgedrängt haben.“ „Du hast …“ Geschockt drehte sie sich herum und begann zu zittern. „Du hast das nicht echt gekauft. Bitte sag mir, dass du das nicht gemacht hast.“ „Dann sage ich es dir nicht“ meinte er und setzte sein schönstes Lächeln auf, sodass sie einfach weich werden musste. „Du hast es verdient, alles geschenkt zu bekommen, was du dir wünschst.“ „Ich habe mir das nicht gewünscht. Ich habe … du hast sie doch nicht alle … Seto, du hast einen Schaden!“ „Das sagt mein Psychiater auch immer. Darf ich?“ „Was ist denn das?“ wollte jetzt auch Sareth endlich wissen, aber als Seto den Holzkasten öffnete, verstand sie, weshalb es Tea die Sprache verschlug. Darin lagen funkelnde Diamanten von unschätzbarem Wert. Allerfeinst geschliffen und eingesetzt in glänzendes Silber. Geformt zu einem Diadem, einem Collier, zwei Ohrringen, einem Ring, zwei Armbändern, einer Brosche und einem Armreif. Alle in derselben, kunstvollen Art. Die Diamanten waren wie gefrorene Rosenblüten und die Silberverbindungen wie Reif auf den Blättern. Doch die wenigen, allerfeinsten Dornen der Rosen waren aus dunkelblauen Saphirsplittern und in der Mitte eine schüchterne Rosenblüte aus zierlichsten Diamanten. In allem brach sich die Sonne und reflektierte zurück wie millionen Prismen. „Das haben wir neulich im Fernsehen gesehen!“ erkannte Sareth sofort und ließ den Mund offen stehen. „Der Schmuck hat seit Generationen der Zarin gehört, bevor er ins russische Staatsmuseum übergegangen ist. Und angefertigt wurde er angeblich damals von einem Liebhaber für Katharina die Große. Das sind die Eisrosen des russischen Herzens. Die komplette Sammlung!“ „Das hast du gekauft?“ Jetzt wurde sogar Mokuba stutzig. „Großer, wie teuer war das?“ „Über Geld spricht man nicht“ meinte er und war schon dabei, der zitternden Tea ihre dagegen jämmerliche Silberkette abzunehmen. „Nein ehrlich, Seto“ hauchte sie den Tränen nahe. „Das kann ich nicht tragen.“ „Aber du hast dich neulich gefragt, wie sich so ein Collier auf der Haut anfühlt. Ob es wohl sehr schwer wäre …“ „Aber so etwas leiht man sich. Wenn überhaupt. Das kauft man nicht. Besonders nicht aus dem russischen Staatsschatz. Das ist ein Museumsstück.“ „Weiß doch niemand, dass ich es gekauft habe. Offiziell sagt man nur, dass es sich ab sofort in Privatbesitz befindet.“ „Warte!“ Bevor sie sich nun auch die Ohrringe abnehmen ließ, trat sie einen Schritt weg und sah ihn verunsichert an. „Wie viel hast du dafür bezahlt?“ „Ist doch nicht wichtig. Es steht dir sicher ganz …“ „Seto, wie viel?“ wollte sie endlich wissen. „Mehr oder weniger als eine Million?“ „Rubel?“ „Seto! Dollar natürlich. Harte US-Dollar. Eine Million Dollar?“ „Tea …“ „Seto! Mehr oder weniger als eine Million?“ „Mehr.“ Uff! Mehr? „Zwei Millionen?“ das wollte sie jetzt unbedingt wissen. „Mehr“ antwortete er und beugte sich zu ihr. „Die Steine haben nicht so viel Wert wie ich bezahlt habe, nur der geschichtliche Wert ist enorm. Doch wenn du mich fragst, verleihst du den Steinen mehr Wert als jede Zarin der Geschichte es könnte. Auch mehr als Katharina die Große.“ „So ein Unsinn!“ „Kein Unsinn.“ Er senkte seine Stimme, strich ihr über den Hals und legte seine Stirn an ihre. „Du bist die erste Frau, die mich gut behandelt hat. Alle Schmuckstücke der Welt können gar nicht sichtbar machen, wie sehr ich dich liebe.“ „Aber Seto … das geht zu weit.“ Abgesehen davon, dass gleich Tränen kullerten. „Bitte beleidige mich nicht, indem du das Geschenk ablehnst. Ich hoffte, du würdest dich ein bisschen freuen.“ „Ich freue mich mehr als gut für mich ist … aber Seto. Nur weil ich mal was bewundere, was im Fernsehen gezeigt wird, heißt das nicht, dass du mir das sofort schenken sollst. Das ist … das ist nicht normal.“ „Was ist schon normal?“ Er lächelte sie an und bat auf charmanteste Art um ihre Zustimmung. „Wie teuer es war oder wo es herkommt, ist doch unwichtig. Wichtig ist allein, dass es einen persönlichen Wert für dich hat. Und ich hoffe, dass du dich freust. Oder lag ich so falsch?“ „Nein … natürlich freue ich mich …“ „Und ich mich auch. Wo ist nun das Problem?“ „Tea“ unterbrach Mokuba freundlich und schüttelte vielsagend den Kopf. „Du weißt doch, dass diskutieren mit Seto zu nichts führt.“ „Das kann ich aber nie wiedergutmachen“ atmete sie und hielt nur mit Mühe die Tränen zurück, die aus ihrer Stimme quollen. „Nein, es ist andersherum.“ Er nahm das Collier und legte es mit sanften, kalten Händen um ihren Hals. „Das hier ist eine Wiedergutmachung an dich. Weil du mit mir so viel mitmachen musstest. Und weil du mich trotz allem immer warmherzig, freundlich und respektvoll behandelst. Und weil du nicht zuletzt eine der wichtigsten Frauen in meinem Leben bist.“ „Seto …“ Chapter 25 Es hätte ein Traum sein müssen, wenn nur nicht die Magenschmerzen so real stachen. Innerhalb weniger Stunden fand sie sich in einer anderen Welt wieder. Einer Welt, welche Seto komplett für sie durchgeplant hatte und in welcher jeder Wunsch erfüllt wurde, bevor er überhaupt aufkeimen konnte. So war Tea von ihm komplett mit einem traumhaften Sommerballkleid und russischen Zarendiamanten ausgestattet worden, bevor er sie in eine luxuriöse Cabriolimousine einlud. Diese schloss zur Schonung ihrer hochgesteckten Frisur natürlich ihr Verdeck. Dann bekam sie erst mal ein Pfefferminzeis und fand sich kurz später in einem von Setos kleineren Privatjets wieder. Klein bedeutete in diesem Falle, dass es ‚nur‘ ein Badezimmer und ein Wohnzimmer gab. Die größeren Jets besaßen Konferenz- und/oder Arbeitsräume neben Schlafzimmern oder für Noah sogar einem Fitnessraum oder für Mokuba ein Air-Cinema. Joey hatte für sich selbst sogar einen ganzen Raum mit 3D-Spielekonsolen einbauen lassen - zu Testzwecken natürlich, damit man es von der Steuer absetzen konnte. Doch Seto übte sich heute in Bescheidenheit. Es war ja auch nur ein kurzer Flug bei bestem Wetter, welcher gerade genug Zeit bot, um Tea die Gästeliste des Mitsommerballs vorzulegen, den Grundriss des Veranstaltungsortes und die Auswahl an Veranstaltungen, wie beispielsweise das Streichkonzert oder eine Auktion. Seto hatte es genau durchgeplant und hoffte auf Teas Zustimmung. Er hätte sonst alles noch mal neu geplant - sie brauchte es nur sagen. Auch wenn sie ihm kaum zuhören konnte, so laut schlug ihr Herz in den Ohren. Am Flughafen in Oslo angekommen, erwartete sie bereits eine neue Limousine. Die Häuser, Straßen und Menschen flogen an den getönten Scheiben vorbei wie in einem Traum. Es musste ein Traum sein. Seto hielt ihre Hand und beruhigte ihre Dankesgesänge mit sanften Worten und einem Lächeln. Er wusste, dass dies die Verwirklichung eines von Teas innigsten Mädchenträumen war. Ein Mal nur auf den Mitsommerball gehen und abtauchen in eine Welt von Ganz und Glammer. Hatte sie bisher nur nervös an ihrem Kleid genestelt, wurden nun die Knie weich. Der Wagen hielt und beim Hinaussehen blendeten sie bereits helle Blitzlichter und aufgeregtes Gerede. Seto stieg zuerst aus und reichte dann die Hand, um ihr hinaus zu helfen. Und dann war er da - der rote Teppich. Er war tatsächlich rot wie in den Filmen. Links und rechts wurden Fotografen und Fans mit Absperrungen auf Distanz gehalten. Die einen hielten kreischend Notizhefte und Stifte hin, die anderen fotografierten als würde ihr Leben davon abhängen. Mikros wurden an langen Stangen möglichst weit nach vorn gehalten, Kameras fingen jede Regung ein und Reporter riefen Namen und Fragen, welche in der Lautstärke untergingen. Es war sogar noch ergreifender als in den Fernsehübertragungen. Und sie saß nicht mit Chips, Eis und Sekt vor dem Bildschirm, sondern lief mit Zarenschmuck und einem großartigen Mann zwischen all denen hindurch, welche nicht zu der gesegneten Gesellschaft gehörten, welche nicht den geheiligten Teppich betreten durften. Wie in Trance griff sie Setos Arm und ließ sich über das majestätische Rot führen. In dem Blitzlichtgewitter und dem Rufen hörte sie kaum etwas hindurch. Nur Setos Namen hörte sie aus verschiedenen Richtungen heraus. Für gewöhnlich mied er solche Festivitäten und so war es umso mehr ein Ereignis, dass er heute hier erschien. Nur die Fans gingen wie meist ohne Autogramm aus. Wahrscheinlich war er nur froh, wenn er aus der Menge heraus war und niemand mehr seinen Namen kreischte. Er jedoch schien ganz ruhig, trotz des lauten und hektischen Treibens. Ohne ihn wäre Tea wie eine Betrunkene gewankt, doch er stand fest wie ein Eisberg. Er sah nicht nach links oder rechts und ging gelassenen Schrittes bis zu der großen Tür, welche von mehreren Securitys bewacht wurde. Dort öffnete sich die menschliche Sicherheitssperre und sie traten ein in eine große Empfangshalle. Sofort wurde der Lärm abgeschirmt. Auf der linken Seite eine lange Garderobe mit adrett gekleidetem Personal. Auf der rechten Seite eine weite Fensterfront mit Parkblick. Dort zwischen den Bäumen und Beeten flanierten einige schick gewandete Gäste und genossen den erröteten Himmel. Der rote Teppich führte weiter geradeaus, wo am Ende drei verschiedene Tore warteten. Tea wusste gar nicht wo sie zuerst hinsehen sollte, da kam bereits ein Kamerateam auf sie zugelaufen. Ein blonder Mann im Smoking der ein rotes Mikrofron vor sich hertrug. In seinem Gefolge mit dunklen Jeans und weißem Hemd bekleidet eine Kamerafrau und ein Mann mit verrutschter Krawatte, einem radioähnlichen Gerät und einem plüschigen Mikro an einem langen Eisenstab. Doch Tea sah, dass diese hier Ausweise am Revers trugen und nicht von den Securitys aufgehalten wurden. Und aus den Fernsehübertragungen wusste sie, dass dies eines der drei Kamerateams war, welche die offizielle Berichterstattung übernehmen durften. „Mr. Muto!“ und schon stürmten die drei auf sie zu und liefen neben ihnen her. Der blonde Mann hielt Seto das Mikro hoch und hoffte auf Antworten. „Herzlich willkommen auf dem Mitsommerball.“ „Danke“ murrte er und warf nur einen kurzen, mürrischen Blick auf ihn. Reporter zählten nicht zu seinen besten Freunden. Er und die Presse waren natürliche Feinde. „Man sieht Sie selten auf Events wie diesen. Wie kommt es, dass Sie nach Ihrer Absage nun doch den Mitsommerball besuchen?“ Der Reporter sprach mit einem starken Akzent, sodass Tea sich bemühen musste, seine merkwürdigen Betonungen überhaupt zu verstehen. Doch Seto schien damit weniger Probleme zu haben. Er seufzte unmerklich, blieb langsam stehen und stellte sich dieser unvermeidlichen Begegnung. Kühl sah er den blonden Reporter an, der ihn jedoch freundlich anlächelte. „Die Kaiba Corporation verstärkt derzeit ihre Anstrengungen in Nordeuropa und von daher müssen wir auch persönlich im europäischen Raum präsent sein. Der Besuch in Oslo ist daher nur ein kleiner Umweg. Außerdem engagiert sich die Kaiba Corporation schon seit Jahren in sozialen Bereichen und ich hoffe, mit meinem Besuch nicht nur einen persönlichen Standpunkt gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen zu beziehen, sondern auch andere Unternehmer dazu zu motivieren, mehr Wert und Vertrauen, auch landes- und religionsübergreifend, in die Qualitäten weiblicher Arbeitsleistung zu legen.“ „Ihre eigene Stiftung Sun-For-Children engagiert sich ja eher im Bereich gegen Kindesmissbrauch und Kinderarbeit. Warum waren Sie nicht im letzten Jahr in Warschau zu Besuch als der Erlös genau zu diesen Zwecken verwendet wurde?“ „Das Kindeswohl beginnt in erster Linie mit dem Wohl der Eltern, speziell der Mütter, weshalb wir nicht nur gegen Kindesmissbrauch arbeiten, sondern auch in den Familien direkte Arbeit leisten“ antwortete er mit angenehmer, aber fester Stimme. Er strahlte etwas klares, souveränes aus, was Tea vor Ehrfurcht frösteln ließ. „Es ist der Kaiba Corporation seit Jahren ein Anliegen, der Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen entgegen zu wirken. Die Kaiba Corporation hat verschiedene Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramme etabliert und hiermit bereits sehr gute Erfahrungen gemacht. Deshalb ist das diesjährige Thema mit unseren Engagements vereinbar. Auch wenn im letzten Jahr niemand von uns persönlich in Warschau anwesend sein konnte, hat sich die Mittsommer-Vereinigung über unsere großzügige Spende sehr gefreut und sich mit einer erneuten Einladung für dieses Jahr bedankt.“ „Erlauben Sie bitte noch eine letzte Frage. Wie geht es Ihrem Mann?“ „Sehr gut. Danke.“ „Mr. Muto, vielen Dank für das Interview und noch einen schönen Abend.“ „Ebenso.“ Er nickte und setzte seinen Weg über den Teppich fort. Tea war verwundert wie ruhig und gelassen er geantwortet hatte. Er hatte über seine Sätze kaum nachgedacht, das klang so routiniert als würde er das täglich machen. Es verhielt sich für gewöhnlich eher so, dass er Statements aus dem Wege ging, weil er ohnehin falsch zitiert wurde oder man ihm irgendetwas andichtete. Umso erstaunlicher, dass er überhaupt stehen geblieben war. „Du fragst dich, warum ich ihm überhaupt geantwortete habe“ stellte er auf Teas Grübeln fest. „Schon ungewöhnlich, dass du dich mit Reportern unterhältst. Das übernehmen doch sonst eher Noah und Joey.“ „Die sind ja aber nicht hier.“ „Eben. Warum bleibst du dann sogar stehen? Das passt gar nicht zu dem, was du sonst machst.“ „Zuerst mal, weil er in meiner Sprache gefragt hat. Das ist ein Zugeständnis und sehr höflich. Für gewöhnlich quatschen die Typen dich auf englisch an und sagen nicht mal guten Abend.“ „Stimmt.“ Als Kind war sie froh, wenn ihr Kindermädchen die Untertitel vorgelesen hatte, wenn es keinen Simultanübersetzer im Fernsehen gab. Erst mit steigenden Englischkenntnissen hatte sie sich die Übertragungen ohne Übersetzer angesehen und nur selten wurde dabei etwas anderes als Englisch gesprochen. Der Reporter wusste also, dass er Seto anders behandeln musste, wenn er ein kurzes Interview wollte. „Zum Anderen hatte er Ahnung von dem, was er fragte. Er wusste, dass ich eine Stiftung betreibe, also hat er sich offensichtlich auf das Gespräch vorbereitet. Seine Fragen waren recht harmlos für einen Reporter und er hat sich an die Regel gehalten, dass man eingangs nicht mehr als drei Fragen stellen sollte. Außerdem konnte ich dadurch ein bisschen Werbung für uns machen.“ „Das ist mir auch aufgefallen“ stimmte sie sofort zu. „Du hast ziemlich oft Kaiba Corporation gesagt.“ „Weil sie das Interview nach der Live-Übertragung sowieso kürzen und ich wenigstens den Unternehmensnamen genannt haben will. Aber jetzt genug mit dem Marketing. Wie fühlst du dich denn? Alles in Ordnung?“ „Alles bestens.“ Sie fühlte, wie er ihren Arm drückte und sanft zu ihr herabsah. „Ich bin ziemlich aufgeregt. Ich hoffe, dass ich dich nicht blamiere.“ „Mich blamieren? Dazu gehört aber mehr als gutes Aussehen und ein bezauberndes Lächeln.“ „Du bist süß“ kicherte sie und sah von ihren Schuhe aus lieber nach vorn. „Ich meine doch, weil das hier eine ganz andere Welt ist. Es war zwar immer mein Traum, hier mal herzukommen, aber eigentlich gehöre ich hier gar nicht hin. Ich bin keim Promi, nicht reich und nicht erfolgreich. Und die Gepflogenheiten der Highsociety sind mir auch nicht geläufig.“ „Aber du warst doch mit deinen Eltern auch mal auf einer Spendengala oder ähnlichen Events.“ „Ja schon. Aber da war ich mehr das Vorzeigekind, wenn sie mal ein Kind vorzeigen mussten. Das hier ist doch etwas ganz anderes.“ „Ich bin ja auch nicht oft auf solchen Festen. Das hier ist alles eine Scheinwelt und die meisten Leute sind nicht wegen des guten Zwecks hier, sondern zum Sehen und Gesehen werden und zum Lästern.“ Diese Meinung besorgte sie nur noch mehr. „Meinst du, sie lästern auch über uns? Weil du mich mitgebracht hast? Hat er deswegen nach Yugi gefragt?“ „Garantiert.“ Dennoch lächelte er sie liebevoll an, beugte sich herunter und küsste ihre Schläfe. „Aber nur aus Eifersucht. Weil du nicht nur die natürlichste Schönheit bist, sondern auch der einzig normale Mensch hier.“ „Abgesehen von dir.“ „Also wirklich“ schmunzelte er und hob tadelnd den Finger. „Man hat mir ja schon vieles nachgesagt, aber noch nie, dass ich normal wäre.“ „Verzeih. Wie konnte ich mich nur zu so etwas hinreißen lassen!“ Sie buffte ihn in die Seite und er lachte sogar kurz. Gut zu sehen, dass er trotz der zu erwartenden Menschenmenge guter Laune war. Eigentlich war die Teilnahme an solchen Anlässen eine Strafe für ihn, doch Tea glücklich zu sehen, hob auch seine Stimmung. Dann waren sie auch schon am Ende der Halle angekommen und Tea wusste nicht ganz, welches von den drei Toren sie nun durchqueren sollte. Seto hatte ihr zwar den Grundriss der Anlage gezeigt, doch Architektur war nie ihre Stärke. Wenigstens schien er bescheid zu wissen und steuerte nach links, wo zwei Angestellte eine Samtkordel bewachten und freundlich lächelten. Die beiden Damen trugen dieselbe Uniform wie die Garderobieren - einen schwarzen Hosenanzug oder Rock und ein weißes Hemd. Natürlich mit Namensschildern, welche sie als autorisiertes Personal auswiesen. „Good evening, Mr. Muto“ grüßte die dunklere von beiden und und streckte die Hände aus. Seto zog eine Karte aus der Tasche des Jacketts, welches er sich wegen der Wärme über den Arm gelegt hatte. Wobei Tea nur auffiel, dass sie gar nicht daran gedacht hatte, eine eigene Jacke mitzunehmen. Und wie schön Setos Manschettenköpfe glänzten … „Mrs. Gardener is accompanying you?“ lächelte sie und sah Tea freundlich an. „Yes.“ Seine Antwort war kurz und aussagekräftig. Seine Mine war auch nicht mehr allzu freundlich, aber sie war nun mal fremd und er begegnete Fremden noch immer sehr vorsichtig. Er war eben ein scheuer Drache. Die Dame nickte ihrer Kollegin zu, welche auf einem Zettel etwas abhakte. Dann erst löste sie die Kordel der Absperrung, um die Gäste hindurch zu lassen und gab ihm die Karte zurück. „We wish you having a nice evening and if you have any requests, please feel free to ask for our support.“ „Thanks.“ Er wies nach vorn und ließ Tea zuerst eintreten. Ein paar Schritte weiter fand sie sich auf einem schummrigen Gang wieder. Langgestreckt und in Halbmondform. Blankpolierter Parkettboden. Die rechte Seite war von verschiedenen Landschaftsmalereien geziert, die linke Seite führte durch offene Doppeltüren in einen Konzertsaal, welcher helles Licht und Stimmengebrummel in den Gang spülte. Die Plätze waren fast alle besetzt und noch bevor Tea sich ein vollständiges Bild machen konnte, eilte ein fleißiger Angestellter auf sie zu. Ein junger Mann, sehr jung. Vielleicht ein Schüler, der sich ein Zubrot verdiente. „Mr. Muto. Good evening.“ Aber auch er erkannte Seto bereits und machte eine kleine Verbeugung. „It’s a honor having you and Mrs. Gardener here. If you like I would be happy to show you to your seats.“ „Wir sind spät dran. Deswegen kommt er gleich zur Sache“ erklärte er zu Tea gewandt, bevor er dem Jungen zunickte und ihm seine Einladungskarte übergab. Der nahm sie, doch wies bereits nach vorn ohne wirklich gelesen zu haben. „This way please.“ „Thank you.“ Tea wunderte sich, dass er sie in diese Richtung führte. Beim Blick durch die offenen Saaltüren hatte sie bemerkt, dass die Bühne in der anderen Richtung lag und er sie also von dort wegführte. Seto hatte doch gesagt, er habe gute Plätze organisiert und jeder wusste, dass die besten Plätze vorn an der Bühne waren und nicht hinten. Doch sie zuckte innerlich mit den Schultern und dachte sich, dass sie im Kino und im Theater auch lieber weit hinten saß. Man konnte dort einfach besser sehen. Seto nahm ihre Hand und legte sie um seinen Arm. Er passte die ganze Zeit auf, dass sie nicht verloren ging. Jedoch wurden sie nicht in die hinteren Stuhlreihen gebracht, sondern zu einem Fahrstuhl, welcher bereits einladend für sie offenstand. Seto zögerte kurz, was Tea daran bemerkte, dass er einen Schritt ausfallen ließ und schluckte. Er hasste Fahrstühle. Dennoch ging er anstandslos hinein und blickte zu Boden. Er musste sich in solchen Situationen immer konzentrieren. Zu seiner Erleichterung war die Fahrt nur wenige Sekunden lang und als die Türen wieder aufsprangen, lief ihr junger Führer sofort voraus. Er sagte zwar nichts, doch Tea kam der Gedanke, dass sie ziemlich spät dran sein mussten. Draußen hatte sie kaum Stars gesehen oder andere Gäste. Dafür war es laut im Saal und voll besetzt. Wahrscheinlich wartete man nur noch auf sie und Seto. Oder wohl eher nur auf Seto. „We have reserved your private balcony. I hope you’ll like it.“ Der Junge zog einen Vorhang zur Seite und gab den Blick auf einen Balkon frei. Tea hatte also richtig gelegen, dass er sie von der Bühne weg geführt hatte. Doch nicht zu den schlechteren Plätzen, sondern den besten, die der Saal aufbot. Eine Loge an der Stirnseite. Dort wo die Mächtigen und Wichtigen saßen. Als Seto sie vorgehen ließ, verschlug es ihr den Atem. Unter ihnen saßen hunderte bunte, elegante, glitzernde Menschen. Kellner huschten durch die Sitzreihen und bedienten die letzten Bestellungen. Das Orchester lag bereits in den letzten Zügen, ihre Instrumente zu stimmen und wartete auf den Dirigenten. Rechts neben ihrer Loge war der Vorhang gegen Seitenblicke zugezogen, der daneben auch, sodass Tea nicht sehen konnte, wer ihre Sitznachbarn waren. Doch aus der dritten nickte ihr ein Mann mit blondem Haar und einem feinen, dunkelgrünen Anzug zu. Sein Gesicht etwas rundlich und seine Begleitung eine dunkelhaarige Schönheit. Da blieb ihr der Mund offenstehen, denn den erkannte sie trotz des dämmrigen Lichts sofort. Nika hätte in diesem Moment das Kreischen bekommen, denn sie liebte Leonardo di Caprio. Und er hatte seine Freundin dabei. Hier gab sich sogar die Hollywood-Prominenz die Ehre und Tea ärgerte sich nun doch ein bisschen, dass sie keinen Fotoapparat dabei hatte. Den hätte sie jetzt noch lieber als eine Jacke gegen die Abendkälte. Auf die anderen Seite, links von ihrer Loge wanderte der Blick erst danach als Seto ihr gestikulierte, sie solle sich eine Seite aussuchen. Sie sah das ältere Ehepaar an, welches dort direkt neben ihnen in der allerbesten Loge saß. Die Dame trug ein schlicht hellgraues, mit Glitzersteinchen besticktes Kleid und ein mit Saphiren besetztes Diadem auf dem brünetten Haar. Neben ihr ein korpulenterer Herr mit Halbglatze und einem Soldatenanzug. Der Kragen gelb und die Schärpe rot. Auf seiner Brust ein paar Orden. Daneben saß ein jüngerer Mann mit freundlichem Gesicht und dunklem Bart. Auch er trug eine ähnliche Soldatenuniform und glänzende Orden. Er zückte das Opernglas, welches er an eine goldblonde Frau gab. Sie trug ein rosa Seidenkleid und ein mit roten Steinen besetztes Diadem. Erst als die Frau im hellgrauen Kleid ihr zulächelte, traf sie der Schlag. Das auf ihrem Kopf war kein Diadem, sondern eine Krone. Diese freundlichen Personen waren die norwegische Königsfamilie! Neben ihr saßen Königin Sonja und König Harald. Und daneben Prinz Haakon und seine Mette-Marit. Natürlich waren in der zweiten Reihe noch einige Personen zu sehen, wahrscheinlich Adlige oder Bodyguards oder so, doch ganz vorn, direkt neben ihrem eigenen Balkon … und sie mit Seto direkt daneben. Das hier waren tatsächlich die allerbesten Plätze, die man haben konnte. Jetzt wünschte sie sich einen Fotoapparat UND ein Erdloch. „Tea?“ Setos Stimme drang an ihr Ohr und holte sie aus der Schockstarre. „Möchtest du dich langsam setzen? Sie warten auf uns.“ „Ähm … ja.“ Sie nahm lieber den Stuhl, der etwas dichter am Vorhang stand, damit Seto zwischen ihr und der Königsfamilie saß. Sie hätte sonst ständig hinstarren müssen. Er gab sein Jackett an den jungen Pagen, der es über den Bügel hängte und setzte sich auf die andere Seite des kleinen Tisches. Sie beschäftigte sich eher mit der Überprüfung ihres Outfits. Saß der BH noch? Und das Haar nicht verfranst? Hatte sie ihre Tasche nicht zufällig ausgekippt? Und das Handy? Herrje! Handy ausmachen! Ein Klirren weckte sie und der Junge stellte ihr erst ein prickelndes Glas Champagner hin, bevor er die Flasche im Eiskühler versenkte. Dazu ein Teller Schnittchen mit Fisch, Kaviar, Käse und Gurke. Seto bekam nur Orangensaft. „Ich war so frei, dir etwas zur Stärkung zu bestellen“ erklärte er und lächelte über ihren erschrockenen Ausdruck hinweg. Höchstwahrscheinlich spürte er, dass sie sich gerade im Ausnahmezustand befand. „Danke. Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich auch“ erwiderte er belustigt und nickte dem Jungen zu. „Thank you. That’s everything.“ „You’re welcome, Mr. Muto. If you need anything more please just call for my colleagues standing on the outside floor for you.” „I’ll do. Please express your father my thankful regards for this favor.” „It’s my pleasure to have met you. Please enjoy yourself.” Der Junge lächelte Tea nochmals an, nickte und zog dann den Vorhang hinter sich zu. Tea schwante, dass Seto wohl seine Beziehungen hatte spielen lassen, um diese Loge zu bekommen. Auch wenn sie nicht neugierig wirken wollte, ließ ihr die Frage nun keine Ruhe mehr. Zumal diese Plätze nicht nur die besten waren, sondern wahrscheinlich auch nicht mit Geld zu bekommen. Einen Platz neben der norwegischen Königsfamilie musste man sich verdienen und nicht erkaufen. Selbst Hollywoodstars saßen einige Balkone weiter. „Seto, wen hast du bestochen, um diese Loge zu bekommen?“ fragte sie dann endlich heraus. „Ich habe ganz freundlich gefragt“ antwortete er und nahm das Sektglas, welches mit Orangensaft gefüllt war. „Diese Loge war ursprünglich für den norwegischen Ministerpräsidenten reserviert. Doch da er kurzfristig verhindert war, waren auch seine Plätze frei.“ „Zufällig verhindert?“ „Rein zufällig“ zwinkerte er zweideutig. „Sagen wir, ich habe es mir zunutze gemacht, dass Noah und er gerade sehr angeregt über Investitionen diskutieren. Verhindert war er wirklich und er hätte eigentlich einen Vertreter geschickt, doch da meine Anfrage zum richtigen Zeitpunkt kam, brauchte er nicht lange nach Ersatz suchen.“ „Und wenn er abgelehnt hätte? Wo säßen wir dann?“ „Auch nicht weit weg von hier. Dann hätte ich irgendwen aus seiner Loge rausgekauft.“ Und das sagte er so selbstverständlich wie er es meinte. Er hielt ihr das Glas hin und setzte ein verführerisches Lächeln auf. „Lass uns auf einen wunderbaren Abend anstoßen.“ „Du bist unmöglich.“ Doch an ihm herumzumäkeln, würde überhaupt nichts ändern. Außer dass er wahrscheinlich doch noch schlechte Laune bekam. Also nahm sie den Champagner und ließ die Gläser klirren. Genau in diesem Moment ging das Licht aus und der Dirigent nahm seinen Platz ein. Sah aus als hätte man tatsächlich nur auf ihn gewartet, um den Abend beginnen zu lassen. Kapitel 6: Chapter 26 - 30 -------------------------- Chapter 26 „Möchtest du irgendjemanden besonderes treffen?“ Im Flugzeug hatte Seto ihr die vorläufige Gästeliste vorgelegt und sie schon dort zum Staunen gebracht. Nun führte er sie nach dem erstaunlich rockigen Violinenkonzert durch irgendeine Halle und achtete auf jeden Blick, den sie tat. „Wie bitte?“ Sie blickte erwacht zu ihm auf und hatte die Frage zwar gehört, aber nicht realisiert. „Ob du jemanden bestimmtes treffen möchtest“ fragte er erneut. „Die Königsfamilie wird außer an dem Konzert an nichts weiter teilnehmen, aber wenn wir uns beeilen, bekommen wir vielleicht noch eine spontane Audienz.“ Er tat ja gerade so als wäre er selbst überhaupt kein Promi. Dabei sahen ihn die Leute mindestens genauso an wie Tea sie. Auch wenn Setos Gesicht vielleicht nicht allen bekannt war, war er auch einfach so ein Hingucker. Er könnte ein Schauspieler sein, ein Modell, ein Musiker oder ein Manager. Er könnte auch selbst ein Adliger sein oder der Sohn von irgendeinem einflussreichen Politiker. Oder eben einer der schwersten Wirtschaftsbosse. Auch wenn sein Name nicht jedem einzelnen etwas sagte, wusste die Organisation sehr wohl, wer er war und würde ihm jeden Wunsch erfüllen, so wie er Tea jeden Wunsch erfüllte. Und dass die Frauen auffällig unauffällig hinter ihm hersahen und ihm zulächelten, bemerkte er entweder nicht oder ignorierte es. Allen fiel auf, dass er ein Adonis war - nur er selbst sah das anders. „Seto, ich habe doch dich“ beschloss Tea dann und schmiegte sich an seinen starken Arm. „Ich bin glücklich, dass ich dich einen Abend mal ganz für mich allein habe. Kein Promi kann mich von dir weglocken.“ „Aber du wolltest doch schon als Kind auf den Mitsommer-Ball gehen“ fragte er verwundert nach. „Jetzt hast du die Gelegenheit. Wenn du irgendjemanden treffen möchtest oder vor der Presse posieren oder einem Politiker Sekt ins Gesicht kippen willst, was auch immer, dann sag es einfach. Ich erfülle dir jeden Wunsch, so abstrus er auch sein mag. Und ich zahle deine Kaution, falls es gesetzwidrig wird.“ „Mein größer Wunsch ist bereits in Erfüllung gegangen. Ich trage ein wunderschönes Kleid, unbezahlbaren Schmuck und habe ein Konzert neben einer echten Königin gehört. Ich bin im Luxusjet geflogen, habe Champagner getrunken und Kaviar gegessen. Und ich bin auf dem roten Teppich fotografiert worden.“ „Dann schließe ich, dass bisher alles zu deiner Zufriedenheit war.“ „Aber weißt du, was am wertvollsten ist?“ Sie lächelte hinauf und bewunderte das frostige Blau seiner treuen, sanften Augen. „Dass ich mit dir hier bin. Nicht weil du ein reicher Unternehmer bist, sondern weil du ein teurer Freund bist, den ich bewundere und schätze. Und weil ich es genieße, dieses besondere Erlebnis mit dir zu teilen. Mit niemandem wäre ich lieber hier als mit dir.“ „Schleimerin. Auch nicht mit deinem Kindermädchen?“ „Lupita ist bestimmt lange zurück in Mexico und hat zehn Kinder“ lachte sie, blieb stehen und nahm seine kalte Hand. „Und wenn sie heute Abend zusieht, soll sie sehen, wie ich mit dir tanze. Und sie soll sehen, dass ich glücklich bin.“ „Dann lass uns tanzen gehen.“ Er freute sich sichtlich über diese zugewandten Worte. Also behielt er ihre warme Hand in seiner und gemeinsam gingen sie in die Richtung, die er vorgab. Tea hatte ohnehin die Orientierung verloren und so war sie glücklich, wenn es hier genauso war wie beim Tanzen - er führte. Und er führte sie in einen prunkvollen Saal. Wie im alten Versailles war die hohe Decke aus feinstem Stuck und der Boden aus glänzendem Marmor. An den Wänden prangten goldene Spiegel. Die Tische und Stühle waren aus Holz, aber nach einem moderneren Muster aufgemacht. Die Tischdecken waren aus dickem Baumwollstoff und das Geschirr aus stilistisch ebenfalls neuerem Design. Die Verbindung von alt und neu passte auf eine widersprüchliche Art zusammen. Ebenso wie das Publikum. Da sah man elegante Frauen wie Tea mit klarem Stil. Da sah man die Paradiesvögel mit Federboa, Pailletten und Clownsmakeup. Da sah man die alternativen Babes mit Tatoos und Leder. Sogar der ein oder andere Herr traute sich mal etwas mehr zu. Wobei die männliche Gastschaft naturgemäß auf altbewährtes wie Anzug und Krawatte setzte und eher bei dem Schuhwerk oder neckischen Stickereien mal für eine Überraschung sorgte. Bisher war Tea erst ein Mann aufgefallen, der aussah wie eine Discokugel. An der Kleidung konnte man raten, ob er Modeschöpfer war, Rockstar oder eher konservativer Wirtschafter oder Politiker. Hier gaben sich alle Zweige die Ehre - zu einem guten Zwecke natürlich, den man von der Steuer absetzen konnte. Der Raum wies neben dem Alt-Neu-Konzept und dem bunten Gastgemisch noch eine Besonderheit auf. Der Tanzsaal war nebenan und durch mehrere Doppeltüren zu betreten. Hier im Saal war das Büffet aufgebaut. Über die gesamte Länge der Kopfseite lockten Pyramiden aus Shrimps und andere Platten mit feinsten Köstlichkeiten des Meeres, Muscheln, Tintenfisch, Sashimi. Für Fleischgenießer deftigen Rinderbraten an Rotwein oder Merrettich, feinstes Carpaccio, Haxen mit fester Kruste oder Schwein ummantelt von Blätterteig, Hähnchen an Ingwer oder auf verschiedenen Gemüsen. Fleisch in allen Variationen und köstlich aufbereitet. Daneben ein eher bescheidenes Brotsortiment, jedoch auch hier genug um die Wahl qualvoll zu machen. Mit und ohne Körner, hell oder dunkel oder in besonderen Formen gebacken. Ganz besonders kunstvoll war eine Landschaft aus Salat, Gemüserosen, Blumenkohlbäume, Straßen aus Gewürz und Teiche aus Dip. Dann zum Dessert mehrstöckige Torten, Muffins, Eiscreme, Tiramisu, Fruchtgrützen, Obst im Schokomantel, Grießflammerie und das in großer Auswahl. Letzteres war die perfekte Sektion für Süßmäulchen Seto. Tea würde sich aufgrund des Babyspecks wohl eher an die Salatlandschaft oder die warmen Beilagen halten. „Möchtest du erst etwas essen?“ Seto hatte Teas Magenknurren entweder gespürt oder ihre Gedanken gehört. Ja, essen wäre großartig. Jetzt wo die Nervosität langsam abfiel, machte sich das fehlende Mittagessen bemerkbar. „Ja, ich glaube, ich habe jetzt doch Hunger“ gab sie zu und hielt ihren Bauch. Gleichzeitig sah sie sich nach einem freien Tisch um, doch in der Menge war nicht wirklich einer zu erspähen. „Gut. Komm mit, Liebes.“ Er legte den Arm um ihre Hüften und so langsam gewöhnte sie sich an das Gefühl, wenn seine eisigen Hände über die warme Seide glitten. Er zog und schob sie durch das wabernde Publikum in Richtung einer uniformierten Dame mit Namensschild. Diese erkannte bereits sein Anliegen und lotste ihn lächelnd weiter nach vorn. Dort etwas weiter am Rande winkte sie ein uniformierter Herr heran und wartete bis sie ihn und den freien Tisch für zwei erreicht hatten. Tea erspähte noch wie er dezent einen Tischaufsteller mit dem KC-Logo verschwinden ließ, bevor er ihr einen Stuhl herauszog. „Madam, would like to take a seat?” Er schob ihr routiniert den Stuhl unter den Allwertesten, während Seto sich selbst hinsetzen konnte. „Mr. Muto, it’s a honor having you here. My name is Benjamin and I will be your waiter tonight. If you have any request I will be pleased to support you.” Er füllte erst etwas Wasser in beide Gläser und reichte Tea, danach Seto eine Karte aus dickem, schweren Karton mit Seide überzogen. Eine Speise- und Weinkarte auf Stoff gedruckt. So eine edle Karte hatte Tea noch nie in Händen. Seto antwortete dem freundlichen Benjamin nicht, doch Tea bedankte sich mit ihrem freundlichsten „Thank you“ und warf dann einen Blick in die Karte. Dort sah sie dieselben Speisen, welche sie aus der Ferne am Büffet erspäht hatte und dazu noch einige spezielle Köstlichkeiten, die ausgewiesen haut cuisine serviert, also auf speziellen Wunsch zubereitet wurden. Sie blickte in den Raum zurück und verstand, dass es nur die vorderen Tische an der publikumsberuhigten Seite waren, an welchen diese Karten gereicht wurden. Es machte zwar nicht den Anschein einer Zweiklassenparty, aber die schnöde B-und C-Prominenz musste um einen Tisch kämpfen oder sich zu mehreren zusammensetzen und das Essen persönlich heranschaffen, wenn man nicht auf einen freien Servicemitarbeiter warten wollte. Doch A-Promis wie Seto bekamen sogar einen Tisch reserviert und einen persönlichen Kellner. Immerhin dinierten hier auch hoch politische und wirtschaftliche Gäste und Norwegen wollte sich als Gastgeber von seiner besten Seite zeigen. Und dazu gehörte, einen selten Gast wie den zweiten Präsidenten der Kaiba Corporation nicht persönlich ins Büffetgedrängel zu schicken. Zumal Seto das sowieso nicht so gern täte. Schon die ganze Zeit balancierte er gekonnt zwischen den umherlaufenden Leuten ohne jemanden anzurempeln oder sich anrempeln zu lassen. Das wirkte vielleicht arrogant, aber er mochte es nun mal nicht, wenn man ihn anfasste. Auch wenn es nur ein versehentlicher Zusammenstoß war. Zuhause war er bei so etwas mittlerweile ganz entspannt, aber Tea bemerkte hier, dass er seine Neurosen noch immer nicht abgelegt hatte. Und es stellte sich eine tiefe Dankbarkeit ein. Er hatte sich an diesen für ihn schrecklichen Ort begeben um ihr eine Freude zu machen. Das tat er bei weitem nicht für jeden. „Was magst du haben?“ fragte er und sah Tea forschend an. „Möchtest du etwas gebracht haben oder dich persönlich ans Büffet begeben?“ „Ich weiß nicht. Ich bin etwas überfordert“ gab sie zu. Da war so viel Auswahl, dass sie gar nicht wusste, wo sie anfangen sollte. Außerdem wollte sie ihn nicht ans Büffet jagen. „Ich glaube, ich nehme einfach einen grünen Salat mit Hähnchenbrust.“ „Den kriegst du bei Hannes auch. Und sage mir nicht, dass du abnehmen willst. Ich mag deine weibliche Figur.“ „Dann findest du also auch, dass ich angesetzt habe!“ Endlich mal einer, der es zugab! Ihre Freunde sagten es zwar nie, aber Tea wusste, dass zwei Schwangerschaften gewisse Reserven hinterlassen hatten. „Ich sagte nur, ich mag deine weibliche Figur“ wiederholte er ernst. „Schön warst du früher schon, aber jetzt bist du auch fraulich. Ich finde Frauen mit Kurven wesentlich reizvoller als Skelette mit Hautüberzug.“ „Sowas. Und ich dachte, du findest gar nichts an Frauen.“ „Tue ich auch nicht. Aber wenn ich etwas an Frauen fände, würde ich auf welche wie dich abfahren.“ Sie grinste ihn neckisch an, er blickte arglos zurück bis er sich schämte und dunkel murmelnd die Nase in die Karte senkte. Ihr Kellner verstand zwar kein Wort, aber er lächelte den beiden freundlich zu und wartete respektvoll auf ihre Wünsche. „Hier gibt es auch Cocktails“ wechselte sie das Thema und blickte auf die letzte Seite. „Herrje, und so viele. Ich hätte ja gern einen, aber ich habe schon zwei Gläser Champagner getrunken. Es gibt auch viele ohne Alkohol … mal sehen …“ „Du musst doch nicht mehr fahren heute.“ „Ja schon. Aber wenn ich noch mehr trinke, ist Dakar morgen auch besoffen. So lange reicht die abgepumpte Milch auch nicht.“ „Zur Not finden wir einen Heiler, der dich reinigt. Ich finde, du darfst auch mal Babyfrei haben und auf den Putz hauen.“ Da machte sie große Augen. Seto durfte zwar nicht trinken, aber er hatte kein Problem damit, wenn jemand anderes das tat. Das wusste sie. Doch heute stellte er mal das Feiern an erste Stelle und nicht die Babys? Sie war besoffen und hörte weltfremde Dinge. Eindeutig. Aber dann ließ sie sämtliche Muttergedanken für einige Stunden fahren und beschloss, dass sie heute auf niemanden Rücksicht nahm. Die Pflichten und Verantwortungen kamen morgen schon noch früh genug zu ihr zurück. „Gut so.“ Das hatte er wortlos verstanden und legte die Karte hin. „Du magst Kokos und Rum, richtig?“ „Das hast du dir gemerkt?“ Es wäre schön, wenn Mokeph sich so etwas auch mal merken würde. Bei diesem Gedanken stach ihr Herz. Warum musste sie ausgerechnet jetzt an Mokeph denken? Das war unpassend und so verdrängte sie diesen Gedanken sofort wieder. Sie wollte heute an alles denken außer an ihn. „Ich glaube, es gibt gar keinen Cocktail mit der Zusammensetzung. Doch hier, aber der ist mit Pfirsich.“ „Benjamin“ richtete Seto dann seine Stimme an ihn und ließ ihn sofort einen Schritt vortreten. „We’d like to have a cocktail made with coconut and rum without any peachjuice. That’s possible, isn’t it?” „I’ll organize that for you“ versprach er freundlich. „Anything more?” „And another cocktail without alcohol but with fruits. Except pineapple. That’s everything for the moment.” „Thank you.“ Er verneigte sich kurz und eilte dann gezielt durch die Menge irgendwohin, wo man ihm Cocktails machte. „Der Service ist ja wirklich erstaunlich“ bemerkte Tea und legte ebenfalls die Karte hin. „So etwas habe ich noch nicht erlebt.“ „Die wollen ja auch, dass man die Spendierhosen aufmacht. Außerdem stehen die Gastgeberländer immer in Konkurrenz zueinander, was die Kritiken angeht.“ „Ja, ich weiß.“ Wenn sie sich bei etwas auskannte, dann hierbei. „Den besten Service hat es nach Pressekritiken vor acht Jahren in Mailand gegeben haben. Aber man munkelt, dass es eher daran gelegen hat, weil die hohen Pressevertreter alle einen persönlichen Chauffeur und sogar einen Piloten gestellt bekommen haben. Außerdem wurden sowohl Anreise und Unterkunft und sogar Garderobe gestellt. Offiziell wurde das aber nie bestätigt.“ „Schmierereien werden niemals bestätigt“ bemerkte Seto und schlug die Beine übereinander, ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. „Was man sieht, darf man eh nicht glauben. Du wirst nur freundlich behandelt, wenn du jemand bist. Und je mehr du bist, desto mehr bekommst du in den Piep geschoben. Doch wehe du steigst in der Hierarchie ab. Dann bekommst du nur einen Platzverweis.“ Er nahm das Wasserglas und strich ein paar Kondenstropfen den Stiel hinab. „Entschuldige, ich wollte dir nicht mit Miesmacherei den Spaß an der Feier verderben.“ „Ach was. Ich weiß selbst, dass das meiste Getue aufgesetzt ist“ stimmte sie zu und nippte ebenfalls an ihrem Wasser. „Dennoch finde ich es großartig, all diese Menschen zu sehen. Das ist mal was ganz anderes. Und letztlich machen die auch nur ihren Job. Was wäre denn die Boulevardpresse, wenn die Promis nicht ab und zu mal ausrutschen? Ohne Gossip wäre das Leben auch langweilig. Und wenn die Erlöse von so etwas wie hier auch noch guten Zwecken zukommt, hat es doch auch einen positiven Aspekt.“ „So habe ich das noch nicht gesehen“ dachte er nach und sah ihr dann tief in die Augen. „Danke für diese Sichtweise.“ „Gern geschehen. Und wollen wir als nächstes etwas zu essen bestellen? Es gibt bestimmt was richtig vegetarisches für dich.“ „Möchtest du nicht ans Büffet gehen und Promis gucken? Du hast doch eh Probleme, dich zu entscheiden.“ „Ja, aber …“ Aber sie wollte ihn nicht in diese drängelnden Leute stellen. Seto hasste Gedrängel und er hasste Schlangen. „Heute geht es aber nicht um mich. Ich nehme mich zusammen und werde dich nicht blamieren“ versprach er und griff ihre Hand. „Ich gehe mit dir ans Büffet, wenn du keinen Salat nimmst.“ „Das setzt voraus, dass du mir was vom Dessert übrig lässt.“ „Du solltest meine Freundlichkeit lieber nicht überstrapazieren“ lachte er, doch zog sie im selben Moment auch schon hoch. Es hatte ja noch einen Grund mehr, weshalb Tea persönlich ans Büffet wollte. Kaum war sie dort angekommen, reichte ihr ein umwerfender Mann mit schwarzem Haar und den weißesten Zähnen der Welt einen Teller. Hier gab es viele tolle Männer und die Gelegenheit zu etwas Smalltalk mit Promis. „Thank you“ lächelte sie beschämt und schaute von unten bewundernd zu ihm auf. Wow, hatte der weiße Zähne. So weiß, obwohl es nicht künstlich aussah. Und schöne Hände hatte der. Und überhaupt … ein sehr schicker Mann. Abteilung Sahneschnitte. Er spielte zwar ‚nur‘ in einer italienischen, aber dafür sehr erfolgreichen Seifenoper. Übrigens einer Seifenoper, welche Tea liebte. „Nice smiling ladies like you are always welcome“ lächelte er zurück und blieb direkt neben ihr in der Schlange. „Lovely company is hard to find, don’t you think? So many standoffish people in here.“ Kaum hatte sie sich bedankt und er angetastet, ob sie allein hier wäre, da spürte sie schon Setos kalten Blick über ihre Schulter schießen. Der freundliche Tellerreicher riss die Augen auf und entschuldigte sich ans andere Ende der Schlange. Und weg war er schneller als gekommen. „Mann, Seto!“ schimpfte sie und drehte sich eingeschnappt herum. „Das war Vittorio Dontello. Ich liebe die Telenovela, in der er spielt.“ „Der hat dich angebaggert.“ Als würde das alles rechtfertigen. „Das ist kein Grund, ihn so böse anzugucken.“ „Du hast gar nicht gesehen, wie ich geguckt habe.“ „Ich kann’s mir vorstellen, Drache“ seufzte sie und schob die Unterlippe vor. „Lass das, ja? Sonst kann ich mein Englisch nicht aufpolieren. Und du hast gerade versprochen, mich nicht zu blamieren.“ „Na gut.“ Er drängelte sie weiter und beim nächsten Mann, der ihr zulächelte, betrachtete er sich die Meeresfrüchte sehr interessiert. Eigentlich wollte er nur endlich zu den Süßigkeiten, aber bis dahin musste er noch an der Salatlandschaft vorbei und Tea im Auge behalten. Sie fand dann vor den Kartoffeln einen dunkelblonden Muskelmann und hatte eine Konversation, welche bis zur Sahnetorte reichte. Seto fiel nur auf, dass er einen stark amerikanischen, nein texanischen Akzent sprach. Tea verstand sein Gebrabbel kaum und er ließ sie gar nicht zu Wort kommen. War für sie schwer mit ihm Englisch zu üben, wenn er sie gar nicht reden ließ. Aber er war berühmt und das genügte ihm wohl als Grund, sie anzusprechen und vollzulabern. Seto wusste, er hatte den schon irgendwo mal gesehen, aber zuordnen konnte er ihn nicht. Ließ sein übermenschliches Gedächtnis ihn tatsächlich so im Stich? Im Gegensatz zu Tea las er allerdings auch keinen Gossip und wollte auch gar nicht wissen, wer das war. Wahrscheinlich ein Sportler oder Actionheld oder sonstwas. Hauptsache sie war glücklich und konnte den Mädels zuhause was vorschwärmen. Mehr wollte er ja auch nicht. Das riesige Angebot an Mousse-Törtchen tröstete ihn jedoch schnell über den Gedächtnisaussetzer hinweg. Er brach sogar die Etikette und befüllte einen zweiten Teller randvoll mit Schokoladenbananen, Marzipantorte und eine Schale mit Karamellsirup. Jawohl, eine große Schale nur mit Karamellsirup. Den löffelte er pur. Seine Hüften konnten das vertragen. Und seine großen Hände konnten das tragen. Tea entschied sich da eher für Scampis in Weißweinsauce mit Nudeln und Karottengemüse und zum Nachtisch etwas Obstsalat mit Sahne. Dennoch musste sie schmunzeln über Setos Hunger. Er naschte wie ein ganzer Kindergarten und war fitt wie ein ganzes Olympionikendorf. Und die Leute schauten sehr erstaunt auf seine Berge von Süßigkeiten, die er mit Genuss alle auffutterte. Und da ihm seine Fruchtcocktails auch schmeckten, ließ er Benjamin gleich vier mal Nachschub holen. Tea beobachtete erfreut wie gut es ihm schmeckte und wie wenig er sich an den Blicken der anderen störte. Solange sie sich nicht für ihn schämte, war er selig. Und sie fand ihn eigentlich eher niedlich als beschämend. Es gab weit und breit keinen Mann, der so süß war wie er. Wörtlich. Und er hörte ihr bei allem zu, was sie sagte und antwortete zwischen jedem Happen. Extra für sie wurde er sehr gesprächig. Und Tea wusste, dass er das alles nur ihr zuliebe tat. Nachdem er den Siruprest aus der Schale gekratzt hatte und Benjamin das Geschirr abräumte, lehnte er sich satt und zufrieden zurück. „Und?“ lächelte sie ihn fröhlich an. „Wie ist die Stimmung?“ „Hervorragend.“ Er seufzte und streckte die Beine weit unter den Tisch, griff in den Zuckertopf und nahm sich zum Nachtisch einen Würfel. „War ne gute Idee, herzukommen. Das Karamell war wirklich lecker. Ich glaube, da war Mandelaroma mit drin.“ „Schön, wenn’s dir geschmeckt hat.“ „Oh guck mal!“ zeigte er erstaunt den Würfelzucker. „Der hat die Form eines Karos.“ „Kennst du das nicht?“ lachte sie entzückt über sein kindliches Staunen. „Das sind Herz, Karo, Pik und Kreuz. Glückszucker nennt sich das.“ Das Karo landete in seinem Mund und er öffnete neugierig den Deckel vom Zuckertopf. „Tatsache. Du hast Recht.“ „Den Satz höre ich am liebsten.“ „Aber bitte nicht bei Yugi petzen. Sonst kriege ich wieder Ärger, weil ich kein Gemüse gegessen habe“ schmatzte er auf seinem Würfelkaro lutschend. „Wenn ich saufen kann, dann kannst du auch Zuckerstücke lutschen. Aber weißt du, ich glaube, jetzt brauche ich einen Kaffee.“ „Ich auch. Am liebsten einen doppelten Espresso“ nickte er und schmunzelte sie mit leuchtenden Augen an. Ganz klar, jetzt hatte er einen Zuckerflash. „Soll ich Gentlemen sein und bestellen oder willst du dein Englisch üben?“ „Eindeutig Englisch üben“ beschloss sie und stützte sich auf den Tisch. „Benjamin?“ „Yes, Madam“ lächelte er und beugte sich zu ihr herab. Im Raum war es laut geworden und er wollte sie auf jeden Fall sofort verstehen. „We would like to have a … a … an … Espresso? Two Espresso for my friend.“ „Espresso. Yes“ nickte er. „Two Espressos or one doubled Espresso?“ „Doubled, please.” „My pleasure, Mrs. Gardener. Anything more?” „Yes …” Herrje, sie hatte sein Jahren kein Englisch mehr gesprochen. Verstehen tat sie es ganz gut, aber plötzlich fehlten ihr die Vokabeln. „I would like to have a coffee. Also nein … not coffee. I mean … coffee and milk with … ähm … Seto, was heißt Latte Macchiato?” „Latte Macchiato” half Benjamin von selbst aus. „It’s an Italian word, Madam.” „Okay. One doubled Espresso and one Latte Macchiato. Please.” „Takes just a second. Thank you.” Und schon lief er wieder los und organisierte Getränke. „Puh, das war peinlich“ pustete sie und schob Seto ihr Glas hin, als der es mit Wasser nachfüllen wollte. „Warum? War doch okay. Er hat dich verstanden.“ „Trotzdem. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so eingerostet bin. Wenn du Englisch sprichst, verstehe ich alles, aber wenn ich selbst sprechen soll … ich glaube, ich muss mal wieder was tun.“ So war das eben, wenn man mehr Babysprache gebrauchte als Fremdsprache. „Du kannst dich auch noch mit ein paar Promis unterhalten“ stichelte Seto und nahm sich noch ein Zuckerstück. „Guck mal, ein Pik.“ „Schön.“ Er war ja so was von süß! „Also soll ich mal einen Promi herbestellen?“ „Nein danke. Den verstehe ich dann überhaupt nicht.“ „Wer war überhaupt der Muskelprotz mit dem du dich unterhalten hast?“ „Das war Lion Powers.“ „Toller Name“ bemerkte er sarkastisch und schmatzte sein Würfelpik. „Was wolltest du mit dem?“ „Eigentlich mich unterhalten, aber ich habe kaum was von dem verstanden, was er mir erzählt hat. Ich glaube, die Muskeln haben seine Zunge gelähmt.“ „Was macht er denn, dass er so viele Muskeln braucht?“ „Er war mal Wrestler, aber jetzt tingelt er für gute Zwecke durch die Spendengalas. Ich glaube, er bekommt demnächst auch ne Serie im amerikanischen Fernsehen.“ „So ein bisschen Hulk Hogan für Arme, was?“ „Du bist ganz schön bissig“ stellte sie tadelnd fest. „Lass doch die armen Promis in Frieden. Die haben mehr Angst vor dir als du vor ihnen.“ „Ich habe Lust, irgendwen zu ärgern.“ Er schaute sich um und suchte ein potentielles Opfer. „Schade, dass mich noch keiner doof angelabert hat.“ „Freu dich doch, dass sie dich in Ruhe lassen.“ „Das ist meine Profilierungsneurose“ erklärte er und sah so ernst über den Tisch, dass sie ihm fast glauben könnte. „Wenn ich nicht mindestens eine Person zusammenstauchen kann, habe ich mich vor dir nicht als starker Mann gezeigt.“ „Du solltest nicht so viel Zucker essen“ lachte sie als er schon wieder in den Topf mit den süßen Würfeln griff. Wenn Seto auf Zucker war, wurde er hibbelig. Das war echt. Aber dass er jemanden ärgern wollte, war nur ein schlechter Scherz, um Tea zu foppen. Doch dafür kannte sie ihn mittlerweile zu gut. Seto war kein Mensch, der andere aus Spaß ärgerte. „Und was ist es?“ „Schon wieder ein Karo.“ Und schon war es im Mund verschwunden. „Im hölzernen Saal gibt es gleich eine Kunstversteigerung. Vielleicht gehe ich da hin und kaufe den Leuten einfach etwas weg. So kann ich jemanden ärgern und gleichzeitig etwas für den guten Zweck tun.“ „Und handelst dir wieder eine Standpauke von Noah ein. Du hast doch eh schon so viele Kunstgegenstände, die du gar nicht brauchst.“ „Die kann ich dann ja auch spenden. Und den Betrag kann ich sogar von der Steuer absetzen.“ „Dann spende doch lieber für deine eigene Stiftung.“ „Du bist schlimmer als Noah. Kreuz“ murrte er und deshalb musste Zuckerwürfel Nummer Vier in Kreuzform dran glauben. Er wollte doch nur irgendjemanden ärgern. Joey hätte da sofort mitgemacht, aber Tea ließ nicht zu, dass er sich hier in der Öffentlichkeit profilierte und vielleicht sogar noch schlechte Berichte in den Zeitungen bekam. „Möchtest du jetzt tanzen gehen?“ fragte er stattdessen. „Wir bekommen doch noch Getränke.“ „Also ja.“ „Das heißt, wir bekommen noch Getränke.“ „Die bekommen wir auch noch, wenn wir wieder zurück kommen.“ Er nahm noch mal den Zuckerdeckel hoch und fischte sich Herz heraus, welches ihm noch zum kompletten Blatt fehlte. „Komm, Liebes.“ Dann stand er auf und reichte ihr die Hand. „Jetzt habe ich alle Farben durch.“ „Du bist unmöglich.“ Tea wusste nicht genau, wohin er sie nun wieder entführte, jedoch bewunderte sie zutiefst, wie er durch die dichteste Menschenmenge balancierte, ohne gegen irgendjemanden zu stoßen. Er überragte die meisten Leute einen Kopf und behielt vollkommen die Übersicht, während Teas Blickfeld von Hüten, Frisuren und Hinterköpfen versperrt wurde. Als sie nach rechts sah, drehte sich im selben Moment eine Frau zu ihr herum. Die erkannte sie kaum als Menschen. Die Augenwinkel weit nach außen gezogen, die Nase fast nur noch ein Strich und die Lippen aufgebläht. Das viele blau und rot des Makeups auf der dunkelbraunen Haut und das wasserstoffblonde Haar ließ die Dame aussehen wie eine verzerrte Version von jemandem, der vielleicht mal schön gewesen war. „Alles in Ordnung?“ Seto zog sie sofort zu sich und legte den Arm um sie. Er warf der entstellten Frau einen warnenden Blick zu und ging langsamer mit Tea weiter. Die musste erst mal das Atmen wieder aufnehmen und legte den Arm um Setos kalten Körper. „Was ist denn passiert?“ „Nichts. Ich habe mich nur erschrocken“ antwortete sie leise. „Sie war plötzlich so dicht vor mir mit diesem … Gesicht.“ „Du meinst das, was von einem Gesicht mal übrig war.“ „Im Fernsehen wirkt so etwas schon merkwürdig, aber wenn man dicht davorsteht, wirkt das ganz … ich weiß nicht. Sie war sicher beleidigt, dass ich sie so erschrocken angestarrt habe. Hoffentlich habe ich sie nicht gekränkt.“ „Mach dir darüber mal keine Sorgen. Solche Leute besitzen kaum Selbstreflexion. Sie weiß wahrscheinlich gar nicht, wie entstellt sie aussieht. Bei Unfallopfern finde ich Mitleid, aber die sah absichtlich so aus. Diese Dame braucht dir nicht leid zu tun.“ „Trotzdem ist mir meine Reaktion unangenehm“ ergänzte sie leise. „Dafür weißt du jetzt, dass die in natura nicht halb so lustig aussehen wie im Fernsehen. Außerdem erschrecke ich mich auch, wenn plötzlich jemand so dicht vor meinem Gesicht steht“ scherzte er und küsste sie kühl auf die Stirn. „Vergiss sie einfach. Die denkt wahrscheinlich auch schon nicht mehr an dich.“ „Wenn du meinst.“ Dennoch schämte sie sich für ihre Reaktion. Diese Frau war wahrscheinlich krank, dass sie sich so oft operieren ließ und offensichtlich ein so schlechtes Selbstbild hatte. Keine Entschuldigung dafür, sie anzustarren wie einen Verkehrsunfall. Einziger Trost waren Setos Worte. Tea brauchte kein Mitleid empfinden und wahrscheinlich hatte die verzerrte Damen sie auch bereits aus ihrem Gedächtnis gestrichen. „Hier.“ Seto hatte von einem vorbeieilenden Kellner ein Champagnerglas gegriffen und hielt es Tea versöhnlich hin. „Gegen den Schrecken.“ Den brauchte sie jetzt auch. Sie nahm das Glas und kippte es in einem Zug herunter. Und schon wurde ihr wieder warm im Kopf. „Huuii“ sang sie und stieß leise auf. „Prost“ lachte Seto und drückte das leere Glas irgendeinem Angestellten in die Hand. Konnte auch ein Promi sein. Egal. „Du machst mich besoffen“ stellte sie fest und musste tatsächlich auch noch hieksen. Das war ja wie im Film hier. „Im Gegensatz zu mir bekommst du wegen Trunkenheit keinen Ärger.“ Er nahm sie wieder in den Arm und küsste ihr Haar. „Ich bringe dich auch ganz sicher ins Bettchen und decke dich zu. Hauptsache du hast deinen Spaß richtig ausgekostet.“ „Du bist so lieb.“ Sie fasste seine Hand und strich über seine kalten Finger. So einen lieben Menschen wie Seto durfte es eigentlich gar nicht geben. „Un jezz willisch Leideschaff sehe!“ sagte er laut, drehte sie aus seinem Arm heraus und brachte sie damit zum Lachen. So lallend hatte auch ihr Tanzlehrer für Standardtänze damals Leidenschaft gefordert. Das weckte alte Gefühle. Als sie stehenblieb spürte sie, dass sich auch der Fußboden verändert hatte. Es war kein blanker Marmor mehr, sondern klangvolles Holzparkett. Hinter ihr tanzten bereits viele Paare zu der beschwingten Musik der Liveband. Mehrere Kronleuchter spendeten angenehmes Licht, ebenso wie die Bar, welche rege genutzt wurde. Rundherum war alles mit hellem Holz vertäfelt und die Decke mit einem bunten Engelsfresko verziert. Die Fenster boten einen Blick in die weitläufige Parkanlage, welche nur noch von Laternen erhellt war. Leider ließen die Reflektionen an den Scheiben keine Sterne erkennen. Dafür jedoch konnte man durch einen Samtvorhang hinaustreten und bei Bedarf frische Luft schnappen. An der dritten Raumwand standen einige Stühle und Tische zum Verweilen und Ausruhen, doch die meisten Leute tummelten sich auf der großen Tanzfläche. „Wow, ist das schön hier“ staunte Tea. Solch einen schönen Tanzsaal hatte sie zuhause noch niemals gesehen. „Du bist tausend Mal schöner“ säuselte er, legte seine Arme um sie und schenkte ihr einen innigen Kuss zwischen die Augen. Seine kühlen Lippen fühlten sich schön an auf ihrer heißen Stirn und seine Hände kühlten angenehm die erwärmte Taille. Seit Mokeph sie so innig geküsst hatte, war lange Zeit vergangen. Er hatte sich nicht oft die Zeit genommen, um ihr einen ganzen Moment zu schenken und sich allein auf sie zu konzentrieren. Sie hatte sich mehr in seine Tagespausen eingefügt und damit zufrieden gegeben. Es war doch traurig, dass sich solch ein Moment bei einem guten Freund viel intensiver anfühlte als bei dem eigenen Mann. Wenn Seto mit jemandem zusammen war, dann konzentrierte er sich auf diese Person und ließ seine Zuwendung durch nichts ablenken. Es war lange her seit sie sich bei Mokeph so geborgen gefühlt hatte. Bevor dieses Gefühl zu Seto gefährlich wurde, drückte sie ihn vorsichtig weg und lächelte zu ihm hoch. Sie wollte nichts auf ihn projizieren, was sie bei einem anderen vermisste. Sie wollte überhaupt niemanden vermissen heute Abend. Erstrecht nicht Mokeph. „Lass uns tanzen“ forderte sie und nahm fest seine Hände. „Darauf habe ich mich die ganze Zeit gefreut“ lächelte er zurück, langte um ihre Taille und drehte sie bis in die Mitte der Tanzfläche. Tea fühlte wie sich der Seidenstoff ihres Kleids hob und bei jedem Richtungswechsel mitschwang. Sie ließ sich fallen und wurde kurz über dem Boden wieder aufgefangen. Deshalb konnte sie nur mit Seto so leidenschaftlich tanzen. Er hatte nicht nur die wichtige Kraft, dass er sie auffangen und hochheben konnte, sondern er besaß auch die unabdingbare Verlässlichkeit. Wenn sie sich zurückfallen ließ, wusste sie, dass er sie auffing. Wenn er sie anhob, wusste sie, dass er sie festhielt. Und wenn er sie drehte, wusste sie, dass er sie nicht stolpern ließ. Er beherrschte die Schritte so gut, dass er weder ihr noch sie ihm auf die Füße trat. Mit ihm zu tanzen, bedeutete, eine Einheit zu spüren. Wie Kaffee und Milch flossen sie ineinander und waren kein Individuum mehr. So wie der perfekte Tanz sein sollte. Es gab für die nächsten Stunden nur noch ihn und den Takt und viele Gläser des besten Champagners. Dies war ein Abend, welcher sie alle Pflichten, alle Sorgen und alle Nöte vergessen ließ. Dies war ein Abend, welcher ihre Seele erleichterte. Chapter 27 Tea tat einen tiefen Atemzug und roch Rosen in der Luft. Sie liebte den Duft von Rosen, er fühlte sich schön in der Nase an und so sauber. Als sie dann langsam die Augen auftat, war das Licht angenehm seicht. Die kleine Nachttischlampe glühte verhalten vor sich hin und weil die dichten Vorhänge nicht vollständig zugezogen waren, drangen klare Sonnenstrahlen in den Raum. Als nächstes spürte sie, dass ihre Wange auf weicher Haut lag und neben ihr ein leises Atmen floss. Sie lag in Setos Arm, hatte die Hand auf seinem nackten Bauch und und spürte seinen Atem im Haar. Im Gegensatz zur ihr war er kaum zugedeckt und mit Erröten stellte sie fest, dass er kaum etwas anderes als eine verrutschte Pyjamahose trug. Sein Tatoo war zwar hübsch anzusehen, doch da gehörte ja ihre Hand nicht hin. Vorsichtig zog sie die zurück und überlegte, wie sie überhaupt hier gelandet war. Sie hatte doch mit Seto getanzt bis ihre Füße schmerzten und noch länger. Irgendwann hatten sie sogar einen Tango aufs Parkett gelegt, welcher die anderen Gäste zum Applaus hinriss. Sie hatten wild getanzt, eng umschlungen und voller Frohsinn. Und wenn sie durstig waren, hatten sie Champagner getrunken und … nein, Moment. Seto hatte Orangensaft und Wasser getrunken. Das mit dem Champagner war ihr Ding gewesen. „Oh je“ hauchte sie und schloss beschämt die Augen. Sie konnte sich als nächstes nur noch daran erinnern, wie Seto sie aufs Bett legte, die Schuhe auszog und ihr vorsichtig das Kleid öffnete. Dabei hatte sie den Arm um ihn geschlungen und ihn zu einem Kuss herunter gezogen. Sie erinnerte sich noch daran wie fest seine Lippen waren, wie kühl sein Atem und wie schwer sein Parfum nach Rosen duftete. Seine Zunge war so liebevoll, so sanft herrschend. Sein Kuss war herbe und weich gleichzeitig. Sie hatte seine Brust berührt, seine Ohrläppchen geküsst und sein leises Stöhnen erregte sie so sehr, dass sie selbst wohlig zu stöhnen begann. Doch als sie ihm auch noch zwischen die Beine fasste, hatte er ihr irgendetwas zugeflüstert und sie zugedeckt. „Oh … oh je …“ Das war nicht wirklich passiert. Sie hatte nicht ernsthaft versucht, Seto anzumachen! Sie war stockbesoffen gewesen und dann erinnerte sie sich auch noch an ausgerechnet so etwas. Okay, das auch nicht ganz klar, die Bilder waren verschwommen. Aber dass mit dem Kuss, das wusste sie noch. So etwas konnte man ja auch nicht vergessen. Aber wie sie dazu gekommen war … herrje. Sie hatte doch noch nie so viel getrunken, dass sie einen richtigen Rausch bekam. Das war gar nicht ihre Art. Sie war doch sonst so kontrolliert und vernünftig und rational. Aber gestern … was für ein Furz war denn da in ihr Hirn gestänkert, dass sie sich so dermaßen betrank und zu Fummeleien hinreißen ließ? Sie drehte sich vorsichtig in Setos Arm herum. Vor Scham konnte sie ihm gar nicht ins Gesicht sehen. Ihr Blick fiel stattdessen auf die Uhr. Es war halb zwölf. Doch als sie das letzte Mal auf die Uhr blickte, war es kurz vor zwei. Also musste es bereits Mittag sein. „Morn“ brummelte es hinter ihr und Seto rutschte ein Stück auf, schmiegte sich an ihren Rücken und legte den zweiten Arm über ihre Hüfte. Es war beschämend anreizend wie nahe er an ihr lag. „Guten Morgen“ antwortete sie leise. „Ich wollte dich nicht wecken.“ „Hrm.“ Er seufzte und blies einen kühlen Lufthauch direkt in ihren Nacken. Er ahnte ja nicht mal wie erotisch er wirkte. Dann räkelte er sich und sie fühlte wie er den Kopf hob, sich über sie beugte und ihr von oben ins Gesicht schielte. „Allskay?“ „Ja, alles okay.“ Aber so klang sie überhaupt nicht. Die Erinnerung war delikat genug. Sie hatte versucht, Seto ins Bett zu kriegen. Ging es noch peinlicher? „Du siehs nich so aus“ murmelte er noch halb im Schlaf. „Hassu’n Kater?“ „Ja, ein bisschen.“ Ja, ein paar Kopfschmerzen hatte sie schon und die Füße taten auch weh. Von ihren Knien mal abgesehen. Aber anderes machte ihr viel mehr Sorgen. „Seto, was … was habe ich denn gemacht letzte Nacht?“ „Getanzt“ antwortete er, küsste ihre Wange und zog dann den Arm unter ihrem Nacken heraus. Sie spürte wie er aufstand, sein Gewicht von der Matratze verschwand und hörte ein Knacken. Vorsichtig sah sie zurück und erkannte noch wie er aus seiner Streckposition zusammensank. Natürlich war es peinlich, den besten Freund anzubaggern, aber bei so einem Kerl, der selbst morgens einen Anlass zu schmutzigen Gedanken bot - war es da ein Wunder? Bei so einem Beau wurde doch jede normale Frau schwach. Nur gut, dass auf dem Mannsbild zur Erinnerung schon der Name des Eigentümers draufstand. „Willsu noch schlafen?“ fragte er müde und sah sie mit halb geschlossenen Augen an. Es dauerte noch einige Momente bis er wirklich ansprechbar war. „Es ist schon halb zwölf“ antwortete sie leise. „Bist du noch müde?“ „Ich bin immer müde“ meinte er und verschränkte seufzend die Arme. „Willsu duschen oder soll ich dir ein Bad einlassen?“ Oh ja! Oh baden wäre super! Gab es etwas besseres als vom Bett in die Badewanne zu rutschen? Besonders dann, wenn man noch nach Schweiß und Champagner roch? „Mach ich“ grummelte er und verschwand in der Dämmerung des Raumes, wo dann von irgendwo her eine Tür zuging. Tea setzte sich erst mal im Bett auf und stellte fest, dass sie ihr Kleid vermisste. Dafür trug sie einen Hauch von weißer Seide. Ein Nachthemd. „Wo kommt das denn her?“ fragte sie sich laut. Hatte Seto sie etwa umgezogen? Davon hatte sie gar nichts mehr mitbekommen. Wie sollte sie das jetzt einordnen? Sie hatte noch nie einen Rausch gehabt, geschweige denn einen Blackout. Noch nie! Sie hätte auch nicht gedacht, dass das wirklich passieren konnte. Vor dem Bett standen dazu passende Puschen mit Federn auf der Schnalle. Sie schlug die Decke um und flutschte in die angenehm weichen Schuhe. Sie ging erstaunlich viele Schritte bis sie endlich den Spalt der Vorhänge erreichte und den schweren Stoff aufzog. Im ersten Moment blendete das helle Licht doch im zweiten entfuhr ihr ein lautes Staunen. Sie konnte über einige Kilometer Stadt und Straßen blicken und am Horizont weites Wasser erkennen. Was für eine Aussicht! Oslo lag ihr zu Füßen und das bei bestem Sommerwetter. Die Sonne fiel ihr warm aufs Gesicht und für einen Augenblick war die Peinlichkeit der letzten Nacht vergessen. Solange bis sie wieder eine Tür hörte und Schritte. Sie drehte sich zu Seto herum und es entfuhr ihr ein zweites Staunen. Das hier war kein Hotel, das war ein Palast. In diesem riesigen Raum stand ein gewaltiges, ovales Bett mit Seidenhimmel. Das Bett glich einem einzelnen Blütenblatt. Auf dem grauen Marmorboden lagen flauschig weiße Teppiche und die hohen Wände zogen sich mit hellgrauen Stofftapeten bis an eine gewölbte Decke hinauf. Das hier war kein Schlafzimmer, dass war Prunk in schlichter Art. Hochmodern, großzügig und sicher so teuer wie ein Einfamilienhaus. „Guten Morgen, Liebes.“ Seto lächelte sie so unschuldig an als sei gar nichts gewesen. Er kam näher, strich ihr Haar zurück und küsste sie kühl auf die Stirn. „Seto …?“ Sie musste es nun einfach wissen. Das ließ ihr keine Ruhe. „Was ist denn gestern Nacht passiert?“ „Du hast ein bisschen viel getrunken.“ Doch er klang gar nicht vorwurfsvoll, sondern eher belustigt. „Ich habe dir irgendwann dann doch nahe gelegt, dass du genug hattest, aber du hast gemeint, dass du eben auch mal Spaß haben willst und dir morgen immer noch Sorgen machen kannst. Also habe ich dich gelassen.“ „Du hast zugelassen, dass ich mich besaufe?“ „Du schienst Spaß zu haben“ rechtfertigte er das. „Außerdem bin ich wohl der Letzte, der dich bei so etwas maßregeln sollte. Du bist erwachsen und kannst für dich selbst entscheiden. Und ich hatte das Gefühl, dass du wirklich gut drauf warst.“ „Und dann?“ „Dann haben wir uns an die Bar gesetzt, wo du eingeschlafen bist. Ich habe an der Garderobe deinen Mantel geholt, dich zum Hubschrauber getragen und dich ins Hotel gebracht.“ „Ich hatte einen Mantel? Und wir sind Hubschrauber geflogen?“ Wie besoffen war sie denn, dass sie DAS nicht mitbekommen hatte? Nicht nur, dass Seto anscheinend für einen Mantel gesorgt hatte, sondern auch noch ein Hubschrauber? „Na klar. Wenn ich dich schon einlade, dann mit Stil“ lächelte er fröhlich. „Du bist sogar aufgewacht und hast den Blick über die nächtliche Stadt bewundert. Soweit du überhaupt gucken konntest, heißt das.“ „Davon weiß ich gar nichts mehr.“ „Schade“ schmunzelte er und lehnte sich auf die schmale Fensterbank. Wie das Licht Schatten auf seine Brust warf und der tätowierte Falke sich um seine Hüftknochen schwang, war grausam erotisch. „Aber wir können das gern wiederholen, wenn du nüchtern bist.“ „Und sonst ist nichts passiert?“ Er musste doch wenigstens pikiert sein oder irgendetwas sagen. Verdammt, sie hatte ihm mit eindeutigen Absichten zwischen die Beine gegriffen und an empfindlichen Stellen berührt! „Du hast ein bisschen geschnarcht.“ „Seto.“ Okay, er war zu diskret. Wenn sie es nicht genau wüsste, würde er wohl auch nichts sagen. Also hatte sie die Wahl. Entweder tat sie so als wisse sie von nichts oder sie gab sich die Blöße und entschuldigte sich. „Seto, es tut mir leid.“ „Was denn?“ Er zog die Augenbraue hinauf und sah furchtbar süß aus. „Du hast ja nicht mal gekotzt. Also nichts, wofür man sich schämen müsste. Und das bisschen schnarchen hat mich auch nicht gestört.“ „Nein … das andere.“ Sie stand vor ihm, rang die Hände ineinander. Die Sache war ihr furchtbar peinlich. „Ich … habe dich … ich habe doch versucht, dich anzufassen, oder?“ „Du warst etwas kuschelig, aber ich fand das schön“ gab er mit sanfter Stimme zu. Er schien das gar nicht schlimm zu finden. „Du weißt, dass ich auch sehr anschmiegsam werde, wenn ich schläfrig bin.“ „Aber ich … ich habe dich doch angefasst und dich … war es dir nicht unangenehm, dass ich dich zum Stöhnen gebracht habe?“ „Stöhnen? Mich?“ Jetzt machte er verwirrte, riesige Augen. „Liebes, wovon redest du denn da?“ „Gestern Abend. Als du mich hingelegt hast“ zeigte sie aufs Blütenblattbett. „Da habe ich … ich will das gar nicht noch mal beschreiben. Aber das darfst du nicht so ernst nehmen. Ich meine … ich finde dich sehr sexy. Wirklich sehr sexy. Aber ich wollte dich nie … also ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“ „Also, was auch immer du glaubst, was du gemacht hast“ erklärte er und klang dabei sehr überzeugend. „Ich habe dich ins Bett getragen und dich aus dem engen Kleid gepult, weil du das selbst nicht mehr hingekriegt hast. Wir haben uns eine gute Nacht gewünscht und das war’s. Ich habe dich nicht unsittlich berührt oder dir die Unterwäsche ausgezogen. Dafür habe ich zu viel Respekt vor dir.“ „Ja, ich weiß, dass du nichts gemacht hast. Aber das war’s? Da war nicht noch mehr?“ „Nein, das war’s. Okay, du hast mich gebeten, dass ich bei dir schlafe und nicht im Herrenschlafzimmer, aber ich fand das sehr schön. Ich habe sehr gern in deinem Arm gelegen, aber ich habe überhaupt keine Ahnung, warum du so berührt tust. Hätte ich vielleicht doch lieber im anderen Bett schlafen sollen?“ „Nein … es geht doch gar nicht darum, ob du MICH unanständig …. aber, wenn da etwas gewesen wäre … du würdest es doch zugeben. Oder?“ „Wenn da was gewesen wäre?“ schaute er verwundert drein. „Tea, nichts für ungut. Ich sage das nicht besonders gern, aber selbst wenn ich wollte, würde ich bei dir keinen hochkriegen. Du weißt, dass das bei mir … ich kann eben nicht. Ich liebe dich und du bist wunderschön, aber …. du weißt, dass ich das nicht kann.“ „Und ich … ich habe nicht versucht, dich anzufassen? An … Stellen?“ „Was denkst du denn, was du gestern gemacht hast?“ lachte er. Er empfand die Sache wohl langsam als Verarsche. „Du hast geschlafen und geschnarcht. Zu allem anderen warst du viel zu müde.“ „Aber wir haben uns geküsst!“ „Natürlich. Als wir uns eine gute Nacht gewünscht haben.“ „Nein, mit Zunge! Ich habe dich angefasst und dich zum Stöhnen gebracht. Du hast mich weggedrückt, mir etwas zugeflüstert und mich zugedeckt.“ „Ich habe dir eine gute Nacht gewünscht, dich zugedeckt, habe Yugi eine SMS geschickt und bin dann duschen gegangen. Ich schwöre.“ Er hob schwörend die Hand und sah sie ehrlich an. „Liebes, du hast nichts getan, wofür du dich entschuldigen müsstest. Und ich hoffentlich auch nicht.“ „Ehrlich?“ „Ganz ehrlich. Kann es vielleicht sein, dass du nur lebhaft geträumt hast?“ „Dann war der ganze Abend ein Traum“ seufzte sie, ging zurück und setzte sich auf das wolkenweiche Blütenblattbett. „Ich weiß wirklich noch genau, wie ich … du weißt schon.“ „Da war nichts. Glaube mir.“ Er lächelte sie liebevoll an und fand das nicht mal beleidigend. „Aber ich finde es witzig, dass du so was träumst.“ „Ich finde das nicht witzig. Du glaubst gar nicht wie peinlich mir das gerade ist.“ „Wem erzählst du denn was von peinlich?“ Er stieß sich von der Fensterbank ab und nahm neben ihr auf dem Bett Platz. „Du schaffst es wenigstens, deine Gelüste unter Kontrolle zu behalten. Ich wäre eher derjenige, der sich schnell peinlich macht. Du weißt wie ich jeden Monat drauf komme. Also erzähl mir nichts von Peinlichkeit.“ „Ich habe wirklich nicht versucht, dich … du weißt schon?“ „Nein, du hast gar nichts gemacht“ versprach er, legte den Arm um sie und küsste ihre Schläfe. „Und selbst wenn, wäre es nicht schlimm. Du warst sturzbetrunken, da kann es schon mal passieren, dass man etwas tut, was man sonst nicht tun würde. Und mir scheint, dass du einfach einen Traum gehabt hast, den du für bare Münze nimmst.“ „Selbst wenn … ist doch schon peinlich genug, dass ich so etwas von dir träume.“ „Nein, ich fühle mich geehrt. Aber mal ehrlich, Liebchen. Wenn ich könnte, würdest du dann mit mir schlafen?“ „Na ja“ lachte sie und kratzte sich peinlich berührt an der Nase. „Ich wohl eher mit dir als du mit mir. Ich finde dich nämlich wirklich sexy.“ „Merci ma chere.“ Er streichelte aufmunternd ihren Rücken und seufzte sie an, sobald er ihren Blick einfing. „Ich glaube aber eher, dass du noch sehr an Mokeph hängst.“ „Warum?“ Aber sie wusste genau, warum. Er war ein Grund dafür, dass sie sich in Champagner gebadet hatte. Weil sie jedes Mal an ihn denken musste, wenn sie Seto bewunderte. Mokeph war ein eher rauer Mann. Er sah soft aus, aber das sollte man nicht unterschätzen. Er war ein raubeiniger Macho. Ein Pascha, der sich gern von seinem Frauchen bedienen ließ und altmodische Ansichten zur Rollenteilung an den Tag legte. So charmant und liebevoll wie Seto auch war, ihr Typ Mann war kein Traumprinz. Seto würde einen tollen Seitensprung, vielleicht sogar eine megamäßige Affäre abgeben, doch lieben … sie liebte Männer bittersüß, etwas schroff und dominant. Ja, sie vermisste seine ungehobelte Art sehr, denn er war auf der anderen Seite dabei auch liebevoll. Auf seine Art. Dennoch tat es weh, wenn sie wusste, dass seine Treue beim Anblick einer anderen Frau aussetzte. „Vielleicht solltest du dich noch mal in Ruhe mit ihm aussprechen. Das hilft manchmal.“ „Das sagst du so einfach“ seufzte sie und lehnte sich betrübt in seinen starken, kalten Arm. Legte den Kopf auf seine Schulter. „Ich weiß, dass Yugi so etwas niemals tun würde, aber stell dir mal vor, er würde dich mit einem anderen betrügen. Was würdest du tun?“ „Ich wäre wahrscheinlich am Boden zerstört“ gab er zu und drückte die traurige Tea mit ihrem Liebeskummer an sich. „Ich frage mich, ob ich irgendetwas getan habe, was ihn dazu getrieben hat. So wie ich ihn verstanden habe, war sie eine Schlampe wie sie im Buche steht. Und es passierte in einer schmutzigen Toilettenkabine. Ich wusste nicht, dass er auf so unkultivierte Weiber steht. Dass ihn so schmutzige Sachen anmachen. Ich wollte ja mit ihm schlafen, aber er sagte, er wolle den religiösen Mutterschutz einhalten. Und dann tut er so etwas … dabei habe ich ihn sexuell nie zu kurz gehalten. Aber ich kann mich doch nicht verstellen und so tun als sei ich eine Schlampe, die auf so dreckige Sachen abfährt. Wenn er so eine will … dann passe ich wohl nicht zu ihm.“ „Ich kann dich verstehen“ erwiderte er mit sanfter Stimme. „Aber du liebst ihn, oder?“ „Natürlich liebe ich ihn. Aber ich bin gekränkt. Ich fühle mich verraten und betrogen. Weißt du, ich gebe meine Tanzkarriere für ihn auf, gebäre seine Kinder und unterstütze ihn bei seinem Studium und er … er vergisst einfach, dass es mich gibt. Was würdest du denn tun?“ Sie rückte ein paar Zentimeter ab und sah ihn zutiefst traurig an. „Was würdest du denn tun, wenn Yugi dich betrügen würde? Könntest du ihm denn so einfach verzeihen?“ „Du meinst, wenn ich du wäre und Yugi Mokeph.“ Er überlegte kurz, aber fand dann doch schnell eine Antwort. „Ich wäre gekränkt und es fiele mir sehr schwer, meinen Stolz runterzuschlucken und wieder Vertrauen zu fassen. Aber ich liebe Yugi und ich glaube, ich würde ihm so ziemlich alles verzeihen. Ich befürchte sogar, ich würde mir noch schlimmere Kränkungen gefallen lassen. Nichtsdestotrotz wäre das Vertrauen gebrochen und ich bräuchte viel Zeit, um mich ihm wieder zu öffnen.“ „So ist es. Ich kann mich ihm nicht mehr öffnen.“ „Aber letztlich hat Mokeph eine mutige Entscheidung getroffen. Er ahnte, dass du so reagieren würdest, aber er hat entschieden, sich dem zu stellen. Er hat sich zu seinem Sohn bekannt und ihn dir anvertraut. Ich würde fast sagen, er hat ihn dir geschenkt. Und du liebst Dakar doch auch, oder?“ „Natürlich liebe ich meinen kleinen Blutsauger. Aber er kann ja auch nichts für seine Eltern. Ich fühle mich nicht von ihm betrogen, sondern von seinem Vater.“ „Das kann ich verstehen. Ich wäre auch wütend und enttäuscht. Aber ich sehe, dass du Mokeph liebst und ihm eigentlich verzeihen möchtest. Und ich weiß, dass er sich auch nichts mehr wünscht, als dass du dein Herz wieder öffnest. Das ist nicht leicht. Alles andere als das. Aber du musst wissen, was größer ist. Deine Liebe zu ihm oder die Kränkung.“ „Und die Kränkung ist groß.“ „Ich weiß. Wenn Yugi mich betrügen würde, dann wäre ich zutiefst verstört und wahrscheinlich würde mich der Schmerz zerreißen. Aber nur, weil ich ihn liebe. Und je öfter er mich betrügen würde, desto größer würden mein Schmerz und meine Verstörung werden. Bei normalen Menschen wie dir würde die Liebe irgendwann absterben und du würdest dein Heil in einer Trennung suchen. Deswegen kann ich dir schlecht einen sinnvollen Rat geben. Ich könnte mich nicht von Yugi trennen, sondern würde in meiner Verzweiflung wahrscheinlich irgendwann etwas ganz Furchtbares tun. Aber du bist nicht ich und Yugi ist nicht Mokeph. Du musst selbst wissen, ob du ihm verzeihen oder ob du ohne ihn besser leben kannst. Nur dir selbst zuliebe solltest du bald Konsequenzen ziehen.“ Daraufhin wurde sie sehr ruhig. Sie wusste, dass Seto sehr enttäuscht von Mokeph war und eigentlich auch sauer auf ihn. Aber Mokeph war der Yami seines Bruders und der Bruder seines Yamis und trotz allem Setos Freund. Dennoch war er enttäuscht und verwirrt von dem Seitensprung. Ebenso wie Tea. Und trotz alledem gab er ihr einen objektiven Rat. Sie musste sich darüber klar werden, ob sie ihn genug liebte, um diesen Fehltritt zu verzeihen. Oder ob das Vertrauen so zerstört war, dass sie seine Gegenwart nicht länger ertragen konnte. Sie wusste, dass sie ihn liebte. Dass sie ihn sehr liebte. Aber sie fühlte sich trotz allem enttäuscht und verraten. Trotz des süßen Dakars und trotz des mutigen Geständnisses. Er hatte sich seiner Frau gestellt und zu seinem Sohn bekannt. Er hatte etwas Enttäuschendes getan und gleichzeitig etwas Aufrichtiges. Und Tea musste nun für sich selbst entscheiden, ob sie ihm noch vertraute. „Liebes, dein Wasser läuft. Vielleicht solltest du erst mal in Ruhe ein Bad nehmen.“ „Ja“ hauchte sie und ließ sich von ihm aufhelfen. Er führte sie durch die Tür und dort nicht nach links durch eine andere Tür, sondern eine freischwebende Wendeltreppe aus Milchglas hinauf. Die Treppe war breit genug, dass er sie in seinem Arm bis ganz nach oben geleiten konnte. Auch wenn sie in Gedanken war, stoppte sie das Grübeln, um erneut dem Staunen Platz zu geben. Das hier war der Höhepunkt schlechthin. Etwas Krasseres konnte es nicht geben. Seto hatte sich selbst übertroffen. Dieses Zimmer hatte keine Wände, sondern nur Glas. Oben, rechts, links, vorn, hinten war alles aus Glas. Hoch oben der blaue Himmel und wundervoller Sonnenschein. Rundherum ein Blick bis zum weiten Wasser, ein Fluss oder vielleicht sogar der Ozean und bis über alle Dächer der Stadt. Selbst der Rundfunkturm lag unterhalb dieser Höhe. Der Boden bestand aus weiß-grau meliertem Marmor und die Badewanne war groß genug für mindestens vier Leute. Doch sie war angefüllt mit Schaumbergen und Rosenblättern. Die dazugehörigen roten Rosen standen neben einem Tablett mit Wasser und einem kleinen Tellerchen mit Aspirin und zarten Scheiben frischen Obstes. An einer Stange am Rande hingen weiche Handtücher und ein seidener Morgenmantel. Und am anderen Kopfende standen kleine Flakons mit Pflegemitteln und einem Spiegelchen. Sogar ein Damenrasierer lag diskret zur Verfügung. Und nicht zuletzt drang von irgendwoher sanfte Musik. „Seto … das ist ja ein Traum!“ Sie stand mitten über Oslo vor einem Rosenbad unter freiem Himmel. „Du kannst hier am Rande Radio anstellen oder die CD wechseln“ zeigte er zur linken Seite am Fußende. „Und wenn du magst, kannst du auch die Jaccuzi-Funktion anstellen. Aber nicht zu doll, sonst blubbert der Schaum über.“ „Das ist … ich bin sprachlos.“ „Wobei …“ überlegte er mit einem kecken Lächeln. „Meinetwegen kannst du den Schaum auch überblubbern lassen. Wir müssen’s ja nicht saubermachen.“ „Seto.“ Manchmal war er eben doch ein Kindskopf. „Und ne Aspirin habe ich dir auch hinlegen lassen“ ergänzte er und wies auf das kleine Tablett. „Wenn du noch etwas wünschst, brauchst du nur auf den Knopf neben dem Temperaturregler zu drücken. Dann kommt weibliches Personal. Und ach ja, wenn dir die Sonne zu grell wird, kannst du die Scheiben dimmen.“ „Seto …“ „Nimm dir Zeit und entspanne dich. Und wenn du fertig bist, dann nimmst du am besten diese Treppe hinunter“ zeigte er nach links, wo ganz unscheinbar ein silberner Handlauf hinunter führte. „Ich warte mit dem Frühstück auf dich.“ „Aber … du willst nicht baden?“ „Ich habe gestern Nacht geduscht. Mit Rosenduft.“ „Deshalb riechst du so gut. Ich liebe Rosen.“ „Ich weiß“ zwinkerte er ihr lieb zu. „Lass dir Zeit und sieh dir den Himmel an.“ „Seto … danke.“ „Ich liebe dich auch“ lächelte er und ging die Treppe wieder hinunter. Noch immer völlig im Glücksrausch legte sie das seidene Nachtkleid ab und zog sich auch die Unterwäsche aus, ließ die Puschen stehen und glitt vom Fußende aus in den Pool. Erwartungsgemäß erleichterten an diesem Ende drei Stufen den Ein- und Ausstieg, während am Kopfende die Liegefläche abflachte. Das kannte sie vom Whirlpool in der Villa. Doch das hier war ganz etwas anderes als ein Whirlpool oder ein Swimmingpool auf dem Dach. Das hier war unglaublich. Ein Gefühl der Extraklasse. Sie fühlte sich wie eine Prinzessin, eine Königin oder gar eine Göttin. Dieses Gefühl eines Rosenbades unter freiem Himmel hoch über der Stadt spottete jedweder Beschreibung. Sie schwebte ans Kopfende und griff sich zuerst das Wasserglas mit der Aspirin. Glücklicherweise hielten sich ihre Katerschmerzen in Grenzen. Sie hatte zwar noch nie einen richtigen Kater, aber eigentlich wäre schlimmeres zu erwarten als ein paar Beinschmerzen und ein leichtes Ziepen an den Schläfen. Offensichtlich gehörte sie zu denen, die Alkohol gut vertrugen und nach einem Filmriss nur merkwürdige Träume hatten. Umso besser. Zuletzt griff sie sich eine der frisch aufgeschnittenen Apfelscheiben und genoss den sauren Geschmack auf der Zunge. Sie lehnte sich zurück und atmete den Rosenduft ein. Dann öffnete sie ihre Augen und konnte kaum glauben, dass sie über der norwegischen Hauptstadt badete. Das war zu unermesslich, um es beschreiben zu können. Bis sie noch höher über sich die Wolken erblickte. Seto sagte, sie solle sich den Himmel ansehen. Aber DAS! Die Wolken sagten: ‚In Liebe meiner Rose Tea‘. Seto hatte einen Himmelsschreiber bestellt und damit ein Schluchzen, welches hoffentlich niemand hörte. In Momenten wie diesen wäre Yugi nicht der einzige, der sich in Seto verlieben könnte. Irgendwann war ihre Haut weich geschrumpelt und was die Uhr zeigte, wusste sie auch nicht. Aber sie bekam allmählich Hunger. Richtigen Hunger, den auch die leckeren Obstscheiben nicht stillen würden. Sicher hätte sie auch in der Wanne frühstücken können, aber Seto wartete auf sie und sie freute sich darauf, ihn noch einen Morgen für sich allein zu haben. Also schlang sie einen Turban um ihr nasses Haar, trocknete sich mit den duftenden, vorgewärmten Tüchern ab und schlüpfte in den leichten Morgenmantel, bevor sie die Treppe hinunterging. In diesem Raum roch es bereits nach Kaffee und frischem Brot. Von der Treppe aus sah sie einen reich gedeckten Tisch mit allerlei Leckereien und einigen Platten, welche aber noch verdeckt waren. Das Essen hätte für eine ganze Fußballmannschaft gereicht. Ebenso wie die hellbraune, runde Sitzecke drumherum. Ja wohl, kreisrund war eine etwa zwei Meter breite Sitzecke gebaut. Eigentlich formten mehr die Polster einen riesigen Kreis um einen eingelassenen Tisch. An der Wand standen dekorative Schränke und es gingen von hier aus ein paar Türen ab, welche aber geschlossen waren. Der Boden war aus dunklen Holzdielen und im allgemeinen eher in angenehmen Brauntönen gehalten. Dies hier musste wohl das Premium-Apartment sein, denn ein Hotelzimmer konnte man das nicht mehr nennen. Eher ein Luxus-Loft. Und wie überall war auch hier eine gesamte Wand aus Glas und bot einen atemberaubenden Blick über die Stadt. Doch hier hatte Seto die Jalousien herabgelassen, da ihn sonst die pralle Sonne gestört hätte. Er saß nämlich am Rande der Sitzecke und weinte. Erst befielen Tea mehrere, verschiedene Sorgen, doch schon im nächsten Moment musste sie lächeln. Sie kam langsam die letzten Stufen herunter und sah, was Seto sah. In einem der großen Schränke war ein riesiger Plasmafernseher eingelassen und nachdem er sich offensichtlich angezogen hatte, sah er einen Film an. Und hier eine Szene, die ihn immer zum Weinen brachte. Dumbos Mutter stand in diesem ungemütlichen Zirkuswagen in Ketten gelegt, beschildert mit Warnzeichen. Kalt und ungemütlich. Und ihr Dumbo stand davor, versuchte mit seinem kurzen Rüssel seine Mama zu erreichen. Sie durften nicht zusammensein und alles nur, weil niemand die Liebe zwischen einer Mutter und ihrem Kind verstand. Beiden wurde Unrecht getan und doch liebten sie einander. Sie liebte ihr Baby, obwohl es anders war als die anderen. Alle lachten und spotteten über Dumbo, doch sie liebte ihren Sohn. Stumm bewegten sich Setos Lippen zu dem leisen Lied und Tränen rannen seine Wangen hinab. ‚Liebes Kind, weine nicht, wenn das Herz mir auch bricht. Schmieg dich an, ich bin für dich da, ich bin dir nah, mein liebes Kind. Deine Mutter bewacht dich bei Tag und bei Nacht. Droht Gefahr, eile geschwind nur zu mir her, mein liebes Kind.‘ Ganz vorsichtig näherte sie sich von hinten und damit er sich nicht erschreckte, legte sie ihm behutsamen die Hände auf die Schultern. Sie schmiegte sich an den mächtigen Rücken, legte ihren Kopf an seine Schulter. Er war trotz seines erwachsenen Alters eben noch immer ein Kind mit einem weichen Herzen und der Sehnsucht nach seiner Mama. Also küsste sie seine Wangen und sang die zweite Strophe leise für ihn mit. „Du bist süß und noch klein, ich will lieb zu dir sein. Sei vergnügt, niedlicher Spatz, du bist mein Schatz, mein liebes Kind. Mein liebes Kind.“ Er kuschelte sich noch einen Moment in ihren Arm, legte den Kopf an ihre Brust, lauschte ihrem Herzschlag und sie ließ ihn gewähren. Auch wenn sie keine Gedanken lesen konnte, ahnte sie, worüber er grübelte. Ob sie ihn wohl lieb hätte, wenn sie wüsste, dass er fliegen konnte? Dass er keine Missgeburt war? Trotz seiner großen Ohren? Dass er trotz allem nicht schlecht war? Dass er sie trotz allem brauchte? Er war ein bisschen wie Dumbo. Nur mit dem Unterschied dass die besonderen Ohren seine Mutter beschämten. Und er konnte nichts tun, damit sie seinen ausgestreckten Rüssel liebevoll durch die Gitterstäbe berührte. Erst als Dumbos Traum von den rosa Elefanten endete, drehte er sich zu ihr herum und lächelte sie ruhig und etwas verliebt an. „Hat dir das Bad gefallen?“ „Gefallen ist gar kein Ausdruck“ erwiderte sie mit freundlicher Stimme. Sie wollte nicht mit ihm darüber sprechen. Er wollte es sicher auch nicht. „Wusstest du, dass die Wolken sprechen können?“ „Tatsächlich? Ist ja ein Ding.“ Er musste ihr gar nicht weiter erklären, woher die Wolkenschrift kam. Er sah sich bereits ertappt. „Möchtest du jetzt frühstücken?“ „Wie viele Leute hast du denn noch eingeladen?“ lachte sie und drehte sich herum. Er drückte erst einen Knopf an der Fernbedienung und ließ die Jalousien hinauffahren, sodass Tageslicht ihr Mahl begleitete. Dann krabbelte er über die Polster und deckte eine Platte nach der anderen ab. Darunter kamen verschiedene Sorten Fleisch zum Vorschein, frisch geschnittenes Obst und eine riesige Auswahl an Säften. Eine Käseplatte, ein Sortiment an Marmeladen und ein ganzer Korb mit gewärmtem Brot, Croissants und süßen Brötchen durfte natürlich auch nicht fehlen. Dazu auch noch warmgehaltenes Rührei, gekochte Eier und Schinken. Sogar verschiedene Gewürze hatte er im Angebot und mehrere Glasschüsseln mit Frühstücksflocken, Müslis und Nüssen. „Ich wusste nicht, worauf du Hunger hast. Eigentlich isst du immer Schwarzbrot mit Margarine und Gurke, aber ich dachte, es ist ja schon Mittag. Also vielleicht hast du eher Lust auf Brunch statt Frühstück.“ „Du gehst wohl immer auf Nummer sicher“ seufzte sie und nahm erst mal die verschiedenen Säfte in Augenschein. Doch bevor sie übers Polster dorthin gekrabbelt war, drehte Seto den Tisch und ließ die Fläschchen zu ihr herüberfahren. „Ich nehme Mangosaft“ beschloss er und schnappte sich eine gelbe Flasche, die er gleich in ein Glas umgoss. „Es gibt auch Kaffee, Tee und Kaffeespezialitäten. Du kannst Latte Macchiato trinken, wenn du möchtest.“ „Ich möchte erst mal nur einen … hmmmm … einen Bananensaft“ entschied sie und nahm sich eine beige Flasche heraus. „Und einen Kamillentee. Wo …?“ Noch bevor sie fragen konnte, hatte Seto eine Kanne in der Hand und goss ihr einen Becher dampfenden Tee ein. „Woher hast du gewusst, in welcher von den Kannen Kamillentee ist?“ Denn alle Kannen waren weiß und nicht eine davon beschriftet. „Ich hab’s gerochen“ erwiderte er. Mit seiner feinen Nase war das für ihn kein Problem. „Und außerdem“ zeigte er auf die runden Löcher, in welcher die Kannen standen, „steht es hier am Rahmen, was drin ist.“ „Die erste Begründung fand ich faszinierender“ lachte sie und nahm sich ein Vollkornbrot. Doch dann zögerte sie, legte es zurück und nahm sich dafür ein duftendes Croissant. Heute ließ sie es noch mal genussvoll zugehen. „Die gibt’s auch mit Schokolade“ zeigte er und nahm sich ein Schokocroissant. Er gab Tea eines der großen Kissen herüber, damit sie sich gemütlicher hinsetzen konnte und rutschte dann selbst vergnügt ans Katerfrühstück für zwei. „Dieses Hotel ist wirklich ein Traum“ betonte sie nochmals und lehnte sich mit dem Kissen zu ihm herüber. „Ich dachte eigentlich, wir kehren nach dem Ball direkt zurück.“ „Unsinn. Natürlich musst du dich erst mal ausschlafen.“ „Aber wie hast du dieses unglaubliche Apartment so kurzfristig noch bekommen? Das ist doch bestimmt auf Wochen und Monate ausgebucht.“ „Es ist ganz nützlich, wenn man den Inhaber kennt“ erklärte er und sah sie genüsslich auf seinem Schokocroissant kauend an. „Erinnerst du dich an Jean? Unseren Pariser Nachbarn, den ihr mal am Strand getroffen habt?“ „Das ist der Inhaber dieses Hotels?“ „Er hat einige Hotels und Ferienressorts gekauft, teilweise dann renoviert und ist dabei, noch einige zu bauen. Sein Erbe reichte dazu nicht aus, also hat er entschieden, dass er mit anderen Teilhabern zusammenarbeitet und sich vorerst auf europäische Großstädte konzentriert. Und mit seinem neuen Businessplan hat er einen sehr günstigen Kredit von Kaiba Investments erhalten. Also war es kein Problem den eingebuchten Gast in ein anderes Zimmer zu verlegen und uns hier unterzubringen.“ „Den eingebuchten Gast? Ich will gar nicht wissen, wer hier unseretwegen weichen musste.“ „Dann sage ich es dir auch nicht“ grinste er und biss von seinem Croissant ab. Doch lange hielt sie das nicht aus und fragte vor dem letzten Schluck Bananensaft: „Okay, ich will es doch wissen. Sag es mir.“ „Kennst du Madonna?“ „Madonna?“ Da blieb ihr der Saft im Halse stecken und er bekam einen mehr als überrumpelten Blick. „Madonna musste unseretwegen umziehen?“ „Und ihr Lover auch. Ja. Jean fragte zwar noch mal, ob ich wirklich diese Suite haben muss, aber natürlich wollte ich das Beste, was er zu bieten hat. Also ist Madonna eben mit ihrem Privatjet gestern Nacht beleidigt nach hause geflogen. Selber Schuld. Die Golden Suite unter uns soll angeblich auch ganz nett sein, aber wenn sie beleidigt ist, ist das nicht mein Problem.“ „Weiß sie denn, dass … dass sie unseretwegen …?“ „Jean ist verschwiegen. Wer sie rausgekickt hat, geht sie gar nichts an.“ „Seto, du bist …“ „Unmöglich?“ „Genau!“ Er schmunzelte sie an und griff sich den Topf mit Würfelzucker, wo er singend eine Handvoll herausnahm. „Ich habe viel gesehn‘ auf dieser Welt, doch nie wie ein Elefant fliegt. Ohhh jaaa! Doch niiee wie ein Elefaaaaant! Fliiiieeeeegt!“ „Aaaah, Seto!“ Der war doch unglaublich unmöglich! Sie legte sich mit dem Kopf neben ihn aufs Polster und schloss die Augen. Dieser Kindskopf war unbezahlbar. Wie gern würde sie in diesem Moment mit Yugi tauschen? Wenn eine Freundschaft mit Seto bereits so überirdisch war, wie musste es sich dann erst anfühlen, von ihm leidenschaftlich geliebt zu werden? „Ich habe noch etwas für dich vorbereitet.“ „Was denn jetzt noch?“ Sie fühlte sich auf die Stirn geküsst und blickte ihm dann nach. Verdammt, wie schaffte er es nur, in einer weißen Hose und einem dunkelgrauen Hemd so sexy auszusehen? Das war keine aufsehenerregende Kleidung, aber … wenn er doch nur realisieren würde, wie das auf andere wirkte. Obwohl … wenn er es täte, wäre er wahrscheinlich viel arroganter. Umso besser, dass ihm sein Sexappeal nicht zu Kopfe stieg. Er ging hinüber zu einem der Schränke und ließ sie schon wieder staunen. Der Schrank war viel tiefer als er wirkte. Seto zog einen ganzen Kleiderständer heraus und schob ihn auf Rollen bis in Teas Blickfeld. Die Schranktür ging von selbst zu, aber den Kleiderständer entfaltete er manuell. Er warf einen der mitgenommenen Würfelzucker ein, zog die Stange auseinander und zeigte ihr eine Auswahl an Kleidern. Alles Sommerkleider in verschiedenen Farben und Mustern. Dazu oben auf die passenden Hüte und darunter passende Schuhe. „Seto! Hast du die etwa alle gekauft?“ „Du kannst ja schlecht noch mal das durchgeschwitzte Ballkleid anziehen. Und da ich nicht wusste, worauf du heute Lust hast, muss ich dir ja etwas Auswahl anbieten.“ „Die … sind für mich?“ „Na ja, mir steht so was wohl weniger.“ „Das … das meinst du nicht ernst!“ „Nein wirklich. In knielangen Kleidern sehe ich ganz schrecklich aus.“ „SETO!“ „Meinetwegen kannst du auch im Bademantel gehen. Du siehst in allem gut aus.“ Er stopfte sich noch zwei Stücke Zucker in die Backen und kam zurück an den Tisch, wo er mit einem schwarzen Kaffee nachspülte. „Jetzt bleibt mir die Spucke weg.“ Das war der Moment, in welchem sich ihr Menschenverstand verabschiedete. Nicht nur der Abend, sondern auch die Nacht und der Morgen waren märchenhaft und weitaus perfekter als die Perfektion. Das war mit einem Wort einfach Seto. Wenn er etwas organisierte, dann aber richtig und dann mit Protz und ohne Limit. Und das alles nur für sie. Für sie allein und für niemand anderen. Tea konnte ihren Tee nicht trinken und ihr Croissant nicht herunterschlucken. Ihr kamen die Tränen und so schluchzte sie leise in die Serviette. Das war zu viel, um sich nur zu freuen. Hierfür gab es keine Worte mehr. „Herrje! Oh … oh je!“ Seto rutschte schnell zu ihr und nahm sie in seine Arme. Tränen konnte er nicht sehen und bekam sofort ein schlechtes Gewissen. „Was habe ich denn jetzt wieder falsch gemacht? Tea … Liebes … nicht weinen. Bitte nicht weinen.“ „Du hast … das ist zu viel für mich“ jammerte sie und wischte sich eine Träne nach der anderen fort. „Seto, das ist zu viel.“ „Ich habe dich erschlagen … tut mir leid. Ich wollte dir nur eine Freude machen. Ich wusste nicht, dass … bitte nicht mehr weinen. Das nächste Mal nehme ich eine kleine Pension. Und die Reisetasche musst du auch selbst packen. Ich … kommt nicht wieder vor. Bitte nicht mehr weinen.“ „Das ist es nicht. Ich freue mich so sehr.“ Er dachte natürlich, dass er einen Fehler gemacht hatte. Dabei war es doch das genaue Gegenteil. Auch wenn es sehr schwer war, musste sie aufhören zu weinen. Auch wenn es Freudentränen waren - Seto wollte niemanden zum Weinen bringen. „Bitte nicht mehr weinen“ betete er und streichelte hilflos das Handtuch auf ihrem Kopf. „Bitte nicht mehr weinen. Bitte nicht.“ „Tut mir leid. Ich bin so überwältigt.“ Sie atmete tief und versuchte, ihm lächelnd in die Augen zu sehen. Er sollte doch sehen wie sie sich freute. Und nicht wie sie weinte. „So viel Zuwendung habe ich noch nie bekommen. Ich … ich fühle mich so … Seto, ich bin dir so dankbar. So viel hat noch nie jemand für mich getan. Du hast mir einen Traum erfüllt und noch viel mehr. Du bist so … du hast mich so glücklich gemacht.“ „Dann bitte nicht weinen.“ Sie griff seine Schultern und küsste ihn vorsichtig auf die Wange. „Ich weiß gar nicht wie ich das jemals wiedergutmachen kann.“ „Nur indem du dich freust und lachst. Und bitte nicht mehr weinen.“ „Ich weine ja schon gar nicht mehr.“ Schnell wischte sie sich das letzte Wasser aus dem Gesicht und lächelte so breit und überzeugend sie konnte. „Siehst du? Ich bin nur furchtbar glücklich.“ „Du bist das erste Mädchen, das nett zu mir war“ antwortete er und legte seine große, kalte Hand an ihre Wange. „Und du bist die erste Frau, bei der ich im Bett bleiben durfte. Ich kann dir kaum sagen, wie sehr ich dich liebe. Ich versuche nur, es dir zu zeigen. Aber ich will dich nicht zum Weinen bringen. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann oder wenn ich irgendetwas nicht tun soll, dann sagst du es mir. Ja?“ „Bleib einfach immer derselbe liebe, kleine, zauberhafte, grummelige Seto“ bat sie, kletterte auf seinen Schoß und nahm ihn so fest in den Arm wie sie konnte. „Lass dir niemals erzählen, dass du nicht gut bist und lass dich niemals verbiegen. Denn so wie du bist, bist du Seto. Und so wie du bist, bist du mir unendlich wichtig.“ „Danke.“ „Aber in einem muss ich dir Recht geben. In knielangen Kleidern würdest du schlimm aussehen.“ „Sage ich doch.“ Eigentlich wollte sie sich bedanken. Aber Seto brauchte keinen großen Dank, keinen teuren Luxus und keine Promi-Bälle. Er brauchte einfach nur eine Umarmung und ein wenig Zuwendung. Das war ihm mehr wert als alles andere. Für Tea war es nicht schwer, Zeit mit ihm zu verbringen und ihm etwas Liebe zu geben. Aber für Seto bedeutete das Zusammensein mit jemandem mehr. Es bedeutete seinen Seelenfrieden. Chapter 28 „Hey, Hase.“ Mokuba schloss die Tür. Das kleine Büro war an diesem Abend zum Glück unbesetzt. Zum Schriftrollenwälzen hatten sich die anderen nämlich ins Stadtbüro begeben, um dort den großen Beamer nutzen zu können. Und so war Noah eben in dieses kleine Büro gewichen. „Hey, Häschen“ erwiderte der und ließ die Akte sinken, die er bis eben eifrig beschriftete. „Ich dachte, du bist mit den anderen ausgegangen. Wolltet ihr nicht erst Schriftrollen durchsehen und dann mit Marik einen trinken gehen und auf Sethos‘ Genesung anstoßen?“ „Mich hat kurzfristig doch die Lust verlassen. Ich dachte mir, ich sehe lieber mal nach dir und entscheide dann, ob ich später nachkomme.“ „Wolltet ihr nicht unbedingt zu diesem neu eröffneten Club? Der von dem Marie vorgelesen hat. Mit der super modernen Lounge.“ „Der macht nun doch erst in drei Wochen auf. Die Weiber haben sich im Datum geirrt.“ Er lehnte sich an Noahs Schreibtisch und sah ihn freundlich an. „Und was machst du da für wichtige Dinge, Mr. President?“ „Ich stelle Unterlagen zusammen, die ich Seto morgen übergeben will. Und was machst du hier?“ „Dich vermissen“ schmunzelte er zu ihm hinab. „Gibt’s hier eigentlich keinen Schreibtisch für Joey?“ „Joey ist der einzige von uns, der lieber im Bett arbeitet als am Schreibtisch. Und er ist auch der einzige, der weder von seinem Nachwuchs noch von seinem Lebenspartner oder Ehemann dabei belagert wird. Also nein, kein Schreibtisch für Joey.“ „Und er fühlt sich nicht ausgegrenzt?“ „Er sitzt bei Bedarf auf Setos Schoß bis der die Flucht ergreift.“ „Wohl wahr.“ Mokuba war nicht wegen des ‚neuen‘ Büros hier. Eigentlich war dies auch eher eine wenig genutzte Abstellkammer, die Hannes vor ein paar Tagen ausgemistet hatte. Da er den Raum nicht so nötig brauchte, hatte Noah ihn dazu überreden können, zwei Schreibtische reinzustellen und Telefondosen legen zu lassen. So musste er nicht immer in die Stadt zum Arbeiten und nicht mit Mokuba im Bett um den Laptop kämpfen. Aber wie gesagt, war Mokuba nicht hier, um sich den Raum anzusehen. Flashback - selber Tag um die Mittagszeit „Ich fasse es nicht! Hat er die absichtlich gesperrt?“ Mokuba hatte da diesen superschicken Kratzbaum entdeckt. Drei Meter lang und hoch bis unter die Decke. Jede Menge Säulen zum Kratzen, Höhlen zum Verstecken und sogar eine Hängematte. Das würde seinen Miezen sicher gefallen und Dante konnte auch drauf rumturnen. Doch ohne Kreditkartennummer lief bei Onlinebestellungen gar nichts. Bei diesem Anbieter hatte er noch keinen Kundenaccount und brauchte dringend eine gültige Kreditkarte. Er hatte die drei 16-stelligen Nummern, die er auswendig konnte, eingegeben, aber alle waren gesperrt. Error. Kreditkarte nicht erkannt, prüfen Sie Ihre Eingaben. Warum auch immer Noahs Kreditkarten gesperrt waren. Vielleicht war auch die Gültigkeit abgelaufen und der Hase hatte vergessen, ihm die neuen Prüfziffern zu geben. Aber eigentlich wusste Mokuba sehr sicher, dass alle Kreditkarten noch mindestens zwei Jahre gültig waren. Wie auch immer, Noahs Kreditkarten funktionierten nicht. Ohne sich etwas Böses zu denken, ging er also an dessen Arbeitssachen. Dort steckte immer mindestens eine Kreditkarte, die er bei geschäftlichen Anlässen belastete. Eigentlich nicht die, die Mokuba normalerweise benutzte, aber die würde es auch tun. Er besaß zwar selbst auch einige Kreditkarten, aber letztlich wusste er eher wo Noahs Sachen lagen als seine eigenen. Vielleicht deshalb, weil sein Hase immer wieder alles ordentlich wegräumte und er selbst … nun ja, er eben nicht. Konnte ja nicht jeder so einen Ordnungsfimmel haben. Er fand in der Ledertasche viele uninteressante Sachen. Zwei CDs, fünf USB-Sticks, ein Ersatzhandy, ein paar Akten mit bunten Zahlen drin, eine kleine Festplatte, einen leeren Ordner, ein Etui mit Visitenkarten, einen goldenen Füllfederhalter, ne Hand voll Kugelschreiber, noch ein Ersatzhandy und einen Schreibblock. Er suchte aber eher etwas in Leder, was nach Terminplaner oder ähnlichem aussah. Da waren die persönlichen Sachen drin. Kopien seiner Ausweise und Pässe, wichtige Geschäftskontakte, etc. Das einzige, was er jedoch in Leder fand, war ein dünnes, recht großformatiges Buch. Als er es aufschlug, dachte er sich nicht viel dabei. Als er jedoch die erste Seite sah, begann es zu rattern. „Fotos von nackten Männern?“ Okay, das Bild war künstlerisch hochwertig. Die Farben und Lichtspiele deuteten auf eine anspruchsvolle Qualität hin, doch der lasziv in die Kamera stöhnende Mann, ließ Mokubas Blut kochen. Warum zum Teufel hatte sein Noah solche Bilder in den privaten Sachen? Er schlug die nächste Seite auf, noch eine Seite und noch eine. Es war immer derselbe Mann in verschiedenen Posen und Umgebungen fotografiert. Ein langhaariger, recht schlanker Typ mit dunklen, ausdrucksstarken Augen. Auf den einen Bildern wirkte er weich und anschmiegsam. Auf einem anderen richtig blutrünstig, wie ein Raubtier. Mal war er als Gangster der 20er dargestellt, mal als Biker mit Piercings, sogar als eine Art Indianer. „Albern“ urteilte er für sich. Dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los. Warum sah Noah sich solche Sachen an? Hatte er das nötig? „Was ist los?“ „WHUA!“ Mokuba erschrak und schlug das Buch zu. Yami linste durch die Tür und guckte ihn fragend an. „Yami! Mann! Musst du mich so erschrecken?“ „Erschrecken tut sich nur wer ein schlechtes Gewissen hat.“ Er kam rein und setzte sich zu ihm auf den Boden vor den ausgebreiten Inhalt der Tasche. „Was das?“ „Habe ich in Noahs Sachen gefunden.“ „Schnüffelst du?“ „Nein, ich suche. Sag mir mal, was du hiervon hältst.“ Er drückte Yami das Buch in die Hand. Der schlug es auf und seine Augen funkelten bereits beim ersten Blick. Er durfte Mokuba ja nicht sagen, dass er sich das bereits angesehen hatte. Und auch nicht, dass alle außer ihm bescheid wussten. „Lecker Schnitte.“ „Ich meine nicht zu dem, was da drin ist. Ich meine dazu, dass Noah so was vor mir versteckt.“ „Versteckt er das denn? Dann hätte er es doch in den Büro-Save gelegt“ meinte er und blätterte sich durch die Hochglanzseiten. „Also, ich finde das sehr anregend.“ „Deswegen ja.“ „Na ja. Noah ist auch nur ein Mann. Sei doch froh, dass er sich so etwas stilvolles ansieht und keine billigen Schmuddelbilder.“ „Das ist keine Entschuldigung, sich Bilder von fremden Kerlen anzusehen.“ „So fremd finde ich den gar nicht“ sprach Yami und blieb an einem Bild hängen. Ein Foto in schwarz-weiß. Ein Portrait. Unverstellt, ohne Makeup oder Schnörkel. Nur sein Gesicht und eine Hand, welche er an seine Wange und einen Finger über seine Lippen gelegt hatte. Das lange, glänzende Haar floss über seine Stirn. Und im Zentrum seine großen, dunklen Augen, welche verträumt und sehnsuchtsvoll auf dem Betrachter lagen. Bereits beim ersten Durchsehen hatte er sich gedacht: „Ich finde, er sieht aus wie du.“ „Wie ich? Du spinnst!“ Mokuba schnappte das Buch und besah sich das Portrait sehr genau. Sehr eindringlich, prüfend. „Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich geglaubt, dass du das bist. Oder Mokeph, der jetzt auf metro macht.“ „Yami …“ Er begann nochmals auf der ersten Seite und blätterte nun mit anderer Sicht hindurch. Jedes Bild betrachtete er sehr intensiv und prüfte Yamis Behauptung. Und schnell wurde ihm klar, dass der alte Pharao Recht behielt. Der Kerl in den albernen Posen und den freizügigen Outfits - der sah aus wie Mokubas Doppelgänger. „Wenn du mich fragst, bleibt Noah seinem Typ treu“ grinste er vielsagend. „Was bitte meinst du damit?“ „Na ja. Wenn er sich schon Fotos von fremden Männern ansieht, dann zumindest welche, die ihn an dich erinnern.“ „Bedeutet?“ „Bedeutet, dass es dir schwerfallen müsste, hier eifersüchtig zu werden.“ In der Tat. Mokuba stellte fest, dass Yami den nächsten Nagel auf den Kopf traf. Er war nicht eifersüchtig. Er war jetzt eigentlich nur verwirrt. „Und … warum meinst du, hat er das in seiner Tasche, wo sonst nur geschäftliche Unterlagen drin sind?“ „Warum er das in dieser Tasche hat oder warum er das Ding überhaupt hat?“ „Yami, lass doch die Psychospielchen!“ „Okay, ich helfe dir mal auf die Sprünge, mein Schatz.“ Er setzte sich in den Schneidersitz und lehnte sich auf die Hände zurück. „Wenn Seth und mir langweilig wurde, haben wir verschiedene Sachen ausprobiert. Es gibt nichts schlimmeres als ein eingefahrenes Sexualleben.“ „Was hat denn mein Sexualleben jetzt damit zu tun?“ „Sehr viel“ zog Yami die Augenbrauen hoch. „Ihr seid schon runde zehn Jahre zusammen. Am Anfang ist der Sex noch spannend und aufregend. Aber je länger man zusammen ist, desto mehr spielt man sich aufeinander ein. Das kann angenehm sein, aber auf Dauer wird es langweilig. Es ist ganz normal, dass Vorlieben sich verändern und neue Bedürfnisse aufkeimen. Die Frage ist nur, ob man seinem Partner das anvertraut oder nicht.“ „Du meinst Noah hat Druck und guckt sich deshalb solche Bilder an?“ „Vielleicht.“ Den wahren, geschäftlichen Grund verriet Yami ihm natürlich nicht. Dafür mischte er sich viel zu gern in privatere Sachen ein. „Das glaube ich nicht.“ Er begann die Tasche wieder einzupacken. Musste ja nicht sein, dass man ihn beim Schnüffeln, nein Suchen, erwischte. „Noah und ich haben immer offen über alles geredet. Es gibt nichts, was ich nicht für ihn machen würde und er weiß das.“ „Dabei gibt es doch kaum etwas schöneres als wenn man gemeinsam als Paar neue Sachen entdeckt.“ Yami war jemand, der zwar viel redete, aber er wusste wenigstens worüber er sprach. Und wenn es um dieses Thema ging, hatte er mehr Erfahrungen als Mokuba und Noah zusammen. „Überlege doch mal. Selbst dein verkorkster Bruder entdeckt seine Vorliebe für Rollenspiele.“ „La la la!“ Er hielt sich sofort die Ohren zu und begann laut zu singen. „La la la! Ich höre dich nicht! La la la!“ Er redete ja problemlos mit Yami über seine Sachen, aber was sein Bruder machte, das wollte er sich nicht mal vorstellen. „Okay, war ja nur ein Beispiel.“ „La la la!“ „Ist ja gut! Nimm die Hände runter!“ Er zog Mokubas Arme zu sich und lächelte ihn ruhig an. „Also willst du meinen Rat nun hören oder nicht?“ „Okay. Hilf mir auf die Sprünge. Aber nichts mehr von Seto.“ Er stellte die Tasche zur Seite und legte das aufgeschlagene Buch vor sich hin. Warum zum Geier sah Noah sich Fotos an von einem Kerl, der genauso aussah wie Mokuba? Wenn er andere Bedürfnisse hatte, dann wäre es doch logischer, sich andere Motive zu holen. Kräftige Männer, Glatzköpfe, bunte Vögel oder vielleicht auch Travestiekünstler. Auf jeden Fall irgendetwas anderes als das, was er eh schon hatte. „Noah ist ja auch nur ein Mann“ argumentierte der alte Pharao überzeugt. „Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass sich viele Frauen mehrmals täglich umziehen oder ihr Makeup ändern oder ihre Haare neu machen und das nicht, weil sie sich unwohl fühlen, sondern weil sie immer anders aussehen wollen. Für ihren Mann.“ „Und was hat das mit mir zu tun? Ich bin keine Frau.“ „Männer sind von der Evolution so gemacht, dass sie mehrere Partnerinnen begatten. In der heutigen Zeit ist es aber so, dass man nur noch einen Partner hat. In den meisten Ländern jedenfalls. Und damit Mann nicht die Lust an seiner einen Partnerin verliert, zieht Frau sich mehrmals täglich um. Damit gaukelt sie ihm vor, sie wäre mehrere Frauen und so lindert sie sein Bedürfnis nach fremden Weibchen. Wie gesagt, das ist wissenschaftlich nachgewiesen. Tiefenpsychologisch.“ „Und was hat das d a m i t auf sich?“ zeigte er auf das Buch. Er verstand nicht so richtig, worauf Mr. Liebeslebensnachhilfe hinauswollte. „Das ist ganz einfach. Noah ist ein Mann und gleichzeitig ist er dir treu. Das kann er mit seiner Evolution eigentlich nicht vereinbaren. Daher ist es nur natürlich, dass er sich nach mehreren Partnerinnen sehnt. Oder eben Partnern, wie du willst. Da er aber unbestritten auf Typen wie dich steht, wünscht er sich unterbewusst, dich in verschiedenen Varianten zu erleben. Und das kann er, indem er sich dieses Buch ansieht.“ „Ach so?“ Darauf wäre Mokuba so schnell nicht gekommen, aber bei näherer Betrachtung klang das ganz einleuchtend. Noah wollte ihm also mit diesem Fotomodell nicht fremdgehen, sondern stellte sich vor wie sein Häschen aussehen würde. Weil er sich insgeheim etwas anderes wünschte und das vom selben Partner. „Das ist meine Theorie“ nickte Yami entschieden. „Du meinst also, Noah wünscht sich, dass ich mich anders gebe?“ „Nicht grundlegend, aber vielleicht bei der Zweisamkeit. Wie ist es denn um euren Sex so bestellt?“ „Eigentlich gut“ zuckte er mit den Schultern. „Seit Dante da ist, können wir nicht mehr so spontan wie früher, aber wir suchen uns unsere Lücken und Randzeiten. Noah machte auf mich auch nicht den Eindruck unzufrieden zu sein.“ „Unzufrieden vielleicht nicht, aber empfindest du euer Liebesleben als spannend?“ „Na ja … ist doch nur Sex“ antwortete er verwundert. „Das funktioniert immer nach dem gleichen Prinzip. Wir machen ab und zu mal was, was nicht so Standard ist, aber sonst ...“ „Was denn zum Beispiel? Was macht ihr außerhalb von hinlegen und einlochen? Andere Orte? Ausgefallene Positionen?“ „Yami?“ Mokuba sah ihn scharf an. „Willst du mir helfen oder bist du nur neugierig?“ „Von beidem ein bisschen“ schmunzelte er. Aber dann wischte er sich den spöttischen Ausdruck weg und lehnte sich vor. „Nein, im Ernst. Ein langweiliges Sexleben kann das erste Anzeichen für eine Beziehungskrise sein. Kann. Muss nicht, aber kann. Du solltest also darauf achten, deinen Mann bei der Stange zu halten. Vermeide Langeweile, biete ihm verschiedenes an. Blümchensex ist zwar nett, aber ab und zu musst du deinem Hasen auch mal eine Möhre geben, nicht immer nur trockenes Stroh.“ „Aber wie gesagt, wir machen doch auch mal was außer trocken Stroh.“ „Zum Beispiel?“ „Na ja …“ Das war jetzt doch sehr persönlich. Aber wenn er Hilfe wollte, musste er auch offen sein. Und wenn nicht zu Yami, zu wem dann? „Na ja, neulich … es hat sich irgendwie so ergeben. Also wir haben uns voreinander selbst befriedigt. Oder … oh je … wir waren morgens im Kindergarten und haben es danach im Auto gemacht.“ „Und das nennst du aufregende Abwechslung? Moki, ihr seid doch keine Anfänger mehr.“ Yami schüttelte den Kopf. „Und dann wunderst du dich, wenn Noah sich Kopfkino holt?“ „Was schlägst du denn vor, was ich machen soll? Noah steht zum Beispiel nicht auf Sex an öffentlichen Plätzen, er wird nicht gern beobachtet. Da war Autosex schon was besonderes. Und unten liegt er auch nicht gern. So viel Spielraum bleibt da nicht.“ „So was nennt man Betriebsblindheit“ lächelte er ihn lieb an. „Hast du es schon mal mit SM versucht?“ „Sado Maso? Yami!“ „Du musst ja nicht gleich mit Stollenschuhen auf ihm herum trampeln. Das kann man auch in ganz leichten Versionen machen. Ich glaube, Noah wäre da genau der Typ Mann für.“ „Wie bitte? Yami, bei aller Liebe, aber das kann ich mir kaum vorstellen.“ Er kannte Noah nun schon so lange und er fand jede empfindliche Stelle aus dem FF. Aber dass Noah auf so etwas abfuhr … nein, das war unwahrscheinlich. Noah war ein sanfter Liebhaber, ein Romantiker und manchmal ein scharfer Lover. Aber ein Sadist oder Masochist? Wohl eher nicht … „Früher vielleicht nicht. Aber Menschen verändern sich und mit ihnen ihre Bedürfnisse. Glaube mir ruhig.“ Er rutschte näher und legte ihm die Hand aufs Knie. „Früher musstet ihr euch erst kennen lernen und habt wahrscheinlich jedes Nümmerchen super gefunden. Ist ja auch prima so. Aber du hast dich seitdem auch verändert. Du hast Noah früher wie eine Art Gott verehrt und er hatte trotz deines Dickkopfs immer die Zügel in der Hand. Aber mit den Jahren hast du dich verändert und Noah hat sich mit dir verändert. Du bist dominanter geworden und er hat so viel Vertrauen in dich, dass er sich durchaus von dir führen lässt. Ich denke, das ist für ihn auch ein Ausgleich. Schau mal, er muss tagtäglich so viele Menschen anleiten und Entscheidungen treffen. Immer ist er derjenige, der die Richtung vorgibt und sagt, wer was zu tun hat. Da genießt er es doch, wenn er das zuhause nicht auch noch tun muss. Das heißt nicht, dass er alles mit sich machen lässt oder keinen eigenen Willen mehr hat, aber er lässt dir deinen Dickkopf meistens durchgehen. Weil er das genießt, wenn ihm jemand die Stirn bietet. Er liebt dich eben genau weil du so dominant bist.“ „Und weiter?“ „Setzt ihr das im Bett auch um? Bist du im Bett auch so dominant?“ Mokuba grübelte kurz nach, durchdachte die letzten Erlebnisse, die sie hatten. War er dominant? So wie er es sonst auch war? „Na ja, ich würde sagen, wir sind gleichberechtigt.“ „Ge-nau!“ schnippte er. „Da haben wir des Pudels Kern. Sei dominanter im Bett, mein Süßer. Aus meiner Erfahrung heraus weiß ich, dass es genau Männer wie Noah sind, die darauf abfahren, sich erniedrigen zu lassen. Genau solche Männer, die ein sauberes Image pflegen und welche immer Macht über andere ausüben - genau solche Männer lieben den Schmutz und die Verwandlung in etwas, was sie im täglichen Leben niemals sein können und auch nicht dürfen. Versuche es doch einfach mal, ob Noah nicht doch gewisse Neigungen zum Masochismus hat von denen er selbst nichts ahnt.“ „Du sagst das so leicht“ seufzte er und ließ die Schultern hängen. „Ich will ja nun keine Zigaretten auf ihm ausdrücken oder Sachen in ihn reinstecken. Dafür habe ich zu viel Respekt vor ihm. Ich kann ihn nicht … ich kann nicht auf ihm herumtrampeln.“ „Das musst du auch gar nicht. Es gibt viele andere Spielchen, die man machen kann. Noah ist sehr stolz und braucht Kontrolle über sich, also dürftest du ihn auch gar nicht zu sehr unterjochen. Das würde nicht nur ihn, sondern auch dich überfordern. Aber du kannst ihn zum Beispiel so fesseln, dass er sich nicht selbst losreißen kann.“ „Fesselspiele?“ „Mit Seidenbändern. Das wirkt nicht so hart wie Leder oder Metall. Du kannst ihm die Augen verbinden oder auch den Mund. Oder du lässt dir die Füße küssen. Du kannst ihn auch dazu bringen, deinen Willen zu befolgen oder versaute Sachen zu sagen. Es ist immer gut, wenn man ein Codewort ausmacht und wenn einer das sagt, dann bedeutet das sofort Stopp. Also keine Gefahr, sich falsch zu verstehen. Ich bin mir sehr sicher, dass Noah genau auf so etwas abfährt. Nicht die harte Variante, aber so ein bisschen eleganter SM könnte ihm Spaß machen.“ „Ich weiß ja nicht … ich hätte Angst, dass ich etwas tue, was ihm … ich weiß nicht.“ „Natürlich ist das nicht einfach. Aber wenn du es tun willst, kannst du auch ein paar ganz leichte Tricks anwenden, um ihn nicht völlig zu entwürdigen. Gerade Anfänger übertreiben es leicht. Zum Beispiel wenn du ihn schlägst, dann schlage ihn niemals ins Gesicht. Und wenn du ihn erniedrigst, solltest du ihn nicht beim Namen nennen. Auch so was wie Sklave solltest du nicht zu ihm sagen und du solltest ihn nicht zwingen, dich Meister und Herr oder so zu nennen. Du kannst ihn aber dreckig nennen, notgeil oder widerlich. Da stehen die Typen drauf.“ „Ich weiß nicht … das hört sich merkwürdig an.“ „Na ja, es ist vielleicht auch eine etwas heftige Art der Liebe, aber du würdest dich wundern wie viele Männer auf so etwas abfahren. Männer von denen du es niemals für möglich hieltest.“ Obwohl Yami verbindlich lächelte, machte er keine Scherze. Wenn es darum ging, die geheimen Sexualitäten in Menschen zu erkennen, war sein Gespür unschlagbar. Und er wusste wovon er sprach, weil er es alles selbst ausprobiert hatte. „Ihr nehmt bei solchen Spielen Rollen ein, die ihr nicht mit eurem Alltag vermischen solltet. Deswegen nennt euch nicht beim Namen. Was ihr im Schlafzimmer tut hat nichts mit dem zu tun, was ihr außerhalb lebt. Wenn ihr es schafft, das auszuleben, ohne dass es euch im Alltag ein schlechtes Gewissen bereitet, kann SM etwas sehr schönes sein und sogar euer gegenseitiges Vertrauen vertiefen. Auch wenn ich euch eher in die SM-light Schublade stecken würde.“ „Na prima“ rollte er dramatisch mit den Augen. Wenn schon versaut, dann wenigstens nur ein bisschen versaut. Das war ja ein Trost. „Vertraue dem alten Pharao“ lächelte er und legte den Arm um ihn. „Komm mal mit in mein Zimmer. Ich zeige dir etwas und dann gehe ich jede Wette ein, dass …“ Flashback Ende Und dann saß Mokuba auf Noahs Schreibtisch und hatte eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie so ein Experiment aussehen könnte. Und wenn Yami diese Wette verlor, würde Mokuba sich etwas noch peinlicheres für ihn ausdenken. „Häschen, du weißt, dass ich dich liebe“ seufzte Noah während der Angesprochene es sich auf dem Schreibtisch gemütlich machte. „Aber ich muss das hier für Seto noch fertig bekommen.“ „Und was ist mit mir?“ schaute er ihn lasziv an. „Ich habe auch Bedürfnisse.“ „Wir hatten doch erst gestern Sex.“ „Du meinst den Quicky abends ganz leise unter der Decke?“ „Ich fand’s schön.“ „Das reicht mir aber nicht. Und ich weiß, dass es dir auch nicht reicht.“ Er musste schnell härtere Geschütze auffahren. Noah war ihm intellektuell weit überlegen und fände irgendwann ein Argument dagegen. Also musste er ihn für sich einnehmen, bevor er die Arbeit vorzog und sein Häschen auf später vertagte. Er schlug also sein Bein herüber und rutschte langsam von der Tischplatte auf Noahs Schoß. So hatte er sich wenigstens schon in eine gute Stellung zwischen ihm und seinem Notebook gebracht. „Komm schon, Hase“ flüsterte er, legte die Hände an seine Brust und leckte über sein Ohrläppchen. „Die anderen sind alle weg. Wir sind ganz unter uns.“ „Häschen, wirklich“ seufzte er und legte den Arm um ihn. „Ich bin doch gleich fertig. Höchstens noch eine Stunde und dann bin ich ganz für dich da. Du kannst doch schon mal Dante ins Bett bringen.“ „Ich würde lieber dich ins Bett bringen“ hauchte er ihm ins Ohr und rieb sich an seinem Schoß. „Komm schon, Hase. Nur ein bisschen. Ich brauche nicht lange.“ „Moki, das passt jetzt gerade wirklich nicht.“ „Du brauchst auch nicht viel machen. Ich bin schon ganz heiß. Bitte …“ Und dann kam sein K.O.-Argument. „Du willst mich doch nicht unbefriedigt lassen.“ Denn das mochte Noah gar nicht. Wenn eines nicht sein durfte, dann dass Mokuba sich unausgefüllt fühlte und Frust schob. Unter Mokubas Frust hatten nämlich dann auch andere zu leiden, die sich dann bei Noah beschwerten und dann musste er zugeben, dass er seinen Freund nicht befriedigen konnte - diese Indizienkette musste unterbrochen werden, bevor sie sich in Gang setzte. „Na gut, aber nur kurz.“ Innerlich grinste Mokuba. Lief doch gut. Er rutschte vorsichtig zurück und von dem Schoß herunter. Dann kniete er sich zwischen Noahs Beine und öffnete den Hosenknopf, zog den Reißverschluss auf und schob die Unterwäsche zurück. Ein bisschen was musste er ja schon tun, um ihn zu locken. Er legte zwei Finger unter die warmen Hoden und hob sie leicht an, streichelte und wiegte sie. Schon spürte er wie sein Hase tiefer rutschte, sich zurücklehnte und es genoss. Und natürlich richtete sich auch seine Erektion brav auf. Mokuba kannte die guten Stellen. „Sag bescheid, bevor du kommst“ bat er, hielt das steif werdende Glied und leckte mit seinem Zungenpiercing voran über die salzige Spitze. „Mein Häschen“ hauchte er und legte den Kopf zurück. „Du khannst so lieb sein.“ >Bilde dir nichts drauf ein< schmunzelte er und saugte sich das gute Stück hinab. Noah hatte keine Ahnung, dass er heute nicht so schnell zum Zuge kommen würde wie er dachte. Mokuba tat, was er immer tat. Noah einen zu blasen war sehr einfach. Besonders dann, wenn man dazu noch seine Hoden knetete. Das liebte er und vor einigen Jahren hatte Mokuba heimlich seinen persönlichen Bestenrekord bei 38 Sekunden eingestellt. Das klappte aber nur, wenn sein Hase eh schon scharf war und eine lange, abstinente Zeit hinter sich hatte. Normalerweise reichten aber schon drei oder vier Minuten, um ihn kommen zu lassen. >Yami hatte Recht, wir sind zu eingespielt.< Sex war immer gut, aber er stellte doch fest wie eingefahren das war. Es gab kaum noch etwas neues im Bett. Wenn man auch genau wusste, was dem anderen gefiel, entstand oberflächlich gesehen kein Grund, etwas zu ändern. Umso mehr Grund, etwas neues zu wagen. „Mokhi!“ keuchte er dann und hielt den hypnotischen Kopf fest. „Genugh. Hör aufh.“ „Bestens“ lächelte er, wischte sich den Speichel vom Mund und stand auf. Er öffnete sich die Hose, zog sie mit der Unterwäsche aus und fegte nebenbei die Akten und Stifte an die Seite. „Nein, du willst doch nicht meinen neuen Tisch entweihen.“ „Auf dem Sofa gibt’s auch nur Flecken. Hier kannst du wenigstens wischen.“ Er platzierte sich auf der Tischplatte und streckte die Arme nach ihm aus. „Na, komm schnell. Ich bin schon feucht.“ Noah stand auf, trat zwischen seine gespreizten Beine und küsste sein Häschen lustvoll bis zur Zunge. Dabei ließ er seine Hand tiefer gleiten bis sie an seiner süßen Stelle ankamen und dort bereits einen Hauch von Gleitgel fühlten. „Du hast das ja tatsächlich geplant“ stellte er fest und blickte ihn verliebt an. „Hast du es so nötig?“ „Wollen doch mal sehen, wer von uns beiden es nötiger hat.“ >Wenn du wüsstest.< Er schlang die Arme um ihn, ebenso die Beine und drückte ihn näher. „Komm schon, ich will nicht warten.“ „Du bist unmöglich, mein Moki.“ Mit der einen Hand fasste er in das schwarze, glänzende Haar. Die andere legte er um die pulsierende Erektion seines Liebsten und ganz vorsichtig drang er in ihn ein. „Jha!“ keuchte Mokuba und drehte den Kopf weg. „Noah, mach! Thiefer!“ „Immer mit der Ruhe“ bat der und stieß vorsichtig zu. „Ich will mir hinterher nicht anhören, dass dir etwas wehtut.“ >Andersrum, Hase.< Eigentlich diente das hier nur zu einem einzigen Zwecke. Yami hatte ihm den Rat gegeben, einen Höhepunkt vorzulegen. Einfach aus dem Grunde, damit er beim eigentlichen Vorhaben ruhiger blieb. Er hätte dafür auch selbst sorgen können, doch wenn er bei der eigenen Vorbereitung gleich Noah scharfmachen konnte, umso besser. Er musste nur unbedingt darauf achten, seinen Hasen nicht kommen zu lassen. Sonst wäre der Abend gestorben. So konzentrierte er sich erst mal auf sich selbst und gab eindeutige Anweisungen. „Schneller!“ keuchte er und fuhr tief mit seiner Zunge in Noahs Mund. Er bewegte ihm seine Hüften entgegen so sehr es diese Position eben zuließ. „Festher! Hase! Festher!“ forderte er und führte Noahs Hand, damit sie ihn schneller rieb. Er legte es nicht auf ein langes Liebesspiel an. Er wollte einfach nur vor ihm kommen. „Wow! Süßer!“ Doch er musste in Kauf nehmen, dass auch Noah sich davon antörnen ließ. Der schnelle Takt, das feuchte Schmatzen ihrer Zungen und das Beben des Schreibtisches. „Ich liebe dhich!“ atmete Noah ihm heiß ins Ohr. „Dhu bhist wundherschön, Mokhi. Ich lhiebe dhich!“ „Oh, Nhoah!“ Er zog ihn näher zu sich. „Nhimm mich! Schneller! Härter! Härter!“ „Dhu bhist so heiß. Ah … ah … jha! Oh Ghott! Ich lhiebe dhich!“ Noah griff ihm beherzt noch fester ins Haar und beschleunigte seine harten Stöße. Für Mokuba war das ein Zeichen, dass es eng wurde. Noah griff ihm gern hart ins Haar, wenn er kam. Er liebte sein langes, schwarzes, kräftiges Haar. Es machte ihn an, es zu streicheln, zu kneten, zu spüren. Aber es war gut, dass Mokuba selbst schon kurz vorm Absprung balancierte. Er wollte Noah nicht kommen lassen, aber er wollte ihn auch nicht kalt lassen. Er sollte ruhig glauben, er dürfe sich erlösen. „Nhoah! Nhoah! Oh jha! Mhach! Wheiter! Wheeiiteer!“ Er fuhr unter Noahs Hemd, spürte seinen angespannten Rücken. „Dheine Hand! Nhoah, dheine Hand!“ Der verstand das richtig und rieb ihn schneller, knetete seine feuchte Spitze. Er gab alles. Wahrscheinlich glaubte er, dass sein Uke noch nicht so weit war wie er selbst. Doch bereits im nächsten Moment streckte Mokuba sich mit einem Stöhnen in die Länge und ergoss sich in die feste Hand. Er schloss die Augen und genoss den eigenen Orgasmus, der für seinen Seme zu früh kam. Der war Gentlemen und ließ mit seiner Kraft nach. Er stieß vorsichtiger, massierte das pulsierende Glied bis sein Süßer sich vollständig entspannte. Er schenkte seinem Häschen ohne Eigennutz einen wohltuenden Höhepunkt. Kein Wunder, war er es doch gewöhnt, danach selbst kommen zu dürfen. Nur heute sicher nicht. „Halleluja“ atmete Mokuba und griff die Hand, welche noch immer in seinem Haar lag. „Noah, das war nicht von schlechten Eltern.“ „Dankeschön“ lächelte er, beugte sich herab und küsste seinen Liebsten auf die feuchten Lippen. Er wartete auf den richtigen Moment bis Noah seine Hüften langsam wieder bewegen wollte. Für gewöhnlich durfte er auch bis er genug hatte, doch heute rollte sein Uke sich heraus und entkam dem fälligen Dienst. Ja, er zog sogar seine Hose wieder an und wischte sich das Finish vom Bauch. >Mission One accomplished. Go to next level.< „Ähm … Häschen?“ Und Noah stand irritiert daneben. „Hast du nicht etwas vergessen?“ „Ja, habe ich tatsächlich.“ Mit flinken Fingern knüpfte er sich die Hose zu und lächelte ihn unschuldig an. „Ich habe oben die Kerze angelassen.“ „Und deswegen läufst du jetzt weg?“ Er hielt ungläubig seinen Hosenbund fest, bevor er ganz unten ohne dastand. „Willst du, dass wir abfackeln?“ fragte er mit schwerlich ernstem Blick. „Siehste.“ „Ja, schon. Aber ich würde auch gern noch du weißt schon.“ „Darfst du ja auch. Aber ich habe echt ein schlechtes Gefühl wegen der Kerze. Fahr den Laptop runter und dich selbst die Treppe rauf.“ „Ich muss noch weiter arbeiten. Schatz, du kannst mich doch hier nicht so stehen lassen. Im wahrsten Sinne des Wortes.“ „Dante ist bei Tea und wir haben oben genug Zeit, dich fertig zu machen.“ >Im wahrsten Sinne des Wortes.< Und bevor er wegen Noahs Gesichtsausdruck noch in Lachen ausbrach, trabte er lieber schnell aus dem Zimmer. Chapter 29 Noah schloss so gut es ging die Hose, beruhigte sich und klappte das Notebook zu. Warum nur ließ er das mit sich machen? Eigentlich müsste er jetzt schmollen und zeigen, dass es sehr unfein war, ihn so zu behandeln. Aber auf der anderen Seite wollte er nun auch zu seinem Recht kommen. Mokuba hatte auch nicht nur Rechte in der Beziehung und eine Pflicht war es doch wohl, seinen Partner nicht mit Erektion zurückzulassen. Das waren Sitten, die man gar nicht erst anfangen sollte. Also bequemte er sich die Treppe hoch, öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und sah … erst mal nichts. Es war stockdunkel. „Häschen?“ Er trat einen Schritt hinein und wurde dann von hinten überfallen. „Nicht erschrecken!“ sagte Mokuba und Noah spürte wie ihm die Augen mit etwas kühlem, weichen verbunden wurden. „Hey, Süßer“ lachte er, während der Seidenschal an seinem Hinterkopf verknotet wurde. „Was soll das denn werden? Habe ich Geburtstag?“ „Überraschung zum Nichtgeburtstag“ hauchte er ihm ins Ohr und schob den überraschten Nichtgeburtstagler einige Schritte vor. Noah hörte wie das Licht angeknipst wurde, doch sehen tat er es natürlich nicht. „Wir machen jetzt ein kleines Spiel“ erklärte Mokuba, schloss die Tür und drehte gut hörbar den Schlüssel herum, damit sie auf keinen Fall gestört wurden. Dann legte er beide Hände an Noahs Brust und strich sanft hinauf. „Ich möchte, dass du jetzt alles tust, was ich dir sage und wir sehen einfach, wohin uns das führt. In Ordnung?“ „Was hast du denn vor?“ Er lächelte zwar, doch ein gewisses Misstrauen konnte er nicht verbergen. Dass er nichts sah, machte ihn skeptisch. „Das wirst du dann schon erfahren.“ Er strich ihm das Haar aus der Stirn und mit sanften Fingerspitzen über sein Kinn. „Noah, vertraust du mir?“ „Natürlich“ antwortete er ohne Nachdenken. „Und vertraust du mir auch deine Lust an? Deine geheimsten Wünsche? Deine dreckigen, kleinen Geilheiten?“ „Ähm … was soll das hier werden?“ „Ah ah ah!“ Er hinderte ihn daran, die Augenbinde abzunehmen und hielt seine Hände fest. „Noah, vertraust du mir?“ Er überlegte einen Moment. Das alles hier kam ihm spanisch vor und er wusste nicht, welche Flausen sein Süßer jetzt wieder im Kopf hatte. Aber er hatte lange keine Flausen mehr in dieser Richtung gehabt. Also, warum sollte er sich nicht einfach mal darauf einlassen? Was sollte schon passieren? Nach über zehn Jahren glücklicher Beziehung war er ihm etwas Vertrauen schon schuldig. „In Ordnung“ nickte er und drehte den Kopf dorthin, wo er Mokuba vermutete. „Ich vertraue dir, Süßer.“ „Lässt du dich ganz auf mich ein?“ „Na gut. Tue ich.“ „Und wirst du alles tun, was ich dir sage?“ Er zögerte eine Sekunde, aber blieb sich treu. „Ja, ich tue alles, was du sagst. Sofern es nicht …“ „Nein, nicht sofern es irgendwas“ unterbrach er gleich und drückte seine Handgelenke. „Nur Ja oder Nein.“ „Okay. Ja.“ „Unser Codewort zum Beenden lautet Kaktus.“ „Kaktus.“ „Genau. Und nun will dieses Wort nicht mehr von dir hören.“ Er ließ ihn los und Noah in die Dunkelheit lauschen. Nichts war zu hören außer ihrem Atem und dem leisen Ticken der Uhr. Eine neue, aufregende, angespannte Stimmung. „Von nun an sprichst du nicht, wenn ich dich nicht dazu auffordere“ befahl er mit gleichmäßiger Stimme. „Wenn ich dich etwas frage, antwortest du mit ‚Ja, Geliebter‘ oder ‚Nein, Geliebter‘. Wenn ich eine Auskunft abfrage, antwortest du kurz und prägnant. Ansonsten will ich von dir keinen Mucks hören. Keinen Atem, kein Stöhnen, keinen Laut. Verstanden?“ „Ja“ antwortete er. Doch „AU!“ dann spürte er einen Schmerz an seinem Oberarm. Er hörte ein Zischen, einen Knall und dann pochte ein Brennen auf der Haut. „Was machst du mit … AU!“ Noch ein Zischen, noch ein Knall, noch ein Schmerz, etwas höher am Arm. Er taumelte zurück, doch da war die Tür. „Das heißt ‚Ja, Geliebter‘“ wies ihn Mokubas harte Stimme zurecht. Er klang wirklich erbost. Fast persönlich beleidigt. „Also, hast du mich jetzt verstanden?“ „Ja, Geliebter.“ Er überlegte kurz, ob er nicht doch lieber die Augenbinde abnahm und nachsah, ob Mokuba tatsächlich eine Peitsche in der Hand hatte. Aber noch war es nicht Zeit für das Codewort. So schnell gab er sich nicht geschlagen, wenn auch der erste Schrecken in den Knochen saß. Hoffentlich dachte Mokuba daran, dass sein Hase herzkrank war. „Sehr schön.“ Er hörte leise Schritte auf dem Holzboden und konnte nur schwer orten, wo sein Peiniger sich nun befand. Die Stimme jedenfalls kam etwa aus linker Richtung. „Wenn du etwas falsch machst, bekommst du eine Strafe. Wenn du aber etwas richtig machst, bekommst du eine Belohnung. Einfaches Prinzip, nicht wahr?“ „Ja, Geliebter.“ Was hatte er nur vor? Es passierte selten, doch Noah fühlte sich vollkommen ahnungslos. „Gut.“ Er hörte das schmutzige Lächeln in der Stimme. Er hatte sich nie die Mühe gemacht, Mokubas Stimme so intensiv zu hören und er bemerkte, wie hinterhältig er doch klingen konnte. Es schien als plane er etwas diabolisches. Nein, es schien nicht so. Er plante definitiv etwas diabolisches und er freute sich darüber. „Ich möchte, dass du dich jetzt ausziehst.“ „Ausziehen?“ Er hörte ein Stampfen, ein Sirren und dann der Knall, welchem ein sofortiger, brennender Schmerz folgte. Dieses Mal auf dem anderen Arm. „Wie heißt das, du dummes Stück?“ Es war nur ein Spiel, doch er hörte sich wahrhaft wütend an. Er spielte seinen Part gut und ernsthaft. Da durfte Noah sich nicht die Blöße geben. „Ja, Geliebter“ antwortete er und rieb sich die pochende Stelle. Daran musste er sich jetzt schnell gewöhnen. Mit Diskussion und Erklärungen kam er hier nicht weiter. Es war ungewohnt, doch er würde versuchen, sich ausnahmsweise zu fügen und Strafe zu vermeiden. Wie Mokuba sagte, sie würden sehen wohin es sie führte. „Zieh dich aus“ befahl die harte Stimme erneut. Nachdrücklich. „Jetzt.“ „Ja, Geliebter.“ Sein erster Griff führte ihn an den Hosenknopf. Doch dann spürte er wie sich etwas an seiner Brust bewegte, ein Rucken durchfuhr ihn und dann vernahm er ein Reißen. Das war doch nicht zu glauben! Hatte Mokuba ihm etwa gerade das Hemd zerrissen? „Hey, hast du gerade mein Hemd AUUUA!“ „Habe ich dich zum Sprechen aufgefordert?“ Er kannte kein Erbarmen. Jedwede unerbetene Lautäußerung wurde mit einem beißenden Schlag auf den Körper bestraft. Dieses mal knallte es an der Schulter. Und es brannte noch heftiger. Jeder Schlag wurde härter. Das machte ihm offensichtlich Spaß. Er packte Noah am zerrissenen Kragen und zwang ihn rüde zu sich herab. „Du bist mein Eigentum“ zischte er ihm auf die Lippen. „Ich kann mit dir machen, was ich will. Und du tust besser daran, meinem Willen zu folgen. Ich bin sehr leicht reizbar, also konzentriere dich. Hast du das verstanden?“ „Ja, Geliebter.“ Oh oh oh, wenn er nicht noch mehr Tadel einstecken wollte, sollte er sich lieber fügen und seinen Geliebten nicht reizen. Vielleicht ergab sich ja noch eine Gelegenheit, ihn gütlich zu stimmen. Wenn die Bestrafung so schmerzvoll ausfiel, wüsste er nun auch gern, wie sich eine Belohnung anfühlte. „Und jetzt zieh dir die Fetzen aus“ wies er an und stieß Noah zurück an die Tür. Er machte einfach klar, wer hier das Sagen hatte. Und er fühlte sich in seiner Rolle anscheinend wohl. Noahs Ohren vernahmen wie sich Mokuba etwas entfernte und ging davon aus, dass er sich nun ohne Überraschungen entkleiden durfte. Er zog das kaputte und im übrigen nicht gerade preiswerte, maßgeschneiderte Hemd eines namhaften Designers aus … verdammt, das war ein Einzelstück!!! … und zögerte dann. Sollte er es einfach fallen lassen oder irgendwo hinräumen? Er wollte nicht schon wieder gepeitscht werden. „Was ist?“ schoss ihm die scharfe Stimme entgegen. „Bist du zu dumm, dich auszuziehen? Antworte!“ Er rief sich ins Gedächtnis, kurz und prägnant zu antworten. Nur kein Gelaber. „Wo darf ich ablegen, Geliebter?“ fragte er und hoffte, dass das kurz genug war. „Interessiert mich nicht. Lass den Müll einfach fallen.“ Er ließ also sein ehemaliges Hemd einfach fallen und erschrak. Er hatte schon wieder etwas falsch gemacht und bekam einen Peitschenhieb an die Hüfte. Auf nackter Haut knallte der Schlag noch lauter und brannte sich tiefer in die Nerven. Verdammt, das tat wirklich weh!!! „Bedanke dich, wenn du eine Antwort bekommst!“ „Ja, Geliebter.“ Verflucht, war der denn mit gar nichts zufrieden? „Danke.“ Doch auch dafür setzte es wieder einen Hieb. So langsam wurde es doof! „AAUU! AAUUAA!“ „Wie heißt das?“ „Danke, Geliebter.“ „Geht doch.“ Seine Schritte entfernten sich wieder und Noah hörte einen leisen, raschelnden Ton. Nun hatte er sich wohl irgendwo hingesetzt. Doch das bedeutete nicht, dass er nicht wieder zur Bestrafung herankam. „Mach weiter. Das dauert schon viel zu lange. Du fängst an, mich zu langweilen. Dummes Stück.“ Noah schluckte und öffnete die Hose. Während er sich auskleidete, nicht zu hastig aber auch nicht zu langsam, überdachte er diese merkwürdige Situation. Solche Spielchen hatten sie noch niemals gemacht. Geschlagen und beleidigt zu werden, war nicht gerade etwas was er sich aussuchen würde. Doch leider musste er feststellen, dass es ihn ebenso reizte wie abschreckte. Es erschreckte und verunsicherte ihn. Ein bisschen nervte es auch. Doch es schlug ihn nicht in die Flucht. Es war ein neues Gefühl und solange er nichts darüber wusste, würde er es beobachten. Solange Mokuba es genoss, würde er es auch für ihn tun. Für Mokuba würde er sich zu fast allem überwinden. Als all seine Kleidung auf dem Boden lag und er nackt im Dunkeln stand, geschah nichts weiter. Er hörte keinen Befehl, kein Atmen. Draußen vor dem Fenster lachten ein paar Mädchen, doch hier im Raum war die Stimmung gespannt. Wie aus dem Nichts drang Mokubas Stimme von rechts. „Hinknien!“ Mit pochendem Herzen und wackligen Knien befolgte er den Befehl und kniete auf dem kühlen Holzboden nieder. Mokuba war gemeingefährlich. Der konnte schleichen wie ein Drache. „Hände auf den Rücken.“ Und auch fauchen wie einer. Auch dies tat er. Er wunderte sich nicht als seine Handgelenke von einem weichen Gefühl eingeschnürt wurden. Es war nur eine Frage der Zeit bis er gefesselt wurde. Die Seide presste sich an seine Haut und er brauchte gar nicht versuchen, sich zu befreien. Mokuba hatte dafür gesorgt, dass er das nun nicht mehr allein schaffte. Es war ihm unangenehm, doch gleichzeitig … er wollte es sich noch nicht eingestehen, aber es reizte ihn, mehr zu erfahren. Er war noch niemals so gefesselt worden, dass er allein nicht mehr freikäme. Natürlich hatten sie schon so einiges ausprobiert und auch kleinere Fesselspielchen im Bett gehabt, doch noch nie hatten sie sich so gefesselt, dass es kein Entkommen gäbe. Wenn nun jemand anklopfte oder ihn so sah - er wäre hilflos einem fremden Blick ausgesetzt. Es war schon merkwürdig genug nur Mokuba ausgesetzt zu sein. Nun kniete er da. Nackt, blind und gefesselt. Ihm wurde schlecht und gleichzeitig … dieses Gefühl machte ihn nervös. Er bemerkte wie sich die Schritte wieder entfernten, doch das warme Gefühl in seinem Kopf raubte die Orientierung. Er wusste nicht mehr in welcher Richtung er lauschen sollte. „Schöne Erektion, die du da hast.“ Noah empfand es nicht als so stark, doch nun fiel es ihm auf. Obwohl bisher keinerlei sexuelle Anspielungen da waren, hatte sich sein Glied aufgestellt und drückte. Er senkte unwillkürlich den Kopf als er es vor sich selbst zugab. >Verdammt, es macht mich an.< Es war kompliziert, ungewohnt. Er wusste es selbst nicht, aber ihm kam der Verdacht, dass Mokuba mehr ahnte, ihn besser kannte. „Danke … Geliebter“ flüsterte er beschämt über dieses zweifelhafte Kompliment. „SPRICH LAUTER!“ schrie der plötzlich und schreckte ihn auf. „Danke Geliebter!“ antwortete er sofort deutlicher. Er durfte sich nicht ablenken lassen. Das nächste Mal setzte es sicher wieder etwas. „Du kannst froh sein, dass ich mich mit dir beschäftige“ zischte er und Noah spürte wie die schwarzen, funkelnden Augen über seinen nackten Körper glitten. Über die pochenden Flecken der Bestrafung, welche in seiner Dunkelheit strahlten. Allein zu wissen, dass er in dieser Position angesehen wurde, dass er von Mokuba angesehen wurde … nackt, blind und gefesselt … es ließ heißen Atem aus seinem Mund fließen. Tat er das hier wirklich? „Komm her zu mir“ forderte er dann wieder mit gesenkter Stimme auf. Das Problem war, dass Noah nicht sagen konnte, wo sich sein Geliebter befand. Er hatte gehört, wie er sich gesetzt hatte, doch das konnte sowohl das Bett als auch das Sofa gewesen sein. Und diese standen an der schmalsten Stelle etwa zwei Meter auseinander. „Komm her zu mir“ befahl er mit etwas mehr Härte. Zuerst lehnte Noah sich vor, doch wurde sofort unterbrochen. „Ich habe dir nicht gestattet, aufzustehen.“ Er sollte kriechen? Und das wo er nicht mal wusste wohin? „Was ist nun?“ Er klang genervt. „Willst du bestraft werden?“ „Nein, Geliebter.“ Er wusste ja nicht mal, ob die pochenden Stellen bluteten. Mokuba hatte nicht gerade lasch zugeschlagen. „Dann komm her. Wenn du nicht weißt, wo ich bin, musst du mich eben suchen.“ Es half nichts, er musste raten. Die Stimme klang als würde sie von rechts kommen. Also aus Richtung des Sofas. Etwas unbeholfen rutschte er mit den Knien über den Boden. Das machte es nur schwerer, die Entfernung einzuschätzen. Hilfe fand er bei dem Läufer und er wusste, dass dieser recht nahe am Sessel lag und zwischen dort und dem Bett in Richtung Tür verlief. Er konnte ihn als einen Kompass nutzen. Also folgte er dem Sisalteppich, der ihm nun hart und kratzig vorkam. Seine Knie schmerzten als er endlich mit der Stirn an den Sessel stieß. Es war ihm peinlich, doch wie sollte er sich sonst orientieren? Er wollte um ihn herumkriechen als er gegen etwas härteres, wärmeres stieß. Mokubas Bein. „Du hast mich gefunden.“ Nun klang er das erste Mal ein wenig gütiger. „Gut gemacht.“ „Danke, Geliebter.“ „Vielleicht bist du doch zu etwas zu gebrauchen.“ Noah spürte eine Hand durch sein Haar streichen und diese kleine Geste kam ihm intensiver vor als jemals zuvor. Mokuba strich ihm häufig über die Stirn und kraulte seinen Kopf. Doch nun wo ihm die Augen genommen und Bestrafungen gegeben wurden, empfand er diese Zuwendung als wertvoller und genoss diese kleine, liebevolle Belohnung. Es fühlte sich schön an. Seine Hand war zärtlich und warm. Angenehm. Und er bekam eine Gänsehaut, welche die Wirbel hinablief. Ein schlichtes Kraulen fühlte sich plötzlich unglaublich intensiv an. Woher nur? Er hatte keine Drogen genommen und doch … dieses Gefühl war so intensiv. Doch leider wurde das Streicheln dann wieder beendet und die liebevolle Hand drückte ihn zurück bis er ein wenig wegrutschte. Dann spürte Noah einen Druck an seiner Schulter und ihm kam eine ungewohnte Vermutung. Mokubas nackter Fuß. „Und nun will ich, dass du meine Zehen leckst.“ Vorsichtig drehte er den Kopf zur Seite und tastete sich vor. Mit viel Mühe schaffte er es gerade so, dass seine Lippen den großen Zeh berührten. Er roch nach Seife. Während er ihn nach allen Möglichkeiten küsste und mit der Zunge sogar den nächsten Zeh erreichte, wurde er vom selben Fuß heruntergedrückt. Er folgte dem stummen Befehl und beugte sich weit herunter. Bis seine Nase den Boden berührte und der Fuß entfernt wurde. „Und nun den anderen. Zeig mir, dass du es willst.“ „Ja, Geliebter“ hauchte er, schwenkte behutsam zur anderen Seite und erreichte den Fuß. Mit Genuss senkte er seine Lippen über die warme Haut, strich mit der Zunge in die kleinen Zwischenräume und befeuchtete die weiche Oberfläche. „Das gefällt dir, was?“ Das Gefühl, nackt und gefesselt vor ihm zu knien, sich nur mit den Ohren und dem Mund zu orientieren löste einen gewissen Druck aus. Es war der Drang danach, sich aus dieser demütigenden Situation zu befreien. Und gleichzeitig die Sehnsucht danach, noch mehr zu erleben. Mehr von den Überraschungen, mehr von der Hilflosigkeit und mehr von den schönen Belohnungen. Dieses Gefühl war völlig neu und völlig anders. Das hier hatte nichts mit der Realität zu tun. Wie ein Traum, welcher nichts mit dem zu tun hatte, was sich alltäglich zutrug. Nur wusste er noch nicht sicher, ob dies nun ein guter, ein neutraler oder ein schlechter Traum war. Er wusste nur, dass er jetzt noch nicht aufwachen wollte. Er küsste sich weiter vor, leckte die Knöchel ab und als kein Protest kam, schmeckte er sich auch den Unterschenkel hinauf. Nur kurz wunderte er sich, dass er auf keine Kleidung stieß, doch da sein Süßer sich offensichtlich vorbereitet hatte, nahm er es einfach hin. Bis ein Sirren an seine Ohren drang, dann ein Knall ertönte und ein quälendes Brennen seinen Nacken versengte. Darauf wurde sofort sein Kopf rüde fortgestoßen. Er hatte es gerade genossen, seine Füße abzulecken und sein Bein zu küssen. Warum wurde er nun wieder geschlagen? „Habe ich dir erlaubt, meine Beine zu berühren?“ „Nein, Geliebter.“ Er lag auf dem Boden und atmete. Ihm wurde heiß, etwas schwindelig von dem Stoß und er spürte sein hartes Glied zwischen den Schenkeln. Er war erregt und verstand es selbst nicht. Vielleicht wollte er auch gar nicht wissen warum. „Komm hoch. Knie dich hin.“ Er rappelte sich auf, kniete vor ihm und senkte den Kopf. Der Schmerz im Nacken pulsierte und sein Atem ging schwer. Er schwitzte und sicher waren seine Wangen gerötet. Es war dasselbe Gefühl wie beim Vorspiel. Nur konzentrierter, die Essenz aus der Erwartung und dem Verlangen. „Komm zwischen meine Beine.“ Langsam schob er sich heran bis seine Knie an den Sessel stießen. Er spürte Mokubas Wärme, roch seinen parfümierten Körper und es lockte ihn, ihn zu küssen, ihn zu berühren. Und selbst berührt zu werden. „Beuge dich vor und öffne meine Kleidung“ flüsterte er in den Raum. „Ja, Geliebter“ hauchte er und tat wie befohlen. Er beugte sich vor und erfühlte mit der Stirn einen Baumwollstoff. Er erkannte Mokubas schwarzen Morgenmantel am Stoff und er wusste, dass dieser mit einem Schnallengürtel zugebunden wurde. Mit dem Mund glitt er tiefer und fasste mit den Zähnen den Holzring, an welchem der Gürtel festgemacht war. Sein Hals stieß an eine Erhebung, welche kaum nachgab. Er folgerte daraus, dass auch sein Geliebter erregt war und nichts unter dem Mantel trug. Er biss in den Gürtel und zog, biss wieder hinein und zog und biss erneut und zog Stück für Stück die Schnalle auf. Bis der Druck nachgab und sich der Mantel mit einem leisen Rascheln öffnete. „Gut gemacht“ hörte er ein Lob von oben. Seine Wangen wurden genommen und sein Kopf hinaufgezogen. „Ich kann dich dafür belohnen. Willst du belohnt werden?“ „Jha, Geliebter.“ „Dann öffne deinen Mund und schiebe die Zunge vor.“ Er spreizte den Mund und fuhr mit der Zunge an die Unterlippe. Sein Kopf wurde festgehalten und noch etwas hinauf gezwungen bis seine Zunge ein weiches Gefühl ereilte. Feucht glitt Mokubas Zungenspitze über die geöffneten Lippen bis in die Mitte, wo er Noahs Zungenspitze umkreiste. Doch einen richtigen Kuss schenkte er ihm nicht. Er berührte nur seine Zunge. Er stupste sie an, drängte sie zurück und leckte die Unterseite. Ohne seine Lippen zu berühren, ließ er ihn ahnen wie viel ein wahrer Kuss wert war. Doch diesen musste er sich erarbeiten und wurde fürs Erste unbefriedigt zurückgelassen. „Bedanke dich.“ „Danke, Geliebter.“ Sein Atem zitterte, ebenso sein Körper. Er war hoch erregt und spürte jede Berührung. Selbst den kaum wahrnehmbaren Luftzug am Boden und erst recht diese wundervolle, gütige Zunge, die ihm ein solches Gefühl schenkte. „Willst du mehr davon?“ „Ja, Geliebter“ antwortete er sehnsuchtsvoll. Er öffnete den Mund und streckte sich weiter hinauf. Seine Scham ließ er fahren, legte seine Beherrschung ab. Jetzt war er angekommen in dieser Erfahrung und wollte sie auskosten. Vollständig in ihr versinken. Er wollte mehr von dem, was er nur schwer bekam. „Dann musst du dir mehr verdienen.“ Er drückte den Kopf hinunter, griff sein Kinn und zwang die harte Männlichkeit in den heißen Mund. Noah musste stöhnen bei diesem Gefühl. Bei dieser Sehnsucht, die er in sich fühlte. Er wollte es auch. Er wollte auch berührt werden. Doch stattdessen folgte die Strafe. Die Peitsche traf seinen Rücken und er schreckte hoch, musste sich beherrschen, um nicht nochmals einen Laut zu machen. Das war verboten. „Ruhe“ fauchte Mokuba und klang wieder erbost und gefährlich. „Bist du so erregt, dass du stöhnen musst?“ „Ja, Geliebter!“ „Das ist mir egal. Ich will nicht, dass du Lust empfindest. Verstanden?“ „Ja, Geliebter!“ „Was willst du nun tun?“ „Ich …“ Er? Was ER tun wollte? Vieles! Vor allem endlich berührt werden. Endlich zwischen den Beinen berührt werden. Doch er wusste, dass die Antwort anders lauten musste. „DAS DAUERT ZU LANGE!“ Er schlug ihn erneut auf den Rücken und Noah unterdrückte ein Keuchen. Es schmerzte, doch es provozierte eine leichte Ekstase. Ihm war heiß und sein Herz schlug schneller. Der Schmerz ließ ihn erbeben und gleichzeitig erregte er sich daran. „Antworte! Was willst du nun tun?“ „Dir gefallen, Geliebter!“ „Und wie willst du das tun?“ „Dich lecken, Geliebter!“ „Und du glaubst, ich erlaube dir das jetzt noch?“ „Bitte“ keuchte er und richtete seinen blinden Blick hinauf. „Ich bitte dich, Geliebter. Ich will dir Lust bereiten, Geliebter. Bitte.“ Er hörte sich, er hörte die Worte und fühlte den tiefen Drang. Doch es war als stünde er neben sich und sah sich selbst dabei zu wie er Dinge tat, die nicht zu ihm passten. Er war Noah Kaiba. Er leitete ein milliardenschweres Imperium, er verkehrte mit Politikern, Wissenschaftlern und Investoren. Er war braver Familienvater und vernünftiger Ratgeber. Und nun kniete er hier und bettelte. Er wusste, er sollte lieber aufhören. Doch er konnte es nicht. Wenn er jetzt aufhörte, könnte er sich selbst nicht mehr im Spiegel betrachten. Er musste es zu Ende bringen. Und er wollte es. Sein anderes, unbekanntes Ich wollte das hier. „Bhitte.“ Er fühlte wie Tränen in die Augenbinde sickerten und seine gefesselten Hände zitterten. Er hatte Skrupel vor sich selbst. Doch er liebte Mokuba und er vertraute ihm. Er gab ihm die Möglichkeit, diese Erfahrung zu machen. Und auch wenn die Vernunft und der Stolz gegen das hier sprachen - er wollte es. „Ich will dir Lust bereiten, Geliebter und selbst nichts dabei empfinden! Bitte quäle mich zu deinem Vergnügen, Geliebter!“ Mokuba antwortete nicht sofort. Noah hörte sich selbst schwer atmen, spürte die Tränen unter dem Stoff. War er zu weit gegangen? Hatte er die Büchse der Pandora geöffnet und konnte sie nun nicht mehr schließen? War er überhaupt noch er selbst? Es war doch nicht normal, sich an so etwas derart zu erregen. „In Ordnung“ flüsterte Mokuba, nahm seinen Kopf und hielt ihn fest. „Ich bin ein gütiger Geliebter. Du darfst mir Lust bereiten.“ „Danke, Geliebter.“ Er dachte nicht weiter darüber nach als er die Erektion in den Mund nahm und daran saugte. Er tat es wie er es sich selbst wünschte. Der Druck wurde größer und er fühlte wie ein eigener Lusttropfen herabfiel und sein Bein hinablief. Es tat weh. Seine Bestrafungsmale brannten und seine Härte flehte nach Zuwendung. Doch alles, was er bekam, war eine herrische Hand an seinem Hinterkopf, welche das Tempo vorgab. Er stieß die Luft zur Nase hinaus und bekämpfte den Schwindel. Seine Schläfen ertaubten und ein Rauschen in seinen Ohren kündigte Kreislaufprobleme an. Doch er wollte nicht aufhören, wollte dieses Erlebnis nicht unterbrechen. Bis Mokuba „Genug“ befahl und ihn fortdrückte. Er griff sein Kinn und wieder spürte Noah den schwarzen Blick auf seiner Haut. Er erschauerte und spürte wie ihn sein eigenes Gewicht nach links zog. „Leg dich auf den Boden.“ „Dankhe, Ghheliebter“ atmete er und legte sich auf die linke Seite. Wahrscheinlich sah Mokuba, dass ihm schwindelig wurde. Der Druck und das Verlangen stiegen ihm zu Kopf. Das war eigentlich nicht sein Problem, dennoch leitete er auch diesen Zustand souverän. „Willst du Wasser?“ „Ja, Geliebter“ keuchte er. Zwar nahm der Schwindel nun langsam wieder ab, aber er sollte dennoch etwas trinken. „Was tust du für mich, wenn ich dich tränke?“ Er überlegte. Was konnte er ihm anbieten? Für gewöhnlich fiel ihm immer eine schlagfertige Antwort ein. Doch er fühlte sich hilflos. Als wäre er aus seiner Haut geschlüpft und hätte Noah Kaiba irgendwo zur Aufbewahrung abgegeben. Ihm fiel nichts ein, was ein niederes Wesen wie er geben konnte. Nichts außer „Alles“ antwortete er dann deutlich. „Ich tue alles für dich, Geliebter. Alles, was du forderst.“ „Nicht besonders kreativ, aber okay. Von dir ist ja wohl nicht allzu viel zu erwarten.“ Er klang nicht allzu hingerissen von dieser simplen Antwort, aber er genehmigte sie. Noah hörte wie eine Flasche aufgedreht wurde und der Plastikring des Deckels klickte. „Dann trink.“ Wasser lief über seine Lippen. Mokuba gab ihm nicht einfach ein Glas, er kippte ihm das Wasser übers Gesicht. Noah musste seinen Mund aufreißen und die Zunge ausstrecken, um möglichst viel davon aufzufangen. Er rutschte etwas zur Seite und ließ das kühle Nass in seinen Hals laufen. Er schluckte so viel er konnte bis die Flasche leer war. Sein Gesicht war nass, auch ein Teil seiner Schulter und etwas Wasser kribbelte in der Nase. Doch das kalte Wasser tat gut und klärte den Kopf. Er atmete einige Momente und seufzte leise. Möglichst leise, damit sein Geliebter es nicht hörte. Chapter 30 Die Pause tat gut und er erholte sich schnell. Es war nur ein kleiner Schwindel, doch er wollte nicht, dass dies etwas beendete. Er sammelte seine Kräfte. „Bitte, Geliebter“ sprach er möglichst klar. „Ich will etwas für dich tun. AAHH!“ „Was du willst, ist mir egal!“ Die Peitsche traf seinen Arm und ließ ihn zusammenzucken. Mokubas Güte war nicht von Dauer. Wünsche waren nicht erlaubt. „Leg dich auf den Bauch! MACH SCHON!“ Und zur Untermauerung dieses unerlaubt geäußerten Wunsches setzte es noch einen Schlag. Dieses Mal auf die Hüfte. So hart, dass Noah sicher war, dass er nun blutete. Aber es machte ihm nichts aus. Er verabscheute es nicht. Das Brennen war fantastisch! „Ja, Geliebter.“ Er drehte sich in der Wasserpfütze, drückte seine drängende Erektion auf den Sisalläufer und legte die Wange auf den Boden. Mit Händen auf dem Rücken war das hier alles andere als bequem. „Auf die Knie. Kopf auf dem Boden.“ „Ja, Geliebter“ keuchte er und rutschte mit den Knien hoch. Er hätte sich lieber auf dem harten Boden gerieben als diesen Druck noch länger zu ertragen. Wie lang lief er nun schon so herum? Mokuba hatte es gut, der war bereits … >Du kleines Schlitzohr< dachte er sich insgeheim. Deshalb die Nummer auf dem Schreibtisch. Noah war unbefriedigt und er selbst hatte weniger Not. Das war gemein. „Weißt du, was ich jetzt mit dir tun werde?“ fragte die dunkle Stimme durch die Hitze seines Kopfes. „Nein, Geliebter“ antwortete er und seine Stimme hörte sich kaum noch an wie seine eigene. Und das lag nicht daran, dass er halb auf den Boden sprach. Er war nicht mehr er selbst. „Weißt du, was ich in der Hand halte?“ „Nein, Geliebter.“ Doch er ahnte böses. Diese Position hatte ganz sicher einen zweckmäßigen Grund. Dann hörte er ein Summen, ein Vibrieren und er wusste, was ihm blühte. Mokuba wusste genau, dass Noah nicht gern … „Hng!“ … und er tat es doch. Er drückte einen Vibrator in ihn hinein. Er war nicht groß oder breit, eher wie ein kühler Finger. Doch es reichte, um seine Lust unerträglich zu machen und seinen Muskel vor Schmerz zum Zucken zu zwingen. „Na? Magst du das?“ Aus der Stimme hörte Noah eine Mischung aus Schadenfreude und Schurkerei heraus. Er wusste genau, dass Noah nicht gern Uke war. Und wahrheitsgemäß antwortete er: „Nein, Geliebter!“ „Sehr gut.“ Zur Belohnung wurde das Gerät nur tiefer in ihn gedrückt bis das Summen verschwand. Seine Hüften bebten und sein Atem stockte. Er wollte stöhnen, schreien, sich am Boden reiben. Doch er war zum Stillsein verdammt. Er fühlte wie sich etwas um seinen rechten Oberschenkel schlang und zusammenzog. Eine Art Schnur aus Metall. Eine Kette. Und er hörte ein leises Klicken. „Das ist das Band, an welchem wir es später wieder rausholen“ grinste Mokubas Stimme zu ihm herab. „Besser du verlierst es nicht.“ Er sammelte Luft, die ihm zäh und stickig vorkam. „Nhein, Geliebter.“ „Bedanke dich für das Geschenk.“ „Dhanke, Geliebther.“ Er atmete langsam und möglichst leise aus. Er musste sich sammeln. Sonst stand er das hier nicht lange durch. Er lauschte in die Stille, horchte auf ein Anzeichen, was wohl als nächstes geschehen würde. Doch es war still, bis auf das gedämpfte Vibrieren. Dann endlich das Geräusch von nackten Füßen auf dem Boden. Mokuba entfernte sich und die Spannung zerriss den Wartenden. Das Vibrieren in seinem Inneren und diese ungemütliche Haltung auf dem kratzigen Teppich. Es war grausam und doch … >Ich glaube das einfach nicht.< Wie konnte er das nur mögen? Es war wie der erste Schluck Rotwein. Beim ersten Mal schmeckte Alkohol bitter und brennend. Und doch hatte er etwas ganz eigenes und man wollte das Glas austrinken. „Nun?“ weckte ihn die Stimme und ließ seinen Körper zucken. Er war angespannt, überreizt. Jeder Ton kam ihm wie ein Rockkonzert vor. Jede Berührung wie purer Sex. Er schluckte. „Willst du, dass ich dich berühre?“ „Ja, Geliebter. Oh jha … ja … oh jha.“ Ja, das wollte er. Schon die ganze Zeit. „Bhitte berühre mich. Gheliebter.“ „Und wo willst du berührt werden?“ „Zwischen meinen Bheinen, Geliebter.“ Er vernahm wie Mokuba sich neben ihm auf den Boden setzte oder kniete und dann spürte er eine warme Hand am inneren Oberschenkel. „OH JHA! JHA! BHITTE!“ Wie konnte ihn diese kleine Berührung nur so in Rage bringen? Es war doch nur die Hand, die er seit Jahren kannte. Und natürlich folgte die Strafe für sein Betteln sofort. „Oh ja?“ wiederholte Mokuba und knallte bei jedem Wort mit der Peitsche auf die erhitzte Haut. Doch Noah genoss das Brennen, welches seine Pobacke traf. „Ja! Bitte!“ Und noch zwei Schläge auf den Rücken. Die Kraft, das Knallen, die Machtlosigkeit. „Überlege, bevor du sprichst. Deine Stimme widert mich an! Wenn du es nicht kapierst, muss ich dich für jedes Wort einzeln bestrafen.“ Er schluckte das Stöhnen hinunter und kniff die Augen zusammen, kniff den Mund zusammen. Er durfte keine Fehler mehr machen. Sonst kam er zu keinem guten Ende. Und er wollte nicht unter Schlägen zum Höhepunkt kommen. „Hier?“ Als wäre nichts gewesen, legte sich die Hand erneut an den Oberschenkel und drückte leicht dagegen. „Willst du, dass ich dich hier berühre? Ist das dein Wunsch?“ „Nhein, Gheliebther.“ Das Sprechen fiel ihm immer schwerer. Er erinnerte sich nicht, dass er jemals so erregt war. Mokuba und er hatten bereits verschiedene Sextechniken, Positionen, Orte und sogar Mittelchen und Filme ausprobiert und genossen. Doch niemals fühlte er sich so seiner Gier nach Berührungen ausgeliefert. „Wo denn?“ Die Stimme grinste und die schwarzen Augen brannten sich wie glühende Eisen auf seinen Körper. Härter und heißer als jeder Hieb. „Antworte präziser, du dummes Ding. Wo willst du berührt werden? Antworte klar und deutlich.“ Er nahm seine Beherrschung zusammen, bemühte sich sehr nach einer klaren Sprache. „Höher, Gheliebter“ sprach er so diszipliniert wie möglich. „Wo höher? Am Bauch?“ „Nhein, Geliebter“ atmete er und zog schnell die zähe Luft in seine Lungen. „An meiner Erektion, Gheliebter. Ich möchte an mheiner harten Erektion berührt wherden.“ „Aha?“ Er zog die Hand weg und Noah wünschte sich, dass sein Flehen erfüllt wurde. Er war doch folgsam und bemühte sich. Er tat alles so gut er konnte. Er wollte belohnt werden. Doch die Hand kehrte nicht zurück und er lauschte dem trügerischen Kichern. Allein dies war noch eine Demütigung mehr. Er schämte sich und wusste um den Schmutz, in welchem er sich suhlte. Doch er konnte nicht anders. Er konnte sich nicht selbst befreien. Der erste Schluck hatte ihn betrunken gemacht. „Nun gut. Ich bin ein gütiger Mensch. Findest du nicht auch?“ „Ja, Gheliebter“ keuchte er und sehnte sich endlich nach Berührungen. Auch wenn ihm die Ahnung kam, dass er sich sein eigenes Grab schaufelte. Er hörte ein kurzes Pusten und schon drang Qualmgeruch an seine Nase. Er konnte diesen Duft nicht sofort zuordnen. „Ich will, dass du jetzt langsam die Knie spreizt“ wies eine gefährlich freundliche Stimme an. „Wenn du es tust, wird dein Wunsch erfüllt. Wenn du es nicht tust oder zurückziehst, wirst du bestraft. Hast du mich verstanden?“ „Ja, Geliebter.“ „Dann spreize jetzt deine Knie.“ Noah tat es und drückte die Knie auseinander. Das Sisal schmerzte an der Haut und das Vibrieren in seinem Inneren versagte ihm fast das Atmen. Er verlor die Kontrolle. Und dann dieser Schmerz! An der Spitze seiner tropfenden Erektion breitete sich ein Schmerz aus, den er nicht schlucken konnte. Er stöhnte laut und rutschte dadurch nur noch tiefer. Er bemühte sich gerade noch, nicht zurückzuziehen, aber es tat weh. Es tat verdammt weh. Die Qual pulsierte und raubte ihm das letzte bisschen Klarheit. Er schrie seinen Schmerz heraus, zwang die Luft in seine Lungen und stöhnte bis ihm die Ohren schmerzten. Nur langsam nahm der Schmerz ab und wich einem Puls. Seine Schläfen pochten und seine Beine zitterten. Seine Wange und sein Kinn wurden vom eigenen Gewicht auf den Boden gedrückt. Er bot all seine Kraft auf, um diese Stellung zu halten und nicht zusammenzubrechen. Doch es war qualvoll. Der Schmerz nahm von Moment zu Moment ab. Sicher tat es noch immer schrecklich weh, aber er gewöhnte sich daran. Jetzt realisierte er auch, woher der Qualmgeruch kam. Mokuba tauchte die Spitze seiner Männlichkeit in flüssiges Wachs. Auch eine Berührung. Wenn auch nicht das, was er sich gewünscht hatte. „Du hast geschrien und Lust empfunden.“ Die Kerze wurde unter seinen Beinen entfernt und ließ ihn unbefriedigt zurück. Das härter werdende Wachs versiegelte seine pochende Spitze. „Du weißt, dass ich dich dafür bestrafe.“ Als wäre die Erfüllung seines Wunsches soeben nicht selbst schlimmer als eine Strafe gewesen. „Jha, Gheliebter“ japste er und wurde nur noch von dieser unbekannten Leidenschaft aufrecht gehalten. Sein Körper gab allmählich auf. „Dreh dich auf den Rücken, damit ich dir auf die Brust schlagen kann.“ „Jha, Gheliebter.“ Eine Strafe war nicht schön, aber er durfte sich aus dieser anstrengenden Stellung lösen. Er fiel ausgezehrt auf den Rücken und hielt mühsam ein Stöhnen zurück. Seine Handgelenke schmerzten als er sich darauf drehte. Der Vibrator war tiefer gerutscht und drückte beinahe auf seine Prostata. Nur einen Zentimeter mehr und er würde einen Orgasmus auslösen. Ach, würde er doch nur dieses letzte Stück rutschen! Ach, wäre doch nur das Band nicht so kurz! Mokuba stellte seinen Fuß auf Noahs Bauch, der sich sofort erhärtete. Dann folgte die Peitsche und traf ihn genau auf der linken Brustwarze. Noah kniff die Lippen zusammen und riss den Kopf zur Seite. Das nasse Haar lag ihm in den Augen und sein Körper fühlte sich so intensiv und so schmerzerfüllt an. Und gleichzeitig breitete sich ein Gefühl der Zufriedenheit und des Glücks in ihm aus. Es war so widersprüchlich. Es war beängstigend. Es war fantastisch. Noch niemals hatte er so überdeutlich wahrgenommen, dass er existierte. „Du enttäuschst mich“ urteilte die Stimme. Er nahm den Fuß weg und dann spürte Noah wie heißer Atem seine Lippen benetzte. „Liebst du mich?“ „Jha, Geliebter“ keuchte er und atmete langsam aus. Noch nie hatte er Mokuba so sehr geliebt. So sehr begehrt. „Vertraust du mir jetzt deine Lust an? Deine geheimsten Wünsche? Deine dreckigen, kleinen Geilheiten?“ Jetzt wusste Noah, was er damit meinte. Hatte er den Mut, Mokuba diese Leidenschaft, diese schmutzigen Wünsche anzuvertrauen? Legte er ihm seine persönlichsten Geheimnisse zu Füßen? Konnte er sich eingestehen, dass er es genoss, unterworfen, gedemütigt und bestraft zu werden? Konnte er sich eingestehen, dass er mehr wollte als normalen Sex? Dass er das hier wollte? „Jha, Gheliebter“ antwortete er zittrig. „Ich lhiebe dich. Ich vertrauhe dhir alles an. Gheliebter. Hör nhicht auf, mhich zu qhuälen. Bhitte, bestrafhe mich.“ „Diese Antwort befriedigt mich. Du wirst belohnt“ flüsterte er und fuhr mit den Fingern in Noahs Mund. Er kämpfte mit der entrückten Zunge, schob sie zurück und lockte sie wieder hervor. Und raubte Noah damit das letzte bisschen Atem. „Ich erlaube dir, zu stöhnen.“ „Haaaaaah!“ stöhnte er und schloss die Lippen um die Finger. „Hmmg! HMG! HAAAHHHMG! HRRRMMM!“ Er stöhnte gegen die Hand, bewegte seine Knie und schwamm mit dem ganzen Körper. Er stand kurz vor dem Höhepunkt. Er litt an dieser Kraft, die sich nicht selbst entfesseln konnte. Und wenn, würde es sein Bewusstsein kosten. Mokubas Hand fuhr kurz über die feuchte Erektion und knapste unter einem schreienden Stöhnen das erkaltete Wachs ab. Nur kurz, aber es machte seinen Liebsten wahnsinnig. „Ich will sehen, ob du intelligent bist“ eröffnete Mokuba und zog seine Kusshand zurück. Ließ seine sehnsüchtige Zunge allein. „Kannst du von zehn rückwärts zählen?“ „Jha, Gheliebter. Haaaahhhaaaa“ flehte er und stöhnte auf. Er wollte endlich diesen Druck lindern. Endlich diesen Druck lindern und berührt werden. „Wenn du das kannst, ohne dass es dir kommt, darfst du dich in mir erlösen. Willst du deine schmutzige Lust in mir erlösen?“ „Jhhaaa! OOHH GHELIEBTHER! JHAAA! Bhiittee … hhoohh bhitte.“ „Wenn es dir zu früh kommt, werde ich dich verschmiert und nackt auf den Flur ziehen und dich an die Treppe binden. Damit jeder sehen, wie unfähig du bist.“ >Verdammt!< Und das erste Mal glaubte er Mokuba eine Drohung. Er traute ihm zu, es zu tun. „Und wenn du dich verzählst, musst du es dir selbst ohne deine Hände besorgen. Also, was ist dir lieber? Zählen oder feige das Spiel beenden?“ „Zhählen!“ >Ich muss wahnsinnig sein!< „Gheliebter! Zhählen! Bhitte! Aaahhh!“ „Dann fang an. Und sprich laut und deutlich und langsam. Ich will dich hören. ZEHN!“ „ZEHN!“ rief er und verlor die Kontrolle über seine Stimme. Mokuba griff sein hartes Glied und hielt es fest. „NEUN!“ „Sehr gut!“ keuchte nun auch der und ließ sich auf ihm nieder. Er quälte ihn und nahm die nasse Männlichkeit endlich in sich auf. Unter Noahs flehendem Stöhnen und ganz langsam, in kleinen Kreisen stülpte er sich über ihn bis sich ihre Unterkörper endlich vereinten. „Stoßen darfst du mich nicht, aber du darfst dich bedanken.“ „DHANKHE, GHELIEBTGHER! DHANKE!“ „Zähl weiter. Acht.“ „ACHT!“ Er ächzte und hielt die Luft an. Er befürchtete, er würde kommen, bevor der Countdown beendet war. Das hier war die reine Qual. „SIEBHEN!“ „Brav! Nicht zu schnell.“ Er spannte sein Inneres an und wusste wie schwer es für Noah war, sich nicht die Befriedigung zu suchen. Der spürte wie seine heiße Härte in der weichen Enge pulsierte und fühlte das Beben in seinem Körper. „Zähle langsam weiter und sprich deutlich.“ „SECHS!“ Mokuba bewegte sich plötzlich auf ihm. Schnell und fordernd. Jetzt wurde es eng. „FHÜNF!“ „Jetzt stoß mich!“ befahl er und drückte die zitternden Hüften mit ganzem Gewicht herunter. „Mach schon! Tu, was ich dir sage!“ „VIER!“ Er stieß hinauf, sodass die nächste Zahl kaum herauszuhören im Schreien unterging. „DHHHAAAAAIIIIIIHHHHAAAA!“ Die gefesselten Hände taten weh und der Vibrator in ihm gab keine Ruhe. Und dazu dieses enge Gefühl um seine pochende Männlichkeit. „ZWHHHEEEEIIIHHH!“ Die Stellen der Peitschenhiebe trommelten schneller als sein Herzschlag und dann brach die Welt über ihm zusammen. Er spürte nichts weiter als diesen Moment. Hoffentlich war Mokuba gütig und drückte bei der letzten Sekunde beide Augen zu. Er konnte nicht mehr. Sein Körper gab auf, erlöste sich tief in seinem Peiniger. „HHAAAAAAAIIIIIIIIIIIIIIHHHHHHHHHH!“ Die letzte Zahl war nicht mehr zu verstehen, doch er hörte Mokubas harte Stimme auf ihn herabstürzen. Sein Gewicht drückte ihn auf den Boden, auf die tauben Hände und er spürte einen langen, dünnen Stock an seine Kehle gedrückt. Selbst auf dem Höhepunkt wurde ihm nichts geschenkt. Ihm wurde der Atem genommen. „JHETZT KOMMT ES DHHIR! KHOMM! ZHEIG MHIR DHEINE DRECKIGHE GEILHEIT!“ Das finale Stöhnen glich mehr einem Schrei, dann einem Gurgeln und einem Keuchen. Die Luft blieb ihm verwehrt und mit einem letzten Stoß entlud sich die aufgestaute Lust. Hätte Mokuba nicht auf ihm gesessen, wären seine Hände nicht gefesselt und seine Augen verbunden, hätte es ihn auseinander gerissen. Er hörte einen Knall in sich und seine eigene Stimme weit entfernt. Dieser Orgasmus war derart intensiv, dass er ihm ewig vorkam. Sein ganzer Körper schmerzte und Lichter zuckten vor seinen blinden Augen. Doch er konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so lebendig und geliebt gefühlt hatte. Der Sturm hinterließ seinen Körper erschöpft, matt und geschwächt. Nur langsam kehrten die Sinne zu ihm zurück. Da saß Mokuba schon nicht mehr auf ihm, sondern löste die Kette um seinen Oberschenkel und holte den Vibrator zurück. Er beendete das Surren und streichelte beruhigend über Noahs bebenden Bauch. „Alles okay?“ „Jha“ atmete er und ließ den Kopf zur Seite sinken. „Gheliebter.“ „Sehr gut.“ Er küsste kurz seine Lippen und pulte dann die nassen Haare aus der Augenbinde. „Ich binde dich jetzt wieder los. Hast es überstanden, Hase.“ Er löste den Knoten am Hinterkopf und wischte ihm mit dem Seidenschal ein wenig das Wasser aus dem Gesicht. „Dreh dich um, dann kann ich dich freisetzen.“ „Hilf mir … bhitte.“ Er bemühte sich ja, aber er war zu erschöpft, um so einfach eine Seitwärtsdrehung zu vollführen. Mokuba schob also zusätzlich und drehte ihn auf den Bauch. Die Seidenfesseln waren recht schnell gelockert und abgenommen. Das bot Gelegenheit, um sich noch mal auf Noahs andere Seite zu setzen. Also ließ er sich behutsam auf dessen geschundenem Po nieder und legte sich auf seinen Rücken. Er küsste sanft den verletzten Nacken und streichelte seine Stirn. „Ich liebe dich, mein Hase.“ „Ich liebe dich auch, Häschen“ seufzte er und schloss die Augen. Gemeinsam lagen sie so eine Weile und ließen die Erlebnisse vorbeiziehen, die Lust abklingen und die Zeit verstreichen. Die Uhr tickte vor sich hin und ihr Atem ging bald im Einklang. Draußen ertönte das Singen einiger Jugendlichen. Immerhin war es Samstagabend und es war Sommer. Auch wenn hier die Fenster geschlossen und verhangen waren, die Welt ausgesperrt. Das was hier drin geschah, würde nicht nach außen dringen. Hoffentlich … „Mokuba?“ „Ja?“ Er lauschte seinem leise gesprochenen Namen und küsste die Schulter mit dem glühend roten Striemen. „Du erzählst hiervon niemandem. Oder?“ „Natürlich nicht“ versprach er und küsste sein Ohr. „Niemandem. Alles, was hier passiert, bleibt auch hier. Nur zwischen uns.“ „Okay.“ Doch Mokuba fühlte, dass da mehr war. Noahs Stimme war matt. Fast ein wenig traurig. Nachdenklich in jedem Falle. „Noah, hattest du Angst?“ „Ein bisschen“ gab er mit gedämpfter Stimme zu. „Warum? Es ist doch nichts schlimmes geschehen. Oder war es schlimm?“ „Ich bin vor mir selbst erschrocken“ gestand er mit geschlossenen Augen. „Wie kann ich bei so etwas Lust empfinden? Das ist krank.“ „Nein, das ist Leidenschaft.“ Er strich sein feuchtes Haar zurück und küsste seine erhitzte Wange. „Es hat dir gefallen und es hat mir gefallen. Daran ist nichts schmutzig.“ „Du hast mich geschlagen und ich habe Dinge getan und gesagt … das passt nicht zu mir. Ich war nicht ich selbst.“ „Ich kann verstehen, dass es dich verwirrt. Ich musste mich auch erst an den Gedanken gewöhnen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass du ein Masochist bist. Aber ich finde das nicht verwerflich. Es hat dir Lust bereitet und du sahst wunderschön aus. Ich habe das gern mit dir getan. Und wenn wir es beide gern tun, ist es nichts anderes als natürlicher Sex.“ „Natürlich kann ich das nicht nennen.“ „Es gibt millionen Menschen, die das noch viel heftiger machen als wir. Ich glaube, gegen richtige SM-Freaks sind wir Nonnensöhne.“ „Nonnen haben selten Söhne.“ „Ja, Herr Besserwisser.“ Er hob den Oberkörper und strich über die Striemen am Rücken. Ließ sie unter seinen warmen, heilenden Händen verschwinden, damit ihm keiner ansah, was geschehen war. „Ich gebe zu, ich habe bezweifelt, ob du wirklich auf so etwas stehst. Aber für mich ist es in Ordnung.“ „Ich weiß nur nicht, ob es für mich in Ordnung ist.“ „Dann willst du es nicht wiederholen? Ich habe noch ne Menge mehr Ideen, wie ich dich ärgern kann. Ich bin sehr kreativ bei Fiesigkeiten.“ „Du weißt, dass ich nicht gern die Kontrolle verliere“ widersprach er und legte den Kopf auf seinen Arm. Direkt neben sich sah er eine Reitgerte liegen. Es war also keine Peitsche, sondern eine Gerte, welche ihm solche Lust bereitete. „Und ich habe vollkommen die Kontrolle verloren. Ich konnte nicht aufhören. Das gibt mir zu denken.“ „Ich glaube, du hättest sehr wohl aufhören können. Stell dir vor, ich hätte angefangen, noch mehr Sachen in dich reinzustecken oder ich hätte dir den Kopf rasiert oder was weiß ich. Dann hättest du das Codewort gesagt. Meinst du nicht?“ „Kaktus“ wiederholte er nachdenklich. „Vielleicht.“ „Wenn ich wirklich Sachen getan hätte, die dir zuwider sind, dann hättest du das beendet. Du hast die Beherrschung nur im Rahmen dessen abgegeben, was für dich vereinbar war. Sag mir, hättest du zugelassen, dass dich jemand anderes so behandelt? Jemand anderes als ich?“ „Sicher nicht.“ Das wusste er genau. Wäre es jemand anderes gewesen, hätte er sich nicht darauf eingelassen. Er vertraute Mokuba und nur ihm. Bei niemand anderem hätte er sich so gehen lassen. „Siehst du. Noah, ich liebe dich und ich würde alles für dich tun. Wenn du derlei Spielchen magst, dann mag ich sie auch. Was für dich gut ist, ist auch für mich gut. Deshalb sind wir doch zusammen. Damit wir einander das anvertrauen können, was wir niemand anderem anvertrauen können. Und wenn ich es recht bedenke, ist SM genau das, was zu dir passt.“ „Tatsächlich.“ Das klang nicht überzeugt. „Was lässt dich zu dieser Schlussfolgerung gelangen?“ „Du bist ein sehr kontrollierter Mensch. Disziplin und Planbarkeit sind deine höchsten Ansprüche und deine besten Eigenschaften. Jeder blickt zu dir auf, vertraut auf deine weiße Weste. Du übernimmst viel Verantwortung und tust nichts Unüberlegtes. Jemand, der so ein Saubermann und so strikt durchgeplant ist wie du, der muss auch irgendwann mal alles von sich werfen und sich gehen lassen. Du willst fremdbestimmt werden, dich fügen, dich jemand anderem vollkommen anvertrauen. Du empfindest nicht nur Lust dabei, sondern auch Erleichterung und Genuss. Wenn du einen Fehler machst und ich dich bestrafe, dann gebe ich dir das, was dir im Alltag fehlt. Und du kannst nicht leugnen, dass es dich anmacht, wenn ich dir Befehle erteile.“ „Nein“ erwiderte er leise. „Das kann ich nicht leugnen.“ „Siehste.“ Er nahm die Hände von seinem Kopf und küsste sein Kinn. „Noah, du bist gern mein Lustdiener. Das hast du mir soeben bewiesen. Und das konntest du, weil du weißt, dass ich dich akzeptiere und du in meinen Augen deine Würde bewahrst. Weil du weißt, dass du mir alles anvertrauen kannst. Deine Lust. Deine geheimsten Wünsche. Deine dreckigen, kleinen Geilheiten. Du bist bei mir gut aufgehoben. Und ich bei dir. Noah?“ „Entschuldige.“ Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und stützte sich auf die Hände. „Ich würde gern aufstehen. Der Teppich ist ziemlich kratzig.“ „Okay. Komm.“ Er stützte ihn und half ihm, sich aufs Bett zu setzen. Dann öffnete er erst mal die Vorhänge und ließ das Licht des Sonnenuntergangs herein. Ebenso wie die kühle Abendluft und die Töne, welche aus der Gaststätte nach oben drangen. Er kehrte zu ihm zurück und lehnte sich an seine nackte Seite, spürte wie Noah den Arm um ihn legte und küsste seine Wange. „Ich liebe dich, mein Hase.“ „Ich liebe dich auch, mein Häschen“ seufzte er und erwiderte seinen liebevollen, feuchten Kuss. Er wusste, was Mokuba da eben für ihn getan hatte, war nicht selbstverständlich. Er hatte ihn ihm eine Leidenschaft geweckt, von der er nicht mal wusste, dass sie existierte. Es machte ihm Angst und gleichzeitig fühlte er sich zutiefst befriedigt. So befriedigt wie lange nicht mehr. „Meine Güte, er hatte mit allem Recht.“ „Wer hatte Recht?“ schaute er ihn aus dem Kuss geweckt an. „Yami?“ „Nein, Tato.“ „Was hat denn Tato damit zu tun?“ „Er hat mir aus der Hand gelesen.“ Er zeigte Mokuba seine rechte Hand, auch wenn der darin nicht viel sah. „Er sagte, es gäbe in meinem Leben unentdeckte Leidenschaften, welche mir geweckt und erfüllt werden. Und er sagte mir ein sehr erfülltes, ein überaus erfülltes Sexualleben voraus. Er hatte Recht.“ „Tja, unsere Drachen sind besser als jede Tarothotline“ meinte er und küsste Noahs allwissende Handfläche. „Noah, ich schwöre dir, ich werde niemandem hiervon erzählen. Das bleibt zwischen uns und nur zwischen uns. Ich verurteile dich für nichts. Es ist in Ordnung. Und deine Wunden mache ich auch alle weg, sodass man dir niemals etwas ansehen kann.“ „Du machst es mir wirklich zu leicht.“ Jetzt wirkte er erleichtert. Es war wohl sein Schicksal, dass Mokuba ihn beherrschte. Und gegen das Schicksal konnte er sich ebenso wenig wehren wie gegen Mokubas sadistischer Ader. Er drückte seinen Süßen an sich und küsste seinen Hals, strich durch sein langes, wunderschönes Haar. „Ich liebe dich.“ „Ich will ja auch nicht, dass du deine Leidenschaften woanders auslebst als bei mir“ sagte er ernst. „Dennoch muss ich eines noch wissen“ forderte er und schmiegte seinen Kopf an seine Stirn. „Woher hast du das gewusst? So eine Idee kommt dir doch nicht von selbst. Oder warst du auch beim Wahrsager?“ „So ähnlich.“ Es war nur fair, dass er Noah sagte, dass es zumindest einen Eingeweihten gab. „Yami hat mich beraten.“ „Yami?“ „Es ist erstaunlich wie genau er die Vorlieben der Menschen erkennt. Ich glaube, er braucht sich nur mal ein bisschen mit jemandem unterhalten und weiß sofort, worauf sein Gegenüber steht. Er ist ein bisschen gruseliger als ein Wahrsager.“ „Aber Yami …“ „Er wird es niemandem sagen. Was so was angeht, ist er diskret. Er hat’s versprochen.“ „Na gut. Selbst wenn, ist es jetzt auch zu spät“ beschloss er. Da musste er wohl einfach darauf vertrauen, dass der alte Pharao besseres zu tun hatte als sich über einen gelungenen Tipp zu freuen. „Mokischatz, darf ich dich noch etwas fragen?“ „Klar?“ „Hat es dir nichts ausgemacht, mich so … so zu behandeln? Ich meine, du warst sehr überzeugend.“ „Ja, nicht wahr?“ Er schmunzelte ihn an und freute sich über sich selbst. „Ich gebe zu, dass ich zwischendurch schon überrascht war. Als du vor mir gekniet und um Schmerzen gefleht hast, da war ich schon etwas baff. Aber gleichzeitig sahst du so geil dabei aus, dass es mich ganz wuschig gemacht hat. Es tat mir ein bisschen leid, dass ich dich bestraft habe, aber zu sehen, dass dir das gefällt, hat mich heiß gemacht. Ich glaube … um ehrlich zu sein, glaube ich, dass unsere dreckigen, kleinen Vorlieben gut zueinander passen. Du wirst gern gequält und ich quäle gern. Wenn wir nicht zusammenpassen, wer …“ Doch dann verstummte er und starrte ins Nichts. „Moki?“ „Oh Gott … Noah.“ Er flüsterte und hielt sich die Hand vor den Mund. Nur langsam hob er wieder seinen Blick und sah ihn erschrocken an. „Ich bin wie sie.“ „Nein, bist du nicht.“ Das war genau das, was er damit fragen wollte. Mokuba hatte mitbekommen wie sein Bruder gequält, erniedrigt und gebrochen wurde. Er hatte Gewalt erlebt und wusste was echte Grausamkeit bedeutete. Dass er Lust dabei empfand, einem geliebten Menschen … „Du bist nicht wie sie“ betonte er nochmals und griff seine Hände. Sie lehnten sich aneinander, schmiegten ihre Körper eng zusammen. „Moki, ich glaube, wir haben da etwas entdeckt, womit wir beide erst zurechtkommen müssen.“ „Ich habe dich geschlagen … und es hat mir gefallen.“ „Mit einem entscheidenden Unterschied“ setzte er fort. „Du hast es getan, weil es in beidseitigem Einverständnis geschah. Zu keinem Zeitpunkt wolltest du mich wirklich verletzen oder mir schaden. Deine Mutter hat eine Krankheit, ein echtes Problem. Wir beide aber, wir haben kein Problem. Wir lieben uns.“ „Es hat mir gefallen, dich so zu sehen.“ Er war erschrocken über sich selbst und nun war er derjenige, der Angst bekam. Es war nicht nur Noah, welcher eine neue Erfahrung gemacht hatte. Auch ihn selbst führte dies zu unbekannten Empfindungen. „Moki, antworte mir mal ganz ehrlich. Sieh mich an.“ Und nun war es an Noah, ihn aufzubauen und ihm Sicherheit zu geben. „Hat es dir gefallen, mich zu verletzen, mich zu brechen und mich leiden zu sehen? Oder hat es dir gefallen, mir Lust zu bereiten, mich anzumachen und mit mir gemeinsam etwas sehr privates zu erleben?“ „Ich wollte dich nicht wirklich verletzen. Weder körperlich noch seelisch.“ „Und das ist der Unterschied“ beruhigte er und küsste seine Stirn. „Du bist kein zorniger, kein böser Mensch. Du bist ein Mann, der liebt und geliebt wird. Was wir haben, ist weit mehr als andere Paare jemals erreichen. Wir teilen alles miteinander, vertrauen uns ohne Bedenken. Nicht?“ „Ja … schon“ verstand er und legte die Arme um Noah. Ließ sich drücken und konnte sich anlehnen. „Wir haben da etwas entdeckt, womit wir beide erst zurechtkommen müssen. Ich dachte zuerst, es ginge nur um dich … aber es geht auch um mich und … du bist nicht der einzige mit … dreckigen Gelüsten.“ „Aber wir sollten es gemeinsam beobachten und erforschen. Ich habe das, auch wenn es mich beschämt, sehr genossen.“ „Ich auch“ hauchte er gegen seine Schulter. „Wir sind beide ziemlich krank, oder?“ „Hm, würde ich nicht sagen. Wir sollten es verliebt nennen.“ „Verliebt?“ „Etwas heftig verliebt“ versprach er und küsste ihn langsam und inniglich auf seine weichen Lippen. Niemand hat jemals behauptet, dass die neue Stufe einer alten Beziehung leicht zu erklimmen war. Auch Yami nicht. Fast Forward - mitten in der Nacht „Ach Noah!“ Mokuba rüttelte ihn wach. Das war wichtig! Fast hätte er es vergessen! Und dass es halb drei Uhr war, ignorierte er auch. „Was denn?“ Noah stellte nicht nur fest, dass Mokuba die Lampe angeknipst hatte. Er selbst hatte auch mal wieder keine Decke und lag nackt da wie Gott oder Seto oder sonstwer ihn geschaffen hatte. Er griff rüber und forderte seine Ecke des Lakens zurück. „Gib mir Decke, Mo ...“ „Noah, es ist wichtig!“ bestand er darauf, rollte auf seinen Bauch und zwang ihn zu einem ernsten Blickkontakt. „Hast du deine Kreditkarten sperren lassen?“ „Häschen, es ist mitten in der Nacht.“ „Egal. Hey, dreh dich nicht um, wenn ich mit dir rede. Hast du neue? Was ist los? Bist du insolvent? Wird die KC abgewickelt?“ „Geh schlafen“ seufzte er und wollte sich umdrehen. „Nicht ohne Antwort!“ Nicht mit Mokuba. Der lag dick und fett auf seinem Bauch und forderte endlich Antworten. „Schrei nicht so.“ Er rappelte sich also etwas hoch und sah ihn so wach wie möglich in diesem gleißenden Nachtlicht an. Auch wenn er gleich wieder einschlief und das eigentlich auch wollte. „Warum machst du dir Sorgen um meine Solvenz?“ „Ich wollte online was bestellen und das funktionierte nicht!“ „Die Frage nach deinen eigenen Kreditkarten erübrigt sich wahrscheinlich.“ „Hast du sie nun sperren lassen oder nicht?“ „Nein.“ Er fiel zurück aufs Kissen und schloss die Augen. „Waren die Eingabefelder verschlüsselt?“ „Verschlüsselt? Hast du einen Code in mein Notebook gesetzt?“ „Nein.“ Seufz. „Verschlüsselt mit Sternchen oder Punkten oder so.“ „Sterncheneingaben. Ja.“ „Dann repariere endlich deine Shift-Taste. Das habe ich dir schon hunderte Male gesagt.“ „Was?“ „Zahlen schreiben. Nicht Sonderzeichen. 1 gleich Ausrufezeichen. 2 gleich Gänsefüßchen. 3 gleich Paragraphenzeichen … so kann das nicht funktionieren.“ „Und wegen so was weckst du mich?“ „MOKUBA! DU hast MICH geweckt!“ „Sei ruhig. Hier, nimm deine Decke und schlaf weiter.“ Fast Forward Ende Kapitel 7: Chapter 31 - 35 -------------------------- Chapter 31 Seto parkte seinen auffällig silbernen Maserati, mit getönten Scheiben, breiten Reifen und Edelfelgen, neben einem schlammbespritzten Traktor, der früher vielleicht mal rot gewesen war … vielleicht auch orange … oder gelb ... Setos Wagen passte hier ebenso wenig ins Bild wie er selbst. Von der Seite lugten zwei Stallburschen aus den Pferdeboxen und von der anderen Seite zeigten einige Schulmädchen auf ihn. Mit seiner Erscheinung als Geschäftsmann mitsamt Krawatte, aggressiv schwarzer Sonnenbrille und hochpolierten Schuhen war er auf einem Pferdehof wie diesem unangepasst. Doch er hatte keine Lust dazu, extra nach hause zu fahren und sich umzuziehen, bevor er Yugi abholte. Angaffen tat man ihn auch, wenn er Jeans und Shirt trug. Also versuchte er so zu tun als würde er die Blicke ignorieren, warf die Wagentür zu und schloss mit einem leisen Piepen zu. Mit seinem geschärften Gehör lauschte er einige Sekunden. Die Mädchen tuschelten in den Boxen über ihn und die Stallburschen über sein Auto. Doch er hörte auch das Scharren einer Ziege in einer nahen Box, hörte zwei oder drei Kaninchen durchs Gebüsch hoppeln, hörte ein paar junge Kätzchen im Scheunendach maunzen. Er musste die Geräusche nacheinander abarbeiten bis er seine Richtung erkannte. Er hörte das schnelle Trampeln von Hufen in weichem Untergrund, das laute Aneinanderschlagen von Holz und rufende Männerstimmen. Und er hörte auch endlich Yugis Stimme, welche sich dort einreihte. Ja, jetzt musste er wenigstens nicht nach dem Weg fragen. Während er so scheinbar nichtstuend dastand, war einer der Stalljungs auf ihn zugegangen und wollte dem fremden Gast Hilfe anbieten. Doch er wurde kommentarlos links liegen gelassen als Seto sich dann doch in Bewegung setzte und an ihm vorbeiging. Er wollte sich jetzt nicht unterhalten. Er ging den mit Stalldreck beschmutzten Steinboden entlang, bog hinter einer langen Reihe von Pferdeboxen links ab und sah zu seiner rechten Seite zwei große Hallen. Eines war eine Reithalle, in welcher zwei Mädchen das Longieren übten. Das andere eine Halle mit weiteren Pferdeboxen. Er ging in der Mitte hindurch und fand dahinter eine große Wiese und sein Ziel. Finn und Yami saßen auf dem Holzzaun, hielten Händchen und genossen den Sonnenschein. Vor ihnen auf der Wiese einige Reiter mit breiten Helmen und kniehohen Stiefeln. Sie passten sich mit langen Schlägern und lautem Rufen einen Ball zu. Seto hatte mal auf einem geschäftlichen Termin in Arabien einem Polospiel der englischen Nationalmannschaft beigewohnt, doch Yugi spielen zu sehen, weckte sein Interesse an diesem Sport wesentlich mehr. Zwischen den vielen Reitern fiel er gar nicht sofort auf, obwohl die anderen Männer beim näheren Hinsehen dennoch alle größer waren. Polospieler waren eben keine Jockeys. Jockeys mussten vor allem klein und leicht sein. Polospieler mussten wendig und kräftig sein, wobei auch hier ein leichter Körperbau die Geschwindigkeit erhöhte. Er stützte sich neben Yami auf den Holzzaun und sah Yugi zu. Er traf den Ball erstaunlich zielsicher und schoss ihn geschickt zu einem anderen Spieler weiter. Er wehrte sich auch erheblich als ein anderer Reiter ihn im Galopp abzudrängen versuchte. Doch stattdessen wendete Yugi sein Pferd, verpasste dem Gegner einen Check und ließ ihn stehen. So freundlich und mitfühlend er sonst immer war - beim Sport war er unnachgiebig. Sowohl beim Rennen als auch beim Polo. Offensichtlich hatte er eine Begabung in jedweder Art von Reitsport. „Ey!“ Yami buffte ihn mit der Faust in die Seite und weckte ihn aus seinem Tagtraum. „Was?“ murrte Seto und rieb sich den Arm. „Warum haust du mich?“ „Aha! Du redest ja doch noch mit mir. Ich dachte schon, du ignorierst mich jetzt völlig.“ „Warum? Habe ich das gesagt?“ „Eben nicht. Du kommst her, stellst dich neben mich und sagst weder Guten Tag noch antwortest du auf irgendwas.“ „Ich habe nachgedacht. Dabei aktiviert man Synapsen im Gehirn, weißt du?“ „Nachgedacht. Schon klar“ grinste Yami dreckig. „Du hast doch nur Yugis Arsch im Blick und aktivierst noch was ganz anderes als nur Synapsen.“ „Du bist ordinär, Yami.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und wandte seinen Blick wieder aufs Spielfeld. „Macht er sich gut?“ „Keine Ahnung. Ich verstehe nicht viel von Polo, aber der Trainer schreit ihn ständig an.“ „Das ist aber normal, glaube ich“ meinte Finn. „Er muss seine Jungs doch trainieren.“ „Aber Yugi ist noch nicht vom Pferd gefallen. Und ich glaube, er hat auch schon Tore geschossen.“ „Ich finde, er sieht ganz engagiert aus“ befand Seto und beobachtete die rasenden Pferdehufe. „Und er sieht aus als hätte er Spaß.“ „Glaube ich auch“ lächelte Yami. „Und die Mannschaft nimmt ihn wohl auch ganz gut auf. Jedenfalls haben seine Gegner so ihre Mühe mit ihm. Ich glaube, wenn er sich schlecht anstellen würde, dann würden sie ihn mehr schonen.“ „Sind denn Eingeweihte dabei?“ „Weiß nicht. Finn?“ „Nur zwei, soweit ich weiß“ antwortete der und räkelte sich auf dem etwas ungemütlichen Zaun. „Der Co-Trainer und ein Spieler. Der Spieler, Hansi, ist mit einer Hexe verheiratet, hat aber selbst keinerlei Kräfte. Und der Co-Trainer, Marvin, ist ein Hexer, Medium für Naturgeister. Doch seit sein Meister verstorben ist, hat er seine Kräfte aufgegeben. Die anderen Spieler kenne ich nicht, also gehe ich mal davon aus, dass sie absolut ahnungslos sind und nicht wissen, dass sie mit dem … au …“ Er stoppte kurz als hinter Seto ein weißer Schatten erschien und seine kräftige Gestalt nach vorn stieß. „…Pharao spielen. Aua, was war denn das?“ „Hoooooooooch“ seufzte Seto genervt und ließ Lady vom Rücken auf seine Schulter klettern. Sie würde es wohl niemals mehr lernen, dass sie seinen Rücken nicht als Platz für Bruchlandungen nutzen sollte. „Irgendwann brichst du dir was, Federchen.“ „Krrräääää!“ machte sie und schüttelte sich. Ungemütliche Landung, harter Rücken. „Du mich auch.“ Dennoch kraulte er ihr Köpfchen und dann auch unter dem Flügel, den sie so eindeutig abspreizte. „Diese Falken sind unglaublich“ bemerkte Finn. „Sind sie auch von menschlichen Seelen besessen oder woher rührt das, dass sie so menschenverbunden sind?“ „Nein. Eigentlich sind sie ganz normale Tiere“ erklärte Yami. „Aber durch die Nähe und die Bindung zu ihren Magiern erlangen sie selbst eine gewisse Magie. Nicht praktischer, sondern eher mentaler Natur. Lady liebt Seto als wäre er nicht anders als sie. Das ist das Besondere.“ „Ich habe schon davon gehört, dass Tiere gewisse Kräfte erlangen, wenn sie mit den richtigen Magiern zusammengebracht werden. Aber wirkliche Tatsachen konnten bisher nicht nachgewiesen werden. Obwohl offensichtlich etwas dran ist.“ „Ich kann dir genau sagen, wodurch das kommt, dass er Zirkel keine Ergebnisse aus der Forschung mit magischen Tieren bekommt“ gab Seto bereitwillig Auskunft. „Die hohe Intelligenz und Zutraulichkeit entsteht durch Liebe. Durch echte Liebe. Von beiden Seiten. So etwas kann man nicht künstlich herbeiführen.“ Lady bestätigte ihn mit einem Krächzen und nagte an seinem Brillenbügel. Sie liebte ihn und das war absolut echt. „Ach? Wenn du mich so sehr liebst, könntest du vielleicht etwas weniger überraschend auf mir landen?“ „Kra!“ Sie schüttelte sich und drehte den Kopf weg. Sollte heißen: Nö. „Ja, das muss Liebe sein.“ Da ertönte auch schon der Pfiff einer Trillerpfeife und die Spieler stoppten wo sie waren. Einer sammelte den Ball ein, die anderen sammelten sich um die beiden Männer, welche auf die Wiese schritten. Sie begannen eine Unterredung in großer Gruppe und schüttelten sich die Hände. „Es ist halb acht. Pünktlich Feierabend“ bestätigte Finn mit Blick auf die Uhr. „Wollen wir Wetten abschließen?“ schmunzelte Yami. „Wetten worüber?“ „Wette lieber nicht mit ihm. Egal worum“ riet Seto aus weiser Erfahrung. Mit Yami zu wetten, ging immer nach hinten los. „Jetzt sei nicht so argwöhnisch, du Eisberg. Du machst meinem Liebhaber ja Angst“ bat er und rutschte Finn nach, da der es wagte, sich ein paar Zentimeter zu entfernen - allerdings wohl weniger wegen Seto. „Ich gehe jede Wette ein, dass Yugi jetzt beim Polo bleibt. Wer wettet dagegen?“ „Und weswegen sollte er das?“ guckte Seto skeptisch durch seine Sonnenbrille. „Als Jockey war er immer ganz glücklich und sein Vertrag läuft noch, auch wenn er im Moment beurlaubt ist. Außerdem ist Falsetto ein Rennpferd, kein Polopferd.“ „Schon. Aber Yugi geht hart auf die 30 zu und es sind nur noch wenige Jahre bis er für den Rennsport zu alt ist. Da muss er rechtzeitig umsatteln. Außerdem würdest du ihm sofort ein paar Polopferde kaufen, wenn er dich darum bittet.“ „Davon mal abgesehen.“ „Wovon mal abgesehen? Du weißt, dass ich Recht habe. Du musst Yugi nur ansehen und du weißt, dass er Gefallen am Polo findet. Da hat er mehr Feindkontakt, aber auch mehr Teamplay. Außerdem ist er für seine Größe sehr kräftig und durchtrainiert. Plus er hat ein Talent zum Pferdesport. Ich finde, Polo passt besser zu ihm.“ „Finde ich nicht“ murrte er und versenkte die Hände in den Hosentaschen als hätte man ihn persönlich beleidigt. „Warum nicht? Du hast selbst gesagt, er sieht aus als hätte er Spaß.“ „Kann er ja auch. Als Hobby, aber nicht beruflich. Weißt du eigentlich wie viele Verletzungen es unter Polospielern gibt? Das wilde Durcheinanderreiten und dann diese Holzschläger …“ „Aha, da haben wir’s“ grinste er. „Du machst dir Sorgen.“ „Unsinn. Ich sage nur, dass Yugi jetzt mehr auf sich aufpassen muss. Immerhin hat er zwei Kinder!“ „Und einen überängstlichen Ehemann.“ „DAS STEHT ÜBERHAUPT NICHT ZUR DISKUSSION!“ „Schrei nicht so und sieh zu, dass du ihn nicht vor dem Team blamierst.“ Er wies nach vorn und Seto darauf hin, dass die Mannschaft in ihre Richtung kam. Die Männer waren von ihren Pferden abgestiegen und führten sie. Nebenbei lachten und unterhielten sie sich angeregt. Jetzt sah auch Yugi, dass er Besuch hatte und winkte seinem Liebling mit einem Lächeln. Seto winkte natürlich zurück, wenn auch ohne Lächeln. Gewohnheitsmäßig erregte das Unverständnis und er brauchte seine Ohren nicht mal zu spitzen, um zu ahnen, dass die Mannschaft so reagierte wie alle anderen Leute auch. Einer tippte Yugi auf die Schulter und fragte, ob er den Juppie am Zaun kannte. Und Yugi würde keinen Hehl daraus machen, wie glücklich er verheiratet war. Jemand wie er, der so bodenständig, freundlich und unscheinbar war, kannte jemanden wie den da, der allein mit seiner Anwesenheit Aufsehen erregte. Von der unnahbaren, unterkühlten Aura mal abgesehen. Und obendrein auch noch eine Männerehe. Für Fremde war es eben nicht sofort ersichtlich, was zwei so unterschiedliche Menschen gemeinsam haben konnten. Das würde sich in diesem Leben auch nicht mehr ändern. Und da er direkt neben dem Zugangstor stand, mussten sie auch noch direkt an Seto vorbei, was die bisher lustige Unterhaltung zum Verstummen brachte. Manchmal lag es gar nicht an Seto, dass er mit den Leuten nicht klarkam. Häufig urteilten sie über ihn, ohne auch nur ein Wort gewechselt zu haben. Und dass er in seinem Businessdress auf einem Reiterhof erschien und seine Sonnenbrille trug, reichte schon, um ihn unsympathisch zu machen. Von dem weißen Vogel dann mal zu schweigen. Nur Yugi war das egal. „Hallo Liebling!“ Ganz wie Seto befürchtet hatte, schämte er sich nicht und machte den kurzen Abstecher, während die anderen schon das Tor öffneten. Er streckte sich zu ihm, Seto beugte sich herunter und gab ihm einen kurzen Kuss zur Begrüßung. „Was treibt dich her? Ich dachte, du arbeitest heute lange. Wir haben doch Dienstag.“ „Ich wollte dich abholen“ murmelte er und zog sich hinter den Zaun zurück. „Hattest du Spaß?“ „Ja, ziemlich viel“ lächelte er und drehte sich zu den ungläubigen Männern, die Seto mit ihren Blicken ärgerten. „Die Kollegen haben mich nicht gerade geschont. Du siehst ja, ich bin total verschwitzt.“ „Du hast uns aber auch nichts geschenkt, Muto“ meinte einer aus der Reihe, während einige andere schon weitergingen und gen Boxenhalle verschwanden. „Also kommst du jetzt? Wenn du noch weiter rumknutschen willst, nehme ich deinen Gaul mit, bevor der sich erkältet.“ „Nein, schon fertig mit knutschen. Der Rest folgt später zuhause“ lachte Yugi und zwinkerte Seto zu. „Ich gehe nur schnell duschen und dann bin ich gleich bei dir.“ „Ging ja schnell“ unkte sein Kamerad als Yugi mit ihm ging. „Ich dachte, ihr Schwulen macht gleich rum, wenn ihr euch trefft.“ „Hättest du wohl gerne mit angesehen, was?“ Yugi verstand das als Scherz und lachte mit ihm gemeinsam. Nur einer der Männer blieb zurück, sah erst Yugi, dann Seto und dann Yugi kurz an, stieg wieder aufs Pferd und ritt zurück aufs Feld. Allein. „Arschloch“ zischte Seto, stellte sich in den Schatten des nächsten Baumes und verschränkte wütend die Arme. „Was ist denn?“ guckte Yami zurück. „Seto, was schimpfst du schon wieder?“ „Ist doch egal.“ „Nein, rumfluchen gibt’s nicht ohne Grund.“ Yami krallte Finns Arm fest um nicht herunterzufallen, drehte sich auf dem Zaun um und sah Seto ernst an. „Welche Laus war’s diesmal?“ „Ist egal, Yami. Lass mich in Ruhe.“ „Wer ist ein Arschloch?“ „Er da“ nickte er auf den letzten Reiter, welcher sein Pferd auf dem Feld ausritt. „Warum?“ blickte Yami sich zu dem um. „Hat er dich mit einem dummen Gedanken bedacht? Seto kann Gedanken hören“ erklärte er kurz zu Finn. „Ich weiß, Atemu.“ „Weißt du, es gibt so engstirnige Menschen auf der Welt“ murrte Seto. „Eigentlich fand er Yugi ganz nett, aber als er mich gesehen hat und dass ich zu ihm gehöre, da wollte er plötzlich nicht mehr mit ihm duschen gehen. Hat wohl Angst, Yugi könnte ihn angrapschen. So ein Blödmann.“ „Was? Er hat gedacht, Yugi grapscht ihn an?“ „Ja. Und er will nicht nackt vor ihm rumlaufen. Nur weil Yugi und ich … ich hasse solche Leute. Was ist denn falsch an Yugi und mir?“ „Seto, ärgere dich nicht so“ seufzte Yami, hüpfte vom Zaun und stellte sich mit unter den Baum. „An dir und Yugi ist nichts verkehrt. Wenn der Kerl da ein Problem damit hat, dann ist das sein Problem und nicht eures.“ „Aber wie er Yugi angeguckt hat. Als wäre er schlecht oder eklig. Yugi ist nicht eklig. Und er betatscht keine anderen Männer.“ „Mein Engel, solche Leute wirst du immer wieder treffen“ tröstete Yami und legte ihm die Hand auf den Arm. „Deswegen versuche, dich nicht zu sehr den Gedanken und Gefühlen der Menschen zu öffnen.“ „Das sagst du so leicht, aber ich kann nicht immer alles ignorieren. Ich versuche es ja, aber ab und zu dringt eben doch mal eine Stimme aus der Masse hindurch. Du kannst ja auch nicht einfach aufhören zu hören. Ich bin doch kein Roboter, dem man so was wegprogrammieren kann.“ „Das wollte ich auch nicht sagen. Ich wollte nur sagen, dass du dir darüber keine grauen Haare wachsen lassen solltest. Das ist es nicht wert.“ „Eraseus, Atemu hat Recht“ pflichtete auch Finn vom Zaun bei. „Ich merke die Veränderung auch gerade. Seit ich mit Atemu zusammen bin, feinden mich plötzlich sogar Leute an, die früher mit mir beim Kneipenstammtisch getrunken haben. Es ist schwer, aber du darfst dich davon nicht runterziehen lassen. Yugi ist dir doch wichtiger als die Meinung von anderen. Oder?“ „Trotzdem ärgere ich mich. Wie kann man nur so heuchlerisch sein? Nur wegen so was denkt er gleich anders von Yugi.“ „Ey, ist doch sein Problem“ zuckte Finn mit den Schultern. „Im wahrsten Sinne. Während die anderen jetzt schön duschen, muss er noch in der Sonne vor sich hinstinken und warten bis die Dusche leer ist. Damit schließt er sich nur selbst aus der Mannschaft aus. Im Gegensatz zu Yugi, der sich doch anscheinend ganz gut einfindet.“ „Sehe ich auch so. Also guck nicht so böse.“ „Meinst du, ich habe ihn blamiert?“ „Nein, hast du nicht“ lächelte Yami. „Du bist nur einfach ein schöner Mann mit einer überwältigenden Aura. So was Großes wie dich sind die Leute einfach nicht gewöhnt.“ „Klingt nicht gerade schmeichelhaft.“ „Hey, ich stehe auf dich. Das weißt du doch.“ „Yami. Du weißt schon, dass Finn dich hört.“ „Ach, der weiß dass ich auf schicke Männer stehe. Groß, muskulös und eigensinnig. Nicht wahr, Finni?“ „Wenn du es sagst … Atemu …“ „Seto?“ flüsterte er verstohlen zu ihm auf. „Sag mir mal, was Finn gerade denkt.“ „Frag ihn doch selbst.“ Er löste sich von ihm und sah zurück zu den Reithallen. „Wie seid ihr überhaupt hergekommen? Ich habe Yugis Wagen gar nicht gesehen.“ „Dann bist du von der Hauptstraße gekommen“ vermutete Finn und zeigte über das aufgewühlte Polofeld hinüber. „Wir sind über die Felder gefahren und parken da hinten. Eigentlich fährt niemand über die Hauptstraße, weil da lauter Schlaglöcher sind.“ „Ach so. Ich parke da vorne“ zeigte er hinter sich und trat ein paar Schritte in die Richtung. „Könnt ihr Yugi sagen, dass ich im Auto auf ihn warte? Dann können wir zusammen nach hause fahren.“ „Warte mal, das wird schlecht“ intervenierte Yami. „Finn und ich sind mit seinem Motorrad gefahren und Yugi mit seinem Jeep. Wenn Yugi jetzt mit dir fährt, bleibt sein Auto stehen.“ „Könnt ihr Yugis Auto nicht zurückfahren? Finn hat doch einen Führerschein. Oder nicht?“ „Aber dann bleibt Finns Bike hier und das will ich nicht.“ Das Ding war anscheinend komplizierter als Seto gedacht hatte. „Warum denn? Wenn Finn mit Yugis Wagen fährt, fährst du mit seinem Motorrad. Wo ist da das Problem, dass ich Yugi mitnehme?“ Yami blickte auf den Boden und kickte dann den armen Baum. „Falsche Frage?“ „Jetzt musst du’s doch beichten, Atemu“ schmunzelte Finn. „Ich habe Fahrverbot. Noch zwei Wochen lang“ schmollte Yami mit feuchten Augen. Fahrverbot war für ihn genauso schlimm wie Sexverbot. „Fahrverbot“ wiederholte Seto wertfrei. „Warum? Bist du besoffen gefahren?“ „Quatsch. So schlimm war’s gar nicht. Der Bulle hat sich voll daneben benommen. Der war viel zu streng! Ich finde echt, wir sollten ihn verklagen! Seto, verklag die Polizei für mich!“ „Hast du dich etwa mit der Polizei angelegt?“ Yami hmpfte beleidigt und lehnte sich gegen den Baum. Darauf wollte er jetzt nicht weiter eingehen. „Wir sind gestern Abend in eine Verkehrskontrolle geraten, weil wir minimal zu schnell waren“ beichtete Finn zu seiner Vertretung. „Das an sich wäre ja nicht mal das Problem“ bemerkte Seto. Von minimalen Geschwindigkeitsüberschreitungen bekam man noch nicht gleich Fahrverbot. „Das wäre auch nicht wirklich das Problem gewesen, aber wenn Atemu sich etwas weniger aufdringlich verhalten hätte, wären wir mit einem Bußgeld davongekommen.“ „Definiere aufdringlich.“ „Ich habe nur gefragt, ob es ein Polizist oder eine Polizistin ist! Das wird doch wohl noch erlaubt sein!“ „Du hast ihn nicht wirklich so etwas gefragt“ kombinierte Seto windschnell. „Atemu hatte daraufhin nichts bessere zu tun als ihm zu erzählen, dass er mal Sex mit einer Stripperin hatte, die sich auch als Polizist verkleidet und dann erst aussieht wie ein Mann und dann doch eine heiße Braut ist. Und wenn er dann auch noch Werbung für den Swingerclub macht und …“ „Der Swingerclub ist einsame spitze!“ bestand er auf seiner Meinung. „Ich habe eine Bonuskarte! Und die wäre auch schon voll, wenn du endlich mal mitkommen würdest!“ „Atemu, ich gehe nicht in den Swingerclub!“ „Ich habe genug gehört“ bat Seto und rieb sich die Schläfen. Warum nur war jede Unterhaltung mit Yami so furchtbar anstrengend? Er konnte sich nun doch vorstellen, dass das Fahrverbot weniger von ungebührlichem Fahrverhalten als mehr von ungebührlichem Betragen gegenüber der Justiz herrührte. Und dieses Fahrverbot half ihm bei seinem beziehungsweise Yugis Mobilitätsplanung jetzt auch nicht weiter. „Was willst du überhaupt von Yugi? Ihr seht euch doch zuhause eh“ meinte Yami. „Ich will eben mit Yugi fahren. Ist das so schwer zu verstehen? Das habe ich so geplant!“ „Du bist ein Kindskopf, Seto“ beschloss Yami und fand darin auch die Erklärung. Seto wollte es eben so - also gab es daran kein Vorbei. „Wenn es dir so wichtig ist, können wir dir bestimmt entgegenkommen.“ Finn stieg vom Zaun herunter und gesellte sich zu den beiden in den Schatten. „Hansi kann mein Bike auch zurückfahren. Wenn ich ihn frage, macht er das bestimmt. Atemu und ich können dann Yugis Wagen nehmen.“ „Boah, Finni“ staunte Yami. „Du gibst dein Bike einfach aus der Hand?“ „Dafür hast du was gut bei mir“ dankte Seto und reichte ihm die Hand. Er wusste, dass Finn sein Motorrad nur sehr widerwillig von jemand anderem fahren ließ. Einige Menschen hingen an ihrem Porzellan von Großmutter und Finn eben an seinem Bike. Als er Finns Hand berührte, schoss ihm ungewollt ein Bild vor Augen. Ein Gefühl der Aufregung, des Widerwillens und der Unsicherheit wallte in ihm auf und er sah Finn als Jugendlichen in einer kleinen, unordentlichen Garage stehen. Er beobachtete einen Mann mit Halbglatze und knochigem Rücken, welcher an genau seinem Motorrad schraubte und ölverschmiert über den Lenker grinste. Seine Zähne waren fast zu groß für seinen Mund, doch das Grinsen war warm und vertraut. Dann ließ er den Motor aufheulen und beide jubelten. Jetzt wusste Seto, weshalb Finn seine Maschine nicht fremdfahren ließ. Es war das, was ihn an seinen Adoptivvater erinnerte. Das Motorrad hatte ihm gehört. Deshalb hielt er es in Ehren und würde es sich, genau wie sein Vater, niemals erdreisten ein schnödes Auto zu vorzuziehen. „Warte, hier.“ Seto zog seinen Schlüssel aus der Hosentasche und gab sie ihm. „Du kannst auch meinen Wagen haben. Als Dank, dass ich mit Yugi fahren kann.“ „Ach, jetzt nehme ich doch nicht den Jeep?“ Finn nahm den Schlüssel und bemerkte den auffälligen Anhänger. „Du fährst einen Maserati?“ „Habe ich vorgestern gekauft, aber irgendwie ist er nichts für mich.“ „Maserati ist nichts für dich?“ „Der ist mit Automatik und ich schalte lieber. Außerdem sind die Scheiben nicht entspiegelt und die Innenausstattung ist aus Leder.“ „Lederausstattung ist aber …“ „Nicht doch. Da mussten arme, kleine Tiere für sterben“ erklärte Yami. „Seto ist jetzt unter die Ökos gegangen.“ „Du würdest auch nicht gern als Bezug für den Arsch eines anderen herhalten“ konterte er beleidigt. Er und Öko? Nein, er war nur Tierschützer! Wenn überhaupt! „Yugis Auto steht da hinter den Bäumen. Da ist ein ganzer Parkplatz.“ Nebenbei zog Yami seinen Lover schon hinter sich her und winkte Seto. „Du weißt schon, dass wir im Auto Sex haben werden?“ „Das geht mich nichts an.“ Das war ihm jetzt auch egal. Yami hatte die Beschwerde des Drachen sofort verstanden, nur Finn nicht. Der Maserati war ein spontanes Geschenk. Und was sie nun damit oder darin oder auch darauf taten, ging ihn nichts mehr an. „Das ist seine Art, dich in seine Sippe aufzunehmen“ erklärte Yami und schlenderte mit Finn an den beiden Reithallten vorbei. „Ach? Er hat mich aufgenommen?“ Finn drehte sich nochmals zu Seto um, aber der kam außer Sicht als Yami ihn um die Ecke zog. „War ich vorher nicht aufgenommen?“ „Nicht von ihm.“ Yami schmiegte sich an ihn und legte sich selbst Finns Arm um die Taille. „Wir wissen im Augenblick nicht genau, wer der Alphadrache im Haus ist. Entweder der alte Tato oder Seto. Und der Alphadrache muss dich aufnehmen, sonst bleibst du bei ihnen außen vor. Du bleibst dann ein störendes Anhängsel, im besten Falle eine Art Haustier. Aber indem Seto dir die Hand und den Schlüssel gegeben hat, war das ein für ihn offensichtliches Angebot. Sollte Seto in der Rangordnung über Tato stehen, hast du gewonnen.“ „So kompliziert ist das? Für mich sah das so aus als bräuchte er nur jemanden, der ihm den Wagen hinterherfährt.“ „Du darfst die Drachen nicht mit unseren Augen sehen. So kleine Gesten sind für sie ganz riesige Zeichen wie Leuchtreklame. Wenn du Seto falsch anguckst, kannst du ihn auf die Palme treiben. Und wenn du ihn richtig anguckst, hast du einen Freund fürs Leben.“ „Aha … und wie gucke ihn ‚richtig‘ an?“ „Das musst du fühlen, mein Schatz“ lächelte Yami ihn verliebt an. „Glaube mir, wenn es gut läuft, dann fühlst du es.“ „Na gut, dann werde ich mir Mühe geben.“ „Gib ihm lieber Kekse als Mühe“ riet er aus alter Erfahrung. „Bring den Drachen beim nächsten Mal ne Ladung selbstgemachter Kekse mit. So schleimst du dich am elegantesten ein. Frag Narla, sie sagt auch, dass Einschmeicheln bei Drachen über zwei Schienen läuft. Entweder übers Futter oder über Berührungen. Und da unsere Drachen sich nicht gern von Nicht-Sippenangehörigen knuddeln lassen, bring ein bisschen Futter mit.“ „Na gut, dann backe ich Kekse, wenn du heute Abend friedlich im Bett schlummerst.“ „Dann musst du mich erst mal zum Schlummern bringen. Ich backe nämlich auch gern.“ „Ich weiß … mein Magen hat sich von deinem letzten Kuchen noch immer nicht erholt.“ „Will der Liebhaber seiner Majestät damit auf subtile Art etwas ausdrücken?“ „Wow …!“ Finn schweifte hinüber zu dem Auto, welches er jetzt neben dem matschigen Traktor erkennen konnte. Dort standen bereits zwei Stallburschen und fachsimpelten über dieses silberne Schmuckstück mit den abgetönten Scheiben. Sie stoppten aber als Yami und Finn herbeikamen und mit einem leisen Piepen die Türen aufschlossen. Yami beobachtete genüsslich wie sein Liebster mit der Hand über den glänzenden Lack fuhr und beinahe zärtlich über den Scheinwerfer fasste. Er war eben doch nur ein Mann, der sich vom Spielzeug anderer Männer beeindrucken ließ. „Ich wünschte, mich würdest du auch mal so streicheln“ versetzte der Pharao und ließ die beiden Stallburschen hochrot anlaufen. „Mal ehrlich, Auto müsste man sein, was Jungs?“ Die beiden sagten dazu lieber gar nichts, sondern guckten ihn mit beschämt verwirrten Blicken an. „Nein, Maserati müsste man sein“ erwiderte Finn und öffnete vorsichtig die Tür. Wie leichtgängig sie war. Er setzte sich behutsam in den dunkelblauen Ledersitz und massierte das Lenkrad. Seine Augen leuchteten, obwohl er noch nicht mal die Füße drinnen hatte. Offensichtlich gefiel ihm das Gefährt. „Gefällt dir, was?“ grinste Yami und lehnte sich über ihn halb aufs Dach. „Ist mal was ganz anderes.“ „Du siehst aus als wäre das ein hoch erotischer Moment für dich.“ „Kann man so sagen“ flüsterte er und strich mit der Fingerspitze über die wenigen Knöpfe der Armatur. „Ich will gar nicht wissen was der Spaß gekostet hat.“ „Wahrscheinlich weiß Seto das nicht mal selbst. So was sind Impulskäufe“ schmunzelte er ihn an. „Freu dich einfach drüber.“ „Das tue ich. Wirklich“ nickte er und stellte vorsichtig die Beine in den Fußraum. Er bewegte sich so sachte, er genoss jeden Augenblick in diesem Geschoss von Wagen. „Angenehm viel Platz.“ „Du bist fast so groß wie Seto. Ihr seid ja beide nicht gerade Erdgewächse.“ Yami freute sich darüber wie sein Geliebter das neue Terrain erkundete. Und endlich fand er mit seinen langen Beinen auf Anhieb Platz, denn er war auch nur eine Handbreit kleiner als Seto. Somit war es nicht verwunderlich, dass er diese großzügige Sitzeinstellung als angenehm empfand. „Meinst du, er hätte etwas dagegen, wenn ich das Verdeck herunterfahre?“ „Wohl kaum. Kannst doch damit machen, was du willst.“ „Eigentlich finde ich solche Autos übertrieben protzig und unpraktisch, aber die paar Kilometer in die Stadt werde ich genießen.“ „Und dann hoffentlich auch die nach Hause und die vielen Spritztouren, die wir diesen Sommer noch machen müssen.“ „Ich glaube kaum, dass Eraseus mir seinen Wagen so oft leihen wird. Da wäre wohl schon ne ganze Keksfabrik nötig.“ „Finni?“ Da schien irgendwas nicht richtig angekommen zu sein. Drachensprache war ja auch nicht ganz einfach. Yami kam seinem Ohr aufreizend nahe und flüsterte ganz erotisch und feucht hinein: „Mein Schatz, den hat er dir geschenkt.“ Chapter 32 Seto währenddessen wartete geduldig auf dem Parkplatz bis Yugi aus der Dusche zu ihm fand. Leider war der Jeep verschlossen, also lehnte er sich gelangweilt an die Fahrertür und freute sich über die Tatsache, dass Yugi im Schatten geparkt hatte. Und weil Lady lieber einem Eichhörnchen nachjagte als ihm Gesellschaft zu leisten, nahm er ein paar Zweige vom Boden auf und drapierte sie der Größe nach auf der Gepäcksicherung eines auf dem Parkplatz abgestellten Autoanhängers. Nach getaner Arbeit zündete er sich eben eine Zigarette an und ignorierte die Sportler, welche nach und nach auf den Parkplatz kamen. Die ersten beiden teilten sich eine rote Klapperkiste, der nächste stieg in einen etwas netteren schwarzen Kombi und der vierte fuhr gar gleich mit dem Fahrrad und grüßte Seto sogar so freundlich zurückhaltend, dass er ein Nicken von ihm bekam. Die nächsten beiden verabschiedeten sich voneinander, der eine fuhr mit einem dunkelgrünen Fiat davon und der andere mit Finns Motorrad. Das war dann wohl der sogenannte Hansi, dem Finn ausnahmsweise sein Baby anvertraute, um Seto einen Gefallen zu tun. Hoffentlich hatte Finn die Geste verstanden und fand an seinem neuen Auto Vergnügen. Vielleicht hätte Seto auch etwas freundlicher mit ihm sprechen können. Immerhin hatte er bisher recht wenige Worte mit ihm gewechselt und kaum Interesse signalisiert. Es war nicht leicht, ihn an Yamis Seite zu sehen. Es war nicht leicht, ihm nicht die Erwartungen an Seth aufzubürden. Finn war kein zweiter Seth und Yami sah ihn wohl auch nicht als Ersatz. Dennoch fühlte Seto sich merkwürdig bei ihren verliebten Blicken. Finn konnte nichts dafür, dass Seth sich von ihnen entfernt hatte. Er war eher dafür verantwortlich, dass der alte Pharao aus seinem Depressionstief herausgekommen war und neuen Lebensmut schöpfte. Seto beschloss, dass er sich Mühe mit ihm geben wollte. Finn war nicht schuld daran, wenn Yami und Seth auseinandergingen. Er war ein guter, ein aufrechter und charakterstarker Mann. Dennoch … zu sehen wie Yami einen anderen Mann als Seth so verliebt ansah … „Hey! Den kenne ich!“ Seto blickte bei Yugis Stimme auf. Endlich kam auch der zum Parkplatz und hatte sogar die Haare noch nass. Der Wind trug seinen guten Duft herüber, welcher mit Essenzen von Seife und isotonischen Getränken verwoben war. „Dann bis Freitag!“ verabschiedete sich sein Begleiter, der in des Drachens Nase nur nach billigem Duschgel und nicht halb so gut wie sein Yugi roch, mit einem Handschlag und winkte im vorbeigehen auch Seto zu. „Mach’s gut, Yugis Mann!“ „Hrm“ brummte Seto und warf ihm einen finsteren Blick zu. Doch den billigen Duschgeltypen störte das gar nicht. Der schloss seinen schwarzen Kastenwagen auf, schmiss die Sporttasche auf den Beifahrersitz, knallte die Tür hinter sich zu und raste mit quietschenden Reifen vom Parkplatz. Bei dem Fahrstil hätte er sich wohl besser anschnallen sollen … Yugi berührte zwar Setos Arm, aber verfrachtete nebenbei seine eigene Tasche auf den Rücksitz zwischen die beiden Kindersitze und hielt Seto dann den Schlüssel vor seine gekräuselte Nase. „Willst du fahren?“ „Nein?“ antwortete und fragte er gleichzeitig. Endlich wandte er seinen Blick herunter in Yugis warm glänzenden Augen. „Was glotzt du mich so an?“ „Weil du da stehst wie angewurzelt und ich nicht einsteigen kann.“ „Sag doch einen Ton“ grummelte er und trollte sich auf die andere Seite. Natürlich legte er keinen gesteigerten Wert darauf, selbst fahren zu wollen. Bei Yugi fuhr er lieber nur mit. Er mochte Yugis Fahrstil und wenn der nicht schon einen Job hätte, würde er ihn sofort als Chauffeur einstellen - und sich dafür einen Campingwagen kaufen und nur noch mobil arbeiten und nie wieder ins Büro gehen. Als er Platz genommen hatte, grinste Yugi ihn schon an. „Was denn schon wieder?“ motzte er und verlor sofort jeden Gedanken. „Du hast so in dich hineingelächelt, mein Engel. Woran hast du gedacht?“ „Magst du Wohnmobile?“ „Ähm …“ „Dann frag nicht so doof.“ Also wirklich, nicht mal in Ruhe träumen durfte man. Während stur zum Fenster hinausblickte, zuckte Yugi mit den Schultern und war auch schon dabei, sein Navigationsgerät auf den Rückweg einzustellen. „Und wie war’s?“ fragte Seto dunkel. „Hast’s ja gehört. Ich bin für Freitag zum nächsten Training eingeladen.“ Und bei dem ganzen Gemeckere dachte Yugi sich nichts weiter. Dass Seto vor sich hinschimpfte, war ja nun wirklich keine Seltenheit. „Ich denke, solange wie wir hier sind, würde ich gern mit der Mannschaft trainieren. Ist ne lustige Truppe und ein bisschen Bewegung tut mir auch gut. Wenn sie mich überhaupt aufnehmen, heißt das. Aber ich bin zuversichtlich.“ „Muss es denn unbedingt Polo sein?“ „Warum nicht Polo?“ „Das ist so gewalttätig. Du könntest dich verletzen. Oder jemand anderes könnte dich verletzen.“ „Ich liebe dich auch.“ Darüber diskutierte er nicht weiter. Sobald er merkte, dass Seto ihm die Sache ausreden wollte, vertagte er das Diskutieren auf später. Wenn Yugi ein neues Hobby fand, bedeutete das Veränderung. Veränderung des Tagesablaufs, Veränderung des Bekannten- und vielleicht sogar Freundeskreises. Seto mochte Veränderungen nicht und deshalb würde Yugi ihm einfach vorleben, dass es nichts gab, worüber er sich jetzt Gedanken machen musste. „Fährt Finn mit deinem Auto zurück, mein Herz?“ Er lehnte sich herüber, nahm Setos Hand und lächelte ihm zu. „Das ist nicht mehr mein Auto“ erwiderte er. „Ich hab’s ihm geschenkt.“ „Geschenkt. Den zwei Wochen alten Ferrari oder den nur einen Tag alten Maserati?“ „Zweiteres.“ „Du verschenkst einfach mal so dein niegelnagelneues Auto.“ „Der hatte Automatik.“ „Ach soooooo!“ Yugi schüttelte den Kopf. Was wunderte er sich überhaupt noch? Er kannte Seto doch mittlerweile gut genug. „Hat Finn sich wenigstens gefreut?“ „Weiß ich nicht. Hoffe mal.“ „Warum weißt du das nicht?“ „Hast du gewusst, dass er sein Motorrad von seinem Vater geerbt hat? Sein Vater hatte ein einnehmendes Grinsen und Finn hat ihn sehr geliebt. Obwohl er nur adoptiert war, waren sie eine eingeschworene Familie. Sein Vater fühlte sich an wie ein guter Mann. Finn ist sehr traurig, dass er tot ist. Eigentlich ist er ein Familienmensch, aber er hat Probleme, sich anderen zu öffnen. Zu viele Verluste haben sein Vertrauen in die Menschen getrübt. Ich frage mich, ob sein Vater verheiratet war …“ Yugi konnte Setos Gedankensprüngen mittlerweile recht gut folgen und kombinierte diese Sätze in ein passendes Bild. „Ich finde es gut, dass du dich mit Finn auseinander setzt. Ich hatte schon befürchtet, du ignorierst ihn weiter.“ „Ich habe ihn nie ignoriert.“ „Aber besonderes Interesse hast du auch nicht gezeigt. Yami hatte teilweise Bedenken, ihn mitzubringen, weil sowohl du als auch Tato ihn links liegen gelassen habt.“ „Haben wir nicht. Ich habe mich schon mal mit ihm unterhalten.“ „Aber ‚Guten Tag‘ und ‚Hast du Nini gesehen?‘ sind keine Unterhaltungen im eigentlichen Sinne, mein Herz.“ „Ich wollte nicht, dass Yami Bedenken hat. Warum hat er nichts gesagt? Oder warum hast du nichts gesagt?“ „Weil er sich wünscht, dass es von dir aus kommt.“ Yugi küsste Setos Hand und hielt sich die kalten Finger in seinen feuchten Nacken. Er liebte es einfach, das zu tun. Wenn man schon einen coolen Mann hatte, durfte man das auch ausnutzen - besonders an so warmen Tagen wie heute. „Er weiß, dass es für euch alle schwierig ist, Finn nicht als Ersatz für Seth zu sehen. Besonders für dich, weil du Seth näher stehst als jeder andere. Es ist wichtig für Yami, dass besonders du Finn als seinen Partner akzeptierst. Yami hat sich verliebt und ich denke, sein Herz hat eine gute Wahl getroffen.“ „Ich weiß, dass Finn Seth nicht verdrängen will. Er hat ein gutes Herz und er weiß genau, wo er steht. Er hat mir vorhin die Hand gegeben. Er war sehr aufgeregt. Es ist ihm wichtig, was wir von ihm denken. Er macht sich viele Gedanken über uns.“ „Du hast also seine Gefühle gelesen.“ „Ich habe vermehrt Aussetzer in meiner Beherrschung“ gab er zu und entzog Yugi seine kühlende Hand. „Ich will es nicht, aber ich muss mich immer stärker konzentrieren, um mich auf das gesprochene Wort zu fokussieren. Manchmal bemerke ich den Unterschied zum gedachten Wort, manchmal nicht. Ich habe damit zunehmend Probleme.“ „Okay.“ Das nahm er vorerst so zur Kenntnis. Was genau das bedeutete, das musste er erst genauer erfragen. „Hast du noch mehr Probleme mit deiner Magie? Oder anderen Dingen? Irgendetwas, von dem ich besser Kenntnis haben sollte?“ „Meine Sinne verwirren mich“ erzählte er und blickte gedankenversunken die Anzeige des noch ausgeschalteten Radios an. „Du meinst deine fünf Sinne?“ „Ja … manchmal ist es schwer … ich finde mich manchmal schwer zurecht.“ Er knetete mit den Fingerspitzen seine Krawatte und mühte an der Formulierung. „Gestern bin ich im Büro gegen die geschlossene Tür gelaufen. Ich habe nicht hingesehen, aber es hat sich angehört und so gerochen als wäre sie offen. Ich habe Joey reden gehört und Svalas Kakao gerochen. Ich habe mich so sehr auf meine anderen Sinne verlassen, dass ich nicht mehr hingesehen habe. Und ich habe vergessen, dass ich alles intensiver wahrnehme als zuvor. Das hat mich erschreckt.“ „Ja, das kann ich mir vorstellen. Hast du deine Beule?“ „Ja. Da“ zeigte er irgendwo in sein wieder kürzeres Haar hinein. „Armer Liebling. Komm mal her.“ Yugi kraulte ihm den Kopf, aber nahm die Hand dann wieder herunter. Seto sagte es nicht, aber er signalisierte mit seiner verschlossenen Körperhaltung, dass er im Augenblick lieber nicht angefasst wurde. Und daran musste sich auch Yugi ab und zu halten. „Und heute stand ich auf der Straße und habe die Orientierung verloren“ erleichterte er weiter seine Herz. „Die Geräusche, Autos auf der Straße, Handyklingeln, Stöckelschuhe … und die Gerüche von dem Griechen gegenüber, von den Kanalarbeiten, das Parfüm der Empfangsdamen, ein toter Vogel im Gebüsch … und plötzlich waren alle Farben so grell und alles hat sich so schnell bewegt und … ich dachte, ich werde wahnsinnig …“ „Was hast du dann getan?“ Offensichtlich war er aus dieser Situation irgendwie herausgekommen. Würde er es nicht beichten, wäre es ihm auch nicht anzumerken gewesen, dass er Probleme hatte. Seto öffnete den Knopf seines Hemdärmels und zeigte Yugi eine recht frische Wunde. Eine hellrote Kruste zog sich über den schmalen, einige Zentimeter langen Schnitt. So hatte er sich aus der Situation befreit. Er hatte sich versichert, dass er noch da war, dass er noch eigene Gefühle hatte. Er flüchtete kurzfristig in alte Verhaltensmuster, die ihm eine wenn auch zweifelhafte so doch eine Sicherheit gaben. „Tut mir leid.“ „Schon gut. Und ich wundere mich noch, dass du bei diesem Wetter lange Hemden trägst …“ Das konnte er ihm nicht zum Vorwurf machen. Wie Seto sich fühlte, konnte Yugi nur mit viel Fantasie nachempfinden. Wahrscheinlich stand er unter großem Stress. Und er hatte anscheinend doch Probleme mit seiner Veränderung. Diese Probleme traten eher im Verlaufe der Zeit hervor und nicht sofort. Es wäre auch sehr verwunderlich, wenn das alles so gar keinen Effekt auf ihn haben würde. „Ich wollte mich nicht mehr verletzen. Ich habe dir versprochen, dass ich es lasse und ich will mein Versprechen auch nicht brechen.“ „Viel wichtiger ist, dass du mit mir darüber sprichst“ tröstete er und legte zärtlich seine Hand über die verletzte Stelle. „Sobald Sethos wieder normal ansprechbar ist, kann er dir sicher helfen. Und wegen deiner sensiblen Sinne kann Tato dir vielleicht einen Rat geben. Er ist älter und seine Sinne sind wahrscheinlich ähnlich ausgereift wie deine.“ „Ich habe ihn schon gefragt“ seufzte Seto und klang weniger begeistert. „Und?“ „Er sagte, er sei da reingewachsen und ihn störe das weniger. Ich wollte ihm nicht sagen, dass ich verwirrt bin.“ Denn das zuzugeben, fiel ihm schwer. Auch wenn Yugi sich fragte, ob es daran läge, dass er und sein älterer Sohn eventuell in Konkurrenz zueinander standen, fragte er ihn dennoch nicht. Erst mal musste er sich um die echten Probleme kümmern. Und bei Lösungen war er ähnlich kreativ wie Amun-Re. Wenn man selbst nichts tun konnte, musste man sich auf die verlassen, welche sich auskannten. „Dann fragen wir Narla.“ „Narla?“ An sie hatte Seto offenbar weniger gedacht. „Ich weiß, dass Narla auch verstärkte Sinne hat und in mir lesen kann, aber ihre Kräfte werden mit jedem Jahr schwächer … sie jagt ja nicht mehr …“ „Ich denke auch weniger an ihre Sinne als mehr an ihr Fachwissen. Niemand kennt sich so gut mit Drachen aus wie sie. Gustav hat ihr vor einiger Zeit sogar seine Aufzeichnungen über Weiße Drachen zur Verfügung gestellt. Er hat ein ganzes, dickes Buch zusammenbekommen. Ich bin mir sicher, sie kennt einen Weg wie wir deine Sinne auf ein handelbares Maß dämpfen können. Das soll keine Lösung auf Dauer sein, aber vielleicht hilft es dir, damit du keine Panikattacken bekommst und nicht gegen Türen rennst.“ „Erzähle das bitte niemandem!“ „Nein, werde ich nicht“ versprach er und streichelte seine Hand. „Wir finden eine Lösung für dich. I c h finde eine Lösung für dich. Versprochen.“ „Können wir jetzt die Klimaanlage anmachen?“ Yugi lachte und tat ihm den Gefallen. Er trat die Kupplung, ließ den Motor an und nahm den Gang heraus. Er regelte die Klimaanlage auf 16 Grad herunter und sah beim Blick nach vorn zufällig wie Lady auf einem Ast landete und einen roten Pelz auseinander pflückte. „Irgendwie habe ich auch Hunger.“ „Auf Eichhörnchen?“ „Glaubst du, sie gibt mir was ab?“ „Wohl kaum. Sollen wir irgendwo anhalten und was essen gehen?“ „Nur wir zwei?“ lächelte er ihn verliebt an. „Vorausgesetzt, Lady will nicht mit.“ Er ließ das Fenster zur Hälfte herunter und rief hinaus: „Kommst du mit oder fliegst du selbst?“ Sie krächzte verächtlich und hob nicht mal ihren Kopf. Genau wie Seto wurde sie nicht gern beim Essen gestört. „Sie findet schon selbst zurück.“ „Na gut, dann los.“ Er legte den Rückwärtsgang ein und wollte gerade ausparken als Seto ihm unvermittelt zwischen die Beine sprang. „HUCH?! Was ist denn jetzt los?“ „Die Transformers sind los.“ Er kramte sich tiefer, legte den Kopf auf Yugis Knie und griff weit unter den Sitz. „Ist nichts persönliches.“ „Schade. Aber, wenn du schon da unten bist, Liebling …“ Er stoppte das Kramen und drehte seine kalten Augen drohend hinauf. „Kein weiteres Wort.“ „Ach, ist aber gerade so schön.“ „Warum sieht’s überall, wo Tato war, hinterher aus wie inner Rumpelkammer?“ „Hast du’s gleich?“ „Gleich. Das Scheißding hat sich verkeilt.“ Er rutschte noch etwas tiefer und Yugi konnte nur seine Beine spreizen, um ihm noch etwas Platz zu geben. „Lass doch. Wir basteln ihn dann später von hinten raus.“ „Und wenn er sich während der Fahrt löst und nach vorne rollt und die Bremse blockiert und wir einen Unfall haben?“ „Meine Güte, deine Gedankengänge. Wenn Optimus Prime sich verkeilt hat und du ihn nicht mal manuell rausbekommst, wird er sich wohl kaum während der Fahrt lösen, geschweige denn nach vorn rollen.“ „Das ist nicht Optimus Prime. Das ist Cybertron.“ „Ist das wichtig?“ „Du solltest doch wohl wissen, was dein Sohn unter deinem Autositz deponiert.“ „Meines Erachtens nach wird Optimus Primadonna sich genauso wenig lösen und durch die Gegend rollen wie Cybertunte.“ „Yugi! Mann!“ „Bist du da gleich mal fertig? Meine Beine schlafen ein … oh, hi!“ „Was?“ Seto kam hoch und sah, dass Yugi jemandem zuwinkte. Der Typ, der extra spät duschen gegangen war, um ihm nicht noch mal zu begegnen. Ausgerechnet der fuhr gerade mit seinem Moped an ihnen vorbei und lief nicht nur wegen der Sommerwärme rot an. Er starrte zwischen Seto und Yugi hindurch, beschleunigte dann seine Fahrt und beeilte sich, dass er vom Hof kam. „Der schon wieder.“ „Tja, der hat wohl die Zeit verplant“ meinte Yugi und sah ihn im Rückspiegel davonbrausen. „Ich glaube, jetzt hast du ihn in Verlegenheit gebracht.“ „Warum ich? Ich habe nichts gemacht.“ „Der glaubt jetzt wahrscheinlich, dass du da unten sonstwas gemacht hast.“ „Was sollte ich denn da gemacht haben?“ „Na ja. Zwei Schwule im Auto, wovon der Beifahrer mit dem Kopf im Schoß des Fahrers hängt. Die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem Transformer gekramt wird, ist sehr alarmierend, oder?“ „Natürlich, wir haben Kinder! Und dabei einen kleinen Jungen, der auf technisches Spielzeug abfährt!“ „Ach Seto …“ „Was denn? Guck mich nicht so an!“ „Der hat das gedacht, was ich mir gewünscht habe.“ „Ähm … was jetzt? Dass Cybertron nicht nach vorne rollt?“ „Der dachte, du bläst mir einen.“ „Ach so … Idiot.“ Seto schnallte sich an, ließ den Transformer wo er war, schlug die Beine übereinander und stierte aus dem Fenster. Da räumte man ein Mal auf und wurde schon der Unzucht beschuldigt. Verdammt, das ging ihm auf die Nerven. „Du bist so süß“ schmunzelte Yugi und konnte nun endlich ausparken. Das Navi schickte ihn rechts herum, aber er bog links ab. Finn hatte ja gesagt, er solle die Hauptstraße mit den vielen Schlaglöchern lieber vermeiden. „Wo möchtest du denn essen gehen, Schatz?“ „Mir egal.“ „Jetzt schmoll nicht“ lachte er, drehte das Radio an und verfrachtete die Sonnenbrille von der Ablage auf seine Nase. „Schau mal, da hinten stehen Kühe.“ „Wo?“ „Da.“ Er zeigte nach vorn und machte Seto damit eine Freude. Eine ganze Wiese voll mit schwarzweißen Kühen. Seto liebte Kühe. „Mein Herzchen, was gibt die Kuh?“ „Milch“ lächelte Seto und behielt seine Lieblingstiere im besten Blick. „Und die schwarzweißen?“ „Milch für Kaffee.“ „Und die braunweißen?“ „Milch für Kakao.“ „Sehr schön.“ „Irgendwie bekomme ich jetzt Appetit auf Kaffee.“ „Im Handschuhfach liegt noch Apfelsaft von Tato.“ „Ich habe gesagt Kaffee.“ Und brummend setzte er hinzu: „Und da behaupte noch mal einer, ich wäre verplant im Kopf.“ „Ja ja, ist ja gut.“ Yugi schmunzelte ihm kurz zu, aber Seto guckte weiter aus dem Fenster. Am besten ließ er ihn erst mal dampfen und wartete bis die Klimaanlage eine für ihn angenehme Temperatur hergestellt hatte. Irgendwann lehnte er sich zurück und schien zu entspannen. Es war angenehm, ihn neben sich zu haben. Sie hatten selten einen Moment zu zweit. Meistens waren die Kinder dabei oder irgendjemand anderes oder er kümmerte sich um die Katzen oder die Falken oder im Zweifelsfalle seinen Laptop. Es war nicht immer einfach mit einem erfolgreichen Geschäftsmann, aufopfernden Vater oder Tierliebhaber verheiratet zu sein. Aber manchmal tat er auch so süße Sachen wie ihn abzuholen und spontan essen zu gehen. Endlich mal Zeit zu zweit. „Wie läuft es denn so im Büro? Wie stehen die Aktien?“ „Mittelmäßig. Die unsicheren Finanzmärkte hängen uns an den Hacken, aber wir sind gut abgesichert.“ „Ist doch prima.“ „Ja, aber viel Arbeit. Die Konkurrenz hat ihre Finanzprodukte riskanter ausgelegt und ihre Kunden natürlich verprellt. Zudem hat Joey eine Werbekampagne initiiert und genau zum richtigen Zeitpunkt platziert. Jetzt pilgern viele zu uns, weil sie doch wieder die Sicherheit und Bodenständigkeit eines großen Unternehmens wie der Kaiba Corp. suchen. Risiko ist out, sichere Geldanlagen sind in und die Anleger wissen, dass sie bei uns vortrefflich beraten werden. Gut für unseren Gewinn, aber schlecht fürs Privatleben. Viele Kunden fordern viel.“ „Habt ihr denn überhaupt nichts bei dem Bankencrash verloren?“ „Natürlich. Einige, mehrstellige Millionenbeträge“ antwortete Seto routiniert. „Und das macht nichts?“ „Doch. Macht viel. Aber ich habe nicht nur in Risikogeschäfte angelegt. Besonders nicht die Gelder der Privatkunden. Spekulieren ist mehr so ein Spielkram von mir. Noah hat’s auch nur mit einem Nicken abgetan und gemeint, wir beschränken uns weiter auf den Kern.“ „Den Kern.“ Wovon auch immer sein Mann da sprach … „Und dein ‚mehrere Millionenbeträge-Spielkram‘?“ „Ist weg. Aber das war abzusehen, also hat’s uns nicht so hart getroffen. Noah gibt mir regelmäßig einige Budgets frei, mit denen ich dann pokern kann. Ich habe viel davon in Edelmetalle und andere Staatsanleihen umgeschichtet und damit das Minus etwas aufgefangen. Gold ist im Preis enorm gestiegen, Anleihen auch bis zu 25% und das ist so viel wie seit Jahren nicht. Gozaburo hat mir damals beigebracht, mich nicht auf die Meinungen der ‚Experten‘ zu verlassen, sondern meinen gesunden Menschenverstand zu behalten. Ob der so gesund ist, weiß ich nicht, aber mit Zahlen, Diagrammen und Wirtschaftsprognosen komme ich ganz gut zurecht.“ „Sonst wärst du ja auch nicht Vorstand für Finanzen und Entwicklung.“ „Noah könnte das genauso gut, aber der hat zusätzlich andere Qualitäten, die bei mir defizitär sind. Soziale Qualitäten.“ „Trotzdem passt dein Job zu dir. Joey kann zwar auch viel, aber ich glaube, mit Zahlen und vorausschauendem Handeln hat er’s nicht so.“ „Joey kann Leute davon überzeugen, Sachen zu kaufen, die sie eigentlich gar nicht brauchen. Wäre er nicht bei uns, würde er Autos oder Gewinnspiele verkaufen.“ „Ist das nicht etwas simpel ausgedrückt?“ „Joey ist simpel.“ „Wenn du es sagst.“ „Eigentlich wollte ich über etwas anderes mit dir reden.“ Seto machte die ganze Zeit schon nicht den Eindruck als würde ihn das Gespräch besonders interessieren. Stattdessen blickte er aus dem Fenster und schien irgendwo anders zu sein. „Okay. Und worüber?“ „Das ist nicht so einfach.“ Er legte seine Arme um den Bauch und senkte den Blick auf den Straßenrand. Yugi ermutigte ihn und berührte sanft seine kühle Hand. „Du weißt doch, dass du über alles reden kannst, mein Engel. Was liegt dir auf dem Herzen?“ „Ich bin nicht davon … bitte lass mich erst ausreden, bevor du dir ein Urteil bildest, ja? Kannst du das?“ „Natürlich. Ich höre zu“ versprach er und legte beide Hände ans Lenkrad. Er sah ihn auch zwischendurch nicht mehr an, um ihm das Reden zu erleichtern. Wenn er so angespannt war, musste es sehr auf sein Herz drücken. „Ich bin nicht davon überzeugt, dass das, was Seth tut, falsch ist“ gestand er und versuchte so gut es ging, seine Worte auszuwählen. „Ich meine, natürlich ist es falsch, dass er Menschen tötet und sie unterjocht. Aber Seth ist im Grunde kein böser Mensch und deshalb glaube ich auch nicht, dass alle seine Taten böse sind.“ „Hitler hat auch einige, gute Taten begangen.“ „Yugi, du wolltest mich ausreden lassen“ bat Seto leise. „Tut mir leid. Aber ich finde nichts Gutes daran, Menschen zu töten und den großen Überwachungsstaat zu installieren. Seth löscht Menschenleben im großen Stil aus. Er missbraucht seine Kräfte und beraubt die Menschen ihrer Persönlichkeitsrechte. Jeder, der nicht seiner Meinung ist, wird abgestraft. Wenn gute Menschen, so etwas tun, sind es in meinen Augen keine guten Menschen mehr. Ich liebe Seth, aber was er tut, kann ich nicht gutheißen.“ „Aber hast du dich jemals gefragt, warum er das tut?“ „Wir wissen alle, warum er das tut. Er sieht Yami nicht mehr als vollwertigen Pharao geachtet und sich selbst nicht mehr als vollwertigen Priester. Er will die Ordnung seines Ägyptens zur neuen Weltordnung machen.“ „Ich wusste, ich hätte nicht darüber reden sollen.“ Seto sah demonstrativ von Yugi weg und der seufzte tief. Sehr tief. Dieses Thema war immer schwierig und es gab keine Lösung. Es war wie eine Entscheidung darüber, ob die Todesstrafe gerecht war. Durfte man jemanden, der andere Menschen quälte und tötete dann auch töten, um der Gerechtigkeit willen? Es gab Anschauungen, welche dafür sprachen. Es gab aber auch Anschauungen, welche es ablehnten. Es gab Fragen, auf die es keine einzelne Antwort gab, sondern viele, welche sich widersprechen konnten. So war es auch mit Seth. Ja, er war ein guter Mensch. Und ja, er war ein Tyrann. „Tut mir leid“ entschuldigte Yugi sich dann doch. Er wusste, dass Seto diesem Thema gespalten gegenüberstand. Auch das musste er verstehen. „Ich habe mich hinreißen lassen. Worüber wolltest du genau sprechen?“ „Ist jetzt auch egal.“ „Seto, jetzt sei vernünftig.“ „Bin ich doch. Seth ist schlecht. Punkt. Vernünftig genug?“ „Nein, du bist jetzt nicht vernünftig, sondern bockig.“ Er legte ihm die Hand aufs Knie und lenkte mit gedrosselter Geschwindigkeit um die langgezogene Kurve der Landstraße. „Liebling, es tut mir leid. Bitte sag mir, was du sagen wolltest.“ „Du bist nicht für meinen Standpunkt offen. Also kann ich’s auch lassen.“ „Liebling.“ Jetzt seufzte Seto und erweichte sich doch noch einmal. Er legte seine Hand auf Yugis, aber wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. „Ich weiß, dass Seth böse Dinge tut. Aber ich will verstehen, warum er das tut. Ich weiß, ich habe dir versprochen, dass wenn es zu einem Aufeinandertreffen kommt, dass ich dann hinter dir stehe. Das würde ich auch. Aber ich wäre nicht davon überzeugt, dass ich das Richtige tue. Ich bin nicht Seths Meinung … aber ich bin auch nicht von deiner Meinung überzeugt.“ „Aha. Und nun?“ „Nun …“ „Was willst du nun tun? Dich bei einem Kampf gegen Seth heraushalten und wer verliert, der hatte Unrecht?“ „Nein, natürlich nicht.“ „Ich sage es nur ungern, aber Seth wäre bereit, auch uns zu töten. Selbst dich und mich. Und auch wenn er Yami nicht töten würde, so würde er ihn auf einen Thron zwingen und ihn in einer Welt gefangen halten, die sein Pharao nicht will. Seth geht keine Kompromisse ein - im Gegensatz zu uns.“ „Ich will aber nicht von ihm oder uns sprechen. Wir sind immer noch eine Familie.“ „Nein, das sind wir nicht“ erwiderte Yugi mit möglichst ruhiger Stimme. „Ich liebe Seth, aber er zerstört uns.“ „Du sagst das immer mit einem Aber“ stellte Seto traurig fest. „Ich liebe Seth, aber dies. Ich liebe Seth, aber das oder jenes. Ich will das nicht. Ich liebe Seth. Ich will dieses Aber nicht mehr sagen müssen.“ „Ich verstehe dich ja, mein Engel. Du leidest unter dem, was dein Yami tut und ich kann verstehen, dass du ihn nicht aufgeben kannst. Aber Liebe bedeutet nicht Hörigkeit. Liebe bedeutet auch, sich in den richtigen Momenten dem anderen entgegenzustellen.“ „Deshalb stelle ich mich deiner Meinung entgegen“ brachte er leise heraus. „Weil du mich liebst oder weil du Seth liebst?“ „Weil ich euch beide liebe und ich nicht zwischen euch wählen will. Ich weiß, dass ich mich im Zweifel immer auf deine Seite stellen muss. Aber ich kann nicht mit ganzem Herzen für dich eintreten, wenn ich Zweifel habe.“ „Wir drehen uns im Kreis“ befürchtete Yugi und streichelte seine Hand mit dem Daumen. „Ich verstehe dich ja, aber was schlägst du vor? Es wird nicht ewig so ruhig bleiben wie im Augenblick.“ „Ich wollte dir sagen, was ich denke“ erwiderte er und ließ den Kopf hängen. „Es hört sich für dich vielleicht merkwürdig an, wenn ich das sage, aber ich möchte mir Seths Standpunkt wenigstens ansehen. Ich möchte sehen und verstehen, was ihn antreibt. Was ihn wirklich antreibt.“ „Auch auf die Gefahr hin, dass du nichts für ihn tun kannst? Auch auf die Gefahr hin, dass er dich mit sich hinunterzieht?“ „Er ist mein Yami. Ein kleiner Teil unserer Seele ist eins und wird es immer sein. Ich bin es ihm schuldig, dass ich wenigstens versuche, ihn zu verstehen.“ „Ich will nicht, dass auch wir uns voneinander entfernen“ bat Yugi und lenkte seinen Wagen an den Straßenrand, wo er ihn anhielt und den Motor ausschaltete. „Schatz, du bist sehr naiv und leicht zu verwirren, wenn es um Gefühle geht. Ich befürchte, dass Seth dich auch ohne sein Zutun schon sehr verwirrt.“ „Vertraust du mir nicht?“ „Auch Yami hat Seth vertraut. Ich will nicht, dass wir die Fehler unserer Yamis wiederholen. Wenn Seth dich auf seine Seite zieht, kann die Welt einpacken. Und ich auch.“ „Du glaubst, ich wäre dazu in der Lage, Menschen zu töten?“ „Ja, ich glaube, dazu wärst du in der Lage“ antwortete Yugi und trieb seinem Priester damit Tränen in die kalten Augen. Dennoch sprach er sanft weiter. „Ich will damit nicht sagen, dass ich glaube, dass du es tun würdest, aber du wärst befähigt, es zu tun. Wenn jemand die Menschen bedroht, die du liebst, dann geht der Beschützer mit dir durch. Und hinterher wärst du über deine eigene Tat verzweifelt. Deswegen möchte ich nicht, dass du in die Drangsal kommst, über Leben oder Tod eines anderen zu entscheiden. Du bist mit deinem eigenen Leben schon überfordert. Deshalb möchte ich dir diese Entscheidung nicht überlassen. Überlasse bitte mir, was wir tun. Und wenn die Entscheidung falsch war, dann gib auch mir die Schuld und keinem anderen.“ Er wischte Seto eine Träne unter der Sonnenbrille heraus, aber er bekam keinen Blick von ihm. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen. Ich möchte nur, dass wir ehrlich miteinander sind.“ „Ich weiß ja, dass du Recht hast.“ Er riss sich zusammen, um möglichst verständlich zu sprechen und den Frosch in seinem Hals auszuspucken. „Warum halten wir hier?“ „Du wolltest doch einen Kaffee trinken.“ Er zeigte zum Beifahrerfenster hinaus auf ein kleines Häuschen, welches von riesigen Linden verdeckt vor einem Feld stand. „Ist das ein Café?“ „Sieht ein bisschen urig aus, aber ist ein Geheimtipp.“ Er zog die Sonnenbrille von der Nase und lächelte seinen Liebsten besänftigend an. „Angeblich gibt es dort den besten Gugelhupf der Welt. Hat mir jedenfalls die Freundin von einem aus der Polomannschaft erzählt.“ „Besser als ihrer bestimmt, aber besser als deiner wohl kaum.“ „Du bist süß. Wollen wir reingehen?“ Auch schon, um ein bisschen von diesem schwierigen Thema wegzukommen. Das „Hm“ von Seto deutete er mal als Zustimmung und löste dessen Anschnallgurt, bevor er die Tür öffnete. „Pass auf, dass du beim Aussteigen keinen Hitzeschlag bekommst.“ Sie stiegen aus und gingen händchenhaltend auf das Hexenhaus zu, welches so versteckt auf Wald und Wiese stand. Das tiefhängende Dach aus dunklem Reet, die Wände aus massivem Holz und die Fenster altmodisch mit Schnörkeln beschnitzt und in Flügelfunktion. Beim Näherkommen sahen sie vor dem Häuschen einige Fahrräder stehen. An der Seite etwas versteckt standen sogar Pferde im Schatten der Bäume und rupften das Gras bis zu welchen ihre Leinen reichten. Auf der anderen Seite waren vier der fünf Parklücken mit Autos bestellt. Beim Eintreten war das Hexenhäuschen gar nicht so leer wie man gedacht hätte. Direkt geradezu stand eine große Holztür weit offen und ließ das Murmeln einiger Leute und das Lachen von Kindern herein. Hier drinnen saß nur ein alter Mann, der sich hinter einer Tageszeitung versteckte und seine Tasse ausschlürfte. Der Tisch, die Ecke und der einzelne Stuhl passten so gut zu ihm, dass er selbst zum Inventar zu gehören schien. Alle anderen Tische waren unbesetzt, aber mit freundlichen Häkeldecken belegt und die kurzen Kerzen nicht angezündet. An den Wänden wuchtige Ölgemälde von blumigen Landschaften und zu den Fenstern heraus sah man auf das weite Kornfeld oder eben das grüne Blätterdach der Linden. Es war recht dunkel und urgemütlich. Es duftete nach Kaffee und Kuchen. „Sieht aus wie in Urgroßmamas Wohnzimmer, was?“ scherzte Yugi über die altmodische Einrichtung. „Süße Tischdeckchen“ bemerkte er und Yugi musste leise lachen. Nicht weil es so treffend sarkastisch klang, sondern weil es gar nicht sarkastisch gemeint war. Wahrscheinlich mochte Seto diese Spießigkeit tatsächlich. Endlich huschte von draußen eine junge Frau herein. Bekleidet mit einer engen, weißen Bluse, einem kurzen, braunen Rock und einer Schürze, welche ähnlich aussah wie ein Tischdeckchen. Sie klemmte das leere Tablett unter den Arm und kam lächelnd auf die beiden zu, welche sich an den Händen hielten und im leeren Raum ganz verloren wirkten. „Guten Abend“ grüßte sie und lächelte hell zu Seto hinauf. „Suchen Sie einen Tisch?“ „Nein, wir haben nur geschaut.“ „Draußen haben wir nur noch wenig frei, aber wir finden bestimmt etwas Nettes für Sie. Sonne oder Schatten?“ „Können wir nicht drinnen sitzen?“ Seto zog es nicht raus in die Sonne. Hier drin war es kühl und vor allem waren hier keine glotzenden Leute. „Natürlich. Suchen Sie sich etwas aus.“ Sie machte eine Geste in den Raum und trat schon wieder einen Schritt zurück. „Ich bin gleich wieder bei Ihnen. Darf ich Ihnen dann schon etwas zu trinken mitbringen?“ „Ja, Kaffee. Schwarz“ bestellte er für sich und sah dann zu Yugi hinunter. „Und du?“ „Cola ohne Zitrone“ bat er und erwiderte ihr nickendes Lächeln. „Kommt sofort.“ Und schon war sie wieder davongehuscht. Sie suchten sich einen Tisch am Fenster. Seto zog die Sonnenbrille ab und sah hinaus zu den Pferden, welche dort gelangweilt die Fliegen mit ihren Schwänzen vertrieben. Erst als Yugi ihm die Karte hinlegte, wachte er auf und sah ihn überrumpelt an. „Woran hast du gerade gedacht, Herzchen?“ lächelte er sanft. „Daran wie wohl das Leben als Fliege wäre.“ „Sicher recht kurz“ mutmaßte er und öffnete seine eigene Karte. „Zu welchem Entschluss bist du denn gekommen?“ „Ich habe ja noch nicht mal reingeguckt.“ „Ich meinte doch das Leben als Fliege.“ „Ach so. Zu keinem. Habe nur gedacht, wie es wohl wäre.“ „Manchmal möchte ich in deinem Kopf Mäuschen spielen“ schmunzelte er und räumte die Kerze, den Zuckerpott und die Streuer beiseite, um Zugang zu Setos Händen zu bekommen, sobald er sie auf den Tisch legte. „Ich glaube, ich habe richtig Hunger. Hast du schon gegessen?“ „Du hast mir doch Brote gemacht.“ „Ich meine etwas richtiges nach dem Frühstück. Zum Mittag oder zur Kuchenzeit? Wahrscheinlich nicht?“ „Nein. Dann nicht.“ Nach seinem Hunger fragte er auch nicht weiter. Wenn Yugi nicht für regelmäßige Mahlzeiten sorgte, würde Seto tagelang das Essen vergessen. „Schau mal, hier gibt es sogar Kroketten. Nini wäre hoch erfreut.“ „Hier ist ja jedes Gericht mit Fleisch. Sogar in der Gemüsesuppe ist Rind drin.“ „Wenn wir fragen, machen sie dir sicher etwas ohne Fleisch“ tröstete Yugi und überblickte die Speisekarte leider weniger schnell als Seto. Der legte sie zur Seite und kannte alle Gerichte mitsamt Zusatzstoffen wahrscheinlich bereits auswendig. „Kann ich nicht gleich die Schokotorte nehmen?“ „Nein, erst wenn du etwas richtiges im Bauch hast. Du hast seit heute Morgen nichts mehr gegessen und das ist jetzt auch schon über zwölf Stunden her. Hier, wie wäre es mit Omlette?“ „Da ist Speck drin.“ „Den kann man ja weglassen.“ „Hmpf.“ „Na gut, dann nicht.“ Yugi suchte also weiter nach etwas, was seinem krüschen Liebling schmecken könnte. Für Nini fand er sofort etwas. Kroketten, Tomatenreis, Hühnersuppe, Brotsticks und Dip. Auch für Tato. Fischstäbchen, Fleischmedaillons, Pommes, Kartoffelklöße. Nur für Seto war es schwieriger, seit er vehement fleischliche Kost verweigerte. „Schatz, wie wäre es mit Nudeln in Sahnesauce?“ „Da ist Schinken drin.“ „Wenn wir darum bitten, lassen sie den Schinken sicher weg.“ „Hmpf.“ „Hach, du bist schwierig“ seufzte er. „Du kannst dich aber auch nicht nur von Salat ernähren.“ „Aber von Sahnetorte.“ „Ernährung mit Vitaminen. Du bist ja schlimmer als die Kinder.“ „Hmpf.“ „Soooooo!“ Da war auch schon die junge Bedienung mit ihrem kurzen Röckchen und trug ihre Bestellung auf dem Tablett herbei. „Ein Mal einen schwarzen Kaffee für den Herrn Papa“ wiederholte sie und stellte Seto eine feine Porzellantasse mit Schnörkelgriff und passend verschnörkelter Untertasse hin. Und dass auf der Untertasse ein Butterplätzchen lag, freute ihn sicher auch. „Und eine Cola ohne Zitrone für den Sohnemann. Hast du dich schon entschieden, was du essen möchtest?“ Sie zückte ihren Schreibblock und ahnte gar nicht die große Wut, welche Yugi mit einem langgezogenen Atmen unterdrückte. Sie hielt ihn also für Setos Sohn. DAS WAR DOCH DIE HÖHE!!! „Nicht?“ Sie beugte sich herab, schlug die Karte um und half dem starrenden Yugi bei seiner Auswahl. „Das kleine Schnitzel mit Pommes ist immer gut. Das kann ich dir sehr empfehlen.“ „ICH!“ sprach er laut und schlug die Karte entschieden zu. „Ich nehme ein großes Lachsfilet mit Reis und dazu eine Weißschorle.“ „Das tut mir leid. Wein darf ich dir noch nicht ausschenken. Auch nicht als Schorle.“ „Das geht schon in Ordnung. Meine Kinder sind ja beim Babysitter und mein Mann fährt mein Auto nach hause.“ Er sagte es zwar nicht klar heraus, aber jetzt merkte selbst sie wie angepisst er war. „Und bezahlen tue ich mit meiner Kreditkarte.“ „Ähm …“ Jetzt konnte sie gar nicht weiter. „Mein Mann wird häufig jünger geschätzt als er ist“ versuchte Seto sich nun an der ungewohnten Rolle des Schlichters. „Machen Sie ihm bitte seinen Weißwein.“ „Sie …?“ Sie blickte von ihm zu Yugi und prüfte sein Gesicht sehr genau. „Es tut mir wirklich sehr leid, aber ich würde trotzdem gern den Ausweis sehen.“ „Das ist doch …!“ Trotzdem kramte Yugi seine Brieftasche heraus und zeigte seinen Führerschein nach oben. „In drei Wochen werde ich 29. Nur weil ich klein bin, heißt das nicht, dass ich ein Kind bin!“ „Oh, das tut mir wirklich furchtbar leid, Mr. Muto“ entschuldigte sie sich sofort und kritztelte verlegen auf ihrem Block. „Es ist etwas dunkel hier und so genau habe ich auch nicht hingesehen. Tut mir wirklich leid.“ „Ja, schon klar.“ Er schluckte seine Wut hinunter und schob die Karte zurück in den Ständer. „Und für meinen Mann bitte den Gemüseauflauf mit doppelt Käse, aber ohne Fleisch. Er ist Vegetarier.“ „Natürlich. Entschuldigen Sie bitte nochmals.“ So schnell sie konnte verkrümelte sie sich zurück in die Küche. Yugi schmorte währenddessen weiter vor sich hin. Er hasste es einfach, wenn man ihn für ein Kind hielt und auch noch so behandelte. „Kinderteller. Super Idee“ zischte er vor sich hin. Dann spürte er eine kalte Hand an seinem Arm. Er hatte gar nicht bemerkt wie Seto leise aufgestanden war und neben seinem Stuhl kniete. Diese eiskalten, blauen Augen sahen ihn einen langen Moment an. Dann legte er ihm die andere Hand in den Nacken und zog ihn zu einem zärtlichen, feuchten Kuss herunter. Seto wusste auch wie sehr Yugi solche Ereignisse hasste und wie wütend er dabei wurde. Aber er sollte nicht vergessen, dass er geliebt wurde wie ein Mann. „Schon gut“ flüsterte Yugi und legte seine Stirn an die kühle Nasenwurzel. „Es ist schon wieder gut. Tut mir leid.“ „Sie hat gedacht, dass du 15 oder so bist. Sie hat nicht so genau hingesehen. Aber du siehst älter aus. Wirklich. Ich liebe dich. Du bist ein Mann. Und ein ganz großartiger Küsser.“ „Danke, das ist lieb von dir.“ „Sie hat das einfach falsch kombiniert. Schwule Paare gibt’s hier wohl nicht so oft und sie dachte, dass wir Vater und Sohn sind und uns deswegen an der Hand halten.“ „Schon gut. Du musst niemanden in Schutz nehmen.“ Er streichelte ihm das Haar zurück und versuchte sich an einem Lächeln. „Ich bin nicht mehr wütend. Alles schon wieder vorbei.“ „Ich kann sie ein bisschen ärgern, wenn du willst. Sie könnte ausrutschen oder so.“ „Nein, lass gut sein.“ Er lehnte sich ein Stück vor und flüsterte ihm in sein empfindsames Ohr. „Meine gute Laune käme aber schneller zurück, wenn du mir nachher im Auto einen bläst.“ Er zog sich wieder zurück und lächelte ihm unverschämt süß ins Gesicht. Seto war eh schon rot im Gesicht und so setzte er sich mit einem Murmeln zurück auf seinen Stuhl … auf die andere Seite des Tisches … weiter weg … in Sicherheit. Allein das reichte, um Yugis Laune aufzuhellen. Setos verlegenes Gesicht war unbezahlbar. „Ich hoffe, Gemüseauflauf mit Käse ist in Ordnung für dich“ kam er auf ein weniger errötendes Thema zurück. „Schade, dass du nicht mal Fisch isst.“ „Fisch ist auch Tier mit Seele.“ „Wenigstens verweigerst du keine Eier oder Milch. Dann wäre ich aufgeschmissen.“ „Dafür liebe ich Milch viel zu sehr. Schau mal die Tasse.“ Er hob seine Tasse an. Ganz vorsichtig hielt er den verschnörkelten Henkel zwischen den Fingerspitzen und stützte den Tassenboden mit der zweiten Hand. Auf dem kitschig geformten Porzellan war eine Art Wappenrahmen aufgedruckt und in der Mitte: „Eine Kuh.“ Darüber freute er sich jetzt. „Schön, Liebling.“ Und Yugi bemühte sich, sich mitzufreuen und nicht schallend los zu lachen. Setos Kinderblick war zu niedlich. „AH! Guck mal!“ Aufgeregt hob er auch die Untertasse hoch, ließ den Keks auf den Tisch kullern und zeigte Yugi das aufgemalte Bild. „Hier ist ein kleines Scheunentor drauf. Die Kuh gehört zur Scheune. Wie süß!“ „Sehr süß.“ Wobei er ihn süßer fand als Urgroßmutters Porzellan. „Ja, sehr süß“ lächelte er zufrieden vor sich hin, stellte die Untertasse sorgsam zurück und nippte an seinem Kaffee. Dann entdeckte er endlich den Keks für sich und hielt ihn Yugi hin. „Willst du ihn haben?“ „Nein, iss ruhig.“ „Wenigstens die Hälfte?“ „Na gut. Die Hälfte.“ Sie brachen den Keks in der Mitte und schon war der Happen im Drachenschlund verschwunden und wurde mit Kaffee nachgespült. Seto besah sich noch einige Momente stillschweigend die Tasse und genoss seine kleine, heile Welt. Er liebte Kühe einfach. Sie waren sein Symbol für Mutterliebe und Familie. Eine Kuh, die Milch gab, sich um ihr Kälbchen sorgte und mit großen, dunklen Augen in die Welt blickte und doch nicht das Bedürfnis hatte, fortzulaufen. Kühe waren stark und doch friedlich und mit wenig zufrieden. Genau wie er. „Ich liebe dich so sehr“ lächelte Yugi vor sich hin. Seto war so was von unbescholten, es stank zum Himmel. Und diese Unschuld war so umwerfend süß und so unglaubwürdig, obwohl sie echt war. Wenn man Seto sah, traute man ihm nicht zu, dass in ihm ein kleines Kind war, welches Kühe liebte und Kekse teilte. Man konnte ihn doch einfach nur lieben und mit seiner manchmal übertriebenen Art leben. „Yugi?“ Er tauchte aus seiner unschuldigen Bauernhofwelt auf und blickte zaghaft über den Tisch. Jetzt war er wieder vernünftig. „Ich war noch nicht fertig.“ „Womit? Mit Knutschen?“ „Nein, mit Seth“ kam er auf den Punkt zurück. „Ich weiß, dass du da nicht drüber diskutierst, aber mir ist das wichtig.“ „Was soll sich denn ändern?“ Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch und entgegnete seinem fragenden Blick. „Ich spreche mit dir so viel darüber wie du möchtest, aber du solltest dich da nicht reinsteigern.“ „Ich habe mir etwas überlegt.“ Er wich Yugis Blick aus und streichelte über die kaffeewarme Porzellankuh. „Du weißt, dass ich hinter dir stehe und tue, was du verlangst. Aber ich möchte mir dennoch möglichst ein eigenes Bild machen.“ „Und du hast dir was genau überlegt, mein Schatz?“ „Wenn sich die Gelegenheit ergibt und wenn Sethos wieder fitt ist, dann würde ich gern mit Seth gehen.“ „Mit Seth gehen …“ Bedeutete in diesem Zusammenhang was genau? „Ich meine mit ihm gehen. Mit ihm mitgehen. Ich will sehen, wo er sich aufhält und was er die ganze Zeit tut. So ganz alleine ohne uns. Ich will ihm zeigen, dass ich offen bin, mir seine Sache anzusehen. Und dass ich mir ein eigenes Bild mache.“ „Dir ist klar, dass das gefährlich ist.“ „Ich weiß. Aber ich glaube nicht, dass Seth mir etwas antun würde. Er ist doch eigentlich gar kein Einzelgänger. Ebenso wenig wie ich. Ich bin es ihm einfach schuldig, dass ich versuche, ihn zu verstehen. Vielleicht finde ich einen Weg, ihm da wieder rauszuhelfen. Und wenn nicht, dann gelange ich wenigstens zu der ein oder anderen Überzeugung. Alles ist besser als diese Unwissenheit.“ „Liebling. Eben erzählst du mir noch, dass du vor Verwirrung gegen Türen rennst und jetzt willst du mit Seth mitgehen? Das ist ein denkbar gefährliches Umfeld. Allein die ganzen Zirkelleute, die Rache an uns geschworen haben.“ „Seth würde mich beschützen.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher.“ Yugi seufzte und schubste die Eiswürfel in seiner Cola nach unten. „Liebling, die Idee gefällt mir nicht besonders.“ „Das habe ich mir gedacht, aber bitte überlege es dir. Ich weiß, dass ich manchmal austicke und Dinge tue, die ich hinterher bereue. Ich weiß auch, dass ich manchmal einige Sachen nicht so schnell schnalle und auch, dass ich naiv bin. Aber ich glaube, dass es gut wäre, wenn ich eine Weile zu Seth ginge. Wenn er uns das nächste Mal begegnet, könnte er mich mitnehmen. Mokeph hat mir erzählt, dass Seth ihm schon angeboten hatte, ihn mitzunehmen. Vielleicht braucht er jemanden, dem er vertrauen kann. Jemanden, mit dem er reden kann. Ich bin es ihm einfach schuldig.“ „Es geht doch nicht um Schuld. Ich will nicht, dass dir etwas passiert, was … was nicht gut für dich ist.“ „Aber ich könnte Klarheit gewinnen. Und ich sehne mich nach Seth. Ich brauche ihn. Ich brauche ihn als mein Spiegelbild. Ich brauche seine Nähe. Kannst du mir nicht ein bisschen mehr vertrauen? Ich komme doch zurück zu dir und kann dir dann berichten. Ich tue ja nichts ohne dich. Ich will nur bei Seth sein und mir seine Gedankenwelt ansehen. Er würde dasselbe für mich tun. Ich … bitte Yugi. Bitte gib deine Erlaubnis.“ „Ich denke darüber nach“ beschloss er und reichte ihm seine Hände bis über den Tisch. „Liebling, sieh mich an.“ Er wartete bis Seto seine Tasse abgestellt und die Hände gegriffen hatte. Und bis er ihm endlich in die Augen blickte. „Ich denke darüber nach und ich bespreche es mit Yami. Wenn ich zu einer Entscheidung gekommen bin, sage ich es dir. In Ordnung?“ „Du sagst also nicht nein.“ „Ich sage, ich denke darüber nach.“ „Also ja.“ „Seto, das ist keine Entscheidung wie Sahnetorte zum Abendbrot. Das ist wichtig und sensibel. Ich denke darüber nach. Ich habe deine Argumente und deinen Wunsch verstanden. Und jetzt musst du mir vertrauen, dass ich die richtige Entscheidung treffe, okay?“ „Bitte sag nicht nein. Ich brauche Seth.“ „Ich wäge es ab. Und bis dahin versuche, dich mit anderen Dingen zu beschäftigen und vor allem, deine Magie und deine fünf Sinne zusammenzuhalten. Ja?“ „In Ordnung. Ich warte auf deine Entscheidung.“ Auch wenn er sich eine schnellere Zusage erhofft hatte. Er hatte es nicht erwartet, aber gehofft. Hoffentlich würde Yugi zu seinen Gunsten entscheiden. Jetzt lag es in seiner Hand. „Ich glaube, unser Futter kommt.“ Er ließ Seto los als die junge Frau mit einem großen Tablett zu ihnen zurückkam. Zuerst stellte sie Yugi seine Weißweinschorle hin. Sie war wirklich kühl und das Kondenswasser lief den Stiel hinab. „Ich möchte mich nochmals bei Ihnen entschuldigen, Mr. Muto“ bat sie und stellte auch den Lachs und den Gemüseauflauf zu beiden, reichte ihnen das Geschirr an. „Mir ist die Sache sehr peinlich.“ „Schon gut.“ Mehr Vergebung konnte er sich jedoch nicht herausquetschen. Es wäre ihm lieber gewesen, sie hätte nicht nochmals davon angefangen. Aber es kam noch mehr. Aus derselben Tür tappelte eine alte Dame heraus und auf ihren Tisch zu. Sie trug eine altmodische Seidenbluse mit übertrieben kleinem, blauen Karomuster, eine schwarze Strumpfhose und einen braunen Faltenrock. Ihre dunkelgrauen Haare waren zu einer Turmfrisur hochgesteckt und ihr Lippenstift einen Tick zu rot. Eine Urgroßmutter wie einem dieser kitschigen Heimatfilme entsprungen. „Guten Abend, Mr. Muto.“ Sie deutete einen Knicks an und faltete die Hände vor dem Bauch. „Ich bin Trudi Menasson. Die Besitzerin des Cafés Trudi. Ich möchte mich nochmals persönlich für das unbedachte Verhalten Ihrer Bedienung entschuldigen. Es ist nicht unsere Art, unsere Gäste zu pikieren.“ „Ist schon gut. Die Sache ist geklärt“ nickte er der jungen Frau zu, welche neben der alten Dame in sich zusammensank. „Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr. Muto. Dennoch möchte ich Sie heute zu uns einladen. Ihre Speisen und Getränke gehen selbstverständlich aufs Haus. Bitte suchen Sie sich auch noch einen Nachtisch aus und probieren Sie unsere kleine, aber feine Getränkekarte.“ „Die Sachen werden ihr aber nicht vom Lohn abgezogen, oder?“ Das fände er jetzt trotz allem etwas übertrieben. So böse war er ja nun auch nicht, dass die ohnehin schon schuldbewusste Kellnerin sein Essen bezahlen sollte. „Aber nein. Gerti ist meine Enkelin“ erklärte Sie und formte ein fürsorgliches Lächeln mit ihren roten Lippen. „Sie hilft mir freiwillig während der Semesterferien. Sie bekommt dafür also keinen richtigen Lohn. Sie soll mein Café später einmal übernehmen und deshalb ist es mir sehr wichtig, dass sie den richtigen Umgang mit unseren Gästen lernt.“ „Es ist schon in Ordnung“ bat Yugi. Seto stocherte schon in seinem Auflauf und wollte offensichtlich endlich anfangen. „Wäre ich so jung wie ich aussehe, hätte mich die persönliche Ansprache sicher gefreut.“ „Zu viel Engagement kann aber auch störend sein. Deshalb möchte ich Sie auch nicht lange aufhalten und Ihnen nochmals unsere Entschuldigung überbringen. Bitte genießen Sie heute freie Kost und wenn Sie sonst noch einen Wunsch haben, sagen Sie uns bitte bescheid.“ „Ja, vielleicht gibt es da noch etwas“ fiel ihm sofort ein und wies hinüber. „Die hübsche Porzellantasse. Dürfen wir die mitnehmen?“ „Die Kuhtasse?“ freute sich Seto schon und drehte das spießige Kuhbild in seine Richtung. „Natürlich. Davon haben wir genügend“ lachte die alte Dame. „Ich habe gehört, Sie haben gesagt, Sie hätten Kinder. Wenn Sie erlauben, würde ich ihnen gern eines unserer Sechsersets mitgeben. Dann haben Sie den ganzen Bauernhof beisammen.“ „Es gibt noch mehr davon?“ staunte Seto. „Aber ja. Es gibt die Tasse mit der Kuh, eine mit einem Schwein, einem Huhn mit einem Küken, einem Pferd, einer Katze und einer Ziege. Die Kanne dazu ist ein Heuwagen und der Zuckertopf ist ein Sack mit Korn. Dieses Porzellan ist bei vielen Kindern sehr beliebt.“ „Aber Kinder trinken doch keinen Kaffee.“ Jetzt war Seto unbegeistert. Musste sie so herausheben, dass das eigentlich etwas für Kinder war? „Eigentlich servieren wir darin nur warme Getränke für die kleineren Gäste. Kaffee servieren wir mit Kännchen. Da muss uns ein Fehler unterlaufen sein.“ „Tut mir leid, Oma. Ich hab’s einfach aus dem Schrank genommen“ entschuldigte ihre Enkelin sich. „Ich bringe Ihnen gern einen neuen Kaffee.“ „Nein, jetzt will ich nicht mehr.“ Jetzt war Seto mucksch. Und die Kuh war plötzlich auch doof. „Bitte packen Sie das Kinderporzellan ein. Ich bezahle es auch“ bat Yugi dennoch mit einem Lächeln. Zuhause würde Seto sich nämlich doch darüber freuen und sich wünschen, er hätte es nicht ausgeschlagen. So hatte der ganze Ärger doch noch etwas Gutes. Chapter 33 Es war eine entspannte Abendrunde. Hannes veranstaltete heute einen Büffetabend und so standen viele verschiedene Speisen auf dem Programm. Er hatte an der Hochschule einen Wochenendkurs für vegetarische Küche belegt und um das Gelernte gleich anzuwenden, präsentierte er heute eine Kostprobe verschiedener Gerichte. Und seine Dauergäste waren natürlich äußerst freiwillige Tester. Besonders Seto und Sareth waren erfreut, dass Hannes sich auf dem Gebiet weiterbildete. So bestand die vegetarische Kost nicht immer nur aus Gemüseauflauf, Eintopf oder Beilagentellern mit Soja oder Tofu. Und auch wenn Seto schon gegessen hatte, ließ er Hannes nicht im Stich und aß zum zweiten Male am heutigen Tage warm. So wenig wie ihn sein Hungergefühl störte, störte ihn auch sein Völlegefühl. Er konnte hungern und sich überfressen - ein kleines Sorgenkind. Es hätte alles so schön sein können. Seto hatte seine neue Kuhtasse mit Scheunenuntertasse in Gebrauch und den Rest an die anderen Kinder verteilt. Dante bekam natürlich die Katzentasse. Tato wollte die Schweinetasse haben und Nini die mit dem Pferd. Risa verzichtete freiwillig und überließ Feli die Tasse mit dem Huhn und dem Küken und nahm selbst die mit der Ziege. Allein das neue Service rechtfertigte eine vegetarische Feier. Wenn Sethos könnte, würde er sicher mitfeiern … wenn auch schweigend irgendwo am Rande mit einem Gameboy beschäftigt. Doch so packte Balthasar nur etwas zum Essen zusammen, für Sethos die Hälfte des Rührkuchens und brauste wieder davon, bevor er Tato oder Phoenix über den Weg lief. Mit den beiden wollte er noch immer nichts zu tun haben. Und Tato war zu stolz, um weiter zu Kreuze zu kriechen. Er suchte das Gespräch, aber er drängte sich nicht auf. Und Phoenix stand an seiner Seite. Er wollte gern mit Balthasar sprechen, doch der ignorierte ihn nun so wie es ihm selbst lange Zeit ergangen war. Davon abgesehen war die Stimmung ruhig und beschwingt, die Kinder gingen anstandslos zu Bett und die Erwachsenen saßen auch bei Sonnenuntergang noch putzmunter zusammen. Solche Sommerabende hatten einfach ihre eigene Magie. Aber selbst an diesem vergleichsweise heiteren Abend, kam das Highlight in unverhoffter Form. Als die Tür aufging und einen neuen Gast hereinließ, schwante Tristan und Joey eine filmreife Szene. Die ersten Gäste drehten schon ihre Köpfe und die Frauenrunde am Nachbartisch begann das Tuscheln. Tjergen war ein Blickfang. Er war es gewohnt, einen Raum mit seiner Anwesenheit zu füllen und er war es auch gewohnt, angesehen zu werden. Er legte es ja darauf an. Mit braunen Lederstiefeln bis zum Knie und einer engen, beigen Jeanshose auf welcher sich nicht eine Falte abzeichnete - also keine Unterwäsche - verriet er sowohl elegante als auch schmutzige Absichten. Das kupferbraune Sommerhemd mit goldenen Rosenranken bestickt und sein langes Haar zu einem glatten, breiten Zopf geflochten. Seine dunklen, funkelnden Augen von einem Hauch goldenen Kajal umrandet. An den Handgelenken eleganten Goldschmuck und eine feine Uhr mit Lederarmband. Wenn der Herbst einen Engel hatte, sah er genau so aus. Doch wer ihn kennenlernte, merkte schnell - er war kein Engel, das war sein Job. Und wäre er kein Model, würde er als Edelnutte durchgehen. Doch dass er mit einem verlockenden Lächeln direkt zu Noahs Tisch schwebte, war mehr als ein Job. Das war mutig, denn Mokuba saß direkt daneben und erdolchte den Eindringlich bereits mit einem nachtschwarzen Blick. Jetzt musste Noah sich etwas einfallen lassen, wie er sowohl seinem Model, als auch seinem Geliebten nicht vor den Kopf stieß. Also blickte er Mokuba besser nicht an, dessen Gedanken konnte er sich auch so ausmalen. Stattdessen stand er auf, bevor die beiden sich zu nahe kamen. „Ich habe geahnt, dass du hier bist, mein Lieber“ sandte Tjeren seinen Gruß voraus und streckte Noah die Hände entgegen wie man es bei einem nahen Freund täte. „Dafür überrascht mich dein Besuch“ erwiderte der, musste seine Hände entgegen nehmen und ihn mit zwei Wangenküssen begrüßen. „Ich hoffe doch, du bist nur positiv überrascht.“ Er strahlte ihn hell und breit an, doch seine Augen verrieten immer dasselbe. Eine falsche Äußerung und Noah würde ihm zum Opfer fallen. „Natürlich. Ich freue mich immer, dich zu sehen, Terry.“ „Ähem!“ Mokuba räusperte laut und erhob sich. Er legte die Serviette zur Seite und nahm seinen Platz neben Noah ein, bevor er den Schönling fixierte. „Ich glaube, wir wurden uns noch nicht vorgestellt. Noah?“ Und der durfte sich jetzt keine Blöße geben, sonst verlor er seine Autorität auf beiden Seiten. „Dann ist das doch jetzt die Gelegenheit.“ Er legte seine Hand an Mokubas Rücken und machte mit der anderen eine offene Geste. „Moki, das ist Tjergen Marnens. Sein Künstlername ist Terry Manison. Er ist Model und das hoffentlich neue Gesicht unserer Eros-Metroline.“ „Hm“ machte Mokuba darauf. Eigentlich interessierte ihn nicht, was der Typ tat, sondern was er von s e i n e m Noah wollte. „Terry, und das ist mein Lebenspartner. Mokuba Kaiba.“ „Habe ich mir schon fast gedacht. Nett, dich mal zu sehen“ erwiderte das Model weniger misstrauisch und streckte ihm die Hand hin, welche Mokuba fast ergriffen hätte, wenn nicht darauf gefolgt wäre: „Schön, dass dir mein Stil offensichtlich so gut gefällt.“ „Bitte?“ Er schlug die Hand aus und allen war klar: Der Zickenkrieg war hiermit offiziell eröffnet. Es war abzusehen, dass sich die beiden behakeln würden, doch dass es ohne Umscheife zur Sache ging, überraschte. „Was soll das heißen?“ „Mein Management verfolgt die Trends der Highsociety sehr genau, aber bisher waren deine Auftritte ja ganz annehmbar. Bis auf dass ich es vermieden habe, dir auf dem roten Teppich zu begegnen. Ich hoffe, du verzeihst mir.“ „Was bitte soll das denn heißen?“ „Nun ja, das fällt doch ins Auge.“ Er wies an Mokuba hinauf und hinunter und setzte ein provokant freundliches Lächeln auf. Wenn die beiden direkt voreinander standen, stach ihre Ähnlichkeit noch deutlicher heraus. Beide besaßen die gleiche Statur, wobei Mokuba nur ein paar Zentimeter größer war. Doch im Grunde wären sie leicht zu verwechseln. Die gleiche Frisur, die gleichen Augen, der gleiche Körper, derselbe Stil. Tjergen war ein Herbstengel in Brauntönen, Mokuba eine Elster in schwarz und weiß. Beide glichen sich als wären sie aus demselben Guss, nur unterschiedlich gefärbt. Und dass sie beide dieselben Ansprüche an einen bestimmten Mann hegten, wurde auch schnell klar. „Nein, mir fällt nichts ins Auge“ erwiderte Mokuba und stemmte die Hände in den Rücken. „Was versuchst du mir zu sagen?“ „Oh, verstehe das nicht falsch. Ich freue mich“ betonte er übertrieben gönnerhaft. „Es gibt viele, die mich kopieren, wenn auch selten jemand so gelungen wie du. Ich wollte es dir bisher nur nicht zumuten, dir öffentlich die Show zu stehlen.“ „Ich habe es nicht nötig, jemanden zu kopieren. Ich bin so wie ich bin.“ „Doch auch erst seit kurzer Zeit.“ Er streichelte den Riemen seiner braunen Ledertasche und belastete den Stand lässig auf ein Bein. „Ich habe mir den Vergleich angesehen zwischen deinen früheren Fotos und zu jetzt. Na ja, fast jeder braucht etwas Zeit und Hilfe, um seinen Stil zu finden und mein Stil steht dir wirklich besser als dein früherer Rumpelkammerlook. Ich freue mich, wenn sich die Leute von mir inspirieren lassen. Und es ist schön, dass Noah sich nicht länger schämen muss.“ „Also, ich …“ „Da muss ich dich enttäuschen.“ Mokuba ließ Noah nicht zu Wort kommen. Der war hiermit raus aus dem Spiel und saß als Zuschauer auf der Tribüne. „Den Stil hat ein Freund von mir für mich ausgearbeitet. Das hast d u leider keine Rolle bei gespielt. Also noch mal für die Langsamen unter uns: Ich habe ich es nicht nötig, jemanden zu kopieren. Ich bin so wie ich bin.“ „Das ist schön für dich, wenn du das denkst, Moki.“ „Ja, nicht wahr? Ich muss mich nicht verbiegen und mein Geld damit verdienen, mich von fremden Leuten angaffen zu lassen. Von Prostitution halte ich nämlich nicht viel, aber jeder eben wie er kann, nicht wahr?“ Tja, sich mit Mokuba anzulegen, war eben kein Ausflug ins Disneyland. „Und du darfst mich übrigens Kaiba nennen. Moki ist nur den Leuten vorbehalten, die ich mag. Nichts für ungut.“ „Wie du meinst, da lege ich keinen gesteigerten Wert drauf. Und das mit dem Geld ist tatsächlich so eine Sache. Menschen wie ich arbeiten dafür, Menschen wie du … nun ja, nichts für ungut.“ Die taten sich beide nicht viel. Es gab wenige Leute, die an Mokubas Gehässigkeit heranreichten, aber hier war eines der seltenen Exemplare aufgetaucht. Wäre es nicht so traurig, könnte man glatt Wetten abschließen, ob Mokubas Gehässigkeit auch dieses Mal reichte, um den Konkurrenten zu vergraulen. „Menschen wie ich tun deiner Meinung nach was genau für Geld, Fashion Victim?“ bohrte er nochmals nach und verfestigte seinen Stand. „Sprich deine Sätze bitte ruhig zu Ende, Bitch.“ Auch wenn Noah vielleicht intervenieren sollte, so stand er doch nur daneben und besah sich die Sache. Er wusste nicht weshalb, doch irgendwie mochte er den Ausdruck in Mokubas Augen, wenn er seine Ansprüche verteidigte. Er liebte es, wenn er um sich biss - solange er nur Noah nicht anzickte. Normalerweise stellte er sich dazwischen, wenn sein Schatz eifersüchtig wurde, doch Tjergen war kein hilfloses Opfer, sondern selbst mit scharfer Zunge ausgerüstet. Wahrscheinlich fand der es sogar erheiternd, Mokuba zu reizen. Also warum sollte die Sache nicht erst mal laufen? Dazwischenfunken konnte man ja immer noch. Und Tjergen lächelte nur, ignorierte Mokuba und öffnete seine Tasche, zog eine silbergraue Mappe heraus, auf welcher das stolze KC-Logo prangte. „Noah, ich würde dich dann gern an das versprochene Glas Wein erinnern.“ Er ging den letzten Schritt auf ihn zu und legte ihm liebevoll die Mappe an die Brust, während er mit der anderen Hand die Schulter streichelte. „Ich bin hier, um dir den Vertrag persönlich zu überbringen. Ich habe unterschrieben und erwarte, dass wir das nun feiern.“ „Du hast unterschrieben?“ Das kontrollierte er lieber. Ebenso wie er lieber etwas Abstand schuf und einen Schritt seitwärst trat, bevor er noch den wutkochenden Mokuba wachrempelte. Er blätterte die Mappe auf und besah sich drei mit Klebezetteln markierte Seiten. „Tatsächlich. Du nimmst mir einen Stein vom Herzen.“ „Tatsächlich? Du bist ja süß. Ich wusste gar nicht, dass ich dir bereits am Herzen liege.“ Er zwinkerte ihn an schob spielerisch seine Unterlippe vor. Bei Noah war er natürlich gaaaaaaanz brav. Und dass sich die Vertragsverhandlungen so dermaßen in die Länge gezogen hatten, war natürlich reeeeiiiiiin geschäftlich. „Ich hatte befürchtet, dein Manager hätte noch mehr Forderungen. Aber wenn die Sache jetzt unterzeichnet ist, kann ich wieder ruhig schlafen.“ „Ich werde nur noch die bereits zugesagten Shootings machen und mich dann ganz der Kaiba Corp. und meinem neuen Boss widmen. Versprochen.“ Er holte ihn wieder ein, berührte mit deutlichen Absichten seine Hüfte und hauchte im perfekten Monroe-Stil: „Tut mir leid, dass du meinetwegen schlaflose Nächte hattest, Mr. President.“ Das rief Mokuba auf den Plan. Und zwar ganz schnell! „Um ihn brauchst du dir wirklich keine Sorgen machen, Marylin.“ Er drängelte Noah zurück und stellte sich schützend vor ihn. „Seine Nächte sind nicht deinetwegen schlaflos. Ganz sicher nicht. Glaube mir, ich weiß es.“ „Das glaube ich dir gern. Neben dir könnte ich auch nicht ruhig schlafen.“ Dazu noch ein abschätziger Blick und die Antipathie war perfekt. „Könntest und solltest du auch lieber nicht.“ Nein, neben Mokuba dürfte er kein Auge zu machen. Sonst wachte er vielleicht nicht wieder auf. „Keine Angst. Mein Augenmerk gilt eher Männern, die auf meinem Niveau liegen.“ Wobei er Noah einen gierigen Blick zuwarf. Es war ihm egal wie lange Mokuba nun schon sein Partner war und es war ihm auch egal, wie gemein er reden konnte. Er wollte an Noah ran und bisher hatte er wohl immer jeden bekommen, den er wollte. „Niveau?“ Mokuba blickte nun an ihm hinauf und hinab wie Tjergen es bereits bei ihm getan hatte. „Du hast zwar ein hübsches Äußeres, aber Niveau kann ich keines erkennen. Entschuldige, falls das jetzt unhöflich klang.“ „Keine Sorge, deine Worte perlen an mir ab.“ Er widmete sich wieder Mokuba und erwiderte den falschfreundlichen Blick. Die beiden konnten sich nicht riechen. Ein Wunder, dass sie sich noch nicht die Augen ausgekratzt hatten, doch die fliegenden Funken entzündeten gleich die Tischdecke. „Also, mir gefällt das hier nicht.“ Noah musste irgendetwas unternehmen. Mittlerweile verfolgte schon das ganze Restaurant diese schwule Szene. Die einen amüsierten sich, andere waren peinlich berührt, wieder andere machten Wetten. Er selbst fand das zwar interessant, aber Hannes verhagelte es das Geschäft. „Bitte zügelt euch beide etwas. Ihr habt gar keinen Grund, eure …“ „Halt dich da raus, Hase“ fuhr Mokuba ihm übers Maul und verschränkte lässig seine Arme. „Tjergen, ich will dich mal aufklären. Noah und ich sind seit über zehn Jahren ein glückliches Paar und du hast nicht die geringste Chance, ihm auf die ein oder andere Weise näher zu kommen. Also mach deinen Job, zieh dich aus und lass dich mit Hautcremes ablichten oder stakse in Mailand in Alienklamotten herum und lass dich von fetten, alten Säcken haushalten, aber sei so gut und geh uns nicht auf den Sack.“ „Du hast ja eine interessante Meinung von meinem Leben. Daran merkt man, dass du keine Ahnung hast, was Repräsentation bedeutet. Also lass mich dich aufklären, Süßer.“ Er hängte die Daumen in seine enge Hose und seine braunen Augen funkelten vor Erregung. Er genoss den Kampf. „Ich bin etwas realisitischer und suche mir meine Liebhaber aus. Und anstatt mich, wie du, haushalten zu lassen, arbeite ich für mein Vermögen. Also bleib du dabei und rühme dich mit deinem Nachnamen. Gib das Geld aus, welches andere für dich verdienen und spiel die Beziehungsnutte für deinen Gönner. Aber tu der Welt einen Gefallen und gib nicht auch noch damit an.“ „Du bist ein ganz armes Würstchen. Weißt du das eigentlich? Du tust mir leid.“ Auch wenn Mokuba nicht einen Hauch von Mitleid zeigte. „Du baggerst vergeblich. Noah interessiert sich nicht einen Deut für dich und du merkst es nicht mal.“ „Das sah in den letzten Tagen anders aus“ entgegnete er mit einem Seitenblick auf Noah. Der öffnete zwar den Mund, aber wurde jedes Mal wieder unterbrochen. „Für dich wahrscheinlich. Du merkst es doch gar nicht, wie du dich anbiederst. Noah wird mich nicht für einen wie dich verlassen. Nicht mal für einen schnellen Fick auf’m Bahnhofsklo oder wo du es sonst so mit deinen Freiern treibst. Also träume weiter von m e i n e m Traummann und mach’s dir selbst.“ „Sorry, du spielst hier leider keine Rolle.“ Er legte die Schultern zurück und trat in einen aktiven, aber noch recht entspannten Stand. „Im Gegensatz zu dir bin ich weltgewandt, erfahren und sehr strebsam. Ich kann mich auf internationalem Parkett bewegen, ohne mich zu blamieren. Noah und ich spielen auf einer Ebene miteinander, die ein kleiner Junge mit einem Schandmaul wie deinem gar nicht verstehen kann.“ Mokuba trat ganz dicht zu ihm und machte sich groß, löste jedoch nicht seine kräftig vor der Brust liegenden Arme. „Erstens bin ich größer als du und soweit ich weiß auch ein Jahr älter. Wer ist hier bitte der kleine Junge?“ „Moki, bitte.“ Noah versuchte, zu intervenieren, doch die beiden würden nicht damit aufhören bis einer die Schlacht gewonnen hatte. Und dass Seto daneben saß und sich das betrachtete wie alle anderen am Tisch auch, half nicht weiter. Das hier war zwar Noahs Problem, doch zwei von der Sorte wuchsen ihm über den Kopf. „Äußerlich ist an dir nichts auszusetzen, dafür siehst du mir zu ähnlich. Aber klein bist du im Kopf.“ Tjergen lächelte ihm frech ins Gesicht und seufzte herablassend. „Weißt du, Süßer, es gibt zwei, vielleicht drei Arten von Menschen. Ich will es dir mit einem Sinnbild verdeutlichen.“ „Nur zu.“ „Noah ist eine Königin. Er hat eine natürliche Anziehungskraft und weiß wie man niedere Geschöpfen für sich einspannt und hoch über ihnen, über den Dingen steht. Er ist eine geborene Königin, genau wie ich eine bin. Dann gibt es eine Unmenge von gewöhnlichen Arbeiterinnen. Das ist der Großteil der Menschheit. Sie tun alles, um einer Königin nahe sein zu dürfen, um ihr zu dienen und sie anzubeten. Und dann“ betonte er mit einer wegwerfenden Geste, „dann gibt es noch das Krabbelgetier außerhalb des Stocks. Primitives Leben, das keine Ahnung hat um die Ehre, auf derselben Wiese wuseln zu dürfen. Noah und ich, wir sind Königinnen in unserem Stock. Und du, nun ja, du bist im besten Falle ein Mitglied des Kriechgetiers, das von unten raufglotzt und denkt, es wäre von derselben Gattung, nur weil ab und zu etwas Honig auf es herabtropft.“ „Boah!“ Das entwich Joeys Mund, doch alle dachten dasselbe. Das war so ziemlich das Härteste, was Mokuba sich jemals hatte anhören müssen. „Du siehst also, ich brauche keine eheähnliche Lebensgemeinschaft, um mit Noah verbunden zu sein. Denn wir sind von Natur aus einander nahegestellt. Nur eine Königin kann eine andere verstehen.“ „Also, Tjergen. Bitte höre mal“ bat Noah, doch Mokuba streckte den Arm aus und hinderte ihm am Weitergehen. Das regelte er alleine. Und das sicher nicht so diplomatisch wie Noah es tun wollte. „Sagst mir, ich sei nicht erfahren und hast selbst keine Ahnung. Du hast eine wichtige Gruppe vergessen. Kann daran liegen, dass du solche Menschen in deinem Leben nicht kennst“ lächelte Mokuba und hatte die Beleidigung besser weggesteckt als erwartet. Oberflächlich jedenfalls. Jetzt holte er zum Konter aus. „Da gibt es noch die Drohnen. Die Drohnen sind nicht nur die unangefochtenen Liebhaber ihrer Königin, sondern verteidigen den Stock auch gegen Eindringlinge. Und besonders fremde Königinnen sollten sich vor ihren Stacheln fürchten.“ „Du meinst, ich soll mich vor deinem Stachel fürchten?“ Er hob ein Lachen an, legte den Kopf zurück und lachte ihn aus. Dann seufzte er und wischte sich eine imaginäre Träne vom Kajalstrich, während er mit offenen Lippen weiterlächelte. „Moki, du bist süß. Wenn’s ums Stechen geht, habe ich weit mehr Königinnen auf weit mehr Wiesen gestochen als du.“ „Die Kunst liegt darin, die Königin nicht zu stechen, sondern sich auf die richtige Art und Weise stechen zu lassen, wenn du das Wortspiel verstehst. Und meine Königin wird sich ganz sicher nicht auf fremden Wiesen umsehen.“ „Ach? Glaubst du das?“ Tjergen blickte an ihm herab und blieb spöttisch auf seiner Körpermitte hängen. „Nun, mit deinem kleinen Stachel … wahrscheinlich fehlt dir die Vergleichsmöglichkeit. Manchmal sehnen sich die Königinnen nach ebenbürtigen Partnerinnen zum Stechen UND Gestochenwerden. Wenn du das Wortspiel verstehst.“ „Langsam wird mir das zu blöd.“ Jetzt wurde Mokuba sogar rot auf den Wangen und die Wut sprang ihm aus seinen nachtfunkelnden Augen. Und Noah verbot er mit einer Geste nochmals das Sprechen. „Verpiss dich, Flittchen. Sonst bekommst du gleich einen Stachel zu spüren, den du noch nicht kanntest.“ „Du nimmst mein Sinnbild ja wirklich sehr ernst“ schmunzelte er. „Mag sein, dass du dich stark fühlst, aber irgendwann wird Noah sich jemanden nehmen, der ihm ebenbürtig ist und mit dem er sich in der Öffentlichkeit zeigen kann. Jemanden, der in sein öffentliches Leben passt. Jemanden wie mich. Und nicht einen naiven, minderbemittelten, mitleiderregenden Waisenjungen wie dich.“ „Halt die Schnauze, du Nutte! Du weißt gar nichts von meiner Familie!“ „Und du weißt nicht, wo dein Platz ist. Dein Glück, dass du einen großen Bruder hast, der sich den richtigen Adoptivnamen gesucht und dich mitgenommen hat. Ohne den guten Namen Kaiba säßet ihr beide auf der Straße. Du armer, kleiner, heimatloser Prolet mit Schandmaul.“ „Pass auf, was du sagst!“ „Letztlich bist du in Noahs Leben doch nicht mehr als ein Mitleidsakt. Traurig, dass du das nicht erkennst.“ „Tjergen!“ Jetzt wurde Noah trotz Redeverbot deutlich. „Das geht zu weit. Stopp das.“ Mokuba zitterte am ganzen Körper und vor Wut fiel ihm für drei Sekunden keine Antwort auf Tjergens freches Grinsen ein. Doch dann änderte sich seine Stimmung plötzlich. Er entspannte sich und überblickte den kurzen Abstand zu dem Model mit einem gönnerhaften Lächeln. Er war für einen Augenblick so relaxt, dass es selbst Noah die Sprache verschlug. „Heeyy“ grinste Mokuba und wandte sich halb ab. Doch dann blitzte es in seinen schwarzen Augen, er ballte die Faust, schoss herum und traf den anderen mitten ins Gesicht. Auf ein Knacken folgte ein schmerzlicher Aufschrei des Getroffenen. Tjergen drehte sich fast um sich selbst, bevor er auf den Fußboden fiel und sich die Hände vors Gesicht hielt. Sofort spritzte das Blut zwischen den Fingern hindurch und besprenkelte den Holzboden. „MEINE NASE! OH GOTT, MEINE NASE!“ schrie er und kämpfte sich auf die Knie. „Mokuba!“ Noah wusste nicht, von wem er nun mehr geschockt war. Von Tjergens verbalen Tiefschlag oder von Mokubas rechtem Haken. Auf jeden Fall kniete er sich instinktiv zu dem Verletzten hinab und hielt ihn an den Schultern fest, damit er aufrecht sitzen konnte. Selbst die anderen zuckten auf ihren Plätzen und waren zum Teil aufgesprungen, um dazwischen zu gehen. Doch Mokuba grinste selbstzufrieden und bewegte prüfend seine Hand, betrachtete seine erfolgreichen Knöchel. Ein Schlag reichte ihm schon. „In den Filmen tut das immer weh, aber so eine Nase ist weicher als man denkt.“ „MEINE NASE! SPINNST DU? DU HAST MIR DIE NASE GEBROCHEN!“ schrie er außer sich und versuchte ihn anzusehen. Noahs Hilfeversuch war ihm in diesem Moment egal. „Pech. Da ist die Königin von der Drohne wohl aus dem Stock gestochen worden.“ „Oh Gott … meine Nase …“ Der Schock lähmte ihn und seine Augen suchten schwindelig nach einem Anhaltspunkt. „Mein Gesicht … meine Nase …“ „Hey, ganz ruhig. Nicht zu fest draufdrücken“ versuchte Noah zu helfen und legte den Arm um ihn. „Kann mal jemand einen Arzt rufen?! Hannes!“ Der hing schon am Telefon und telefonierte einen Krankenwagen herbei. Noah konnte die gefallene Königin noch festhalten, bevor Tjergen in seinen Armen zusammensackte und das Bewusstsein verlor. Nicht nur der Schock, sondern auch der plötzliche Blutverlust waren zu viel. „Mokuba! Du kannst ihm doch nicht Nase brechen. Tickst du noch richtig?“ „Er hat es herausgefordert“ erwiderte er zufrieden und küsste seine Faust. „Niemand hat das Recht, so über meine Familie zu sprechen.“ „Und du hast nicht das Recht, ihm sein Leben kaputt zu machen. Mit einer schiefen Nase, ist seine Karriere beendet.“ „Ach, die Ärzte flicken das schon wieder hin. Eine Schönheits-OP mehr oder weniger fällt bei dem auch nicht mehr auf. Und wenn du denkst, ich mache ihn wieder heil, kannst du das vergessen.“ Unberührt nahm er die Zigaretten vom Tisch und drehte sich um. „Ich bin dann oben, wenn noch was sein sollte.“ Und so ging er beschwingt die Treppe hinauf und machte sich aus dem Staub. Noah hatte zwar keine Szene bekommen, aber dafür mal die Erfahrung, was passierte, wenn man Mokuba machen ließ. „Hätte nicht gedacht, dass er so einen Schlag hat“ urteilte Tato nüchtern, während Mokeph trotz seiner Verbundenheit zu seinem Hikari nach Tjergen sah und wenigstens die starke Blutung zum Stillstand brachte. Bis die Sanitäter vor Ort waren und ihn ins Krankenhaus brachten. Chapter 34 Seto klopfte nur kurz an der Tür, bevor er sich selbst hereinließ. Mokuba saß auf der Fensterbank, qualmte hinaus und streichelte Happy Birthday, welche es sich schnurrend auf seinem Schneidersitz gemütlich gemacht hatte. „Bitte leise mit der Tür, Danti schläft“ sagte er und aschte in den Aschenbecher. „Die Klinke klemmt.“ Seto schloss also leise hinter sich und hörte an dem Knacken, dass die Klinke sonst lauter einrasten würde. Er trat näher und setzte sich auf die Fensterbank, Mokuba gegenüber zu dessen Füßen. Sofort flatterte Lady auf den Baum davor und sah den beiden beim Sitzen zu. So blieben sie einige Momente still und sahen, dass bereits ein Krankenwagen in der Auffahrt parkte und zwei Sanitäter ins Restaurant huschten. „Ich weiß, ich hätte ihn vor dir nicht schlagen sollen“ begann Mokuba und zog ruhig an seiner Zigarette. Er wusste, dass Seto beklemmende Gefühle bekam, wenn er körperliche Gewalt sah. „Tut mir leid, dass du das sehen musstest.“ „Nein, er hatte ne Schelle verdient.“ „Bitte?“ Er machte runde Augen und sah seinen großen Bruder verwundert an. „Du findest, das war in Ordnung?“ „Zum Teil. Er hat sich wirklich zu viel rausgenommen.“ „Finde ich auch“ nickte Mokuba entschlossen. „Keiner redet so über meine Familie. Er hat’s wirklich nicht anders verdient.“ „Aber nur zum Teil“ wiederholte Seto und strich Happy Birthdays Rücken. „Ich musste mich erst beruhigen bis ich dir nachgehen konnte. Du hast mich ziemlich geschockt.“ „Also doch. Tut mir leid, Seto.“ Er nahm seine Hand und drückte sie. „Ich weiß, dass du so etwas nicht sehen kannst. Tut mir leid, dass ich nicht an dich gedacht habe.“ „Nein, darum geht es nicht.“ Er entzog ihm seine Hand und schon flatterte Lady herüber, landete auf dem Fenstersims und kletterte seinen Arm hinauf, um ihm beizustehen. Auch Mokuba sah, dass in Setos eisblauen Augen etwas unsicheres lag. Er mochte diesen Blick nicht. „Tut mir leid, Seto. Ich konnte nicht anders … du hast doch selbst gesagt, er hat’s verdient. Aber ich … tut mir leid, dass du dabei warst.“ „Es ist nicht der Faustschlag, der mich erschreckt hat.“ Er blickte aus dem Fenster und auf die schaulustigen Passanten, die sich den Krankenwagen besahen. „Es hat mich erschrocken, dass du dich dabei so gut gefühlt hast.“ „Ich …“ Im ersten Moment verstand er das nicht. Seto bekam Panikattacken, wenn er auch nur einen Boxkampf im Fernsehen sah. Geschweige denn eine Prügelei auf der Straße. Und nun das. „Du hast Recht, niemand darf so über uns sprechen“ fuhr er mit gesenkter Stimme fort. „Mir ist auch schon die Hand ausgerutscht. Das kann passieren, wenn man nicht weiter weiß und sich schwach fühlt. Dass du ihn geschlagen hast, ist zwar nicht richtig, aber verständlich. Unverständlich ist mir jedoch, dass du dabei solch eine Genugtuung empfindest, andere zu verletzen.“ „Ich empfinde dabei keine Genugtuung. Ich bin Heiler. Ich verletze andere Menschen nicht gern.“ „Und doch habe ich gespürt, wie ein Hochgefühl in dir aufkam.“ Er blickte ihn an und forschte im Gesicht seines kleinen Bruders. „Du kannst mir nichts vormachen. Du hast dich gut dabei gefühlt. Zu hören wie seine Nase bricht und das Blut … du hast nicht mal ansatzweise Mitleid oder Schuld gefühlt.“ „Warum denn auch? Er ist ein Arschloch sondergleichen.“ „Und doch ist er ein Mensch und du hast ihm Schmerzen zugefügt.“ „Ja, aber …“ „Nein, es gibt kein Aber.“ Er zog seinen Kopf zurück als Lady ihn am Ohr knabberte. Das mochte er jetzt gerade nicht. Da tröstete sie eben weiter seine Haarspitzen. „Du hast ihn geschlagen, weil du nicht wusstest, wohin mit deiner Wut. Das war nicht richtig, aber noch zu rechtfertigen. Aber dass du dich danach so gut gefühlt hast, hatte nichts mehr mit Noah oder mit Wut zu tun. Du hast dich gut gefühlt, weil du ihm Schmerz zugefügt hast. Weil du Macht über ihn hattest. Es war dasselbe Gefühl, welches ich kenne.“ „Du meinst, du fühlst dich auch manchmal so?“ „Ja, schon oft.“ Doch in seinen Augen lag keinerlei Verbrüderung mit diesem Gefühl der Genugtuung. „Nur dass ich derjenige bin, der auf der anderen Seite steht.“ Mokuba sah ihm tief in die Augen und dachte nach, während er dieses kaltwarme Blau betrachtete. Doch erst als Seto seinen Blick abwandte, stellte sich allmählich Erkenntnis ein, was sein großer Bruder ihm schonungsvoll zu sagen versuchte. „Seto, du … was genau willst du sagen?“ „Du hattest denselben Blick wie sie“ hauchte er und verbarg sein Gesicht, indem er zum Fenster hinaussah. „Wenn sie es tat, hatte sie denselben Ausdruck wie du. Selbstzufrieden und besessen von Macht.“ „Wie kannst du so etwas sagen?“ Mokuba schmiss Happy Birthday von seinem Schoß und stand auf. Er lief ein Mal zur Badezimmertür und wieder zurück. „Wie kannst du so etwas sagen? Ich bin nicht wie sie! Wie kannst du das behaupten?“ „Leise, Dante schläft.“ „Wie kannst du mir so etwas unterstellen? Sieh mich gefälligst an.“ Er stützte sich auf Setos Knie und zwang ihn zu einem Augenkontakt. „Ich bin nicht wie sie und das weißt du. Wie kannst du nur an sie denken, wenn du über mich redest?“ „Hör auf, damit. Lass mich los.“ Mokuba fühlte wie Seto hart wurde und er sah wie er seine Schultern hochzog. Ein deutliches Zeichen dafür, dass er mit seinen Gefühlen kämpfte. „Tut mir leid.“ Also nahm er langsam die Hände weg und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Die schmeckte ihm nun auch nicht mehr. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht anschnauzen.“ „Schon gut.“ „Nein, es ist nicht gut. Mann, Seto.“ Er seufzte und verschränkte die Arme vor dem Bauch. „Ich habe eh schon genug Probleme mit meinem Spiegelbild. Ich will aber nicht, dass du sie siehst, wenn du mich ansiehst. Du als Letzter.“ „Aber du bist ihr sehr ähnlich. Du hast viel von ihr.“ „Trotzdem. Ich will nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden. Besonders nicht von dir. Ich hasse sie und das weißt du. Ich bin ein Heiler, ich studiere Medizin. Ich will den Menschen helfen und nicht … nicht wie sie sein.“ „Sie ist krank. Sie kann nichts dafür, dass sie so ist.“ „Das ist doch egal. Sie hatte kein Recht, das mit dir zu tun. Tjergen da unten, dieser arrogante Fatzke, der hat’s verdient. Der ist kein hilfloses Opfer im Gegensatz …“ „Sag’s ruhig. Im Gegensatz zu mir“ ergänzte er mit tonloser Stimme. „Mann, Seto. Ich liebe dich. Das weißt du.“ „Ich weiß.“ Er kraulte Ladys warme Brust und ihr sanftes Gurren wirkte tröstend. Sie beruhigte seine Nerven mehr als jedes Medikament. „Ich würde niemals Spaß daran finden, jemand hilflosem Gewalt anzutun.“ „Ob hilflos oder nicht ist egal. Dir ist die Hand ausgerutscht, weil du aufgebracht warst. Bis dahin verstehe ich es ja. Aber ich verstehe nicht, weshalb du danach so zufrieden warst. Und du kannst mir nicht sagen, du hättest kein Glücksgefühl empfunden.“ „Ja, vielleicht habe ich mich gut gefühlt. Aber nur weil er es verdient hatte. Er hat schlecht über uns geredet, ohne zu wissen, was wir erlebt haben. So etwas darf er sich nicht rausnehmen. Ich lasse mich weder von dir noch von Noah haushalten. Er hat doch keine Ahnung! Wie kann er sich so etwas rausnehmen?“ „Aber du sagst es doch. Er wusste nicht, wovon er spricht. Heute ist er es, der redet und dem du eine scheuerst. Morgen ist es jemand anderes und irgendwann hast du es nicht mehr unter Kontrolle.“ „Du weißt, dass ich nicht so bin wie sie. Ich raste nicht aus, nur weil mich jemand mal schief anguckt.“ „Tust du nicht?“ Seto blickte ihn vorsichtig an. Mokuba spürte, dass er das zu Recht sagte. Er hatte sein Temperament nicht immer unter Kontrolle und wenn man erst die eine Hemmschwelle, einen schlichten Faustschlag, überwunden hatte, war die nächste Schwelle nicht weit. Dennoch … „Seto, ich werde Dante niemals schlagen. Ich werde ihn nicht mal hart anfassen. Egal wie schlecht er sich benimmt. Ich kann niemandem, den ich liebe etwas antun.“ „Das sagst du heute. Mama war auch nicht immer so. Mama war früher auch lieb. Auch sie hatte Träume und gute Wünsche für ihre Familie.“ „Du tust mir weh, wenn du das sagst. Seto.“ Er kniete sich vor ihn und legte ihm behutsam die Hände auf die Knie. „Ich bin nicht wie sie.“ „Ich weiß. Sonst könnte ich auch nicht so mit dir sprechen.“ Er berührte Mokubas Hände, die ihm so warm vorkamen. „Wenn du wie sie wärst, würden dir meine Worte nichts bedeuten.“ „Aber das tun sie. Das weißt du.“ „Ich weiß. Und nur deshalb kann ich dich bitten.“ Er streichelte Mokubas Hände und betrachtete sie. So lange Finger und so feingliedrig. Genau wie ihre. „Bitte achte auf deine Aggression. Wenn du andere verletzt und dich dabei gut fühlst, dann stimmt etwas nicht. Ich weiß nicht wie es bei Mama damals anfing, aber irgendwann wurde sie krank und hatte es nicht mehr im Griff. Ich habe keine Angst vor dir, aber ich habe Angst um dich. Ich will nicht, dass du auch krank wirst.“ „Ich bin nicht wie sie“ wiederholte er nochmals. Auch wenn er die Sorge als berechtigt ansah. Seine neuen Leidenschaften mit Noah und dann das hier. Es passte zu gut zusammen. Auch wenn das Gefühl, welches er zu Noah empfand ein weitaus anderes war als das, was er gegen Tjergen hatte. „Ich weiß, ich bin nicht der Richtige das zu sagen, aber du musst dich dem stellen, was damals passiert ist. Du hast Dinge erlebt, die ein Kind nicht erleben sollte.“ „Seto. Bitte nicht darüber reden.“ „Lass mich dir das trotzdem sagen, ja?“ Er begegnete endlich wieder seinem Blick und wich nicht aus. „Du darfst dich aus Situationen in denen du dich hilflos oder gereizt fühlst, nicht mit Gewalt befreien. Heute ist es vielleicht jemand, der sich an Noah ranmacht und der es vielleicht sogar verdient hat. Aber du weißt nicht, wer es das nächste Mal ist und irgendwann trifft es jemanden, den du auch seelisch verletzt. Es tut mir leid, dass du damals alles mit ansehen musstest. Dass ich dich nicht davor beschützen konnte.“ „Du warst doch selbst noch ein Kind.“ „Trotzdem hätte ich auf dich aufpassen müssen. Und jetzt muss ich Verantwortung für das übernehmen, was du damals erlebt hast.“ „Unsinn, ich hätte DICH beschützen müssen!“ Er stand auf und schon wieder stieg dieses Gefühl in ihm hoch. Dieses hässliche, kaltbrennende Gefühl. „Ich habe doch gesehen, wie du … wie du auf dem Tisch lagst und sie … sie hat dich festgehalten und ich habe nichts getan, um dir zu helfen! Ich hätte reingehen können, ich hätte schreien können, ich hätte alles machen können, aber nicht einfach nur dastehen! Wäre unsere Nachbarin nicht gekommen, wer weiß ob du das überlebt hättest! Und ich stand einfach nur daneben! Ich werde nie wieder einfach so daneben stehen! Ich werde mir nie wieder etwas gefallen lassen oder zusehen wie jemand anderes …!“ „Aber deshalb darfst du nicht aggressiv werden“ sprach Seto wesentlich ruhiger. Er wusste, dass das alles tiefer in Mokuba lag als der es wahrhaben wollte. „Anfangs ist auch Mama nur die Hand ausgerutscht und es tat ihr leid. Ich will nicht sagen, dass du Dante irgendwann auf dem Tisch festhältst, aber du hast ein Problem mit deiner Hilflosigkeit und das hat sich heute nur verfestigt.“ „Glaubst du?“ „Ich weiß es nicht. Ich bin kein Psychologe“ antwortete er sanft. „Mokuba, ich bin nicht der einzige, der eine schlimme Kindheit hatte. Ich weiß, dass du dich nach deinem Schlag unglaublich gut gefühlt hast. Nur deshalb wühle ich das noch mal auf. Ich mache mir Sorgen und deshalb … Mokuba, bitte such dir jemanden, der dir hilft, das zu verarbeiten. Du schiebst das seit Jahren vor dir her, aber es wird nicht besser.“ „Du meinst also ich entwickle ein Aggressionsproblem?“ „Ich meine gar nichts. Ich weiß nur, dass du Sachen gesehen und gehört hast, die kein Kind so einfach wegsteckt. Und seit ein paar Minuten weiß ich, dass du in Situationen, in denen du dich hilflos fühlst und wenn keiner eingreift, dass du dann so reagierst wie du es damals gesehen hast. So wie ich in meiner Hilflosigkeit die Dinge einfach über mich ergehen lasse, so handfest wehrst du dich. Nur weiß ich, dass ich Probleme habe mit meinen Erlebnissen abzuschließen. Aber ich glaube … ich glaube, du solltest auch anfangen, an dir zu arbeiten. Nicht mir zuliebe und vielleicht nicht mal dir zuliebe. Aber für Dante.“ „Ich werde Dante niemals etwas tun. Niemals. Niemals.“ Er blickte zum Fenster und sah wie der Krankenwagen um die Ecke bog. Und Setos Worte bekamen langsam einen Sinn. Ja, er fühlte sich großartig als er Tjergen zum Schweigen brachte. Doch vielleicht war die Sache an sich nicht so großartig wie sie sich anfühlte. Sich zu wehren war okay, aber nicht okay war es, sich an dem Leid anderer zu freuen. Vielleicht hatte Seto Recht. Heute war sein Faustschlag vielleicht noch zu begründen, aber wäre er das morgen auch noch? Wenn Dante in seiner Unwissenheit ein Messer in die Hand nahm und Mokuba Angst um ihn bekam, war er wirklich so sicher, dass es keinen Klaps gab? Und wenn es einen Klaps gab wie weit weg war dann noch die Hemmschwelle zu einer Ohrfeige? Und wenn Dante sah wie Mokuba sich mit Schlägen gegen andere wehrte, würde er das nicht auch übernehmen? Würde er das falsche Verhalten nicht kopieren wie es jedes Kind tat? So wie Mokuba es unbewusst tat? „Ich weiß, dass du ein guter Vater bist und Dante über alles liebst“ sprach Seto langsam. „Aber Mama hat mich vielleicht auch mal lieb gehabt. Und vielleicht irgendwo ganz tief in sich drin hat sie mich vielleicht immer noch lieb und kann es nur nicht zeigen.“ „Hör auf. Ich will das nicht mehr hören“ bat Mokuba und kämpfte die Tränen zurück. „Mama hatte niemanden, der zwischen sie und ihre Wut getreten ist. Mama war alleine. Du bist das nicht. Und allein deshalb …“ „Seto, hör auf.“ Es wühlte ihn auf, wenn Seto so liebevoll über ein Monster wie sie redete. Ja, vielleicht war sie nicht immer böse und vielleicht war sie einsam, aber letztlich war sie ein Monster geworden. Eines, welches er hasste für all das, was sie ihren Kindern angetan hatte. Ihre Tochter hatte sie sterben lassen, ihren einen Sohn fast zu Tode gefoltert und ihrem dritten Kind nur falsche Liebe gegeben. Und ob er es nun wahrhaben wollte oder nicht - er war nun mal ihr Sohn. Und er wollte nicht sein wie sie. „Ich glaube nicht, dass ich irgendwann mal Hand an irgendjemanden legen werde … jedenfalls an niemanden, der es nicht verdient hat. Aber du bist mein großer Bruder und wenn du mich bittest, dass ich mal mit meinem Psychologen rede, dann tue ich das.“ „Mein Gewissen wäre auf jeden Fall ruhiger“ antwortete er und setzte eine Atempause. Mokuba kam es vor als wäre Seto nun etwas erleichtert. „Es tut mir leid, dass ich dich damals nicht davor beschützen konnte, dass du all das mitbekommst. Dein Leben hätte anders sein sollen.“ „Und mir tut es leid, dass ich nichts getan habe“ erwiderte auch er. „Ich habe es gewusst und doch hatte ich nie den Mut, mich jemandem anzuvertrauen. Wenn ich geredet hätte, wäre es vielleicht einfacher geworden.“ „Du warst noch ein Kind. Es ist ganz normal, dass du nichts tun konntest. Du wusstest genauso wenig wie man damit umgehen sollte wie ich. Dennoch mache ich mir Vorwürfe. Ich habe geahnt, dass du es wusstest und habe immer gesagt, es wäre nichts. Anstatt dir zu helfen, habe ich dich angelogen und verhindert, dass du über deinen Schmerz sprichst. Das war falsch.“ „Nein, es war nicht falsch. Du hast mir damit Kraft gegeben.“ „Und doch habe ich nie darauf bestanden, dass du darüber sprichst. Weder mit mir noch mit einem Erwachsenen. Ich hätte das alles nicht verdrängen dürfen. Dann wäre es vielleicht auch dir leichter gefallen und du wärst nicht so wütend. Ich war dir kein gutes Vorbild.“ „Ich habe schon damals geglaubt, dass du der stärkste Mensch der Welt bist. Und das glaube ich immer noch.“ Er kam zwei Schritte näher und berührte Setos Schulter, bevor er Ladys Kopf kraulte. „Wir sind beide ziemlich verkorkst, oder?“ „Tja“ seufzte er und erwiderte den schnäbelnden Kuss seiner Falkendame, die alles tat, um ihn zu trösten. „Ich bin froh, dass du das so aufnimmst. Ich dachte, du schimpfst, wenn ich dir das sage.“ „Ach Seto. Wann schimpfe ich denn schon mit dir?“ „Na ja …“ „Okay. Wenn’s ernst ist, meine ich“ lachte er und sah ihn lieb an. „Darf ich dich drücken? Oder magst du das gerade nicht?“ „Doch, das halte ich aus. Komm her.“ Er breitete die Arme aus und Mokuba beugte sich zu ihm, setzte sich letztlich aber auf seinen Schoß, um ihn richtig zu umarmen. Seto war gesund kühl und fühlte sich fest und breit an. Der perfekte Beschützerbruder mit einem unendlich weichen Wesen. Und es war gut zu wissen, dass man sich aussprechen konnte. Auch über die Dinge, welche man lieber verschweigen würde. Er löste sich erst wieder als er spürte, dass Seto ihn sanft fortdrückte. Zuerst dachte er, dass es ihm zu viel wurde, doch dann sah er aus dem Augenwinkel eine Bewegung und dann nach einem Kopfdrehen Noah in der Tür stehen. Angelehnt an den Rahmen mit Hand an der kaputten Klinke. „Wie lange stehst du da schon?“ „Seit dem ‚Wir sind verkorkst‘-Eingeständnis.“ „Und dann beschwere dich noch ein Mal, dass ich in Voyeur sei.“ „Das hier ist übrigens auch mein Schlafzimmer“ gab er zu bedenken und ließ sich selbst herein. „Hat unser Bruder dir die Leviten gelesen oder muss ich das noch erledigen?“ „Wir haben wahrscheinlich über was anderes gesprochen als du denkst.“ Er rutschte von Setos Schoß neben ihn, faltete die Hände und blickte fromm zu Boden. „Okay, leg los. Mach mich zur Schnecke.“ „So macht das keinen Spaß mit dir.“ Noah nahm auf dem Bett Platz, womit er ihm fast gegenüber saß. Seinem Gesichtsausdruck zu folgern, war er nicht mal ansatzweise so sauer wie Mokuba vermutete. „Bist du nicht sauer, weil ich schon wieder einen deiner Freunde gedisst habe?“ „Tjergen zähle ich nicht zu meinen Freunden. Ich mag ihn, aber wir sind ne Zweckgemeinschaft“ erklärte er und schlug die Beine übereinander. „Bis auf deinen rechten Haken fand ich die Sache eigentlich ganz amüsant.“ „Hä?“ Da kam Mokuba nicht mehr mit. Und dass Happy Birthday ein forderndes „Mauwau!“ hinzufügte und zurück auf seinen Schoß sprang, klärte die Sache auch nicht. „Ich dachte, du wärst super angepisst.“ „Anpissen tut mich nur der da“ nickte er zur Seite. Dort versuchte gerade sein Lieblingskaterfeind in den Kleiderschrank zu krabbeln - wahrscheinlich um sich über Noahs Hemden herzumachen, die er im wahrsten Sinne des Wortes … nun ja. „Hello! Pfui!“ Der Kater blieb stocksteif stehen und erstarrte zur Salzsäule. Vielleicht sah Herrchen ihn dann nicht mehr? „Raus aus dem Schrank! Du spinnst wohl!“ Doch als er sich noch immer nicht bewegte, gab er seiner treuen Katze einen Klaps, die dann auch sofort lossprang und ihren Gemahl in den buschigen Schwanz biss. So fest, dass er jaulte und den nächstbesten Weg ins Badezimmer nahm, wo auch das korrekte Örtchen für sein Vorhaben stand. „Er tut das nur, um mich zu ärgern.“ „Ich habe doch gesagt, Kastration bringt nichts.“ „Okay, zurück zum Thema“ schloss er und widmete sich wieder den Dingen, die er sofort klären konnte. „Dir ist doch wohl klar, dass Tjergen dich jetzt verklagen wird.“ „Meinst du?“ „Ja, hör mal.“ Er zog die Augenbrauen zusammen. „Du hast gerade dem Top-Model unseres Jahrzehnts die Nase gebrochen. Du glaubst doch wohl nicht, dass er das auf sich sitzen lassen wird.“ „Der hat doch garantiert Versicherungen, die sowas abdecken.“ „Ja sicher, aber verklagen wird er dich trotzdem. Das ist dasselbe als würdest du einem Fußballer das Bein brechen.“ „Finde ich nicht. Ein Fußballer kann dann seinen Job nicht mehr machen. Tjergen kann immer noch Körpermodell sein.“ „Das erkläre mal seinem Anwalt.“ „Quatsch, das erklären ihm unsere Anwälte.“ „U n s e r e Anwälte?“ wiederholte Noah skeptisch. „Ich bin nicht derjenige, der ihm die Karriere ruiniert hat.“ „Ich meine, die Anwälte, die uns immer bei so was vertreten.“ „Du meinst, die Anwälte, die Seto, Joey und mich für die KC vertreten. Soweit ich weiß, hast du überhaupt keine Anwälte, Kleiner.“ „Aber du besorgst mir welche.“ „Wie gesagt, ich habe keinen so dollen Haken wie du.“ Jetzt wurde Mokuba flau im Magen. Wenn Noah ihm keinen guten Anwalt engagierte, konnte er sein Medizinstudium in den Wind schießen und erst mal Jura im Schnelldurchgang machen. Und selbst dann sah es noch dunkel aus. Und ein Blick zu Seto zeigte auch nicht viel Mitleid. Die Suppe hatte er sich selbst eingebrockt. „Jetzt sieh nicht so bange drein. Wir regeln das schon“ löste Noah seine Gemeinheit auf und lächelte ihn beruhigend an. „Wir bezahlen einfach den Vergleich und gut ist. Viel mehr Sorgen mache ich mir um unser Image.“ „Image?“ „Wenn die Presse rausbekommt, dass mein Freund Top-Models verprügelt, ist das ein gefundenes Fressen. Das liegt mir viel mehr auf der Seele als ein paar Millionen.“ „Tut mir leid, dass ich euch immer Probleme mache“ entschuldigte er sich und sah auch zu Seto. „Wirklich, tut mir leid.“ „Um mein Image brauchst du dir keine Sorgen machen. Das kann nicht übler werden.“ „Aber meines. Da habe ich lange für gelächelt bis mich alle für einen netten Kerl halten“ sprach Noah ernst. „Super ey. Ne Standpauke gleich von beiden“ seufzte Mokuba und strich sein Haar zurück. „Das habe ich wohl verdient.“ „Wundert mich, dass du so schuldbewusst tust“ meinte Noah und beugte sich leicht zu ihm vor. „Willst du mir keine Szene machen?“ „Szene? Warum?“ „Du bist ja lustig, Häschen. Bei jedem Mann machst du mir Szene, selbst wenn der 50 Jahre älter ist als ich. Und da kommt so ein leckerer Kerl, der so absolut meinem Geschmack entspricht und dir obendrein noch gleicht wie ein Klon und das juckt dich nicht?“ „Warum? Hattest du was mit ihm?“ „Ich habe mich recht oft mit ihm getroffen und ihn sogar ins Bett getragen als er betrunken war. Und er hat mir schöne Augen gemacht.“ „Aber gehabt hast du nichts mit ihm. Ich meine Sex.“ „Natürlich nicht!“ „Dann ist doch alles gut“ zuckte er mit den Schultern. „Also, jetzt wundere ich mich aber auch“ musste Seto erstaunt zugeben. „Dieses Model sah dir verdammt ähnlich und entspricht so genau Noahs Vorlieben, dass es fast verständlich wäre, wenn er weich würde und das kratzt dich nicht?“ „Nein, überhaupt nicht“ betonte Mokuba noch mal. „Aber du bist doch sonst so eifersüchtig.“ Noah wollte es sich nicht anmerken lassen, aber ein bisschen enttäuscht war er schon. „Lassen deine Ansprüche auf mich langsam nach? Ist es wegen der Fältchen an meinen Augen?“ „Du hast Fältchen an den Augen?“ „Sag bloß, das hast du noch nicht gesehen? Ich bin runde 30 und …“ „Unsinn, du hast keine Falten, du Spinner.“ „Wer hier spinnt, bist du“ meinte Seto. Ausnahmsweise durfte er nun auch mal jemand anderen als Spinner brandmarken. „Hat dir jemand das Gehirn gewaschen? Dass dieser Tjergen Noah ins Bett locken wollte, habe sogar ich mitbekommen.“ „Eben genau deshalb mache ich mir keine Sorgen.“ „Ich werde verrückt“ rief Noah aus, raufte sich die Haare und fiel rückwärts aufs Bett zurück. „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“ „MAUA!“ Und Happy nahm sofort die Gelegenheit Noahs Bauch für sich zu erobern. „Das kann ich dir ganz einfach erklären.“ Zur Abwechslung wusste Mokuba sogar mal, was mit ihm los war. Er wechselte den Platz und setzte sich auf Noahs Beine, um ihm direkt von oben ins Gesicht zu sehen. „Eben genau der Fakt, dass Tjergen mir so ähnlich ist, lässt mich so ruhig bleiben.“ „Und weshalb, wenn man fragen darf? Du weißt, dass ich auf die Art Mann wie ihn abfahre. Bei solchen Typen werde ich willenlos.“ „Du wirst bei Typen wie mir willenlos, mein Schatz“ lächelte er selbstsicher. „Wenn du mich betrügen wolltest, würdest du dir jemanden suchen, der dir etwas bietet, was du nicht hast. Es müsste jemand sein, der besonders männlich ist, rau und vielleicht mit Körperbehaarung.“ „Ierk“ verzog Noah das Gesicht. Allein der Gedanke an behaarte Männerbrüste jagte ihm eine Gänsehaut in den Nacken. Happy wurde das zu aufregend. Sie rutschte von Noahs Bauch und sprang zurück auf die Fensterbank. Vielleicht wollte Seto ja mit ihr kuscheln. „Siehst du?“ schmunzelte sein Häschen. „Ich entspreche doch voll und ganz dem Bild, das du in deinen Träumen siehst. Ich bin schlank, habe volles, langes Haar, dunkle Augen und einen schlichten, eleganten Stil. Außerdem bin ich eine dominante Zicke. Und das alles von Natur aus. Warum solltest du dir also den Stress machen und mich mit Tjergen betrügen? Bei mir bekommst du ganz legal das, worauf du stehst. Auch die ganz üblen Dinge“ betonte er mit hochgezogener Augenbraue. Wusste er doch schließlich, dass Seto hinter ihm saß. „Wenn du dir ein Abenteuer suchst, dann mit jemandem, der dir etwas bietet, was ich dir nicht biete. Aber solange du dich mit Typen abgibst, die genauso sind wie ich, mache ich mir keine Sorgen. Mit denen treibst du es nicht und weißt du auch warum?“ „Ähm … warum?“ „Weil du zu praktisch denkst“ grinste er. Er kannte doch seinen Noah. „Du holst dir nicht unter größter Anstrengung das, was du bereits hast. Das wäre nicht ökonomisch. Und deswegen weiß ich, dass Tjergen dich nicht ins Bett kriegen würde. Solange du noch auf Typen wie mich abfährst, ist alles in Ordnung.“ „Du erstaunst mich immer wieder“ konnte Noah da nur sagen. Er hatte eine Szene erwartet wie es sie niemals eine zweite gegeben hatte. Und dabei war Mokuba vollkommen entspannt. „Tatsächlich?“ lächelte er, beugte sich vor und hielt Noahs Hände neben dessen Kopf auf die Matratze gedrückt. „Dann sage mir mal, weshalb du ihn wollen würdest und nicht mich?“ „Ähm … ich weiß nicht?“ „Siehst du? Du würdest mich nicht mit so einem betrügen. Weil ich deine Gelüste bereits kenne. Und weil ohne mich müsstest du dir eine männliche Domina suchen, welche deine kleinen, schmutzigen Wünsche erfüllt und das fiele dir äußerst schwer.“ „Ooooookay“ sprach Seto langsam und erhob sich. „Das ist wohl der Moment, in dem ich mich ausklinken sollte.“ „Ach, komm schon“ schmunzelte Mokuba. „Du weißt doch, dass Noah und ich es treiben wie die Karnickel. Und mein Hase hat so eine leckere Möhre.“ „Ja schon, aber … Moki, musst du das jetzt sagen? Die Bilder werde ich ja nie wieder los“ erwiderte er mit einem verzweifelten Blick. „Du bist mein Bruder und Noah auch. Allein der Gedanke daran, wie ihr … nein, ich gehe“ winkte er ab und schwankte zur Tür. Er wollte das alles gar nicht wissen. „MAU?!“ Ging der jetzt etwa auch? „Dann komm doch mit, Happy.“ „Krrrriiiiiiiiiiia!“ machte auch Lady einladend. „Aber Moki“ schmunzelte Noah nun ihn an. „Du weißt schon, dass Seto und Yugi auch so manche Sachen miteinander tun, ja? So mit Möhren in …“ „Noah!“ Und davon wollte Mokuba nun nichts hören. Er wollte sich nicht mal vorstellen wie Seto dabei aussah, wenn Yugi ihn … „NEIN! Das will ich mir nicht mal vorstellen!“ „Na ja, wie du schon gesagt hast“ zwinkerte Seto seinem kleinen Bruder ein letztes Mal zu. „Die Kunst besteht nicht darin, zu stechen, sondern sich auf die richtige Art und Weise stechen zu lassen.“ „Aaaaah! SETO! Musstest du das sagen?“ Er hielt sich den Kopf und fiel qualvoll aufs Bett. „Böse Bilder im Kopf. Bööööse Bilder. Super, danke ey!“ „Nichts für ungut“ lachte der und zog leise die Tür hinter sich zu. Er hörte seinen kleinen Bruder drinnen noch seine bösen Bilder vertreiben, doch Seto fiel da noch etwas viel wichtigeres ein. Das konnte er nicht einfach so im Raume stehen lassen. Also öffnete er die Tür nochmals und schaute hindurch. „Übrigens Moki.“ „Was denn noch?“ Der schälte sich gerade von Noahs Schoß und richtete sein Haar. „Du warst zwar schlagfertig, aber Drohnen haben keinen Stachel und verteidigen tun sie auch nichts. Sie dienen allein der Befruchtung.“ Und damit Mokuba es nicht sagen musste, ging glücklicher Weise gerade Joey über den Flur und gab im Vorbeigehen seine übliche Meinung ab: „Drache, du bist so ein Klugscheißer.“ Und der erwiderte routiniert: „Klappe, Idiot. Ich kann nichts dafür, dass du dumm bist wie ein Stück Brot.“ „Dafür will mich die ganze Welt.“ „Bitte?“ Auf dem Regal neben der Tür stand eine leere Blumenvase zur Dekoration. Diese drehte Seto schnell auf den Kopf und verfolgte Joey dann über den Flur. „Was sollte denn dieser unqualifizierte Kommentar?“ „Das war sehr qualifiziert, Mister. Hast du noch nie was von der Organisation ‚Brot für die Welt‘ gehört? Es ist also keine Beleidigung, wenn du mich Brot nennst.“ „Die Betonung lag nicht auf Brot, sondern auf dumm.“ „Ach, lass das doch. Im Gegensatz zu dir hat man sogar mit Bernd dem Brot mehr Spaß.“ „Mit mir kann man sehr wohl Spaß haben!“ „Womit denn? Mit Rumsitzen und Schmusen? Oder mit Schokolade futtern? So langsam zweifle ich eh daran, ob du überhaupt männliche Hobbys hast.“ „Natürlich habe ich männliche Hobbys!“ „Ja? Welche denn?“ „Ich … ähm …“ Ja, welche denn? „Siehste. Nicht männliche Hobbys, höchstens Hobbys mit Männern. Das ist schwach, Drache. Echt schwach.“ „Du hast ja auch keine männlichen Hobbys!“ „Habe ich sehr wohl!“ „Welche denn?“ „Ich … ähm …“ Touché. „Ich spiele Videospiele!“ „Ich ENTWICKLE Videospiele!“ „Wenigstens liege ich beim Sex oben wie jeder anständige Mann!“ „Wieso behauptest du ständig, ich sei kein echter Mann?“ „Weil du in jeder Hinsicht wie ne Frau bist. In Hobbys und im Bett.“ „Was ich im Bett mache, geht dich gar nichts an.“ „Wünschte ich ja auch, aber du bist so laut, dass man gar nicht drumrum kommt!“ „Wenigstens muss ich nicht darum betteln, mal Sex zu bekommen!“ „Du wechselst das Thema, Alter. Geh erst mal deine Happy-Pillen einschmeißen, sonst kann man ja gar nicht mit dir reden.“ „Nur weil ich in meinem Niveau gar nicht bis zu dir runtersinken kann. Kein Wunder, dass du mich nicht verstehst!“ „SETO! JOEY! TÜR ZU!“ Chapter 35 „Ich hasse Krankenhäuser“ seufzte Mokuba. Sie waren an der richtigen Tür angekommen, Noah hatte sogar einen gigantischen Blumenstrauß dabei. Dennoch hatte er Flaute im Magen. „Wiederhole doch bitte noch mal, warum ich mich bei Tjergen entschuldigen soll.“ „Weil du ein guter Mensch bist, der seine Fehler bereut.“ „Die Variante ‚Damit er dich nicht verklagt‘ hat mir besser gefallen.“ „Davon abgesehen, solltest du Krankenhäuser nicht hassen. Du studierst doch Medizin, mein Häschen.“ „Ich werde aber kein praktischer Arzt, sondern Wissenschaftler.“ „Die müssen auch mal ins Krankenhaus. Und wenn es nur ist, um sich zu entschuldigen. Also los jetzt.“ Er klopfte an die Tür, wartete drei Sekunden und öffnete sie dann langsam. Sobald er seinen Kopf hereinsteckte, hörte Mokuba ein glücklich nasales „Noah!“. „Guten Morgen, Terry. Komm.“ Er ging hinein und ließ Mokuba nach sich eintreten. „Und dein Anhängsel“ stellte die nasale Stimme weniger erfreut fest. „Wir haben dir Blumen mitgebracht. Dunkelrote Rosen. Du liebst doch Rosen, oder?“ „Danke.“ Noah gab dem Kranken zwei Wangenküsse und legte die Blumen auf dem Teewagen neben dem Bett ab. Mokuba schloss zwar die Tür, aber hielt noch etwas Abstand. Das sonst so hochgestylte Model sah plötzlich ganz anders aus. Tiefe Augenringe und ein dicker Verband um die Nase. Jetzt sah Mokuba, dass auch über seiner Lippe ein Pflaster haftete. Das Haar war zwar streng geflochten und mit einem gewissen Fettglanz. Nur das kurzärmlige, hellbraune Shirt wirkte modisch, auch wenn die Krankenhausdecke mit ihrem hellgrünen Bezug einen krassen Kontrast bildete. „Wie geht es dir?“ Noah zog zwei Stühle herbei und zwang Mokuba mehr oder weniger, sich herzusetzen. Was er dann auch tat. Da musste er jetzt durch. „Geht so“ antwortete Tjergen mit gequetschter Stimme. „Sie haben mein Nasenbein geschient, aber es ist ein Splitterbuch und muss noch mal operiert werden. Und meine Lippe musste auch genäht werden. Und eine leichte Gehirnerschütterung habe ich auch. Ganze Arbeit.“ Er warf Mokuba einen undeutlichen Blick zu. „Meine saubere Karriere kann ich jetzt an den Nagel hängen.“ „Das bekommen wir wieder hin“ versprach Noah und Mokuba musste tatenlos zusehen wie er Tjergens Hand griff. „Ich lasse dir noch heute den besten Chirurgen einfliegen, er sitzt bereits im Flieger hierher. Und die Kaiba Corp. wird an ihrem Werbevertrag mit dir natürlich festhalten.“ „Wenn ich nicht selbst davon zurücktrete“ eröffnete er und lehnte sich zurück. „Um ehrlich zu sein, habe ich im Augenblick wenig Lust, mit deiner Bagage noch etwas zu tun zu haben.“ „Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe“ versuchte Mokuba sich an einer Entschuldigung. „Es ist mit mir durchgegangen. Ich weiß, dass es dafür keine Entschuldigung gibt, aber ich wollte dich nicht so hart treffen.“ „Hast du aber. Und das ganz großartig.“ „Du hast aber auch sehr verletzende Dinge gesagt“ verteidigte Noah sein Häschen. Wenn auch mit sehr freundlicher, fast zärtlicher Stimme. „Mokuba und Seto haben keine leichte Vergangenheit. Und das hast du geahnt.“ „Trotzdem habe ich niemanden berufsunfähig gemacht. Wenn du hier bist, um mich zur Schnecke zu machen, kannst du dir das schenken, Noah.“ „Nein, wir sind hier, um uns zu entschuldigen“ sagte Mokuba erneut. „Um mich zu entschuldigen.“ „Und natürlich, um nach dir zu sehen, Terry. Hast du alles, was du brauchst?“ „Ja, alles wunderbar“ tat er das ab und winkelte seine Beine unter der Decke an. „Du brauchst dich auch nicht um mich zu kümmern. Mein Freund fliegt heute von Moskau nach Miami und macht hier eine Zwischenlandung. Ich denke, ich werde dann erst mal zu ihm gehen bis sich meine beruflichen Perspektiven geklärt und mein Gesicht sich normalisiert haben.“ „Du hast einen Freund?“ horchte Noah auf. „Warum hast du mir das nicht erzählt?“ „Ich muss es ja nicht gleich an die große Glocke hängen.“ „Aber ich … ha ha ha.“ Er fasste sich an die Stirn und fand sich selbst etwas albern. War er doch davon ausgegangen, dass Tjergen gewisse Absichten hegte. „Tut mir leid, wenn ich das so lächerlich zugebe, aber ich hatte das Gefühl, du wolltest mich ins Bett kriegen.“ „Wollte ich auch“ gab er zu und störte sich nicht daran, dass Mokuba direkt daneben saß. „Ich würde auch immer noch nicht aufgeben.“ „Aber …“ warf Mokuba mehr verwirrt als eifersüchtig ein. „Wenn du doch einen Freund hast, warum machst du dich dann an Noah ran?“ „Josh schläft ja auch mit anderen.“ Und auch wenn er das so frei heraus sagte, sah man einen Ausdruck in seinen Augen, der nicht zu ihm passte. Er wirkte verletzlich, weich. Und gar nicht mehr so stark und dominant wie noch gestern. Er langte nach den Blumen und pflückte eines der dunkelroten Rosenblätter ab. „Und wie ist er so?“ fragte Noah freundlich. „Ich meine, ob er weiß, dass du weißt, dass er mit anderen …?“ „Wir haben eine offene Beziehung. Anders als ihr anscheinend“ erwiderte er und warf einen abfälligen Blick zu Mokuba, bevor er sich wieder an Noah wandte. „Josh war Kanadier, bevor er sich in den USA hat einbürgern lassen. Er arbeitet für Industrial Illusions, auch ein Grund, weshalb ich es dir nicht erzählt habe. Beziehungen zur Konkurrenz machen meine Kunden nicht gerade scharf auf Verträge mit mir.“ „Na ja“ zuckte Noah mit den Schultern. War ja nun auch nicht mehr zu ändern. Und Tjergen sah nicht gerade aus wie ein Industriespion. Dazu war er viel zu auffällig. „In was für einer Position ist denn dein Freund?“ „Er leitet derzeit den gesamten russischen und eurasischen Markt. Wenn ich in Europa bin, sehen wir uns recht häufig.“ „Ich glaube, deinen Josh kenne ich“ eröffnete Noah tatsächlich überrascht. „Du meinst Joshua McGanner. So ein Mittfünfziger mit dunklem Haar und einer Vorliebe für wuchtige Accessoirs?“ „Ja, sein Schmuck ist immer ziemlich protzig. Er zeigt gern, was er hat“ lächelte Tjergen soweit es sein Verband zuließ. „Dann reden wir von demselben. Da hast du dir aber eine gute Partie gesichert. McGanner ist als harter Hund verschrien und davon abgesehen mehr als gut betucht.“ „Ja, an Geld und Ansehen mangelt es ihm nicht. Wahrscheinlich wird er sogar in die USA zurückbeordert und übernimmt dann die Leitung der Konzernstrategie.“ „Pegasus ist seine Strategie heilig“ nickte Noah anerkennend. „Mit McGanner zieht er wohl jetzt die autochthone Karte. Gut zu wissen, dass sich da in Zukunft etwas ändern wird.“ „Was ist autochthon?“ fragte Mokuba mittenrein. „Das bedeutet soviel wie bodenständig. Pegasus hat in den letzten Jahren eine sehr aggressive Strategie gefahren und uns einige Markteile abgekämpft. Er ist aber häufig ein zu hohes Risiko eingegangen und hat dabei so manche Niederlage einstecken müssen. Wenn McGanner jetzt dieses Ressort übernimmt, wird Industrial Illusions demnächst für uns härter. Ich denke, er wird sich mit uns dann auf keine spontanen Grabenkämpfe mehr einlassen, sondern uns ‚den Kleinkram‘ überlassen und die KC somit eher bei den Großkunden angreifen. McGanner gibt sich bekanntlich nur mit den großen Brocken ab.“ „Schwere Geschütze also“ schlussfolgerte Mokuba. „Deswegen möchte er auch nicht, dass seine Homosexualität öffentlich wird“ bat Tjergen ernst. „Das würde seinem Ansehen schaden. Du weißt wie das in solchen Kreisen zugeht, Noah. Das hier ist ein privates Gespräch. Ich hoffe, du kannst das trennen.“ „Ich bin auch ganz privat hier, Terry“ lächelte er ihn freundlich an. „Ich weiß auch, was du meinst. Ich kann mir mein Outing leisten, weil die Kaiba Corp. gut im Markt etabliert ist und ich selbst als junger und moderner Manager dastehe. Bei alteingesessenen Genossen wie McGanner ist das anders. Die halten sich natürlich an ihre konservativen Kreise. Muss schwer für dich sein, wenn er dich verheimlicht.“ „Geht ja nicht anders“ zuckte er mit den Schultern. „Er hat noch große Pläne und da kommt ein jüngerer Freund wie ich eben nicht gut an.“ „Dennoch. Für mich stand es nie zur Diskussion, meinen Freund zu verheimlichen“ sagte er und legte seine Hand auf Mokubas Knie. „Ja, aber Seto hat Yugi auch lange geheim gehalten“ widersprach Mokuba. „Ich kann schon verstehen, dass das nicht bei jedem so einfach ist. Und bei dir gucken auch einige Leute komisch. Wärst du kein Kaiba und würde die Kaiba Corp. nicht dir gehören, hätten wir es auch schwerer.“ „Seid ihr denn glücklich?“ fragte Noah und kam zurück zu Tjergen, welcher in seinen Fingerspitzen das Rosenblatt zerrupfte. „Eine offene Beziehung ist nicht gerade einfach zu führen. Besonders da er um einiges älter ist als du.“ „Er hat seine Liebhaber und ich meine. Das war nie anders“ antwortete er. „Und das funktioniert?“ fragte Mokuba erstaunt. „Bist du nicht eifersüchtig?“ „Doch. Sehr.“ Er lächelte schwach und rollte das Blatt zwischen den Fingern zu einem kleinen Klumpen zusammen. „Aber was soll ich machen? Ich will ja auch nicht meine Karriere für ihn aufgeben. Aber jetzt … vielleicht ist das ein Zeichen, mein Leben noch mal zu überdenken.“ „Du meinst, du würdest jetzt deine Karriere für ihn aufgeben?“ „Mit ner schiefen Nase und ner vernarbten Lippe, habe ich schlechtere Karten gegen die Konkurrenz. Beauty-Kampagnen kann ich mir damit ganz abschminken. Außerdem glaubt in der Öffentlichkeit doch niemand, dass ich verprügelt wurde. Sie werden es als missglückte Schönheits-OP auslegen. Und nach dem Gossip kann ich meine Beziehung mit Josh ganz knicken. Dann bekennt er sich nie zu mir. Einen Skandal kann er nicht gebrauchen.“ „Du hast aber noch immer unseren Eros-Vertrag“ beharrte Noah darauf. „Joey Wheeler ist ein talentierter PR-Mensch. Der strikt dir jedes Image, dass du haben willst.“ „Vielleicht bin ich mein Image ja auch leid. Auf die Dauer ist Perfektion ziemlich anstrengend.“ Er schnippte das kaputte Blatt fort und pflückte sich ein neues ab. „Ihr habt da gestern etwas gesagt, was mir zu denken gab. Ich habe keine Drohne, die mich verteidigen würde. Vielleicht will ich auch gar keinen ganzen Bienenstock, sondern einfach nur einen einzigen Menschen, bei dem ich mich beschützt fühle. Ich habe niemals hartnäckig versucht, eine verpflichtende Bindung mit Josh aufzubauen. Vielleicht sollte alles so kommen, damit ich erkenne, wie wichtig er mir ist.“ „Du bist gar nicht so gehässig wie ich dachte“ stellte Mokuba fest und traf Tjergens weichen Blick. „Du hast ein zartes Herz.“ „Das sind die Schmerzmittel. Die schlagen aufs Gemüt“ winkte er ab und schnippte auch das nächste Blatt fort. „Ist ja auch egal, was ich euch erzähle. Wenn ich euch verklage, habe ich eh ausgesorgt, so what?“ „Das klingt schon mehr nach dir“ lachte Noah und legte ihm fürsorglich die Hand auf den Arm. „Lassen die Drogen nach? Brauchst du neue?“ „Ne Flasche von deinem Rotwein könnte ich gut vertragen“ meinte er und stupste das Glas auf dem Teewagen angewidert von sich. „Das Gesöff hier ist grausam. Ich weiß nicht mal was das ist, aber Fruchtsaft ist das bestimmt nicht.“ „Wir bringen dir ein paar Getränke vorbei“ versprach Noah lächelnd. „Wenn dir noch etwas einfällt, schick mir ne SMS. Hast ja meine Handynummer.“ „Versprich nicht zu viel. Mit dem kleinen Finger gebe ich mich nicht zufrieden. Ich bevorzuge andere Körperteile.“ Mokuba könnte eifersüchtig werden, aber irgendwie wurde er es nicht. Er hatte Mitleid mit Tjergen. Aus irgendeinem Grunde. Er wirkte nun gar nicht mehr so hart und gemein. Die gebrochene Nase schien mehr in ihm ausgelöst zu haben als nur das drohende Gewäsch der Presse. Er schien seine Niederlage anerkannt zu haben und scherzte mit Noah, anstatt ihn anzubaggern. Mokuba wusste nicht weshalb, aber er empfand ihn gar nicht als nervend. „Kann ich dich mal etwas fragen?“ fragte Mokuba frei heraus. „Bist du nun eigentlich richtig schwul oder bist du bi?“ „Mein Manager verkauft mich als bi, damit die Frauen sich Hoffnungen machen. Aber ich bin schwul“ antwortete er ohne Umschweife. „Und du?“ „Ich weiß das gar nicht. Ich habe Noah, mehr brauche ich nicht.“ „Und wenn Noah eine Frau wäre?“ „Dann würde ich ihn trotzdem lieben. Und könnte endlich mal oben liegen.“ „Details wollen wir jetzt nicht weiter besprechen“ fuhr der dazwischen. Nicht, dass die beiden jetzt auch noch begannen, sich anzufreunden. Das wäre nicht nur zu viel des Guten, sondern einfach zu viel überhaupt. Die Tür ging auf und ein Herr kam herein. Er hatte rasiertes Stoppelhaar, einen dunklen Schnauzbart und recht kleine Augen. Er trug einen schwarzen Anzug und ein hellgelbes Hemd darunter, eine rote Krawatte und eine auffällig teure Armbanduhr. „Ah, Mr. Kaiba.“ Er ging zu Noah, der sich erhob und ihm die Hand schüttelte. „Wie schön, dass Sie Terry einen Besuch abstatten.“ „Das ist doch selbstverständlich. Mr. Dwight, Sie kennen meinen Lebensgefährten?“ „Nicht persönlich. Aber schön, Sie kennen zu lernen, Mr. Kaiba.“ Er schüttelte auch Mokuba die Hand und das Lächeln blieb hinter seinem Schnauzer versteckt. „Ich bin George Dwight, Terrys Manager.“ „Guten Tag“ nickte er und setzte sich wieder. „Mr. Kaiba“ wandte er sich wieder an den Ersten. „Wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, würde ich gern noch mal über den Vertrag mit Ihnen sprechen. Terrys Pläne werden sich eventuell ändern und wir sollten aufgrund der neuerlichen Ereignisse die Konditionen anpassen.“ „Natürlich. Ihr kommt hoffentlich einen Moment ohne mich aus“ bat er und folgte dem Schnauzer zur Tür. „Und schlagt euch nicht die Köpfe ein.“ „Ich weiß, wo der Notknopf ist“ scherzte Tjergen zurück und sank erst zurück als sich die Tür schloss. Es entstand ein langer Moment des unangenehmen Schweigens. Tjergen pflückte ein neues Blütenblatt und Mokuba überlegte angestrengt, worüber er reden konnte. „Willst du wirklich deinen Vertrag mit der KC lösen?“ fragte er dann besorgt. „Das weiß ich noch nicht. Mal sehen was die nächsten Wochen mit meinem Freund ergeben.“ „Aber Noah hat schon fast die ganze Kampagne auf dich ausgelegt. Ich habe mit Joey gesprochen und ich weiß, dass schon alles geplant ist. Das wäre doch die Chance für dich, auch in die Filmbranche einzusteigen.“ „Vor allem wäre es für die Firma deines Liebhabers ein herber Verlust“ stach er gezielt zurück. „Wenn er mich nicht bekommt, muss er alles umplanen und Eros Metro geht nicht pünktlich an den Start. Imageschaden inklusive operativer Verluste. Soviel verstehe ich von BWL auch.“ „Nein, nicht deswegen. Noah ist nicht so. Er hofft wirklich, dass du wieder Fuß fasst und dass diese doofe Sache deine Karriere nicht ausbremst.“ „Und selbst wenn ich mich für ein Leben bei Josh entscheide, wären die KC-Pläne noch zu retten.“ Er sah Mokuba ernst an und sprach sehr deutlich. „Warum modelst du nicht für Eros?“ „ICH?!“ „Natürlich. Jede Kampagne, die auf mich passt, passt auch auf dich. Noah bräuchte nicht groß umplanen. Meinen Namen durch deinen zu ersetzen, das schafft jeder Praktikant. Und stell dir die Schlagzeilen vor. ‚Noah Kaiba ersetzt Top-Model durch Liebesgefährten. Eros Metro wird zur Intimsache. Lesen und sehen Sie mehr auf Seite 4 …‘“ „Nein, das Modelbusiness ist nichts für mich“ stritt er sofort ab. „Zu oberflächlich, zu passiv. Ich studiere lieber weiter Medizin und bewege mein Hirn statt meinen Arsch.“ „Willst du etwa sagen, ich hätte keinen Grips?“ „Nein, das will ich nicht sagen“ zickte er zurück, aber atmete ein Mal tief durch und beherrschte sich. Er durfte sich nicht mehr so leicht herausfordern lassen. „Tjergen … ich darf doch Tjergen sagen.“ „Wenn du das aussprechen kannst.“ „Ich habe mir dein Buch angesehen und es ist großartig. Du bist so wandlungsfähig und hast so einen starken Ausdruck. Du verbiegst deinen Körper, das habe ich noch nie gesehen. Selbst wenn ich es wollte, bräuchte ich Jahre bis ich dein Format erreiche. Ich gebe es nicht gerne zu, aber ich kann mich nicht so leicht anpassen wie du. Das soll nicht negativ behaftet sein, aber ich bin zu arrogant, um jemand anderen darzustellen als mich selbst. Deshalb könnte ich deinen Job gar nicht machen.“ „Das nehme ich mal als Kompliment.“ Schnipp, pflück, das nächste Blatt. „So war’s auch gemeint. Bitte lass den Vertrag nicht platzen. Das wäre schade. Nicht nur für Noah, sondern auch für dich. Die KC ist das Beste, was dir passieren kann.“ „Jetzt will ich dich auch mal was fragen“ erwiderte er und blickte ihm kurz in die Augen, dann zurück auf das Blütenblatt. „Ich habe gerade so einen Gefühlstripp, deswegen bilde dir nichts drauf ein. Aber wie schaffst du es, dass Noah dich liebt?“ „Wie ich das schaffe?“ „Ja. So wie er dich ansieht, so hat mich noch niemand angesehen.“ Er legte seinen langen Zopf über die Schulter und strich mit dem Blütenblatt über seine gebräunte, jetzt blasse Haut. „Was tust du, damit er sich zu dir bekennt? Was tust du, damit er dir treu bleibt und sich nicht einen anderen nimmt?“ „Um ehrlich zu sein, tue ich gar nicht viel.“ „Wie arrogant.“ „Ich weiß. Aber so ist es einfach“ erklärte er. Langsam dämmerte ihm, dass das, was ihn und Noah verband, nicht selbstverständlich war. Eine feste Partnerschaft war für ihn so normal, dass er sich kaum noch vorstellen konnte, dass es Menschen gab, welche einsam waren. So einsam wie Tjergen. Er hatte wahrscheinlich in jeder Stadt einen anderen Liebhaber, aber der Mann, den er liebte, der bekannte sich nicht zu ihm. „Noah und ich lieben uns. Dafür gibt es keinen Grund. Ich gebe mir zwar Mühe, dass er mich äußerlich ansprechend findet und versuche im Bett kreativ zu sein, aber im Grunde ist das unnötig. Ich arbeite zwar für die Beziehung, aber ich nehme das nicht als Arbeit wahr. Ich freue mich einfach, wenn es ihm gut geht. Ich will, dass Noah glücklich ist, weil er für mich der Mensch ist, den ich am meisten liebe.“ „Und er? Dann macht er niemals irgendwelche Kompromisse für dich?“ „Doch, Noah macht viele Kompromisse. Ständig gibt er meinem Willen nach. Er hasst Tiere und ich habe echte Charakterkatzen. Er hasst Kinder und wir haben einen Jungen adoptiert.“ „Ihr habt adoptiert?“ Er schnippte das Blatt nicht fort, es fiel von selbst herunter. Das war noch nicht in die Öffentlichkeit gedrungen und entsprechend überrascht war er. „Ja. Dante Kaiba. Er ist knapp vier Jahre alt und seit etwa einem halben Jahr bei uns. Wir sind ja nicht verheiratet, deswegen wird Noah ihn als Einzelperson adoptieren. Aber der behördliche Weg ist lang. Wir machen es publik, wenn die rechtlichen Fragen geklärt sind.“ „Und wie ist er so? Euer Sohn?“ „Er ist das süßeste Kind, das du dir vorstellen kannst. Und er ahmt Noah in jeder Hinsicht nach. Warte.“ Er zückte sein Handy und zeigte Tjergen ein Foto von seinem Süßen. Sein Lieblingsfoto. „Das ist Dante. Da hat er Noahs Krawatte um und sein Jackett an.“ „Er ist … auffallend.“ „Ja, ich weiß. Dunkle Haut und blondes Haar sind eine seltene Kombination.“ „Nein, ich meine er hat … auffallend grüne Augen. Oder wirkt das nur so?“ „Nein. Er hat ganz leuchtende Augen.“ „Er sieht aus als würde er gleich mit an den Schreibtisch springen wollen.“ „Das würde er wahrscheinlich sogar. Er liebt Noah abgöttisch. Wenn du ihn fragst, was er mal sein will, wenn er groß ist, wird er antworten, dass er Noah sein will. Dante ist einmalig. Und das daneben ist Valentine. Das ist sein Kater. Die beiden sind unzertrennlich.“ „Also auch ein Katzenliebhaber.“ „Das hat er nicht von Noah“ lachte Mokuba und steckte das Handy weg. „Und du? Hast du auch Familie?“ „Ja, habe ich. Aber wir sehen uns nicht oft.“ „Oh … das tut mir leid.“ „Braucht dir nicht leidtun. Ich bin kein Familienmensch. Das mit Familie und Freunden … das ist nicht so meine Sache.“ Und wieder war da der einsame Ausdruck in seinen Augen. „Du bist auf nem richtigen Gefühlstripp, was?“ „Passiert manchmal. Geht auch wieder vorbei“ tröstete er sich selbst und griff in die Schublade des Teewagens. „Aber ich bin letztes Jahr Onkel geworden. Ich zeige dir mal meine kleine Nichte.“ „Du hast eine Nichte?“ „Ja, Erla Marnens. Sie ist jetzt bald ein Jahr alt, aber sieht schon aus wie meine Schwester. Sie … oh.“ „Was?“ Er versuchte aufs Handy zu schielen, aber es war zu weit weg. „Mein Freund hat versucht, anzurufen. Ich dachte, er sitzt schon im Flieger. Moment kurz, ja?“ „Soll ich rausgehen?“ „Nein, bleib sitzen. Er will bestimmt nur sagen, wann er mich abholt.“ Er drückte ein paar Tasten und wartete. Er pflückte sich noch ein Rosenblatt und knetete es nervöser als zuvor. Er war offensichtlich sehr erwartungsvoll an die kommende Zeit mit ihm. Mokuba war erleichtert, dass er anscheinend außer Sex gar nichts von Noah gewollt hatte und somit kaum eine Gefahr darstellte. Außerdem freute er sich, dass jemand unterwegs war, der Tjergen auf seinem Gefühlstripp begleitete. „Dobre den, my darling!“ begrüßte er das andere Ende und lächelte breiter und echter als Mokuba gedacht hätte. Die ersten Worte erkannte er ja noch als russisch, doch die nächsten verstand er nicht. Vielleicht gestattete Tjergen auch deshalb, dass er blieb - er verstand ja eh kein Wort. Mokuba tippte ein bisschen auf seinem Handy herum, um nicht ganz so neugierig und belauschend zu wirken. Am Rande fragte er sich, was das für ein merkwürdiger Sprachzauber war, der hier herrschte. Eigentlich sprachen doch alle die Sprache des Pharao. Das war so eingerichtet. Doch Tjergen konnte auf russisch telefonieren. Und englische Lieder wurden auch nicht übersetzt. Dennoch war das gesprochene Wort meist immer dieselbe Sprache. Das war viel trickreicher als Mokuba denken konnte. Als Tjergens Stimme sich veränderte, blickte er vorsichtig zu ihm. Er hatte den Arm um sich geschlungen und antwortete nur noch einsilbig. Seine Augen waren feucht und es schien, er würde gleich in Tränen ausbrechen. Er senkte das Gesicht und nickte während er antwortete. Nur die letzten Worte verstand Mokuba dann wieder. „Ich dich auch. Bis dann.“ Er legte auf und senkte das Handy auf die Bettdecke. Seinen Kopf hob er nicht erneut. „Tjergen?“ Mokuba rutschte zu Noahs Stuhl auf und legte seine Hände auf die Matratze. „Ist was passiert?“ „Er kommt nicht“ flüsterte er. „Er ist ohne mich nach Miami geflogen.“ „Aber er wollte doch einen Abstecher machen.“ „Die Zeit hat er nicht. Der Job ruft.“ „Wie gemein. Dann hätte er doch wenigstens bescheid sagen können.“ „Hat er doch.“ Er lächelte und wischte sich die beschämenden Tränen fort. „Ist auch egal. Ich bin erwachsen, ich komme auch so zurecht.“ „Aber du liegst im Krankenhaus und dein Freund … macht er sich denn keine Sorgen?“ „Eine gebrochene Nase ist nicht lebensbedrohlich.“ Er rang um seine Fassung und Mokuba hatte das Bedürfnis, ihn in den Arm zu nehmen. Diese Absage verletzte ihn. Er überlegte, ob er vielleicht eine feste Bindung wollte. Er überlegte, ob er seine Karriere aufgab, um im Schatten eines anderen zu leben. Er wünschte sich, dass sein Freund sich um ihn kümmerte und ihm diesen speziellen Blick schenkte, den Noah seinem Mokuba schenkte. Doch alles, was er bekam, war ein Rückruf und nicht mal einen Strauß Blumen vom Versanddienst. Tjergen hatte eine Liebschaft, keine Liebe. Und wahrscheinlich niemanden, der ihn besuchen kam. „Tjergen, tut mir leid, dass er abgesagt hat.“ „Muss es nicht. Es ist ja nicht so als wäre das neu für mich. Er hat nun mal viel Arbeit und keine Zeit für so was. Und mir geht’s ja auch nicht wirklich schlecht, ich … ich … ich will doch nur mal, dass er … er ist befördert worden … ich kann ja nachfliegen nach den USA und mit ihm anstoßen.“ „Aber mit einer Gehirnerschütterung ist das keine gute Idee.“ „Die ganze Sache ist keine gute Idee. Ich weiß nicht, was da in mich gefahren ist.“ Er lachte. Obwohl er weinte. Tjergen war einsam. Und er war verliebt. Unglücklich. Er hatte keinen Noah, der seine Katzen akzeptierte und ein Kind adoptierte. Er hatte Joshua McGanner. Den harten Hund. Er hatte ihn, solange es in den Terminplan passte. Und wenn ein Krankenhausaufenthalt ungelegen kam … dann kam kein Noah, der an seinem Bett saß. Mokuba verspürte auf einmal unendliche Dankbarkeit dafür, dass das Schicksal ihm einen Mann wie Noah zugedacht hatte. „Tjergen.“ Er wollte ihm etwas sagen wie ‚Du bist nicht allein‘ oder ‚Wir können Freunde sein‘. Aber alles klang so abgedroschen, nachdem er doch der Grund für all das hier war. „Wir können darüber reden, wenn du möchtest.“ „Danke.“ Er legte das Handy zurück in die Schublade und ließ sich tiefer ins Kissen sinken als zuvor. „Ich glaube, es ist besser, wenn ihr jetzt geht. Ich fühle mich nicht gut.“ „Tjergen … ich weiß, es klingt abgedroschen, aber wenn du reden willst, dann rufst du an. Ja?“ „Nein, werde ich nicht“ antwortete er leise. „Sag Noah, ich mache seine Kampagne. Und der Chirurg kann auch kommen. Es bleibt alles beim Alten.“ „Tjergen …“ „Danke, dass ihr hier ward. Die Blumen sind sehr hübsch.“ „Ich stelle sie dir noch ins Wasser, okay? Wo sind die Vasen?“ „Das macht die Schwester. Geh nur.“ „Ich will dich jetzt aber nicht so sitzen lassen.“ „Hier geht’s mir gut. Danke, dass ihr hier ward.“ „Aber Tjergen …“ „Danke, dass ihr hier ward.“ Er blickte aus dem Fenster und war ab sofort nicht mehr ansprechbar. Er wollte jetzt niemanden sehen. Erstrecht nicht einen glücklichen öffentlichen Lebenspartner. „Okay, ich hab’s verstanden.“ Er erhob sich von seinem Stuhl und nahm das Model mit gebrochenem Herzen nochmals in Augenschein. „Tjergen, ich weiß, dass es kitschig klingt und ich der Letzte bin, der das sagen sollte, aber wenn du jemanden brauchst, dann ruf mich wirklich an. Ja?“ „Bin ich in deinen Augen so mitleidserregend?“ Mit dunkel funkelnden Augen entgegnete er dem gütigen Blick. „Dein Mitleid kannst du dir sonstwo hinstecken. Ich bin keines eurer Sozialprojekte.“ „Ich würde das nicht Mitleid nennen. Eher Mitgefühl“ erwiderte er mit ernsterer Stimme. „Und davon abgesehen, kann ich mir vorstellen, dass wir uns gut verstehen würden. Also wenn du mich anrufen willst, freue ich mich. Wenn nicht, dann lass es eben bleiben. Gute Besserung.“ Mokuba zog die Tür hinter sich zu und lehnte sich mit einem Seufzen dagegen. Dieses Treffen war doch schon ein bisschen besser verlaufen als das letzte. Zumindest hatte er ihm dieses Mal nichts gebrochen. Und warum er Tjergen auf eine etwas eigenwillige Weise seine Freundschaft angeboten hatte, das konnte er sich auch nicht erklären. Vielleicht war es wirklich Mitleid. Aber auch vielleicht, weil sie viele Ähnlichkeiten miteinander hatten. Nicht nur äußerlich. Er atmete aus und sah Noah am Ende des Ganges mit dem Schnauzbart sprechen. Sicher würden beide erleichtert sein, dass Tjergen sich nun doch nicht ins Privatleben zurückzog. Schade nur, dass es sein Privatleben war, welches keinen Rückzug zuließ und ihm das Herz brach. Er ging zu den beiden hinüber, welche ihre Unterhaltung unterbrachen. „Moki, alles in Ordnung?“ „Ja, alles prima.“ Er hängte sich gleich an Noahs Arm und verspürte eine tiefe, innere Dankbarkeit dafür, dass er einen Arm hatte, an welchen er sich hängen konnte. „Du siehst traurig aus, Häschen. Habt ihr euch schon wieder gestritten?“ „Nein, nicht so richtig.“ Er lehnte sich an ihn und sah den Schnauzbart an. „Tjergen sagt, er macht die Kampagne für die KC. Es soll alles beim Alten bleiben.“ „Der Junge macht mich fertig.“ Der Manager fasste sich an die Stirn und lockerte dann seine Krawatte. Sein Schützling machte ihm das Leben nicht gerade leicht. „Nun ja, Mr. Dwight“ lächelte Noah ihn zufrieden an. Für ihn war es gut, wenn der Vertrag so blieb wie vereinbart. „Wenn noch etwas sein sollte, rufen Sie mich gern an. Sie haben ja meine Nummer, oder?“ „Natürlich. Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, Mr. Kaiba.“ Er schüttelte ihm die Hand und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Terry ändert häufig seine Meinung, aber bei der Arbeit ist er zuverlässig. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“ „Ich wusste, dass er keine einfache Person ist. Ich kenne Männer wie ihn“ antwortete er in einem geschäftlichen Ton. „Machen Sie sich keine Sorgen. Ich bin sicher, niemand wird die Vertragsschließung bereuen. Hauptsache, er wird jetzt gesund und kann seine letzten Kunden bedienen, bevor er sich uns widmet.“ „Natürlich. Vielen Dank für ihre Geduld.“ „Und bitte benachrichtigen Sie mich, nachdem der Chirurg eingetroffen ist“ bat er noch halb im Gehen. „Wir werden selbstverständlich für sämtliche Behandlungs- und Folgekosten aufkommen.“ „Ich halte Sie auf dem Laufenden. Danke für Ihren Besuch, Mr. Kaiba. Mr. Kaiba.“ Er nickte den beiden nochmals zu, bevor er sich mit schnellen Schritten zurück ins Krankenzimmer beeilte. „Was ist los?“ Nun legte Noah seinen Arm um Mokubas Hüfte und küsste ihn sanft auf die Stirn. „Rede schon. Ich sehe doch, dass irgendwas nicht stimmt.“ „Nein, es stimmt einfach alles“ erklärte er und schmiegte sich an Noahs Brust, legte beide Arme um ihn. „Ich habe ein wunderbares Leben. Abgesehen von einem großen Bruder, der immer für mich da ist und der mir eine liebevolle Familie gibt, habe ich einen Partner, der mich über alles liebt und einen gesunden Sohn. Weißt du eigentlich, dass das, was wir beide haben, etwas ganz Besonderes ist?“ „Natürlich weiß ich das.“ Er strich ihm durch das lange Haar und küsste seinen Scheitel. „Auch ich habe einen großartigen Partner, der zu mir steht und mich von Herzen liebt. Und der mir ein tolles Kind geschenkt hat. Natürlich weiß ich, wie besonders das ist. Ich sage es dir vielleicht nicht jeden Tag, aber ich liebe dich mehr als alles andere in meinem Leben und ich bin dem Schicksal dankbar dafür, dass es uns zusammengeführt hat.“ „Ich denke, du glaubst nicht an so was wie Schicksal?“ „Wenn ich dich sehe, fange ich langsam an, daran zu glauben“ lachte er und knuddelte ihn. „Ich habe mich quasi in mein Schicksal gefügt.“ „Ach! So ist das, ja?“ Er schubste ihn spaßig weg und ordnete sich seine Haarpracht, die Noah mal wieder durcheinander gebracht hatte. „Na warte, komm du mir nach hause.“ „Siehst du? Genau das meine ich.“ Er nahm Mokuba in den Arm und küsste seine Wange. „Und wie kommt Terry nun dazu, so schnell seine Meinung zu ändern? Will er nicht mehr mit McGanner nach Miami?“ „Er will wohl schon, nur sein Macker will nicht“ erklärte Mokuba betrübt. „Er ist ohne ihn geflogen. Ich habe das Gespräch nicht richtig mitverfolgt, aber es klang als wäre es ihm ziemlich egal, dass Tjergen im Krankenhaus liegt. Es sei ja keine lebensbedrohliche Verletzung oder so.“ „Das passt zu ihm“ seufzte Noah. „Armer Terry. Muss schwer sein, wenn man sich in so einen eisernen Mann verliebt.“ „Du würdest sofort kommen, wenn ich im Krankenhaus läge. Egal wie wichtig der Job ist. Oder?“ „Mokuba Kaiba!“ hob er tadelnd den Finger. „Ich bin beleidigt, dass du mich das überhaupt fragst. Oh! Hallo!“ Noah winkte zu Mokubas Rückseite. „Wem winkst du?“ Der drehte sich um und sah, dass dort Tristan und Nika vor dem Fahrstuhl standen und etwas ratlos herübersahen. „Tristan und Nikolas. Was machen die denn hier?“ „Fragen wir einfach.“ Noah nahm Mokuba an der Hand und ging zu den beiden hinüber. „Tag. Seid ihr uns gefolgt?“ „Nein, wir wussten gar nicht, dass ihr hier seid“ antwortete Nika und sah sich noch immer nach allen Richtungen um. „Welche Station ist das denn hier? Ich sehe keinen Informationsschalter.“ „Soweit ich weiß, sind hier nur Patientenzimmer“ antwortete Noah. „Wo wollt ihr denn hin?“ „Zu einem Dr. Bachsen.“ „Bechsson“ korrigierte Nika Tristans Falschauskunft. „Oder zu dem. Wir haben heute Morgen einen Beratungstermin.“ „Beratungstermin?“ schaute Mokuba neugierig. „Nikolas, willst du jetzt doch wieder eine Hormontherapie machen? Willst du nicht wenigstens warten bis wir die letzten von Mariks Schriften durchforstet haben?“ „Nein, für einen neuen Spießrutenlauf bin ich noch nicht bereit“ antwortete sie und nahm Tristans Hand. „Wir wollen uns über eine homologe Insemination informieren.“ „Warum benutzen heute alle Leute so schwierige Worte?“ „Das bedeutet, wir wollen uns über so eine Art künstliche Befruchtung informieren“ erklärte Tristan etwas genauer. „Wir haben das besprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass Nikolas früher oder später auf die ein oder andere Weise wieder eine Frau sein wird und damit unfruchtbar. Also wollen wir zumindest sein Sperma aufheben, um vielleicht doch noch gemeinsame Kinder zu bekommen.“ „Dann seid ihr hier aber falsch“ meinte Noah und drückte den Knopf am Fahrstuhl, bevor er die Tafel neben den Schiebetüren studierte. „Ich denke mal, ihr müsst in die Gynäkologie oder Urologie. Die sind beide auf der zweiten Etage. Das hier ist die neunte.“ „Aber die Schwester sagte doch, wir sollen uns oben an der Information melden und neben der Neun ist das große I für Information“ guckte Tristan Nika an. „Oder kriege ich da was durcheinander?“ „Nein, da hast du Recht“ bestätigte sie. „Aber die Dame hatte einen starken Akzent. Ich habe sie auch kaum verstanden.“ „Wir kriegen schon raus, wo ihr hinmüsst“ beschloss Noah und stieg als erster in den Fahrstuhl. Er drückte auch den Knopf für die zweite Etage. „Nikolas, woher kommt der Sinneswandel? Hattest du dich nicht dagegen entschieden, deine Spermien konservieren zu lassen?“ „Ja schon. Aber damals habe ich noch anders gedacht.“ Sie hielt Tristan fest an der Hand. Den Mann, der ihr Leben verändert hatte. „Ich habe immer gedacht, wenn ich mein Geschlecht ändere, ist es meine Schuldigkeit an die Natur, mich nicht auch noch vermehren zu wollen. Ich hatte auch immer ein bisschen Angst, dass meine Kinder vielleicht so verwirrt werden wie ich.“ „Ich habe dich da eh nie verstanden“ warf Tristan ein. „Es hätte mir auch gereicht, wenn unsere Kinder nur Tristans Gene haben“ ergänzte sie. „Aber er ist anderer Meinung. Und nachdem es ja nun neue Perspektiven gibt“ sagte sie und warf Noah einen vielsagenden Blick zu. Tatos Weissagung hatte ihr doch zu denken gegeben und sie anscheinend hergeführt. „Ich finde auch, du solltest dir trotz allem die Möglichkeiten offenhalten“ argumentierte Tristan. „Wer weiß, ob wir in zehn Jahren nicht doch Kinder von dir haben wollen? Du sprichst doch immer vom Schicksal und vielleicht ist diese Sache ein Wink des Schicksals.“ „Warum glauben jetzt plötzlich alle vernünftigen Leute ans Schicksal?“ schüttelte Mokuba den Kopf. „Tato hat ihm aus der Hand gelesen“ nickte Tristan auf Nika. „Niemand will mir sagen, was dabei rauskam, aber seitdem besteht Nikolas darauf, dass wir uns über die Konservierung seiner kleinen Arbeiter informieren.“ „Ich denke auch, dass das eine gute Sache ist“ pflichtete Noah bei und wies auf die sich öffnenden Türen, worauf sie alle ausstiegen. „Sich zu informieren, kann nicht falsch sein. Und selbst wenn du später als Frau keine Kinder mehr von dir selbst haben möchtest, zwingt dich auch niemand, dein eigenes Sperma zu nutzen. Sich alle Türen offen zu halten, schadet nicht.“ „Sei glücklich, dass du einen Mann hast, der so zu dir steht“ war Mokubas Meinung dazu. „Ich weiß. Ich bin glücklich“ versprach sie und blickte ihren Schatz verliebt an. „Und wenn Tristan sich später Kinder von mir wünscht, soll er sie auch haben.“ „Das sehen wir dann. Erst mal informieren wir uns. Schwieriger als Sperma einzufrieren, ist wahrscheinlich eher, eine Leihmutter zu finden.“ „Ich würde ja zuerst an Tea denken“ schlug Mokuba vor. „Die kriegt hundert Pro nur gesunde Kinder.“ „Nein, nicht jemand aus der Familie“ beschloss Tristan schon jetzt. „Das sehe ich auch so“ schloss sich Nika an und kratzte ihr stoppeliges Gesicht. „Es würde nur Probleme geben, wenn wir jemanden fragen, der uns nahe steht.“ „Du sollst dich nicht ständig kratzen.“ „Ja ja“ murrte sie und nahm die Hände runter. „Ich hasse dieses Gefühl im Gesicht. Gerade rasiert und schon wieder Dreitagebart. Ich rasiere mir lieber die Beine als das Gesicht.“ „Da hinten ist die Information“ zeigte Noah den Gang entlang. „Sollen wir noch warten und euch dann wieder mit nach hause nehmen?“ „Nein, nicht nötig“ seufzte Nika mit schwerer Stimme. „Ich glaube, ich muss mir hinterher doch mal ein paar eigene Klamotten kaufen. Ich meine, welche in denen ich nicht aussehe wie eine Transe.“ „Du stellst dich also darauf ein, noch länger als Mann zu leben?“ „Die Phase, dass ich krampfhaft Damensachen tragen muss, habe ich hinter mir. Damals war das wichtig für mich, um mir über meine Sexualität bewusst zu werden. Aber im Augenblick will ich nicht angestarrt oder beschimpft werden.“ „Und was sagt dein Mann dazu?“ schaute Mokuba den an. „Der steht zu mir. Egal, was ich tue“ antwortete Nika für ihn. „Wahrscheinlich steht er im Augenblick mehr zu mir als ich zu mir selbst.“ „Mach dir nicht so viele Gedanken. Sei froh, dass du …“ Tristan konnte seinen Satz nicht bis zum Ende bringen als ihre Gruppe von einer Krankenschwester gesprengt wurde. „Was machst du denn noch hier?“ Sie war eine schlanke, blonde, sehr hübsche Frau mit großen Augen und … grooooßen Augen, die fast aus ihrem Dekolleté hüpften. Und sie postierte sich direkt vor Mokuba, ignorierte, dass noch andere Leute um ihn herumstanden. „Ich?“ drehte der sich um und erwiderte ihren Blick mit Verwirrung. „Sprechen Sie mit mir?“ „Natürlich mit dir. Du bist lustig.“ Einen belustigten Eindruck machte sie nicht. Stattdessen zückte sie das Schreibbrett unter ihrem Arm, blätterte ein paar Zettel um und beäugte Mokuba sehr eingängig. „Bist aus dem OP gelaufen? Der Anästhesist ist doch schon bei dir gewesen.“ „Bei MIR?“ Mokuba zeigte auf sich. Er sah die anderen an, doch die konnten ihm auch nicht wirklich helfen. „Vielleicht verwechseln Sie uns“ riet Noah. „Wir sind eigentlich nur zufällig hier. Oder habt ihr einen Termin auf den Namen Kaiba gemacht?“ „Nein, auf Taylor“ antwortete Tristan. „Häh?“ guckte jetzt die Krankenschwester mit den großen Augen verwundert. „Weder noch.“ „Wie weder noch?“ wollte Mokuba jetzt wissen. „Was genau wollen Sie denn von mir?“ „Du kommst mir heute irgendwie komisch vor. Siehst auch ganz schön fertig aus. Sorry für die Feststellung.“ Sie blätterte ihre Unterlagen nochmals durch, prüfte sie ganz genau. „Aber du hast deinen Termin nicht abgesagt. Hier steht es. Heute um halb elf. Oder hast du es dir doch im letzten Moment anders überlegt?“ „Was zum Geier lesen Sie denn da?“ Mokuba schnappte ihr das Schreibbrett weg und las selbst. „Nicht! Das sind vertrauliche Daten!“ „Mokeph Gardener?“ Er blickte auf und sah sie ernst an. „Sie verwechseln mich wirklich. Ich bin nicht Mokeph. Ich bin Mokuba.“ „Bitte?“ Jetzt kam auch sie nicht mehr mit. „Mokeph ist so eine Art Zwilling von mir“ erklärte er und gab ihr die Unterlagen zurück. „Warum hat er denn einen Termin heute? Und dann auch noch mit Anästhesist.“ „Du bist nicht Mokeph? Du siehst aber haargenau aus wie er.“ „Na ja, die Haare sind schon anders.“ „Gute Frau“ mischte sich nun Noah ernsthaft ein. „Wir kennen Mokeph sehr gut. Und zu hören, dass er heute eine Operation hat, besorgt uns nun ein wenig. Wofür genau ist er denn hier?“ „Tut mir leid, das darf ich Ihnen dann wohl nicht sagen. Martha!“ Sie winkte einer anderen Schwester. Der Kleidung und des Alters nach zu urteilen, wohl ihre Vorgesetzte. Die rundliche Frau mit der mintgrünen Arbeistkleidung und dem verrutschten Make-Up kam herüber und nickte den vieren mit einem freundlichen „Guten Tag“ zu. „Anna, was ist denn los? Du solltest doch nur die Medikamente für Mr. Gravsson holen.“ „Martha, er hier sieht doch original aus wie Mokeph.“ Sie wandte ihre kritischen Augen auf Mokuba und nahm dann ihre eigenen Unterlagen zur Hand. „Das kann nicht sein. Mr. Gardener wird gleich in den OP geschoben. Ich war eben noch bei ihm.“ „Vielleicht können Sie ja etwas Licht ins Dunkel bringen“ bat Noah in seinem diplomatisch geschäftsmännischen Ton. „Wir sind Angehörige von Mr. Gardener und haben gerade erfahren, dass er wohl hier liegt. Ist ihm etwas zugestoßen?“ „Nein. Noch nicht“ antwortete sie gleichgültig und überflog nochmals die Patienteninformation. „Ist einer von Ihnen Noah Kaiba?“ „Ja, ich“ meldete Noah ruhig zurück. „Mr. Gardener hat Sie als Vertrauensperson eingetragen. Für den Fall, dass bei seiner Operation Komplikationen auftreten, dürften wir uns an Sie wenden. Er hat Sie nicht in Kenntnis gesetzt?“ „Ich wünschte, er hätte es.“ Jetzt wurde ihm doch etwas band. „Weshalb ist er denn nun hier? Was für eine Operation?“ „Lassen Sie uns etwas beiseite gehen“ bat die Oberschwester und zog ihn hinter einen Broschürenständer, damit die Gruppe nicht den Fahrstuhl blockierte. Sie blickte nochmals, nur zu aller Sicherheit in die Akte und war sich ganz sicher. „Ich darf Ihnen eigentlich keine Auskunft geben. Haben Sie vielleicht Ihren Ausweis dabei? Führerschein, Reisepass, irgendetwas?“ „Natürlich.“ Er kramte seinen Führerschein heraus und sie kontrollierte schnell den Namen. Mit einem „In Ordnung“ gab sie ihn zurück und machte einen Haken auf ihren Unterlagen. „Mr. Gardener lässt heute Morgen eine Vasektomie vornehmen. Das ist ein Routineeingriff, der ambulant erfolgt. Wenn also alles normal verläuft, können Sie ihren Freund in ein paar Stunden wieder mit nach hause nehmen. Kein Grund, sich Sorgen zu machen.“ „Wiederholen Sie doch bitte noch mal, was genau das für eine OP ist“ bat er geschockt. Es konnte ja sein, dass er sich verhört hatte … Kapitel 8: Chapter 36 - 40 -------------------------- Chapter 36 Oberschwestern waren keine würdigen Gegner für einen rasenden Mokuba. Er schnappte sich die Unterlagen der Krankenschwester, sah seine Zimmernummer und rannte gen Raum 28, wo sein Yami den größten Fehler seines Lebens machen wollte. Mit einem Knall flog die Tür auf. „Sag mal, spinnst du?“ Zum Glück war es wirklich Mokeph, welcher dort im Bett lag und nicht irgendwer anderes. Jeder andere wäre wenn nicht am Schrecken, dann doch an seinem wütenden Blick gestorben. „Mokuba?“ „Sag mal, hast du sie noch alle?“ Er riss ihm die Decke weg und hob das rückenfreie Krankenhaushemdchen, um zu sehen, ob noch alles an Ort und Stelle war. „Bist du schon operiert?“ „Nein, aber betäubt.“ Nuschelte er, nahm mit etwas schwächeren Händen die Decke zurück über seinen nackten Schoß und schob Mokubas Hände weg. „Was zum Geier machst du hier?“ „Weiß Tea davon?“ „Was meinst du, für wen ich das tue?“ fragte er und ließ sich müde ins Kissen zurücksinken. Er hatte bereits Beruhigungsmittel und eine Betäubung bekommen und wartete nur noch darauf, dass es losging. „Tea hat von dir verlangt, dass du dich sterililisieren lässt?“ „Beruhige dich. Du stotterst.“ „Mann, Moki!“ Atmend stand Noah in der Tür und hatte ihn endlich eingeholt. „Noah, bitte sag ihm, er soll sich beruhigen.“ „In der Tat, Häschen. Du solltest dich bei der Schwester entschuldigen, die du in den Blumenkübel geschubst hast.“ „Tea hat verlangt, dass er sich kastrieren lässt!“ „Bitte?“ „Nicht kastrieren. Sterilisieren“ berichtigte Mokeph und ordnete sich die Decke über dem tauben Schoß. „Und Tea weiß nicht, dass ich hier bin.“ „Da hätte sie auch sicher etwas gegen“ vermutete Noah, schloss die Tür hinter sich und schob Mokuba einen Stuhl unter den Arsch, damit er sich setzte und nicht in seiner Aufregung noch jemanden umschubste. „Mokeph! Du spinnst doch!“ schimpfte der unentwegt weiter. „Du kannst doch nicht an deinem Schwanz rumschnippeln lassen! Was ist mit deinen ungeborenen Kindern?!“ „Jetzt beruhige dich. Wir unterhalten uns erst mal.“ Noah blieb da wesentlich ruhiger. Deshalb hatte Mokeph wahrscheinlich auch ihn und nicht seinen Hikari als Notfallperson eingetragen - Mokuba sah die Dinge zu emotional. Noah zog auch sich einen Stuhl herbei, atmete tief und sah dann Mokeph an. Er trug zwar schon sein stylisches OP-Hemdchen und lag im Bett, aber ansonsten sah er noch vergleichsweise frisch aus. Nur etwas müde. „Die Operation hat noch nicht stattgefunden, oder?“ „Nein. Aber ich werde gleich abgeholt“ antwortete er und lehnte den Kopf gegen die Wand. „Was macht ihr hier?“ „Zufall. Wirklich. Eigentlich waren wir bei Terry im neunten Stock“ erklärte Noah und fasste Mokubas Hände, bevor der die Bettdecke zerriss. „Mokeph, du lässt eine Vasektomie vornehmen? Wie kommst du auf so eine Idee?“ „Ist das nicht offensichtlich?“ seufzte er und bekam einen traurigen Blick. „Ich kann doch nicht mit Tea schlafen, wenn sie jedes Mal schwanger wird.“ „Ja, aber deine Männlichkeit war dir doch immer so wichtig.“ Mokuba verstand die ganze Sache nicht. Überhaupt nicht. „Ich weiß noch, dass wir mal über Sterilili … Steridings gesprochen haben.“ „Sterilisation.“ „Genau. Und du warst hoch pikiert, wie Mann so etwas nur tun kann. Das ist doch gegen jeden deiner Grundsätze!“ „Ich weiß. Oder sehe ich aus als hätte ich hier viel Spaß?“ erwiderte er. Doch zum Glück ließen sich beide von Noahs Ruhe anstecken und versuchten, sich weniger emotional zu unterhalten. „Warum bitte machst du dann so was hier? Und warum erzählst du mir nichts? Ich bin dein Hikari, verdammt! Wir sollten alles erst besprechen. Besonders so etwas!“ „Ich hatte Angst, dass du mir abrätst“ gestand er. „Aber Fakt ist doch, dass ich schon ein Kind habe, welches nicht von Tea ist. Und sie ist zu Recht bitterböse mit mir. Ich habe schon alles versucht, aber mir fällt nichts ein, womit ich sie zurückgewinnen kann.“ „Und du meinst“ warf Noah ein, „deine Männlichkeit aufzugeben, gefällt ihr?“ „Ich gebe ja nicht meine Männlichkeit auf. Jedenfalls nicht so richtig.“ Auch wenn er nicht wirklich überzeugt klang. „Ich meine, der Arzt durchtrennt nur die Samenleiter. Meine Erektionsfähigkeit wird davon nicht berührt. Ich schieße dann eben nur mit leeren Patronen.“ „Du meinst Platzpatronen“ berichtigte Mokuba. „Oder so.“ „Und deine ungeborenen Mädchen?“ wollte Noah hören. „Hast du daran gedacht?“ „Ich habe doch schon vorgearbeitet. Mein Sperma liegt auf Eis und wenn Tea will, kann sie jederzeit etwas davon haben und schwanger werden.“ „Aber hast du das mit ihr besprochen? Sie ist noch immer deine Frau.“ „Sie redet doch nicht mehr mit mir“ seufzte er und schloss seine schweren Augen für den Moment. „Ich sehe keinen anderen Weg, ihr meine Liebe zu zeigen. Ich möchte noch mehr Kinder haben, noch viel mehr. Aber nur mit Tea und mit keiner anderen. Tea ist die Frau, die ich liebe. Und ich würde alles für sie tun.“ „Aber so etwas“ bat Mokuba ernst. „So etwas ist doch kein Strauß roter Rosen. Das ist ein lebenslanger Eingriff. So was macht man nicht mal einfach so zum Valentinstag. Besonders du nicht. Das passt überhaupt nicht zu dir.“ „Ich würde alles für sie tun“ versprach er mit belegter Stimme. „Ich will nicht, dass sie sich einen anderen sucht. Also muss ich mir etwas Großes einfallen lassen. Größer jedenfalls als das, was Seto sich ausgedacht hat.“ „Du stehst doch zu Seto in keiner Konkurrenz“ versuchte Noah ihm zu sagen. „Aber andere Männer machen sie glücklich. Das kann doch nicht sein …“ „Du spinnst“ setzte Mokuba hier den Punkt seiner Erkenntnis. Es klopfte an der Tür, kurz, dann steckte Tristan seinen Kopf hindurch. „Leute? Der OP ist jetzt frei. Die Schwestern warten auf ne Info.“ „Mokeph, ich will dir nicht vorschreiben, was du tun sollst“ bat Noah und sah ihn durchdringend an. „Aber bitte warte noch. Unterhalte dich erst mit Tea, bevor du etwas machst, was dir hinterher leid tut.“ „Und dann? Dann lässt sie sich scheiden, weil sie denkt, ich will ihr so eine Entscheidung aufdrücken. Das muss ich allein entscheiden.“ „Nein, wirklich“ bestand Noah fest. „Stell dir vor, Tea würde sich die Gebärmutter herausnehmen lassen, um dir ihre Liebe zu beweisen. Würdest du das gut finden?“ „Das ist etwas ganz anderes. Bei einer Frau ist das ein schwerer Eingriff, der Folgeschäden, zumindest Hormonprobleme verursacht. Bei einem Mann ist das nur ein kleiner Schnitt und sonst nichts.“ „Ich meine nicht die Schwere der Operation. Ich meine die Sache an sich. Würdest du dir nicht wünschen, dass sie so etwas vorher mit dir bespricht?“ „Ja, genau“ fiel auch Mokuba mit ein. „Vielleicht will Tea gar kein gefrorenes Sperma, sondern auf natürlichem Wege gezeugte Kinder.“ „Ich kann ja froh sein, wenn ich überhaupt noch mal bei ihr schlafen darf. Geschweige denn mit ihr“ seufzte er und sah betrübt zu Boden. „Ich habe lange darüber nachgedacht und der Gedanke, dass ich meine Zeugungsfähigkeit aufgebe, gefällt mir nicht besonders. Aber Tea weiß das. Vielleicht sieht sie dann, dass ich es ernst meine und nur mit ihr alleine Kinder haben möchte. Ich liebe doch nur sie …“ „Und ich dachte immer, du wärst der vernünftigere von uns beiden.“ Mokuba legte seinen Kopf auf Mokephs Füße und blickte ratlos zu ihm hoch. „Tea liebt dich, das weiß jeder. Aber es gibt sicher noch einen anderen Weg, ihr deine Liebe zu zeigen.“ „Selbst wenn sie mich noch liebt, heißt das nicht, dass sie mir auch verzeiht“ widersprach er und suchte Hilfe bei Noah. „Sie redet schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr mit mir. Und ich kann es ihr nicht mal krumm nehmen. Ich poppe eine andere, jubele ihr ein Kuckuckskind unter und erwarte dann, dass sie weiter die liebende Ehefrau für mich spielt? Ich habe doch nie irgendwas für sie getan. Sie hatte große Träume und sie hatte das Zeug dazu, eine echte Profitänzerin am Broadway zu werden. Stattdessen bekommt sie meine Kinder und kümmert sich um mein Zuhause, damit ich studieren kann. Sie hat alles für mich aufgegeben. Und was habe ich jemals für sie getan?“ „Du hast sie geliebt“ antwortete Noah besonnen. „Mehr wollte sie nicht.“ „Aber Risa war nicht unbedingt ein geplantes Kind. Und Thesi auch nicht. Dakar erstrecht nicht. Nur meinetwegen läuft Teas Leben ganz anders als sie es geplant hatte.“ „Liebe kann man nun mal nicht planen.“ „Hör doch auf, von Liebe zu reden! Ich habe eine andere geschwängert! So weit kann es mit der Liebe dann ja wohl nicht her sein!“ „Und dennoch willst du dich aus Liebe sterilisieren lassen? Du widersprichst dir selbst, Mokeph.“ Er schnappte nach Luft, sah erst Noah und dann Mokuba lange an. Eigentlich sollte er bereits im OP liegen. Stattdessen rechtfertigte er sich hier und wurde von Noah ad absurdum geführt. So war das nicht geplant. „Wenn du Zweifel hast, solltest du es nicht tun“ bat Mokuba leise. „Genau deshalb wollte ich nicht mit euch darüber reden. Ich wusste, dass ihr dagegen seid.“ „Es geht nicht darum, ob wir dagegen oder dafür sind“ versuchte Noah ihm ganz ruhig zu erklären. „Wenn du entscheidest, dass du so etwas tun möchtest, dann hat niemand das Recht, dir das schlecht zu reden. Aber du hast eine Frau und wir denken einfach, dass du so etwas zuerst mit ihr besprechen solltest.“ „Sie würde doch nur denken, dass ich sie unter Druck setze. Dass ich die OP als Druckmittel einsetze, damit sie mir verzeiht.“ „Trotzdem solltest du mit ihr reden.“ „Nun ist es aber auch zu spät.“ Er steckte die Hände unter die Decke und kuschelte sich ein. Allmählich wurde ihm kalt und müde war er auch. „Es ist schon alles vorbereitet. Ich kann das jetzt nicht wieder absagen.“ „Ich rufe jetzt Tea an“ beschloss Mokuba und nahm sein Handy zur Hand. „Wenn du danach immer noch an dir rumschnippeln lassen willst, hast du meinen Segen. Aber wenn du nicht vorher mit ihr redest, rede ich auch nie wieder ein Wort mit dir.“ „Mokuba, meine Familienplanung geht dich doch eigentlich gar nichts an.“ „Ich bin dein Seelenpartner. Mich geht alles etwas an.“ Und während Mokuba versuchte, seinen Yami von vorschnellen Entschlüssen abzuhalten, setzte Noah all seine Überredungskunst ein, um die Operation zu verschieben. Besonders begeistert war die große Ärzteschaft davon natürlich nicht, doch das Glück war ihm hold - und der Oberarzt eine Oberärztin. Bei Frauen hatte Noah leichtes Spiel und so schaffte er es nach vielem Lächeln und ein wenig Zwinkern, sie in die Kantine zu einem Kaffee und einem Stück Zitronenkuchen einzuladen. Natürlich nur um sich über die Studienmöglichkeiten für seinen Freund zu informieren, sodass zumindest ein sachlicher Grund vorlag … Es dauerte eine Dreiviertelstunde bis Tea und ihr grimmiges Gesicht das Krankenzimmer betraten. Dakar schlief in seinem Kinderwagen und interessierte sich nicht für den Anlass des plötzlichen Ausflugs. Er hätte Mamas Gesicht wahrscheinlich auch nicht wiedererkannt so dunkel und verkniffen wie sie den Papa anschaute. „Oookay.“ Da wurde selbst Mokuba flau im Magen. Er räumte den Stuhl an Mokephs Bett und wollte lieber nicht wissen, was hier gleich abging. „Ich warte dann mal draußen. Soll ich das Baby mitnehmen?“ „Bitte“ sagte Tea mit gepresster Stimme und überließ ihm die Steuerung des Kinderwagens. „Na komm, Kleiner. Mama und Papa müssen sich mal alleine unterhalten. Ach, du schläfst ja. Na so was. Dann schlaf mal schön weiter …“ Und möglichst schnell machte er die Tür zu, damit er nicht dazwischen stand. Das musste Mokeph jetzt alleine ausfechten. Tea stand zwei Meter von seinem Bett entfernt und sah ihn mit kalten Augen an. Mokeph hingegen war nur noch müde. Die Beruhigungsmittel hatten ihre volle Wirkung entfaltet und lähmten seine Wahrnehmung. Doch er nahm wahr, dass Tea viel größere ‚Augen‘ hatte als seine Krankenschwester - nur dass seine Frau ihre Reize unter einem höheren Ausschnitt verbarg. Sie war eben keine von denen, die sich leicht hergab. Sie hatte viel mehr Stil und der sich unter dem T-Shirt abzeichnende BH war auch viel erotischer anzusehen als so ein prall gepuschter Busen. „Wenn du jetzt auch noch mein Gesicht fändest, wäre das nett.“ „Tut mir leid.“ Er hob seinen Blick und sah ihr in die richtigen Augen. Er setzte ein müdes Lächeln auf, aber erhielt keines zur Antwort. „Ich wollte eigentlich gar nicht, dass du kommst.“ „Dann kann ich ja auch wieder gehen.“ „Nein, ich meine … ach.“ Er fasste sich an die Stirn und atmete ein Mal tief ein und wieder aus. „Ich meine, ich wollte dich überraschen. Ich wusste nicht, dass Noah und Mokuba hier herumlaufen. Aber ich bin natürlich froh, dass du gleich hergefahren bist.“ „War nicht einfach, so plötzlich einen Babysitter für Theresa zu finden“ erwiderte sie und ließ ihren Blick über die zugedeckte Gestalt wandern. „Zum Glück waren Narla und Marie noch zuhause.“ „Dann sind die Mädchen ja in guten Händen.“ „Das sind sie immer.“ Sie zog den Stuhl etwas vom Bett weg und setzte sich zu ihm. Wenn auch mit einer Armlänge Abstand. Sie verschränkte die Arme und die Beine und sah ihn so durchdringend an, dass ihm noch schwindeliger wurde. „Und wann hast du dir gedacht, dass du mir hiervon erzählst? Auch erst wieder, wenn alles vorbei ist?“ „Eigentlich ja“ lächelte er und versuchte möglichst versöhnlich auszusehen. Er hatte sich so lange überlegt, was er ihr sagen wollte, aber jetzt waren zu wenige Worte in seinem Kopf. „Ich wusste, dass mir jeder davon abraten würde. Und du redest ja sowieso nicht mit mir. Zu Recht. Auch wenn du Dakar sofort angenommen hast, wollte ich dir beweisen, dass ich nur Kinder mit dir haben will. Weil du die einzige Frau bist, mit der ich Kinder haben möchte. Und wenn du es für richtig hältst, wenn du noch immer unsere Töchter bekommen möchtest, dann steht dir mein … mein Sperma immer zur Verfügung. Du kannst selbst entscheiden, wann oder ob du überhaupt noch möchtest. Das soll mein Versprechen sein, dass keine andere Frau die Mutter meiner Kinder sein soll.“ „Das hast du dir ja schön zurechtgelegt.“ „Warum?“ „Weißt du wie das für mich aussieht?“ Sie lehnte sich vor und sagte ihm die Meinung schonungslos ins Gesicht. „Du lässt dich sterilisieren, schenkst mir ein paar eingefrorene Portionen Sperma und denkst, ich freue mich darüber?“ „Um ehrlich zu sein ja“ erwiderte er und versuchte, sich aufzurichten. Doch sein Körper war schwer wie Blei und so musste er im Halbsitzen liegenbleiben. „Ich gebe alles für dich auf. Ich wollte immer viele Kinder haben, aber nur mit dir. Ich lege alles in deine Hand, was mir etwas bedeutet.“ „Ich ich ich - denkst du dabei auch mal an mich?“ zischte sie zurück, aber sie hatte Tränen in den Augen. Sie war weniger wütend als mehr traurig. „Ich darf deine Kinder gebären, aber poppen willst du gefahrlos mit anderen. Das ist nicht gerade eine Auszeichnung.“ „Das hat doch nichts mit fruchtlosem Geschlechtsverkehr zu tun.“ Das hier lief in eine ganz andere Richtung als er geplant hatte. „Meine Kinder bedeuten mir alles auf der Welt. Aber nur mit dir gemeinsam. Ohne dich will ich keine Kinder.“ „Aber begehren tust du andere Frauen! Verdammt!“ Sie wischte sich die kullernden Tränen aus den Augen und wandte sich halb von ihm fort. „Nein, Tea! Ich liebe nur dich. Bitte, das musst du mir glauben.“ „Und warum spüre ich das dann nicht? Du sagst immer, es täte dir leid, aber du verhältst dich nicht so!“ „Wie soll ich mich denn deiner Meinung nach verhalten? Ich bin kein großer Romantiker. Ich habe auch keinen Sinn für Rosen und Gedichte oder dafür, was Frauen gefällt. Ich mache mich doch nur lächerlich, wenn ich vor deinem Fenster zu singen anfange oder wenn ich versuche, mit dir tanzen zu gehen. Ich würde dir ja gern all das bieten, aber ich habe dafür keine Talente. Wenn ich sehe, wie Seto dich lächeln lässt und sich Sachen für dich ausdenkt, dann denke ich mir, dass ich das auch gekonnt hätte. Aber ich komme auf so was nicht!“ Er schloss die Augen und bekämpfte den betäubten Schwindel in seinem Kopf. „Tea, ich wünschte, ich wäre ein romantischer Ritter auf einem Pferd, der dir liebesschwangere Verse vorträgt. Ich wünschte wirklich, ich wäre so einer.“ „Wer sagt denn, dass ich so etwas will?“ Sie legte die Stirn in die Hand und hielt sich selbst nur schwerlich vom Schluchzen ab. „Was willst du denn? Bitte sag es mir.“ Er streckte die Hand zu ihr, doch sie war zu weit weg und ansehen tat sie ihn auch nicht. „Sag mir, was du von mir verlangst. Ich würde alles für dich tun. Aber du musst es mir sagen … von selbst komme ich nicht drauf.“ „Ich will nur, dass du mir zeigst, dass du mich liebst“ bat sie mit zitternder Stimme. „Aber wie? Wie soll ich dir das beweisen? Was wünschst du dir?“ „Du sollst es nicht beweisen. Du sollst es zeigen.“ „Aber wie? Wie soll ich das jetzt noch machen? Ich habe dich bitter enttäuscht und ich bringe dich zum Weinen. Und alles, was ich an Romantik tue, ist nur von anderen kopiert. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie zeigen, wie sehr ich dich liebe. Genau das versuche ich doch. Deswegen bin ich heute hier.“ „Nein, du bist hier, weil du nur an dich denkst“ warf sie ihm vor und wischte sich neue Tränen aus den Augen. „Tea, bitte weine nicht mehr. Es tut mir leid.“ „Bevor Dakar da war, hast du dich so aufopfernd um uns gekümmert.“ Sie drehte ihren Kopf und blickte ihn klagend an. „Du warst für uns da. Du hast mit den Mädchen gespielt. Du bist mit uns vor dem Fernseher eingeschlafen. Du hast mir eine Decke geholt, wenn mir kalt war. Du hast mir morgens Tee gemacht und für Thesi das Fläschchen. Und für Risa bist du sowieso der Größte. Ich will doch gar keine große Romantik. Ich will einfach nur, dass du zu deiner Familie stehst und zeigst, dass wir dir etwas bedeuten.“ „Das kann ich. Tea, das kann ich doch.“ „Ja, aber das schlimmste ist, du hast das alles nur getan, weil du ein schlechtes Gewissen hattest.“ „Vielleicht. Aber auch noch aus einem anderen Grunde.“ Er versuchte ihr trotz seiner schweren Lider in die Augen zu sehen und öffnete seine auf dem Bett liegende Hand zu ihr. „Nachdem diese Frau fort war, war ich erschrocken von mir selbst. Das mit ihr war nur Sex. Es gab hinterher keinen Kuss, niemanden der sich an mich schmiegt und niemanden, der sich beschwert, dass ich etwas zu trinken holen soll. Erst da habe ich erkannt, wie viel du mir bedeutest.“ „Ach ja.“ „Ja. Ich habe dich die ganze Zeit geliebt, aber es war für mich so selbstverständlich, dass ich den Wert vergessen hatte. Ich habe erkannt, wie viel du mir bedeutest und wie dankbar ich sein muss für eine Frau wie dich. Vielleicht war es das schlechte Gewissen. Aber es war noch mehr. Es war die Wertschätzung und das Bedürfnis, für meine Familie da zu sein. Für dich da zu sein. Weil ich so eine Frau wie dich kein zweites Mal finde. Und weil du so eine Demütigung nicht verdient hast.“ „Ich wünschte, ich könnte dir noch irgendwas glauben.“ „Ich weiß, dass ich dich gekränkt habe. Dass ich dich verraten habe“ sprach er kämpfte die immer wiederkehrende Müdigkeit zurück. Er musste sich jetzt mit Tea aussprechen. Jetzt oder es würde vielleicht keine zweite Gelegenheit kommen. „Tea, du bist die einzige Frau, die zu mir passt. Sieh mal, Dakars Mutter hat ihn verstoßen, weil sie sich vor ihm ekelt. Sie ekelt sich vor dem, was zur Hälfte mein ist. Aber du hast ihn sofort in den Arm genommen und gibst ihm mehr als man von dir erwarten darf. Du ekelst dich nicht vor meinem Sohn, obwohl du allen Grund dazu hättest, ihn von dir zu weisen.“ „Das kannst du nicht als Argument anbringen“ erwiderte sie. „Ich kannte den älteren Dakar bereits und wusste, dass er ein wunderbarer Mensch ist.“ „Dennoch kann so etwas auch nur eine Mutter von ihm sagen“ lächelte er bitter. Dakar war wirklich niemand, den man als ‚wunderbaren Menschen‘ betrachtete. Er war gruselig, emotionslos und hässlich. Nur eine Mutter konnte jemanden wie ihn lieben. „Tea, du bist die einzige Frau für mich. Dir kann ich vertrauen, alles anvertrauen. Und ich weiß jetzt mehr denn je, dass ich dich höher schätzen muss. Dass ich dich ehren muss. Dass ich dankbar für dich sein muss. Und dass ich dich nicht demütigen darf.“ „Schöne Worte.“ „Ich weiß, die Erkenntnis kommt etwas spät. Aber selbst wenn du mich nie wieder zurückhaben willst, werde ich nie wieder eine andere Frau haben. Ich werde dich und meine Familie beschützen und für euch da sein. Auch wenn du mich schlägst und beschimpfst und wütest. Ich kann nicht aufhören, dich zu lieben. Jetzt erstrecht nicht. Ich wünschte nur, ich könnte dir irgendwie zeigen wie sehr es mir leid tut. Und wie sehr ich darunter leide, dich gedemütigt zu haben. Ich würde alles für dich tun. Ich wünschte nur, du würdest mir etwas sagen.“ Zu Worten fand sie nicht so schnell zurück. Sie sah zu Boden und wischte sich immer wieder über ihre nassen Augen. Es war nicht leicht, ihm zu verzeihen. Egal wie groß die Liebe war, er hatte sie betrogen und sie beim Anblick einer anderen einfach vergessen. Tränen konnte man fortwischen, doch den Schmerz der Enttäuschung nicht. „Tea … bitte.“ „Wenn du mich wirklich liebst … dann lässt du das hier“ fuchtelte sie mit der Hand fahrig durchs Zimmer. „Ich will dir nur beweisen, dass du wirklich die einzige für mich bist.“ „Und du denkst, wenn du gefahrlos rumvögeln kannst, steigert das mein Vertrauen in dich?“ Sie blickte ihn endlich wieder an. Aber ein Stück weniger gekränkt. Ein Stück weniger wütend. Ein Stück weniger traurig. „Wenn ich dich schon zurücknehme, will ich es dir wenigstens schwer machen, dir ne andere zu suchen.“ „Ich würde mir niemals wieder eine andere suchen. Niemals. Bitte glaube mir das.“ „Selbst wenn“ beschloss sie und lächelte ihn bitter an. „Ich will meine Babys nicht aus der Dose haben. Das letzte bisschen Spaß kannst du mir nicht auch noch wegnehmen.“ Das gab ihm Hoffnung. Ließ sie sich tatsächlich endlich erweichen und glaubte ihm, seine Liebesbeteuerungen? „Dann heißt das, du verzeihst mir?“ „Nein, das heißt nur, dass eine Sterilisation nicht der Weg ist, um Vergebung zu bitten“ antwortete sie mit gedrückter Stimme. „Glaubst du, wenn ich dich nicht lieben würde, wäre ich so gekränkt?“ „Du liebst mich?“ „Ich wünschte, ich könnte dich hassen“ flüsterte sie. „Du hast mir wehgetan und ich wünschte, ich könnte dich dafür hassen. Aber ich liebe dich und aus alledem ist mein einziger Sohn entstanden. Allein deshalb könnte ich dich niemals hassen.“ „Dann … glaubst du, dass wir noch eine Chance haben?“ „Das weiß ich nicht.“ Sie blickte ihm in die Augen und fand dennoch keine Antwort auf seine Frage. „Ich liebe dich und ich will, dass meine Kinder ihren Vater haben. Aber ich weiß nicht, ob ich dir noch vertrauen kann.“ Sie erhob sich, griff in ihre Bauchtasche und holte ein Taschentuch hervor, womit sie sich den Kajal von der Wange putzte. „Tea, was kann ich tun, damit du mir noch eine Chance gibst? Bitte rede mit mir.“ „Lass das mit der Vasektomie und komm einfach nach hause“ bat sie und blickte ihm nochmals direkt in die Augen. Verunsichert und noch immer verletzt. Aber weniger verärgert. Dann drehte sie sich um, öffnete die Tür und ging hinaus. Ohne nochmals zurückzublicken. Chapter 37 „Das ist so witzig“ lachte Narla und stellte den leeren Kerzenständer wieder aufrecht hin. Tato war rauchen gegangen, aber bevor er mit Seto und Dakar den Raum verlassen hatte, hatte er den Kerzenständer ohne erkennbaren Grund auf die Seite und aufs Marmeladenglas gelegt. Als wäre das selbstverständlich. Und kaum war er weg, stellten ihn die anderen wieder alles wieder richtig hin. „Ja, er hat in letzter Zeit so Anwandlungen“ erzählte Phoenix mit einem offenen Schmunzeln. „Heute Morgen hat er unsere Kopfkissen ans Fußende gelegt. Einfach so. Aber er hat nichts dazu gesagt. Und wenn ich ihn frage, tut er so als würde er mich nicht hören.“ „Das hat er ganz früher schon mal gemacht“ konnte auch Sareth erzählen. „Früher als ich klein war, hat er in meinem Kinderzimmer eine Weile lang irgendwelche Sachen an total unpassende Orte geräumt. Dabei ist er eigentlich total ordentlich. Irgendwann hat er damit aufgehört, aber jetzt fängt er anscheinend wieder an.“ „Seto macht das im Büro auch“ seufzte Noah und bestrich sich sein Schwarzbrot mit Kirschmarmelade. „Ich habe ihn neulich gebeten, dass er die Sachen zumindest in meinem eigenen Büro stehen lässt, aber er war sich natürlich keiner Schuld bewusst.“ „Ich glaube er merkt das gar nicht“ grinste Joey. „Ich habe ihn gestern dabei erwischt wie er in der Küche den Kaffee aus dem Regal auf den Wasserkocher gestellt hat. Total gaga der Typ.“ „Du hast Recht“ bemerkte Mokuba ebenfalls. „Letzte Woche hat Seto drei von meinen Medizinbüchern aus dem Regal geräumt und damit auf dem Schreibtisch so ein Häuschen gebaut. Ich dachte, das soll heißen, ich müsste mal wieder mehr lernen. Oder neulich. Noah erinnerst du dich, dass er einfach die Vase aus dem Regal auf den Kopf gedreht hat? Das war so was von sinnlos.“ „Stimmt, Tato macht das auch“ fiel nun auch Yugi auf. „Das habe ich noch gar nicht so genau bemerkt. Ich dachte immer, das wäre nur ne neue Macke von Seto.“ „Okay, Tato hat das früher schon mal gemacht. Aber könnt ihr sagen seid wann Seto umräumt? Yugi?“ überlegte Narla. „Ich weiß nicht … seit ein paar Wochen oder so. Ich räume das hinterher wieder auf und so doll hat’s mich bisher auch nicht gestört. Irgendwie habe ich mir da auch nie was bei gedacht. Dass er merkwürdige Anwandlungen hat, ist ja nicht ungewöhnlich. Aber ich habe nie darauf geachtet, dass Tato denselben Quatsch macht.“ „Machen die beiden das zufällig seid Sethos nicht mehr täglich bei ihnen ist?“ „Ja vielleicht. Warum?“ „Oh oh, ich sehe es kommen“ grinste Yami bis über beide Ohren. „Narla erklärt uns jetzt was.“ „Ich? Nö“ schnippte sie und trank ihre Cola. „Komm schon, Narla. Raus damit. Du kannst bei so was doch eh nicht lange die Klappe halten.“ „Ich habe von Gunther ein ausführliches Werk über das Verhalten Weißer Drachen bekommen.“ Sie stellte ihr Glas hin und freute sich, dass sie mal wieder eine interessante Beobachtung gemacht hatte. „Beim Lesen sind mir die Parallelen zu Steindrachen, Sandwinderdrachen und Ringeldrachen aufgefallen, wo ich das auch schon mal festgestellt habe. Ich glaube, dass dieses Durcheinanderbringen von Gegenständen so eine Art Reviermarkierung ist.“ „Hast du Glück, dass nur Sari hier sitzt. Die nimmt das nicht so ernst“ meinte Yami und legte seinen abgelutschten Senflöffel auf den Teller. „Doch, ernst nehme ich das schon“ stellte sie klar. „Ich bin nur nicht gleich eingeschnappt. Eigentlich interessiert mich das schon, warum Papa das jetzt schon wieder macht. Ich dachte auch, das wäre nur ne Macke von ihm. Eigentlich ist er relativ ordentlich.“ „Also gut, passt auf“ begann Narla und stellte zur Veranschaulichung den Salzstreuer mitten in den Brotkorb. „Jeder weiß, dass der Streuer da drin nichts zu suchen hat. Ebenso wenig wie die Kopfkissen am Fußende oder die Kaffeedose auf dem Wasserkocher. Das bedeutet, jemand muss diese Dinge willentlich verändert haben. Richtig?“ „Schon klar“ beantwortete Joey mit einer gewissen Skepsis. „Aber markieren Tiere ihr Revier nicht gewöhnlich mit Fäkalien?“ „Danke, einige essen noch“ murrte Mokuba aus der Ecke und legte sein Nutellabrot auf den Teller zurück. „Da fällt mir ein“ warf Noah kurz ein, „dein Kater hat auch schon wieder sein Revier markiert. In meinen Schuhen.“ „Ich habe dir gesagt, Kastration ist keine Lösung.“ „Dann denke dir ne andere Lösung aus. Bitte.“ „Drachen sind aber keine gewöhnlichen Tiere“ setzte Narla ihre Erklärungen ohne weiteres Nachdenken fort. „Es gibt zwar Drachen, die nutzen diese Art von Gerüchen zur Reviermarkierung, aber bei weitem nicht alle. Es ist auffällig, dass Drachenarten mit gesteigerter Intelligenz auch subtilere Markierungen einsetzen. Die Sandwinderdrachen zum Beispiel ekeln sich sogar vor starken Gerüchen. Bei Weißen Drachen ist das anscheinend ähnlich. Du wirst kaum einen intelligenten Drachen finden, der sein Revier mit Exkrementen absteckt.“ „Narla!“ bat Mokuba nochmals und legte sein Brot erneut hin. „Beeile dich, damit ich irgendwann mal aufessen kann.“ „Ich will sagen, dass Seto und Tato die Sachen wahrscheinlich unbewusst durcheinander bringen“ erzählte sie fröhlich fort. „Weiße Drachen markieren ihr Revier durch stark visuelle Reize. Natürlich hinterlassen sie auch ihren Geruch, wenn sie sich an einem Baum scheuern oder so. Aber Hauptsächlich ‚ordnen‘ sie Dinge so an, dass sie unnatürlich aussehen. In Gunthers Beobachtungen steht, dass der alte Rangun früher sein Revier markierte, indem er Baumstämme umgeworfen und sie dann in Zickzackform zerkratzt hat. Ein Zickzackmuster ist in der Natur bei Bäumen absolut unnatürlich. Kheru beispielsweise markiert seine Liegestätten, indem er Erdkuhlen aushebt und sie dann mit Steinen dekoriert. Djedi als Alphaweibchen macht das noch deutlicher. Sie schüttet Kherus Liegestätten wieder zu und unterbindet sein Revierverhalten, weil sie über ihm steht. Sie nimmt längliche Gegenstände wie Äste oder Knochen oder lange Steine und wo immer sie ist, bohrt sie diese hochlängs in die Erde. Überall wo sie war, sieht man irgendwas aus dem Boden ragen.“ „Dann glaubst du, dass diese schwachsinnigen Sachen durch Revierverhalten kommen?“ versuchte Yugi zu verstehen und nahm den Salzstreuer wieder aus dem Brotkorb heraus. „Als Seto und Seth noch beide zusammengelebt haben, gab es so etwas aber nie.“ „Das war wahrscheinlich, weil da die Rangordnung geklärt war“ erläuterte Narla weiter und strahlte übers ganze Gesicht. Wenn es um solcherlei Dinge ging, war sie in ihrem Element. „Untere Drachen bemühen sich nicht, das Revier zu markieren. Das machen nur die Ranghöheren. Wenn die Gruppe mit einem Oberhaupt unzufrieden ist, beginnen einige aus der Gruppe, Ansprüche zu erheben. Bei den Weißen Drachen war Rangun über fast 200 Jahre das Oberhaupt, aber im Alter wurde er schwächer und heute ist er fast blind. Er kann die Sippe nicht mehr führen oder beschützen. Natürlich begannen die Jüngeren dann mit der Suche nach einem neuen Alphatier. Und von den Drachen, die Ansprüche erhoben haben, sind am Ende nur noch zwei übrig geblieben. Zwischen Kheru und Djedi gab es laut Gunthers Bericht bis vor etwa 30 Jahren große Rangstreitigkeiten, sodass sie die ganze Landschaft mit ihren Zeichen überzogen haben. Aber dann hat Djedi ihn irgendwann vor der ganzen Familie in einem wohl sehr heftigem Kampf unterworfen und er hat danach seinen Revieranspruch aufgegeben. Kheru ist Djedi körperlich weit überlegen, aber er war ihr gegenüber zu zimperlich. Und ein Oberhaupt muss eben auch manchmal seine eigenen Sippenmitglieder zurechtweisen und Djedi ist da einfach hartnäckiger als er. Seit die beiden das zwischen sich geklärt haben, markiert auch Djedi nur noch selten. Bei Seto und meinem Papa war es ganz deutlich, dass Seto der Rangniedrigere war und auch keinen Anspruch erhoben hat. Papa hat die Gruppe gut genug geführt und Seto hatte keinen Grund, an seinen Qualitäten als Oberhaupt zu zweifeln. Und Sethos hat allein durch sein Verhalten ausgestrahlt, dass er sich als Alphamännchen sieht - das haben sogar wir Menschen verstanden. Sethos‘ Machtanspruch ist so überdeutlich, dass er sich nicht einmal in Rangkämpfe begeben muss, um die Alphastellung einzunehmen. Bei Seto und Tato scheint das Kräfteverhältnis aber anders zu sein. Da ist die Rangordnung offensichtlich ungeklärt und je länger die beiden ohne Sethos oder Seth zusammenleben, desto stärker wird das Bedürfnis danach das klarzustellen. Sie wollen wissen, wer im Zweifel den Vorrang und das Sagen hat. Das liegt in ihren evolutionären Genen.“ „Das klingt als würde uns bald ein ziemliches Chaos ins Haus stehen“ befürchtete Mokuba. „Ich will nicht dabei sein, wenn Seto und Tato sich fetzen. Kann man da nicht irgendwas machen, bevor es Verletzte gibt? Wir wissen doch, dass Tato echt gemein werden kann.“ „Aber so ein Verhalten kann man auch nicht unterbinden“ warf Yami ein und schaute prüfend auf Yugis Handy, legte es dann aber wieder auf den Tisch. „Die beiden müssen das doch miteinander ausmachen. Und wenn sie das tun m ü s s e n , dann lasst sie doch. Und ein paar Schrammen werden sie sich schon nicht nachtragen.“ „Ich glaube nicht, dass wir uns Gedanken machen müssen“ beruhigte Narla und nahm sich noch ein Brötchen aus dem Korb. „Ati, hast du den Senf alle gemacht?“ „Seit wann will jemand außer mir Senf?“ „Ach Mann“ seufzte sie und schubste das Brötchen wieder zurück. „Ich glaube nicht, dass Seto der Typ Drache ist, der sich in große Kämpfe verwickeln lässt. Seto ist von Natur aus ein Charakter, der seine Probleme mit Intelligenz löst. Tato aber ist jemand, der sich gern an anderen reibt und sich an ihnen misst. Er bevorzugt den physischen Kontakt. Weil die beiden Vater und Sohn sind, liegt hier eh eine gewisse Grundordnung vor. Eigentlich ist Seto automatisch der Ranghöhere. Aber wenn Tato aufbegehrt, wird die Sache spannend.“ „Also was prognostizieren Sie, Frau Professor der Drakologie?“ wollte Mokuba wissen. „Ich prognostiziere, dass Seto sich nicht herausfordern lässt. Er ist nicht der Typ, der wegen einer Rangfrage einfach draufhaut und schaut, was dabei herauskommt. Das würde eher Tato machen. Tato provoziert gern, um zu sehen, wo er steht. Aber das setzt voraus, dass er vor sich jemanden hat, der sich provozieren lässt und da wird er bei Seto keinen Erfolg haben. Jedenfalls nicht in dieser Hinsicht. Es wird also einen unterschwelligen Kampf geben, der das dann erst mal klärt bis Sethos wieder das Zepter in die Hand nimmt. Im Moment beschränken sich beide darauf, ihr Revier zu markieren. Sie wissen also unterbewusst, dass da was läuft. Aber wenn nicht Setos ruhiges Wesen einen körperlichen Kampf verhindert, dann die Tatsache, dass beide zu stolz wären, so etwas wie Revierverhalten zuzugeben. Vielleicht nehmen sie ihr Verhalten nicht mal als so absonderlich wahr wie wir das tun. Ich denke, die beiden klären das innerhalb von Sekunden. Vielleicht bekommen wir das nicht mal unbedingt mit. Und dann hören sie auch damit auf, unsere Sachen unordentlich zu machen oder …“ „MEIN FINN IST DA!“ Da wurde alles andere uninteressant. Finn brauchte nur die Gaststätte zu betreten und schon flog der alte Pharao ihm entgegen. Er hoppelte um die übrigen Tische herum und sprang ihm in den Arm, um sich seinen Kuss abzuholen. So schnell konnte Finn gar nicht „Guten Abend“ sagen wie Yami an seinen Lippen hing. „Muss Liebe schön sein“ lächelte Yugi und widmete sich weiter seinem Rührei. „Ich würde den Rangkampf zwischen Tato und Seto zu gern miterleben.“ Und Narla ließ dieser Gedanke nun keine Ruhe mehr. Wenn sie erst mal im Thema drin war, blieb sie es auch. „Ich ehrlich gesagt aber nicht“ wandte Noah ein. „Ich erinnere mich noch an den Kampf zwischen Sethos und Tato. Wären wir nicht auf dem Land, sondern hier in der Stadt gewesen, hätte deren Kräftemessen Blekinges Architektur umgestaltet.“ „Diplomatisch ausgedrückt“ pflichtete Joey bei. „Glaube ich nicht. Sethos ist für so etwas zu besonnen“ argumentierte Mokuba. „Aber Tato traue ich schon eher zu, dass er sich Hals über Kopf in den Kampf wirft. Und Seto lässt sich manchmal auch ziemlich leicht reizen. Wenn man Setos Stolz angreift, kann er ziemlich ernst werden. Und dass er sich mit Vorliebe über Kleinigkeiten aufregt, darüber brauchen wir wohl gar nicht reden.“ „Ich sage doch, die beiden machen das still und leise aus“ bestand Narla auf ihrer Meinung. „Glaubt mir. Mit so was kenne ich mich aus. Seto regt sich vielleicht öfter mal auf oder lässt sich reizen, aber nicht in dieser Hinsicht. Diese Rangfrage kratzt nicht an seinem Stolz, denn dafür ist sie ihm nicht wichtig genug. Tato aber schon und das ist der Unterschied.“ „Guten Abend zusammen“ grüßte Finn als Yami ihn endlich bis zu den anderen vorließ. „Ich habe Kekse mitgebracht.“ „Du hast echt gebacken?“ freute Yami sich, schnappte die Papiertüte aus den warmen Händen, riss sie auf und hatte schon das erste Plätzchen im Mund. „Die waren eigentlich nicht für dich gedacht, Atemu.“ „Ich liebe dich auch.“ Er schubste Finn auf den freien Stuhl und platzierte sich zufrieden schmatzend auf seinem Schoß. „Außerdem bist du zehn Minuten zu spät und hast Yugi nicht mal ne SMS geschickt. Da sind Entschuldigungskekse doch das Mindeste.“ „Ich will ja nicht kritisch sein, aber du hast es auch nicht so mit der Pünktlichkeit.“ „Ich bin der Pharao. Man wartet auf mich, aber lässt mich nicht warten.“ „Bei euch beiden ist die Rangordnung ja wohl geklärt“ lachte Narla. Wer da den Kürzeren zog, war offensichtlich. „Hör nicht auf sie, mein Toyboy“ bat Yami und „hier“ stopfte ihm einen seiner Kekse in den zum Sprechen öffnenden Mund. „Meinst du nicht, dass da ein bisschen Kümmel fehlt?“ „Igitt, Yami“ verzog Yugi das Gesicht. Die ekligen Ideen nahmen wohl niemals ein Ende. „Nein wirklich! Hier, probiert mal!“ Er schüttete die Kekse auf den Tisch, aber bevor die anderen zugriffen, sahen sie erst mal Finn an. „Nehmt ruhig“ kaute der auf seinem eigenen Keks herum. „Ist jetzt auch egal.“ „Dann danke“ bedankte Phoenix und griff wie alle anderen einen Keks, biss hinein und stellte fest: „Der schmeckt prima. Ati redet wieder Unsinn.“ „Ihr leidet heutzutage alle an verkümmerten Geschmacksnerven. Ihr armen Neuzeitmenschen.“ „Ist doch gar nicht wahr“ korrigierte Narla sofort. „Ich habe auch altägyptische Eltern und mir schmecken deine Rezepte nicht. Finns Kekse sind super so wie sie sind. Sind da Haselnüsse drin?“ „Du bist mit neumodischem Essen aufgewachsen, Narla. Das hat deine Zunge beschädigt.“ „Ich habe bessere Geschmacksnerven als normale Menschen. Ich schmecke fast so gut wie ein Drache.“ „Hast du mal, aber deine Kräfte nehmen ab. Armes Neuzeitmädchen.“ „Ach, Yami …“ „Dann schmecken dir meine Kekse also überhaupt nicht?“ „Was? Neeeiiin! Neeeiiin! Ach, mein Finnischatzimausipupsi!“ Er umarmte ihn und fuhr ihm übertrieben tröstend über den Kopf. „Du bist ein ganz toller Bäcker bist du. Ja, das bist du. Alles ist gut.“ „Verarschst du mich, Pharao?“ „Merkt man das?“ „Ein bisschen.“ „Na gut“ zuckte er mit den Schultern und nahm sich noch einen Keks. Womit auf dem Tisch nur noch ein einziger übrig blieb. „Hast ein bisschen wenig gebacken, Süßer.“ „Gebacken habe ich eigentlich mehr“ erklärte er, nahm ihm die leere Tüte ab und knüllte sie zusammen. „Aber Loki mochte meine Kekse auch und als ich das bemerkte, war auch schon der Großteil verschwunden. Und meine Schwester über alle Berge. Ich hatte keine Zeit, noch mehr nachzumachen.“ „Wir können ja neue backen.“ „Definiere wir.“ Aber diese Definition blieb er ihm schuldig. Er meinte es so wie er es sagte. „Hast du den Drachen und Dakar draußen wenigstens welche abgegeben?“ „Dazu kam ich noch nicht. Die standen im Abseits und ich wollte erst mal dich begrüßen. Ich wusste ja nicht, dass du gleich alles verteilst.“ „Dann wird das mit dem Einschmeicheln wohl heute nichts“ seufzte Narla und nahm den letzten Keks zu sich. „Fährt dein neues Auto denn gut?“ „Besser als mir lieb ist. Schluckt ganz schön Sprit und wenn ich zum Parkplatz komme, stehen da erst mal die Jungs und fragen mich, wie ich an so eine Karre gelangt bin. Und die Mädchen wollen mich zu einer Spritztour überreden und ärgern sich, dass ich ihre kurzen Röcke ignoriere.“ „Musst du nicht“ schmatzte Yami. „Wenn dir eine gefällt, fühl dich frei, sie mitzunehmen.“ „Atemu, die Mädels sind alle in der Pubertät. Die wollen in dem Auto nicht nur von mir herumgefahren werden.“ „Ich weiß. Deswegen sag ich’s ja. Knutschen und Fummeln ist doch okay bis sie alt genug für dich sind. Und solange du dich nicht verliebst, bin ich auch nicht eifersüchtig.“ Finn seufzte. Mit Yamis offener Einstellung war es nicht immer leicht. „Selbst wenn, als Jungendarbeiter sind die Teenager für mich tabu. In jeglicher, persönlicher Beziehung.“ „Umso besser. Dann muss ich dich nicht teilen.“ Er lehnte sich zurück und Yugis Blick traf auf Noahs und vermutlich dachten beide dasselbe. War Yami vielleicht gar nicht so großzügig wie er sagte? Dieser kleine Satz klang ein wenig, als würde es ihm sehr wohl etwas ausmachen, wenn Finn sich ein Mädchen nehmen würde. Denn normalerweise hatte Yami mit ‚Teilen‘ keine Probleme … „Wenn’s dir hilft, bleibe ich einfach den ganzen Tag im Auto sitzen und warte auf dich.“ „Das wird dir schnell langweilig, Atemu.“ „Unsinn. Wenn wir die Nacht durchmachen, kann ich tagsüber im Auto pennen. Und dann ist selbst den Mädchen klar, dass der Platz besetzt ist.“ „Danke, aber ich glaube, deinetwegen bin ich bei den Jugendlichen ohnehin schon das am meisten diskutierte Gerücht.“ „Daran gewöhnt man sich“ versprach Mokuba. „Aber Seto hat einen guten Geschmack bei Autos, oder?“ „Aber auch nur bei Autos“ lachte Joey und haute sich vor Freude auf die Schenkel. „Ja?“ schmunzelte Mokuba. Joey sah ja nicht, wer da gerade vom Rauchen zurückkam und seine feinen Ohren mitbrachte. „Wie kommst du darauf, dass Seto keinen Geschmack hat?“ „Also mal ehrlich. Als müsste ich das erklären!“ lästerte er aus vollstem Herzen. „Seto verteilt neuerdings überall im Büro diese verrüschten Häkeldeckchen. Mal ehrlich, wie kommt man darauf, mit Omas Häkeldeckchen das Vorstandsbüro zu dekorieren? Das ist doch wohl die Spitze des schlechten Geschmacks! Wie kommt man auf so was? Wo hat er die scheußlichen Dinger überhaupt her?“ „Mein großer Bruder steht eben darauf.“ „Aber ich bitte dich. So einen grässlichen Geschmack kann doch kein normaler Mensch haben. Aber gut, Seto ist ja auch nicht normal.“ Wenn Joey schlau wäre, würde er bemerken, dass Tato sich gerade auf seinen Stuhl setzte und auch Dakar zurück war. Nur Seto fehlte - der stand nämlich neugierig lauschend hinter ihm. „Und über seine wüsten Dekoanfälle zu Weihnachten wollen wir mal gar nicht reden. So kitschig kann doch niemand sein! Egal was Seto sieht, er muss immer noch jede Scheußlichkeit toppen, egal wie kitschig es eh schon ist. Hauptsache es ist niedlich, bunt, flauschig oder blinkt. Ich wette, wenn Nini mit ihm ihr Barbiehaus dekoriert, sieht es im Büro bald genauso aus.“ Er haute mit der Faust entschlossen auf den Tisch. „Ich proklamiere: In des Drachen Oberstübchen stimmt was nicht.“ „Ach ja?“ floss es über seine Schulter. „Natürlich! Oder willst du das bestreiten?“ Er drehte sich herum, aber merkte dann erst in welcher Gefahr er schwebte. Er machte große Augen und aus seinem hämischen Grinsen wurde ein furchtsames Lächeln. „Hi Drache.“ „Hi Köter“ grinste jetzt Seto hämisch zurück. „Geht’s dir gut?“ „Ja … noch?“ „Hm.“ Er setzte sich gefährlich ruhig und gelassen auf seinen Stuhl und ging zur Abwechslung mal gar nicht auf Joeys Lästerei ein. „Ich liebe dich. Das weißt du doch, oder?“ „Ah stimmt. Da war irgend so etwas.“ Er nahm die Wasserflasche und goss sich sein Glas voll. War doch gar nichts los. Es entstand ein Moment des spannendsten Schweigens. Es war nicht normal, dass Seto so ruhig blieb. Für gewöhnlich müsste Joey schon über alle Berge sein und Seto brüllend hinterher. Aber er war … zu ruhig. „Gab’s Kekse?“ fragte Tato. Es lag so ein Geruch in der Luft und die Krümel auf dem Tisch. „Leider schon alle weg“ entschuldigte Yami. „Na toll.“ Jetzt war Tato dafür beleidigt. Seto quälte Joey und Tato schmollte. Das konnte ja ein toller Abend werden. „Komm schon!“ bettelte der Köter dann mit Pippi in den Augen. „Das ist ja nicht auszuhalten!“ „Was denn?“ grinste Seto selbstzufrieden. Er genoss es, seine Haustiere zu quälen. „Jetzt wirf mir schon irgendwas an den Kopf! Räche dich! Mach was!“ „Nicht doch. Ich habe gute Laune.“ Und mit einem zuckersüßen Lächeln ergänzte er: „Rache kommt später, wenn du nicht mehr dran denkst.“ „Das ist unfair!“ „Unfair ist es nur, filigrane Häkeldecken zu beleidigen.“ „Und alle Kekse aufzufressen“ ergänzte Tato nochmals, um seinem Ärger Ausdruck zu geben. „Diese Häkeldeckchen sind aber wirklich schrecklich. Die waren schon bei meiner Oma schrecklich! Siehst du? Ich sage es dir sogar ins Gesicht.“ „Schön“ lächelte Seto und nippte an seinem Wasser. „Iss dein Brötchen auf.“ „Wenn du nicht schon von den Keksen satt bist.“ „Ja, Papa. Wir haben’s verstanden“ brummte Sareth genervt dagegen. „Du bist wirklich gemein“ murmelte Joey und gab sich lieber geschlagen. Wenn Seto gute Laune hatte, biss er sich an ihm die Zähne aus. Der Drache würde sich dann zu gegebener Zeit rächen - wenn Joey nicht mehr daran dachte. Und das war noch unfairer als über Häkeldeckchen zu lästern. „Wo sind denn Tristan und Nikolas?“ fragte Finn, der in der Zwischenzeit die Runde gecheckt hatte. „Und Marie?“ „Marie ist beim Arzt und kommt dann mit Mokeph nach hause“ erzählte Yami und kuschelte sich auf seinem Schoß ein. „Und die anderen beiden sind mit Feli spazieren. Marik ist beim Lesen eingeschlafen und liegt hinten auf der Terrasse und Tea bringt Theresa ins Bett.“ „Stimmt, Tea und Marik fehlen auch. Ihr seid aber auch ne riesige Gruppe.“ „Ja, da verliert man schnell den Überblick“ bestätigte Narla und griff in den Brötchenkorb, um sich nun doch ein Brötchen einzuverleiben. Doch so hungrig war sie nicht, denn den letzten Keks, welchen sie gerettet hatte, ließ sie dabei unbemerkt in den Brotkorb rollen. Austausch geglückt. Während die anderen nichts bemerkten und Maries Schwangerschaft als nächstes Tischthema entdeckten, musste Narla nicht lange warten. Solange sie den Keks versteckte, bemerkten die Drachen den Geruch nicht allzu sehr, doch nun nahmen sie Witterung auf. Zuerst beobachtete sie, dass Tatos Nasenlöcher größer wurden und er für einen Moment die Augen halb schloss. Er war schon scharf darauf seit er die Krümel gerochen hatte. Seto hingegen suchte allein mit den Augen. Er atmete nur ein Mal kurz und wusste, dass hier irgendwo etwas sein müsste. Zu einem Keks würde er auch nicht nein sagen. Doch der Geruch der Krümel auf dem Tisch verwischte die Spur für beide. Wie zufällig stupste Narla, als sie nach der Marmelade griff, den Brotkorb an und stieß beide Drachen gleichzeitig mit der Nase darauf. Und ebenso gleichzeitig griffen sie auch danach. Als Tatos und Setos Hände sich im Brotkorb trafen, verstummte auch die gerade angelaufene Unterhaltung. Ganz langsam nahmen sie gemeinsam den Keks heraus und wanderten mit ausdruckslosen Augen am Arm des anderen hinauf. Seto und Tato saßen direkt nebeneinander und so war niemand dazwischen, auf welchen sie hätten Rücksicht nehmen müssen. Den anderen wurde Narlas Aktion langsam bewusst. Sie hatte das provoziert. Sie wusste, dass es zwei zuckerverrückte Drachen gab und nur einen Keks. Tato mochte den Geruch von Anfang an, aber Seto war nicht weniger gebäckgeil. Und wer den Keks jetzt bekam, war eine reine Rangfrage. Sie wollte es unbedingt sehen, wenn sich die Rangfolge entschied und sie sorgte dafür, dass sie es sah. Auch nach fast einer halben Minute blickten sich die beiden fest in die Augen und hielten den Keks in ihrer Mitte fest. So schnell würde keiner nachgeben. Und dass das Tischgespräch verstummt war, schienen sie nicht zu bemerken. Bis auf diese Sache zwischen ihnen, blendeten sie alles aus. Tato war der erste, welcher eine Reaktion zeigte. Seine Oberlippe zuckte an der linken Seite. Wie ein nervöses Drohen. Setos Mine aber blieb wie versteinert und wandte nicht für eine einzige Sekunde seinen eisblauen Blick woanders hin. Hier ging es jetzt nicht mehr um den Keks. Das hatte sich schnell zu einem astreinen Rangkampf entwickelt. Wenn die Rangordnung ungeklärt war, konnten so kleine Dinge zu großen Problemen werden. Und jetzt kamen sie nicht mehr drum herum, das zu regeln. Mit Seth hatte Seto sich niemals angelegt. Und auch mit Sethos hatte er niemals irgendwelche Probleme. Aber mit seinem eigenen Sohn wohl schon. Es waren weder Seth noch Sethos hier, welche die Familienordnung im Gleichgewicht hielten. Und Sareth war aus der Rangfrage wegen Welpenschutz ganz raus. Seto war der Vater. Aber Tato war älter. Und es war niemand da, welcher beide zurechtwies. Keiner da, der ein Vorrecht auf den Keks hatte. Das hier war das erste Mal, dass Seto sich nicht bedingungslos unterordnete. Er erkannte Tato nicht als stärker an. Und das ließ der sich natürlich nicht gefallen. Dann ein drohendes Schnaufen von Tato. Er senkte sein Kinn wie zum Angriff. Die Spannung zwischen beiden war so groß, dass die Luft im ganzen Raum schwer wurde. Wenn jetzt eine Fliege zwischen ihre blauen Blicke flöge, würde sie explodieren. Keiner von beiden ließ den Keks los. Es war nur ein läppischer Keks, aber für Drachen war so etwas überhaupt nicht läppisch. Wenn es um Süßigkeitenknappheit ging, wurde die Sache ernst. Keiner von beiden würde freiwillig das Betamännchen spielen. Dann ein Schreckensmoment. Seto bewegte seine Hand und ließ den Keks brechen. Genau in der Mitte knackte der leckere Haselnuss-Schokoladen-Cookie durch. Und gestenreich wortlos steckte Seto sich mit ruhiger Hand seine Hälfte in den Mund. Hielt seinen Sohn dabei jedoch fest im kühlen Blick. Dann war alles mit dieser Szene beendet. Tato zerbröselte den Keks in seiner Hand und warf die Krümel mit einem Zischen fort. Es ging hierbei nicht um den Keks. Schon lange nicht mehr. Stattdessen schmiss er seinen Stuhl um und entschuldigte sich mit den Worten: „Ich bin rauchen.“ Seto kaute seinen Gewinn genüsslich zu Ende, aber setzte noch ein eindeutiges Zeichen hinterher: „Wolltest du dir das nicht abgewöhnen, mein Schatz?“ „Leck mich, Seto!“ fauchte er und schmiss die sonst immer offene Wirtshaustür krachend hinter sich zu. Wer hier jetzt das Alphamännchen war, stand wohl außer Frage. Tato hatte sich nicht untergeordnet, er wurde untergeordnet. Weil Seto seine Sachen mit Intelligenz löste und einen intelligenten Mittelweg fand. So wie es sich für ein Oberhaupt gehörte. Und damit würde es in Zukunft hoffentlich auch keine Dinge mehr an seltsamen Plätzen geben. „Was war das denn?“ fragte Finn unwissend. Er hatte weder das Vorgespräch mitbekommen noch Drachenerfahrung. Und sprang damit in den größten Fettnapf seit Menschengedenken. „Psst“ zischte selbst Yami ihm zu. Doch Seto blieb erstaunlich entspannt. „Der spinnt doch. Der Keks ist extrem lecker“ sagte er und sah Finn freundlich an. „Hast du die gemacht?“ „Ja, habe ich. Ist aber leider der letzte gewesen.“ „Schade. Das nächste Mal musst du mehr machen. Ich mag Kekse.“ „Ich bringe dir welche mit“ versprach er und erwiderte sein Lächeln. Vielleicht ahnte er es nicht, aber er war nun in die Familie aufgenommen. Das neue Alphamännchen hatte gesprochen und sein Geschenk akzeptiert. Es konnte doch alles so einfach sein! Bevor noch jemand ein neues, dummes Thema auftun konnte, kamen die beiden Spaziergänger zurück. Nika trug die müde Feli in ihren starken Armen und Tristan schob den leeren Buggy hinterher. Den ließ er aber an der Tür stehen und begrüßte die anderen mit einem Wink. „Sorry, wir sind zu spät zum Abendbrot“ entschuldigte Nika, setzte sich auf Tatos freien Stuhl und streichelte Feli über den Kopf, die ihr dann hundemüde entgegenblinzelte. „Möchtest du noch etwas trinken, Süße?“ „Will nositzen“ murmelte sie, aber lehnte sich gegen Mamas breite Brust. „Du bist doch schon viel zu müde zum Zusammensitzen, mein Schatz“ lächelte Nika und küsste die Kleine. „Gar nich. Kannositzen“ korrigierte sie müde und griffelte nach Setos Wasserglas. „Die anderen sind auch schon alle im Bett, Schätzchen“ erklärte der und überließ ihr freien Herzens sein stilles Wasser und half ihr sogar dabei, an seinem Glas zu nuckeln. „Nini und Tato schlafen schon. Und Dante. Und Risa. Und Thesi. Alle Kinder schlafen. Sogar Marik schläft. Nur du noch nicht.“ „Glas gehd alleine.“ „Na gut.“ Also ließ Seto das Glas los und half ihr nicht, wenn sie das nicht wollte. „Seto und Mama haben Recht“ erklärte auch Papi und hockte sich neben sie. „Wir können morgen wieder alle zusammensitzen. Morgen. In Ordnung, Flitzetässchen?“ „Nein … Mami is nis wein“ redete sie und sah traurig zu Nika hoch. „Ich weine doch gar nicht“ lächelte Nika so heiter wie es ging und legte ihre Hand unter das Glas, weil sie es bereits kippen sah. „Warum denkt Feli, dass du weinst?“ sorgte Seto sich um seine süße Kleine. „Wir haben darüber gesprochen, warum Mami anders aussieht“ erklärte Tristan mit Kinderworten. „Sie hat gefragt und wir haben es erklärt. Aber Felischatz, Mami ist nicht doll traurig.“ „Aber is kannis raten“ redete Feli. Für eine Fünfjährige war ihre Sprache sehr schlecht, aber dafür, dass sie noch nicht so lange kommunizierte, konnte man sie schon sehr gut verstehen. Auch wenn sie noch falsche Worte benutzte und manches nicht verstand, so machte sie doch große Fortschritte. „Du verstehst das nicht?“ fragte Nika liebevoll und hörte ihre Kleine schwer und müde seufzen. „Wir verstehen das auch nicht. Aber es ist nicht schlimm. Ich bin nur ein bisschen traurig, weil ich lieber eine Frau sein möchte. Aber ich habe dich trotzdem über alles lieb. Über alles in der Welt. Und Papi auch.“ „Wieso denn?“ fragte sie weiter und krallte ihre kleinen Finger in Nikas gebräunten Arm. „Is Mami nis gut? Du bis eine süße Maus.“ „Danke, du bist auch eine süße Maus, mein Mäuschen.“ „Wieso denn ein Mann? Eine Frau isau hübshö.“ „Schau mal, jeder möchte ein bisschen anders sein als er ist“ versuchte Tristan sich an einer kindgerechten Erklärung. Nika hatte bereits Tränen in den Augen, weil ihre Tochter sich solche Sorgen machte, dass Mami traurig sein könnte. Und das Problem war eben, dass Mami sehr, sehr, sehr traurig war. „Is nis. Wieso Mami? Wieso andas? Wie denn?“ „Eine Frau. Mami möchte eine Frau sein“ erklärte Tristan. Das hier war ganz sicher kein kindgerechtes Thema, aber irgendwann musste man es ihr erklären und es war wichtig, darüber zu sprechen, damit sie damit umgehen konnte. „Papi hat Recht. Jeder möchte ein bisschen anders aussehen“ versuchte Yugi sich an einer Erklärung. „Yami möchte lieber gerne schwarze Haare haben. So schwarz wie die Nacht. Und ich möchte gerne ein bisschen größer sein. Und Mami möchte gerne eine Frau sein. Das ist normal, dass man mal was anderes will. Das ist nicht schlimm.“ „Nomaal“ wiederholte sie und sah erst Yugi eindringlich an, dann den ihr zulächelnden Yami und dann ihre bärtige Mama. „Is das also glüglis?“ „Ja, mit schwarzen Haaren bin ich glücklich“ versuchte Yami sie aufzuheitern und zeigte ihr seinen Scheitel. „Siehst du? Da oben werden sie schon wieder blond. Da muss ich nachfärben und das nervt.“ „Nerv?“ „Genau. Ich hätte sie gerne immer so schwarz. Das wäre cool.“ „Kuls glüglis. Andas is gut.“ „Ja, dann wären wir glücklich“ bestätigte Yugi. „Aber es ist wichtiger, dass wir alle gesund sind und uns lieb haben. Nur wenn wir zusammen und gesund sind, können wir wirklich glücklich sein. Oder Feli?“ „Is habe alle lieb. Eine Fraumami und ein Großyugi“ redete sie und kuschelte sich bei Mama ein. „Un ein swaas Yami.“ „Wir haben dich auch lieb, Süße. So wie du bist“ wünschte Yami auch ihr. „Das ist ja auch schwer zu verstehen, wenn man noch so klein ist“ seufzte Tristan und nahm sie von Nikas Schoß auf seinen Arm. „Wir gehen lieber ins Bett, Flitzetässchen. Und morgen sitzen wir alle wieder glücklich zusammen und haben uns lieb. Ja?“ „Au Loki?“ „Ja, Loki kommt bestimmt auch“ versprach er und sah Finn freundlich an. Loki war der Star bei den Kindern. Im Gegensatz zu den anderen Haustieren, durfte man auf ihr reiten … wenn sie sich das gefallen ließ. „Sag gute Nacht zu allen, Felicitas.“ „Naat alle.“ „Gute Nacht“ grüßte die Runde zurück und Seto winkte ihr sogar als sie noch einen letzten, schläfrigen Blick zurück warf bis Papi und sie auf der Treppe verschwanden. „Schwieriges Thema, was?“ seufzte Noah und Nika putzte sich eine kleine Träne fort. „Wie soll man ihr das auch erklären, wenn man es selbst nicht versteht?“ seufzte sie und trank Felis Wasser aus. „Hat sie denn gefragt?“ fragte Narla und schenkte ihr nach. „Ja, jetzt hat sie gefragt“ erzählte sie und atmete nochmals tief durch, um wieder zu Fassung zu kommen. „Irgendwann musste sie ja mal fragen. Sie wollte einfach nur wissen, warum ihre Mami jetzt lieber ein Mann ist. Und wir haben ihr erklärt, dass ich das nicht unbedingt will und irgendwann wieder eine Frau bin. Sie sollte rechtzeitig wissen, was auf sie zukommt. Für den Fall, dass ich eine Hormontherapie mache oder Tristan und ich uns doch irgendwann für eine Leihmutterschaft entscheiden. Sie muss es ja irgendwie verstehen … dass ich nicht normal bin.“ „Viel wichtiger, dass sie alles fragen darf“ ergänzte Yugi. „Wenn sie das Gefühl hat, dass da etwas vorgeht, was aber ein Tabuthema ist, dann wird sie das nur verwirren. Mehr als es sie ohnehin schon verwirrt.“ „Eigentlich möchte ich ihr das nicht zumuten“ seufzte Nika und nahm einen Schluck von dem neuen, kühlen Wasser. „Ich hoffe, Sie hat verstanden, was wir ihr erklären wollten.“ „Anfangs hat sie es doch auch ganz gut weggesteckt“ tröstete Noah. „Sie war jetzt aber auch müde. Morgen sieht ihre Welt ganz sicher schon wieder anders aus.“ Ganz anders … Chapter 38 Es kam selten vor, aber am nächsten Morgen hatte Yami vor Finn die Augen auf. Der lag noch ganz erschöpft von der letzten Nacht unter der Decke eingemummelt, während Yami fror. Er hatte gar nicht gemerkt wie er halb aus dem Bett gerutscht war und schon mit einem Bein auf dem Boden lag. Kein Wunder, dass ihm kalt war. Also raffte er sich hoch, kroch unter die Decke auf Finns warmen Rücken und machte es sich gemütlich. Besser als jede Heizdecke. Feuermagierrücken waren eine tolle Erfindung der Natur. Das undeutliche Murmeln unter ihm ignorierte er. Der Blick auf die Leuchtziffern flüsterte die Uhrzeit: 6:31 Uhr. „Du bischwer“ murmelte es lauter unter ihm. „Wann, sagtest du noch gleich, musst du im Büro sein?“ „Nicht Büro. Jugendgruppe. Exkursion, politisch“ seufzte und räkelte sich seine Matratze. „Wir treffen uns vor dem Rathaus und das um halb neun. Sag mal, liegst du auf mir drauf?“ „Halb neun. Wann musst du dann hier los?“ „Dreiviertelstunde vorher. Pharao, du erdrückst mich.“ So langsam wurde Finn wach. Würde er jedenfalls, wenn er denn mehr Luft bekäme. „Dann musst du nicht um halb sieben aufstehen, oder?“ „Mann, Atemu. Ich ersticke unter dir.“ Jetzt drehte Finn sich herum und schmiss den Ballast von sich herunter. Nur mit dem Ergebnis, dass jetzt ein ausgekühlter Körper in seine Arme zurückkrabbelte. „Du bist ja ganz kalt.“ „Ich bin fast aus dem Bett gerutscht. Wärme mich.“ Finn nahm ihn also in seine heißen Arme und drehte den Kopf nach hinten, um auf die Uhr zu sehen. Es war noch Zeit bis zum Aufstehen. Da konnte er auch noch schön die Augen schließen … „Finn, ich bin wach.“ Seufz. „Ja, ich merk’s.“ „Wollen wir Sex machen?“ Seeeeeuuuuufz. Er hätte sich so gern die Decke über den Kopf gezogen, aber irgendwie hing sie fest. Wo nahm der Kerl nur die Energie für so viel Sex her? „Wahas?“ lachte Yami und kraulte sein Haar. „Gehe ich dir auf die Nerven?“ „Nein, ich habe mich gefragt, wo du die Energie für so viel Sex hernimmst.“ „Du denkst falschrum. Ich nehme nicht Energie für Sex, sondern Energie aus Sex. Je mehr Sex ich habe, desto energiegeladener bin ich. Aber du scheinst ein bisschen müde zu sein.“ „Ich bin seit ungefähr einer halben Minute wach. Und geweckt wurde ich von Atemnot und einem kalten Etwas auf mir drauf. Da kannst du echt keine Wunder erwarten.“ „Und wenn jetzt ein wahnsinniger Magier durchs Fenster springen und versuchen würde, mich zu kidnappen? Würdest du dann wach sein?“ „Dann würde ich ihn bitten, beim nächsten Mal die Tür zu benutzen. Durchs Fenster ist doch keine Art.“ „Du würdest mich nicht beschützen?“ „Ich glaube, der bringt dich wieder zurück.“ „OH! Wie gemein!“ Aber er wusste, dass Finn dann der Erste wäre, sich für ihn aufzuopfern. So nahm er es seinem Geliebten nicht übel, dass er noch etwas müde war. Er hatte ja schließlich letzte Nacht schwer geschufftet. „Warum grinst du, Finni?“ „Weißt du …“ Finn rutschte auf dem Kopfkissen höher, blickte Yami kurz in die Augen und schmiegte ihn dann zurück an seine warme Brust. „Was weiß ich? Ich bin aufnahmefähig. So spreche er.“ „Ich habe gerade gedacht, dass ich mit keiner meiner Freundinnen so aktiv im Bett war wie mit dir. Schon verrückt.“ „Was ist daran verrückt?“ „Na ja. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mit einem Mann mehr und besseren Sex habe als mit Frauen.“ „Du findest unseren Sex also besser als früher mit deinen Weibern?“ „Wenn ich es mir so bedenke … vorher war ich kein Freund von weiten Hosen.“ „Also“ schmunzelte Yami und fuhr langsam mit seinen Händen von Finns Brust zu seinem Bauch. „Im Moment hast du gar keine Hosen an. Was mir wohlgestanden äußerst zusagt.“ „Nein, ich meine doch … na ja, um dem kleinen Finn etwas Platz zu geben. So hohe Beanspruchung ist er nicht gewöhnt.“ „Na ja, so klein finde ich deinen Finn gar nicht. Hat schon ne sehr ordentliche Größe.“ „Ähm … danke.“ Das war doch mal ein Kompliment, welches ihm auch noch keine Frau so offenherzig gemacht hatte. „Ich meinte allerdings, dass nicht die Größe Platz braucht, sondern …“ „Ich weiß, was du meintest“ erleichterte er ihn und küsste die kleine Narbe an seinem Schlüsselbein. „Wenn es dir zu viel wird, kannst du auch gern mal unten liegen.“ „ … “ „Ach, komm schon“ lächelte er und küsste seinen feinen Kehlkopf. „Ich bin gut als aktiver Part.“ „Ich finde, du bist auch passiv schon sehr aktiv.“ „Wenn du meinem magischen Atemu noch nicht so richtig traust, kann ich dir auch erst mal einen kleinen Vibrator besorgen. Dann können wir dich ganz langsam dran gewöhnen.“ Und solche Gespräche hatte er mit seinen Freundinnen auch am frühen Morgen nie geführt. Da säuselte man sich doch eher verliebte Dinge ins Ohr anstatt über Vibratoren zu sprechen. „Ich weiß gar nicht, ob ich mich daran gewöhnen wollen würde. Ich glaube, da käme ich mir noch schwuler vor als ohnehin schon.“ „Schwulsein ist nicht schlimm. Frag Noah.“ „Ich bin aber eigentlich hetero …“ „Probier’s doch einfach aus. Du wirst sehen, dass es unten so schlimm nicht ist. Vielleicht gefällt es dir ja sogar, dich mir ganz und gar hinzugeben.“ „Du meinst also, ich gebe mich dir nicht ganz und gar hin?“ „Soll ich denn noch deutlicher werden?“ Er schubste sich selbst weg, zog die Decke mit und setzte sich neben ihn in den Schneidersitz. Mit dem Ergebnis, dass er den nackten Finn noch besser betrachten konnte. „Ich meine, vielleicht gefällt es dir ja auch, wenn ich dich durchnehme. Bisher ist noch jeder Mann unter mir gekommen.“ „Atemu …“ Aus der Sache kam er wohl nicht wieder raus. So freizügig war er nicht erzogen worden, dass er seine Wünsche und Abneigungen so klar formulieren konnte. Bisher hatte er auch nicht daran denken wollen, dass der Pharao das Spiel mal ‚andersherum‘ spielen wollte. „Ist es denn das, was d u willst?“ Yami strich ihm das dunkelrote Haar aus dem Gesicht und fuhr mit der Fingerspitze seine Augenbrauen nach. Er ließ sich einen Augenblick Zeit mit der Antwort und lächelte seinem Liebsten warm herab. „Ich würde dich sehr gern mal unter mir haben. Aber nur wenn du es auch möchtest. Nicht heute und vielleicht auch nicht nächstes Jahr. Aber vielleicht irgendwann, wenn du dich bereit fühlst. Ich weiß, dass du bereits sehr viel für mich und mit mir tust, woran du früher nicht mal gedacht hast. Und auch ich entdecke durch dich ein ganz neues Liebesspiel. Weil ich mit dir nicht nur Geschlechtsverkehr habe, sondern weil mein Herz bei dir ist. Und deshalb bin ich glücklich, wenn auch du glücklich bist. Schnulzig, aber wahr.“ „Ich kann mir denken, dass du schon viel spannendere Sachen gemacht hast als …“ „Aber ich liebe dich“ versprach er nochmals sanft. „Ich bin sexuell sehr zufrieden. Und auch emotional fühle ich mich sehr zufrieden. Es gibt nichts, worüber du dir Gedanken machen musst.“ „Ich möchte nur nicht, dass du dir einen anderen … entschuldige.“ Er legte sich die Hand über die Augen und atmete tief in sich hinein. Genau das hatten sie immer an ihm bemängelt. Daran waren seine Beziehungen meistens zerbrochen. „Was denn? Finni, was denkst du?“ „Ich habe gedacht, dass ich es schon wieder tue.“ „Was schon wieder tun?“ „Ich klammere. Ohne mich emotional zu öffnen. Daran sind meine Freundinnen immer verzweifelt. Donna sagte am Ende immer, sie kenne mich zwar, wisse aber nicht, wer ich bin … und dann ist sie mit einem anderen durchgebrannt.“ „Und hat es bereut“ erinnerte Yami sich an die arbeits-und obdachlose Frau mit dem kleinen Baby. Sie hatte Finn verlassen und ihn für einen Tunichtgut eingetauscht. Und erst hinterher wusste sie, dass dies der größte Fehler ihres Lebens war. „Ich habe dir doch versprochen, dass es neben dir keinen anderen gibt“ gelobte er und beugte sich zu ihm herunter, rutschte neben ihn und küsste seine Stirn. „Mach dir keine Sorgen. Ich nehme mir keinen anderen. Und ein Baby lasse ich mir auch nicht machen, nur um dann wieder bei dir angekrochen zu kommen.“ „Aber du hattest immer viele Sexpartner. Du wirst dich irgendwann von mir eingeengt oder gelangweilt fühlen.“ „Das glaube ich nicht.“ Er legte seinen Kopf neben ihn und sprach leise auf die Lippen. „Ich liebe dich. Ich gebe zu, dass ich anderen hinterher sehe und dass es ungewohnt ist, mich auf einen Sexualpartner zu beschränken. Es ist ungewohnt, aber es fällt mir nicht schwer. Noch nicht. Und wenn es mir irgendwann schwerfallen sollte, werde ich mit dir darüber sprechen. Aber vielleicht sind meine wilden Jahre ja auch einfach vorbei.“ „So alt bist du noch nicht“ intervenierte Finn leise und hauchte ihm einen vorsichtigen Kuss auf die warmen Lippen. „Aber ich habe so viel gesehen, so viel getan, so viel erlebt, dass ich unterscheiden kann zwischen dem, was mir wichtig ist und dem, worauf ich verzichten kann. Und ich weiß, ich weiß es ganz sicher, dass ich auf anonymen Sex verzichten kann, wenn ich im Gegenzug mit dir zusammen sein darf. Denn das Zusammensein mit dir, steht für mich an dritter Stelle.“ „Dritter …“ Das klang nicht gerade aufmunternd. „An erster Stelle steht immer Yugi“ erklärte er, rutschte etwas fort und blickte einen langen, intensiven Moment in diese tiefbraunen Augen. „Yugi ist mein Seelenpartner, ohne ihn kann ich nicht existieren. Yugi ist meine Hälfte, sowohl in menschlicher als auch in göttlicher Hinsicht. Wir sind ein Duo und allein bin ich nichts wert. Und an zweiter Stelle steht noch immer Seth“ sprach er mit liebevoller Stimme. „Ich liebe ihn und das werde ich immer tun. Auch wenn ich nicht mit ihm zusammensein kann.“ „Ich weiß“ antwortete Finn leise. Daraus hatte der Pharao niemals ein Geheimnis gemacht. Seth würde immer eine Hauptrolle in seinem Herzen einnehmen. Finn wusste das und hatte sich darauf eingelassen. Deshalb konnte er Atemu hieraus niemals Vorhaltungen machen. „Und ganz knapp nach Seth, da kommst du“ versprach er und streichelte Finns warme Wange. „So knapp nach ihm, dass ihr schon fast eine Höhe habt. Weil ich dich liebe und weil ich mit dir zusammensein kann. Seth ist meine alte Liebe aus einer vergangenen Zeit. Doch du bist die neue Liebe in meinem heutigen Leben. Und auch ohne dich kann ich nicht mehr sein. Für dich und mein Leben mit dir, gebe ich den Geschlechtsverkehr mit Dritten auf, ohne dem nachzutrauern. Reicht dir das als Liebesbeweis?“ „Das sagst du jetzt … aber was ist, wenn das mit uns wirklich etwas ernsthaft Längeres werden sollte? Es fällt mir schon schwer zu wissen, dass dein Herz auch einem anderen gehört. Wenn du jetzt auch noch deinen Körper teilst … ich will dich nicht noch mehr teilen, aber ich will dich auch nicht einengen.“ „Aber es fehlt mir nicht. Ich hatte schon längere Zeit, auch schon vor dir, keinen Sex mehr mit Fremden. Außer neulich im Swinger Club. Habe ich erwähnt, dass ich da eine Bonus-Karte habe?“ „Nein, noch nie …“ Noch nie außer bei jeder Gelegenheit. „Ich verspreche dir feierlich, dass ich es dir sagen werde, wenn ich mir etwas spezielles wünsche. Ich bin nicht auf den Mund gefallen.“ Er küsste ihn kurz auf die Lippen und streichelte seine warme Stirn. „Es ist neu für mich, aber ich glaube, ich kann sexuell treu sein. Für dich jedenfalls, solange du mich nicht zu kurz hältst.“ „Aber wenn du …“ „Wenn mir etwas fehlt, sage ich es dir. Ja doch“ seufzte er. Finn machte sich seines Erachtens zu viele Gedanken. „Nur eine Sache will ich an dieser Stelle gleich klären. Ich schlafe ab und zu mal mit Yugi und ich möchte darauf nicht verzichten.“ „Du schläfst … mit dem anderen Pharao?“ „Natürlich. Yugi und ich haben gern Sex miteinander. Das heißt, wenn wir es endlich mal schaffen.“ Er setzte sich gemütlich in den Schneidersitz zurück und erzählte aus freiem Herzen. „Wir versuchen schon seit einiger Zeit zu poppen, aber irgendwie kommt immer etwas dazwischen. Aber wenn es sich ergeben sollte, möchte ich das vorher und nachher vor dir nicht rechtfertigen und dich auch nicht fragen müssen. Und ich kann auch nicht ausschließen, dass vielleicht sogar Seto mit von der Partie wäre. Wenn ich Glück habe jedenfalls.“ „Und … er … der Priester macht das …?“ „Seto und Seth haben früher auch häufig miteinander geschlafen. Manchmal haben wir es auch zu viert getrieben. Seto und Yugi sind sich eigentlich treu, aber Sex mit einem Seelenverwandten fühlt sich anders an als mit einem Geliebten. Ich kann es dir nicht mit Worten erklären, aber wenn du einen Hikari hättest, würdest du mich verstehen.“ Er nahm Finns Hand und schmiegte sie an seine Wange. „Es ist mir wichtig, dass du das verstehst. Ich kann auf jeden Mann und jede Frau verzichten, aber nicht auf Yugi. Ich bleibe dir treu, das kann ich dir versprechen. Aber du musst akzeptieren, dass ich weiterhin Seth liebe und auch, dass ich ab und zu Yugis Bett teile. Kannst du das?“ „Ja, kann ich.“ Finn seufzte erleichtert und strich lächelnd über Yamis Kinn. Der sah ihn etwas überrascht an. „Ach, kannst du? Echt?“ „Ja, das kann ich. Eigentlich erleichtert es mich sogar“ gab er zu. „Ich weiß, dass ich mit meinem Verständnis von Monogamie bei dir Fesseln anlege. Aber wenn du sagst, dass du mit deinem Seelenverwandten Sex haben möchtest, weil es da ein tiefes, inneres Bedürfnis gibt, dann erleichtert mich das. Dann weiß ich, dass du mir treu bleiben kannst, ohne dich einengen zu lassen.“ „Meine Güte, bist du kompliziert“ schüttelte Yami den Kopf. Zuerst wollte Finn ihn gar nicht teilen und nun war er erleichtert, dass er ihn doch teilte? Dieser Mann hatte eine merkwürdige Denkweise. „Mal was anderes. Sag mal …“ Finn strich Yami fester durchs Haar und zog die Augenbrauen zusammen. „Was ist denn? Stimmt etwas nicht?“ „Sind wir gestern wirklich zusammen eingeschlafen oder hast du dir hinterher noch die Haare gemacht?“ „Haare? Nee, ich war doch viel zu fertig“ lachte er und küsste Finns Handfläche. „Du hast mich nämlich ganz schön k.o. gebumst, falls du es schon vergessen hast. Du Hengst.“ „Aber dein blonder Ansatz ist weg.“ „Du hast einen Knick in der Linse. Der war gestern noch fast einen Zentimeter groß.“ „Nein wirklich. Guck in den Spiegel.“ „Mein Geliebter hat Hallus“ lachte Yami, hüpfte gut gelaunt aus dem Bett und tippelte zum Kleiderschrankspiegel. Dort drückte er seinen Scheitel platt und war dann selbst ganz platt. Kein einziges, blondes Haar. Und als er an sich heruntersah … „KRASS! ICH HABE SCHWARZE SCHAMHAARE!“ „Und Achselhaare“ stellte Finn zusätzlich fest. „Ich hatte seit Jahren nicht mehr so viele Haare am Körper!“ rief er und untersuchte seinen wunderlichen Schoß. Wo kamen denn über Nacht die ganzen Haare her, die sonst blond waren? „Ich wollte ja schon immer schwarze Haare haben, aber das …?“ Im Schlafzimmer gegenüber war das Erwachen von einem ähnlichen Wunder begleitet. Yugi erwachte von einem Schrei, der irgendwas mit Schamhaaren und der Stimme seines Yamis zu tun hatte. Der erste Blick ging zu Seto. Der lag mit engelsgleichem Gesicht tief in seinem Kissen, Arme und Beine an sich gezogen und von einer dünnen Sommerdecke belegt. Nur sein Kopf war so dicht an Yugis Schulter, dass er ihn leicht küssen konnte. Und das musste er, weil man dieses wunderschöne Gesicht einfach nicht ungeküsst lassen konnte. Der zweite Blick ging auf den Radiowecker. Noch knapp zehn Minuten und er würde klingeln. Dann würde Seto aufwachen, sich an ihn kuscheln und eine Viertelstunde auf die Siebenuhrnachrichten warten, bevor er dann ins Badezimmer schlurfte. Diese morgendliche Routine war wundervoll. Seto war wundervoll. Nicht ganz so wundervoll war, dass Yugi lieber vor ihm aufstand und zuerst ins Badezimmer musste. Denn warten bis sein Liebling fertig geduscht hatte, bis die Kinder geweckt und gewaschen und angezogen waren und dann erst … nein, heute war es definitiv zu dringend. „Bin gleich wieder da, Engelchen“ flüsterte er, auch wenn Seto schlief. Er schlug die Decke um und stand auf, um ins Badezimmer zu laufen. Bei den ersten Schritten torkelte er etwas, ihm war schwindelig und der Boden schien heute so weit weg zu sein. „Meine Fresse, mein Kreislauf“ seufzte er und schloss die Tür hinter sich. Er zog noch im Laufen seine enge Unterwäsche herunter und stellte fest, dass irgendetwas nicht stimmte. Er hatte keine Morgenlatte und doch kam ihm der kleine Yugi heute irgendwie größer vor. Viel größer. Na ja, lag bestimmt am Kreislauf und an der frühen Stunde. Und während es so lief ahnte er, dass er heute nach dem Frühstück eine wichtige Aufgabe hatte: Das Badezimmer aufräumen. Tato hatte die Badewanne mit lauter Kugeln aus geknuddeltem Klopapier gefüllt. Yugi musste ihm unbedingt sagen, dass wenn der Kleine nachts auf dem Pott herumsaß, er bitte nebenbei kein Klopapier zu Kugeln knuddeln und im Zimmer verteilen sollte. Klopapier war kein Spielzeug. Aber seine Schwester war auch nicht besser. Sie hatte ein Sammelsurium an kleinen Flakons aus einer Parfümerie geschenkt bekommen und diese nun vor dem Handtuchregal platziert. Das war zwar sehr dekorativ, aber leider auch sehr unhandlich. Wenn jetzt jemand ein frisches Handtuch brauchte, musste er erst eine Handvoll Flakons zur Seite räumen. Dafür mussten sie unbedingt einen neuen Platz suchen. Und Papadrache hatte auch so seine Macken. Das Duschgel an die Lampe zu hängen, sah nicht nur doof aus, sondern war noch unhandlicher als Ninis Dekoidee. Das war wohl noch ein Überbleibsel seiner Reviermarkierungen. Hoffentlich hörte das nun auf, wo er und Tato diese Sache geklärt hatten. Es war zwar sehr witzig, die Dinge an lustigen Orten zu finden, aber wenn man mal schnell etwas brauchte … Yugi drückte die Spültaste und fischte das Duschgel zurück, stellte es an seinen angestammten Platz und wusch sich dann die Hände. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. >Seit wann hängt die Lampe so tief?< Er sah hinauf, stellte sich auf die Zehenspitzen und konnte tatsächlich den Lampenschirm anstupsen. Das war doch nicht normal! Er streckte die Arme aus und wunderte sich wie weit weg plötzlich seine Hände waren. Er sah hinunter und der Boden war noch immer weit weg. Er drehte sich um, ging zum Spiegel, sah hinein und schluckte. Er erkannte sein Spiegelbild und kannte es doch nicht. Seine Wangenknochen waren höher und markant - nicht mehr so kindlich. Seine Augen etwas kleiner und katzenhafter - nicht mehr wie ein Bambi. Seine Nase war länger und ohne Stups. Sein ganzes Gesicht war erwachsen geworden. Er hatte schon einmal so ausgesehen, doch damals durch einen Fluch, den ein blutrünstiger Magier über ihn verhängt hatte. Nun sah er ähnlich aus, aber er konnte sich nicht daran erinnern, an einer schwarzen Messe teilgenommen zu haben. Er war gestern Abend gemeinsam mit Seto schlafen gegangen. Sie hatten sich darüber unterhalten wie traurig Nika war und wie viele Schriften sie noch prüfen mussten bis sie endlich einen Beweis für Yamis Behauptung fanden. Sie hatten sich zusammengekuschelt, er hatte Setos Nacken gekrault und war irgendwann selbst dabei eingeschlafen. Definitiv keine schwarze Messe, nicht mal davon geträumt. Er ging geschwind zum großen Spiegel im Wohnzimmer und stellte fest, dass nicht nur sein Gesicht erwachsen geworden war. Sein ganzer Körper sah männlicher aus. Seine Gliedmaßen waren länger, seine Schultern breiter und auch der kleine Yugi war tatsächlich um einiges gewachsen. Schnell kramte er das Maßband aus der Schublade. Gestern noch hatte er Nini und Tato vermessen und nicht davon geträumt, dass er sich selbst nochmals freiwillig messen wollte. Nun stieg er mit dem Zeh auf den ersten Zentimeter und zog das Maßband möglichst gerade hoch. Es war keine genaue Größe, doch schon die Schätzung ließ ihn die Luft anhalten. 182 cm. „Ach du liebe …“ Er legte das Band ins Regal und kniete sich neben dem Bett nieder, um Seto zu wecken. Sein Herz pochte aufgeregt und auch wenn es eigentlich Grund zur Sorge war, freute er sich. Das hier war wie die Erfüllung eines Traumes. Nein, es war die Erfüllung eines Traumes. Schon ewig wünschte er sich so einen Körper. Nicht mehr für einen Jugendlichen gehalten zu werden, sondern für einen Mann … das war sein größer Wunsch. Hoffentlich war das hier kein Traum. „Seto … Seto, wach auf. Liebling, mach die Augen auf …“ Er streichelte ihm sanft über die Stirn, berührte seine Schulter und weckte ihn so vorsichtig wie möglich. Doch alles, was er noch denken konnte: >Meine Stimme ist so tief …< Von Seto kam ein undefinierbares Brummen und er versteckte das Gesicht zwischen den Knien. Wie konnte sich ein so großer Mann nur so zusammenfalten? „Liebling, wach auf. Mir ist was passiert … sieh mich mal an … Liebling, wach auf, mein Schatz. Erschrecke dich bitte nicht, aber sieh mich mal an.“ „Grrmmbbllmmm“ grummelte er, wandte sich wie ein Fisch im Netz, drehte sich auf die andere Seite und öffnete die Augen einen Spalt. Yugi lächelte. Seto riss die Augen auf und war hellwach. „AAHH!“ Er sprang zurück, purzelte just rückwärts von der Matratze durch Yugis Arme hindurch auf den Boden und machte damit einen lauten Krach aus Gelenkknacken und einem Kopfstoßen an der Kommode. „Autsch“ machte Yugi und verzog mitleidig das Gesicht. Wie konnte ein so großer Mann nur so schreckhaft sein? „Hast du dir wehgetan, Engel?“ „WER SIND SIE?!“ Nein, er hatte sich nicht wehgetan. Aber er stand sofort auf beiden Füßen zum nächsten Sprung bereit. Seine Augen fest auf dieses Wesen geheftet, welches mal sein Ehemann war. „Schon gut, beruhige dich“ lachte er. So schlimm wie Seto fühlte er sich lange nicht. „WIE SIEHST DU DENN AUS?!“ „Schrei nicht so. Die Kiddys schlafen noch“ flüsterte er und trat einen Schritt auf ihn zu. Denselben Schritt trat sein Drache jedoch rückwärts. „Keine Angst, ich bin immer noch ich. Ich habe mich nur irgendwie verändert.“ „Du kannst nicht wirklich Yugi sein.“ „Also, so sehr habe ich mich ja nun auch nicht verändert“ lachte er und stemmte die Hände in die Hüften. „Reg dich ab, mein Herz.“ „Wie ist das passiert? Hahh … hast du Schmerzen? Tut dir was weh?“ „Weiß ich nicht. Nein und nein“ antwortete er der Reihe nach und streckte die Hand zu ihm aus. „Komm, nimm meine Hand. Ich fühle mich großartig. Es ist alles in Ordnung.“ „DAS NENNST DU IN ORDNUNG?“ „Liebling“ flüsterte er und legte sich den Finger über den Mund. Sonst hätten sie hier gleich noch zwei Schreihälse mehr. Genau in diesem Moment sprang ein splitternackte Yami zur Tür herein. „YUGI! SIEH DIR DAS AN!“ „Warum schreit ihr heute Morgen alle so?“ drehte er sich zu ihm herum und stellte sofort fest: „Yami, hast du dir die Schamhaare gefärbt?“ „Nein! Das ist es doch gerade! Ich habe … sag mal, Yugi, was ist denn mit dir passiert?“ „Wenn ich das wüsste.“ „Schick siehst du aus.“ „Ich wünschte, dasselbe könnte ich von dir behaupten.“ „Ja, ich weiß. Is’n ganz schöner Busch da unten“ musste er zugeben und betrachtete sich seine volle Pracht da unten. „Ich habe auch welche unter den Armen. Siehst du?“ „Wunderschön.“ „Du auch“ lächelte er, kam heran und betrachtete seinen Hikari von oben bis unten und fragte mit Blick hinab. „Ganz schön eng deine Short. Bist du überall so gewachsen? Auch an den wichtigen Stellen?“ „Ich glaube schon …“ „Wow, Yugi … was soll ich sagen?“ „FINDEST DU DAS ETWA GUT?!“ rief Seto und zeigte auf Yugi. „Also, hässlich finde ich das jedenfalls nicht“ antwortete er. Im Gegensatz zu Seto freute er sich erst mal für Yugi. Süß fand er es auch, dass Finn zur Tür nachkam und ihm dezent einen Bademantel über die Schultern legte. Auch der sah mit offenstehendem Mund zu Yugi und fragte die Top-Frage des Morgens: „Was ist denn mit dir passiert?“ „Yugi?“ Meldete Seto sich wesentlich leiser und blickte ihn nun ebenso erschrocken wie besorgt an. „Hast du wirklich keine Schmerzen?“ „Nein, ich fühle mich fantastisch“ beruhigte er und streckte erneut die Hand zu ihm. Dieses Mal griff er sie auch und traute sich, diesen großen Yugi zu berühren. „Und? Spürst du etwas an mir?“ „Nein … gar nichts. Du fühlst dich nicht anders an … nur meine Augen …“ „Vielleicht sollten wir auch nach Nikolas sehen.“ Finn stand noch immer sehr erstaunt im Zimmer und zog in diesem Moment alle drei Blicke auf sich. „Na ja … erinnert euch. Atemu hätte gern schwarzes Haar, Yugi wäre gern größer und Mami wäre gern eine Frau. Und Atemu glaubt, dass Felicitas ein Nilkind ist …“ „Wenn Nikolas jetzt wieder zu Nika zurückverwandelt ist“ rief Yami und stürzte aus dem Raum, „DANN HATTE ICH JA SO WAS VON RECHT!!!“ Die anderen drei tauschten schnell noch Blicke aus und liefen ihm dann nach. Wenn Finn das richtig kombiniert und Yami Recht mit seinem Nilkind-Mythos hatte, dann würde Nika jetzt zurückverwandelt sein müssen. „YAMI!“ rief Yugi, bevor der halbnackt ins Zimmer stürmte. Zum Glück stoppte der alte Pharao und wartete auf seine drei Begleiter. „Mach langsam. Vielleicht schlafen sie noch.“ „Oder miteinander“ grinste er und drückte ganz langsam und leise die Klinke herunter. Von drinnen war nichts zu hören also öffnete er die Tür und bestätigte Yugis Verdacht. Familie Taylor lag noch in den Federn. „Wie süß“ quietschte Yami und zeigte aufs Bett. „Sie schlafen Löffelchen.“ Nika lag mit dem Gesicht zur Tür und Tristan umschlag sie so eng von hinten, dass man gar nicht sagen konnte, welches Körperteil unter der Decke zu wem gehörte. Aber das wirklich Wichtige erkannten sie je näher sie kamen. Nikas ständiger Bart war verschwunden und ihr Gesicht hatte weiche, weibliche Züge. Genau wie vor ihrer Rückverwandlung. Sie war also von ihrer Rückverwandlung wieder zurückverwandelt worden. Und sie wusste es noch gar nicht. „Wecken wir Tristan zuerst“ flüsterte Yami und freute sich diebisch auf den Freudenschrei der beiden. „Lass mich das lieber machen“ bat Yugi. Yami war viel zu aufgekratzt als dass er jemanden sanft hätte wecken können. Yugi selbst fühlte sich zwar auch wie auf Ecstasy, jedoch hatte er sich besser im Griff. Er setzte sich aufs Bett und berührte Tristan vorsichtig am Arm. „Tristan. Tristan, wach auf. Erschrecke dich nicht.“ „Whuas?“ nuschelte er und drehte sich auf den Rücken. Zumindest war er leichter zu wecken als Seto. Er rieb sich über die Augen und blinzelte müde nach oben. Dann blinzelte er noch mal kräftiger und seine Augen weiteten sich trotz Yugis beruhigendem Lächeln. „Yugi, bist du das?“ „Yami hatte Recht“ begann er mit leiser Stimme. „Feli ist ein Nilkind. Eine Fee.“ „Bitte?“ „Sie hat unsere Wünsche erfüllt. Yami hat schwarzes Haar. Ich bin gewachsen. Und Nika … sieh selbst.“ Er nickte und Tristan folgte seinem Blick. Er erkannte schon von hinten, dass sich etwas verändert hatte. Nikas Rücken war schmal und grazil. Nicht breit und muskulös. „Oh mein Gott … ist sie …?“ „Sieht so aus“ flüsterte Yami und fummelte fröhlich an seinem neuen, dunklen Achselhaar herum. „Ich hatte Recht mit Feli. Sie hat auch ihre Mami zurückverwandelt. Und sie weiß wahrscheinlich gar nicht, was sie gemacht hat.“ „Nika wird wahnsinnig werden vor Freude.“ „Ich traue der ganzen Sache nicht“ meinte Seto. Er freute sich nicht über all das hier. Überhaupt nicht. Kein bisschen. Egal wie entrückt ihn alle ansahen. „Das ist doch nicht normal. Feli ist ein ganz normales Mädchen. Und all das hier soll passiert sein ohne dass auch nur einer von uns etwas mitbekommt oder irgendwelche Magie zu spüren ist? Irgendwas ist doch faul.“ „Sei doch nicht immer so misstrauisch“ bat Yami. „Das ist doch der Trick an Nilkindern. Sie erfüllen die Wünsche der Menschen um sich herum, wenn sie verstehen wie dringend sie es sich wünschen. Doch sobald Feli sich über ihre Kraft bewusst wird, verliert sie sie auch schon wieder. Das sagen auch die Schriften. Du hast die Passage doch selbst gelesen. Es ist die reinste und unschuldigste Magie, die es gibt. Vielleicht kannst du sie deshalb nicht spüren. Weil sie so natürlich ist wie die Luft um uns herum.“ „Die Luft um mich herum spüre ich aber.“ „Liebling, es ist alles in Ordnung“ versprach Yugi, ging zu ihm und hängte sich in seinen Arm. „Unsere Wünsche gehen in Erfüllung. Freue dich doch für uns.“ „Wie soll ich mich über so etwas freuen? Was ist, wenn ihr Folgeschäden erleidet?“ „Es wird keine Folgeschäden haben“ versuchte Yami nicht ganz so breit grinsend zu erklären. „Für mich schon, wenn du nicht endlich deinen Bademantel zumachst.“ „Du hast die Berichte doch selbst gelesen“ sprach er ungerührt weiter, aber schloss seinen Gürtel und verdeckte die dunkelkrause Blöße. „Die Taten der Nilkinder waren immer zum Guten der Menschen. Es gab nichts böses an dieser Magie. Natürlich wissen wir nicht wie es jemand schaffen kann, diese Magie für sich zu nutzen oder sogar ins Gegenteil umzukehren. Die Indizien reichen uns hierfür nicht. Auch wissen wir nicht, wie man Nilkinder erkennen kann oder woher ihre Macht stammt. Aber du hast doch selbst gelesen wie viel Glück von den Nilkindern ausgeht. Du hast die alten Schriften gelesen. Die Berichte.“ „Ich muss mich Atemu anschließen“ sprach Finn ihm bei. „Auch wenn wir solche Kinder heute Feen nennen und ebenso wenig darüber wissen wie noch vor 5000 Jahren, so ist nie etwas darüber bekannt geworden, dass Feenmagie etwas negatives angehaftet hätte. Ich kann verstehen, dass du dir Sorgen machst. Ich selbst traue der Sache auch nicht ganz. Aber im Grunde sind Feen nicht böse.“ „Im Grunde ist nichts weder böse noch gut“ erwiderte er, blickte Yugi an, sah das Leuchten in seinen Augen und drehte sich dann um. „Ich fahre zu Sethos.“ „Liebling, lass uns …“ „Allein.“ Chapter 39 Früh morgens im Aquarium war noch nicht viel Trubel. Vor allem nicht, wenn man allein dort auftauchte. Der erste, der ihn begrüßte, war Leikos. Er saß wie eine Kühlerfigur über der weit geöffneten Flügeltür und putzte sein schwarzes Gefieder. Er krächzte freundlich und nickte Seto ein paar mal zu. Als Lady fast lautlos neben ihm landete, spreizte er sogar seine Flügel und plusterte seine Brust auf. Eine Dame begrüßte man natürlich ganz anders als einen Priester. Er ging hinein und fand drei Personen am Frühstückstisch sitzen und sich über süß duftende Brötchen hermachen. Sethan, Amun-Re und Balthasar. Letztere beiden im Pyjama und nachtverwuschelt, nur Sethan sah alltagstauglich aus. „Guten Morgen, Oma“ grüßte der freundlich und legte sein Brötchen hin. „Was beschert uns diesen Glanz am Morgen?“ „Sollst du Oma zu mir sagen?“ murrte er. Aber er beugte sich dennoch herab und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Die anderen beiden bedachte er nur mit einem „Morgen“. „Yugi hat angerufen“ rückte Balthasar gleich mit der Sprache heraus. „Er sagte, es geht allen gut. Ist er wirklich so gewachsen? Ich habe ein Foto aufs Handy bekommen. Unglaublich, dass so etwas geht!“ „Stell dir vor, Fotos aufs Handy sind sogar in unserer Zeit schon möglich.“ „Ha ha“ guckte er dunkel. Seto konnte einem echt das Wort im Munde umdeuten. „Weißt du, was ich viel unglaublicher finde?“ bemerkte Sethan mit einem recht unbegeisterten Unterton. „Dass Atemu uns ein Foto von seinem Schamhaar geschickt hat. Darauf hätte ich verzichten können.“ „Also, ich find’s lustig.“ „Ja, Amun-Re. Ich weiß.“ Nur Seto hatte andere Probleme als Handyfotos. „Ich verstehe nicht, dass alle so naiv sind und glauben, was irgendwelche toten Ägypter mal geschrieben haben.“ „Diese toten Ägypter sind hohe Gelehrte gewesen“ warf Amun-Re sanft ein. „Ich denke, du erinnerst dich nicht an alles seit du ein Mensch bist.“ „Aber ich weiß, dass die Gelehrten aus der Epoche meines ersten Sohnes sehr gewissenhafte und skeptische Wissenschaftler waren.“ „Aha.“ Egal wie nett sie ihn zu beruhigen versuchten, er wollte doch lieber mit jemandem sprechen, der mehr wusste und unparteiisch dachte. Er drehte sich herum und sah Sethos im Wasser seine Bahnen schwimmen. Mittlerweile war es so, dass er den Tag an Land verbringen konnte, selbst wenn er die meiste Zeit schlief. Nachts jedoch kehrte er ins Wasser zurück, weil er sich dort selbstständig bewegen und leichter atmen konnte. Und dies ließ auch seine Krankenpfleger zumindest die Nacht durchschlafen, da sie ihn bei Atemaussetzern bei Tage wecken mussten, ihn jedoch im Wasser sicher wussten. Und mittlerweile schafften Sethan und Balthasar es auch, ihn gemeinsam die Treppen hoch und wieder hinunter zu tragen. „Möchtest du auch Kaffee?“ fragte Balthasar und schenkte sich selbst welchen ein. „Ja, frühstücke mit uns“ schlug auch Amun-Re vor. „Yugi sagte, du hast noch nichts im Bauch. Wenn du möchtest, füttere ich dich.“ „Danke.“ Sollte ‚Nein, danke‘ heißen. Jetzt hetzte Yugi auch schon seine Schergen, die ihn bemutterten. Er ging stattdessen lieber zum Aquarium und legte seine Hand ans Glas. Sethos war gerade um die Ecke geschwommen, aber es dauerte nur ein paar Sekunden bis er zurückkam und Seto kurz in die Augen blickte. >Du kommst mit Sorgen zu mir< stellte er mit einer schlichten, gedanklichen Stimme fest. >Ich weiß, du bist nicht mein Yami< erwiderte er und legte seine Stirn an die vergleichsweise warme Scheibe. Sethos wollte sich nicht in die Geschicke der Erde einmischen. Er wollte sich aus den Leben der Menschen heraushalten. Dennoch wusste Seto sonst niemanden, zu dem er gehen konnte. >Solang du dies nicht vergisst, können wir miteinander sprechen.< Er trieb auf Seto zu, ließ sich bis zu den Knien auf den Boden sinken und blickte ihn durch sein wirr schwebendes Haar hindurch an. >Was hast du auf dem Herzen, mein Bruder?< >Du hast doch sicher schon davon gehört. Was heute Nacht passiert ist.< >Dennoch frage ich dich, was du auf dem Herzen hast. Was willst du von mir?< Seto seufzte, rutschte an der Panzerglasscheibe hinab und blieb dagegen gelehnt sitzen. >Alle freuen sich über diese Veränderungen. Niemand hinterfragt die Gefahren. Ja, Yami hat Recht gehabt und wahrscheinlich ist Feli ein Nilkind oder eine Fee oder was weiß ich. Aber es gibt offensichtlich Menschen, welche wissen, wie man diese Art der Magie ableitet und anderweitig nutzt. Als sie neulich Feli entführen wollten, hat Nika das verändert. Sie hatte eine Verletzung und nach drei Tagen ist genau das Gegenteil ihres Wunsches eingetreten. Und wir haben diesen Entführer noch immer nicht ausfindig gemacht. Unter anderem weil wir keine Möglichkeit haben, diese Feenmagie aufzuspüren. Selbst Tato und ich spüren keine Magie. Obwohl die Schatten es wohl können.< Er fasste sich an den Kopf und versuchte, seine wirren Sorgen zu ordnen. >Alle freuen sich, aber niemand hinterfragt, ob das alles wirklich gut so ist. Was ist wenn Yami alle Haare ausfallen? Oder wenn Yugi groß wird wie ein Haus? Oder wenn Nika … ich weiß nicht …< >Und die Negativfolgen sind alles, was dich quält?< „Was denn sonst?“ fragte er und drehte den Blick zu der Gestalt, welche fast vollständig hinter dem wallenden Haar verborgen lag. Nur diese ozeanblauen Augen stachen durchs Wasser und sahen durchdringend an. So durchdringend, dass Seto sich bei aller Kleidung nackt fühlte. Er wusste, Sethos konnte in ihn hineinsehen. Er sah auch vieles, was anderen verborgen blieb. Und er prüfte sehr genau, wem er sein Wissen weitergab. Und wenn er Seto nicht für gut erachtete, entschied er sich fürs Schweigen. Denn Sethos selbst ließ sich niemals durchschauen. >In Ordnung< sagten seine Augen dann in einem sanften Ton. >Du willst von mir etwas über Feen erfahren?< >Wenn du nichts darüber weißt, wer dann?< >Meine Engel erwählen die Feen. Oder Nilkinder wie sie früher genannt wurden. Oder Traumformer wie sie davor genannt wurden< erzählte er mit seinem angenehm sonorem Ton. >Es sind die Kinder, deren Herzen Amun-Re am innigsten lieben. Kinder, welche für seine Liebe und sein Licht empfänglich sind und sich ihm ohne Scheu zuwenden. Es sind besondere Kinder. Es ist die Natur eines Kindes, zu verlangen. Kinder verlangen Fürsorge, verlangen Liebe, verlangen Sicherheit, verlangen Schutz. Jedes Kind muss verlangen, um zu überleben, um zu wachsen, um zu lernen, um Mensch zu sein. Und es gibt Kinder, welche nicht verlangen. Diese Kinder müssen beschenkt werden. Sie fordern nicht, sie fragen nicht, werben nicht, nehmen nicht. Diese Kinder wenden sich dem Licht, der Wärme und der Güte zu, welche Amun-Re jedem Menschen schenkt. Diese Kinder wenden sich den Menschen ebenso liebevoll und voller Selbstaufgabe zu wie er es tut. Und diese Unschuld in ihren Herzen trägt die göttliche Kraft der Sonne in diese Welt. Deshalb erwählen meine Engel ihre Herzen und segnen sie. Diese Kinder spüren andere Menschen mehr als sich selbst und wollen die, von welchen sie sich geliebt fühlen, wieder lieben und sie glücklich machen. Diese Kinder geben, anstatt zu verlangen. Und dies ist ihre Kraft. Ein irdischer Magier kann diese Kraft nicht wie etwas Fremdes erspüren, weil sie so natürlich und rein ist wie die Liebe, welche Amun-Re an jeden Menschen verschenkt. Und die Kinder verlieren ihre Kraft, sobald sie sich ihrer bewusst werden. Sobald sie verlangen, werden sie Kinder wie alle anderen. Sie lieben und fordern wie jeder Mensch es tut. Und sie erinnern sich erst nach ihrem Tode an die Nähe, welche sie einst zu Amun-Re empfanden. Deshalb kann ich dir mit Gewissheit sagen, dass dem Zauber eurer Felicitas keine Boshaftigkeit anhaftet. Es wird genau das eintreten, was ihr euch wünscht. Ohne Täuschung, ohne Überraschung, ohne Verführung. Diese Kinder sind so rein wie das Sonnenlicht.< >Dann ist nicht mit Folgeschäden oder anderen Beschwerden zu rechnen?< >Nein, es wird dem Empfänger ihrer Liebe nichts Böses widerfahren.< >Aber warum wurde Felis Zauber dann bei Nika ins Gegenteil verkehrt?< wollte er skeptisch erfahren. >Sie wieder männlich zu machen, war ihr größter Albtraum.< >Es gibt einige Menschen, welche sich auf die Suche nach Feen begeben. Man kann sie nicht sofort von außen erkennen und ihre Kraft ist für Menschen nicht zu spüren. Außerdem existieren nur wenige Feen und man muss lange suchen bis man eine findet. Doch wenn man das Gedankenlesen beherrscht, kann man durch lange Beobachtungen eine Fee erkennen. Ich war nicht anwesend, doch ich denke, dass ein Gedankenleser Felicitas erkannt hat. In dem Moment als ein Fremder sie gegriffen und verschleppt hat, muss sie Angst empfunden haben. Doch nicht die fordernde Angst, welche sagt: ‚Mutter, Vater, rettet mich! Ich bin in Gefahr!‘ Eine Fee hat Angst um ihre geliebten Menschen. Sie denkt: ‚Mutter, Vater, was soll ich tun?‘ In diesem Moment wird die Magie einer Fee aktiv. Wenn sie den Wunsch ihrer Eltern vernimmt, wird sie ihn erfüllen. Genau diesen einen Moment, in welchem die Feenmagie erblüht, kann man zwar nicht die Magie direkt erspüren, jedoch den Effekt. Wie eine Welle, welche auf dem Grunde des Ozeans entsteht und unerkannt bleibt bis sie erst am Ufer bricht. Doch wenn in diesem Moment ein Schwarzmagier diese reine Energie, diesen Effekt, durch das Blut des Menschen, auf dessen Wunsch sich die Fee bezieht, absaugt oder ablenkt, kann er sie ins Gegenteil verkehren. Wie eine Welle, welche man am Brechen hindert und ihre Energie ableitet. So wie Licht auf einen Menschen fällt und er einen Schatten wirft, so kann die Magie einer Fee ins Gegenteil verkehrt werden. Es ist ein komplexes Ritual, welches höchste Kunst erfordert, doch es gab schon immer Menschen, welche sich die Kraft anderer zu eigen machten.< Seto hörte aufmerksam zu und machte sich so seine Gedanken dazu. >Das bedeutet, es gibt jemanden, der Felis Kraft für sich nutzen wollte. Aber es ist etwas schief gegangen, weil wir ihm dazwischengekommen sind und er sein Ritual nicht vollenden konnte.< >So denke ich.< >Können wir ihn finden? Denjenigen, der es versucht hat?< >Wenn er ein Medium verwendet hat, wird es sehr schwer für euch. Es muss ein intelligenter Mensch dahinterstecken, der weiß, welche Macht euch innewohnt. Sonst hätte er sich nicht durch dein Medium verbergen müssen. Und nach einer Fee in euren Kreisen zu suchen, war ein vielversprechendes Unterfangen.< >Kannst du ihn finden? Weißt du, wer es war?< >Nein, ich weiß nicht sicher, wer es war. Ich kann nur meine Engel befragen und sie werden es wissen.< >Doch das wirst du nicht tun.< >Nein, das werde ich nicht. Dies würde zu sehr in euer Leben eingreifen. Und ihr müsst eure Probleme selbst lösen. Ich bin Priester des Amun-Re und nicht der Menschen Ankläger, Richter oder Henker.< „Toll. Danke auch.“ Diese Antwort hätte er voraussagen können und war dennoch enttäuscht. Wenn Sethos wusste oder leicht herausbekommen könnte, wer sie bedrohte, dann wäre es doch seine Pflicht es ihnen zu sagen. Nein, natürlich wäre es nicht seine Pflicht, aber zumindest die Erwartung. „Du bist nicht gerade ne Fee, weißt du das eigentlich?“ >Der Himmel bewahre mich vor so viel Selbstlosigkeit.< Seine Gedanken hörten sich lachend an. So unschuldig und aufopfernd wie eine Fee war er nie gewesen. Er erfüllte den Menschen keine Wünsche. Er ließ sich nicht davon beeinflussen, ob er jemanden liebte oder hasste. Für ihn waren alle Menschen gleichgut und gleichböse. Ebenso wie sie es für seinen Gott waren. >Dann wird Yugi nichts schlimmes geschehen, wenn sein Wunsch erfüllt bleibt?< >Nein, deinem Pharao wird dadurch kein Nachteil entstehen. Felicitas hat seinen Wunsch verstanden und liebt ihn genug, um ihn zu erfüllen. Ihr Zauber ist die Liebe der Sonne und durchdrungen von Güte und Barmherzigkeit.< >Verstehe …< Dann würde Yugi also so bleiben. Groß. Männlich. Muskulös. Schwer vorzustellen, dass er sich so verändern konnte. Dass Yugis Wunsch endlich wahr geworden war, sollte ihn eigentlich freuen. Yugi strahlte an diesem Morgen, sein Herz klopfte so glücklich und erregt wie selten in seinem Leben. Seine Freude war so groß, sein Glück kaum zu ermessen. >Warum kann ich mich dann nicht für ihn freuen?< >Diese Frage musst du dir selbst beantworten< erwiderte er mit großer Sanftheit und einem edelmütigen Saphirblick. >Doch die Liebe einer Fee ist so duldsam wie die ihres Gottes. Drei Tage bleiben dem Empfänger Zeit, um herauszufinden, ob es wirklich die Erfüllung ist, wenn ein Wunsch wahr wird. Wie häufig sagen die Menschen heutzutage Goethes Satz: ‚Die Geister, die ich rief, werd' ich nun nicht mehr los‘? Oft stellt ein Mensch fest, dass die Erfüllung eines Wunsches nicht auch immer den erhofften Effekt mit sich bringt. Und so wenig wie Amun-Re seine Liebe den Menschen aufzwingt, so wenig zwingt sich eine Fee auf. Ihre Liebe ist freundlich.< „Dann kann man das wieder rückgängig machen?“ jubilierte er, drehte sich herum und sah Sethos hoffend an. „Es ist nicht endgültig?“ >Nichts auf dieser Welt ist endgültig. Nur der Tod sollte es sein.< „Dann kann Yugi wieder normal werden?“ >Wenn er innerhalb der nächsten drei Sonnenzyklen feststellt, dass er seinen Wunsch unwissentlich und unwillentlich geäußert hat, dann wird er zu nichts gezwungen und der Urzustand wieder hergestellt.< „So wie Nikas männlicher und weiblicher Urzustand wieder hergestellt wurde.“ >Ähnlich wie bei Nikas Wunsch. Ja. Doch dies muss dein Pharao für sich selbst entscheiden. Er muss Felicitas seinen Wunsch suggerieren, wieder wie vorher zu sein. Er darf ihr nicht sagen, dass sie es tun soll, sondern nur, dass er es sich wünscht. Denn solltet ihr Felicitas ihre Kraft verständlich machen, wird sie sie verlieren.< >Dann würde sie ein normales Mädchen wie jedes andere?< >Ja, dann wäre sie keine Fee mehr, sondern ein normales Kind. Und sie wird geliebt werden und lieben wie jedes andere Kind.< „Danke, du hast mir sehr geholfen. Kann ich noch etwas für dich tun?“ >Du willst schon wieder gehen< stellte er fest als Seto sich erhob und anscheinend auf dem Sprung hinaus war. >Ja, ich muss mit Yugi sprechen und ihm alles sagen. Das …< „Das darf ich doch, oder nicht?“ >Natürlich darfst du mit deinem Pharao über alles sprechen. Wenn du es so entscheidest.< „Danke, Sethos. Danke. Bis später!“ >Eraseus!< Er wartete bis sein Lehrling nochmals stehenblieb und sich zu ihm umwandte. >Wenn dein Herz sich beruhigt hat, möchte ich über mehr mit dir sprechen.< „Und worüber?“ >Jetzt noch nicht. Erst wenn du dich auf mich konzentrieren kannst und wenn ich wieder bei Kräften bin. Ich bin noch nicht fertig mit dir.< „Das klingt nicht gerade einladend.“ >Soll es auch nicht.< Sethos Ausdruck war selten. Seine Augen waren einladend und gruselig zur gleichen Zeit wie sie hinter der dicken Scheibe, im Wasser und unter dem strömenden Haar verborgen funkelten. Er machte einen Scherz. Doch an jedem Scherz haftete ein Funken Wahrheit. Er war mit Seto noch nicht fertig. Seto war Goethes Zauberlehrling - und Sethos der alte Hexenmeister. Da waren noch viele Geister zu vertreiben … Das viele Hin- und Herfahren kostete einiges an Zeit. Besonders weil Seto auf dem Rückweg im Berufsverkehr steckenblieb und erst um halb elf wieder zurück war. Er wollte Yugi ja unbedingt sagen, dass es noch einen Weg zurück gab. Er musste nicht so bleiben. Er konnte sich noch anders entscheiden. Der Frühstückstisch war bereits abgeräumt und die meisten Frühstücksgäste gegangen. Als Seto seinen Wagen hinterm Haus parkte, kamen ihm Yami und Finn auf dem Gartenweg entgegen. Yami strahlte mehr als fröhlich. Sein nachtschwarzes Haar wallte und glänzte und er trug es mit Stolz. Seth war immer dagegen gewesen, dass er sich das Haar schwarz färbte und aussah wie die meisten Ägypter. Und ihm zuliebe hatte er es immer golden getragen. Doch Finn hatte gegen schwarzes Haar nichts einzuwenden und so entschied Yami sich eben endlich für eine natürlichere Farbe. „Hey, Seto!“ freute er sich und zog sich im Tänzeln die Lederjacke über. Sicher wollten sie gleich mit dem Motorrad abhauen, denn Finn trug ihm zwei Helme hinterher. „Alles okay? Du strahlst so, Engelchen.“ „Ja, alles prima“ lächelte er zurück und blieb mit den beiden stehen. „Und wo wollt ihr jetzt drauf los?“ „Ich gehe zum Enthaaren. Und Finn hält Händchen.“ „Warum Enthaaren? Ich dachte, du wolltest schwarze Haare haben?“ „Ja schon, aber nicht so viele davon“ lachte er und nahm seinem Rotschopf einen Helm ab. „Ich lasse mir erst mal die Scham- und die Achselhaare wachsen. Also wachsen von Wachs und nicht wachsen von Längerwerden.“ „Danke, das ergibt sich schon aus dem Sinn.“ „Und Augenbrauen zupfen wäre auch nicht schlecht. Ich sehe ja aus wie ein türkischer Teppichhändler.“ „Warum? Wie sehen denn türkische Teppichhändler aus?“ „Ach Seto.“ Er klopfte ihm auf die Schulter und schüttelte den Kopf. „Das ist doch nur ein Spruch. Ich meine damit, sonst habe ich nicht zwei Augenbrauen sondern nur so einen dicken Streifen Haare über den Augen.“ „Ach so … ziemlich rassistisch so etwas zu sagen, oder?“ „Du bist wohl immer PC, was?“ „PC? Was hat das mit einem Computer zu tun?“ „Nein, Political Correct.“ „Was hat politische Korrektheit mit orientalischen Augenbrauen zu tun?“ „Eigentlich nichts.“ „Du machst mich fertig, Yami.“ „Ich glaube, er ist heute etwas durch den Wind“ beschloss Yami und nahm Finn an der Hand. „Komm, Loverboy. Wir wollen mich hübsch machen.“ „Warte. Ganz kurz mal. Eraseus!“ Seto lief schon weiter und Yami in die andere Richtung. Aber er wollte das jetzt endlich machen, bevor es gar keine Gelegenheit mehr gab. Er ging zu Seto und atmete kurz durch, bevor er ansetzte. „Ich weiß, es kommt etwas spät, aber ich wollte mich noch bedanken. Für den Wagen. Atemu sagte, es sei ein Geschenk, aber ich …“ „Was aber? Gefällt er dir nicht?“ „Nein, er ist große Klasse! Ein Traum!“ beteuerte er sofort. „Aber ich … du musst wissen, dass du das nicht für mich tun musst. Wenn du ihn zurückhaben möchtest, wäre das in Ordnung. Und ich …“ Setos kalter Blick machte ihn nervös. Vor allem, da er wusste wie wichtig es war, sich mit ihm gut zu stellen. Er wollte sich mit den Freunden seines Pharaos, besonders mit den Priestern, gut verstehen. Insbesondere mit Seto - denn Seto war Seths Hälfte und für den geliebten Pharao ein unverzichtbarer Mensch. „Ich will mich endlich bedanken. Nicht nur für den Wagen, sondern für alles. Dass ihr so freundlich zu mir seid. Das bedeutet mir viel. Und wenn ich irgendwann mal etwas für euch oder für dich tun kann, dann fordere mich bitte ein.“ „Kein Grund, dankbar zu sein“ erwiderte er mit tiefer Stimme. „Ich mag dich.“ „… ähm?“ DAS hatte er nicht kommen sehen. „Yami liebt dich und ich weiß, du hast ein aufrichtiges und loyales Herz. Ich hoffe, wir können irgendwann Freunde sein.“ „Ja … das hoffe ich auch.“ Er hoffte viel mehr, dass ihm die richtigen Worte zuflogen. Doch wie immer versteckten sie sich im falschesten Moment. „Gut. Viel Spaß beim Händchenhalten.“ „Ja. Danke.“ Seto nickte ihm zu, wandte sich um und ging hinein. Er wollte sich wirklich gern mit Finn anfreunden, aber nicht jetzt. Jetzt musste er sich um Yugi kümmern. Beziehungsweise erst mal um Marie, denn diese kletterte mit schwerem Bauch und offensichtlichen Rückenschmerzen die Treppe herunter. Da konnten er und sein Helfersyndrom nicht vorbeilaufen und streckten ihr die Hand hinauf. „Soll ich dich nur stützen oder möchtest du getragen werden?“ „Damit du hinterher auch ein Rückenleiden hast?“ lachte sie über ihre eigene Unbeweglichkeit und nahm seinen helfen Arm. Als er den anderen um sie legte, fröstelte sie leicht. Seth war immer so heiß und angenehm gewesen. Bei Seto schreckte jeder Mensch erst mal zurück, weil man das Gefühl hatte, mit einem Kühlschrank zu kuscheln. Dabei war er so unendlich sanft und vorsichtig. „Tut mir leid“ entschuldigte er leise. „Ich kann nichts dagegen machen. Wollpullover machen mich nur müde.“ „Du hast das gemerkt“ seufzte sie und nahm behutsam eine Stufe nach der nächsten. „Ich bin ein Honk.“ „Nein. Aber ich weiß, dass du Seths warmen Körper gewohnt bist. Und dass die Leute bei meiner Umarmung Gänsehaut bekommen, weiß ich leider auch. Sogar Yugi wird überraschend kalt und der müsste eigentlich wissen, was ihn erwartet.“ „Aber ich habe eine Gänsehaut in zweierlei Hinsicht“ antwortete sie mit Liebe in der Stimme. „Nicht nur weil du kühl bist wie der erste Winterfrost. Sondern auch weil einem bei deinem Sanftmut und deiner festen Stimme ein Schauer überläuft. Wenn ich nicht schon verheiratet wäre, würde ich mich in dich verlieben.“ „Ich dachte immer, du stehst nicht auf Heulsusen.“ „Ich habe dich niemals Heulsuse genannt!“ Er hatte es nicht drauf. Er hatte es einfach nicht drauf. „Entschuldige, das sollte ein Scherz auf meine Kosten sein.“ „Mach lieber Scherze auf Joeys Kosten. Das passt besser zu dir und bringt alle zum Lachen.“ „Bei dem habe ich sowieso noch eine Rechnung offen“ erinnerte er sich. Da musste er sich noch etwas einfallen lassen wie er ihm das heimzahlte. Einfach seine wunderschönen, grazilen und künstlerisch hochwertigen Häkeldeckchen zu beleidigen! EINE FRECHHEIT! Er setzte sie nach der letzten Stufe ab und sah sich um. Hier war niemand, der sich um sie kümmern konnte. „Wo sind denn alle?“ „Yami und Finn sind gerade weg zum Kosmetikstudio.“ „Ich weiß, die habe ich getroffen. Aber hier wohnen ja noch mehr Leute.“ „Noah und Joey sind ins Büro. Mokuba und Mokeph sind ins Aquarium. Narla und Tea sind mit den Kindern spazieren. Tato und Spatz liegen noch in den Federn … habe ich noch jemanden vergessen?“ „Marik? Sari? Dakar? Nika und Tristan? Und Yugi?“ „Herrje, ja. Mein Kopf!“ lachte sie und schüttelte ihre brünetten Locken. „Sari sitzt mit Marik hinten im Büro und studiert weiter an den ägyptischen Schriften. Glaube ich. Sie sagte sowas. Dakar ist natürlich mit Tea mit. Yugi ist oben und telefoniert mit Opa“ zeigte sie die Treppe hinauf. „Und Nika ist mit Tristan im Krankenhaus. Ich habe eben eine SMS von ihr bekommen.“ „Was machen sie denn im Krankenhaus? Sie können doch jetzt nicht mehr … ich meine, jetzt wo sie kein Mann mehr ist.“ „Sie wollte es ganz genau wissen“ erklärte sie und setzte sich auf den Stuhl, den Seto ihr hinschob. „Sie wollte wissen, ob sie dieselbe ist wie nach ihrer OP. Oder ob sie eine richtige Frau ist. Mit weiblichen Organen. Vorrangig wohl mit einer Gebärmutter.“ „Aha. Und?“ Zur Antwort schüttelte sie traurig den Kopf. So weit reichte der Feenzauber dann wohl nicht. Sie war so wie vorher. Sie war ein umgewandelter Mann. Keine echte Frau, welche Kinder bekommen konnte. Eine echte Frau war sie nur im Herzen. „Aber sie ist doch nicht allzu traurig, oder?“ „Ein Wehrmutstropfen ist das natürlich schon für sie. Gerade jetzt, wo sie mit dem Gedanken gespielt hat, doch eigene Kinder zu wollen. Unterm Strich ist das jetzt genauso ein Schlag wie vorher. Es gibt wohl kein perfektes Glück auf der Welt.“ „Ich war bei Sethos“ erzählte er und ging neben ihr in die Hocke, um ihr auf selber Höhe in die Augen zu sehen. „Jeder hat drei Tage Zeit, um sich zu entscheiden, ob dieser Zustand beibehalten werden soll oder nicht.“ „Wie meinst du das? Hat Sethos das gesagt?“ „Ja, er hat mich aufgeklärt. Wenn Nika doch noch mal ihren männlichen Körper für eine Samenspende benutzen möchte, muss sie Feli das erklären. Wenn Feli ihren Wunsch versteht, wird der Zauber gelöst und der Wunsch rückgängig gemacht. Feli ist wirklich eine Fee.“ „Dann ist an Yamis Behauptung über diese Nilkinder tatsächlich etwas dran?“ „Hast du etwa an ihm gezweifelt?“ fragte er und zog spaßig seine Augenbraue hinauf. „Ich würde ihm nicht immer alles glauben, aber ich glaube, er hat ein gutes Gedächtnis. Auch wenn in den Schriften wohl nur Berichte und keine Beweise zu finden sind.“ „Nichts eindeutiges, aber viele Hinweise. Wir hatten nur nicht genügend Puzzlestücke, um ein Bild zu erkennen.“ „Wo du gerade von Puzzlen sprichst, du wolltest doch sicher zu Yugi.“ „Kümmert sich denn hier jemand um dich?“ „Ja, ich setze mich zu Marik und Sari. Die werden mich schon ertragen“ scherzte sie und hielt sich ihren kugelrunden Bauch. „Zum Glück haben die Senkwehen aufgehört und ich kann wieder laufen.“ „Ist nicht mehr lange hin, was?“ „Nein“ antwortete sie mit einem Strahlen in den Augen. „Ich freue mich auf meine beiden Jungs. Ich hätte niemals gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber ich freue mich darauf, eine Mama zu sein.“ „Hast du wirklich deine Meinung geändert? Du wolltest eigentlich niemals Kinder haben.“ „Nein, wollte ich nie. Aber meine beiden kennen zu lernen und dieses Gefühl, wenn sie mich in den Magen treten und nachts nicht schlafen lassen. Da wachsen wirklich zwei Menschen in mir heran … und dazu noch deine langen Monologe über die Wunder des Nachwuchses - ihr habt mich wohl bekehrt.“ „Dann habe ich ja wenigstens das in meinem Leben erreicht“ lächelte er und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Entschuldige, aber ich muss dringend mit Yugi sprechen. Schaffst du es allein bis ins Büro?“ „Ich bin ja nur schwanger und nicht invalide“ lachte sie und drückte nochmals seine helfende Hand. „Wenn ich die Treppe wieder rauf will, schreie ich nach dir.“ „Ich verspreche, ich werde es hören.“ Er schenkte ihr einen liebevollen Blick und nahm dann die Treppe mit zwei Stufen in einem Schritt. Er würde gern noch etwas mit Marie klönen und ihren dicken Bauch streicheln, aber zuerst musste er Yugi die frohe Botschaft überbringen. Nur im Schlafzimmer war leider niemand. Die Türen zu den Kinderzimmern und dem Bad standen weit offen, nur von Yugi keine Spur. „Yugi?“ rief er ratlos den Gang entlang. Und von weiter hinten hörte er auch ein ungewohnt tiefes „Hiehier!“ Skeptisch folgte er der Stimme bis zu der einzig offenstehenden Tür und blickte ins Schlafzimmer von Joey und Narla. Vor dem Kleiderschrank stand auch eine Gestalt, welche von hinten ein bisschen aussah wie Joey. Doch der blonde Zopf war länger und die Schultern breiter. Yugi sah überhaupt nicht mehr aus wie er selbst. „Ziehst du jetzt Joeys Klamotten an?“ „In meine passe ich nicht mehr rein.“ Und das klang alles andere als traurig. Er drehte sich herum und grinste von einem Ohr zum anderen. „Aber guck mal.“ Er zupfte an dem Hemd, genauer an den obersten Knöpfen, welche kaum zu schließen waren. Er hatte deutlich mehr Oberweite als Joey. „Das Hemd spannt an den Schultern. Ich hatte noch nie solche Proportionen. Jetzt weiß ich wie du dich fühlen musst.“ „Das tut mir leid.“ „Nein, es ist großartig! Mir passt gar nichts mehr!“ Seto sah zu wie er das Hemd wieder aufknöpfte und einen männlichen Oberkörper entblößte. Ganz deutlich waren seine Muskeln zu erkennen, die feste Haut und die feinen Härchen schienen im Sonnenlicht zu leuchten. Der ganze Yugi leuchtete von innen heraus. Seto hatte ihn noch niemals so überschwänglich glücklich gesehen. Warum nur fiel es ihm so schwer, sich mit ihm zu freuen? „Wie geht’s Sethos?“ tastete Yugi sich vorsichtig heran. Er hängte das Hemd wieder über einen Bügel und hinterließ wahrscheinlich mehr Ordnung als da vorher war. „Ist alles okay jetzt?“ „Ja, alles gut. Und die Kinder?“ fragte er, während Yugi sich ein anderes Hemd nahm und überprobierte. Ein hellgrünes, scheußliche Farbe. „Im Kindergarten. Moki hat sie eingepackt. Nur abholen müssen wir sie selbst.“ „Ich meinte … wie haben sie reagiert? Auf dich.“ „Überrascht“ erzählte er und machte einen Knopf nach dem anderen zu. „Zuerst standen ihnen die Münder offen, aber dann haben sie sich für mich gefreut.“ „Tatsächlich …“ Sogar die Kinder freuten sich. Warum nur konnte Seto sich nicht freuen? Es war doch nichts Böses an Yugis Wunsch. „Zugegeben, es hat einen Augenblick gedauert.“ Das Hemd passte auch nicht. Dieses Mal gingen die Knöpfe nicht mal zu. Also zog er das Hemd wieder aus und hängte es zurück. Als Seto noch immer nicht antwortete und auch nicht aus dem Türrahmen heraustrat, schloss Yugi den Kleiderschrank und ging mit entblößtem Oberkörper zu ihm, lehnte sich neben ihn an die Wand. „Ich habe ja schon einmal so eine Veränderung gehabt. Ich glaube, das steckte den beiden noch in den Knochen. Erst als Tato fragte, wo Tanaka sei, habe ich verstanden, warum sie mich beide so furchtsam ansehen. Ich habe gehofft, sie hätten das vergessen, aber selbst bei Tato hat das alles einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Obwohl er noch ein Baby war.“ „Er hat ein gutes Gedächtnis …“ „Ich weiß. Und das tut mir leid“ seufzte er und streichelte sanft über Setos Arm. „Ich bin nicht stolz auf das, was ich damals gemacht habe. Ich war sauer auf mich, auf die Menschen, auf die ganze Welt. Und ich war so einsam ohne dich. Ohne dich war da plötzlich niemand mehr, der mich so liebte wie ich bin und mein Selbstbewusstsein litt ohne deinen Zuspruch. Ich habe in meiner Verzweiflung sehr dumme Dinge getan, die nicht zu entschuldigen sind. Aber jetzt ist es anders“ beschwor er Seto mit einem immensen Strahlen aus seinen Augen und tief aus seinem Herzen. „Dieses Mal ist der Zauber etwas Gutes. Mir wurde mein größter Wunsch erfüllt und ich freue mich noch mehr, wenn sich alle mit mir freuen. Jetzt bist du nicht mehr der einzige Mensch der Welt, der mich schön findet.“ „Ja.“ Seto bemühte sich ein möglichst überzeugendes Lächeln aufzusetzen. Er musste sich für Yugi freuen. Wenigstens ein bisschen. Es war doch gut, wenn Yugi glücklich war. „Lässt du mich mal durch, Liebling?“ „Warum? Du bist noch halb nackt.“ „Joeys Hemden passen mir nicht. Ich will mal bei Yami gucken.“ „Ich glaube, Yami hat keine Hemden. Nur Shirts.“ „Eben. Einige davon fand ich schon immer gut“ lachte er, nahm Setos Hand und zog ihn mit sich den Flur hinauf. „Aber du kannst auch bei Noah schauen. Noah hat sehr hübsche Hemden.“ „Ja schon. Aber auch wenn ich gewachsen bin, habe ich nicht so eine definierte Statur wie Noah. Vielleicht schaffe ich das ja noch mit viel Sport. Und bis dahin plündere ich bei meinem Alterego.“ Sein Händedruck war viel fester als sonst, sein Gang zügiger. Er fühlte sich ganz anders an. Er war noch immer Yugi, er besaß dieselbe Aura und dieselbe angenehme Art. Doch seine Stimme war dunkler und Seto schaffte es kaum, ihm in die Augen zu sehen. Dabei gab Yugi sich die größte Mühe, ihn in seine Freude einzubeziehen. Erst in Yamis Zimmer ließ er ihn wieder los und machte sich über den Kleiderschrank her. Gezielt zog er eines der schwarzen, ärmellosen, mit Strass besetzten Shirts heraus und probierte es über. Das passte ihm schon eher als Joeys Hemden, obwohl Yami selbst nicht gerade breit gebaut war. Zumindest im Augenblick nicht, denn wenn es ihm gut ging, verlor er auch seine Frustpfunde. Und der Stoff schmiegte sich sexy um Yugis neuen Körper. Schwarz war einfach seine Farbe. „N’bisschen kurz, oder?“ fragte er und zupfte das Teilchen bis knapp unter den Hosenknopf. Seto schluckte und musterte diese hohe, schlanke, sportliche Gestalt. Yugi war gewachsen und ein durchaus als attraktiv zu bezeichnender Mann geworden. Keine Spur mehr von seiner knabenhaften Figur, von seiner freundlichen Stimme und seinen runden Augen. Yugi sah noch immer gut aus, er sah aus wie ein gestandener Mann … aber er war nicht mehr schön. Nicht schön in Setos Betrachtung. Er war ein Mann wie jeder andere. Auf der Straße würde er nicht aus der Menge herausstechen. Jedenfalls nicht so, dass Seto ihn sehen würde. Yugi zog sich das kurze Shirt wieder aus und legte es zurück in den Schrank. Seto musste die Augen abwenden. „Yugi, du musst nicht so bleiben“ sprach er mit leiser Stimme in die Stille hinein. „Ich weiß“ antwortete er, sah über seine Schulter zurück und traf kurz seinen Blick. „Das weißt du?“ „Natürlich. Aber ich kann ja nicht nackt einkaufen gehen.“ Er lachte und verstand Setos Wink falsch. Und der verstand, was er eigentlich schon wusste: Yugi wollte so bleiben. Er wollte sich nicht zurückverändern, er wollte nicht wieder klein und knabenhaft werden. Er wollte groß sein, kräftig und respektabel. Er wollte so aussehen wie er sich fühlte. Und Seto verstand auch: Er durfte ihm das hier nicht kaputt machen. Er durfte nicht verlangen, dass Yugi sein Glück für ihn aufgab. Er sah das Leuchten in Yugis katzenhaften Augen, hörte sein erfülltes Lachen und spürte das körperliche Wohlbehagen. Yugi fühlte sich gut. Ein für unerreichbar gehaltener Wunschtraum erfüllte sich. Und niemand durfte ihm das verwehren. Erstrecht nicht der, der ihm so vieles verdankte. „Du bist sehr hübsch“ lächelte Seto und fühlte sich im selben Moment schlecht. Er wollte Yugi nicht belügen. Aber die Freude und die Aufregung in dessen Blick rechtfertigten jede Schutzbehauptung. „Danke“ seufzte er und ließ das Shirt sinken, welches er eigentlich anprobieren wollte. Stattdessen widmete er sich Seto. „Um ehrlich zu sein, habe ich befürchtet, dass dich das verschreckt.“ „Verschreckt? Mich?“ Er versuchte zu lachen, aber er fühlte sich schlecht. Nicht verschreckt … irgendwie … schuldig. Schuldig darüber wie selbstsüchtig er fühlte. „Na ja“ lächelte Yugi sanft zurück. „Du hast etwas überstürzt reagiert heute Morgen. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass du dich sorgst oder daran, dass … dass du mich vielleicht weniger anziehend findest.“ „So ein Unsinn. Du bist nicht mehr oder weniger attraktiv als vorher auch. Außerdem liebe ich dich über alles. Das müsstest du doch eigentlich wissen.“ „Ich weiß aber auch, dass du keine Veränderungen magst. Und das hier“ breitete er seine Arme aus, „ist eine ziemlich große Veränderung.“ „Aber es ist doch das, was du immer wolltest. Bist du nicht glücklich damit?“ „Doch, ich bin sehr glücklich.“ Er legte das Shirt über die Stuhllehne und ging zu seinem Liebsten, welcher wieder am Türrahmen gescheitert war. Er legte die Hände an seine Arme und musste nicht mehr ganz so weit hinaufsehen, um seine blauen Augen zu finden. „Ich liebe dich, Seto. Mehr als alles andere auf der Welt.“ „Ich liebe dich auch.“ Er zwang sich dazu, Yugis Blick standzuhalten. Die Farbe und der liebevolle Ausdruck war in seinen violett schimmernden Augen noch immer derselbe. Doch die Wangenknochen und die schmale Form waren anders. Es war noch immer derselbe Mensch. Das musste er sich klarmachen. Es war noch immer Yugi. Und er liebte Yugi. „Ich liebe dich wirklich. Egal wie du aussiehst.“ „Meinst du das wirklich ehrlich? Du zögerst, wenn du das sagst.“ „Nein, ich betrachte dich nur. Ich kenne deinen neuen Körper ja noch nicht.“ „Dann lernen wir ihn doch zusammen kennen“ lächelte Yugi und auch dieses Lächeln war dasselbe geblieben. Verführerisch, deutlich, einladend. „Was ist? Meinst du, du kannst mich küssen?“ „Ich kann dich immer küssen“ erwiderte er und beugte sich nur ganz wenig herunter um Yugis Lippen zu berühren. Er brauchte nicht einmal einen krummen Rücken zu machen oder ihn irgendwie anzuheben. Es ging auch so. Fast problemlos. Und Yugis Lippen waren fester als zuvor. Seine Zunge kräftiger. Er küsste ihn mit so viel Inbrunst, dass Seto seine Aura umso deutlicher spürte. Yugi fühlte sich wohl, er fühlte sich großartig, er fühlte sich groß. Und auch seine Hände hielten Seto fester als zuvor. Oder vielleicht wirkte es auch nur so. Sein Körper war härter und er wusste wahrscheinlich selbst nicht, wie kräftig er wirklich war. „Wow“ hauchte er und lächelte mit leuchtenden Augen zu ihm auf. „Das fühlt sich großartig an, Liebling. Du schmeckst viel intensiver.“ „Du auch“ flüsterte er und strich den langen Rücken hinab, fühlte seine Haut und die feste Muskulatur. Er wusste, dass Yugi mehr wollte. Er wollte diesen neuen Körper fordern, ihn ausprobieren, sein Verlangen stillen. Das Verlangen, welches sich an Setos Oberschenkel drückte. Und Seto wusste, er durfte ihm das nicht entsagen. Schließlich gab es auch etwas, was sich eheliche Pflicht nannte. „Du willst mehr von mir, oder?“ „Und wie“ flüsterte er und legte ihm beide Hände in den Nacken. „Oh Gott, Seto. Ich will dich. Lass uns diesen neuen Körper ausprobieren. Wenn du das kannst.“ „Natürlich kann ich das.“ Er küsste Yugi und hatte sofort wieder seine Zunge im Rachen. Sein sonst so bestimmter und sanfter Pharao war aufgeregt, erregt, nervös und neugierig. Er ließ ihm auch keine Möglichkeit zum Rückzug, sondern zog seinen Liebling herein, schmiss die Tür hinter ihm zu und bugsierte ihn zum Bett herüber, noch während er Setos Shirt hochschob und seinen Gürtel öffnete. „Du willst hier?“ zweifelte er als er aufs Bett gesetzt wurde und Yugi sich auf ihm platzierte. „Yami hat bestimmt nichts dagegen, wenn wir sein Bett benutzen. Ich schaffe es nicht mehr bis nach drüben.“ „Bist du dir sicher?“ „Ziemlich sicher. Hier.“ Er führte Setos kühle Hand in seinen Schritt und ließ ihn spüren, was sich dort unten aufgebaut hatte. „Ich habe solchen Druck, das tut schon weh. Du hast noch nicht gesehen, wie groß er jetzt ist.“ „Ähm …“ „Und ich wette, jetzt ist er noch größer.“ Das musste er direkt selbst mal nachsehen. Er öffnete sich selbst flink die Jeans und gab den Blick frei auf den ziemlich veränderten … ja, extrem veränderten … „Ist wahrscheinlich nur Durchschnitt, aber ich finde, das ist ziemlich anständig.“ „Ich finde das ziemlich unanständig.“ „Du hast Recht. Das ist enorm unanständig.“ Er sah ihn schwimmend an und öffnete leicht den Mund. Allein seine Augen fraßen den eisigen Engel fast auf. Seto selbst schluckte seine Bedenken herunter und hoffte, dass sie so schnell nicht wieder hochkommen würden. Es war doch nur Yugi, da brauchte er doch nicht nervös zu sein. Er hatte schon hunderte Male mit Yugi geschlafen. Und Seths Männlichkeit war sogar noch größer, also brauchte er auch keine Angst zu haben, dass er es nicht aushielt. Es war alles in Ordnung. Aller in bester Ordnung. Er musste sich nur konzentrieren. „Yugi“ flüsterte er, nahm ihn an den Handgelenken und streckte sich zu seinem Mund hinauf. „Fass mich an. Bitte, fass mich richtig an.“ „Nichts tue ich lieber.“ Er fuhr mit seinen Händen unter den Stoff und über die kühle Brust. Er zog ihm dann den Oberkörper frei und küsste sein Schlüsselbein. Seto versuchte, sich zu entspannen. Er sank rückwärts und gab ihm Zutritt zu seinem ganzen Körper. Er schloss die Augen und stellte sich vor wie Yugi ihn küsste, seine warmen Hände und sein verlockender Atem. So ging es. Er spürte wie die Hände seine sensible Haut streichelten und stöhnte leise als eine warme Zunge seine Knospen befeuchtete. Es war Yugi und er war genauso zärtlich wie immer. Yugi war ein guter Liebhaber und er wusste, was sein Liebster brauchte. Yugi war wunderschön und behutsam und er hatte alles im Griff. Besonders Setos Körper hatte er besser im Griff als der selbst. Er kannte die kleinen, heimlichen Stellen … „Na, das sieht doch gut aus“ freute er sich mit gesenkter Stimme und öffnete langsam den Reißverschluss, welcher die aufkeimende Erektion verstecken wollte. Als er Seto die Hose von den Beinen ziehen wollte, drehte der sich auf die Seite und erleichterte ihm das Vorhaben. Er konnte sich auch gar nicht zurückdrehen, da spürte er schon wie Yugis Lippen seine Wirbel trafen und sich mit deutlichen Absichten immer tiefer küssten. „Yugi“ hauchte er gedrückt. „Wir haben kein …“ „Yami hat bestimmt Gleitmittel. Warte kurz.“ Er entfernte sich, aber nur um an die Kommode zu gehen und die kleine Lade aufzuziehen. Wie erwartet fand er dort gleich mehrere Produkte zur Auswahl. Die Spielzeuge und DVD’s ignorierte er mal. >Ob Finn weiß, was hier alles drin liegt …?< Yami hatte wohl noch Größeres vor mit seinem Loverboy. Yugi interessierte sich eher für drei größere Tuben, einen Pumpflakon und drei kleinere Dosen mit verschiedenen Gels und Cremes. Die Kondome ließ er liegen und nahm sich einfach eine der blauen Dosen, die hatten sie selbst auch. Er wollte sich gerade wieder aufs Bett begeben, da war Seto auch schon vor ihm und versiegelte jedes Wort mit einem feuchten Kuss. Yugi konnte gerade noch die Lade schließen als es ihn auch schon auf die Matratze legte. Seto drückte ihn nieder und ließ ihn nicht widersprechen. Er zog ihm die Jeans tiefer und küsste sich über seinen Hals bis zur Brust und gierig über den Bauch, über den Bauchnabel ... „Liebling, wow!“ keuchte er und räkelte sich unter den kühlen Lippen, strampelte genüsslich seine Beinkleider ab als auch schon eine kalte Zunge über seine feuchte Spitze fuhr und ihm ein markiges Stöhnen entlockte. „LHIEBLINGH!“ „Du bist tatsächlich ziemlich groß.“ Dennoch versuchte er sich daran und nahm das Stück so weit in den Mund wie es ging. Er stellte fest, dass sich da wirklich einiges verändert hatte. Doch daran wollte er nicht denken. Er wollte nur hören wie Yugis Stimme ihm sein Wohlbehagen bekundete. Diese unnatürlich tiefe Stimme. Und wie sich seine Hüften unter ihm voller Genuss bewegten. Diese unnatürlich kräftigen Hüften. Und wie weit sich seine Beine spreizten. Seine unnatürlich langen Beine. Er durfte gar nicht daran denken wie fremd ihm dieser Körper vorkam. Es war doch Yugi. Es war doch nur Yugi. Der Yugi, den er seit Jahren kannte und den er über alles liebte. Dann spürte er eine Hand im Haar, welche sich kräftig an seinen Hinterkopf legte und ihn wieder hinaufbat. Dort erwarteten ihn zwei feuchte Lippen, die ihm jedes Wort entsagten. Dann zwei Augen, welche ihn funkelnd um mehr baten und ein schwerer Atem wie Yugi ihn selten hatte. Sein markantes Gesicht war errötet und seine Brust hob und senkte sich schwer. „Was ist?“ fragte er unsicher. Er war doch gerade so konzentriert dabei. „Dhu hörst jha nicht auf mhich“ atmete er und schlang beide Arme um ihn. „Ich whäre fast gekhommen. Lhieblingh, dhu bhist so sexy.“ „Du bist auch so sexy“ lächelte er und küsste die kräftige Schulter. Er konnte ihm nicht zu lange in die Augen sehen. Er musste sich in Gedanken immer wieder Yugis Gesicht heraufbeschwören. Seine großen, runden Augen. Seine süße Nase. Seine sanfte, warme Stimme. Und seinen Körper. Seinen wundervollen Körper. Seine grazilen, athletischen Gliedmaßen. Seinen durchtrainierten Body. Seine weiche Haut. Seine wundervollen, sanften, warmen Hände. Den Yugi, den er so gut kannte und dessen Berührungen er so sehr genoss. „Hey“ hörte er eine tiefe Stimme an seinem Ohr und spürte ein breites Knie zwischen seinen Beinen. „Soll ich mich jetzt mal um dich kümmern, mein Herz?“ Eigentlich nicht. Eigentlich sträubte sich etwas dagegen. Yugis Männlichkeit war so groß und heiß und der Gedanke daran, wie er … aber Yugi wollte es doch. Verdammt, es war doch nur Yugi! Er liebte Yugi doch! ER LIEBTE YUGI DOCH!!! „Ja, mach schnell.“ Er spürte wie seine Erregung verebbte. Er machte sich zu viele Gedanken. Er musste die Augen schließen und sich den Yugi vorstellen, den er kannte und den er begehrte. Dann würde es gehen. Es würde sicher schön werden. Yugi war immer gut zu ihm. Immer. Und er wollte ihm dieses Erlebnis schenken. Das war er ihm schuldig. Er rollte sich von ihm herunter, umklammerte das Kissen und legte sich bauchlängs aufs Bett. „Mach, Yugi. Mach schnell.“ Er spreizte seine Beine und senkte die Stirn in die Daunen. Es war ihm peinlich, aber er wusste, diese Stellung liebte Yugi am meisten. Es bedeutete, dass er ihm vertraute. Ihm seinen Rücken zu zeigen, zeigte, dass er sich ihm anvertraute. Und er wollte alles für ihn tun. Das schuldete er ihm. „Oh Liebling. So rum mag ich es am liebsten …“ „Ich weiß“ unterbrach er und schloss die Augen. „Mach schnell. Ich will dich in mir. Mach schnell.“ >Mach schnell, bevor ich die Konzentration verliere.< Behutsam zogen Yugis Hände seine Retro tiefer, über die Beine bis er genug Freiheit besaß, um Setos Beine zu spreizen. „AAHH! YHUGI! OH GHOTT!“ Er spürte wie seine Bäckchen auseinandergedrückt wurden und eine feuchte Zunge warme Spuren verschenkte. Eine warme Hand machte sich an seiner schnell wieder härter werdenden Erektion zu schaffen, während das heiße Gefühl der Zunge tief in ihn drang und ihm ein unterdrücktes Grummen entzwang. Auch Yugi wusste, wie sein Liebster es am meisten wollte. „Stöhn für mich“ hörte er Yugis tiefe Stimme hinter sich. „Ich will dich hören, Engel.“ „Yhughi hich AAAHHH!!!“ Ein langer Finger bahnte sich seinen Weg in ihn und flutschte ebenso schnell wieder hinaus. Beim zweiten Mal drückte er seine Prostata und löste einen Beugreflex in seiner Wirbelsäule aus. Yugis Fuß fuhr seinen Unterschenkel entlang und legte sich fest über seinen Knöchel. Das brachte ihn zum Stöhnen und ließ ihn schwindelig werden. Yugi hatte ihn voll ihm Griff. Er wusste genau, wo er ihn anfassen musste, um ihn zu erregen. Yugi hatte sämtliche Macht über seinen Körper. Ein kräftiger, eckiger Körper legte sich über ihn und ein zweiter Finger dehnte den festen Muskel auseinander. Bereitete ihn auf die vergrößerte Lust vor. Seto wollte am liebsten davonlaufen. Aber er liebte Yugi doch. Er konnte Yugi nicht sagen, dass er seinen Körper nicht sexy fand. Dass er seine Stimme nicht mochte. Dass seine Hände zu groß waren. Dass sein Glied zu lang war. Dass einfach gar nichts mehr stimmte. Er musste sich Yugi vorstellen wie vorher. Musste sich seinen schönen Körper vorstellen. Den Körper, der ihn erregte. Und nicht diesen unnatürlichen … harten … Aber er liebte Yugi doch. Er durfte ihm diesen Traum nicht kaputtmachen. Nicht nach dem, was Yugi schon alles für ihn getan hatte. Er hatte ihn geliebt, egal wie schlecht er dran war. Als er abgemagert war. Als er mit Drogen vollgepumpt war. Als er sich selbst blutig geschunden hatte. Als er blind und schwach war. Er hatte ihn umarmt als er weinte, als er kotzte, als er betrunken war. Selbst seine hässliche, verweste, stinkende Schmerzensgestalt konnte Yugi mit einem Lächeln ertragen. Immer hatte Yugi ihn geliebt und ihm zu verstehen gegeben, dass Liebe nicht bei der Optik endete. Yugi war es egal wie Seto aussah, egal wie sein Körper sich veränderte. Er liebte Seto und diese Liebe fühlte sich immer gut an. Yugi konnte das lieben, was selbst die eigene Mutter verabscheute. Seto war ihm dasselbe schuldig. Und doch schluckte er seine Stimme hinunter als das harte Glied langsam und prüfend in ihn eindrang. Er hörte Yugis Stöhnen und fühlte wie zärtliche Hände über seine Brust fuhren, sich an seine Hüften legten und eine sanfte Stimme fragte: „Alles in Ordnung, Liebling? Geht es so?“ Yugi liebte ihn. Und er liebte Yugi. Er konnte ihm nicht sagen, dass er kein Verlangen spürte. Er war kurz erregt, weil sein Körper reagierte und er sich auf ein Bild in seinem Kopf konzentrierte - aber er spürte keine Begierde. Und leider spürte er auch, dass seine Erregung verflog. Der größte Horror war zu schnell eingetreten. Er war nicht mehr hart. Es ging nicht. Er konnte die Erregung nicht aufrecht halten. Er konnte bei aller Konzentration keine Lust empfinden. Zu viele Gedanken im Kopf. Zu viele Zweifel im Herzen. Er konnte sich nicht hingeben. Aber er konnte so tun als ob. „Jha. Allhes okhay“ hauchte er und streckte seinen Hintern dichter in seinen Schoß. Dichter an seine heiße Härte. „Mhach schnhell. Dhas ist ghut … mhach, bhitthe.“ „Oh, Liebling. Ich liebe dich.“ Ganz langsam begann er in ihn zu stoßen. Yugi genoss ihre Liebe, genoss den kühlen Körper unter sich. Er strich über die breiten Schultern, über die schmalen Hüften und fuhr wieder hinauf in seinen Nacken, massierte ihn einen Moment und fuhr mit beiden Händen an seine Brust. Tiefer und tiefer und tiefer bis Seto sie griff und aufhielt. „Nhichth. Ich whill … ich whill nhoch nhicht khommen.“ Yugi durfte nicht bemerken, dass er gar nicht hart war. Dass er kein bisschen erregt war. Er sollte sich nur selbst gut fühlen. Alles andere würde Seto irgendwann hinbekommen. Er liebte Yugi. Es würde schon irgendwann wieder gehen. Nur heute nicht. Heute war eine Ausnahme. Nur eine Ausnahme. Weil er ihn liebte. Zum Glück war es normal, dass Yugi ihn nicht zusätzlich stimulierte. Setos Körper war so empfindsam, dass er auch mit wenigen Berührungen zum Höhepunkt kam. Wenn er ihn zu fest oder zu intensiv berührte, dauerte das Liebesspiel nicht lange. Deshalb war es nicht ungewohnt für Yugi, wenn er seine Liebkosungen zurückstellen sollte. „Abher ich khomme gleich“ keuchte Yugi und drückte sich ganz tief in den festen Körper hinein. „Ich lhiebe dhich so sehr. Ich lhiebe dich. Oh, mhein Herz. Ich lhiebe dich. Dhas ist so unghlaublich ghut … dhas fhült shich so ghut han …“ „Ich lhiebe dhich aaaahhhh!“ Er bäumte sich auf und ließ Yugi mit sich aufstöhnen. Er durfte es nicht erfahren. Yugis erstes Mal in diesem Körper sollte schön für ihn sein. Egal wie es Seto selbst dabei ging. Er musste nicht erregt sein, um Yugi ein schönes Liebesspiel zu geben. „Ich khomme!“ Er griff sich die Tuchbox von der Kommode, schmiss sie herunter, aber konnte sich noch einen Fetzen sichern. So würde Yugi nicht merken, dass er nicht feucht war … „Ist okhay.“ Yugis Hand legte sich um seine Faust und er küsste ihn sanft zwischen die Schulterblätter und stieß langsamer zu. Er wollte, dass sich beide entspannten und nicht über technische Dinge nachdachten. „Wir wechseln die Bhettwäsche hinterher. Yhami ist das eghal … entspann dhich.“ „Nhein … dhas ist mhir … aahh mhir pheinlich! OH YHUUGHI!“ Er warf ihn zurück und setzte sich auf ihn. So musste er Yugi nicht ins Gesicht sehen, aber konnte ihn dennoch schnell kommen lassen. Und vor allem kam er nicht noch mal auf die Idee, seine großen Hände an ihn zu legen. „LHIIEEBLHIING! HHAAHH!“ Er stöhnte kehlig auf vor Lust. Setos Hüften bewegten sich schnell auf ihm und zwangen seine Lust zu einem steilen Aufstieg. Yugi sah nur den kräftigen, breiten Rücken und spürte die zuckende Enge um seine Härte. Nichts anderes. „HICH KHOMME! OH GHOOTT! OOHH GHOOOTT! ICH KHOMME! SETHOO! SEEETHHHOOOHHHAAAA!“ Seto stimmte in seinen Orgasmus mit ein. Er spürte wie das Glied in ihm pulsierte und seine Lust entlud. Er spürte wie Yugis Hände seine Hüften umklammerten und ihn enger auf sich drückten. Wie seine Hüften ihn etwas anhoben und er hörte die lusterfüllte Stimme. Er selbst imitierte wie er wohl immer klang, schrie an die Decke und krümmte sich wie von Ekstase geschüttelt zusammen. Yugi fühlte sich gut und atmete schwer den Atem in sich. Entspannte und streichelte seinen Liebling über die Wirbelsäule. „Oh Ghott, dhas war unglaublich. Mhein Herz.“ „Ja, das war fantastisch.“ Und Seto? Er fühlte sich schuldig und schlecht. Und als er das Tuch beiseite legte, war es trocken … Chapter 40 Nun stand Mokuba hier … nun ja, saß eher auf der Parkbank in der Einkaufspassage und wartete auf jemanden, der seinen Noah angebaggert hatte. DAS hätte er sich auch nicht träumen lassen. Er war sehr verwundert als er eine SMS bekam, welche fragte: „Hast du Lust auf Shoppen? Tjergen.“ Nach dem ersten Schrecken antwortete er mit: „Ja, klar. Wann und wo?“ und bekam zur Antwort: „In einer Stunde vor dem Rathaus. Passt dir das?“ - „Natürlich. Bis gleich.“ Und da saß er nun und wartete auf seinen potentiellen Erzfeind, der irgendwie gar keiner war. Eigentlich hatte er erwartet, dass das Model sich nach ihrer Schlägerei und den Depressionen im Krankenhaus irgendwo anders auf der Welt verkoch als Mokuba zum Shoppen zu bitten. Es gab eben immer noch Wunder auf der Welt. Nur die gaffenden Jungs neben der Straßenlaterne nervten ihn schon die ganze Zeit. Sie sahen und deuteten und lachten immer auffälliger zu ihm rüber. Zuerst konnte Mokuba das nicht einordnen, aber dann fügte er die Gesprächsfetzen zusammen. Sie rieten und wetteten, ob er schwul oder metro oder früher mal ein Mädchen gewesen war, aber niemand besaß die Traute, ihn zu fragen. Arme, kleine, unerfahrene Grundschuljungs. Die würden nie in seiner Liga spielen. Und warum da zwei Siamatzen neben ihm auf der Bank saßen, verstanden sie auch nicht so recht … Rassekatzen mitten in der Fußgängerzone? „Stehst du jetzt auf kleine Jungs?“ Tjergen tauchte neben ihm auf und könnte man unter die dunkle Sonnenbrille gucken, wäre sein arroganter Blick zu erkennen gewesen. Auch wenn er frisch aus dem Krankenhaus kam, sah er blendend aus. Hölzerne Flipflops, eine beige Dreiviertelhose, ein enges, braunes Shirt ohne Aufdruck oder Ärmel. Und eine Wildledertasche locker um seine schmale Hüfte hängend. Selbst sein brünettes Haar floss glänzend und lang seinen Rücken hinab. Nur der Haftverband über seiner Nase und die Naht an der Lippe störten das perfekte Bild. Mokuba erschütterte es erneut, dass er selbst fast genauso aussah wie Tjergen. Dieselbe Frisur und eine ähnliche Sonnenbrille. Selbst ihre Kleidung war ähnlich, nur dass sein Shirt weiß war und seine Hose schwarz. Und er trug zwar keine Bauchtasche seitlich an der Hüfte, aber eine Umhängetasche über der Schulter. Und er hatte sich auch nicht für Flipflops, aber für halbe Sandalen mit hoher Sohle entschieden. So war er noch ein paar Zentimeter größer als Tjergen, jetzt fast einen halben Kopf. Und dennoch waren sie wie zwei Seiten derselben Münze. Der gemeinsame Stil war überdeutlich. „Was?“ „Sind Flipflops jetzt wieder in?“ fragte er und erhob sich in volle Größe. „Was ich trage, ist der Trend von morgen, Kaiba.“ „Ich finde, Flipflops sind der Trend von vorgestern.“ „Du bist der Fachmann, was?“ „Tag erst mal, Tjergen.“ Er sah ihm durch zwei Brillengläser hindurch in die Augen, zumindest versuchte er es und steckte sich die Hände in die Hosentaschen. „Was macht die Nase?“ „Heilt“ erwiderte er hart, aber keine Spur von Vorwurf. „Der Chirurg hat sein bestes getan. Und ich glaube, wenn ich am Flughafen abgescannt werde, piept meine Nase wie verrückt.“ „Hast Metall reinbekommen?“ „Hast gut getroffen, aber wird schon wieder.“ Das Thema war für ihn durch. Es entstand ein Augenblick des Schweigens, in welchem sich beide einfach nur ansahen. Merkwürdige Stimmung. Irgendwie wie entspannt und doch unwirklich. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell zusagst.“ „Hätte nicht gedacht, dass du überhaupt fragst. Aber ich habe ja gesagt, ich habe viel Zeit. So komme ich wenigstens ums Lernen herum.“ „Sind das deine?“ zeigte er auf die beiden Siams, welche mit hocherhobenem Schwanz und aufgestellten Ohren zu ihm hinaufblickten. „Ja, die gehören zu mir“ antwortete er und strich der größeren von beiden über den Kopf. „Das hier ist Happy Birthday. Und der Hübsche daneben ist Happy Eastern.“ „Ungewöhnliche Namen.“ „Happy Birthday heißt so, weil ich sie von Seto zum Geburtstag bekommen habe und sie hatte eine Schleife um, wo das eben drauf stand. Und ihre Kitten habe ich dann nach ihr benannt. Eastern heißt so, weil er sich als Baby immer bei seiner Mama versteckt hat. Und manchmal verschwindet er auch heutzutage spurlos. Wie ein Osterei müssen wir ihn dann suchen.“ „Ein Ei.“ „Ja, wie ein Ei zu Ostern. Aber irgendwann ist er dann wieder da als sei nix gewesen.“ „Aha.“ Er betrachtete die beiden Katzen und schien nicht begeistert davon, dass er nun auch noch mit zwei Tieren einkaufen gehen musste. Hunde waren ja schon nervig genug, aber Katzen? „Kannst sie gern streicheln. Sie sind zahmer als sie aussehen.“ „Bin kein Tierfreund“ schlug er die Einladung aus. Selbst das laute Schnurren des kleinen Katers ignorierte er arrogant. „Tragen die kein Halsband oder ne Leine oder so?“ „Sie laufen schon nicht davon“ tat er das ab und setzte das Katerchen auf den Boden zurück. „Und was willst du shoppen?“ „Ich habe eine Nachricht bekommen, dass hier irgendwo eine neue Boutique von Massimo Carlento eröffnet hat. Die wollte ich mir mal ansehen.“ „Ich weiß, du lachst mich gleich aus, aber wer zum Teufel ist Massimo Carlento?“ „Der vielversprechenste Designer unter den italienischen Newcomern. Ich bin zwei Shows für ihn gelaufen und will mal sehen, was aus seiner Kollektion nun geworden ist. Weißt du wo die ‚Dreibrücken‘ sind?“ „Das ist auf der anderen Seite vom Rathaus, hinten am Kanal. Da habe ich in der Nähe geparkt. Komm mit.“ Er drehte sich einfach mal herum und lief mit Tjergen gemeinsam durch die belebte Einkaufspassage. Ihm fiel sofort auf wie die Leute sie ansahen. Sie mussten sie wohl für Zwillinge halten oder für irgendwelche anderen schrägen Vögel. Die beiden Siams taten da nur ihr übriges. Auf jeden Fall fühlte er sich schwer beobachtet, versuchte aber es zu ignorieren. „Blekinge ist nicht gerade eine Metropole. Wie kommt ein Top-Designer dazu, hier eine Boutique zu eröffnen?“ „Skandinavien ist ein interessanter Markt“ erwiderte er und klang sehr fachmännisch bei seinen Behauptungen. „Und ich denke, dass die Anwesenheit der KC-Führung ihr übriges tut. Der Mitsommer-Benefizball in Oslo war auch ein weltweiter Erfolg. Und so klein ist Blekinge auch nicht. Besonders junge Designer suchen sich noch nicht so überfüllte, aber aufstrebende Märkte, die günstige Standorte bieten. Für weiteres solltest du vielleicht einen Studierten oder die Boulevardpresse fragen.“ „Eigentlich interessiert mich so was nicht so sehr. Diese ganze Promi-Welt ist nichts für mich. War’s noch nie.“ „Ihr habt ja auch so genügend Einfluss und Skandale.“ „Ey, Skandale hatten wir schon länger nicht mehr. Seto reißt sich echt zusammen.“ „Also, sich für tot zu erklären und seine eigene Beerdigung zu inszenieren, finde ich schon ziemlich hart. Und geschmacklos.“ „Du hast ja gar keine Ahnung.“ „So hat eben jeder von etwas anderem ne Ahnung“ tat er das ab und balancierte gekonnt um ein kleines Mädchen herum, welches ihn mit ihren Rollschuhen fast umgenietet hätte. Obwohl er seinen Blick nicht ein Mal senkte und über dem Boden zu schweben schien, hatte er einen erstaunlich festen Gang. Mokuba musste zugeben, dass er selbst dagegen wohl wie ein Trampel wirkte. So schön mit den Hüften schwingen ohne schwul zu wirken, konnte er gar nicht. Tjergens Gang glich dem geschmeidigen Schreiten von Happy Birthday. „Hat sich eigentlich dein Liebhaber noch mal gemeldet und sich entschuldigt?“ „Anderes Thema, bitte“ erwiderte er mit harter Stimme. Das war ganz eindeutig weder verarbeitet noch diskussionsreif. Er wandte seinen Blick auf ihn und scannte ein mal kurz runter und wieder rauf. „Und wer kleidet dich ein?“ „Hast du jetzt auch noch etwas an meinem Outfit zu mäkeln?“ „Teilweise. Wo kriegst du deine Klamotten her?“ „Internet, Noah, Werbegeschenke. Vieles macht unser KC-Label auch selbst. Das meiste ist maßgefertigt.“ „Deswegen.“ „Weswegen?“ „Nichts.“ „Aha.“ Was auch immer das Model ihm damit sagen wollte. Ziemlich anmaßend der Gute. „Sag mal, Tjergen, hungerst du eigentlich für deine Figur?“ „Ist das ne ernste Frage oder willst du mich ärgern?“ „Nein, ist ne ernste Frage. Du bist ziemlich schlank, selbst für ein Model.“ „Du bist ja auch ziemlich schmal. Aber deine Silhouette ist gut. Schöne Taille, gute Schultern. Und deine Beine sind bestimmt länger als meine. Du solltest wirklich mal überlegen, Modefotos zu machen“ empfahl er und strich sich eine wehende Strähne von der verletzten Lippe. „Oder Beauty. Beauty wäre dein Ding.“ „Ich sagte doch, das ist nichts für mich.“ „Aber für Kaiba Fashions oder Kaiba Cosmetics könntest du doch mal etwas machen. Macht Noah doch auch. Und das sieht alles ziemlich sexy aus.“ „Du guckst dir also Noahs Fotos an, ja?“ „Natürlich“ lächelte er offen zu ihm herüber. „Er ist genau die Art Mann, auf die ich abfahre. Reich, erfolgreich, angesehen und mit jeder Menge Vitamin B. Und wenn er auch noch sexy aussieht, umso besser.“ „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich dich jetzt für ein oberflächliches Flittchen halten.“ „Und was meinst du, besser zu wissen?“ „Dass du wahrscheinlich ziemlich einsam bist.“ Das hatte gesessen. Das erste Mal setzte Tjergen nichts drauf. Stattdessen schraubte er seine Wasserflasche auf und trank im Gehen ein paar kräftige Schlucke. Entgegnen tat er nichts. „Entschuldige“ bat Mokuba dann etwas kleinlauter. „Das war ziemlich gemein formuliert.“ „Nein, das war gut getroffen“ erwiderte er und schraubte die Flasche wieder zu. „Ich glaube, wir haben viel gemeinsam.“ „Ja, meinst du?“ Das hatte er selbst auch schon festgestellt. Er wusste nur noch nicht, ob das gut war und funktionierte. Oder ob das schlecht war und explodierte. „Ja, Kaiba. Du hast ein Talent dafür, die Leute da zu treffen, wo es wehtut. Ich kann das auch ganz gut.“ „Ja, das kannst du.“ „Deswegen hast du mir zu Recht eine geklebt.“ „Na ja, geklebt … ich habe dir die Nase gebrochen. Das ist etwas übertrieben.“ „Nein, das war gerechtfertigt“ sagte er und sah ihn ernst an. „Ich habe etwas Gemeines über dich und deinen Bruder gesagt. Etwas sehr Gemeines, was tief unter die Gürtellinie ging. Das hätte ich mir verkneifen müssen.“ „Und ich hätte mir verkneifen müssen, dir einen rechten Haken zu verpassen. Das tut mir leid. Wirklich.“ „Ich sage doch, wir haben Gemeinsamkeiten. Ich habe schon befürchtet, ich wäre der Einzige, der übertrieben jähzornig sein kann.“ Das sagte er mit einem Lächeln und reichte ihm seine Wasserflasche. „Wir sind wahrscheinlich ein Albtraum für jeden Mann.“ „Amen, Bruder.“ Er nahm die Flasche und einen tiefen Schluck daraus. Vielleicht wurde das tatsächlich noch etwas mit einer Freundschaft. Eine Häuserecke später gab Mokuba die Flasche zurück und zeigte den begradigten Kanal hinauf, an welchem alle einhundert Meter eine kleine Fußgänger- und Fahrradbrücke ans andere Ufer führte. „Dort hinten ist übrigens Dreibrücken.“ „Wie passend“ bemerkte er beim Anblick der drei Brücken. „Da waren die Namensgeber ja enorm kreativ.“ „Ja, selbstverständlich. Lieber Mr. Manison, dies hier ist Blekinge. Sie bekommen, was Sie bestellen.“ „Wenn es danach geht, hätte ich gern vom nächsten Kellner einen Cafe Latte.“ Mokuba stutzte, blickte zu ihm herüber und sah ihn hinter der Sonnenbrille zwinkern, bevor er die Lippen an seine Flasche setzte. Dann begann er zu lachen und ob man es glaubte oder nicht, Tjergen lachte sogar mit ihm. Auch den platten Humor hatten sie offensichtlich gemeinsam. Mokuba war froh darüber, dass sich die Stimmung langsam entspannte. Nicht so froh war er darüber, dass ein lautes Krächzen und Schnattern und ein Fauchen und noch ein Fauchen an seine Ohren drangen. Und da es hier rundum eher wenige Katzen gab … „EASY! WAS MACHST DU DA?!“ Der junge Kater konnte nicht aus seinem Fell und hatte sich eines der Schwanenküken vom Kanalufer geschnappt. Zwar spielte er nur mit ihm, aber selbstverständlich war das flauschige Ding nicht allzu sehr davon begeistert, in den Hals gebissen zu werden. Und noch weniger die Schwanenmama, welche ihrem Jungen direkt zur Hilfe kam und sich bedrohlich groß vor dem Rabauken aufbaute. Ein Schauspiel für alle Spaziergänger. „EASY! KOMM HER!“ rief Mokuba, doch der Kleine wollte lieber sein neues Spielzeug behalten. Er packte das Küken am Kopf und schleppte das zappelnde Daunenknäuel mit. Die Schwanenmama rempelte ihn um, da fauchte er sie an und fauchte noch lauter als sie ihm ins Ohr bis und nicht wieder losließ. Auch dann nicht als er das Küken ausspuckte. „Machen keine Schwierigkeiten, ja?“ versetzte Tjergen skeptisch von der Seite. „Ach, halt die Klappe.“ Mokuba ließ ihn stehen und eilte dem jugendlichen Unruhestifter zur Hilfe. Denn auch wenn ein riesiger Schwan an seinem Ohr hing, krallte er sich das weglaufende Küken und gab seinen Fang so leicht nicht heraus. So würde er da nie heile wegkommen. Die Schwanenmama war noch aufgebrachter als Mokuba sie wegschob und so ließ sie von dem Ohr des Katers ab. Nur um dann dem Menschen ins Bein zu beißen und an seiner Hose herumzureißen. Aber der schnappte sich nur Eastern, nahm ihm das quiekende Küken weg und setzte es der fauchenden und beißenden Mama vor die Füße. Sie war noch immer super sauer, aber Mokuba konnte sich losreißen und in Sicherheit bringen. Sie lief ihm noch ein paar Meter hinterher, aber gab es dann auf. „Mann, du machst Sachen“ seufzte er und wischte dem Kater das Blut vom Ohr. Er hatte eine böse Bissverletzung, aber das war für Mokubas Heilkräfte kein Problem. So hatte er das Ohr schon wieder gesund, bevor er ganz zurück war. Nun hatte die Mama ihr Küken zurück und er seinen Kater. Tjergen und Happy standen beide nebeneinander und beguckten sich das Spektakel wie alle anderen Passanten. Tjergen war klar, dass die Katzen Ärger machten und Happy war es gewohnt, dass ihre Kinder Ärger machten. So konnten Mokuba und Eastern kein großes Mitleid erwarten. „Alles heil?“ fragte Tjergen als die ihn erreichten. „Ja, nichts passiert. Weder ihm noch dem Küken.“ Er streichelten den Kater, der schon wieder schnurrte und es viel toller fand, getragen zu werden. Doch da setzte Herrchen ihn auch schon wieder runter. „Und du leg dich nicht mit Schwänen an. Die sind stärker als du.“ „Mau?“ „Das nächste Mal boxe ich dich nicht raus. Also benimm dich, Mr. Happy Eastern.“ „Mauwauau.“ Er streckte Mama den Kopf hin und ließ sich das geheilte Ohr ablecken. Bei Mama war er irgendwo doch noch ein Baby. „Guck nicht so“ sprach er zu Tjergen, welcher sich das etwas abfällig betrachtete. „Er ist in der Pubertät. Da jagt man nun mal kleinere Tiere.“ „So viel kleiner als er war das Küken gar nicht. Vielleicht solltest du doch ne Leine kaufen oder sie ganz zuhause lassen.“ „Eigentlich ist er besser erzogen, aber er kann eben auch nicht gegen seine Instinkte. Also, wo ist jetzt diese komische Boutique?“ „Da hinten.“ Er drehte sich um, Mokuba warf dem Kater noch einen warnenden Blick zu und folgte ihm dann. Jetzt wurden sie sogar von noch mehr Leuten angesehen als ohnehin schon. Dabei konnte er gar nichts dafür. Jetzt bekam er eine Ahnung wie Seto sich immer fühlte, wenn die Leute ihn angafften, obwohl er überhaupt nichts zu verschulden hatte. „Du verstehst es, Aufmerksamkeit zu erregen, Kaiba.“ „Das war keine Absicht“ murrte er und drehte sich um. Die beiden Fellviecher folgten ihm wieder ganz brav. Auch wenn Eastern immer mal einen äußerst interessierten Blick auf die Entenjungen warf … „Eesaayy? Benimm dich. Sonst lasse ich dich nicht mehr mitkommen.“ „Mau …“ Auch ein Kater konnte beleidigt sein. „Aber mit reinkommen, werden die Katzen doch wohl hoffentlich nicht.“ „Nein. Sie wissen, dass sie meistens draußen warten müssen. Ist es hier?“ Sie kamen vor einem modern wirkenden Schaufenster an. In der Auslage waren zwei Taschen aus Stoff, ein paar Damenschuhe und eine Schaufensterpuppe, welche ein leichtes Sommerkleid trug und im schlichten Stil mit dunkelgelber Farbe ein wenig an die Mode der 20er erinnerte. „Gibt’s hier nur Frauenklamotten?“ „Natürlich. In meiner Freizeit trage ich Pumps und Spitzenunterwäsche.“ Was für eine dumme Frage. Er ging hinein und hielt Mokuba wenigstens noch die Tür auf. Innen sah er dann, dass es durchaus auch Herrensachen im Sortiment gab. Der Raum war eher lang als breit und sehr hoch und an den Seiten lange Kleiderstangen. Darüber offene Borde mit Taschen, Schals, Gürteln und anderen Kleidungsaccessoires. In der Mitte des Raumes standen zwei rechteckige Vitrinen aus Glas. Darin Schmuck wie Ketten, Ohrringe, Ringe, Uhren, etc. Doch das Highlight waren die Modebilder, welche hoch über den Borden und Kleiderstangen hingen. Im Hintergrund der Bilder war Wüste zu sehen. Ganz typisch mit Dünen, Kamelen und Kakteen. Die Frau auf den Bildern war dunkelblond, mit wallendem Haar, braun gebrannt und in verschiedenen Sommerkleidern abgelichtet. Mokuba kannte sich nicht aus, aber die Dame war sicher berühmt. Und das Model auf der Herrenseite des Ladens kannte er auch. Tjergen trug weite, ockergelbe Hosen und einen Hauch von Nichts am Oberkörper. Dafür sein Kopf von einem Wüstenschleier verhüllt. Auf einem anderen Bild trug er helle Jeans und ein schlichtes, knopf- und schmuckloses Hemd, sein braunes Haar vom Wind zerzaust und sein intensiver Blick regierte den ganzen Raum. Das dritte Bild an der Stirnseite war mit dem weiblichen Model gemeinsam fotografiert und wirkte fast pornografisch anstößig. Schwer zu glauben, dass es hier um Kleidung und nicht um Körper ging. Und ob man es glaubte oder nicht, Tjergen wirkte auf dem Foto extrem männlich. Doch der interessierte sich dafür nicht sonderlich, sondern studierte den Stoff an den Kleiderstangen. „Hey Manison, du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet“ kam er aufs Thema zurück und gesellte sich zu ihm. „Welche?“ murmelte er und hängte die Hose zurück, nahm sich schon die nächste heraus. „Wie du deine Figur hältst. Du bist nicht nur schlank, sondern auch ziemlich durchtrainiert.“ Er wies auf das Bild, auf welchem er mit nacktem Oberkörper posierte und darauf einen erstaunlich muskulösen Body zeigte. Er war zwar kein Bodybuilder, aber bei weitem männlicher als er in ‚normaler‘ Kleidung wirkte. „Wie machst du das? Oder hungerst du und lässt die Bilder vom Grafiker retuschieren?“ „Meine Bilder sind nicht retuschiert. Deshalb bin ich so teuer“ verbat er sich diese dreiste Unterstellung. „Ich hungere auch nicht, eher das Gegenteil. Ich esse mehr als ich will“ erklärte er, hängte sich die Hose über den Arm und nahm den nächsten Bügel heraus. „Und warum bist du dann so schlank? Sag mir nicht, dass du kotzen gehst.“ „Dass du mir so was unterstellst, Kaiba. Traurig.“ „Dann antworte mir doch anständig.“ Er hängte sich auch die nächste Hose über den Arm und sah ihn ernst an. „Warum willst du das wissen?“ „Weil’s mich interessiert. Ihr Models seid doch für eure Essstörungen bekannt.“ „Ich esse nicht viel, aber mehr als ich will“ erzählte er dann relativ offen. „Ich habe kein richtiges Hungergefühl, also versuche ich bei jeder Gelegenheit zu essen, weil ich es sonst vergesse. Möglichst fettfrei, denn sonst bekomme ich Verdauungsprobleme. Da ich aber zusätzlich noch viel Sport mache, brauche ich mehr Nährstoffe als ich aufnehme. Also gleiche ich Mangelerscheinungen mit Nahrungsergänzungsmitteln aus. Das hat nichts mit Bulimie oder Magersucht zu tun, sondern einfach mit meinem empfindlichen Magen. Und die Muskeln sind auch echt. Wenn ich nicht gerade ne gebrochene Nase habe, sind drei Stunden Sport täglich Usus.“ „Ach so.“ „Ja, so. Frage geklärt?“ „Ich glaube dir das mal. Und was hat es damit auf sich?“ zeigte er auf die beiden Hosen über seinem Arm. „Rot und grau sind doch gar nicht deine Farben.“ „Die gibt es sicher auch in anderen Farben. Und willst du mir jetzt hinterher laufen und mich ausfragen oder suchst du dir auch Klamotten?“ „Eigentlich brauche ich ja gar nichts.“ „Umso besser. Probier das mal an.“ Er griff ein weißes Hemd und drückte es Mokuba in die Hand. „Das steht dir.“ „Woher willst du das wissen? Du hast es ja nicht mal angeguckt.“ Er beäugte das Leibchen. Es war sehr leicht, fast durchsichtig weiß und ohne irgendwelchen Schmuck. Die Ärmel waren kurz und etwas puffig, die Taille recht eng. Und da an dem Ding kein Preisschild hing … „Ich weiß ja nicht.“ „Aber ich weiß es. Du solltest dich zwischendurch mal pimpen lassen. Noah schafft doch genug Geld ran.“ Er schubste ihn zurück und schob ihn die ganze Kleiderstange entlang. Mokuba war so überrumpelt, dass er keine Gegenwehr aufbaute. Aber für Tjergen schien es gar keine Frage zu sein, dass Mokuba Noahs Geld ausgab. Okay, für den war das natürlich auch keine Frage, aber er hatte noch nie jemanden getroffen, der genauso wenig finanzielles Gewissen besaß wie er selbst. Aus dem Vorhang an der Seite kam ihnen eine junge Frau entgegen. Ihr Haar war der Frisur entkommen, doch ansonsten sah sie sehr passabel aus. Modisch mit kurzem Rock und farblich passendem Shirt bekleidet und hohen Sandalen. Sie war etwas überrascht, dass ihr da zwei Herren im Wege standen. „Oh, entschuldigen Sie bitte. Ich war gerade dabei, die Umkleide aufzuräumen“ lachte sie, strich sich die Haarsträhnen hinters Ohr. „Sie haben gefunden, was Sie suchten?“ „Nein, noch nicht“ antwortete Tjergen und drückte ihr seine beiden Hosen in die Hände. „Die hätte ich gern in kastanie und oder beige. Und eine Nummer kleiner. Danke.“ Er drängelte Mokuba an ihr vorbei und hinein in einen fensterlosen Raum. An der Seite zwei Sessel und ein Tisch. Links, rechts und geradeaus geöffnete Schiebetüren, welche in die Kabinen führten. Mokuba nahm seine Umhängetasche ab und zog die Tür hinter sich zu. „Du warst nicht gerade höflich“ warf Mokuba ihm aus der Kabine heraus vor. „Nein, hier ist man nicht höflich“ warf er zurück. „Wir kommen in einen nicht gerade billigen Laden und finden einen leeren Verkaufsraum. So etwas kann ich nicht leiden.“ „Du hättest doch sowieso keine Hilfe gebraucht.“ „Aber ich hätte sie gern angeboten bekommen. So etwas steht einem Kunden zu.“ „Und da sag noch mal jemand, ich wäre pingelig“ seufzte er und probierte das Hemd über. Tjergen war noch viel dickköpfiger und großspuriger als er. Wenn er so eine Attitüde immer an den Tag legte, kam sicher niemand allzu gut mit ihm aus. Mokuba war manchmal ähnlich schwierig, aber er wusste, dass er selbst auch eine gute, liebe und sorgende Seite hatte. Doch von Tjergen wusste er so gut wie nichts. Er kannte nun eine arrogante und eine depressive Seite. Doch von ihm persönlich wusste er kaum etwas. Entweder hatte er keine persönliche Seite oder er zeigte sie nicht. Aber er war ja wohl unglücklich verliebt, also musste er irgendwo doch zärtliche Gefühle in sich haben. Wie dem auch sei, auf eine gewisse Weise fühlte Mokuba sich zu ihm hingezogen. Nicht so wie zu Noah, aber auf irgendeine Art war Tjergen ein interessanter Mensch, von dem er lernen wollte. Er konnte es sich nicht erklären, aber er wollte ihm näher kommen und herausfinden, ob diese arrogante Art nur Fassade war. Und vielleicht beruhte das auf Gegenseitigkeit. Nach etlichen Anproben war der Warenkorb voll und Noahs Kreditkarte sah sich schweren Belastungen gegenüber. Als Mokuba die drei Hemden, zwei Shirts, zwei Hosen, ein paar Schuhe, zwei Jacken und einen Schal eintippen ließ und die beinahe fünfstellige Gesamtsumme sah, wusste er, dass er nun wirklich zu Kreuze kriechen musste. Er kaufte ja gern auf Noahs Kosten ein, aber solch einen Betrag übertraf er nur, wenn er Autos kaufte. Nur mit dem Unterschied das so ein Auto von mehreren Personen gefahren werden konnte - die Klamotten passten höchstens Mokeph und der würde einen Teufel tun, so etwas anzuziehen. Sicher, Noah kaufte selbst auch sehr teure Designerware, jedoch benötigte er das für die richtige Repräsentation der KC. Ob er Mokuba auch so einen Repräsentationszweck zugestand? „Und … ähm …“ Wenigstens irgendetwas musste er tun, damit Noah ihn nicht zu doll ausschimpfte … „… bitte geben Sie mir noch die Armbanduhr hier“ zeigte er auf eine in der Auslage. Eine schlichte Uhr mit kleinem Ziffernfeld und einem hellbraunen Armband. Der Betrag hierfür war etwa die Hälfte des Gesamteinkaufes. Das würde ihn vielleicht besänftigen und stolz machen, denn ausnahmsweise hatte Mokuba damit mal nicht nur an sich selbst gedacht. „Die steht dir doch gar nicht“ meinte Tjergen und beäugte skeptisch wie die Uhr verpackt wurde. „Die ist zu männlich für dich.“ „Die ist für Noah“ antwortete er mit einem verzweifelten Lächeln. „Du hast mir nicht gesagt, dass dieser Laden so teuer ist.“ „Was hast du denn gedacht?“ „Na ja …“ „Ach komm schon, Kaiba. Du hast doch genug Geld zur Verfügung. Wenn Noah nicht zahlt, tut’s dein Bruder. So what?“ „Ja schon. Ich gebe gern Geld aus. Auch mal viel. Aber eigentlich nicht so viel für Klamotten.“ „Dann wird’s Zeit. Ich sage doch, du solltest dich ab und zu mal pimpen lassen.“ „Wusstest du eigentlich, dass das Wort pimpen vom englischen ‚Pimp‘ kommt, was Zuhälter bedeutet?“ „Passt doch.“ „Na ja, meistens haben mehrere Leute was davon, wenn ich was kaufe.“ „Noah hat doch was davon, wenn du hübsch aussiehst.“ „Wenn er mich schimpft, schicke ich ihn zu dir und du erklärst ihm dann, warum das so ist, okay?“ „Tu das. Schick ihn nur zu mir“ schmunzelte er und ein Blitzen zuckte hinter seiner Sonnenbrille. Er hatte kein Problem damit, mit Noah allein zu kämpfen. „Okay, ich erkläre ihm das selbst.“ Besser war das wohl. „Entschuldigen Sie“ bat dann die Verkäuferin, bevor sie die Kreditkarte durch den Schlitz zog. „Darf ich die Karte belasten oder lieber doch nicht?“ „Doch, belasten Sie“ nickte Mokuba. So weit kam das noch, dass er sich von Noah etwas vorschreiben ließ. So ein bisschen musste der Hase auch was dafür tun, dass sein Häschen hübsch aussah. Ein schlechtes Gewissen bei hohen Beträgen sah Mokuba sonst auch nicht ähnlich. Was war nur los mit ihm heute? „Und du, Tjergen? Wen lässt du für dich bezahlen?“ „Da ich demnächst wohl wieder Single sein werde, bezahle ich mit der Kreditkarte meines Ex in spe“ antwortete er unverhohlen und zückte eine Kreditkarte aus der Bauchtasche. Die erkannte Mokuba sofort. „Du hast eine schwarze Amex?“ „Drei um genau zu sein“ erzählte er und legte eine der höchsten Kreditkarten dieser Welt auf den Tresen. „Diese hier ist von Josh und im Hotel habe ich noch eine von Guiliano. Und die letzte von den dreien läuft tatsächlich auf meinen eigenen Namen.“ „Und wer ist Guiliano?“ „Guiliano Bariello. Ein italinischer Liebhaber.“ „Du hast neben deinem Freund einen Liebhaber in Italien?“ fragte er erstaunt und unterschrieb den Zettel, den die Verkäuferin ihm rüberschob. „Josh hat auch seine Jungs überall. Und das zwischen Guiliano und mir war keine richtige Liebschaft. Es war eher so eine Art Freundschaft.“ „Und was verstehst du unter ‚einer Art Freundschaft‘?“ „Wir haben früher öfter miteinander geschlafen“ erzählte er offenherzig und ob die Verkäuferin zuhörte während sie seinen Einkauf berechnete, war ihm auch schnuppe. „Guiliano hat sein Geld mit Immobilien und später mit Architektur gemacht. Als er Hodenkrebs bekam, haben sich eine Menge Leute um ihn gesammelt, um ans Erbe zu kommen. Es war wie in einem schlechten Hollywoodstreifen. Leider hat er’s überlebt und musste sich von da an mit seiner Impotenz abfinden.“ „Oh. Das ist hart.“ „Ja, das war es. Er war deshalb ziemlich verbittert und hat nicht nur alle Erbschleicher, sondern leider auch die meisten echten Freunde zum Teufel geschickt. Und letztlich bin ich einer der wenigen seiner Liebschaften, welche ihn auch später nicht haben fallen lassen als er garstig und gemein wurde.“ Das klang sehr eigenartig für einen Liebhaber. So konnte Mokuba sich die Frage nicht verkneifen. „Wie alt ist denn dein Guiliano?“ „Er ist 86 geworden und letztes Jahr an einem Schlaganfall gestorben.“ „Oh … das tut mir leid.“ „Mir auch. Ich mochte den alten Sack wirklich irgendwann.“ Er lächelte traurig und nahm die erste seiner Einkaufstaschen entgegen. „Ich hätte nicht gedacht, dass er mir so viel Geld vermacht. Seine Familie hat sich ums Vermögen gekloppt, aber für mich und noch drei andere Jungs hat er rechtzeitig etwas beiseite geschafft. Und das so, dass nur wir rankommen und seine Erbschleicher können gar nichts machen. Ich glaube, er mochte mich wohl auch. Und seine Kreditkarte kann ich nicht nur belasten, sondern sie ist auch eine schöne Erinnerung. Guiliano hat eine Menge Türen für mich geöffnet … ich müsste eigentlich mal wieder Blumen für ihn ablegen.“ „Du stehst auf ältere Männer. Kann das sein?“ Denn sein Ex in spe Josh McGanner war laut Noah auch ein Mann, der die 50 schon überschritten hatte. Das entwickelte sich langsam zu einem roten Faden. Tjergens Blick ging durch die Sonnenbrille auf die flinken Hände der Verkäuferin. Seine Stimme klang als würde er seine Antwort jetzt erst finden und abwesend erwiderte er: „Wahrscheinlich suche ich eine Vaterfigur.“ „Eine Vaterfigur?“ fragte Mokuba etwas gedämpfter. „Hast du keinen Vater?“ „Doch.“ Er nahm die zweite Einkaufstasche entgegen und stellte sie an die Seite des Tresens. „Sie schicken die Sachen doch sicher auch ins Hotel, oder?“ „Hotel?“ fragte die Dame und reichte ihm den Beleg für die Kreditkarte, den er bitte unterschreiben sollte. „Ins Northlight Hotel. Ich will die Tüten nicht durch die halbe Stadt schleppen.“ „Natürlich … ich kann einen Kurier schicken.“ „Dann tun Sie das.“ Er schob ihr den Zettel und den Stift gemeinsam mit einem Fünfziger „für den Kurier“ rüber und steckte die Kreditkarte seines Ex in spe wieder ein. „Die Sachen sollen bitte gewaschen und aufgebügelt in die Nightsuite gebracht werden.“ „Und … auf den Namen Manison?“ „Ja, bitte.“ „Dann sind Sie es doch!“ Sie begann übers ganze Gesicht zu strahlen und ihre Augen leuchteten ihn an. „Sie sind Terry Manison! Unser Kampagnenmodel!“ „Sieht wohl so aus.“ Er machte seine Tasche zu und blickte gelangweilt durch seine dunkle Brille. „Ist noch was?“ „Entschuldigen Sie bitte. Sie werden das bestimmt oft gefragt, aber würden Sie ein Foto mit mir machen?“ Aufgeregt zückte sie ihr Handy und machte es schon mal knipsklar. „Sonst glauben meine Kolleginnen niemals, dass Sie tatsächlich hier waren. Wir gucken ja schließlich den ganzen Tag auf ihre Bilder! Dass ich Sie mal persönlich kennenlerne!“ „Ich mache keine privaten Fotos. Das könnten Sie gar nicht bezahlen, gute Frau.“ Sofort entglitten ihre Gesichtszüge und sie sah entgeistert zu ihm hoch. „Aber Sie haben ja mein Autogramm auf dem Zahlungsbeleg. Schönen Tag noch. Komm, Kaiba.“ Er drehte sich herum und verließ den Laden. Und die arme Verkäuferin ließ er ohne Erinnerungsfoto einfach stehen. „Entschuldigen Sie bitte“ bat Mokuba, raffte seine Taschen zusammen und machte sich ihm nach. Jemandem so eine eiskalte Abfuhr zu erteilen, schaffte sonst nur Seto. Bei Seto war’s Schüchternheit, aber dieser Typ war skrupellos. „Das war jetzt echt unhöflich von dir“ sagte er ihm als er mit seinen drei Tüten draußen bei ihm ankam. „Sie hat sich voll über deinen Besuch gefreut und du machst sie nieder. Das war echt übertrieben fies.“ „Weißt du, was übertrieben fies ist?“ fauchte er. „Wenn morgen mein Foto in der Zeitung erscheint.“ „Sie wollte das doch nur für sich und ihre Kolleginnen. Als Promi musst du mit so was klarkommen, Mann.“ „Wie naiv bist du eigentlich? Denkst du, sie behält das Foto für sich, wenn die Boulevardpresse ihr dafür Geld bietet und eine schöne Titelgeschichte stricken kann? Beim Geld ist der guten Dame mein Ruf nämlich egal. Und ich darf Vertragsstrafe zahlen, weil unlizensierte Fotos über mich kursieren. Von dem Imageverlust mal abgesehen“ schimpfte er und zeigte auf den Verband über seiner Nase. Oder die geklammerte Unterlippe. Auf jeden Fall auf sein ramponiertes Gesicht. „Dann solltest du eben nicht in Läden gehen für die du modelst!“ „Geh und spiel mit deinen Puppen, Moki.“ Er raffte seine Umhängetasche und ließ ihn ebenso stehen wie die Verkäuferin. „Meine Fresse noch mal“ seufzte Mokuba und strich sich das Haar zurück. Der Typ war echt dünnhätig. Und kein bisschen kritikfähig. „Tjergen! Jetzt warte doch mal!“ Er trabte hinterher und hatte ihn schon an der nächsten Brücke eingeholt. Doch das Model stapfte unvermindert weiter. „Es tut mir leid. Ja, vielleicht bin ich etwas naiv, weil ich nicht jedem Fan gleich was Böses unterstelle, aber du könntest auch etwas an deinem Benehmen feilen.“ „…“ „Hey, jetzt warte doch mal.“ Er fasste ihn am Arm und ließ ihn stehenbleiben. Leider war der Ausdruck seiner Augen unter der dunklen Brille nicht zu erkennen, aber sein Gesicht war deutlich unbegeistert. „Es tut mir leid. Okay? Ich habe keine Ahnung von deinem Business und bei Problemen hat Noah mich bisher immer rausgehauen. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht leicht ist, wenn man so wie du, auf sich allein aufpassen muss.“ „Du hast es erkannt. Du hast wirklich überhaupt keine Ahnung.“ „Eigentlich will ich das auch gar nicht haben“ erwiderte er und ließ ihn langsam wieder frei. Er würde schon nicht davonsprinten. „Du hättest sie nicht so abfertigen müssen. Wenn du ihr das erklärt hättest, hätte sie es sicher verstanden. Ich finde, dass du übertrieben unhöflich warst, aber ich kritisiere dich nicht mehr. In Ordnung?“ „Klar.“ „Na gut. Mannomann.“ Er lächelte versöhnlich und hängte sich seine Taschen über den Arm. „Ob sich zwei Zicken wie wir überhaupt anfreunden können?“ „Wer sagt denn, dass wir uns anfreunden müssen?“ „Also, ich fände das gut“ antwortete er freigiebig und kramte seine Zigaretten aus der Umhängetasche. „Du rauchst nicht, oder?“ „Nur Schnorrette.“ „Bitte?“ Er guckte auf und wunderte sich. „Du rauchst? Aber das ist doch schlecht für die Haut und die Zähne und überhaupt.“ „Ich kaufe niemals Zigaretten. Aber wenn mir jemand eine anbietet, rauche ich auch mit.“ „Du lässt dich wohl von jedem aushalten, was?“ „Man nimmt, was man kriegen kann“ meinte er und nahm sich eine Zigarette aus dem Etui. Er ließ sie sich auch von Mokuba anzünden und der erste Zug sagte, dass das hier nicht seine erste Zigarette war. Der war Routineraucher. „MAUWAU!“ „Ja, Entschuldigung“ guckte Mokuba runter auf Happy, welche sich lautstark beschwerte. Da kam er aus dem Laden gelaufen und vergaß doch glatt, ihr bescheid zu sagen! Wenn man nicht mal ein bisschen auf Herrchen aufpasste! „Miiaaauu! Grooow mau!“ „Ich sage doch, es tut mir leid.“ „Du unterhältst dich nicht ernsthaft mit deiner Katze.“ „Happy ist meine beste Freundin“ lächelte er und zündete sich seine eigene Zigarette an. „Sie hört mir zu und ich glaube, sie versteht mich sogar. Besonders das K-Wort.“ „K-Wort?“ „K-u-s-c-h-eln“ buchstabierte er leise. „Wenn du das sagst, wirst du sie nicht mehr los. Das Wort verstehen meine Katzen alle.“ „Du hast noch mehr?“ „Klar“ nickte er und folgte Tjergen als der begann, den Kanal mit den Brücken weiter entlang zu schlendern. „Zuhause wohnen noch noch Happy Helloween, das ist ihr Gatte, und ihre beiden Kittys Happy Valentine und Happy End. Valentine ist meistens bei Dante und die beiden sind wie ungetrennte Siamesische Zwillinge. Er nimmt ihn sogar mit in den Kindergarten, obwohl Haustiere dort nicht erlaubt sind. Aber Valentine ist mit Abstand der zahmste und ruhigste Kater, den man sich vorstellen kann. Er ist ganz anders als sein Bruder.“ „Und ich dachte immer, der beste Freund eines Jungen sei sein Hund.“ „Ach was Hund. Katzen!“ berichtigte er grinsend. „Wenn die Magie zwischen Katze und Halter stimmt, ist das eine innigere Partnerschaft als mit jedem Hund.“ „Magie, ja?“ „Klar. Und du?“ fragte er und zog an seiner Zigarette. „Was ich?“ „Hast du auch Haustiere? Oder mal gehabt?“ „Ich hatte als Kind mal Läuse. Zählt das?“ „War denn da Magie zwischen euch?“ „Irgendwie schon. Schwarze Magie. Ich habe sie verflucht bis ins Dorthinaus.“ „Das zählt“ lachte er und bemerkte wie geschmeidig Tjergen seine Finger bewegte, wenn er an seiner Zigarette zog. Diese kleinen Gesten wirkten so perfekt, bewundernswert. „Sag mal“ kam er mal wieder auf ein anderes Thema, welches ihn einfach nicht losließ. „Du sagst, Josh ist dein zukünftiger Ex. Meinst du, er macht Schluss mit dir?“ „Nein, ich mit ihm“ antwortete er und klang plötzlich eiskalt. „Er macht mich kaputt. Er ist nicht gut für mich.“ „Warum nicht? Liebst du ihn nicht?“ „Ich weiß nicht.“ Er blickte zu Eastern hinab, welcher erschreckend dicht neben seinen Beinen lief. Es fehlte nicht viel und einer von beiden stolperte. „Easy, geh mal weg da.“ Mokuba schob ihn mit dem Fuß etwas weg und wechselte die Seite, sodass er nun in Ufernähe ging. „Aber du musst doch wissen, ob du ihn liebst. Wie lange seid ihr jetzt zusammen?“ „Seit eineinhalb Jahren. Aber wir sind nicht so zusammen wie du und Noah. Wir haben auch Sex mit anderen. Das mit uns ist eher … ich weiß nicht, was das ist.“ „Vielleicht wieder ‚so eine Art Freundschaft‘?“ riet er ins Blaue hinein. „Nein“ antwortete er abwesend. „Das ist mehr. Meine Gefühle für Josh sind intensiver als zu anderen Männern. Eigentlich will ich nicht mit dir darüber reden.“ „Warum willst du dann Schluss machen? Kämpfe doch um ihn!“ „Josh ist nicht Noah. Und ich bin nicht du“ sagte er und sah ihn an. Leider, leider, leider ließ seine dunkle Brille keine Deutung seiner Augen zu. Aber er wirkte schon wieder so traurig. So einsam. Und so blickte er im langsamen Gehen durch die Schaufenster. Mokuba wollte unbedingt wissen, was in seinem Kopf vor sich ging. Tjergen war so wankelmütig. Mal war er arrogant, dann fauchte er ihn an und kurz später wirkte er so traurig, dass man ihn in den Arm nehmen wollte. „Nur, weil er älter ist?“ versuchte er ihn zu ermutigen. „Noah ist auch fünf Jahre älter als ich. Oder sogar sechs, wenn du es anders rechnest. Ein Freund von mir ist sogar mit jemandem zusammen, der 24 Jahre älter ist. Alter ist für wahre Liebe kein Hindernis.“ „Josh ist 29 Jahre älter als ich. Das ist ne Menge.“ „Aber das macht dir doch nichts. Oder doch?“ „Nein, das nicht“ wisperte er und zog an seiner Zigarette. Er wirkte als würde er bei den eigenen Worten selbst nachdenken. „Aber er wird mich immer verleugnen. Ich würde immer hinter seinem Geld und seiner Arbeit zurückstehen. Und wenn ich irgendwann selbst älter bin und nicht mehr schön anzusehen, dann wird er sich einen suchen, der so war wie ich früher. Und dann bin ich wieder allein.“ „Wieder?“ „Oder immer noch. Er liebt mich, solange alles unverbindlich und leicht ist. Aber wenn ich wirklich persönlich werde, zeigt er mir meine Grenzen auf.“ Seine Stimme wurde wieder kräftiger und er zog den schrecklichen Qualm in seine Lungen. „Ich suche mir einfach einen anderen. Auswahl ist ja genug da. Du glaubst gar nicht wie viele reiche Säcke froh wären, wenn ich sie ranließe. Und wenn ich selbst alt und reich bin, dann nehme ich mir auch einen Jüngeren.“ „Und die Liebe?“ fragte er bedrückt über diesen verzweifelten Entschluss. „Es ist doch keine Liebe, wenn man nur des Geldes oder des Aussehens oder des Spaßes wegen zusammen ist. Was ist, wenn du einsam bist oder krank? Wer hält dann noch zu dir? Geld und Geschenke halten nicht deine Hand, wenn du dich schlecht fühlst.“ „Du bist ein verwöhnter, kleiner Junge“ sagte er ihm ruhig und gelassen, drehte den Kopf zu ihm. „Warum? Nur, weil ich an die Liebe glaube?“ „Nein, weil du an die Liebe glauben kannst. Hättest du mein Leben, dann wüsstest du, dass Liebe nur eine flüchtige Illusion ist.“ „Weißt du, was ich glaube?“ entgegnete er in demselben, ruhigen Ton. „Du würdest gern ein Leben führen wie ich es habe.“ „Meinst du?“ „Ja, meine ich.“ „Na ja“ sprach er und pustete spöttisch weißen Nebel in den Wind. „Einen gutaussehenden und reichen Partner zu haben, einen beschützenden großen Bruder, einen nicht unerheblichen Erbanspruch, offizielle Fanclubs und einen Haufen anderer Freunde, von denen viele selbst prominent sind - warum sollte ich mir so ein Leben schon wünschen?“ „Jetzt schluck mal deinen Zynismus runter. Du bist nicht der einzige, der Probleme hat! So toll wie jetzt war mein Leben auch nicht immer“ hielt er beleidigt dagegen. „Ich habe mir das alles hart erarbeitet! Vielleicht habe ich nicht für Geld gearbeitet, aber emotional habe ich harte Jahre hinter mir. Glaube mir, ich weiß was Angst und Lieblosigkeit sind.“ „Ach ja, stimmt ja“ antwortete er mit zuckender Augenbraue. „Du bist ja ein armes Waisenkind. Es muss hart sein, in einer liebenden Familie aufzuwachsen und dann von einem großen Bruder beschützt und reich gemacht zu werden bis man sich den perfektesten Mann der Welt angelt. Ja, du hast ein sehr hartes Leben gehabt.“ Auf der einen Seite war Mokuba wütend über das, was ihm so arrogant ins Gesicht gesagt wurde. Aber auf der anderen Seite … Tjergen sollte ruhig wissen, dass andere Menschen es noch schwerer getroffen hatten als ein Jammerlappen von neureichem Model. „Jetzt hör mal zu“ befahl er, nahm ihn am Arm und zog ihn das Grasstück in Richtung Ufer zur Parkbank hinunter. Die Enten flohen vor ihnen ins Wasser, sodass auch ein loshüpfender Kater keine von ihnen erwischen konnte. „Du bist nicht der einzige, der mal Pech hat“ sagte er und stellte die Taschen auf die Holzbank. „Und was soll das hier jetzt werden? Entengucken?“ „Nein, da oben laufen zu viele Leute rum. Ich finde, du kannst dir die Großkotzerei mal sparen.“ Er schluckte und ließ einen Moment Zeit, bevor er mit bebender Stimme weitersprach. Tjergens Art wühlte ihn mehr auf als ihm lieb war. „Ich bin kein Waisenkind. Meine Mutter lebt noch - und zwar im Knast. Wegen schwerstem Kindesmissbrauchs, Freiheitsberaubung, Vernachlässigung Schutzbefohlener und Folterei. Ich bin in keiner liebenden Familie groß geworden, sondern in der Hölle. Und es kotzt mich an, wenn du behauptest, ich hätte keine Ahnung vom Leben. Ich habe mehr Ahnung als manch anderem lieb wäre.“ In Tjergens Mine war nichts zu erkennen. Gar nichts. Als würde ihn das langweilen. Dabei hatte Mokuba ihm etwas gesagt, was er bei weitem nicht jedem sagte. In der Hoffnung, es würde ihm die Augen öffnen. In der Hoffnung, dass er sein eigenes Leben dadurch mehr schätzen würde. „Da biste platt, was?“ schnaubte er verächtlich. Er hatte sich eigentlich eine andere Reaktion erhofft als ein emotionsloses Gesicht. Er wollte gerade die Taschen nehmen, umdrehen und gehen als Tjergen seine Brille abnahm. Jetzt sah Mokuba, weshalb er sie trug. Seine Augen waren gerötet. Als hätte er geweint. Als würde er immerzu Tränen darin stehen haben. Ein blasses rosa um seine goldbraunen Augen, welche ihm einen erschöpften Ausdruck verliehen. „Deine Mutter hat dich misshandelt?“ Seine Stimme war nicht anders als zuvor, doch seine Augen zeigten tiefe Betroffenheit. Mehr als Mokuba erwartet hatte. „Nein, mich nicht“ antwortete er und blickte sich um. Es war niemand hier, der sie belauschen konnte. Selbst Happy putzte lieber ihre Pfote als ihrem Herrchen zuzuhören. „Meinen Bruder“ sprach er leise weiter. „Sie hat ihn jahrelang gequält und ich wusste davon. Ich habe seine Schreie gehört. Und noch viel schlimmer … die Stille, wenn er aufhörte zu schreien.“ Er schlang den Arm um sich und zog nervös an seiner Kippe. „Sie hat ihm sogar die Schuld für den Tod unserer Schwester eingeredet. Er war das Zentrum ihres Lebens. Für sie drehte sich alles nur um ihn. Ich war für sie nur eine Randfigur. Sie hat sich niemals für mich interessiert. Niemals wirklich. Wenn sie sich mit mir beschäftigte, war sie übertrieben geduldig und liebevoll. Und Seto musste uns zusehen. Zuerst dachte ich, sie würde mich lieben, aber dann wurde mir klar, dass sie das nur tat, um ihn zu verletzen. Um ihm zu zeigen, was er nicht haben durfte. Es ging ihr niemals um mich. Selbst heute wendet sie sich nur an meinen Bruder. Sie schreibt ihm Briefe oder ihr Anwalt oder ihr Arzt rufen bei Seto an. Für mich interessiert sich niemand. Du weißt gar nicht, was das für ein Gefühl ist, immer nur am Rande zu stehen und zusehen zu müssen. Wie es ist, niemals für voll genommen zu werden. Deswegen solltest du nicht so großspurig über das Leben von anderen herziehen. In deinen Augen sieht mein Leben vielleicht perfekt aus. Aber es sieht eben nur so aus.“ „Das tut mir leid.“ „Bitte?“ Es war das erste Mal, dass der arrogante, egoistische Tjergen sich entschuldigte. Genau das hatte Mokuba sich erhofft, aber nicht wirklich erwartet. „Was ich gesagt habe, tut mir leid. Ich war ungerecht zu dir, Kaiba.“ „Ähm ja … danke.“ Diese Seite kannte er noch nicht. War das Reue? „Willst du mein Leben hören?“ „… klar?“ Tjergen setzte sich auf die Bank und drückte die Zigarette auf dem Boden aus. Mokuba setzte sich zu ihm und tat noch einen letzten Zug, bevor auch er die Kippe kaltmachte und mangels Mülleimer an den Fuß der Bank legte. „Ich bin in einer Sekte aufgewachsen“ eröffnete das rosaäugige Model und schnippte die Kippe weniger gesittet ins Wasser. „In einer christlichen Sekte. Die Zusammenfindung der Gläubigen zum Jüngsten Gericht und zur Wiedererweckung der Dreifaltigkeit.“ „Was für ein Name.“ „Was für ein Verein.“ Er schlug die Beine übereinander und blickte zu Eastern herab, welcher vergeblich mit seinem Kuschelmichblick zu ihm hochsah. „Sie glauben daran, dass das Jüngste Gericht innerhalb der nächsten 200 Jahre eintritt und dann die Erde zu Staub zerfällt. Wer ein gottgefälliges Leben führt, fährt natürlich in den Himmel auf und lebt fortan in Harmonie und Wohlstand. Und wer sündigt, den erwarten natürlich die furchtbaren Qualen der Hölle.“ „Wie kreativ.“ Ob er das so sagen durfte? Tjergen schien selbst nicht allzu sehr von dieser Gruppe angetan. „Nicht wahr?“ lächelte er traurig. „Ein gottgefälliges Leben führt man nur dann, wenn man sich den Normen und Gesetzen dieser verdorbenen, satanischen Gesellschaft entzieht und die strengen Gebote der Zusammenfindungsgemeinde befolgt.“ „Die da wären?“ „Ich kannte meinen Vater nicht bevor ich 14 war“ erzählte er, ohne auf Mokubas Frage einzugehen. „Die Gebote besagen, dass Kinder getrennt von ihren Vätern aufwachsen sollen, da Väter nachweislich einen schlechten Einfluss haben. Kinder würden um des Vaters Anerkennung wetteifern und müssen deshalb von ihm getrennt werden, um seelisch rein zu bleiben.“ „Und wer hat das angeblich nachgewiesen?“ „Gott, Jesus, der heilige Phallus, was weiß ich“ sagte er mit einer wegwerfenden Geste. Eastern maute begeistert und dachte, er würde jetzt gestreichelt werden. Aber nix da. Sein Kuschelmichblick blieb unerwidert. „Ich glaube, dieses hirnrissige Gebot ist nur dafür da, um die Frauen in die Rolle des Heimchens zu drücken. Und meine Mutter war ein begeistertes Heimchen. Ihr ganzer Tag bestand aus beten, rezitieren von Texten, rituellen Reinigungen von Körper, Geist und dem Gemeindehaus und dem heiligen Zubereiten der Speisen. Überhaupt alles, was sie tat, war heilig und hatte irgendeinen tieferen Sinn. Selbst ihr Pups war ein Zeichen Gottes. Und die Welt außerhalb der Gruppe war ein Sündenpuhl, von dem man sich weit fernhalten musste. Meine Mutter war völlig gaga. Ist sie heute noch.“ „Dann ist deine Mutter noch immer in dieser Sekte?“ „Und wie.“ „Und dein Vater?“ „Ich bin schuld, dass meine Eltern sich getrennt haben“ sagte er und beobachtete den kleinen Kater, der ihm aufreizend um die Füße schlich. „Die einzigen Männer, die wir zu sehen bekamen, waren Lehrer. Normalerweise wurde gebetet, aus der Bibel gelesen oder es wurden Übungen mit Bibeltexten gemacht. Die gesetzlich festgelegten Lehrpläne wurden nur widerwillig erfüllt, um die staatliche Aufsicht nicht zu verprellen. Die älteren Kinder durften auch mal ein Handwerk machen. Die Mädchen schneidern, putzen, kochen. Die Jungen lernten Holz- und Metallarbeiten oder hatten Leibesertüchtigungen. Alles im Namen des Herren natürlich.“ „Natürlich.“ „Einer meiner Lehrer, Bruder Heinrich, war anders als die anderen. Er nahm mich zur Einzelförderung. Einzelförderung bedeutete, dass der Lehrer sich einer herausragenden Begabung seines Schülers annehmen wollte. In meinem Falle war es das Darstellen, Schauspielen und auswendig lernen von Texten. Meine Mutter war sehr stolz auf mich und hoffte, ich würde Prediger werden. Sie weiß bis heute nicht, was er wirklich mit mir während des Einzelunterrichts getan hat.“ „Hat er … dich angefasst?“ „Nein, merkwürdigerweise nicht“ antwortete er mit gleichtoniger Stimme. „Er wollte, dass ich Kleider anziehe und Makeup trage.“ „Oh je … das war bestimmt hart.“ „Nein, es war nur merkwürdig“ verneinte er und ließ sich dazu herab, die katerlichen Schmuseversuche endlich mit dem Fuß zu erwidern. „Anfangs hat es mich irritiert, aber mit meiner Mutter und den übrigen Frauen konnte ich nicht darüber sprechen. Mit den anderen Lehrern schon gar nicht. Also habe ich es ausgehalten. Er wollte nur, dass ich wie ein Mädchen aussehe. Mehr wollte er gar nicht von mir. Nachdem ich mich für ihn zurechtgemacht hatte, haben wir uns meistens Filme angesehen. Filme mit Bruce Willis, Jacky Chan, Silvester Stallone, Jean-Claude Vandamme. Er liebte Actionmovies. Ich fand die Werbung zwischendurch interessanter. Heinrich mochte mich sehr und ich durfte später auch Musiksendungen ansehen, Nachrichten, Zeichentrickfilme. Wir haben viel fern gesehen und häufig durfte ich das Programm bestimmen. Und ich habe die Welt draußen gesehen, welche meine Mutter so verteufelte. Nebenbei aßen wir verbotene Dinge. Er brachte mir die Sachen mit, welche ich aus der Werbung kannte. Er ließ keinen Wunsch offen und verwöhnte mich mit Chips, Schokolade, Fruchtgummis, Kuchen, Speck. Hinterher musste ich mich meist übergeben, aber es war großartig. Auch Zeitschriften und Musikkassetten schmuggelte er heimlich bis zu mir. Heinrich war der Erste mit dem ich wirklich offen sprechen konnte, dem ich Fragen stellten konnte. Er erklärte mir die Gepflogenheiten der Welt außerhalb unserer Gruppe. Viel weniger hasserfüllt als meine Mutter es tat. Und er war es auch, welcher mir die Sexualität erklärte. Ihm konnte ich die Fragen stellen, welche sonst verboten waren. Ich habe mich im Laufe der Zeit sehr zu ihm hingezogen gefühlt. Zu seiner Weisheit, seiner Macht. Und irgendwann störten mich auch die Mädchenkleider nicht mehr. Es störte mich auch nicht, dass er Fotos von mir machte oder mit mir tanzte. Im Gegenteil, es gefiel mir. Ich war sehr gern mit Heinrich zusammen. Eigentlich hatte ich mir später sogar gewünscht, er würde mich küssen oder auch mehr, aber das tat er nicht. Er hielt mich im Arm oder kämmte mein Haar. Aber er hat mich niemals unsittlich berührt. Er war immer sehr zuvorkommend und respektvoll bei allem, was er tat. Er war es dann auch, welcher die offizielle Erlaubnis gab, unsere Familie zusammenzuführen. Meine Schwester war 18, ich 14 als wir unseren Vater getroffen haben.“ „Die Schwester, die ein Kind hat?“ Tjergen schaute fragend zu ihm. „Du hast sie mal erwähnt. Im Krankenhaus.“ „Ach ja. Sie heißt Tessanja. Ja. Wie gesagt, sie war 18.“ „Warum durfte sie nicht schon früher zu deinem Vater?“ „Sie war ein unvermähltes Mädchen. Mädchen sind geistig leichter zu beeinflussen als Jungs und das ändert sich erst nach ihrer Verlobung. Das steht in der Bibel.“ „Ja, schon klar.“ Wer wollte, der konnte in der Bibel auch eine Bauanleitung für Raumsonden finden. „Und wie war es für dich, als du deinen Vater getroffen hast?“ „Mein Vater war genauso ein religiöser Spinner wie meine Mutter. Dachte ich. Doch als wir später gemeinsam in einem Haus leben durften, stellte ich fest, dass mein Vater nicht ganz so verbohrt war wie meine Mutter. Er war zwar lange nicht so offen wie Heinrich, aber ich verstand mich gut mit ihm und er war stolz auf mich. Seinen einzigen Sohn. Also begannen wir zu reden. Irgendwann sprachen wir über die Welt draußen und meine Ansichten wurden immer fordernder. Warum durften wir keine pasteurisierte Milch trinken? Weshalb durften die Mädchen im Sommer keine kurzen Ärmel tragen? Weshalb war Popmusik ein Teufelswerk? Ich wollte mit meinem Vater diskutieren wie mit Heinrich, doch er vermied es, mit mir über Glaubensfragen zu sprechen. Heinrich empfahl meinem Vater dann, mich mit nach draußen zu nehmen und mir zu zeigen, worüber ich sonst nur sprach, doch der zögerte. Erst einige Wochen später fragte mein Vater, ob ich mit ihm auf Montage fahren wolle. Er war Schreiner und so wollte ich seinem Beispiel folgen. Denn als Schreiner verrichtete man sein Tagewerk auch außerhalb der Gemeinde. Meine Mutter wollte noch immer, dass ich Prediger werde, doch Heinrich riet ihr, mich auch handwerklich ausprobieren zu lassen. Wir, also mein Vater und ich und einige unserer Glaubensbrüder, fuhren nur in die nächste Stadt, aber es war wundervoll. All die Menschen waren so ähnlich wie ich sie in den Filmen von Heinrich gesehen hatte. Außer eben, dass LKWs nicht ständig explodierten und Häuser nicht unter Bombenbeschuss zusammenkrachten. Wir fuhren häufiger auf Montage und ich begann meine Schreinerlehre.“ „Du kannst Schreinern?“ „Ein bisschen“ lächelte er in Erinnerungen versunken. „Wir arbeiteten gemeinsam mit normalen Menschen. Verlorene haben wir sie genannt. Frauen und Kinder sind leicht zu verführen. Sie dürfen keinen Kontakt nach draußen haben. Aber Männer sind stark und geistig überlegen. Sie dürfen sich mit Verlorenen abgeben, ja sie dürfen sie sogar bekehren. Ich verliebte mich mehr und mehr in die Außenwelt und mein Vater sah wie gut es mir tat. Mit dem Leben draußen wurden auch meine Forderungen weniger und er hielt mich für ausgeglichener. Er wollte dies auch meiner Schwester zuteil werden lassen. Er fragte ihren Lehrer, ob sie ihn begleiten dürfe, um die Werkstatt zu säubern. Doch Tessanjas Mentor war dagegen, da er sie für zu beeinflussbar hielt. Also war auch meine Mutter dagegen. Meine Eltern stritten sich, ein Wort gab das andere und mein Vater trat aus der Sekte aus. Und nahm meine Schwester und mich mit sich.“ „Das … das ging jetzt aber schnell“ bemerkte Mokuba. Gerade war noch alles heile Welt und dann plötzlich trat sein Vater aus? Einfach so? „Ja, es dauerte nur wenige Tage und wir zogen an die norwegische Grenze. Ich glaube, mein Vater zweifelte schon länger an dem Sinn dieser religiösen Abschottung. Gesetzlich hatte die Sekte keine Handhabe gegen meinen Vater und da wir fortan als verloren galten, versuchte man auch nicht, uns zurückzuholen. Eher im Gegenteil. Wir waren Verstoßene.“ „Wow … harte Story“ musste Mokuba kleinbei geben. Diese Lebensgeschichte war ja fast so gut wie seine eigene. „Die Story ist noch nicht zu Ende. Ich wurde doppelt verstoßen“ erzählte er und lächelte sein trauriges Lächeln. „Ich genoss das Leben in Freiheit. Ich traf mich mit anderen Jugendlichen, kaufte schmutzige Magazine, hörte lästerliche Musik. Ich wollte all das tun, was ich mit Heinrich getan hatte, doch ohne, dass ich bitten musste. Und ohne, dass Heinrich mich bremste. Ich nahm mir, was ich wollte. Und was mein Vater sagte, war mir egal. Ich war wie im Rausch.“ „Kein Wunder.“ „Und ich hatte endlich Sex mit Männern“ offenbarte er scheulos. „Mädchen haben mir nie gefallen, aber Männer, besonders ältere Männer, gaben mir ein Gefühl der Freiheit und der Sicherheit. So wie Heinrich es tat. Und sie gaben mir Verlangen und Lust. Das, was Heinrich mir vorenthalten hatte. Erst tat ich es aus Freude bis mir der erste Mann Geld dafür gab. Ich brauchte das Geld nicht, aber es wurde ein schöner Nebenverdienst.“ „Tjergen.“ Mokuba stand der Mund offen. Das war doch jetzt nicht wahr! „Ich habe mich nicht prostituiert, falls du das denkst“ sagte er und sah ihn ernst an. Dann zog er seinen Flipflop aus und drückte dem kuschelnden Kater seinen nackten Fuß entgegen, was den nur noch lauter schnurren ließ. „Ich habe meine Männer ausgesucht und einen Preis genannt. Einige haben nein gesagt und ich habe trotzdem mit ihnen geschlafen. Aber die meisten haben bezahlt und ich habe mit ihnen geschlafen. Ich habe mich deshalb niemals schmutzig gefühlt. Für mich gab es keinen Gott mehr und keinen Teufel. Ich mochte Sex und ich mochte Männer. Von etwas anderem wollte ich nichts wissen. Ich geriet völlig außer Kontrolle. Vor lauter Ekstase in dieser neuen Welt wusste ich gar nicht wohin mit meiner Energie. Vor meinem Vater hielt ich es geheim. Ich wusste, er würde es nicht tolerieren und so führte ich ein Doppelleben. Ich ging zur Schule, hatte keine Probleme mit dem Lernstoff oder den Leuten dort und danach amüsierte ich mich in den Betten meiner Liebhaber.“ „War das nicht anstrengend? Ich meine, es immer geheim zu halten?“ „Nein, es war nicht anstrengend. Mein Vater fragte mich niemals etwas persönliches und er fragte auch nicht, wo ich die Nächte verbrachte. Solange ich nur gottgefällig bliebe und jeden Abend betete. Es war leicht, ihm den keuschen Sohn vorzuspielen. Außerdem war er viel zu sehr mit meiner Schwester beschäftigt, welche den Fehler machte und ihm ihren ersten Freund standesgemäß vorstellte. Auch meine Schwester nahm mir meine Lügen ab. Selbst wenn nicht, ich hätte nicht anders gekonnt. Ich wusste, er würde enttäuscht sein, wenn er von meinen Begierden erführe. Wenn er erführe … dass ich Männer liebe.“ „Hattest du kein schlechtes Gewissen, ihn und deine Schwester anzulügen?“ „Ich hatte keine andere Wahl“ antwortete er und ließ einen Augenblick Pause und beobachtete den Kater, welcher ihm liebevoll in den kleinen Zeh biss. Tjergen ließ es sich sogar gefallen. „Als ich 17 war lernte ich Timothy kennen. Er war Fotograf für ein Jugendmagazin und suchte genau meinen Typ für eine Fotolovestory. Und da ich gern mit Timothy schlief und auch sonst gern mit ihm zusammen war, machte ich den Spaß mit. Da Heinrich auch gern Fotos von mir gemacht hatte, war ich mit der Kamera vertraut. Die Verleger waren begeistert von meinen Fotos und so nahmen sie mich unter Vertrag. Mein Vater kannte sich nicht mit Vertragsklauseln aus und verließ sich auf die keuschen Versprechungen, die ich ihm gab. Er war ja nur Schreiner und ich ein guter Lügner.“ „Also bist du vom Sektenkind übers Sexmonster zum Fotomodel aufgestiegen.“ „Als ich die ersten Bilder mit freiem Oberkörper gemacht habe und mein Vater das Plakat sah, ist er ausgeflippt“ erzählte er und blickte gedankenversunken über den Kanal. „Er wusste nichts von meinem Treiben und hatte den Agenturvertrag in gutem Glauben unterzeichnet. Doch mich halb unbekleidet zu sehen, widersprach seinen Normen und Idealen. Ich habe versucht, es ihm zu erklären, aber er wollte nichts davon hören. Er wollte mir verbieten, weiter solch freizügige Fotos zu machen und er wollte mir verbieten, mich frei außerhalb des Hauses zu bewegen. Ich wurde wütend und habe ihm ins Gesicht geschrien, dass ich schwul bin und Sex mit erwachsenen Männern habe und eine Menge Geld besitze. Ich habe mich unglaublich stark gefühlt. Die Macht und das Geld und die Anerkennung und der Sex haben mich arrogant werden lassen. Doch mein Vater war und ist noch immer ein tiefgläubiger Mann. Und zu erfahren, wie verkommen ich bin, hat ihn tief enttäuscht. ‚Und für dich habe ich meine Frau verlassen‘ sagte er mir damals. Er gab mir einen Koffer und nahm mir den Schlüssel zu unserer Wohnung ab. Also bin ich gegangen. Ich habe mich emanzipiert … heute bin ich frei … aber irgendwie fühle ich mich noch immer unausgefüllt. Meine Schwester hat vor zwei Jahren geheiratet und jetzt ein Baby bekommen und ich … und als ich dich und Noah sah … als du mir meine bisher unverletzliche Waffe, mein makelloses Gesicht, genommen hast, da wurde mir klar, dass meine vermeintliche Freiheit keine Freiheit ist. Sondern ein verzweifelter Versuch danach, einen Halt zu finden. Etwas, was richtig ist.“ „Tjergen …“ „Ich weiß, dass Josh mich niemals so lieben wird wie ich es mir wünsche. Er wird mich niemals so lieben wie Noah dich liebt. Er wird niemals in der Öffentlichkeit zu mir stehen. Genauso wie mein Vater nicht zu mir stehen kann. Genauso wie Heinrich nie zu mir stehen konnte. Josh wird mich auch nicht raushauen, wenn ich mich vergaloppiert habe. Du kannst dich immer darauf verlassen, dass Noah hinter dir steht und dich liebt. Egal wie fehlerhaft oder verkommen du bist. Josh liebt Terry Manison, den perfekten Schein. Doch wenn der unperfekte Tjergen Marnens anruft … tja … the person you have called is temporally not available. Please try again later.” Mokuba hörte die Traurigkeit in seiner Stimme und sah die Sehnsucht in seinen Augen. Die Verzagtheit und die vielen Schuldgefühle. Und er tat ihm leid. „Hast du das schon mal jemandem erzählt?“ „Du meinst jemand Professionellem?“ „Ich meine einem Freund.“ „Mache ich den Anschein als hätte ich Freunde?“ Er sah ihn an und lächelte sein falsches Lächeln. „Ich lasse mir ja selbst meine Freundschaft bezahlen.“ „Du bist einsam, nicht wahr?“ „Ich habe noch nie jemandem von mir erzählt“ sagte er, zog seinen Fuß von dem ausdauernd kuschelnden Katerchen zurück und schlüpfte wieder in seinen hölzernen Flipflop. „Ich weiß gar nicht, was mich reitet, dir überhaupt etwas zu erzählen, was ich vor mir selbst nicht ausspreche.“ „Vielleicht weil dir vorher nie jemand zugehört hat?“ Das konnte es nämlich durchaus sein. Menschen wie Tjergen waren einsam und versuchten, sich nicht unterkriegen zu lassen. Und bei diesem Versuch wurden sie unnahbar. Doch eigentlich suchten und warteten sie nur auf jemanden, der sie fragte und die Antwort hören wollte. Der ihnen wirklich zuhören wollte. „Vielleicht“ zuckte Tjergen mit den Schultern und sah ihn an. Sah ihn sehr intensiv an und legte dann ein Lächeln auf, welches weniger traurig war. „Vielleicht habe ich auch noch nie jemanden getroffen, der ne traurigere Lebensgeschichte hat als ich.“ „Mau?“ „Und du?“ fragte Tjergen den Kater zu seinen Füßen. „Hast du auch ne patethische Lebensgeschichte zu erzählen?“ „Mau wau brauwau. Mauaaauuu! Brauau …“ „Du antwortest ja wirklich.“ „Stell keine Frage, wenn du die Antwort nicht verträgst“ riet Mokuba schmunzelnd. Er kannte doch sein Fellgetier. Und Tjergen kannte er nun auch etwas besser. Er war gar nicht hart und gemein. Er war einfach nur einsam. „Oh Mann“ seufzte der und setzte sich die Sonnenbrille wieder auf. „Entschuldige, ich wollte dich nicht zumüllen, Kaiba.“ „Hast du nicht.“ „Ich weiß auch nicht, was im Moment mit mir los ist. Ich bin sonst nicht so ein Waschlappen.“ „Jeder hat mal ne schlechte Phase“ tröstete er und klopfte neben sich auf die Bank. Eastern sprang zu ihm und ließ sich noch mal richtig hinter den Ohren kraulen. „Ich erzähle es auch niemandem.“ „Das habe ich auch nicht erwartet.“ „Echt?“ lachte er überrascht. „Bin ich so vertrauenswürdig?“ „Nein, aber wem solltest du das schon erzählen? Und zur Presse läufst du nicht, weil du selbst weißt wie scheiße das wäre.“ „Dann gehe ich mal davon aus, dass du meine Story auch nicht herumtratschst.“ „Natürlich nicht.“ „Dann … meinst du, dass wir Freunde sein werden?“ „Bitte?“ Er blickte zu Mokuba hinüber und zeigte sich ehrlich verwundert. „Na ja“ lächelte der freundlich. „Ich habe dich zugemüllt und du hast mich zugemüllt. Es wäre nur legitim, wenn wir jetzt Müllmannfreunde werden.“ „Und das, obwohl ich an deinem Freund herum baggere?“ „Bei Noah hast du keine Chance. Aber i c h mag dich. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie finde ich dich toll. Normalerweise werde ich eifersüchtig, wenn ich jemanden mag, aber bei dir ist es anders. Ich kann’s nicht erklären, aber ich glaube, dass wir beide ein gutes Gespann wären.“ „Okay …“ Das konnte Tjergen jetzt offensichtlich in keine seiner Lebenserfahrungen einordnen. Freundschaften hatte er bisher anscheinend keine geschlossen. „Und wie stellst du dir so was vor?“ „Na ja, wir pissen uns gegenseitig nicht mehr ans Bein. Das wäre doch schon ein Anfang. Ich höre mir dein Geheule an und wenn ich mal mies drauf bin, hörst du dir meines an. Und wenn du mal wieder im Krankenhaus liegst, fliege ich zu dir hin. Dasselbe erwarte ich dann auch von dir. So etwas tut man nun mal für die Menschen, die einem wichtig sind.“ „Du kennst mich doch gar nicht. Wie kann ich dir da wichtig sein?“ „Ich weiß, dass du auf mich eine gewisse Faszination ausübst. Das reicht mir.“ „Und du … findest nicht, dass ich ein Flittchen bin? Ich meine, ich lasse mich von alten Säcken aushalten.“ „Aber du hast ne eigene Karriere auf die Beine gestellt. Ich wäre auch gern so taff wie du. Wenn es dir recht ist, würde ich mir bei dir gern abgucken wie man so fleißig und zielstrebig sein kann.“ „Bist du das denn nicht?“ „Nein, überhaupt nicht“ musste er seufzend zugeben. „Ich weiß zwar, was ich will, aber wenn ich länger für etwas arbeiten muss, dann lasse ich meine guten Vorsätze alsbald schleifen. Ich will ein guter Arzt und Heiler werden, aber ich halte das studieren nicht so richtig durch. Du hingegen hast dich ganz allein durchgeboxt und echt was auf die Beine gestellt. Das würde ich auch gern können.“ „Aha …“ „Und ich will lernen, wie man so heiß sein kann. Ich meine, du hast eine tolle Aura.“ „Die hast du auch, Kaiba.“ „Ja, ich weiß, aber nach mir drehen sich die Leute nicht sofort um. Nicht so wie nach dir. Ich will mich einfach mit dir beschäftigen und hören, was du zu sagen hast. Und im Gegenzug bin ich einfach ein Freund, der auch in der Öffentlichkeit zu dir steht. Deal?“ „Na ja … ich hatte noch nie einen Freund, der … außerdem winkt dir da hinten jemand.“ „Was?“ Er guckte hoch und häh? „Da hinten“ zeigte Tjergen hinter ihn und schien ganz froh, wenn er das Thema ablenken könnte. „Da an der Brücke. Da winken zwei Typen.“ Mokuba drehte sich um und sah die zwei genannten Typen aufatmen und ein kräftiges Winken stoppen. Den einen erkannte er sofort. Schmal, mädchenhaft und leicht zu übersehen - Phoenix. Bei dem zweiten musste Mokuba genauer hinsehen und schalten. Yugi sah einfach ungewohnt aus. Er sah gut aus, ohne Frage. Aber eben einfach ungewohnt. Daran würde sich seine Familie erst mal gewöhnen müssen, bevor man ihn aus der Entfernung identifizierte. „Freunde von dir?“ fragte Tjergen skeptisch als die beiden auch noch auf ihre Parkbank zuhielten. „Sozusagen. Der Sohn einer Freundin und mein Schwager. Komm mit, wir begrüßen sie.“ Er schnappte seine Taschen und hoppelte den Uferabhang hinauf, um beide in die Arme zu schließen. Sie hatten ihre Begrüßung schon beendet als auch Tjergen und die Katzen endlich eintrudelten. „Was macht ihr denn hier?“ wollte Mokuba fröhlich wissen. „Dasselbe wie du anscheinend“ lachte Yugi und zeigte auf die vollen Taschen. „Und muss Noah jetzt Insolvenz anmelden?“ „Ach, das kriegt er doch gar nicht mit“ log er und drehte sich lieber zu Tjergen, der sich eben neben ihn stellte. „Tjergen, das sind Yugi Muto und Phoenix Taylor.“ „Erfreut“ nickte der und schüttelte beiden nacheinander die Hände. Auch wenn er einen gewissen Argwohn nicht verbergen konnte. „Mr. Muto, verzeihen Sie, wenn ich das sage, doch ich hätte Sie nicht sofort erkannt.“ „Oh?“ „In den Medien wirkten Sie … jünger.“ „Ja, ich bin nicht besonders fotogen“ wandte er sich aus dieser Schlinge. Zu erzählen, dass eine Fee ihm einen Wunsch erfüllt hatte, klang irgendwie unglaubwürdig. „Seid ihr beiden allein unterwegs?“ „Ja, halb“ nickte Mokuba zu seinen Füßen, wo seine zwei Begleiter saßen. „Und ihr?“ „Auch halb“ nickte Yugi nach oben. Dort saß Laertes auf einem Ast und putzte sein Gefieder. „Wir wollen Klamotten kaufen. Ich brauche unbedingt etwas, was mir besser passt. Du weißt schon.“ „Und Spatz berät dich?“ „Nein, Yugi berät mich“ erwiderte der und wurde etwas rot auf den Wangen. „Ich möchte etwas für Asato kaufen, was nicht unbedingt schwarz ist. Ich hoffe, dass er vielleicht mal etwas trägt, was dunkelblau ist oder so. Und da ich ja farbenblind bin … du weißt schon.“ „Um ehrlich zu sein, kann ich mir Tato gar nicht in was anderem als Trauerklufft vorstellen“ überlegte Mokuba, aber lächelte ihm dann bestärkend zu. „Aber wenn das jemand schaffen kann, dann du. Ich finde, du hast eine gute Idee. Sein Freund trägt leider immer nur schwarz“ erklärte er zu Tjergen, damit der nicht so ganz außen vor blieb. „Ich habe dir doch von meinem Freund erzählt, der 24 Jahre jünger ist als sein Partner.“ Und mit einem Nicken auf Phoenix hatte er dann auch ein Gesicht dazu. „Musst du das jedem sagen?“ fragte er peinlich berührt. Dass Tato älter war, sah man ja sofort - aber man musste ja nicht sofort heraus posaunen wie viele Jahre wirklich zwischen ihnen lagen. „Er wollte mich nur aufbauen. Ich mag auch eher Ältere“ nahm Tjergen ihn in Schutz und blickte kurz hinunter, da der freche Kater schon wieder um sein Bein strich. „Mit reiferen Herren kann ich mehr anfangen.“ „So alt ist Asato noch gar nicht. Gerade mal 40. Ich finde, da ist man noch kein reiferer Herr.“ „40? Das ist ja noch richtig jung“ lachte er kurz und das erste Mal hörte Mokuba in seinem Lachen keine Trauer, sondern einen Hauch Leichtigkeit. „Mein Ex-Freund war 54.“ „Und wie alt bist du?“ „25. Und du?“ „16.“ „Das ist ja auch noch blutjung. Behandelt er dich denn auch gut?“ „Sehr gut“ sagte er und wurde noch einen ganzen Ton roter. „Er ist sehr lieb zu mir.“ So lieb wie ein Tato eben sein konnte. „Warum fragen Sie?“ „Du kannst mich ruhig duzen. Spatz?“ „Ja … so nennen mich die meisten.“ „Wie süß.“ „Was haltet ihr davon, wenn wir da hinten ein Eis kaufen?“ schlug Mokuba vor und lief auch ohne Antwort einfach mal los. „Kommt schon.“ „Eis ist gar keine so schlechte Idee“ meinte Yugi und auch das „MAUAUAU!“ von Happy sagte, dass sie ebenfalls etwas erwartete. „Nur damit du kein falsches Bild hast.“ Phoenix blieb mit Tjergen hinter den beiden und wollte das noch klarstellen. „Asato behandelt mich wirklich gut. Auch wenn ich noch jünger bin.“ „Nicht ‚noch‘. Du wirst immer jünger sein“ berichtigte Tjergen und blickte zu ihm herunter. „Ich fragte nur, weil Kaiba das Wort Trauerklufft benutzt hat. Bist du mit einem Witwer zusammen?“ „Du hast ein gutes Gehör.“ „Ich höre viel zwischen den Zeilen, ist manchmal ganz nützlich. Das soll jetzt nicht falsch ankommen, aber eines würde mich interessieren. Was macht dich so sicher, dass er dich wirklich liebt? Ich meine, woran machst du so etwas fest?“ „Ich weiß es einfach. Ich kann’s noch immer nicht glauben, aber tief in mir drin fühle ich, dass er mich liebt.“ „Das verstehe ich nicht. Sagt er es dir oder was lässt dich das glauben?“ „Nein, er sagt die drei Worte eigentlich relativ selten“ fiel ihm da selbst auf. Die Worte ‚Ich liebe dich‘ fielen bei ihm wesentlich seltener als bei anderen Männern. „Aber er zeigt es mir. Seit seine Frau vor ungefähr zehn Jahren gestorben ist, hatte er keine Beziehungen, nicht mal Liebschaften. Er hat auch kein besonderes Interesse in dieser Richtung gezeigt, obwohl er sehr viele Gelegenheiten gehabt hätte. Er sieht nämlich sehr gut aus, kann sehr charmant sein und ist auch finanziell eine gute Partie. Aber sein Herz trauert immer noch um seine Frau. Er hat mir damals zwar seine Gefühle gestanden, aber er sagte auch, dass er nicht weiß, ob er dazu stehen kann. Deswegen hat er ziemlich lange gegrübelt und mich kaum angesehen. Aber dann sagte er vor kurzer Zeit, dass er mich liebt und dass er beschlossen hat, zu dieser Liebe zu stehen. Und seitdem sind wir ein Paar.“ „Also steht er zu dir? In aller Öffentlichkeit?“ „Ja, er ist so ein Typ“ lächelte er und blickte verliebt zu Boden. „Wenn er sich für etwas entschieden hat, dann bleibt er dabei. Er steht immer zu dem, was er tut. Deswegen weiß ich, wenn er auch nur den geringsten Zweifel an seiner Liebe zu mir hätte, dann würde er sich nicht auf mich einlassen. Er stürzt sich zwar häufig in irgendwelche Sachen, die total hirnrissig sind, aber auch dazu steht er dann. Er ist sehr selbstbewusst und sehr stolz. Er würde niemals etwas tun, was ihm widerstrebt. Und wenn er einen Fehler macht, entschuldigt er sich. Die Entschuldigung fällt dann zwar recht einsilbig aus, aber er steht zu allem. Zu mir, zu seinen Fehlern, zu seinen Taten und zu seinen Gefühlen. Deshalb weiß ich, dass er mich liebt.“ Wobei er sich nun doch fragte: „Warum fragst du das?“ „Weil ich es verstehen will“ antwortete er ernst. „Und wie bringst du ihn dazu, zu dir zu stehen?“ „Ich bringe ihn nicht dazu. Er tut es von sich aus“ erwiderte er verwundert. „Ist das so ungewöhnlich, zu seinen Gefühlen zu stehen?“ „Für Menschen außerhalb eures Dunstkreises schon.“ „Zeigt dein Freund dir nicht, dass er dich liebt?“ „Mein Ex-Freund.“ „Oh, tschuldigung. Dann hat er es dir wohl nicht gezeigt, oder?“ „Doch, er sagt mir ständig, dass er mich liebt. Andauernd, bei jeder Gelegenheit“ antwortete er nachdenklich. „Aber es sagt es nur, solange ihn niemand dabei hört. Er zeigt es mir auch, indem er mir teure Geschenke macht und wenn wir zu zweit sind, nimmt er sich auch immer extra Zeit nur für mich.“ „Das klingt doch eigentlich gut. Warum habt ihr euch dann getrennt?“ „Wir sind noch nicht getrennt. Aber ich werde mich trennen und ich glaube, er spürt das auch schon.“ „Warum?“ „Ihr geht ziemlich offen mit allem um und erwartet das von anderen auch. Kann das sein?“ „Ähm … wieso?“ „Weil mir das bei Kaiba auch aufgefallen ist. Ihr redet über eure Gefühle als wäre das was alltägliches.“ „Ist es das nicht?“ „Nein. Nicht wirklich. Nicht mit Fremden.“ „Oh … aber du bist doch … ich dachte du hättest mit Moki Freundschaft geschlossen?“ „Bitte?“ Jetzt wurden seine Augen hinter der Sonnenbrille ziemlich groß und Mokuba gab vor, mit Yugi in einem angeregten Gespräch zu stecken, obwohl beide mit spitzen Ohren nach hinten lauschten. „Er hat mir in aller Öffentlichkeit die Nase zertrümmert und du denkst, wir wären befreundet?“ „Ja … dachte ich“ erwiderte er nun verunsichert. „Er war doch bei dir im Krankenhaus und er sagte, dass er dich eigentlich doch ganz gern mag. Und jetzt seid ihr zusammen shoppen … ich dachte, ihr hättet euch angefreundet.“ Tjergen öffnete den Mund und wollte etwas entgegen. Doch ihm fielen nicht die richtigen Worte ein. Einerseits war er verwundert über so viel Offenheit und Ehrlichkeit und andererseits wusste er ja selbst nicht, ob sie nun ‚Freunde‘ waren oder nicht. Also schloss er den Mund wieder und ließ die Sache auf sich beruhen. „Ach, sag mal“ drehte Mokuba sich plötzlich herum. „Du musst mich übrigens nicht Kaiba nennen. Das passt irgendwie nicht.“ „Findest du?“ „Außerdem will ich dich auch noch fragen“ sprach er direkt weiter, „alle nennen dich Terry, aber ich habe bisher immer Tjergen gesagt. Ist dir Terry lieber?“ „Terry ist mein Künstlername.“ Hatte also nicht wirklich etwas mit ihm persönlich zu tun, sondern eher mit dem Menschen, den er verkörperte. „Eigentlich hat mich lange niemand mehr bei meinem richtigen Namen genannt.“ „Dann soll ich lieber Terry sagen?“ „Nein. Tjergen ist okay.“ Wer wusste, was das in Zukunft änderte … bei Mokuba und im Kreise seiner Freunde hatte er ein neues Gefühl. Und das erste Mal fühlte es sich richtig an. Kapitel 9: Chapter 41 - 45 -------------------------- Chapter 41 „Liegst du schon im Bett?“ fragte Narla verwundert. Sie kam gerade aus der Dusche und sah, dass Joey bereits die Bettdecke aufgeschlagen und sich hingelegt hatte. Sie warf einen Blick auf die Uhr und setzte hinzu: „Es ist doch nicht mal neun Uhr.“ „Ich dachte mir, ich lege mich schon mal bereit.“ Er zuckte machomäßig mit den Augenbrauen und Narla wusste sofort, was er wollte. „Du kannst das Badetuch ja mal von dir werfen, Süße.“ „Warum fällt dir das immer dann ein, wenn ich was anderes vorhabe?“ „Was was anderes?“ Er blickte sie verwundert an und rutschte ans Bettende. „Was denn? Was anderes mit mir oder was anderes ohne mir?“ „Hast du die Kleine ins Bett gebracht?“ „Ja, habe ich. Antwortest du jetzt mal auf meine Frage?“ „Eigentlich sollte ich das gar nicht müssen“ meinte sie und legte das Handtuch auf die Heizung. „Baby! Sexy!“ Dieser flache Bauch, diese hammermäßigen Brüste, diese Wahnsinnsbeine! Und erst diese Bäckchen! Doch er freute sich zu früh. Sie tat das nur, um an den Kleiderschrank zu gehen. „Ey, wieso ziehst du dir Unterwäsche an?“ „Manchmal könnte ich dich echt knutschen, Joseph.“ „Was bist du so komisch heute? Ich bin extra schon ins Bett gegangen. Und Little Joey schläft auch schon. Der Abend gehört uns.“ „Uns sind aber heute nicht du und ich“ seufzte sie und schloss den BH. „Erinnerst du dich noch, was ich dir heute Mittag erzählt habe?“ „Als wir telefoniert haben?“ „Nein, als wir zusammen in der Mondkapsel saßen.“ Manchmal war er echt zu langsam für diese Welt. „Natürlich als wir telefoniert haben.“ „Du hast gesagt, dass ich heute Joey ins Bett bringen soll. Ich dachte, wir haben danach Zeit für Sexy Mama und Big Papa.“ „Machst du das eigentlich extra. Dieses selektive Hören?“ Sie zog sich eine hellblaue Jeans über und musste schon etwas quetschen bis ihr Arsch ganz drin war. „Für wen ziehst du die sexy Hose an? Hast du einen Liebhaber?“ „Joseph.“ Sie schlug sich an den Kopf und sah über ihre Schulter zurück. „Ich habe gesagt, du sollst das Baby ins Bett bringen, damit ich ausgehen kann. Mit Nika und Tea und Sari und Noah zur Ladiesnight im Kino. Leider kann Marie nicht mit, weil sie sich vor Rückenschmerzen kaum rühren kann. Aber wir bringen ihr Popcorn mit. Und nach dem Film gehen wir noch was trinken.“ „Mit Sari?“ „Ja, Sari ist auch eine Lady.“ „Nein, ich meine zum Trinken. Sie trinkt doch gar nicht.“ „Es gibt ja auch alkoholfreie Cocktails, du Blitzmerker.“ Sie hielt die Luft an bis der verflixte Jeansknopf endlich zuging, ließ vom Kleiderschrank ab und kletterte zu ihm aufs Bett, setzte sich auf seinen Schoß und wuschelte ihm liebevoll durchs Haar. „Warum bist du so durch den Wind, mein Bärchen?“ „Bin ich das?“ „Ich habe das Gefühl, du hörst mir heute gar nicht richtig zu. Was ist los?“ „Ach, eigentlich gar nix.“ Er schlang die Arme um sie und drückte seinen Kopf an ihre Brust. Sie rutschte noch etwas näher und kraulte seine blonde Wuschelmähne, küsste ihn zwischendurch und seufzte tief. „Tut mir leid, Schatz. Ich würde ja hier bleiben, aber ich habe Nika versprochen, dass ich mit ihr feiern gehe. Es hat sie etwas enttäuscht, dass sie organisch doch keine richtige Frau geworden ist. Und ihr Sperma konnte sie auch nicht rechtzeitig konservieren lassen. Das ist ein doppelter Rückschlag für sie. Deswegen müssen wir sie aufheitern. Nur wir Ladies.“ „Ist ja auch okay. Hast du mir ja gesagt. Ich hab’s nur irgendwie nicht gehört.“ Er seufzte und fuhr mit den Händen ihren Rücken hoch. Am liebsten würde er diesen sexy blaugestreiften BH gleich wieder aufmachen. „Ich komme ja wieder zurück. Heute Nacht irgendwann“ versprach sie, drückte ihn weg und gab ihm ein Küsschen auf die Lippen. „Wenn du solange wartest, bin ich dann auch lieb zu dir. Ganz besonders lieb. Okay?“ „Okay.“ Sie sah ihn an und er lächelte auch. Aber sie kannte ihn zu gut, um ihm die Fröhlichkeit abzunehmen. „Was ist los? Du siehst fertig aus. Harter Tag im Büro?“ „Ja, schon … Seto hatte schlechte Laune heute.“ „Hat er das nicht immer?“ „Nein. Heute war er richtig mies drauf.“ Er küsste ihren Hals und ließ sich dann wieder gegen ihre warme Brust sinken. „Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass er mir aus dem Weg geht. Und sein Blick war irgendwie … ich weiß auch nicht. Ich kann’s nicht beschreiben, aber irgendwie war er komisch heute. Wir haben doch kein Neumond, oder?“ „Nicht, dass ich wüsste. Hast du ihn darauf angesprochen?“ „Nein“ seufzte er und sah sie kurz an, bevor er sich wieder an sie schmiegte. „Er mag das nicht, wenn man ihn so auf den Kopf zu fragt. Wahrscheinlich würde er mir nicht mal antworten. Ich kenne ihn.“ „Aber wenn man merkt, dass bei Seto was im Busch ist, ist es meistens schon zu spät.“ Soweit hatte sie ihn auch durchschaut. „Vielleicht solltest du doch mal mit ihm reden. Oder Noah bitten. Mit Noah redet er doch auch immer.“ „Nee, wenn ich Noah auf ihn ansetze, killt er mich. Also Seto meine ich. Ich warte noch mal bis morgen ab und wenn er dann immer noch so ist, dann rücke ich ihm auf die Pelle. Vielleicht ist er ja grundlos mies drauf.“ „Meinst du, es könnte an Yugi liegen?“ „Yugi?“ An dem lag es selten, wenn Seto sich mies fühlte. Meistens war Yugi eher derjenige, der ihn wieder aufbaute. „Na ja, an seiner Veränderung“ erklärte sie genauer. „Seto hatte sich an Yugi gewöhnt. Ich könnte mir vorstellen, dass er diesen körperlichen Wandel weniger leicht wegsteckt als er vorgibt. Drachen mögen keine plötzlichen Veränderungen.“ „Vielleicht. In Setos Liebesleben stecke ich nicht so drin … ich muss mal bis morgen abwarten. Vielleicht mache ich mir nur schon wieder zu viele Sorgen um ihn. Ich habe nur einfach ständig Angst, dass ihm was passiert. Oder … oder dass er sich was antut.“ „Das kann ich verstehen“ tröstete sie und streichelte seinen Nacken. „Er ist immerhin dein bester Freund. Natürlich sorgst du dich um ihn.“ „Nicht nur weil er mein bester Freund ist. Er ist nur einfach emotional total labil. Und an so Tagen wie heute bekomme ich einfach Angst, dass er wieder Dummheiten macht.“ „Wenn sich das nicht ändert, kann ich ihm mal auf die Pelle rücken. Vielleicht kann ich ihn leider deuten als du.“ „Das mag er ja noch weniger“ seufzte er und drückte sich an sie. „Kriege ich wenigstens einen richtigen Kuss, bevor du mich zum Strohwitwer machst?“ „Oh! Armer, einsamer, verlassener Mann. Komm her.“ Sie nahm seinen Kopf in beide Hände, beugte sich herunter und drückte ihre Lippen an seine. Jetzt tat es ihr tatsächlich etwas leid, dass sie ihn allein ließ. Er machte sich Sorgen um seinen Drachen und wollte etwas abgelenkt werden. Und sie machte sich ausgehfein. Aber Nika konnte sie auch nicht hängen lassen. Ihr war diese Ladiesnight enorm wichtig. Und Joey war in ein paar Stunden ja auch noch da. Ein leises Klopfen schallte an der Tür und raubte Joey auch noch diesen kleinen, vertrauten Moment. Narla ließ sich zu leicht ablenken. „Ich bin gleich unten!“ rief sie zurück als die Tür aufging und überraschender Weise keines der Mädels, sondern Yugi hereinschaute. „Oh“ machte er große Augen. Narla oben ohne im Bett auf Joeys Schoß. Das sah nach etwas anderem aus. „Entschuldigt, ich wollte nicht stören.“ „Du störst nicht. Leider“ antwortete Joey mit Seitenblick auf seine Freundin, welche schon wieder vom Bett sprang und sich ein Shirt aus dem Kleiderschrank griff. „Was denn los, Mann?“ „Ich wollte nur fragen, ob Seto was zu dir gesagt hat.“ „Gesagt? Nee, was denn?“ Er setzte sich aufrecht hin und sah ihn sorgenvoll an. Jetzt ging das bei Yugi noch weiter mit dem Sorgenmachen. „Na ja, er ist noch nicht zuhause und ans Handy geht er nicht ran. Ich dachte, vielleicht hat er noch einen späten Termin bekommen oder so?“ „Nicht, dass ich wüsste.“ Er lehnte sich zur Seite, griff seinen handyähnlichen Computer und tippte etwas ein. „Er hatte nur heute Morgen einen Telefontermin, aber den hat Noah übernommen. Ansonsten war nix. Aber ich finde, er war sowieso komisch drauf heute.“ „Wieso komisch?“ „Yugi“ seufzte Narla und öffnete die Tür weiter. „Komm doch ganz rein.“ „Na gut.“ Er kam also ganz ins Zimmer und setzte sich ans Bettende. „Wieso war er komisch?“ „Wieso weiß ich nicht. Aber er hatte ziemlich schlechte Laune heute.“ „Hat er das nicht immer?“ „Ja, aber nicht so! Manno!“ Keiner verstand, was er meinte. Narla drückte dieselben, doofen Sprüche. „Joey meint, er hat komisch geguckt und war kurz angebunden“ übersetzte Narla und kämmte sich die nassen Haare durch. „War denn was zwischen euch heute Morgen, was ihm die Laune hätten verhageln können?“ „Nichts, weswegen er Grund zur Sorge gegeben hätte“ überlegte Yugi. „Er war zwar zuerst etwas überfahren, aber nachdem er von Sethos zurück war, schien er ausgeglichener. Also bei mir hatte er keine außerordentlich schlechte Laune.“ „Meinst du denn, dass er das so einfach wegsteckt?“ fragte Narla. „Was wegsteckt?“ „Na ja.“ Sie wies an ihm hinauf und hinunter und sagte damit eigentlich alles. „Meinst du nicht, dass ihn das erschreckt?“ „Meinst du, mich hätte das nicht erschreckt als ich so aufgewacht bin?“ „Du weißt doch, was ich meine.“ „Ja, ich weiß.“ Er zog die Beine aufs Bett und sah Narla nachdenklich an. „Ich hätte schon erwartet, dass er erst mal etwas auf Abstand geht. Das wäre nur normal für ihn gewesen. Aber er war eigentlich ganz zutraulich … vielleicht war ich auch zu euphorisch, um etwas zu bemerken, aber er würde keinen Sex mit mir haben, wenn ihn etwas stören würde. Also kann er so verschreckt nicht sein.“ „Ach Mann, Yugi“ seufzte Joey und kratzte sich am Kopf. „Was haben wir uns da nur angelacht? Ständig muss man sich Sorgen um ihn machen.“ „Aber er ist so furchtbar niedlich“ lächelte Yugi. Die Mühe, die man sich mit Seto gab, gab er sich im Gegenzug ja auch. Und er gab alles wieder zurück. Auf seine Art. „Na gut, wenn er nicht ans Handy geht, muss der Anrufer eben zum Handy gehen“ beschloss er und stand vom Bett auf. „Ich fahre ihn einfach im Büro abholen. Kannst du mit auf meine Kinder achten?“ „Klar, kein Thema. Bin ja sowieso allein heute Abend.“ Doch Narla schmunzelte nur über seinen vorwürflichen Blick und verzog sich ins Badezimmer. „Ich lege Joey einfach zu Tato ins Bett und plündere Setos Süßigkeitenverstecke, okay?“ „Danke, hast was gut bei mir.“ Er machte sich auf den Weg in sein eigenes Zimmer und überlegte dabei, was seinem Liebling schon wieder über die Leber gelaufen sein könnte. Wenn er Yugis Anrufe nicht beantwortete, war das schon ein negatives Signal. Aber hatte er irgendwelchen Druck ausgeübt, den Seto nicht verkraftete? Ja, er war sehr euphorisch und vielleicht einen Tick zu glücklich über sein neues Aussehen. Aber er hatte Seto doch gefragt, ob alles in Ordnung sei. Und wenn ihn etwas erschreckt hätte, hätte er sich niemals auf Sex eingelassen. Nicht nur, dass er sich nicht darauf eingelassen hätte, sondern es hätte doch auch gar nicht funktioniert. Seto konnte keine erotischen Gefühle empfinden, solang er emotionalen Ballast mit sich herumschleppte. Sex und Liebe gingen bei ihm Hand in Hand und wurden durch Harmonie zusammengehalten. Vielleicht war ihm irgendetwas passiert oder es war ihm irgendetwas gesagt worden, worüber er sich wieder den Kopf zerbrach … Eine Überraschung erlebte er jedoch als er zurück ins Zimmer kam. Wessen Klamotten lagen dort über dem Stuhl und wer kletterte da gerade mit Pyjama ins Bett? „Liebling?“ Er musste ihn also gar nicht abholen. „Ich habe dich gar nicht kommen hören.“ „War leise … die Kleinen schlafen.“ Er zog die Decke über sich und drehte ihm den Rücken zu. „Willst du schon schlafen? Bist du so müde?“ „Hm.“ „Och, Schatzi.“ Trotzdem war da irgendwas komisch. Normalerweise begrüßte Seto ihn wenigstens und fragte, was die Kinder den Tag über gemacht hatten. Aber dass er grußlos ins Bett verschwand, war selten. Er kletterte also zu ihm, zog die Decke ein Stück herunter und sah in seine geschlossenen Augen. „Ist alles in Ordnung, Liebling?“ „Hm …“ „Bekomme ich keinen Kuss?“ Seto seufzte und öffnete seine blauen Augen. Er sah wirklich müde aus. „Yugi, entschuldige.“ Er kam ihm ein Stück entgegen und erwiderte den vorsichtigen Lippenkuss. „Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich auch, mein Engel.“ Er streichelte über sein Haar und kraulte es, während er sich ganz dicht neben ihn legte. „Du bist ja wirklich total erschlagen. War dein Tag so anstrengend?“ „Hm … ja.“ „Was war denn los?“ „Nix.“ „Aber du bist doch sonst nicht so spät. Und ans Handy bist du auch nicht rangegangen.“ „Akku alle …“ „Hattest du Tato nicht versprochen, ihn heute ins Bett zu bringen?“ „Hm …“ Yugi seufzte. Das war mal wieder so eine ‚Alles aus der Nase ziehen‘-Aktion. „Du vergisst deine Versprechen doch sonst nicht. Was ist los?“ „Hmmm …“ „Liebling?“ „…“ „Liebling?“ Er streichelte ihm über die Wange, aber Seto atmete nur langsam aus, ließ eine kurze Pause und atmete dann gemächlich und tief wieder ein. Der war weg für heute. „Herrje, du musst ja todmüde sein.“ Er küsste ihn auf die Stirn und zog die dünne Decke über seine Schulter. Wenn er so furchtbar müde war, war es besser, ihn schlafen zu lassen. Sonst würde man eh kein anständiges Wort aus ihm herausbekommen. Dann eben morgen. Hauptsache, er war nach hause gekommen. Yugi rollte sich vom Bett und wollte noch die letzten Arbeiten erledigen, bevor auch er ins Bett ging. Leise ging er in Tatos Zimmer und holte die schmutzigen Klamotten vom Tage, besonders die Socken, von denen er heute ganze drei Paar verteilt hatte. Sobald Yugi ihm Strümpfe anzog, lief er ohne Schuhe herum, ärgerte sich dann, dass die Strümpfe schmutzig wurden und holte sich ein neues Paar. Na ja, lieber so als wenn er ganz barfuß herumlief und auf der Straße in irgendwas reintrat. Als er wieder herauskam, hörte er neben sich ein geflüstertes „Hey“ und sah Joey samt Baby neben dem Bett stehen und auf den schlafenden Drachen deuten. „Er hat sich rein geschlichen, während ich bei dir war“ antwortete er und holte den Wäschekorb aus dem Badezimmer. „Und schläft schon?“ wunderte auch Joey sich. „Er hat doch bestimmt noch gar kein Abendbrot gegessen.“ „Er war todmüde. Ist gleich eingeschlafen, sobald er lag.“ „So viel ist doch gar nicht los im Moment“ meinte er und beobachtete wie Yugi Setos Strümpfe aufhob und sie auch in den Wäschekorb tat. Danach das Hemd. „Willst du jetzt noch waschen gehen?“ „Muss ich. Die Kinder haben fast nichts mehr im Schrank. Tato hat einen Sockenvebrauch wie ein kleines Land und Nini zieht sich öfter um als ihre Barbie. Und Seto will ja auch frische Klamotten anziehen. Und ich muss meine neuen Sachen auch erst mal waschen, bevor ich sie anziehen kann.“ „Du bist echt die perfekte Hausfrau, was?“ „Das würde ich nicht sagen“ lachte er und nahm die Hose vom Stuhl. „Ich habe nur keine Lust, mir das Gemeckere meiner Familie anzuhören, wenn die Kleiderschränke leer sind. Nicht wahr, Liebling?“ Aber der antwortete gar nicht, sondern schlief einfach weiter seinen blauen Traum. „Siehst du? Keine Widerworte.“ „Sag mal“ guckte Joey skeptisch. „Kontrollierst du immer Setos Hosentaschen?“ „Routine. Bei den Kinder schaue ich auch immer, ob noch irgendwas da ist, was nicht in die Waschmaschine gehört. Seto lässt leider genauso gern Papiertaschentücher in den Taschen wie meine Kinder irgendwelchen Kleinkram, der dann die Maschine verstopft. Ein Mal hatte Tato eine ganze Hosentasche voller Gipspulver vom Nachbarn geklaut. Das wäre was geworden. Du wäschst nicht oft Wäsche, oder?“ „Wenigstens das macht Narla für mich. Was ist das?“ „Keine Ahnung.“ Bei seiner Routinekontrolle fand Yugi etwas, was eindeutig kein Taschentuch, kein Kleingeld, kein Gips oder sonstiger Kram war. Es war eine Rippe von Tabletten. Ursprünglich waren hier fünf Tabletten, kleine weiße Kügelchen, eingeschweißt. Doch von denen waren nur noch zwei vorhanden. „Das ist kein Aspirin.“ „Yugi, sind das neue Happy-Pillen?“ „Kann nicht sein. Sein Antidepressivum ist grünlich. Das hier ist was anderes.“ Er drehte die Rippe um und las vor: „Zolpiclon … kennst du das?“ „Yugi, ich und Medikamente. Ich erkenne Aspirin und Hustensaft und das war’s auch schon. Ach ja, und Renni räumt den Magen auf kenne ich auch.“ „Ja ja, schon gut.“ „Vielmehr wundert mich, was Seto sich da wieder reinpfeift. Ich denke, er nimmt keine Tabletten, ohne das mit dir abzustimmen. Das hattet ihr doch damals mit seinem Therapeuten so besprochen, oder nicht?“ „Ja, weil er suchgefährdet ist“ antwortete Yugi und versenkte die Hose im Wäschekorb - ohne Tabletten. „Ich google das mal. Hast du noch so lange Zeit?“ „Als wenn ich jetzt ruhig schlafen könnte, Mann. Ich lege die Kleine eben hin, ja?“ „Ja ja …“ Yugi machte sich währenddessen daran, seinen Laptop hochzufahren und nach diesem ominösen Medikament zu suchen. Als Joey sich neben ihn auf die Couch setzte, hatte er auch schon erste Ergebnisse. „Wenn ich die ganzen Fachbegriffe mal außen vor lasse, verstehe ich, dass das ein Schlafmittel ist.“ „Warum nimmt Seto Schlaftabletten?“ „Das verrät Wikipedia mir natürlich nicht.“ Er klappte den Laptop wieder zu und sah besorgt zum Bett. Warum nahm Seto Schlaftabletten und sagte nichts? Und dann auch gleich drei auf ein Mal. Kein Wunder, dass er so schnell weggeschlummert war. „Ist er denn in psychologischer Behandlung?“ „In Domino war er. Aber dann natürlich nicht mehr“ gestand Yugi und fingerte ratlos an den Tabletten herum. „Ich dachte, er hätte diese Alleingänge abgestellt. Er kann doch nicht einfach irgendwelche Tabletten nehmen.“ „Sind Schlafmittel nicht verschreibungspflichtig?“ „Wenn Seto was haben will, kriegt er es auch.“ „Nein, ich meine, nicht dass er ne Überdosis intus hat. Drei Tabletten von fünf klingt ziemlich viel.“ „Ich glaube nicht, dass man so schnell davon sterben kann. Aber ich hole mal vorsichtshalber Mokuba. Passt du auf Seto auf?“ „Weglaufen wird er wohl jetzt nicht“ meinte Joey, aber setzte sich dennoch ans Fußende des Bettes, um den schlafenden Drachen zu bewachen. Yugi indessen huschte hinüber zur nächsten Tür und klopfte kurz. Weil man ja nie wusste, was da drin gerade gemacht wurde, wartete er auf eine erlaubende Stimme von innen und ging dann erst hinein. Noah war gar nicht anwesend, dafür lag Mokuba auf dem Sofa, Happy End auf seinem Bauch und hielt das Telefon ans Ohr. „Hey, Yugi“ lächelte er und kraulte das dunkle Wuschelfell seines Katzenmädchen. „Was ist?“ „Kannst du kurz auflegen? Ich brauche dich mal.“ „Du, sorry. Ich muss aufhören“ entschuldigte er zum anderen Ende. „Ja, kannst du machen, der ist aber gleich weg. Ladies Night im Kino. … Natürlich! Und du grüß deinen Macker von mir. … Ja, mache ich. Tschaui tschaui!“ Er legte auf und schmiss das Handy zwischen die Kissen. „Schöne Grüße von James. Er und Enrico sind im Urlaub bei seiner Familie in England.“ „Danke. Kannst du kurz mit rüberkommen?“ „Was los, Yugi? Du siehst blass aus.“ Natürlich setzte er die kleine Katze hinunter und ging ihm nach. „Ist was wegen Seto?“ „Der Kandidat hat hundert Punkte.“ „Oh je. Noah meinte schon, er hätte heute ne merkwürdige Laune gehabt. Hat er sich schon wieder die Arme zerkratzt?“ „Das habe ich jetzt nicht kontrolliert.“ Sie kamen schon im Schlafzimmer an und Mokuba sah den Drachen neben Joey selig schlummern. Natürlich war das auf den ersten Blick kein Grund zur Sorge. „Und was fehlt ihm?“ „Nichts. Er hat eher ein bisschen zu viel.“ Yugi gab ihm die angebrochenen Tabletten und Mokuba las auch zuerst die Rückseite. „Das sind Schlaftabletten“ erklärte er zusätzlich. „Na ja, noch bin ich kein Arzt“ entschuldigte er und gab die Tabletten zurück. „Hat er denn die ganzen drei Pillen genommen?“ „Davon gehen wir mal aus. Er ist jedenfalls ins Bett gegangen und war sofort weg.“ „Ach, mein großer Bruder und seine Drogen“ seufzte er und setzte sich neben ihn aufs Bett. Er griff um ihn herum und legte die Hand auf seine Stirn. „Hat er Fieber?“ wunderte Joey sich sofort. „Nein, ich muss mich konzentrieren. Kannst du mal einen Moment ruhig sein?“ „Immer werde ich angemacht“ murmelte er, aber hielt dann wenigstens die Klappe. Mokuba hielt die Hand an der kühlen Stirn und spürte sich in ihn hinein. In seinen Körper, in seine Organe, in seine Blutbahn. Wenn er auch kein ausgebildeter Arzt war und vielleicht nicht der weltbeste Heiler, so konnte er zumindest von etwas Erfahrung und Naturtalent leben. „Sein Herz schlägt ganz normal. Und er atmet gut. Schmerzen hat er auch nicht“ erklärte er und zog die Hand zurück. „Ich spüre zwar die lähmende Wirkung des Medikaments, aber schaden wird es ihm nicht. Seine Leber beginnt schon, das Schlafmittel abzubauen. Ein kräftiger Kerl wie er braucht wohl schon eine erhöhte Dosis, um so weg zu knacken. Ich kann sein Blut reinigen, wenn du willst. Yugi?“ „Nein, lass ihn schlafen“ seufzte er und strich sich über die Stirn. „Ich schnappe ihn mir morgen früh.“ „Was könnte denn der Grund sein, dass er Schlaftabletten nimmt? Wusstest du davon?“ „Nein, ich hatte keine Ahnung“ musste er zugeben und betrachtete sein Sorgenkind mit Mitleid und Bange. „Aber es muss irgendetwas vorgefallen sein, dass er so was macht. Aus Spaß würde er das nicht tun. Er hat sich mit Absicht betäubt, das ist mal klar.“ „Sonst ist aber nichts.“ Joey hatte die Decke gelüpft und sich seine Arme angesehen. Da war zumindest noch alles heil. „Getan hat er sich nichts.“ „Schlaftabletten“ seufzte Mokuba ebenso besorgt. „Er weiß doch, wie leicht er von so was abhängig wird. Da hätte er auch gleich wieder Koks schnupfen können.“ „Er denkt sich eben immer was neues aus“ meinte Joey. „So neu ist das nicht“ korrigierte Yugi. „Vor einigen Jahren hat er schon mal angefangen, Schlaftabletten zu nehmen. Damals habe ich es aber rechtzeitig spitz bekommen und Seth hat über unsere Medikamente einen Zauber gelegt, der ihn abgeschreckt hat. Seitdem habe ich doch seine Medikamente zugeteilt. Mache ich eigentlich heute immer noch.“ „Er flüchtet aber gern in solche Betäubungszustände, bevor er Amok läuft“ machte Mokuba sich Gedanken. Er wusste genau wie sein großer Bruder tickte. Und er wusste auch, dass irgendetwas in ihm sehr aufgewühlt sein musste und auch, dass er leicht zu solcherlei Verzweiflungstaten neigte. „Sollen wir den anderen etwas sagen, damit sie auf ihn achten?“ „Das wäre ihm überaus peinlich. Und ich will ihn nicht schon wieder bloßstellen“ entschied Yugi sofort. „Lass uns die Sache nicht überdramatisieren. Ich werde morgen mit ihm sprechen und dann sehen wir weiter.“ Die Nacht über fand Yugi keinen Schlaf. Immerzu musste er darüber nachdenken, was es sein konnte, was seinem Liebling so auf der Seele lastete, dass er zu Tabletten griff. Nach all den Jahren und nach all den Strapazen und all den Liebesschwüren musste Seto doch wissen, dass es nichts gab, worüber er nicht sprechen konnte. Sie hatten gemeinsam seine Traumata in den Griff bekommen, sie waren durch seine Drogensucht gegangen, hatten den Alkohol verbannt und den Tod überwunden. Es gab kaum etwas, was das toppen konnte. Und dennoch waren Yugis Sorgen dieselben wie damals. Natürlich hatten Setos verschiedenen Ärzte nie etwas beschönigt. Yugi wusste, dass es niemals leicht für ihn sein würde. Er würde immer Gefahr laufen, einen Rückfall zu haben oder als Ersatz neue Psychosen zu entwickeln. Yugi konnte ihm keinen Vorwurf machen, denn er tat dies nicht mit Absicht. Wer solch eine Kindheit, wer so viel Hass und Verachtung und Demütigung erlebt hatte, für den war das Leben nun mal anders. Noch dazu, wenn man ein solch sensibles Wesen besaß. Und dennoch wünschte Yugi sich, dass ihre harmonischen und stabilen Zeiten einfach mal etwas länger andauerten. Chapter 42 Am nächsten Morgen machte Yugi die Kinder leise für den Kindergarten fertig. Er wollte Seto nicht wecken, sondern ihn von selbst aufwachen lassen, in Ruhe frühstücken und in möglichst entspannter Atmosphäre mit ihm über alles sprechen. Doch als er die Kinder zu Mokuba in den Wagen gesetzt hatte und danach mit einer Kanne Kaffee zurück kam - war Seto verschwunden. Hinterlassen hatte er nur einen Zettel: ‚Yugi, musste dringend ins Büro. Ich liebe dich über alles. Seto.‘ Wieder hatte er sich einem Gespräch entzogen und sich an ihm vorbeigeschlichen. „Das macht er extra!“ Also schrieb er ihm eine SMS: ‚Können wir nachher gemeinsam Mittagessen? Ich möchte mit dir sprechen. Ich liebe dich.‘ ‚Tut mir leid. Ich habe heute viel zu tun. Vielleicht heute Abend. Kuss.“ ‚Lieber Seto. Das war keine Bitte.‘ Es dauerte einige Momente, doch dann erhielt er sogar eine Antwort: ‚Ich bin gegen ein Uhr bei dir.‘ Und vorsichtshalber noch eine SMS an Joey und Noah - sie sollten ihn im Auge behalten, damit er nichts dummes tat … Im Büro las Noah die SMS von Yugi. ‚Bitte passt heute auf den Engel auf. Ihr wisst schon. Ich zähle auf euch, Yugi.‘ ‚Wird erledigt. Kuss, Noah.‘ Er legte gerade sein Handy beiseite als es an seiner Tür klopfte. Joeys Klopfen war ein schnelles Aufeinanderfolgen von drei Knöchelklopfern. Svalas Klopfen war meist nur ein Doppelklöpfchen, welches weniger Frage als Ankündigung war. Seto war der einzige, der drei Male mit dem Fingernagel klopfte. Und so wusste Noah sofort, dass sein heutiges Sorgenkind vor der Tür stand. Und was für ein Glück, dass sein Häschen ihm immer alles erzählte. „Komm rein, Seto!“ „Woher weißt du, dass ich es bin?“ fragte er und blieb im Türrahmen stehen. „Weibliche Intuition.“ Noah lächelte und schob das Handy an den Rand des Tisches als sei gar nichts los. Doch er konnte nicht umhin zu bemerken, dass Seto heute schlecht aussah. Sein Haar war stumpf und er wirkte ungeduscht. Seine Kleidung saß nicht so perfekt wie sonst und er war blass, fast bleich. Wer ihn einigermaßen kannte, sah ihm an, dass etwas nicht in Ordnung war. „Was kann ich für dich tun, Brüderchen?“ „Ich … hast du eine Minute Zeit, dass wir was besprechen können?“ „Auch zwei Minuten. Komm rein“ winkte er und rollte mit dem Schreibtischstuhl ein Stück zurück. „Wollen wir uns aufs Sofa setzen?“ „Nein, bleib sitzen.“ Er schloss die Tür hinter sich, nahm den Besucherstuhl von der Seite und setzte sich auf die andere Seite des Schreibtisches. „Möchtest du einen schwarzen Tee? Ich habe gerade …“ „Nein, mir ist schon schlecht“ raunte er und blickte an ihm vorbei aus dem Zimmer. Noah wartete einige Momente und betrachtete seine abwesenden, eisblauen Augen. Sie blickten ins Nichts, sie blickten in sich selbst hinein. Er musste sich abwenden, denn diese Augen wirkten auf einer sonderbare Weise hypnotisch. Seto nahm es wahrscheinlich nicht wahr, doch seine Mystik wurde immer offensichtlicher. „Was liegt dir denn auf dem Herzen, Süßer?“ „Was?“ Er horchte auf und realisierte, dass er ja zum Reden hier war und nicht zum Löcher in die Luft starren. „Ach so. Also, ich …“ Er zögerte, beobachtete wie Noah sich selbst einen Tee in sein indisches Glas eingoss und ihn fragend ansah. „Wegen der Email.“ „Email?“ Noah hatte etwas anderes erwartet. Vielleicht den Grund dafür, dass Yugi sich um ihn sorgte. Oder den Grund dafür, weshalb Mokuba schon wieder halb Amoki lief vor Sorge, sein Bruder könne wieder zu Drogen greifen. „Welche Email?“ „Von unserem Lieblingsschleimer aus Washington.“ „Ach, du meinst Pegasus.“ Deswegen war Seto so komisch drauf? Er zog seine Tastatur heran, öffnete besagte Mail und las sich den Text nochmals auf unterschwellige Botschaften durch, die Seto vielleicht aus dem Konzept gebracht haben könnten. „Die ist ja nicht mal von ihm direkt, sondern von seiner Sekretärin.“ „Ich weiß. Und was … was sagst du dazu?“ „Na ja, ist ja nur ein Terminvorschlag. Wenn Pegasus nächste Woche eh durch Europa tourt, ist es naheliegend, dass er uns treffen möchte. Wir haben ihn jetzt auch länger nicht persönlich gesehen.“ „Fehlen tut er mir nicht.“ „Mir auch nicht, aber ein bisschen müssen wir uns schon mit ihm befassen. Da beißt die Maus keinen Faden ab.“ Persönliche Abneigungen brachten sie leider nicht weiter. Industrial Illusions war ihr ärgster Konkurrent und sie mussten mit ihm klarkommen. „Außerdem interessiert es mich schon, wie er seine Unternehmensleitung umstellen will. Ich hätte es schon gern von ihm selbst erklärt und nicht über Gerüchte.“ „Er gibt morgen doch eh ne Pressekonferenz und unsere amerikanischen Direktoren sind eingeladen. Da muss er uns doch nicht noch persönlich belämmern.“ „Er reist doch eh auf dieser Seite des Atlantik herum, um seine europäischen Zweigstellen zu besichtigen. Wir werden wohl nicht drum herum kommen, ihn einzuladen. Wie würde denn das aussehen, wenn wir uns verkriechen?“ Seto blickte ihn an, ließ sich keine Gefühlsregung anmerken und glitt dann mit dem Blick zu Boden. „Seto, bitte sei ehrlich“ bat er und lehnte sich vertraulich auf den Tisch. „Hattest du schon wieder einen Disput mit Pegasus, der dich aus dem Konzept gebracht hat?“ „Ich bin nicht aus dem Konzept gebracht.“ „Verzeih, wenn ich das so sage, aber es sieht ein Blinder, dass dir was auf den Magen geschlagen ist.“ Er senkte den Kopf noch weiter, sodass ihm die Haare ins Gesicht fielen. Das tat er ganz automatisch, damit man seinen Ausdruck nicht mehr sah. „Seto, was ist los? Ich kann nicht mit Pegasus arbeiten, wenn ich nicht weiß, was zwischen euch war.“ Doch auch hierauf bekam er keine Antwort. Seto saß nur einfach da, versteckte sein Gesicht und erstarrte. Er bewegte sich einfach gar nicht mehr. „Bitte sprich doch mit mir. Sonst kann ich dir nicht helfen.“ „Ich … ich bin ein ganz schrecklicher Mensch.“ Er hielt sich die Hand über die Augen und schluckte mit einem leidlichen Ton seine überquellenden Gefühle herunter. Er zitterte wie Espenlaub und brachte außer einem jämmerlichen Ton kein Wort mehr heraus. Noah wollte aufstehen und zu ihm gehen, doch Seto hob abwehrend die Hand und bat ihn sitzen zu bleiben. „Ich fange mich gleich wieder“ schluchzte er und atmete tief, versuchte, sich zu beruhigen. Langsam setzte Noah sich in seinen Stuhl zurück und wartete ab bis Seto seine Fassung zurückerlangte. Er konnte erst mal nur ein Taschentuch aus der Schublade fischen und es ihm reichen. Wenigstens nahm er es und trocknete seine Augen. „Scheiß Tränen“ lachte er verzweifelt und tupfte sein Gesicht ab. Er war schon immer nahe am Wasser gebaut, aber gemocht hatte er das nie. „Es ist gut, wenn man weinen kann“ erwiderte Noah sanft. „Es ist schlimmer, wenn man es nicht kann.“ „Trotzdem hasse ich das.“ Er schnupfte seine Nase und atmete noch mal durch. „Geht’s wieder?“ „Ja … tut mir leid.“ „Kein Grund, sich zu entschuldigen. Habe dich schon schlimmer erlebt“ lächelte er und reichte ihm ein neues Taschentuch, damit Seto das alte wegwerfen konnte. Als das erledigt war und der Drache ruhiger wirkte, tastete er sich noch mal heran. „Was ist denn passiert, dass dich die Mail von Pegasus so aufwühlt? Ich hatte das Gefühl, dass ihr euch trotz eurer ‚Herzlichkeiten‘ ganz gut versteht.“ „Ach, Max ist mir doch egal“ tat er das ab, blickte kurz hoch und fing eine neue Träne mit dem Papiertaschentuch auf. „Noah, ich … ich fühle mich schrecklich. Ich bin ein … ein ganz … ein furchtbar verlogener Mensch.“ „Finde ich nicht“ widersprach er milde. „Was lässt dich so denken?“ „Ich dachte immer, ich liebe Yugi“ stammelte er und sah verzweifelt auf. „Aber was ist, wenn ich ihn nicht so sehr liebe wie ich immer sage? Wenn ich uns nur etwas vorgemacht habe?“ „Ich kenne niemanden, der sich so bedingungslos liebt und sich so überaus braucht wie Yugi und du“ antwortete er und ließ einen Moment Pause, versuchte Setos rätselhafte Mine zu deuten. „Und ich kenne niemanden, der für seine Liebe so hart gekämpft hat wie du. Du bist Yugi doch mit Haut und Haaren verfallen.“ „Aber wenn sich das nun ändert? Seth hat auch irgendwann seine Liebe für Yami verloren. Was ist, wenn mir dasselbe passiert?“ „Seto, du hast Yugi dein Herz geschenkt. Und das nicht nur symbolisch, sondern du hast dich ihm voll und ganz verschenkt. Davon abgesehen, hat auch Seth realisiert, dass er ohne Yami nicht glücklich sein kann. Du weißt, dass ich ein Skeptiker bin, aber wenn ich eines ganz sicher weiß, dann dass du und Yugi füreinander geschaffen seid. Ich würde sogar weiter gehen und sagen, dass ich an deine Beziehung zu Yugi mehr glaube als an meine eigene zu Mokuba. Warum zweifelst du an etwas, was einem Naturgesetz gleichkommt?“ „Weil ich mich vor ihm ekele“ flüsterte er fast unhörbar. Selbst der Vogel vor dem Fenster zwitscherte lauter. „Du ekelst dich …“ wiederholte er leicht verwundert. „Vor Yugi?“ Seto nickte und fing die nächsten Tränen mit dem Tuch auf. Das machte ihm wirklich zu schaffen. „Wovor genau ekelst du dich?“ versuchte er zu ergründen. „Vor Yugi oder vor seinem neuen Körper?“ „Ich … ich weiß nicht … mir ist schlecht.“ Er sah beiseite, seine Augen huschten nervös durch den Raum. Als wäre er gehetzt, als würde er jeden Moment ein Monster erwarten, welches ihn auffressen wollte. „Ich versuche, zu verstehen, was du meinst“ sprach Noah sachte weiter. „Das weiß ich doch selbst nicht … immer, wenn ich an ihn denke … ich ertrage ihn nicht. Seine Anwesenheit … ich weiß nicht, was mit mir los ist …“ „Hast du dieses Ekelgefühl seit gestern? Seit Yugi gewachsen ist?“ „Ja, es kam ganz plötzlich. Ich habe ja alles versucht, aber … ich kann das nicht. Ich habe Angst, dass ich Yugi nicht mehr liebe! Was soll denn aus mir werden, wenn ich ihn nicht mehr liebe? WAS SOLL DENN DANN AUS MIR WERDEN? OHNE IHN BIN ICH NICHTS ALS DRECK!“ „Beruhige dich. Wir finden eine Lösung.“ Noah wollte gern zu ihm gehen und ihn in den Arm nehmen. Aber eine Umarmung, wäre jetzt sicher keine gute Idee. Er hatte schon viele Gespräche mit Seto geführt, auch viele schwierige. Aber in diesem Moment fühlte er sich das erste Mal an seine Grenzen geführt. Eine Erklärung für Setos Gefühle war so schwer zu finden wie Leben auf fremden Planeten. Dabei war sein Fühlen im Grunde sehr schlicht … doch in seiner Schlichtheit zu kompliziert. „Yugi sieht doch eigentlich wunderschön aus! Oder Noah? Yugi ist doch schön?“ „Objektiv betrachtet ja.“ „Ich meine, er ist ja nicht abstoßend. Er hat eine makellose Haut und gerade Gliedmaßen und eine tiefe Stimme und klare Augen und … oh Gott.“ Er würgte und hielt sich die Hand vor den Mund. Noah bekam große Augen. Das würde doch wohl nicht so weit gehen? Er kippte gerade noch die Ziersteine aus einer Schale und hielt sie Seto unter, bevor der sich übergab. Zum Glück hatte er einen leeren Magen und sein Würgen brachte nur Galle, doch allein der Gedanke an Yugi überschlug in Übelkeit. Er ekelte sich wirklich. Er sagte das nicht nur bildlich, er ekelte sich ganz körperlich. „Oh Gott, das tut mir leid. Tut mir leid, Noah.“ „Hey, halb so wild. Die Schale hat nur 1500 Dollar gekostet“ tröstete er und half ihm als er aufstehen wollte. „Komm, wir gehen einen Moment an die frische Luft.“ Er spürte wie Seto bei seiner Berührung verkrampfte und und zwang sich ihm nicht auf. Die Schale ließ er neben der geöffneten Terrassentür stehen und achtete auf Setos wackeligen Schritte bis der auf einem Gartenstuhl Platz genommen hatte und leichter atmete. „Warte hier, ich hole dir ein Glas Wasser.“ Er gab sich Mühe, nicht allzu gehetzt zu wirken, sondern Ruhe auszustrahlen, damit auch Seto ruhiger wurde. Doch in seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Das hier war ein Fall für einen richtigen Psychiater und nicht einen Hobbypsychologen wie Noah. Doch wie sollte Seto das auch einem Psychiater erklären? Ich habe meinen Mann geliebt bis er durch einen Feenzauber gewachsen ist und jetzt muss ich mich vor Ekel übergeben? Jeder gute Psychiater würde Seto sofort in die geschlossene Anstalt verweisen. Noah zog sich einen Stuhl heran und reichte ihm ein Glas stilles, kühles Wasser. Für den Magen sicher nicht die beste Lösung, aber für Setos Gemüt wohl schon. Er legte ihm auch ein neues Taschentuch hin, falls er es brauchen sollte. So saßen sie erst einige Momente da, genossen den Schatten des Sonnenschirms und das Quaken der Enten auf dem Kanal. „Schau mal“ wies er dann den kleinen Hügel hinab. „Kennst du unsere Entenküken schon?“ Seto folgte seinem Fingerzeig und lächelte tatsächlich ein wenig. Die halbgroßen, bräunlichen, flauschig-fedrigen Dinger gefielen ihm. Sie waren so niedlich wie sie alle ihrer Mama hinterher paddelten und gemeinsam in ein gurrähnliches Geräusch einfielen. Er horchte auf als ein dunkles Etwas in die Nähe der Entenmama fiel und diese sofort aus dem Wasser hüpfte, auf das Ding zuwatschelte und es auffraß. Fragend sah er Noah an, der mit einem abgerupften Schwarzbrot dastand und Seto anlächelte. Der hatte gar nicht mitbekommen wie er sein Frühstücksbrot geholt hatte. „Hier.“ Er riss das Brot, welches nur dünn mit Butter bestrichen war, in zwei Hälften und reichte ihm eine davon. Da war die Ente auch schon ganz nahe und schnatterte fordernd die beiden Männer an. „Dante und Moki haben sie angefüttert.“ „Ach so.“ Seto nahm das Brot, rupfte ein Stück ab und schnippte es der braunen Ente hinüber, die sich sofort gierig darauf stürzte. „Ihr solltet euch richtiges Entenfutter besorgen. Zu viel Brot ist nicht gut.“ „Eigentlich bin ich dagegen, Wildtiere anzufüttern“ erwiderte Noah und ließ einen Krümel zu den Küken fallen, welche sich um seine Beine scharten. „Vorgestern stand Familie Quack nämlich mitten in meinem Büro und das fand ich nicht so komisch.“ „Ist doch niedlich.“ „Enten gehören auf den Teich oder auf den Teller. Sicher nicht ins Büro.“ Doch wenigstens lenkten die Viecher den traurigen Seto etwas ab. „So jung sind die Küken aber auch nicht mehr. Sie bekommen schon Federn“ zeigte Seto und fütterte Mamaente sogar aus der bloßen Hand. „Und bald haben die Küken auch Küken und dann kann ich meine Tür nach draußen gar nicht mehr aufmachen. Wenn Dante Enten füttern will, soll Moki mit ihm in den Zoo gehen.“ „Du bist gemein, Noah.“ „Ich bin nur realistisch. Hat nicht jeder so ein tierliebes Herz wie du“ erwiderte er, warf ihm ein kleines Lächeln zu und legte den Rest seiner Brotscheibe auf den Boden, wo sich die jugendlichen Küken dann darum stritten. „Vielleicht sollte ich meinen Lieblingsfreund Hello mit hernehmen. Der hat die Küken sicher auch zum Fressen gern.“ „Noah!“ Doch Seto lachte wenigstens etwas. Den Witz verstand er dann auch noch. „Ich meine ja nur.“ Es war klar, dass Noah sich lieber mit Enten herumplagte als diesen Kater freiwillig zu ertragen. Seto seufzte und rupfte noch mehr Brot für Mamaente ab. „Noah, ich habe Yugi angelogen. Ich habe ihm gesagt, ich fände ihn attraktiv.“ „Und das tust du nicht?“ „Ich verstehe es ja auch nicht“ sprach er nachdenklich und berührte die Ente mit den Fingerspitzen am Flügel. Obwohl er ein Drache war, schreckte das Geflügel überhaupt nicht vor ihm zurück. Nicht etwa, weil es zahm war, sondern einfach weil sie bei Seto, anders als bei anderen Menschen, überhaupt keine Gefahr spürten. Selbst Tiere fühlten die Sanftheit, die sein Wesen ausmachte. „Was genau fühlst du denn, wenn du Yugi ansiehst?“ „Ich fühle mich verwirrt und ängstlich … und mir wird übel“ antwortete er mit bedrücktem, leisen Ton. „Er sieht ja wirklich gut aus. Ich meine, er entspricht genau dem zivilisierten Schönheitsideal. Deswegen verstehe ich nicht, warum mich das so aufwühlt. Ich sollte mich doch für ihn freuen. Es war immer sein größter Wunsch, so auszusehen. Aber ich …“ „Aber du findest ihn nicht hübsch?“ „Doch, er ist hübsch. Aber du bist auch hübsch. Und Tristan auch und Mokuba. Selbst Joey ist irgendwie hübsch. Yugi ist ja nicht hässlich. Ich meine, er hat keine eitrigen Abszesse im Gesicht oder verkrüppelte Gliedmaßen. Deswegen verstehe ich nicht, was mich so abstößt.“ „Vielleicht genau das.“ „Was?“ „Dass er so aussieht“ versuchte Noah ihn zu ergründen. „Stell dir vor, Yugi wäre ein Brandopfer und am ganzen Körper vernarbt und entstellt. Würdest du dich davor ekeln?“ „Natürlich nicht! Hässlichkeit ist kein Grund, sich …“ „Aber vor seiner Attraktivität ekelst du dich“ sprach er ernst weiter. „Ich bin so kaputt im Kopf“ seufzte er und gab auch sein letztes Stück Brot her. „Was ist, wenn ich allen nur etwas vorgemacht habe? Wenn meine Liebe nicht so stark ist wie ich geschworen habe? Es kann doch nicht sein, dass ich meinen eigenen Mann nicht berühren will. Das ist doch nicht normal.“ „Niemand hat jemals behauptet, du seiest normal“ tröstete Noah mit einem kleinen Seitenhieb. „Seto, du hast sehr hart an dir gearbeitet bis du dich auf körperliche Nähe einlassen konntest. Du musstest wochenlang in stationäre Behandlung, bevor man dich mal drücken konnte. Doch bei Yugi hast du dich doch immer schon wohlgefühlt. Oder nicht?“ „Ich weiß nicht …“ „Wir haben das doch gesehen. Während du in Panik ausgebrochen bist, wenn dich jemand nur mal falsch angesehen hat, konnte Yugi schon mit dir Händchen halten. Als wir dir das erste Mal auf die Schulter klopfen konnten, hast du schon mit Yugi gekuschelt. Und als wir dich endlich umarmen konnten, hatte Yugi schon Sex mit dir. Von Anfang an war es immer Yugi, der dir nahe kommen konnte.“ „So einfach war das für mich nicht …“ „Aber es war einfacher als bei anderen“ präzisierte er. „Vielleicht lag es genau daran, weil Yugi so weich und freundlich aussah. Du hast dich von ihm niemals bedroht oder beengt gefühlt. Du wusstest von Anfang an, dass du ihm körperlich überlegen bist und konntest seine Nähe vielleicht genau deshalb zulassen.“ „Ich bin ihm körperlich nicht überlegen. Überhaupt nicht“ gab er beschämt zur Protokoll. „Er muss mich nur richtig anfassen und ich falle um wie ein gefällter Baum. Niemand hat mich mehr in der Hand als er.“ „Doch das habt ihr nicht gewusst, bevor ihr euch nahe gekommen seid. Erst als du seine Nähe zugelassen hast, habt ihr erkannt, wie du funktionierst. Und da hattest du dich schon in ihn verliebt. Ich glaube, du hast dich einfach an Yugi gewöhnt. Du brauchst nicht nur mentale Sicherheit von ihm, sondern auch körperliche. Du kennst Yugis Körper und du hast gelernt, ihn zu lieben und diese Liebe zuzulassen. Und ich wage die These, dass dich Yugis körperliche Veränderung vor allem mental verwirrt.“ „Ich bin nicht verwirrt. Ich kann dir ganz genau erklären, wie Yugis Körper aufgebaut ist.“ „Ich meine nicht dein rationales Urteilsvermögen. Ich meine dein Unterbewusstsein. Dein Unterbewusstsein kannst du nicht beeinflussen. Du hast gelernt, mit Yugis Körper zu kommunizieren, doch nun spricht er plötzlich eine andere Sprache als die, welche du gelernt hast. Dein Kopf sagt dir, dass es noch immer derselbe Yugi ist. Derselbe Yugi, den du liebst, dem du vertraust und den du begehrst. Doch dein Unterbewusstsein sagt dir, dass da eine ganz ostentative Veränderung vorliegt und mahnt dich zur Vorsicht. Weil eine extreme Vorsicht ein Teil deines Wesens ist. Und dieser Ekel, den du empfindest, ist etwas, was dein Kopf nicht erklären kann. Dein Unterbewusstsein ekelt sich, weil es die Signale, die von Yugis Körper ausgehen nicht mehr deuten kann.“ „Aber ich liebe Yugi“ bestand er fest darauf und sah Noah an, wurde unsicher. „Oder zumindest glaube ich das.“ „Seto, ich habe einen Freund in Indien. Jeevan. Jeevan leitet unsere Sozialprojekte im nördlichen Umland von Mumbay.“ „Ich kenne Jeevan.“ „Umso besser. Seine Eltern haben ihm eine Braut ausgesucht, die genau seinen Präferenzen entspricht. Sie ist wunderschön. Sie hat eine dunkle Haut, glänzend schwarzes Haar, rehbraune Augen und eine wirklich traumhafte Figur. Außerdem ist sie intelligent und ihm intellektuell gewachsen. Sie haben dieselben Vorlieben für Musik, denselben Humor und dieselbe Weltanschauung. Sie können sich stundenlang unterhalten und er ist überaus gern mit ihr zusammen. Ich habe sie kennen gelernt. Sie ist eine echte Ausnahmefrau, ein bezaubernder, faszinierender, begehrenswerter Mensch.“ „Aber?“ „Aber er liebt sie nicht. Er fühlt sich zwar emotional, aber nicht körperlich zu ihr hingezogen. Er kann es sich nicht erklären, denn alles ist perfekt. Alles ist wie er es sich gewünscht hat. Jeevan konnte mir nicht mal erklären, was anders sein sollte. Fakt ist aber, dass er sich nicht erotisch zu ihr hingezogen fühlt. Objektiv betrachtet ist sie eine wunderschöne Frau, aber er begehrt sie nicht.“ „Das hat mit meinem Problem wenig zu tun.“ „Das denke ich nicht. Denn er hat vor drei Monaten eine andere Frau kennen gelernt und sich verliebt. Sie ist arm und lebt in einem Slum, der von ihm betreut wird. Ihr Geld verdient sie, indem sie in der Stadt kleine, selbstgemachte Tuchstrickereien an Touristen verscherbelt. Sie ist Analphabetin und gut zwanzig Kilo zu dick. Sie ist all das, wovon er niemals geträumt hat und all das, was seine Familie niemals für ihn wollte. Aber aus irgendeinem Grunde fühlt er sich zu ihr hingezogen. Bei ihr hat er das Gefühl, dass einfach alles stimmt. So ist Liebe nun mal.“ „Du meinst also, ich liebe Yugi nur solange er ‚hässlich‘ ist?“ „Nein, das will ich nicht sagen. Ich will nur sagen, dass der Kopf und das Herz allein nicht über Zu- oder Abneigung entscheiden. Eine reine Kopfliebe macht dich kaputt. Eine reine Herzliebe zerfrisst dich. Wichtig ist, dass du all deine Bedürfnisse berücksichtigst. Denn es ist auch der Körper, der sein Recht einfordert. Und ob du es wahrhaben willst oder nicht, auch du hast körperliche und vor allem sexuelle Bedürfnisse. Und nur wenn dein Kopf, dein Herz und dein Körper einen Kompromiss finden, im besten Falle sogar alle dasselbe begehren, nur dann fühlt sich deine Liebe erfüllt an.“ „Noah …“ Er legte die Stirn in die Hand und seufzte tief. Spätestens jetzt kam er nicht mehr mit. Er verstand nicht, worauf Noah hinauswollte. „Ich habe Angst, dass ich Yugi nicht mehr liebe. Ich meine, der Körper allein darf doch nicht über Zu- oder Abneigung entscheiden. Die Liebe im Herzen ist doch viel wichtiger.“ „Ja, vielleicht. Aber wenn Moki ein Mädchen wäre, würde ich mich wahrscheinlich sexuell wenig zu ihm hingezogen fühlen. Ich müsste erst versuchen, meinen Kopf, mein Herz und auch meinen Körper in Einklang zu bringen. Entweder müsste ich eine Beziehung ablehnen oder ich müsste versuchen, mich an den weiblichen Körper zu gewöhnen. Ich müsste erst lernen, ihn als Mädchen anziehend zu finden. Und ich bin ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Ich glaube, du hast dich auch deshalb in Yugi verliebt, weil diese Vorliebe für kleinere Männer schon immer in dir war. Vielleicht ist es dir nie so bewusst geworden, aber du liebst Yugi nicht nur auf mentaler, emotionaler, sondern auch auf einer sexuellen Ebene. Und nun wo du dich sexuell nicht mehr zu ihm hingezogen fühlst, gerät dein Liebesgefühl aus den Fugen. Und gerade ein, entschuldige bitte den Ausdruck, ein Sensibelchen wie du reagiert auf so etwas sehr empfindsam. Das ist es, was ich vermute.“ „Aber ich fühle mich so verlogen“ zagte er noch immer. „Yugi war immer für mich da. Egal, ob ich abgemagert war, verletzt, high oder sterbenskrank. Er hatte niemals eine Barriere, er hat mich immer bedingungslos geliebt. Auch körperlich. Es ist doch meine Pflicht, dasselbe für ihn zu empfinden.“ „Gefühle und Begierden unterliegen keiner Pflicht, mein Brüderchen. Man kann sie haben, manchmal kann man sie auch lernen. Aber man kann sie nicht erzwingen. Wenn du dich zwingst, Yugi zu begehren, setzt du dich selbst einem Druck aus, dem du nicht standhalten kannst. Yugi ist erst zwei Tage so verändert und du bist schon am Ende deiner Kräfte. Wie willst du das durchhalten?“ „Ich weiß es nicht … ich muss es einfach.“ „Hast du mit Yugi darüber gesprochen?“ „Nein … das kann ich nicht.“ „Das solltest du aber“ bat er intensiv und versuchte ihm in die Augen zu sehen. „Yugi hat ein Recht darauf, dass du ehrlich zu ihm bist. Wenn Yugis Körper ein Problem für dich ist, ist das euer beider Problem.“ „Nein … es ist nur mein Problem.“ „Das denke ich nicht. Was willst du tun, wenn er mit dir schlafen will? Das funktioniert doch so nicht.“ „Doch, es funktioniert“ flüsterte er schuldbewusst. „Ich habe schon mit ihm geschlafen.“ „Ja, aber ich meine, mit diesem Körper. Wenn du dich nicht zu ihm hingezogen fühlst, kannst du nichts erzwingen. Wenn er dich nicht erregt, kannst du nichts tun.“ „…“ „Seto, du musst mit ihm reden.“ „Ich habe ihm was vorgespielt“ gestand er mit bodengewandtem Blick. „Du hast …?“ Jetzt kam Noah ausnahmsweise mal nicht ganz mit. „Was genau hast du ‚vorgespielt‘?“ „Er hat nichts gemerkt“ hauchte er und wurde immer leiser. „Ich habe mich nicht berühren lassen. Ich habe nur so getan als ob ich einen Orgasmus hätte und habe ihm nur meinen Rücken gezeigt. Ich habe ihm was vorgespielt.“ „Du hast Yugi einen Orgasmus vorgespielt?“ Das war nicht wahr! Das konnte nicht wahr sein! „Ich habe schon gehört, dass Frauen so etwas tun, aber Männer … ich meine … entschuldige, wie gaukelt man eine Ejakulation vor?“ „Indem man so tut als bräuchte man ein Taschentuch …“ „Du bist kreativer als ich dachte.“ Er pustete in die Luft und lehnte sich geschafft im Stuhl zurück. Seto hatte Yugi einen Orgasmus vorgespielt. Das sollte ihm mal jemand nachmachen. „Glaubst du, dass das richtig war?“ „Ihn anzulügen, ist nicht richtig. Das weiß ich auch“ stritt er mit zitternder Stimme von sich. „Aber ich kann ihm das nicht kaputt machen. Endlich geht sein größter Wunsch in Erfüllung und … und … ich … er hat doch ein Recht darauf. Nach allem, was er für mich getan hat, hat er ein Recht darauf, dass ich dasselbe für ihn tue.“ „Ich glaube nicht, dass er glücklich darüber wäre.“ „Aber ich musste es tun!“ Seto schlug den Kopf herum und verteidigte sich nach Worteskräften. So bitter, dass die Entenmama ihn warnend anquakte und ihre Kleinen ins Wasser trieb. „Du hast nicht gesehen wie glücklich er war! Seine Augen haben gestrahlt und er war so zufrieden wie noch nie! Sein größter Wunsch ist ihm endlich erfüllt worden! Er hat so viel für mich getan und er hat es nicht verdient, dass ich mich … dass ich mich ziere! Ich muss ihn doch auch glücklich machen!“ „Aber Seto“ bat Noah sanfter. „Liebe und Sex sind keine Pflichten. Du solltest mit ihm schlafen, weil ihr es beide wollt. Und nicht weil du dich dazu verpflichtet fühlst.“ „Aber er hat es verdient, glücklich zu sein!“ „Glaubst du, er wäre glücklich, wenn er wüsste, dass du beim Gedanken an ihn das Kotzen kriegst?“ Nun blieben Seto alle Rechtfertigungen und alle Erklärungen im Halse stecken. Natürlich wäre Yugi nicht glücklich und das wusste er auch. Aber dennoch … dennoch … er hatte es verdient, glücklich zu sein. „Seto, du machst viel mehr kaputt als du bewahrst“ bat Noah und lehnte sich zu ihm. Nur mit dem Ergebnis, dass Seto zurückwich. „Beim Sex ist Vertrauen eine unverzichtbare Grundlage. Wie soll er dir vertrauen, wenn du ihm etwas vormachst?“ „Ich schaffe das schon noch. Ich kriege das hin.“ „Bitte sei vernünftig“ beschwor er und legte die Hände auf die, nachdem Seto seine Arme fortzog, leere Stuhllehne. „Du machst es nur schlimmer. Du bist doch jetzt schon völlig fertig. Wie stellst du dir vor, soll es weitergehen?“ „Ich schaffe es schon noch.“ „Was denn? Was willst du denn schaffen?“ „Ihn erotisch zu finden. Ich werde mich daran gewöhnen und es lernen.“ „Das ist natürlich sehr ehrenvoll von dir“ seufzte er und nahm die Hände wieder zurück. Er wollte ihn ja nicht bedrängen. „Aber glaubst du nicht, dass dein Mann ein Recht darauf hat, darum zu wissen? Wenn du wirklich daran arbeiten willst, dann hat er ein Recht darauf, mit dir gemeinsam zu arbeiten.“ „Aber … aber …“ Er senkte den Blick und die Stimme. Er wusste ja selbst nicht wirklich, wie es weitergehen sollte. Er wusste nur: „Yugi wäre enttäuscht von mir. Nach allem, was er für mich getan hat, reicht meine Liebe nicht mal, um über seinen Körper hinwegzusehen. Das hat er nicht verdient.“ „Wenn deine Liebe nicht reichen würde, fiele dir das alles hier nicht so schwer.“ „Aber ich liebe ihn doch. Wie kann ich mich da vor ihm ekeln?“ „Verzeih, wenn ich das so direkt sage“ bat Noah und versuchte, möglichst einfühlsam zu klingen. „Ich glaube, du bist zu weit gegangen. Anstatt dich an Yugis Veränderung zu gewöhnen, hast du dich selbst erniedrigt und eine Lüge aufgebaut, die du kaum aufrechterhalten kannst. Du hast dich selbst sabotiert und in eine Notlage gebracht.“ „Danke, das hilft mir sehr.“ „Du solltest mit Yugi darüber sprechen“ insistierte er und fasste seine Hand. Er musste endlich zu ihm durchdringen. „Bitte Seto, du machst dich kaputt. Nichts hat Yugi weniger verdient als das.“ „Was weißt du schon?“ Er zog seine Hand zurück und stand vom Stuhl auf. „Du weißt nicht, wie es ist, so sehr in der Schuld eines anderen zu stehen! Es ist meine Pflicht, alles für Yugi zu tun. Auch wenn es mich selbst schädigt.“ Noah atmete tief, wollte sich nicht auch noch zu Überreaktionen hinreißen lassen. „Aber du schädigst nicht nur deine Seele, mein Brüderchen. Du schädigst Yugis Vertrauen in dich, wenn du ihn belügst.“ „Und genau deshalb muss ich alles tun, um ihn glücklich zu machen.“ „Du hast dich da in etwas verrannt. Du machst Yugi nicht glücklich, indem du ihm etwas vorspielst, was gar nicht da ist. Wenn du Yugi wirklich liebst, dann hat er vor deiner Leidenschaft vor allem deine Ehrlichkeit verdient. Selbst wenn du dich dafür entscheidest, seinen neuen Körper lieben zu lernen, so schaffst du das nicht mit erzwungenem oder vorgetäuschtem Sex. Das schafft ihr nur gemeinsam. Durch sanfte Berührungen, durch Vertrauen und viel Geduld. Du zäumst das Pferd von der falschen Seite auf, Seto.“ „Ich bin es Yugi schuldig, ihn sein Glück genießen zu lassen. Ich darf ihm das jetzt nicht kaputtmachen! Verstehst du das nicht?“ „Doch, ich verstehe dich. Aber je länger du ihn belügst, desto auswegloser wird deine Situation. Ich kenne dich und ich weiß, dass du diesem Druck nicht standhältst. Du provozierst etwas, was vermeidbar wäre.“ „Das war nicht das, was ich hören wollte“ sagte er mit kalter Stimme. „Ich werde lernen, Yugi zu begehren und seinen neuen Körper so zu lieben wie seinen alten. Das und nichts anderes hat er verdient. Das bin ich ihm schuldig.“ „Seto, bitte höre auf mich. Ich bitte dich.“ Er stand auf, ging langsam den einen Schritt auf ihn zu und hielt ihm unbedrohlich die Hände entgegen. „Du musst mit Yugi sprechen. Bitte.“ Er kam direkt vor ihm an und bat ihn ins Antlitz. „Du machst dich kaputt und Yugi auch. Bitte sprich mit ihm. Wenn du es nicht kannst, dann tue ich es.“ Doch Seto beugte sich mit verengten Augen zu ihm herunter und zischte ihm ins Gesicht. „Wehe du sagst ihm auch nur ein Sterbenswort. Wenn du ihm auch nur etwas andeutest, lernst du mich kennen, Noah.“ Und dem blieb nun seinerseits alles im Halse stecken. „Du drohst mir?“ „Das ist eine Sache zwischen Yugi und mir. Und wenn du dich da einmischst …“ „Du bist doch zu m i r gekommen, Seto. Du bist derjenige, der meinen Rat hören wollte.“ „Deinen Rat vielleicht, aber deine Hilfe brauche ich nicht. Also halte dich zurück, bevor ich mich vergesse, klar?“ „Seto, habe ich jemals etwas ausgeplaudert, was du mir anvertraut hast?“ So langsam bekam Seto schon Angst vor den falschen Leuten. Er versetzte Noah noch einen letzten, kalten Blick und verließ dann die Terrasse, das Büro und das Gebäude. Und hinterließ einen sehr zwiegespaltenen Ratgeber. Er liebte Seto über alles … doch in diesem Moment fürchtete er ihn zum ersten Mal … Chapter 43 Yugi kam gerade die Treppe hinauf und fand Seto in einem angeregten Gespräch mit seinem kleinen Bruder. Nicht nur, dass er die Worte „Studium“, „Uni“ und „Zuhause“ hörte, verwunderte ihn, sondern vor allem, dass Seto zuhause war. Es war gerade mal elf Uhr am Vormittag und er hatte ihn erst zum Mittagessen erwartet. Zumal er ihm gestern Abend und heute Morgen so aus dem Wege gegangen war. „Guten Tag die Herren“ grüßte er verwundert und sah Seto an. „Was treibt dich denn hier her?“ „Du. Was sonst?“ Er lächelte, beugte sich das erstaunlich kurze Stück herab und küsste ihn. Nicht weich und kurz, sondern richtig saftig, sodass Yugi fast den Wäschekorb hätte fallen lassen. „Wow!“ keuchte er und taumelte gegens Treppengeländer. „Wie bist du denn drauf?“ „Habe ein gutes Geschäft abgeschlossen. Jetzt bin ich auch wieder besser gelaunt.“ „Aha … und worüber habt ihr eben gesprochen?“ „Darüber, dass ich einen Brief von der Uni bekommen haben“ erzählte Mokuba mit besorgtem Blick. „Wenn ich weiter Student bleiben will, soll ich vor Ort eine mündliche Zwischenprüfung ablegen.“ „Warum das denn? Ich dachte, das mit dem internationalen Studiengang wäre geklärt.“ „Ist es im Grunde auch. Aber Mokeph und ich haben uns seit den Semesterferien zu Weihnachten in keiner Uni mehr blicken lassen. Und im Gegensatz zu meinem Yami habe ich gar keine Hausarbeiten abgeliefert.“ „Jetzt macht sich deine Faulheit doch bemerkbar“ versetzte Seto. „Danke für die Aufbauarbeit, großer Bruder.“ „Kein Problem.“ „Aber hier in Blekinge gibt es doch auch eine Uni“ meinte Yugi. „Warum kannst du da nicht eine Zwischenprüfung machen?“ „Weil ich nicht eine einzige Vorlesung besucht habe und die Profs mich gar nicht kennen. Wenn ich nicht vor Semesterende nach Domino reise, werde ich exmatrikuliert. Es ist eh nur Noah zu verdanken, dass ich trotz meines unzureichenden NC zum Studium zugelassen wurde. Wenn Mokeph und ich da rausfliegen, ist das echt scheiße. Und ich stehe noch höher auf der Abschussliste als er.“ „Dann flieg doch nach hause, mach die Prüfung und komm zurück.“ „Das an sich ist ja auch nicht sein Problem“ erklärte Seto. „Aber er hat nicht eines seiner Bücher angefasst.“ „Doch, ab und zu habe ich schon mal reingeguckt“ verteidigte er sich. Wenn auch etwas schwach. „Mokeph schafft die Prüfung ja vielleicht sogar. Aber ich … ich falle da garantiert durch.“ „Weil du faul warst.“ „Ja, ich weiß. Danke, Seto.“ „Tja, Moki“ musste da auch Yugi mitleidig lächeln. Das hatte er nun davon. Er wollte unbedingt Arzt werden, um genau zu sein medizinischer Wissenschaftler, aber dafür musste er eben auch etwas mehr tun als nur mal Post-Its in Bücher kleben. Mokeph hatte zwischendurch wesentlich mehr fürs Studium getan als er. Und das obwohl sein Yami zwei Kinder mehr und eine wütende Ehefrau hatte. „Eigentlich reicht es ja, wenn Mokeph hingeht“ schmunzelte er zu schelmischen Gedanken aufkeimend. „Ich gebe ihm meinen Haarglätter und meinen Ausweis und niemand merkt den Unterschied.“ „Nur deine Patienten merken später den Unterschied.“ „Du verstehst auch gar keinen Spaß, was?“ guckte er dunkel an Seto hoch. Auch wenn das nur zur Hälfte ein Spaß gewesen war … „Sprich am besten mit Noah“ riet Yugi. „Er kennt sich bei diesen universitären Organisationssachen am besten aus und soweit ich weiß, hat er doch ganz gute Kontakte unter den Professoren. Und den einen Tag können wir dich sicher auch entbehren und danach kannst du hier weiter studieren. Ich meine, wer weiß wie lange wir hier noch festsitzen?“ „Irgendwie will ich ja schon wieder nach hause“ gab er zu. „Blekinge ist zwar eine schöne Stadt und auch nicht gerade klein, aber Domino ist mir irgendwie doch lieber. Ich vermisse meine Freunde und Opa.“ „Ja, Opa vermisse ich auch“ seufzte Yugi. „Ich habe ihn gefragt, ob er zu meinem Geburtstag in zwei Monaten nicht herreisen will, aber da ist in Domino gerade Ferienende und im Laden viel los.“ Und was im Gegensatz zu Yugi und Seto alle wussten: Opas Rücken war kaputt. Der Alte konnte sich kaum bewegen, geschweige denn eine so weite Reise auf sich nehmen. Noah hatte ihm einige vertrauenswürdige Männer und Frauen aufgedrängt, welche im Laden halfen und ihm auch eine sehr gute Krankengymnastin verpflichtet. Doch wenn Yugi erfuhr, dass sein Großvater im Krankenhaus gelegen hatte, würde er vor Sorge keinen klaren Gedanken mehr fassen können. Und dasselbe galt für Seto. Also entsprachen alle Mitwisser Opas Wunsch und verschwiegen sein Gebrechen. Schweren Herzens und nicht ganz reinen Gewissens. „Wir werden deinen Geburtstag auch so gebührend feiern“ munterte Mokuba ihn lieber auf. „Das letzte Mal, dass du eine zwei im Alter hast. Das Jahr drauf wirst du schon 30.“ „Ja, da biste neidisch, was?“ schlug Yugi zurück. „Jetzt sehe ich endlich so alt aus wie ich bin.“ „Ich sehe auch aus wie 26.“ „Nur benimmst dich nicht so“ kommentierte Seto. „Was bist du gehässig heute, Großer“ schaute Mokuba ihn beleidigt an. „Ich will nur, dass mal mehr aus dir wird als Noahs Anhängsel. Wenn du Mediziner werden willst, musst du jetzt bald mal Gas geben, Kleiner.“ „Ich setze mich keinem Druck aus. Das gibt nur Falten. Und das ist medizinisch sogar erwiesen“ meinte er und schnalzte über die Schulter. „Ich fahre weg, wer will mitkommen?“ „Mau!“ „Mauwau!“ „Miiiaaaauuuu!“ Drei mal vier Samtpfötchen liefen aus verschiedenen Ecken herbei. Zuerst Happy Birthday, welche aus Mokubas Schlafzimmer kam. Dann Happy End, welche vom Fenstersims des Flures herunterhüpfte. Und Happy Eastern, welcher die Treppe heraufsprang. „Kommt, wir fahren Tjergen besuchen.“ „Ihr habt euch wohl doch noch richtig gern, was?“ stellte Yugi fest. „Tjergen ist okay“ erwiderte Mokuba. „Ich finde ihn faszinierend und außerdem glaube ich, dass wir auf einer Welle liegen. Und ich glaube, er braucht auch mal einen Freund, der mit ihm und nicht mit seinem Beruf befreundet ist.“ „Warum auch nicht? Gleich und gleich gesellt sich gern, oder?“ „Na klar. So, Pfötchenarmee, auf zum Wagen!“ „Maauuuaaa!“ „Miiaauu!“ „Maunz!“ Und so tobten sie zu viert die Treppe herunter, Katzenhauptmann Mokuba und seine drei Kuschelsoldaten. „Diese Katzen sind mehr Hund als Katz“ schüttelte Yugi den Kopf. „Das sind die Siamgene“ meinte Seto und nahm ihm den Wäschekorb ab. „Du wolltest mit mir sprechen?“ „Ähm ja. Komm rein, Liebling.“ Zwar freute Yugi sich über die ausgesprochen gute Laune, jedoch konnte er auch die Wegschleichsache und die Tablettengeschichte nicht beiseite schieben. Dies bedurfte Klärung, am besten unter vier Augen. Sie gingen ins Zimmer, Yugi schloss die Tür und Seto setzte den Korb mit der sauberen Wäsche auf dem Bett ab. Um eine möglichst entspannte, beiläufige Stimmung beizubehalten, nahm Yugi eine kleine Jeanshose aus dem Korb und begann die Sachen zusammenzulegen. Seto setzte sich aufs Bett und sah ihm zu. Tatos Jeans, ein Shirt und noch ein Shirt begannen den ersten Haufen. Ein rosa Kleidchen und zwei Schlüpfer den zweiten. Setos Haufen zählte nur erst mal zwei Hosen, dann kamen noch ein paar von Tatos Sachen. „Tato ist ein ganz schöner Dreckspatz, oder?“ bemerkte Seto. „Genau wie Jungs sein sollten“ lächelte Yugi. Noch länger nachzudenken, würde nichts bringen. Er musste seinem Mann auf den Zahn fühlen. „Was hast du denn für ein gutes Geschäft abgeschlossen, dass du so früh zurück bist?“ „Das würde dich nur langweilen. Viel interessanter, dass Maximilion uns nächste Woche besuchen will.“ „Pegasus kommt nach Blekinge?“ „Mitsamt seiner neuen Vorstände. Ich habe nicht so viel Lust darauf, aber Noah meinte, wir sollten seine Leute mal kennenlernen und auch sehen wie er so drauf ist. Es ist jetzt ne ganze Weile her seit wir uns persönlich getroffen haben.“ „Ist das auch der Grund, weshalb du gestern so müde und heute so früh weg warst?“ „Ja, so halb. Die Ereignisse haben sich etwas überschlagen, aber jetzt habe ich genug Zeit für dich.“ Er lächelte Yugi an und der besah sich dieses Lächeln sehr skeptisch. Seto wirkte ehrlich und erstaunlich entspannt. Hätte er gestern die Tabletten nicht gefunden, würde er ihm sogar glauben. Also versuchte er sich an einer kleinen List. „Schau mal“ zeigte er und zog eine schwarze Stoffhose aus dem Korb. „Die Hose hattest du erst gestern an und schon ist sie wieder sauber und trocken. Was sagst du dazu?“ „Gute und schnelle Arbeit, Mr. Muto“ lobte er in Arbeitgebermanier. „Sie haben sich ihren Halbjahresbonus verdient. Und eine Belobigung, wenn Sie sie zudem noch bügeln.“ „Aha.“ Kein Anzeichen von schlechtem Gewissen oder davon, dass er irgendetwas vermisste. „Kann ich dich mal etwas fragen?“ „Kannst es ja mal versuchen.“ „Ich untersuche ja immer die Taschen der Kleidung, bevor ich sie wasche“ begann er und legte beiläufig die Hose zusammen. „Und bei dir habe ich gestern etwas gefunden.“ „Oh, das tut mir leid“ bat er und zog die Augenbrauen zusammen. „Habe ich schon wieder Taschentücher stecken lassen?“ „Nein, nicht direkt.“ Nach der Hose griff er sich Ninis Strumpfhose. „Ich habe Schlaftabletten in deiner Hosentasche gefunden.“ „Ach die. Die habe ich ganz vergessen.“ Er stritt es nicht ab? Das wunderte Yugi jetzt ein wenig. Okay, eine Tatsache abzustreiten, wäre ohnehin vergeblich, aber Seto wirkte nicht einmal beunruhigt. Ganz im Gegenteil, er wirkte fast gruselig gut gelaunt. „Okay … Liebling, woher hast du denn die Tabletten?“ „Die habe ich mir vom Arzt verschreiben lassen.“ „Du warst beim Arzt?“ „Ja, Freitagabend. Entschuldige, das muss irgendwie in der Hektik untergegangen sein. Ich dachte, ich hätte es dir schon erzählt.“ „Erzählt? Was denn?“ „Ich stand ziemlich unter Stress. Die Sache mit Sethos und dann diese Dinge, die auf mich einprasseln. Manchmal bin ich wie gelähmt und komme nicht von der Stelle. Wie bei einer Panikattacke. Worüber wir schon gesprochen haben.“ „Okay. Und weiter?“ „Ich war beim Arzt und er hat meine Krankenakte aus Domino angefordert. Ich habe ihm gesagt, dass ich wieder vermehrt an Panikkrämpfen und Alpträumen leide und er verschrieb mir diese Beruhigungsmittel.“ „Da fehlten schon drei Tabletten.“ „Eine habe ich noch am Freitag genommen. Eine am Montag und gestern Mittag die letzte. Ich werde mir wohl auch wieder einen Psychiater hier in Blekinge suchen.“ Und lachend setzte er hinzu: „Auch wenn ich noch nicht weiß, was ich ihm für eine Geschichte auftischen soll.“ Yugi sah ihm in die Augen und legte das hellgrüne Kleid aus der Hand. Er ging um die Bettecke herum und setzte sich neben Seto. Hörte aber nicht auf, ihn anzusehen. „Was ist?“ So langsam wurde er misstrauisch. „Du guckst so komisch.“ „Ich glaube dir kein Wort“ eröffnete er ernst. „Du gehst zum Arzt, nimmst Tabletten, willst dir einen Psychiater suchen und sagst mir überhaupt nichts?“ „Weißt du, es war so viel los und …“ „Ich hasse es, wenn du lügst“ unterbrach er mit harter Stimme. „Hältst du mich für blöde oder so?“ „Yugi, ich …“ „Und jetzt will ich die Wahrheit hören, Seto. Woher kommen die Tabletten wirklich?“ „Vom Arzt. Sage ich doch. Ich habe nur vergessen, dir etwas zu sagen. Ich dachte, ich hätte es dir schon erzählt.“ „Du vergisst so etwas nicht“ hielt er sehr ernst dagegen. „Wenn du es mir nicht erzählt hast, wem hast du es dann erzählt?“ „Ähm …“ Das erste Zögern. Aber er durfte nicht zögern. Er durfte sich seine Ruhe nicht nehmen lassen. „Noah habe ich es gesagt. Aber er sagt so was nicht weiter. Ich meine … das ist ja nichts, womit man hausieren geht.“ „Noah also, ja? Und wenn ich Noah jetzt anrufe, würde er diese Geschichte bestätigen?“ „Glaubst du mir etwa nicht?“ „In dieser Hinsicht nicht. Dafür kenne ich dich zu gut.“ Er stand wieder auf, sah Seto durchdringend an und machte sich zurück an den Wäschekorb. Er wusste, dass ihm hier eine Lüge aufgetischt wurde. Er wollte Seto vertrauen, er wollte ihm glauben, aber alles in ihm läutete Alarmglocken. „Yugi, ich nehme nicht unkontrolliert irgendwelche Tabletten“ legte er für sich selbst ein gutes Wort ein. „Darüber bin ich hinweg. Das ist alles ärztlich kontrolliert.“ „Dann würde ich diesen Arzt gern kennen lernen. Bisher habe ich immer mit deinen Ärzten gesprochen. Mir ist wohler, wenn ich weiß, wem du Einblick in dein Seelenleben gewährst.“ „Das hat ja mit Seelenleben nichts zu tun. Das ist nur ein normaler Hausarzt. Er hat mir die Tabletten nur einmalig gegen die Krämpfe verschrieben und gesagt, ich solle mich wieder in Behandlung begeben. Ich habe sogar eine Überweisung im Büro liegen.“ „Na ja, dann kann ich diesen normalen Hausarzt doch sicher auch kennen lernen, oder?“ fragte er genauer nach. „Wo bist du denn hingegangen? Zu Doktor Larsson?“ „Nein zu … zu Doktor Muwambi Kassandri Dowamba Misaringe. Das ist ein afrikanischer Arzt.“ „Den Namen kann ich mir ja kaum merken.“ „Reicht doch, wenn ich ihn erinnere“ lächelte er und fühlte sich auf der sicheren Seite. Je komplizierter es wurde, desto weniger würde Yugi nachforschen können. „Aber so viele afrikanische Ärzte gibt es in Blekinge ja sicher auch nicht. Ich frage einfach Arnor, wo der ist.“ „Ähm … der hat seine Praxis aber Montag geschlossen.“ „Na ja, heute ist Mittwoch.“ „Nein, ich meine er hat sie am Montag für immer geschlossen. Er hat sie aufgegeben.“ „Ach!“ Na, was für eine Überraschung. „Warum?“ „Das war nur ein internationaler Austausch. Er geht jetzt zurück nach Mosambik.“ „Er macht eine Praxis auf und kaum bist du in Behandlung, wandert er aus?“ „Vielleicht habe ich ihn ja erschreckt“ lachte er und kratzte sich verlegen am Kopf. Doch Yugi reichte es jetzt. Er schmiss Tatos Socken zurück in den Waschekorb und ballte die Fäuste. Er musste sich sehr beherrschen, um nicht laut zu schimpfen und Seto damit zu verschrecken. „Was ist? Ist dir nicht gut?“ „Ich koche vor Wut“ erklärte er mit gezügelter Stimme. „Du tischst mir hier eine Lüge nach der anderen auf und erwartest, dass ich das schlucke. Was ist los mit dir?“ „Gar nichts“ verharmloste er. „Du machst dir wieder viel zu viele Sorgen. Das führt doch zu nichts.“ „Und wenn ich mich nicht sorge, führt es dich irgendwann wieder in einen geschlossenen Entzug. Ich kenne dich und ich weiß, wie verdammt leicht du in Abhängigkeiten rutschst.“ „Ich weiß. Aber du übertreibst.“ „Was habe ich getan, dass du mich so dermaßen verarschst?“ fragte er und vor Wut stiegen ihm die Tränen in die Augen. „Ich war immer fair zu dir, ich habe dir immer geholfen und immer versucht, Verständnis zu zeigen. Ich mache alle deine Merkwürdigkeiten mit und verteidige dich vor bösen Stimmen. Ich bin immer geduldig und ruhig. Was läuft schief, dass du jetzt wieder anfängst, zu lügen?“ „Yugi, ich lüge nicht. Du weißt doch, dass die Wahrheit manchmal abstruser ist als jede Lüge.“ „Gut, dann nimm deine Jacke“ forderte er auf, drehte sich um und nahm seine neuen Schuhe in die Hand. „Wir fahren jetzt zur Handelskammer, da sind alle Einrichtungen in Blekinge verzeichnet. Und da zeigst du mir dann diesen afrikanischen Arzt.“ „Der wird da nicht mehr drinstehen. Der ist doch weg.“ „Aber in der Historie können wir ihn finden, meinst du nicht?“ „Wir haben doch Mittwoch. Mittwochs hat die Handelskammer früh geschlossen.“ „Hörst du dir eigentlich zu, Seto? Du findest auf alles eine Ausrede.“ „Ich rede mich nicht raus. Aber du beschuldigst mich hier, dass ich lüge und wirfst mir uralte Geschichten vor. Das ist nicht viel besser, Yugi. Du bist ziemlich unfair!“ „Okay, ich will mich nicht streiten.“ Er schlüpfte dennoch in seine Schuhe und blickte Seto dann ernst an. „Ich fahre jetzt ins Aquarium. Ich möchte, dass du hier in der Nähe bleibst und wenn ich in etwa zwei oder drei Stunden wieder zurück bin, möchte ich, dass du in dich gegangen bist und wir dann noch mal ehrlich miteinander sprechen. Bitte überlege dir, ob du deine Behauptungen aufrecht erhalten möchtest oder nicht.“ „Aber Yugi! Ich lüge nicht!“ „Wie dem auch sei“ sprach er ernst weiter. „Ich werde auch nicht nachprüfen ob du die Wahrheit sagst oder nicht. Ich glaube dir einfach. Weil ich dich liebe und weil ich dir vertrauen will. Aber wenn du mich trotzdem anlügst, musst du damit leben, dass du mir etwas ganz, ganz, ganz schlimmes antust.“ Er verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Und damit saß Seto allein auf dem Bett und fragte sich: „Was habe ich denn falsch gemacht?“ Doch diese laute Frage zielte weniger darauf ab, weshalb er Yugi weiter angelogen hatte, sondern eher darauf, weshalb der ihm diese Lüge nicht abgekauft hatte. Seto hatte sich zusammengerissen und ihm trotz seines schmerzenden Magens und des Würgereizes einen möglichst innigen Kuss gegeben. Er hatte sich um ein Lächeln bemüht, um gute Laune und eine ruhige Stimme. Was bitte hatte er falsch gemacht, dass Yugi ihm misstraute? War er zu fröhlich? Zu viel gelächelt? Irgendwo musste der Fehler liegen … Als nächstes fragte er sich: „Was mache ich jetzt?“ Er stand auf und lief mit wenigen Schritten zur Badezimmertür. Dort drehte er um und lief um die Couch herum zum Fenster, blickte hinaus. Die Straße war ruhig, nur ein paar Passanten mit Einkaufstüten und eine Gruppe Schuljungs, welche an der Straßenbahnstation warteten. Er drehte sich um und ging an Tatos Zimmertür vorbei, an Ninis Zimmertür vorbei und zum Badezimmer und zurück zum Fenster. Doch es wollte ihm keine Idee kommen, was er nun tun sollte. Yugi ahnte, dass etwas im Busch war. Es mussten die Tabletten gewesen sein, die ihn alarmiert hatten. Er hätte sie nicht in der Hose stecken lassen dürfen. Er wusste doch, dass Yugi die Kleidung vor dem Waschen durchsuchte. Wie konnte er nur so dumm sein und das vergessen? Nein, er hatte es eigentlich nicht vergessen, aber es fehlte die Zeit. Mit bereits betäubtem Kopf darauf zu warten bis Yugi aus dem Zimmer raus war, sich dann schnell hereinschleichen, den Pyjama anziehen und ins Bett gehen, bevor Yugi ihm ein Gespräch, einen Kuss oder noch mehr abforderte. Sein Kopf war einfach zu müde gewesen, um noch an solch eine Kleinigkeit zu denken. Hätte er die Tabletten einfach zwischen den Akten versteckt, würde er jetzt nicht in diesem Salat stecken. „VERDAMMT!“ Er schlug den Kopf an die Wand und biss die Zähne zusammen. Er durfte Yugi nichts sagen. Er musste sich ganz schnell eine andere Geschichte einfallen lassen. Alles, nur nicht die Wahrheit. Was sollte er denn auch sagen? Dass er ihn eklig fand? Dass er ihn nicht berühren wollte? Dass er ihn weder ansehen, noch hören konnte? Dass er Angst bekam bei jeder seiner Bewegungen? Er liebte Yugi doch! „VERDAMMT!“ Er schlug den Kopf nochmals gegen die Wand und lehnte sich dagegen. Sein Hirn schwindelte und ein Pochen breitete sich an seiner Stirn aus. Warum nur glaubte Yugi ihm nicht? Er musste ihm glauben, damit er glücklich sein konnte. Wenn Seto ihm sagte, dass er diesen Körper verabscheute, würde Yugi den Zauber rückgängig wünschen und somit seinen größten Wunsch aufgeben. „VERDAMMT! WARUM?! WARUM BIN ICH SO VERKOMMEN?!“ Er knallte mit dem Kopf nochmals gegen die Wand und fühlte den wohltuenden Schmerz. Er erinnerte ihn daran, dass sein Problem real war. Yugi war real. Die Folgen seines fehlerhaften Handelns waren real. Wenn er seinen schöneren Körper aufgab, wenn er ihn für Seto aufgab, würde er niemals wirklich glücklich werden. Er würde sich immer fragen, ob manches anders wäre, wäre er nicht so klein. Nein, nicht Yugi war das Problem. Seto war das Problem, weil er damit nicht zurechtkam. „ICH BIN SO NUTZLOS!“ Er knallte den Kopf gegen die Wand. Noch mal. Und noch mal. Er schmeckte das Aroma von Eisen auf seiner Zunge und von seiner Stirn lief es warm über die Wange und tropfte das Kinn hinab. Sein Kopf schmerzte, aber viel schlimmer drehte sich sein Magen um, sein Herz verkrampfte und er konnte ein Schluchzen nicht zurückhalten. „Was soll ich denn sagen? Was mache ich? Warum?“ Seine Knie knickten ein und er glitt die Wand hinunter auf den Boden. Wenn Yugi herausbekam wie wenig Seto mit dieser Situation klarkam und sich zurückwünschte - er würde niemals ein wahrhaft erfülltes Leben führen. „Warum kann ich dich nicht so lieben wie du mich?“ Er schlug mit der Schläfe gegen den Türrahmen und schluchzte laut auf. Er wusste nicht weiter. Yugi würde zurückkommen und er würde ihm nicht glauben. Wenn er ihn anlog, tat er Yugi etwas furchtbares an. Und wenn er die Wahrheit sagte, tat er Yugi etwas furchtbares an. Es gab kein Entkommen. Aus der Ferne hörte er eine Stimme langgezogen und etwas zu schrill schreien. Er wusste, es war seine eigene Stimme, doch er konnte den Atem nicht anhalten. >Ich darf jetzt nicht zusammenbrechen< flehte er aus seinem Innersten. Doch sein Kopf schlug wie von selbst gegen die Wand und der Schmerz und der Schwindel waren so beruhigend. >Ich darf nicht zusammenbrechen … ich darf nicht zusammenbrechen … ich muss mich beruhigen … ich muss … ich muss mich beruhigen … hör auf zu schreien … du musst … du musst musst musst …< Er hörte sich Schreien, er hörte das dumpfe Geräusch seines krachenden Kopfes gegen die Wand, er schmeckte das Blut und es nahm ihm die Augensicht. Ach, hätte er doch nur diese blöden Tabletten genommen und würde diese Sache einfach überschlafen. Ihm war schwindelig, alles drehte sich. Nur das krachende Geräusch der Wand und das angenehme Gefühl im Kopf lenkten ihn von der Frage ab, was sein würde. Was sein würde, wenn … wenn … alles … schwarz … Bevor seine Augen wieder Licht sahen, spürte er vor allem ein warmes Gefühl in seinem Rücken. Ein warmes, weiches, ungewohntes Gefühl. Seine Unterschenkel und sein Nacken jedoch fühlten sich angenehm kühl an. „Ist jedenfalls besser als ein Notarzt.“ Das war Tristans Stimme, die da an Setos Ohren drang. Sie sprachen über Notärzte? War denn jemand verletzt? „Okay, ich spreche mit ihm.“ Es war Narlas Stimme, welche ihm antwortete. Dann hörte er Schritte und das Schließen einer Tür. Im Hintergrund war ein Plätschern zu vernehmen. Wie ein kleiner Bach. Dann hörte es wieder auf. Erst als Seto ein kühles Gefühl an seiner Nase fühlte, kniff er die Augen zusammen und versuchte sie langsam zu öffnen. Seine Sinne waren gedämpft und sein Kopf von einem stumpfen Pochen erfüllt. Jedes Zwinkern seiner Augen und das helle Licht taten weh. „Seto, ganz langsam.“ Tristans Stimme klang besorgt und er fühlte ein schweres Gefühl an seinen Schultern. Wurde er etwa heruntergedrückt? „Bleib liegen. Es ist alles in Ordnung. Wir kümmern uns um dich. Ganz ruhig.“ Nur langsam sammelten sich die Eindrückte. Tristan saß neben ihm und drückte ihn tatsächlich aufs Bett hinunter. Aber der Druck ließ nach und er nahm dann auch seine Hände fort, seufzte und sah ihn besorgt an. „Verstehst du mich? Kannst du mich sehen?“ Er öffnete den Mund, wollte ihm antworten, dass er ihn sehr gut hörte. Doch es kam nur ein heiseres Hauchen hervor. Als wäre keine Stimme in seinen Lungen. Also schloss er erschöpft die Augen und nickte. Jede Bewegung seines Kopfes entfachte einen Blitz von Schmerz zwischen den Schläfen und er stöhnte auf. Es war also doch noch Stimme in ihm. „Bleib liegen. Ein Arzt kommt gleich“ beruhigte er und legte seine Hand auf Setos Brustbein. Für gewöhnlich fasste er ihn nicht so vertraulich an, jedoch entspannte es den schmerzenden Körper und selbst Seto verspürte wie sein Atem leichter wurde. Tristans warme, kräftige Hand fühlte sich behütend an. Angenehm. Fürsorglich. Seto wusste nicht genau, was los war. Sein Kopf war taub, von Schmerzen durchzogen und lähmte den ganzen Körper. Doch gleichzeitig fühlte er sich unter Tristans Hand so wohl. Er überlegte, was geschehen war. Er erinnerte sich an Yugis Forderung, dass er ehrlich sein sollte. Und danach an die Verzweiflung. Wie verzweifelt er eine Antwort suchte. Eine Antwort, die er Yugi geben konnte. Eine Antwort, welche ihm geglaubt wurde. Eine Antwort, welche nicht dazu führte, dass Yugi den Körper aufgab, den er sich seit so vielen Jahren wünschte. Doch wie sollte Seto das schaffen? Er fühlte wie sich dieser Druck in ihm aufbaute und er zusammenzuckte. Doch Tristans Hand hielt ihn ruhig, sodass er nur den Kopf zur Seite ruckte. „Ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung“ beruhigte Tristan und legte die andere Hand zusätzlich an Setos Wange. Das fühlte sich noch besser an. Warm und geborgen. Dann dämmerte ihm, was geschehen war. Er hatte sich den Kopf angeschlagen. Nicht aus Versehen. Aber auch nicht absichtlich. Es war einfach passiert. Seine Gedanken hatten sich von seinem Körper getrennt und irgendwie war es plötzlich so erleichternd ruhig. „Thristan“ hauchte er und versuchte zu ihm aufzublicken. Er erheischte einen kurzen Blick in sein besorgtes Gesicht, doch dann wurde ihm schwindelig und er musste die Augen schließen. Im Hintergrund war wieder dieses Plätschern zu hören. Wo kam das her? Was war passiert? War es wieder passiert? „Hatte hich einhe Attackhe?“ „Sah so aus“ antwortete er mit weicher Stimme. „Ich bin froh, dass du wieder bei Bewusstsein bist. Hast du Schmerzen?“ „Jha“ hauchte er und setzte wie in Trance hinzu: „Geschieht mhir recht.“ „Ach Seto“ seufzte er und streichelte seine Wange. Dazu sagte er nichts weiter. „Dheine Hände fühlen shich schön han.“ „Danke.“ Da war es wieder. Dieses Plätschern. Das machte ihn wahnsinnig. „Whas ist dhas?“ „Was denn?“ „Ah, du bist wieder unter uns.“ Er hörte Tatos Stimme. Er hörte Schritte und sah dann einen Schatten auf der linken Seite. Ein Gewicht drückte die Matratze herab und er spürte eine andere, intensivere Hand, welche sich an seine Hüfte legte. Er öffnete die Augen und sah das gealterte Gesicht seines Sohnes über sich. Die blauen Augen fuhren prüfend über seinen Körper bis sich ihr Blick traf. Jedoch nur kurz, bevor ihm wieder schwindelig wurde und er den Brechreiz unterdrücken musste. Das Zucken in seinem Bauch ließ seine Schläfen schmerzen. „Sieht aus als hättest du eine Gehirnerschütterung.“ Tato klang abgeklärter und härter als Tristan. Aber auch durch seine Hand auf dem Körper verspürte er eine unendliche Fürsorge. „Sollen wir Papa anrufen, dass er herkommt?“ „Auf keinen Fall! AAHH!“ Er sank zurück in die Kissen und atmete den Schmerz aus seinem Kopf fort. Das war ja schrecklich. „Schon gut. Bleib einfach liegen“ bat nun auch er und legte seine Hand neben die von Tristan, welche seine Brust sanft drückte und das Atmen erleichterte. Dann hörte er wieder dieses Plätschern. Er öffnete die Augen und huschte schwindelig über die Decke, neben Tato, neben Tristan. Doch dann war es wieder weg. „Hört ihr dhas auch?“ „Was denn?“ fragte Tristan verwundert. „Was hörst du immer, Seto?“ „Dhas Plätschern. Irgendwho plätschert hes.“ „Das ist der Spatz. Er wischt den Boden“ antwortete Tato. Er rutschte höher, griff unter Setos Schultern und hob ihn vorsichtig an. Sein Kopf schmerzte noch mehr, aber es wurde besser als er erhöht lag. Nun konnte er auch ein wenig besser sehen. Phoenix setzte sich ans Fußende und lächelte ihn halb tröstend, halb besorgt an. In diesem Moment stellte er einen kleinen, weißen Eimer auf den Boden und trocknete sich die Hände in einem Handtuch ab. Er wischte also den Boden? „Wharum?“ Der Boden war doch sauber. Yugi war ein guter Haushälter. Eine Antwort bekam er nicht, doch je mehr sich sein Blick klärte, desto besser erkannte er seine Lage. Er sah rote Spuren mitten auf der weißen Wand und darunter einige kleinere, welche sich bis zum Boden tüpfelten. Um seine Beine waren feuchte, kühle Handtücher geschlungen und das kühle Gefühl in seinem Nacken stammte von einem gefrorenen Coolpad, welches von einem flauschigen Handtuch umwickelt war. Nur die Wärmflasche in seinem Rücken passte nicht zu der Kühlung. „Die ist, damit dein Kreislauf nicht ganz abkackt“ erklärte Tato seinen Gedanken. Seto seufzte und ließ sich ins Kissen zurücksinken. Je ruhiger er wurde, desto mehr kamen seine Sinne zurück. Dumpf, aber langsam. Um seinen Kopf spürte er nun auch einen Druck von außen. Wahrscheinlich hatte man ihm eine Wunde auf der Stirn verbunden. Irgendwo musste das ganze Blut an der Wand ja herkommen. Er hatte also doch einen Panikanfall gehabt. Er wollte das nicht. Er hatte versucht, es zu verhindern. Doch sein Körper hatte sich selbstständig gemacht und seine Seele mit hineingezogen. Es war genau wie Noah es kritisiert hatte. Yugi war kaum einen Tag verändert und schon brachte es ihn ans Ende seiner Kräfte. Wie sollte er das durchhalten? Wie sollte er seine Lüge zu Yugis Wohlbefinden aufrecht halten, wenn er sich selbst nicht aufrecht halten konnte? „Mama?“ Tato trennte ihn abermals von seinen Gedanken und berührte behutsam seine Schläfe. „Wir können Onkel Moki im Moment nicht erreichen, aber Dr. Aksel Mäkinen ist hier. Er ist ebenfalls ein Heilhexer und er hat sich bereiterklärt, sich deinen Kopf mal anzusehen.“ „Meinen … Kopf.“ Er meinte wahrscheinlich das Ding zwischen seinen schmerzen Schläfen, dem pochenden Hinterkopf, den flackernden Augen und den knirschenden Zähnen. „Arnor und Finn haben Dr. Mäkinen beide ihr Vertrauen ausgesprochen. Wenn es für dich in Ordnung ist, würde er sich zu dir setzen.“ „Ein … ein fremder Heiler …“ Seto hatte zwar viel Erfahrung mit diversen Ärzten, aber einen anderen Heiler als den eigenen Bruder hatte er noch nie an sich gelassen. Sicher war auf die Empfehlung von Arnor und Finn viel zu geben, aber ein fremder Heiler mit fremder Kraft? Im ersten Augenblick schnürte sich seine Kehle zu bei dem Gedanken daran. Doch im zweiten Augenblick fuhr ein Zischen durch seinen Kopf, welches der Kehle sagte: Halt die Klappe, Alter! „Jha, ist okay“ hauchte er und schloss die Augen. Ihm wurde schon wieder schwindelig. Er hatte schon so viel Mist verbockt und wenn er Yugi jetzt auch noch so unter die Augen trat, war alles aus. Dann würde er diese Sache gar nicht mehr selbstständig geregelt bekommen. Eine schnelle Heilung versprach wenigstens etwas Hoffnung. „Eraseus?“ Seto hatte niemanden hinter Tato sehen können, doch die Stimme des Heilers war angenehm tief und klang ruhig, sodass er nur irritiert war, doch zumindest nicht erschrocken. Er öffnete die Augen und sah einen Mann neben dem Bett knien. Wie die Stimme bereits vermuten ließ, ein älterer Herr. Sein hellgraues Haar war nach hinten gelegt und seine Haut sonnengebräunt. Seine Augen waren zwar recht klein, aber von freundlichen Lachfalten umrandet. Ein sehr schlanker Mann mit positiver, fröhlicher Aura. „Oder möchten Sie, dass ich Sie Mr. Muto nenne?“ „Egal.“ Das war ja nun das geringste seiner Probleme. „Dann sage ich Mr. Muto, wenn es recht ist“ suchte er sich aus und betrachtete Setos Gesicht, seinen ganzen Kopf eindringlich. Dann seinen Hals und seine Brust, auf welcher noch immer Tristans Hand lag. „Mr. Muto, Ihr Sohn hat mir gesagt, Sie haben es nicht gern, wenn man Sie berührt. Für eine Heilung, müsste ich Ihnen jedoch die Hand auflegen. Ich würde mich in ihre Physis einfühlen und ihre Selbstheilungskräfte anregen, sodass Sie sich im Endeffekt selbst gesunden. Da ich bereits seit meiner Kindheit Magier heile, bin ich sehr erfahren. Wo ich Sie berühre, ist daher völlig gleichgültig. Wenn Sie gestatten, würde ich Sie nur ganz leicht an der Hand berühren. Sie dürfen mir aber natürlich gern eine andere Stelle, welche Ihnen angenehmer wäre, erlauben.“ Der Mann war ruhig und wirkte nicht im Geringsten einschüchternd. Dass er ihn anfassen wollte, rührte zwar eine gewisse Unruhe in ihm an, jedoch schmerzte ihn sein Kopf so sehr, dass er vieles tun würde, um dem abzuhelfen. Außerdem musste er schnell wieder auf den Beinen sein. Mit einer Gehirnerschütterung konnte er nicht mit Yugi diskutieren und sich auch keine praktikable Lösung einfallen lassen. „Mr. Muto“ sprach der Arzt nochmals mit dunkler, milder Stimme. „Ich werde nichts tun, was Sie mir nicht gestatten.“ „Mein Khopf thut weh“ atmete er und wollte die Augen nicht vor ihm schließen. Er musste sehen, was der Mann tat. Er musste die Unruhe und den Fluchtreflex in Zaum halten. Auch wenn ihm dabei schrecklich schwindelig wurde. „Ich kann Sie auch an der Stirn berühren“ bot der Heiler an und erwiderte den starren, blauen Eisblick mit Freundlichkeit. „Ich nehme nur eine Fingerspitze dazu. Sie werden kaum etwas von mir fühlen. Zumal ein Verband zwischen uns ist.“ „Nhein … nehmen Sie dhie Hand“ bat er und schluckte den erneut aufblitzenden Schmerz herunter. Sein Herz schlug ungesund schnell. Dieser Mann musste ihn anfassen. Am liebsten würde er aufspringen und davonrennen. Doch er spürte über diesen Kopfschmerz seine Beine kaum. „In Ordnung. Ich setze mich neben Sie, wenn ich darf. Meine Knie sind nicht mehr die jüngsten.“ Da Seto nichts sagte, setzte sich der Heiler an die Stelle, wo eben noch Tato gesessen hatte. Doch sein Körper drückte die Matratze nicht so schwer herunter wie Tatos. Weiter sahen sie einander in die Augen. Seto war das alles hier enorm unangenehm und er fühlte als würden ihn diese hellen Augen auffressen wollen. Was sah der Mann, wenn er ihn ansah? Sicher einen gestörten, schmutzigen, dummen Menschen … „Dr. Mäkinen“ sprach Tristan mit sehr leiser Stimme als würde er nicht wollen, dass Seto es hörte. „Sehen Sie nicht so lange direkt in seine Augen.“ „Natürlich. Entschuldigung.“ Seto hatte das zwar gehört und es war ihm peinlich, dass er sich an Dingen, welche für andere völlig normal waren, so sehr störte. Doch in ihm tobte und raste und brüllte alles auf. Je länger dieser Heiler neben ihm saß, desto größer wurde seine Nervosität. Wenigstens wandte der Alte sofort den Blick ab und machte sich selbst dadurch erträglicher. „Mr. Muto, ich berühre jetzt Ihre Hand, wenn ich darf. Mr. Taylor, wenn Sie so freundlich wären und Ihre Hand fortnehmen würden.“ Seto hielt mit aller Kraft seine Augen offen und hoffte, dass der Schwindel, der Schmerz und diese unangenehme Situation gleich ein Ende nehmen würden.„Jha … okay“ hauchte er schwach und vernahm doch ein Zittern in der eigenen Stimme. Er war schon wieder so sensibel und angreifbar. Er hasste sich selbst dafür. Er hasste sich dafür wie verloren er sich vorkam ohne Tristans warme, behütende Hand auf seinem Brustbein. „In Ordnung. Sie werden es kaum spüren, Mr. Muto“ versprach der Heiler und nahm nur die Spitze des Zeigefingers, um Setos linken Handrücken zu berühren. Was dann geschah, konnte Seto nicht kontrollieren. Es fühlte sich als würde er in seinen Seelenraum gesogen werden und schaute doch von außen auf sich selbst. Als würde er direkt neben sich stehen, als wäre er sein eigener Yami. Und was er sah, schockierte ihn. „ZURÜCK!“ schrie Tato und stieß den Heiler vom Bett. Doch nur, um Seto entgegen zu stürzen und ihn zurückzuhalten. Der sprang nämlich mit einem Satz auf, brüllte aus allertiefster Lunge einen markerschütternden Drachenschrei und schnappte mit seinen Kiefern ins Leere. Der alte Mann landete halb am Bettende, halb auf dem Boden, während Tato auf seinen Vater weniger Rücksicht nahm. Er packte ihn an der Kehle und stieß ihn mit aller Kraft an die Wand. Seto sah sich selbst die Zähne fletschen und seine Augen einen Ausdruck annehmen, den er bei sich selbst niemals erfahren hatte. Seine Lippen bebten, seine Brust grummte wie eine Bohrmaschine und seine Arme wischten Tatos kräftigen Körper beiseite. Mit geiferndem Schlund stürzte er erneut auf den Heiler zu, wollte ihn mit den Krallen am Bein packen, doch ein Windstoß wälzte ihn über den Heiler hinüber und knallte ihn an die gegenüberliegende Wand. Tatos Brüllen prallte auf sein eigenes und Seto beobachtete sich dabei wie die Flügel sein Hemd zerrissen und den Sessel in den Fensterrahmen trieben. Doch nicht nur aus seinem Rücken wuchsen weiße Ungetüme. Erstmals verwandelten sich seine Hände in gepanzerte Pranken mit dolchartigen Klauen. Er spie die Galle beiseite und stieß sich mit den Flügeln von der Wand ab. Er hob seine Krallen und stürzte auf den vor Schreck erstarrten Heiler zu. Er zielte auf seinen Brustkorb und wusste, wenn er ihm die Kehle zerriss, ließ er ihn in Ruhe. Tristan warf sich zwar über den Alten, doch Seto wusste, er hätte ihn dennoch erwischt. So oder so. Hätte nicht Tato seine Flügel mit einem noch heftigeren Windstoß, welcher den Sessel endgültig durchs Fenster stieß, gegen die Wand geschleudert. Noch während er den Wind vorschickte, überwandte er die kurze Distanz, griff die Flughaut seines Vaters und zog sie tief in einen kräftigen Haltegriff. Seto hörte seine spitze Stimme an der Wand wiederhallen und sah dann wie sich seine eigenen Krallen in die Hüfte seines Sohnes trieben. Tato schrie auf vor Schmerz und donnerte ihm einen Groll entgegen, doch er ließ ihn nicht los. Im Gegenteil. Er zog die Flughaut hinunter und zwang Seto in eine leicht gebeugte Position. Noch während der schrie und fauchte und ihm die zweite Pranke in den Oberschenkel rammte bis das Blut sie beide verschmierte, löste Tato seinen Griff und schnappte sich stattdessen die Knochen der Flügel. Er drängte den tosenden Drachenmenschen zurück und tat selbst etwas erschreckendes. Er drückte sich ihm näher, hielt die umher schlagenden Flügel so weit es ging fest an die Wand gepresst und biss ihm im geeigneten Moment in die Kehle. Seto spie ihm all seine Abwehr entgegen, doch Tato hatte sich festgebissen und ließ nicht von ihm ab. Und wenn Seto ihm in diesem Moment den Torso aufgeschlitzt oder ihm das Bein abgerissen hätte, Tato hätte ihn nicht losgelassen. Sie hatten sich ineinander verkeilt und allein der Instinkt befahl ihnen, sich nicht zu lösen. Sie würden einander zerfleischen, wenn jetzt einer losließ. Von Brüllen, Knurren und Donnern begleitet, rangen sie miteinander auf dem Boden. Von außen erkannte Seto selbst nicht, wer oben und wer unten war. Doch eines wusste er - sein Körper verletzte den eigenen Sohn. Das durfte doch nicht sein! Warum geschah das? Warum sah er sich selbst von außen und war unfähig etwas dagegen zu tun? Warum kämpfte er mit Tato? Warum wollte er diesen Alten töten? Aus welchem Grunde? Aus welchem, kranken Grunde? Setos Sicht auf die Dinge verschwamm und ganz kurz blitzte ein Schmerz an seiner Kehle auf. Er spürte wie warm und feucht seine Hände waren und wie beißend der Schmerz in seinem Rückenmark. Dann ging erneut alles betäubend schnell. Tato nutzte den winzigen Moment, löste seinen Biss, rollte sich auf ihn, rammte ihm das Knie zwischen die Flügel und umklammerte mit der ganzen Kraft seiner Arme die dicken Flügelknochen. Diese drückte er an sich und schrie selbst auf vor Schmerz und Energie. Setos schneeweiße Krallen schnitten den Parkettboden auf, genau wie sein spitzer Schrei die Luft zerschnitt. Doch Tato hatte die Überhand gewonnen und hielt ihn auf dem Boden fest. Halb gelähmt und fast bewegungslos stockte Setos Atem und der Blick klärte sich wieder. Er durfte Tato nicht verletzten. Er wollte ihn nicht verletzen. Ihn nicht und niemand anderen … Er sah vor sich das Fußende des Bettes. Das Bett stand schief und irgendwie nicht dort, wo es hingehörte. Der Boden fühlte sich warm an seiner Wange an und sein Körper wurde taub. Doch gleichsam spürte er wie sein Atem sich beruhigte. Das Grollen wurde weniger und die unbändige Angst und Wut und der Fluchtinstinkt ließen nach. All diese übermächtigen Gefühle wurden weniger und weniger und als er das nächste Mal seine Hände ansah, waren die Krallen verschwunden. Stattdessen überzog weiße, ledrige Haut seine Hände und verblasste erst kurz vor dem Ellenbogen zu normalem, rosa Fleisch. „Was habe ich getan?“ entfuhr ihm mit leerer Stimme. Er war nicht ängstlich. Jedoch auch nicht reuig oder aggressiv. Er fühlte sich … wie ausgehöhlt. Erschöpft und taub. „Scheißhe“ hörte er Tato über sich und fühlte den Druck in seinem Rücken verschwinden. Dafür hörte er einen dumpfen Knall und sah seinen Sohn blutüberströmt neben ihm auf dem Boden liegen. Seine Hüfte war fast bis zur Schulter aufgerissen und aus seinem Bein pulsierte eine Blutader rote Bäche auf den Läufer. Das erste Gefühl, was ihn ereilte war Angst. Doch nicht Angst vor sich oder vor dem, was er getan hatte. Sondern Angst um sein Kind. „TATO!“ Seine weißen Hände griffen dessen Schultern, doch das blasse Gesicht zeigte keinerlei Regung. Er hatte wahrscheinlich zu viel Blut verloren. Nur Seto war unverletzt bis auf eine kaum blutende Bisswunde am Nacken. „TATO! OH GOTT!“ Sein erster Gedanke ging zu dem Heiler hin, doch dieser lag nicht mehr auf dem Bett. Tristan hatte ihn in die nächstbeste Deckung gedrückt und so saßen sie gemeinsam zwischen Sofa und Couchtisch. Diese standen auch nicht mehr seitlich neben der Tür, sondern wie barrikadiert vor dem Bad. Tristan sah nur geschockt auf die blutrote Szene. Der Heiler jedoch zitterte am ganzen Körper, klapperte gar mit den Zähnen. Doch darauf konnte Seto jetzt keine Rücksicht nehmen. „Er verblutet!“ schrie er und sah den Heiler flehentlich an. „Hilf ihm! Komm her und hilf ihm.“ Doch der Alte konnte sich nicht rühren. Er war erstarrt. „Dr. Mäkinen!“ Tristan behielt zwar seinen panischen Ausdruck, doch er schüttelte den Mann an den Schultern. „Machen Sie schon! Sie müssen ihm helfen!“ Noch immer fand der freundliche und sanfte Doktor keinen Mut, sich aus seiner Panikstarre freizumachen. So etwas hatte er wahrscheinlich noch niemals gesehen oder gehört. „TATO VERBLUTET!“ schrie Seto ihn verzweifelt an. „MEIN BABY VERBLUTET! HELFEN SIE IHM! BITTE! ER VERBLUTET!“ Doch um den Heiler war’s geschehen. Der starrte ihn an, ohne wirklich etwas zu sehen. Der Schock saß tief. Wer sah denn auch schon zwei Halbdrachen, welche sich an die Kehle gingen? „Seto, wir müssen die Blutung stoppen! Binde sein Bein ab!“ Tristan suchte sofort nach einer anderen Lösung, griff sich eines der verwehten Handtücher vom Sofa und quetschte sich hoch. Doch wieder war ihnen jemand gütig gesonnen. „Was ist denn hier los?“ Mokuba erschien in der Tür und sah das verwüstete Zimmer. Das Bett mitten im Raum. Die Fenster kaputt. Die Couch und der Tisch vorm Badezimmer. Die beiden Kommoden an verschiedenen Zimmerecken und das Bücherregal lag ausgekippt im ganzen Raum. „MOKUBA!“ Seto sah die Rettung. „HILF IHM! MEIN BABY! MEIN BABY VERBLUTET!“ „Wer?“ Er sah seinen großen Bruder nur irgendwo hinter dem Bett kauern. Doch als er einen Schritt nach dem anderen näherkam, sah er nackte Füße, dann Beine, eine zerrissene Jeans und dann eine klaffende, blutende Fleischwunde. „Fuck! Was habt ihr denn gemacht?“ Sofort sprang er über das Bücherregal, über das Bett und fiel auf der anderen Seite herab. Dann sah er noch viel schlimmeres. Der Oberschenkel war nur das kleinere Problem. An der Seite war Tatos Brustkorb aufgeschnitten. Ein Wunder, dass er hier vergleichsweise wenig blutete. „Hilf ihm“ winselte Seto und sah ihn durch Tränen an. „Bitte, Mokuba. Bitte hilf ihm.“ „Habt ihr ein Glück, dass ich so ein komisches Gefühl hatte.“ Er schob die Ärmel seines Seidenshirts hoch und legte sofort die erste Hand in den geöffneten Brustkorb hinein. Mit der anderen drückte er die Blutung am Bein zurück. „Hilf ihm, bitte. Mokuba. Bitte. Bitte. Er verblutet.“ „Ja, Seto. Ich bin schon dabei.“ „Bitte. Er verblutet. Bitte, Mokuba. Bitte.“ „Ja, doch.“ Seto klang als würde er selbst unter Schock stehen. Wie ein Tantra wiederholte er immer wieder dieselben Worte: „Bitte. Hilf ihm. Er verblutet. Bitte. Hilf ihm. Mein Baby … hilf ihm. Er verblutet …“ „Ja, Seto. Sei ruhig. Ich muss mich konzentrieren.“ „Tut mir leid. Bitte hilf ihm. Mein Baby verblutet. Er verblutet. Bitte. Bitte.“ „TRISTAN!“ schrie er zu dem hinüber. „Schaff mir Seto vom Leib!“ Der hatte zwischendurch den Doktor flach auf den Boden gelegt und dessen Beine auf einige Kissen. Danach kam er schnell zu dem schockierten Seto und nahm ihn vorsichtig an den Schultern. „Komm, Seto. Du störst Moki nur.“ „Aber Tato verblutet.“ Er wandte ihm seine eisblauen Augen zu und begann am ganzen Leibe zu beben. Jetzt erst realisierte er, was geschehen war. „Mein Baby. Ich habe mein Baby getötet.“ „Unsinn. Tato ist hart im Nehmen. Komm jetzt hoch. Los.“ Es brauchte schon etwas Kraft, um einen Berg wie Seto zu versetzen, doch der leistete nicht wirklich Widerstand. Während er Seto wenigstens einen Meter aus der Blutlache zog, sah er sich nach dem Letzten im Bunde um. Phoenix war in dem Gemenge irgendwo untergegangen und rührte sich auch nirgends. Erst als Seto aus Mokubas direktem Dunstkreis entfernt war, stellte er sich hin und überblickte das Chaos im Raum. Ihn zu rufen, wäre wohl unklug - er würde sich ja doch nicht melden. „Bleib hier sitzen“ befahl er Seto mit ernstem Ton und bekam einen herzzerreißend eingeschüchterten Blick dafür. „Genau hier. Bleib genau hier sitzen. Seto.“ Er deutete mit dem Finger auf ihn und warnte. Er hatte Seto zwar nichts entgegenzusetzen, doch der würde in diesem Moment wohl sogar vor einer Fliege Angst haben. „Okay. Du bleibst hier sitzen und bist ruhig.“ Dann erst konnte er suchen gehen. Er beugte sich herab, doch unter dem Bett war niemand. Er zog die umgekippte Kommode ab, doch dort war auch niemand. Hoffentlich war ihm nichts passiert. Phoenix war eh nur so ein schmächtiges Bürschlein. Wenn ein Möbelstück auf ihn herabfiel, wäre es um ihn geschehen. Er stieg über die Trümmer des Bücherregals und suchte jeden Zentimeter ab. So groß war das Zimmer doch nicht, verdammt! Dann sah er endlich einen Arm, welcher aus einem der Kinderzimmer ragte. „Spatz!“ Er stolperte dorthin, öffnete die Tür und sah ihn dort bewusstlos liegen. Sofort kniete er sich zu ihm und prüfte seinen Atem. „Puh. Was liegst du denn hier rum und schläfst?“ seufzte er erleichtert. Mit seinem Fliegengewicht war er von einem der Windstöße offensichtlich in Ninis Zimmer gepustet worden. Sein Arm war etwas rot und geschwollen, wahrscheinlich hatte er ihn sich in der umherschlagenden Tür geklemmt. Doch bis auf das schien es ihm gut zu gehen. Es war ein Leichtes für Tristan, ihn auf den Arm zu nehmen und zu dem schockerstarrten Heiler aufs Sofa zu legen. „Also, eines muss man euch Drachen lassen“ sprach er leise zu sich selbst. „Wenn ihr euch prügelt, dann richtig.“ Chapter 44 Dieses Mal war es dann Tato, welcher die Augen auftat und sich erst orientieren musste. Er fand sich selbst auf dem Bett, wenigstens seinem eigenen Bett, liegend und das erste, was er sah, waren rotgeweinte, stahlgraue Augen hinter einer Brille, die einen Sprung hatte. Dann fühlte er wie seine Hand gedrückt wurde und hörte diese feine, helle Stimme, welche er so sehr liebte. „Asato. Wie fühlst du dich?“ „Hey, Kleiner.“ Er musste lächeln. Phoenix war einfach zu niedlich, wenn er mit seinen großen Augen so bang dreinschaute. „Geht es wieder? Ist dir schwindelig? Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?“ „Oh, Spätzchen“ seufzte er und verdrehte die Augen. Er wusste wie gruselig das aussah, wenn er dazu noch mit der Oberlippe zuckte. „Diese Schmerzen …“ „ASATO!“ Phoenix griff seine Schultern und legte ihm dann vorsichtig die Hand auf die Stirn. „Bitte, bleib bei Bewusstsein. Moki, warum tust du denn nichts?“ „Oh, mein Süßer“ ächzte Tato und schloss die Augen. Atmete schwer ein und ließ seinen Hals rasseln. „Asato. Was ist denn?“ „Ich glaube, ich sterbe.“ „Mach keinen Quatsch! MOKI! MOOKII!“ „Phoenix, mein Süßer.“ Er griff seine Hand und hielt sie schwach zwischen Daumen und Ringfinger. „Mein Süßer. Erfüllst du mir noch einen Wunsch?“ „Rede nicht so was! Du kommst wieder auf die Beine.“ „Es ist mir wichtig. Bitte. Bitte, Süßer.“ Er hustete und sein Atem klang feucht. Seine Kehle zitterte und er hatte kaum Kraft in der Hand … „Okay.“ Ihm stiegen schon wieder die Tränen in die Augen. „Was ist es denn? Ich tue alles für dich.“ „Dhas ist ghut“ keuchte er, öffnete die Augen und sah ihn leidlich an. „Bläst du mir einen?“ „ASATO!“ „Du bist unmöglich“ musste Mokuba jetzt endlich lachen. Er wusste, dass er ganze Arbeit geleistet und den zerfetzten Drachen komplett heilgemacht hatte. Nur Phoenix ließ sich zu leicht ins Boxhorn jagen. „Also, das heißt wohl nein“ lachte auch Tato und rieb sich den Arm, auf den Phoenix ihn schlug. „Schade.“ Jetzt sah er nur noch dessen Rückseite, weil er sich beleidigt umgedreht hatte. Er fühlte sich trotz allem noch etwas schwach und brauchte einen zweiten Anlauf bis er sich auf die Ellenbogen stützen und gegen die Wand lehnen konnte. Dann sah er seinen Vater am Fußende sitzen, seinen Bauch umklammert und zu Boden starren. Seine Hände und die Unterarme waren noch immer von weißem Leder überzogen, doch er schien sich beruhigt zu haben. Auch ein neues Hemd hatte man ihm übergezogen. Auch wenn man schwarz an ihm selten sah. „Hey Mama“ lächelte er ihn versöhnlich an. „Ist das etwa mein Hemd?“ Ganz langsam drehte er den Blick herum und sah ihn an. Mit traurigem, schuldigen Blau. Es fehlte nicht viel und er würde in Tränen ausbrechen. Das sah man ihm sofort an. „Tjaaa … dann …“ meinte Mokuba und sah hilfesuchend zu Tristan, welcher in der Tür erschien. Und was tat man nun? Sollten sie gehen oder Seto beistehen? War ja schwierig, wenn der schon die ganze Zeit kein Wort herausbrachte und sich nur willenlos von einer Ecke in die nächste treiben ließ. „Herrje.“ Tatos Augen wurden groß und er rutschte noch ein Stück höher bis er aufrecht saß. „Mama, erzähl jetzt nicht, das war dein erstes Mal?“ „Mein was?“ Endlich fand er seine Stimme wieder. Es wäre verständlich, wenn Tato ihm den Kopf abriss, ihn beschimpfte oder ihm Vorhaltungen machte. Doch der schien alles andere als gekränkt. „Was meinst du?“ „Na ja … das“ versuchte er zu beschreiben. „Du meinst, dass ich mich in ein Monster verwandle und meine Kinder zerfleische?“ „Zum Beispiel.“ „NEIN! Natürlich ist mir das noch nie passiert!“ „Hat dich erschreckt, was? Ich dachte, diesen Selbsterfahrungstripp hättest du schon hinter dir. Ich war 13 als meine Drachen mich das erste Mal zurückgedrängt haben.“ „Zurückgedrängt?“ „Du hast keine Ahnung, wovon ich rede, oder?“ So langsam dämmerte es Tato. Er war hier offensichtlich mehr als nur einen Schritt voraus. „Ich habe dich lebensgefährlich verletzt“ antwortete Seto mit brüchiger Stimme. „Den Doktor hätte ich vielleicht sogar getötet, wenn du dich nicht vor ihn gestellt hättest. Was auch immer das war, es darf nicht noch mal passieren.“ „So wie du im Moment denkst, wird es ganz sicher noch mal passieren“ erwiderte er ernst. „Mama, erst mal solltest du dich beruhigen und danach …“ „Da bin ich schon.“ Yugi erschien neben Tristan und war ganz außer Atem. Mokuba hatte ihn angerufen und in Telegrammform berichtet, was geschehen war. Natürlich war er da mit einigen Geschwindigkeitsübertretungen heim gerast. Er sah, dass Tato zwar auf dem Bett lag, jedoch schon wieder ganz passabel aussah. Von den zerrissenen Klamotten mal abgesehen, war ihm kaum anzusehen, was Mokuba beschrieben hatte. Dafür saß Seto am Fußende und machte einen nicht ganz so stabilen Eindruck. „Liebling, ist alles in Ordnung?“ „NEIN! GAR NICHTS IST IN ORDNUNG!“ keifte er und sprang auf. Er ging rückwärts bis er mit dem Rücken an die Wand stieß. Eine ganz deutliche Abwehrhaltung. Auch sein Atem beschwerte sich und seine Augen glänzten vor Tränen. „Mama, es ist gut“ beruhigte Tato. „Mir ist nichts passiert und dem Heiler auch nicht. Kein Grund zu überstürzten Reaktionen.“ „DU HAST JA AUCH NICHT DEIN BABY ZERFLEISCHT!“ „Nein, aber dich“ sagte er und sah ihn fest an. „Als mir das damals geschah, warst du derjenige, der mir Einhalt geboten hat. Dabei habe ich dir die Rippen zertrümmert und dir fast das Bein abgerissen. Und auch damals war es Onkel Moki, der im richtigen Moment zur Stelle war. In meinen Augen sind wir jetzt quitt, du und ich.“ „Mokuba“ fragte Tristan an dieser Stelle. „Du wolltest doch eigentlich mit Tjergen ins Schwimmbad. Warum bist du zurückgekommen?“ „Ich habe keine Ahnung“ erklärte der und sah seinen großen Bruder an. „Ich hatte so ein Gefühl im Bauch, dass ich zurückfahren sollte.“ „Das könnten Engel gewesen sein“ riet Yugi und blieb stehen als Seto seine Annäherung mit einem neuen Seitwärtsschritt beantwortete. „Ich war im Schwimmbad und habe mitbekommen wie Sethos Selbstgespräche geführt hat. Aber Amun meinte, dass er nicht mit sich selbst, sondern mit seinen Engeln spricht. Vielleicht hat er sie geschickt, damit sie dich hertreiben. Viele Bauchgefühle oder Vorahnungen, welche die Menschen haben, sind in Wirklichkeit Engelsgeflüster.“ „Das kann vielleicht sein“ gab Mokuba zu. Vielleicht war dieses starke Gefühl ein Rat, welchen ihm die Engel gegeben hatten. „Wäre ich nicht zurückgefahren, wäre Tato höchstwahrscheinlich verblutet. Er hatte vier Rippen gebrochen und ein Teil der Lunge und seine Leber waren aufgeschnitten. Und in seinem Oberschenkel war die Arterie zertrennt.“ Das war zu viel. Seto schlug sich die weißen Hände vors Gesicht und krümmte sich zu Boden. Er hätte Tato fast umgebracht. Seinen eigenen Sohn. Sein Baby. Er hatte nicht nur damals Joey fast getötet, jetzt war es schon wieder geschehen. Er hatte die Kontrolle verloren und grundlos einen anderen verletzt. Nein, nicht nur einen anderen, sondern jemanden, den er über alles liebte. Und wäre es nicht der kräftige Tato gewesen, jemand anderes wäre jetzt tot. „Hey Mama, ist doch halb so wild“ meinte der mit sanfter Stimme. „Mein Körper schüttet im Kampf so viel Adrenalin aus, dass ich von den Schmerzen gar nichts mehr weiß. Und Angst habe ich vor dir noch nie gehabt.“ „Liebling.“ Yugi kniete sich zu ihm und berührte sanft seine Schulter. „Beruhige dich erst mal. Dann können wir …“ „NEIN! GAR NICHTS KÖNNEN WIR! ICH BIN EIN MONSTER! EIN MONSTER!“ Er sprang auf und rannte aus dem Zimmer. Tristan konnte nur noch aus dem Wege springen, bevor man auch schon eine Tür zuschlagen hörte. „Jetzt ist er in dem verwüsteten Zimmer verschwunden.“ „Was ist nur mit ihm los?“ fragte sich Yugi und sah zu Tato. „Was ist denn hier passiert?“ „Na ja, zuerst hatte er wohl eine Panikattacke“ erklärte der gefasster. „Tristan hat ihn gefunden als er sich den Kopf an der Wand aufschlug, aber da wurde er quasi schon bewusstlos. Er hatte äußerlich nur eine Platzwunde, aber weil er so gar nicht recht zu sich kam, tippten wir auf eine Gehirnerschütterung. Weil wir Onkel Moki nicht erreichen konnten, habe ich Arnor und Finn angerufen, aber Arnor war als einziger zu erreichen und der hat auf schnellstem Wege den Doktor hergeschickt. Zwischendurch hatte Finn auf meine SMS zurückgerufen und sagte, er hätte denselben Heiler mobilisiert. Also ich habe ihn gebeten, mal nach Mama zu sehen. Da ist er ausgetickt. Sah für mich nach einem Schutzangriff aus. Ich denke mal, er war eingeschüchtert … so kenne ich ihn gar nicht.“ „Im Moment erkenne ich ihn selbst manchmal nicht“ seufzte Yugi und fuhr sich durchs Haar. „Und diese weißen Arme? Was hat es damit auf sich?“ „Das ist nicht weiter schlimm, Papa. Ich kann meinen ganzen Körper mit so einer Haut überziehen. Ich wusste aber nicht, dass er das noch nie erlebt hat.“ „Und dir geht’s aber gut soweit?“ „Ja, kein Problem“ lächelte Tato beruhigend. Ihm schien das weit weniger auszumachen als allen anderen. Der war wirklich hart im Nehmen. „Wie gesagt, mein Körper steht so unter Strom, dass ich die Schmerzen gar nicht fühle … na ja, oder mich zumindest nicht dran erinnere. Onkel Moki hat mich ja wieder zusammengesetzt.“ „Was für ein Glück, dass du so muskulös bist“ meinte der. „Sonst hätten Setos Krallen viel mehr Schaden angerichtet.“ „Ja, ich weiß, ich bin super. Aber Mamas Verhalten ist auch weit weniger schlimm als es aussieht.“ „Darüber müssen wir uns unterhalten“ beschloss Yugi und ging zur Tür. „Aber erst versuche ich mal, ihn wieder auf den Boden zu holen. Ihr kommt klar?“ „Kümmere dich lieber um Seto“ bat Mokuba. „Und erschrecke dich nicht. Euer Schlafzimmer ist komplett verwüstet.“ „Ja, das geht wohl auf mein Konto“ entschuldigte Tato. So ein Orkan im Zimmer stellte eben die Möbel um. „Macht nichts. Ich glaube, ich habe jetzt ein anderes Problem als einen Sessel, der im Vorgarten liegt. Und bevor ich es vergesse, danke für eure Hilfe.“ EEN „Schon gut“ antwortete Tristan als Yugi an ihm vorbeiging. Der musste sich tatsächlich nun weniger um ein ruiniertes Zimmer als mehr um einen ruinierten Drachen sorgen. Was Seto getan hatte oder was er tun wollte, war bereits schlimm genug. Genauso schlimm war aber seine derzeitig absehbare Talfahrt. Erst begann er zu lügen und nun verwandelte er sich in ein blutrünstiges Etwas. Ob das mit der Wassermagie zu tun hatte? War es das, wovor Sethos ihn gewarnt hatte? Aber diese Art der Verwandlung schien auch Tato schon durchgemacht zu haben, also konnte es mit Wassermagie nichts zu tun haben. Seto hatte ihm aber berichtet wie sehr er unter verstärkten Sinnen und Instinkten litt und wie schwer er sich kontrollieren konnte. Dazu noch der Zweifel an seinem Yami. Und nun auch noch seine Lügen und diese merkwürdige Aggressivität, welche ihn selbst erschreckte. Hier war nicht nur Yugis Beistand, sondern auch eine Lösungsfindung von ihm gefragt. Und er wusste nur: Seto steckte in Schwierigkeiten, aus denen er selbst nicht herausfand. Er klopfte an die Tür, lauschte, doch von innen war nichts zu hören. „Liebling, ich bin es!“ Er drückte die Klinke, doch die Tür öffnete sich nicht. Er hatte sich eingeschlossen und war hoffentlich nicht durchs Fenster geflüchtet. „Liebling, mach auf. Ich bin es doch nur.“ Doch wieder bekam er keine Antwort. Er musste sich also selbst Zutritt verschaffen. Nur wo war der verdammte Schlüssel, den er sonst nie brauchte? Wie auch immer, Hannes hatte sicher Ersatz. Er drehte sich um und wollte schnell die Treppe hinunter, aber direkt hinter ihm stand jemand. Geräuschlos und ohne ein Wort hatte er sich genähert, sodass Yugi ihn fast umgerannt hätte. Jedoch nur bildlich, denn so einen Riesen umzurennen, dazu musste man schon ein Elefant sein. Auch wenn er nicht den Kopf zuerst sah, so erkannte er dennoch die ungewöhnliche Kleidung. Eine blaue Kutte mit silbern vernähten Umschlägen. Wallend lang von oben bis zum Boden. Sein Blick wanderte hinauf und fand die versteinerte Miene von einer dunkelblauen Kapuze umrandet. Die brennenden, blauen Saphire regierten gemeinsam mit dem kurz geformten Bart dieses schöne, aber leblose Gesicht. „Seth.“ Er blickte ihm in die Augen. Plötzlich stand er da als hätte er schon immer dort gestanden. Und Yugi rätselte, ob er nun in Schwierigkeiten steckte. Yami war nicht hier, Seto war nicht zurechnungsfähig und wenn Tato auf ihn stieß, gäbe es Mord und Todschlag. Das hier war eine denkbar schlechte Situation. „Du hast dich verändert“ stellte der Teufel mit gleichtoniger Stimme fest. „Ja, habe ich“ erwiderte er und versuchte nicht so argwöhnisch zu klingen wie er sich fühlte. Seth strahlte außer Hitze nichts aus. Genau das war das Unheimliche. Seine äußerliche Glätte. „Was suchst du hier?“ „Ich suche nichts.“ Er betrachtete Yugi, welcher das kleine Stück bis zur Tür zurückwich, um nicht so bedrohlich nahe vor ihm zu stehen. „Yugi, du fürchtest dich vor mir.“ „Nein, das ist keine Furcht. Es sind Bedenken“ antwortete er und versuchte härter zu klingen. Vor Seth durfte er sich keine Schwäche erlauben. „Die musst du nicht haben. Ich würde dir niemals etwas tun, solang du mich in Frieden lässt.“ „Genau das ist es. Ich muss wohl nicht nochmals erwähnen, dass das, was du tust, entgegen den Grundsätzen ist, die Yami und ich haben. Seth, dass du fort bist, macht uns alle traurig. Es reißt unsere Familie außeinander.“ „Ihr könnt jederzeit zu mir kommen. Das wisst ihr.“ „Ja, aber wir können dich nicht einfach gewähren lassen. Das weißt DU.“ „Und ihr wisst, dass ich jetzt nicht einfach alles abbrechen kann. Somit dreht sich unser Gespräch im Kreis. Pharao.“ „Seth.“ Er blickte ihn an und spürte wie die Traurigkeit Überhand gewann. „Wir lieben dich sehr und was du tust, belastet unsere ganze Familie und die unserer Freunde. Ich weiß, dass unser Einreden auf dich vergeblich ist, aber bitte komm einfach zurück und lass dir helfen. Es ist niemals zu spät, um einen Fehler zu beenden.“ „Es geht mir gut, Yugi. Und ich bin nicht hier, um mir helfen zu lassen.“ „Warum dann?“ „Seinetwegen.“ Er nickte auf die geschlossene Tür hinter welcher Seto saß und hoffentlich nichts Dummes tat. „Und bevor du mir nun unlautere Gründe unterstellst, will ich dich daran erinnern, dass ich noch immer sein Yami bin.“ „Und was soll das genau meinen? Dass du ein Anrecht auf ihn hast?“ „Nein. Dass er ein Anrecht auf mich hat“ antwortete er mit ruhiger Stimme und auch sein scharfer Blick schien sich zu entspannen. „Ich spüre, dass er sich auf einem Tiefpunkt befindet. In diesen Momenten braucht er mich.“ „Ich würde dir so gern vertrauen.“ Yugi wusste wie Seto zu Seth stand. Nämlich unentschlossen. Und ganz sicher spürte Seth das. Wenn er nun Seto auf seine Seite zog - dann war die Sache so gut wie besiegelt. Gegen zwei Priester hatte die Welt verloren. Yugi wusste, dass Seto sich Seths Meinung unparteiisch ansehen wollte, dass er sich selbst ein Bild machen wollte und dass er hierfür Yugis Unterstützung erbeten hatte. Und der hatte gehofft, dass er nicht so bald zu einer Entscheidung kommen musste. Besonders nicht zu einem Zeitpunkt, an welchem Seto so schwach war. Doch war es falsch, Seto nun zu misstrauen? Ja, er war schwach und ja, er war beeinflussbar. Doch an einem zweifelte Yugi nicht - nämlich daran, dass sein Engel niemals einem anderen Lebewesen Tod oder Qual bringen würde. Auch von Seth hatte man das nie geglaubt, doch Seth war in seinen Ansichten, in seiner Verehrung für den Pharao schon immer extrem religiös gewesen. Ebenso extrem wie Setos Liebe zu den Unschuldigen und Wehrlosen. Vielleicht wäre es nicht Seth, welcher Seto beeinflusste. Vielleicht wäre es Seto, welcher Seth beeinflusste. „Du willst zu ihm“ unterstellte er und spürte die geschlossene Tür im Rücken. „Es geht ihm schlecht.“ „Ich weiß. Aber ich will dich nicht bitten, mich zu ihm zu lassen. Dass ich mich bei dir anmelde, ist reine Höflichkeit.“ Nun sah sich Yugi im Entscheidungszwang. Traute er Seto zu, sich dem negativen Einfluss seines Yamis zu entziehen? Besonders in diesem schwachen Moment? Allein dass er ihm bedenkenlos ins Gesicht gelogen hatte, war ein Fakt, welcher dagegen stand. Zum Glück war Seto, wenn man ihn gut genug kannte, ein schlechter Lügner. Doch wenn er seinem eigenen Mann, seinem eigenen Priester misstraute … würden sie dann überhaupt noch Seite an Seite stehen? Oder würde er damit entscheiden, sie auf verschiedene Seiten zu stellen? Er seufzte und schaltete den Kopf aus. Er fühlte sein Herz. Kein Fakt der Welt konnte beeinflussen, was er fühlte. Auch wenn ihre Yamis ihnen ähnlich waren, so waren sie doch andere Personen, andere Charaktere mit einer anderen Vergangenheit und anderen Gefühlen. Was mit ihren Yamis geschah, konnte eine Warnung an sie sein. Konnte. Doch es musste nicht. Und Yugis zwei Herzen sprachen zu ihm: Vertraue. „In Ordnung.“ Er gab die Tür frei, indem er einen Schritt beiseite ging und ihn durchließ. „Aber bitte rede ihm nichts ein. Du weißt wie leicht er zu beeinflussen ist.“ „Ich habe ihn immer zu einer eigenen Meinung ermutigt. Und ich würde ihn niemals zu etwas zwingen“ widersprach er und im Gegensatz zu Yugi konnte er auch problemlos die Tür öffnen. Er schob allein in Gedanken das Schloss zurück und schon konnte er eintreten. Yugi mit seiner wenigen Magie hätte höchstens die Energien mobilisieren können, damit sie das Schloss beeinflussten, aber so schnell wie Seth war er nur mit Schlüssel. Ohne ihm noch ein Wort oder einen Blick zu schenken, schloss Seth die Tür hinter sich, sodass Yugi außen vor blieb. Innen saß Seto auf dem Bett, welches schief in der Zimmermitte stand und starrte auf den blutbefleckten Boden. Doch nun hob er seine verweinten Augen und sah die Gestalt seines Yamis. Die hohe Figur, die lange Kutte und in diesem Moment hob er die Kapuze von seinem Haupt und zeigte sein schulterlang gewachsenes Haar. Er sah besser aus als noch beim letzten Mal. Er hatte mehr Farbe und ein erholtes Gesicht. „Seth …“ Was sollte er nun tun? Aufstehen und davonrennen? Heulen? Schimpfen? Ihn schütteln und um Vernunft anflehen? Oder sich einfach dem Impuls nach an seine Brust werfen? „Was willst du hier?“ „Ich bin deinetwegen gekommen. Seto. Ich setze mich zur dir, in Ordnung?“ So sehr Seto auch Bedenken hatte, so fühlte er dennoch keine Angst. Selbst bei den anderen hatte er eben Angst bekommen. Mokuba konnte nicht mal den Kieferabdruck an seiner Kehle abheilen, so sehr sträubte sich alles gegen andere Nähe. Doch als Seth sich zu ihm setzte, fühlte er keinerlei Abscheu. Dabei sollte er doch vor ihm mehr Vorsicht walten lassen als bei seinem kleinen Bruder. Er konnte es sich nicht erklären und im Augenblick fehlte ihm auch der Kopf, um nach Erklärungen zu suchen. Er wusste nur, dass Seths Nähe gut tat. „Tut’s weh?“ Er legte seine warmen Fingerspitzen an Setos Kinn und drehte den Kopf etwas nach rechts. Dort sah er halb am Hals, halb im Nacken deutliche Gebissabdrücke. Doch bluten tat es nicht mehr, die Wunde begann bereits mit einer schnellen Heilung, da Mokuba es zumindest versucht hatte. „Er hat dich ziemlich gut erwischt.“ „Es war gut so.“ Er drehte seinen Kopf zurück und sah Seth tief in die Augen. Sein Blick war warm und in sich ruhend. Wie Glut, welche in dunkler Nacht vor sich hin glomm. Angenehm. Er sah seinem Yami gern in die Augen. Es beruhigte. Der nahm seinen Ellenbogen und betrachtete die weiße, ledrige Haut, welche sich von den Fingerspitzen den Unterarm hinaufzog. Selbst seine Fingernägel hatten eine glasige, milchige Farbe und waren etwas dicker als normal. „Hast du dich verwandelt?“ „Ich weiß nicht. So halb“ antwortete er unsicher. „Weißt du etwas darüber?“ „Nein, tut mir leid. Das ist mir neu …“ „Tato schien etwas zu wissen.“ „Hm.“ Er legte seine warmen Hände um die weiße Linke. Er hielt sie, streichelte sie und es tat Seto gut. Die Wärme und die Vertrautheit dieser Hände flößten ihm eine Erinnerung vergangener Tage ein. Als er und Seth noch eins waren. Als sie einen Körper teilten und ihre Seelen sich umarmten. Diese Nähe schlich sich zurück und er schloss langsam die Augen, seufzte und entspannte sich. Leider ließ Seth seine Hand schon wieder los und Seto blickte verwundert darauf herab. Sein linker Arm war wieder so wie er sein sollte. Auch der rechte. Alles war wieder normal. „Du musstest dich wohl nur etwas beruhigen“ schlussfolgerte Seth und widmete ihm einen dieser vertrauten, sanftmütigen Blicke. „Beruhige dich, Seto. Ich bin nicht hier, um dir etwas anzutun oder einzureden. Ich möchte nur wissen, weshalb so beunruhigende Gefühle von dir bis zu mir dringen.“ „Ich habe mein Leben nicht im Griff“ gestand er und stützte die Stirn in die Hände. Er wusste, er sollte es nicht tun, doch Seths Zuwendung tat so gut. Seth war der einzige Mensch, dem er alles sagen konnte. Der einzige, der alles von ihm wusste. Weil sie ein Stück Seele teilten. Schon immer und für ewig. „Erst verlässt du uns und tust so schreckliche Dinge, dass ich dich gar nicht wiedererkenne. Dann tauchen unsere Kinder aus der Zukunft auf und bezeugen, dass du die Apokalypse herbeiführst. Dann ziehen wir in diese gottverlassene Gegend, wo man nichts anderes tun kann als Kühe füttern und seinen Gedanken nachhängen. Dann kommen wir nach Blekinge und alles wird nur noch schlimmer. Yami verstößt dich, Sethan verkriecht sich immer mehr in sich selbst, Tato säuft sich das Hirn weg und mein Leben wird auch nicht besser. Ich bekomme einen Brief von meiner Mutter und sie sagt, dass sie mich liebt und dass ich meine Großmutter besuchen soll. Und dann öffnen Yugi und Sethos mir den Weg zur Wassermagie, weil mir dein alter Körper das ermöglicht. Und dann erwache ich wieder und erfahre, dass Sethos halb tot ist und Seth stellt so merkwürdige Bedingungen. Und ich komme mit all dem nicht klar. Und dann verändert Yugi sich auch noch und ich fühle mich überhaupt nicht mehr wohl bei ihm. Jetzt fühle ich mich so verloren. Mein ganzes Leben hat sich umgedreht, nichts ist so wie es sein sollte. Meine Sinne und meine Instinkte übermannen mich und dann mutiere ich immer mehr zu einem Monster ohne Sinn und Verstand. Ich weiß einfach nicht, wo das alles hinführen soll. Am liebsten würde ich mich einfach umbringen und mein Herz zerstören, damit ich für immer zergehe und nie wieder zurückkehre. Das wird mir alles zu viel. Und ich mache es nur noch schlimmer.“ „Den wichtigsten Fakt hast du vergessen“ erwiderte Seth mit glimmender, zärtlicher Stimme. „Du hast Yugi dein Herz anvertraut. Auf ewig.“ „Das ist das Schlimmste von allem. Ich habe nicht das Gefühl, dass mein Herz an der falschen Stelle ist. Aber ich kann Yugi nicht ansehen und bei seiner Nähe wird mir speiübel. Das passt doch nicht zusammen.“ „Du bist nicht gewalttätig und doch greifst du einen wehrlosen, alten Mann an. Du liebst deinen Sohn und doch hättest du ihn fast umgebracht. Genau wie Joey damals, den du auch liebst. Passt das zusammen?“ „DAS IST ES DOCH! ICH HABE MICH NICHT UNTER KONTROLLE! ICH MUTIERE ZU EINEM MONSTER! IMMER WIEDER! UND IMMER SCHLIMMER!“ „Bleib ruhig. Wenn du dich aufregst, verschlimmerst du es nur. Komm her.“ Er breitete seine Arme aus und wie von selbst sank Seto hinein. Er lehnte sich an die warme Brust und roch Seths vertrauten Duft. Seine Nähe tat so gut. Sie beruhigte seinen Puls und machte das Atmen freier. Er schloss die Augen und fühlte wie warme Finger durch sein Haar fuhren. Die Welt nahm Abstand und es gab nur noch sie beide. Genau wie früher. Die ganze Menschheit, alle Sorgen und Ängste blieben außen vor und überließen ihn ganz diesen trostreichen Händen und den kräftigen Lippen, welche sich auf seine legten. Seths Zunge war heiß und sein Atem tropisch. Es war ein gutes Gefühl, über den Stoff seiner Schultern zu streichen und seine Wärme zu spüren. Er ließ sich aufs Bett sinken und genoss den schützenden Körper, der sich über ihn legte und seinen gebissenen Nacken liebkoste. Leider hob Seth sich von ihm ab und ließ ihn mitten in seiner Entspannungsphase ungeküsst. „Du solltest mit Yugi sprechen“ riet seine sanfte, laue Stimme. „Du musst deine Sorgen nicht allein tragen. Ich bin für dich da. Aber du gehörst deinem Pharao. Egal wie sehr du dich schämst, du musst ihm Einblick in dein Selbst gewähren. Er leitet dich an.“ „Das kann ich nicht“ wisperte er. „Ich kann nicht immer Yugi alles aufbürden. Nur weil ich so unfähig bin.“ „Du bist nicht unfähig. Warum sagst du das?“ „Weil ich gar nichts kann“ erwiderte er gebrochenen Mutes. „Ich kann Sethos nicht helfen. Ich kann Sethan nicht helfen. Niemandem kann ich helfen. Ja, ich kann ja nicht mal Feli beschützen.“ „Feli?“ „Wir wissen nicht, wer sie entführen wollte. Und ich … egal wie sehr ich darauf herumdenke, ich kann nichts dagegen tun, dass sie bedroht wird. Alle sagen, ich sei so mächtig und kann nicht mal das.“ „Wenn das alles ist.“ Da musste Seth doch leicht lächeln. „Darum mach dir keine Sorgen.“ „Seth …?“ Und dieses Lächeln verunsicherte ihn etwas. „Felicitas ist meine Neffin. Die Tochter des Bruders meiner Frau und obendrein die Tochter meines liebsten Freundes. Glaubst du, ich lasse es zu, dass man ihr etwas antut?“ „Weißt du, wer dahinter steckt?“ „Ja, aber darum musst du dich nicht sorgen. Ich habe mich bereits um ihn gekümmert.“ „Du hast … Seth …“ Er rückte zögerlich von ihm fort, doch Seth wusste, was Seto dachte. Und er konnte ihn beruhigen. „Ich habe ihn nicht getötet, falls du das denkst. Aber er wird euch nicht weiter bedrohen. Bitte vertraue mir doch einfach etwas mehr, Kleiner.“ „Genau das meine ich doch.“ Seto schloss die Augen und zwang die Tränen zurück. Er wollte nicht immer weinen. Er wollte nicht immer Schwäche zeigen. „Ich sollte in der Lage sein, meine Familie selbst zu beschützen. Stattdessen tun das ständig andere für mich. Das muss aufhören.“ Er strich sich die entkommene Träne fort und schluckte den Schmerz. „Ich muss zurückstecken und mich einfach noch mehr zusammenreißen. Ich muss mich anstrengen. Mich unter Kontrolle haben.“ „Wenn du so denkst, bist du ein Kindskopf. Du solltest nicht versuchen, den Weg des Einzelgängers zu beschreiten. Du brauchst deinen Pharao und er braucht dich. Glaube mir.“ „Und du tust selbst nicht, was du mir rätst.“ „Bei mir liegt die Sache anders. Lass uns nicht darüber streiten, Kleiner.“ „Seth …“ Nein, er wollte nicht weinen. Er wollte es einfach nicht. Aber er fühlte sich so hilflos. So hilflos allem gegenüber. „Bitte geh nicht wieder fort. Ich schaffe das nicht allein.“ „Schscht.“ Er küsste ihn und beruhigte seinen Herzschlag. „Komm zur Ruhe. Dann weißt du, was du tun musst.“ „Seth …“ „Ich weiß, Kleiner. Ich weiß.“ So sehr Seto ihn moralisch verachten sollte, er konnte es nicht. Seth war sein Yami. Niemals konnte etwas zwischen sie kommen. Nicht einmal sie selbst. Er durfte Seth nicht verurteilen. Der tat es auch nicht mit ihm. „Ich möchte mit dir kommen.“ Seto löste den Kuss und sah ihn ruhiger als zuvor an. Als Seth etwas sagen wollte, legte er ihm den Finger über die feuchten Lippen und sah ihm tief in die Augen. „Ich will sehen, was du tust. Zeig mir, deine Welt.“ „Ich denke, es ist niemand einverstanden mit dem, was ich tue.“ „Dass ich einverstanden bin, kann ich auch nicht bejahen. Aber ich urteile nicht über dich. Das kann ich nicht. Nicht so. Ich will sehen, weshalb du uns verlässt. Ich bin ein Teil deiner Seele. Du kannst mich nicht ahnungslos zurücklassen. Du musst mich mit dir nehmen.“ „Ich habe nie gesagt, ich würde dich zurücklassen.“ Freude war in Seths Gesicht nicht zu lesen. Jedoch eine gewisse Freundlichkeit als Seto seinen kurzen Bart nachstrich. „Doch ich habe mein Umfeld derzeit noch nicht so unter Kontrolle, dass ich einen von euch beherbergen könnte.“ „Dann kann ich nicht mit dir kommen? Du sagtest doch, wir könnten mit dir gehen. Mokeph hast du es sogar angeboten.“ „Mokeph ist mein Bruder, das ist etwas anderes. Ihr könnt mich treffen, zu mir kommen, aber nicht mit mir. Noch nicht. Vielleicht später. Dann urteile selbst über mein Vorhaben.“ „Dass du Menschen tötest, werde ich niemals gutheißen.“ „Ich habe nie gesagt, ich würde es gern tun. Das Töten bereitet mir keine Freude. Jedoch akzeptiere ich deine Meinung, solang du mich nicht sabotierst. Und wenn du aus freiem Willen zu dem Schluss kommst, dass du mich auf meinem Wege begleiten möchtest, so bist du mir umso willkommener.“ „Und wenn ich zu dem Schluss komme, dass ich mich dir auch in Yugis Namen entgegenstellen muss?“ „Dann haben wir keine andere Situation als jetzt auch.“ „Nein, danach wäre es anders“ flüsterte Seto und sank zurück mit dem Kopf auf die Matratze. „Ich kann danach nicht mehr in deinen Armen liegen. Ich will nicht dein Feind sein. Vielleicht scheue ich mich deshalb davor, mir eine Meinung zu bilden. Ich will nicht, dass wir Feinde werden …“ „Du wirst niemals mein Feind sein“ versprach Seth und küsste mit sanften Lippen die kühle Stirn. „Ich kämpfe für meine Überzeugung und du tust dasselbe. In diesem Punkt gleichen wir uns. Und wenn wir uns auch dabei gegenseitig umbringen, wir werden niemals verfeindet sein. Das verspreche ich dir.“ „Okay“ hauchte er und schloss die Augen. „Lass uns niemals Feinde sein.“ Er fühlte tief in sich einen Stein ins Rollen kommen. Genau dieses Versprechen befreite ihn für einen Moment von allen Ängsten. Er wollte nicht Seths Feind sein. Und selbst wenn sie sich gegenseitig töten mussten - sie würden niemals Feinde sein. Seth und er hatten sich ein Versprechen gegeben. Auch im Kampf würden sie sich lieben … Chapter 45 Irgendwann hielt Yugi es nicht mehr aus. Kein Geräusch drang aus dem Zimmer und Seto mit Seth ganz allein zu lassen, machte ihm doch mehr als nur Bedenken. Er klopfte an die Tür, doch selbst dann hörte er nichts. „Meinst du, er ist noch da?“ fragte Yami, der mit Yugi gemeinsam vor der Tür lauerte. Gemeinsam mit Mokeph und Mokuba, welche auch keine ruhige Minute fanden. Seths Anwesenheit versetzte alle in Alarmbereitschaft, doch wenn alle vor der Tür hockten, brachte das auch niemanden weiter. Schließlich schien er nicht in böser Absicht gekommen zu sein. „Mir reicht es jetzt. Ich gucke rein.“ Yugi fasste sich ein Herz und eine Türklinke und öffnete. Erst lauschte er, doch es drang noch immer kein Ton heraus. „Liebling? Alles in Ordnung?“ Er schaute gaaaaanz vorsichtig um die Ecke und sah das noch immer verwüstete Zimmer. Doch Seth war fort. Stattdessen saß Seto allein auf dem Bett, welches schief mitten im Raum stand. Seine weißen Arme hatten wieder eine normale Farbe und auch sein Blick strahlte mehr Ruhe aus. „Ist Seth weg?“ „Ja, schon eine Weile“ antwortete er und hörte das Aufatmen von draußen. „Was wollte er denn?“ Yami drängelte sich an Yugi vorbei und war erst mal über das Zimmer verdutzt. „My dear Mr. Singingclub, ihr habt ja ganz schön gewütet.“ „Yami, Fettnapf“ versetzte Yugi von hinten. „Schon gut. Er hat ja Recht“ seufzte Seto und lehnte sich etwas nach vorn in den Schneidersitz. „Kann ich mit dir reden, Yugi? Oder bist du noch zu böse auf mich?“ „Ich bin erleichtert, dass dir nichts passiert ist, mein Herz.“ „Na gut“ beschloss Yami und schluckte sowohl seine Enttäuschung als auch seine Erleichterung runter. Er hätte Seth gern gesehen und versucht, mit ihm ein klärendes Wort zu sprechen. „Ich fahre jetzt ins Aquarium, okay?“ „Du brauchst doch sicher jemanden, der dich fährt, während Finn arbeiten muss“ bot Mokeph gleich an und wurde von Yami schon am Arm gepackt. „Du bist so ein Schatz!“ Nur Mokuba kam Yugi nach und blickte seinen großen Bruder vorsichtig an. Vielleicht konnte er ihn noch etwas beruhigen. „Ich wollte nur sagen, dass es Tato gut geht. Er schläft jetzt, heute Abend ist er wieder auf dem Damm. Er sagt, du musst dir keine Gedanken machen. Das was da … passiert ist … das sei nicht so ungewöhnlich.“ „Danke.“ Und dieses Danke klang nach mehr als nur einem Danke für die Info. Eher dafür, dass er immer dann zur Stelle war, wenn es drauf ankam. Ohne Mokuba wären einige Situationen in seinem Leben ganz anders ausgegangen. „Was macht dein Kopf, Großer? Hast du noch Schmerzen?“ „Geht schon.“ „Aber ich konnte dich nicht zu Ende heilen, weil …“ … weil er ihn nicht gelassen hatte. Seto wehrte sich gegen jede Berührung. „Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen.“ „Ich habe schon Schlimmeres überlebt. Außerdem geht es wirklich.“ „Na gut …“ Wenn er es sagte. Dennoch würde er sich später nochmals von der Richtigkeit dieser Aussage überzeugen wollen. „Ich hole jetzt die Kinder vom Kindergarten ab. Wir gehen hinterher noch Eis essen. In Ordnung?“ „Ja, ist in Ordnung“ meinte Yugi und setzte sich zu Seto aufs Bett. Erst als Mokuba die Tür geschlossen hatte, sah er ihm in die Augen. „Und wie geht’s dir, Engelchen?“ „Ich bin ruhiger“ erwiderte er und sah schuldbewusst auf die Matratze. „Du willst sicher wissen, was los war. Und was Seth gesagt hat.“ „Neugierig bin ich schon. Aber ich will dich nicht zwingen, etwas zu erzählen. Ich glaube, ich habe dich vorhin ziemlich unter Druck gesetzt. Das tut mir leid.“ „Nicht!“ Er zog die Hände zurück als Yugi sie greifen wollte. Doch dann atmete er tief durch und kämpfte um seine labile Fassung. „Entschuldigung. Ich … ich kann das jetzt nicht. Ich bin ziemlich angespannt.“ „Okay. Entschuldige.“ Yuhi behielt also seine Hände bei sich und rutschte auch ein Stück weg. Er fühlte eine gewisse Enttäuschung darüber, dass Seto auf Abstand ging. Doch auch eine gewisse Entlastung, da er jetzt aufrichtig zu sprechen schien und sagte, was Sache war. Er setzte sich ans Fußende und ihm damit direkt gegenüber. Nur den Blick ließ er durchs Zimmer schweifen, wollte ihn nicht auch noch mit zu viel Augenkontakt einengen. „Seth wollte mich nicht mitnehmen“ gestand er mit gefühlsarmer Stimme. „Ich habe ihm gesagt, dass er mich mitnehmen soll, aber er wollte nicht. Er sagte, ich kann ihn treffen, aber ich kann nicht bei ihm bleiben. Er sagte, vielleicht später irgendwann. Du bist sicher erleichtert, dass du darüber jetzt nicht mehr nachdenken musst.“ „Um ehrlich zu sein schon ein bisschen. Aber für dich tut es mir leid. Dass er deine Gesellschaft abgelehnt hat, obwohl er Mokeph schon angeboten hat, mitzukommen … wie fühlst du dich denn dabei?“ „Gar nicht so schlimm wie ich dachte. Vielleicht brauche ich gar nicht mit ihm gehen und mir eine Meinung bilden. Ich glaube, es war etwas ganz anderes, was mir fehlte.“ „Und … was?“ Nachdem Seto heute Mittag so offensichtlich gelogen hatte, schien er jetzt erstaunlich offen. Und nachdem er so gewütet hatte, schien er erstaunlich ruhig. Etwas war mit ihm geschehen. „Ich glaube, meine wahre Angst bestand darin, dass Seth und ich uns nicht mehr lieben … dass wir Feinde sein würden …“ beichtete er und knetete den Saum seiner dunkelblauen Hose. Er war angespannt, aber doch zugänglich. Er wusste, er musste mit Yugi sprechen. Daran führte kein Weg vorbei. „Und Seth sieht dich nicht als Feind? Hat er das gesagt?“ „So etwas ähnliches. Er sagte, er kämpft für seine Überzeugung und ich für meine. Und er sagte, auch wenn wir uns gegenseitig umbringen sollten, werden wir keine Feinde sein. Es ist albern, aber irgendwie hat mich das erleichtert.“ „Nein, das ist nicht albern.“ Er würde so gern seine heimatlosen Hände greifen. Ihn in den Arm nehmen. Ihn beschützen und trösten. Doch Yugi musste an sich halten und den Abstand wahren, den Seto brauchte. „Daran, dass Seth dich liebt, hat niemals jemand gezweifelt. Niemand außer dir anscheinend.“ „Er zieht Yami vor. Aber das hat er immer schon. Und auch wenn Seth so schlimme Dinge tut, hat sich das Gefühl zwischen uns nicht verändert. Ich glaube, er erwartet sogar von mir, dass ich nur das tue, was für mich das Richtige ist. Wenn das bedeutet, dass wir auf verschiedenen Seiten stehen und gegeneinander kämpfen müssen, dann muss das wohl so sein. Aber er hat mir klargemacht, dass er mich liebt. Selbst wenn er mich töten würde, ändert das nichts daran, dass er mich liebt. Das weiß ich jetzt. Und ich glaube, er weiß dasselbe.“ „Das klingt als hättest du damit abgeschlossen, dass ihr eventuell …“ „Dass wir uns eventuell gegenseitig töten?“ fragte er und sah mit Tränen in den Augen auf seine Finger. „Nein, damit habe ich nicht abgeschlossen. Aber ich habe akzeptiert, dass er ebenso seine Überzeugung hat wie ich. Ich will die Welt so gestalten, dass du und meine Familie darin glücklich leben können und von niemandem schlecht behandelt werden. Dafür würde ich alles tun. Und genau dasselbe denkt Seth auch. Auch wenn die Auswirkungen unterschiedlich sind, sind es unsere Überzeugungen nicht. Er glaubt, dass Yami nur in einer Welt glücklich wäre, in welcher er als Pharao herrscht und von jedem als Majestät anerkannt und verehrt wird. Diese Welt zu installieren, ist, was er bezweckt. Und sein Heimweh tut das Übrige. Ich aber bezwecke, dass du, egal in welchem Umfeld, deine eigene Meinung entfalten kannst und mir selbst diese wichtiger ist als alles andere. Im Gegensatz zu Seth habe ich keine streng religiöse Überzeugung und auch keine Heimat, nach der ich mich sehnen könnte. Du bist meine Religion und du bist meine Heimat. Deshalb könnte ich mir gar keine Meinung bilden. Weil mir die Orientierung fehlt. Du bist die einzige Orientierung, die ich habe. Seth hat von früh auf gelernt, wie man den Pharao behandelt, hat sich nach Geboten gerichtet und gelernt, die Befolgung derer einzufordern. Er glaubt wirklich und wahrhaftig, dass es genau dies ist, was sein Pharao braucht. Weil er zuerst die Gebote gelernt hat und danach das Wort seines Pharaos. Das ist bei mir anders. Bei mir gab es vor dir nichts. Und deshalb könnte ich niemals eine Weltanschauung vertreten, welche du mir nicht gibst. Und damit glaube ich, dass ich nicht nach einer Überzeugung gesucht habe. Ich habe mich gar nicht danach gefragt, ob es richtig oder falsch ist was Seth tut. Ich habe nicht danach gesucht, mich von ihm abzugrenzen oder mich ihm anzuschließen. Ich wollte nur einfach sicher sein, dass ich noch immer ein Teil von ihm bin und dass er mich liebt. Und wenn ich mich tatsächlich eines schlimmen Tages gegen ihn stellen müsste, dann weiß ich jetzt, dass ich nicht gegen meinen Yami kämpfe, sondern für meine Überzeugung. Ebenso wie er nicht gegen mich kämpft, sondern, genau wie ich, für seine Überzeugung. Und jetzt, wo ich zu diesem Entschluss gekommen bin, werde ich mich auch nicht mehr gegen dich stellen. Weil deine Meinung das ist, was ich verteidigen will. Monolog Ende.“ Yugi dachte über diese Worte nach. Natürlich war er froh, dass Seth offensichtlich den Stein von Setos Seele genommen und ihn freigegeben hatte. Doch eines war ihm noch wichtig zu sagen: „Liebling, ich möchte aber, dass du deine eigene Meinung hast. Du sollst mir gar nicht willenlos folgen. Ich brauche auch deinen Rat.“ „Ich weiß.“ Er sah kurz auf, traf ganz kurz Yugis Blick und sah dann mit einem Seufzen zurück auf seine Füße. „Ich weiß, dass du keinen hörigen Jasager gebrauchen kannst. Ich könnte meine Meinung auch gar nicht immer zurückhalten. Doch ich habe den Unterschied zwischen Meinung und Überzeugung erkannt. Meine Meinung ist noch immer, dass ich nicht entscheiden kann, ob Seths Handeln böse oder gerechtfertigt ist. Aber meine Überzeugung ist, dass ich ihn keine Welt installieren lasse, in welcher du ausdrücklich unglücklich wärst. Das ist es, was ich sagen wollte.“ „Und wie fühlst du dich dabei?“ „Erleichtert.“ Er wischte sich die Tränen fort, bevor sie kullern konnten. Seine Stimme klang zwar ohne Emotion, jedoch seine Augen sprachen alles aus. „Und kann ich etwas für dich tun? Dich in den Arm nehmen? Oder dich allein lassen? Dir etwas kochen? Irgendwas, damit du dich besser fühlst?“ „Du musst mir ein Versprechen geben. Bitte.“ Er sah erneut auf und bemühte sich, Yugis Blick nun etwas länger standzuhalten. „Ein Versprechen“ wiederholte er und sah sowohl Hoffnung als auch einen Funken Furcht in diesen artkisblauen Augen. „Und was für eines?“ „Erst musst du es versprechen. Vorher kann ich dir nicht sagen, was du versprochen hast.“ „Ich soll dir etwas versprechen, ohne zu wissen, worum es geht?“ „Ja … ich glaube, dann würde es mir viel besser gehen. Es sei denn … also … musst auch nichts versprechen. Ist ja auch doof, wenn … ich meine … eigentlich …“ „Nein, ich vertraue dir.“ Er lehnte sich zu ihm, doch stoppte im letzten Moment. Er durfte Setos Hände nicht greifen, ihn nicht umarmen. Er musste sich zurückhalten, so sehr es ihn auch drängte. Er musste Setos Bitte akzeptieren. „Und damit du siehst, wie sehr ich dir vertraue, verspreche ich es dir. Ich weiß zwar nicht was, aber ich verspreche es. Ganz fest. Okay?“ Doch eines konnte er tun. Er hielt Seto den kleinen Finger hin und setzte ein sanftes, zärtliches Lächeln für ihn auf. „Versprochen ist versprochen.“ Seto zuckte kurz, bevor er er seine Hand hob. Aber er hob sie und hakte Yugis Finger ein. „Und wird nicht gebrochen“ ergänzte er und klammerte diese kleine Geste ganz fest. „Nein, wird nicht gebrochen“ versprach Yugi und ließ ihn wieder frei. Nun wollte er aber auch wissen, was er versprochen hatte. „Und zu was habe ich mich jetzt verpflichtet?“ „Dass du dich nicht wieder zurückwünschst“ antwortete er und zog beide Arme eng um seinen Bauch. Das hier fiel ihm viel schwerer als das Geständnis zuvor. Yugi jedoch konnte mit diesem Satz nicht sofort etwas anfangen. „Mich nicht zurückwünschen?“ „Feli ist eine Fee und Sethos sagte mir, dass der Zauber, mit dem sie deinen Körper verwandelt hat, keine Negativfolgen oder Nachteile birgt. Es ist tatsächlich alles so wie du es haben wolltest.“ „Das hätte ich dir auch sagen können, mein Engel“ lächelte er sanft. „Nur warum siehst du dabei so bedröppelt aus? Verunsichert dich mein Körper?“ „Ja, sehr“ quetschte er leise heraus. „Du hast drei Tage Zeit, dich zurückzuwünschen. Also nur noch bis zum Anbruch des morgigen Abends. Danach bleibt alles so wie es ist.“ „Deshalb hat Nikas Verwandlung wohl auch drei Tage gebraucht. Ich meine, erst drei Tage nachdem Feli entführt werden sollte, wurde sie wieder ein Mann …“ „Ja. Obwohl da wohl etwas durcheinander gegangen ist, das ist diese Dreitageregel.“ „Und du … würdest du denn wollen, dass ich mich zurückwünsche?“ „NEIN! Genau das hast du mir doch gerade versprochen!“ fügte er schnell hinzu und suchte eilig Yugis Augenkontakt. „Du hast versprochen, das du so bleibst.“ „Okay …?“ Und warum genau sah Seto nun so gehetzt aus? „Und … weshalb? Ich meine … hat dir der neue kleine Yugi doch nicht so gut gefallen?“ „Nein … nein … über … überhaupt nicht“ stotterte er und senkte das Gesicht so tief, dass Yugi nicht mehr hineinsehen könnte. „Bitte sei nicht böse. Lass mich ausreden, ja? Bitte nicht böse sein.“ „Ich bin doch nicht böse … Liebling, was ist denn?“ „Ich ekele mich vor dir“ hauchte er so leise, dass Yugi es fast nicht hörte. „Du ekelst dich? Vor mir?“ „Mir wird übel, wenn du mich anfassen willst. Ich … ich komme nicht damit klar. Mit deinem Körper. Ich meine, ich liebe dich über alles. Aber das … ich komme da nicht so schnell mit. Ich … ich habe so eine Abscheu, die ich nicht erklären kann.“ „Aber wenn du dich vor meinem Körper scheust, warum kommt das jetzt erst? Ich meine, wir haben doch schon miteinander geschlafen. Warum kommt das jetzt erst?“ „Das war vorher auch schon so. Ich habe es ja versucht. Ich meine … ich … ich habe … ich wollte ja. Aber alles ist so anders. Und ich … ich kann dich nicht anfassen. Ich kann dich nicht mal richtig angucken. Alles in mir sträubt sich.“ Das musste Yugi erst mal schlucken, bevor er versuchen konnte, es zu verstehen. Seto ekelte sich also vor ihm? Das kam überraschend. „Aber du hast doch mit mir geschlafen. Und … du hattest gestern damit noch keine Probleme. Und heute hast du mich geküsst …“ „Ich …“ Er ärgerte sich, dass seine Stimme hell wurde und quietschte. Und er ärgerte sich, dass er schon wieder weinte. Er würde so gern ruhiger wirken, doch das hier war alles, was er an Beherrschung aufbieten konnte. „Ich hatte Probleme. Aber ich habe dich angelogen. Ich war nicht erregt. Ich habe das alles nur gespielt.“ „Du hast das gespielt? Aber du hast gestöhnt und … Liebling, du bist doch mit mir zusammen gekommen.“ „Nein, bin ich nicht. Ich habe nur so getan. Deswegen habe ich mich doch umgedreht. Damit du mich nicht siehst. Und damit ich dich nicht sehe. Ich habe dich angelogen. ES TUT MIR SO LEID! ICH WUSSTE NICHT, WAS ICH TUN SOLLTE!“ Er schlug die Hände vors Gesicht und schluchzte. Seine Beherrschung verließ ihn. Und er wollte doch ruhig mit Yugi sprechen. Und nun flüsterte er und schrie und zitterte. Er fühlte sich so elend. „Du hättest mir einfach sagen müssen, dass du nicht kannst oder nicht willst oder was auch immer. Du musst doch nicht mit mir schlafen, nur weil …“ „ABER ICH WOLLTE DICH GLÜCKLICH MACHEN! ABER DAS KONNTE ICH NICHT! ICH WUSSTE NICHT … ICH KONNTE NICHT ANDERS! AAHH!“ „Und der Orgasmus, den du hattest? War der auch gespielt?“ „ES TUT MIR SO LEID! YUGI, ICH LIEBE DICH! ICH LIEBE DICH DOCH!“ „Ist gut. Hör auf zu weinen.“ Er wollte ihm die Hand aufs Knie legen, doch das würde alles nur noch schlimmer machen. Seto ekelte sich vor ihm. Das war schwer zu ertragen. Für beide. „Hast du deshalb die Schlaftabletten genommen? Konntest du sonst nicht neben mir liegen?“ Seto schluchzte und zitterte wie Herbstlaub. Das allein war Antwort genug. Yugi seufzte und faltete die Hände. Seine größeren Hände, welche Seto nicht auf seinem Körper ertrug. Er selbst hatte sich so gefreut, dass sein Traum endlich wahr wurde und er so aussah wie er sich fühlte. Zwar hatte er vermutet, dass Seto damit ein paar Probleme haben könnte oder sich vielleicht erst daran gewöhnen musste. Doch dass er sich so sehr ekelte und sich dabei selbst so unter Druck gesetzt fühlte. „Das tut mir leid“ sagte er mit leiser Stimme. „Ich habe nicht gesehen wie unwohl du dich fühlst. Ich habe nur mich selbst gesehen. Es tut mir leid, Liebling.“ „Nein, es ist meine Schuld. Ganz alleine meine“ weinte er und hielt die Hände vors Gesicht. „Ich wollte dir das nicht sagen, aber … aber …“ „Nein, es ist gut, dass du es mir sagst. Aber du hättest nicht mit mir schlafen dürfen, wenn es dir unangenehm ist. Du hättest früher mit mir sprechen müssen.“ „Aber ich liebe dich. Ich liebe dich doch. Über alles. Es ist alles meine Schuld.“ „Nein, ich bin mindestens genauso schuldig. Liebling, habe ich dich so unter Druck gesetzt mit meinem Wunsch?“ „Nein, du warst … ich … ich war … ich weiß nicht. Ich liebe dich. Ich bin gar nichts ohne dich. Ich liebe dich und … ich muss doch Gefühle haben. Warum nur?“ „Liebling, wenn es dir so schlecht dabei geht, werde ich mich doch zurückwünschen.“ „NEEEIIIN!“ rief er und sah ihn fiebrig an. Er atmete schwer in seine Brust und ballte die Fäuste. „Dhas dharfst dhu nhicht. Dhu hast hes vhersprhochen.“ „Ist gut. Ganz ruhig.“ Seto sah aus als würde er jeden Moment kollabieren. „Aber wenn es dir so schlecht dabei geht und du lügen musst ...“ „DU HAST ES VERSPROCHEN!“ „Aber warum ist dir das so wichtig?“ Er löste die Hände und es kullerten wieder einige Tränchen nach. Er war hin und her gerissen zwischen den vielen Gefühlen. „Weil es dir wichtig ist.“ „Nichts ist mir so wichtig wie du. Das solltest du doch wissen.“ „Genau das ist das Problem! Immer tust du alles für mich! Ich will auch etwas für dich tun!“ „Aber einen Orgasmus vorzuspielen und nur unter Schlaftabletten neben mir zu liegen, ist nichts, was ich mir wünsche. Und weniger als alles andere wünsche ich mir, dass du dich zu Sex zwingst.“ „Ich werde mich daran gewöhnen. Aber bitte wünsche dich nicht zurück. Bitte Yugi. Bitte gib mir eine Chance. Bitte. Du hast es versprochen. Du hast gesagt, du vertraust mir. Du hast es versprochen. Versprochen. Versprochen.“ „Beruhige dich. Atme durch.“ Er atmete selbst tief ein und wieder aus. „Ganz ruhig. Atme mit mir, okay?“ „Mir ist … schwindelig.“ „Genau deswegen. Atme ganz ruhig. Ein und aus.“ Er atmete mit Seto gemeinsam. Sein eisiger Atem zitterte und kondensierte an der vergleichsweise warmen Luft. Setos ganzer Organismus spielte verrückt. Vielleicht hatte er sich auch deshalb in dieses monsterähnliche Wesen verwandelt. Weil er verwirrt war und eingeengt. Yugi war verletzt, tief verletzt, dass Seto nicht mit ihm gesprochen hatte. Er hatte ohne Gefühle mit ihm geschlafen und ihm etwas verheimlicht, worüber sie hätten sprechen müssen. Aber er verstand auch, weshalb er es getan hatte. Er wusste wie wichtig Yugi dieser Körper war und wie groß sein Wunsch danach. Und er hatte durchaus nicht übersehen, dass Setos Wohlbefinden ihm wichtiger war als alles andere. Und genau deshalb steckte er in dieser Zwangslage. Genau deshalb geriet er so aus dem Gleichgewicht. „Gut. Und jetzt finden wir eine Lösung. In Ordnung?“ Er lächelte, auch wenn er am liebsten heulen würde. Seto war so aufopfernd und liebevoll. Aber gleichzeitig auch so engstirnig und selbstzerstörerisch. „Du darfst dich nicht zurückwünschen.“ Seine Augen hatten sich unter den vielen Tränen rot gefärbt und sein Körper zitterte noch immer. „Das könnte ich nicht ertragen. Ich will, dass du so bleibst. Ich will mich daran gewöhnen und dich so lieben wie du sein willst. Du hast es versprochen.“ „Ja, ist ja gut“ beruhigte er und seufzte. „Und was tun wir jetzt? So kann es nicht weitergehen. Du bist ja völlig am Ende. Und das schon nach zwei Tagen.“ „Ich kann mich daran gewöhnen. Ich weiß es“ bettelte er mit tränenden Augen. „Bitte, Yugi. Bitte gib mir diese Chance. Bitte vertrau mir. Trau mir das zu. Bitte. Bleib so.“ „Ist gut. Ich habe dir ja mein Versprechen gegeben.“ Nun musste er sich etwas ausdenken. Seto zuliebe würde er sich sofort wieder zurückwünschen. Doch wenn er das tat, würde der sich vollends entmutigt fühlen. Dann würde er denken, dass Yugi ihm nichts zutraute. Doch ihn an diesen Körper zu gewöhnen, würde ein langes, schweres, nervenaufreibendes Stück Arbeit werden. Kapitel 10: Chapter 46 - 50 --------------------------- Chapter 46 Bei so einer großen Gemeinschaft waren glücklicherweise sehr schnell genug Leute zur Hand, welche beim Aufräumen halfen. Zumal wenn Tato und Seto gemeinsam allein mit Ihren Gedanken Schränke bewegten, war das Aufräumen binnen kurzer Zeit erledigt. Mokeph und Narla wischten das Blut vom Boden auf, Tristan, Nika und Marik bastelten zusammen, was kaputt gegangen war und Hannes hatte für die blutverschmierte Wand so schnell einen Eimer Farbe besorgt, dass das Zimmer schon am Abend wieder bewohnbar war. Und das alles ohne dass die Kinder Wind davon bekamen. Nur, dass die neue Wand etwas heller war und ein leicht scharfer Farbgeruch in der Luft lag … In der Nacht hatte Yugi in Ninis Bett geschlafen und Seto gemeinsam mit klein Tato das große überlassen. Yugi fand so gut wie keinen Schlaf. Dafür war Seto eingeschlafen bevor Tato überhaupt zu ihm ins Bett kroch. Der musste wohl einiges an Erholung nachholen und Yugi ließ ihn schlummern. Dennoch gab es sowohl zur Nacht als auch zur Verabschiedung am Morgen einen kurzen Lippenkuss. Keine große Knutscherei, kein Kuscheln, kein Anlächeln wie es sonst alltäglich war. Seto brauchte viel Zeit, um sich an Yugis neuen Körper zu gewöhnen. Und der selbst nun auch. Vor allem dieser Abstand zwischen ihnen war ungewohnt. Wenn man sich über Jahre um einen Kuschler wie Seto kümmerte, ihn ständig berühren musste, ihn küsste und ihm bei jeder Gelegenheit über den Kopf, das Gesicht oder die Hände strich … es war erschreckend wie sehr Yugi sich an diese Nähe gewöhnt hatte. Und noch erschreckender wie sehr ihm Setos Nähebedürfnis fehlte. Es war so furchtbar ungewohnt, ihn nicht mehr selbstverständlich berühren zu dürfen. Und sein Herz wurde schwerer und schwerer je länger er darüber nachdachte. Er liebte es, wenn sein Drache sich an ihn schmiegte, in seine Arme legte oder einfach den Kopf an seine Schulter stützte. Seto suchte immer nach Nähe. Nein, er suchte speziell nach Yugis Nähe. Doch nun nicht mehr. Nun war es wieder eine Überwindung, jede Berührung ein neuer Kampf. Seto liebte Yugis Körper, er hatte gelernt, sich ihm hinzugeben und ihm nahe zu sein. Wie konnte es nur passieren, dass diese Nähe so schnell verschwand … Das Einkaufen vertagte Yugi auf später und fuhr stattdessen ins Aquarium. Um sich abzulenken und auf andere Gedanken zu kommen, denn Grübeln machte ihn nur traurig. Sareth, Narla und Marie hatten eine Idee gehabt, welche sie mit etwas Hilfe von Joey auch schnell in die Tat umsetzen wollten. Und da Yugi nun mal derjenige mit dem geräumigsten Auto war und Marik beim Schleppen half, würde Sethos sein blaues Wunder erleben. Sie fuhren auf zwei Autos verteilt und guckten immer wieder hilfesuchend gen Himmel. Nachdem es in den letzten Wochen fast durchgängig sonnig war, holte das Wetter jetzt alles nach. Es schüttete, sodass die Gullis in der Stadt teilweise überliefen und das Fahren über die ländliche Strecke bis zum Aquarium an der Stadtgrenze zu einem gefährlichen Unterfangen wurde. Selbst allerbeste Turboscheibenwischer boten nur begrenzte Sicht auf die Straße. Rücklichter waren nicht zu erkennen. Straßenbahnmarkierungen schlicht unsichtbar. Das Fahren war enorm anstrengend. Doch etwas später als geplant schafften sie es dann endlich. Yugi stellte den Motor aus und sah fragend zu Sareth und Marie nach hinten. Bei dem Wetter würden weder sie noch ihre Fracht trockenen Fußes rüber kommen. „Ja, das habe ich auch gerade gedacht“ seufzte Sareth und sah nach draußen. „Bei dem Regen geht uns die ganze Elektronik kaputt.“ „Wir bräuchten eine Plane oder so“ überlegte Marie. Dann lächelten sich die beiden Mädchen zu und blickten vielsagend zu Yugi. „Ich habe nicht mal einen Regenschirm dabei!“ Seeeeehr vielsagend. Der seufzte und sah sich zum Aussteigen genötigt. Die Damen würden sich so schnell ja doch nicht bequemen. Vorher sah er schon Marik ans Autofenster klopfen. Der hatte keine Scheu vor dem Regen. In der Wüste regnete es so gut wie niemals und er sah so aus als würde er es regelrecht genießen, bis auf die Haut nass zu werden. Yugi ließ das Fenster runter und sah skeptisch in das breit lächelnde, triefend nasse Gesicht. „Marik, du bist pitschnass.“ „Ja, es ist großartig“ grinste er zurück. Er blickte nach hinten und die beiden Mädchen schauten ihn etwas merkwürdig an. „Hey, Regen ist was tolles.“ Seeeehr merkwürdig. „Banausen.“ Punkt. „Yugi, ich habe eine Idee. Wenn wir die große Tür weit aufmachen, kannst du mit dem Heck direkt bis unters Dach fahren. Dann kriegen wir zumindest den Fernseher trocken raus. Der Rest ist eh in Plastiktüten verpackt und das Holz können wir auch abwischen.“ „Ja, ist gut“ nickte Yugi und fuhr das Fenster wieder hoch, bevor noch seine ganze Armlehne nass war. Er beobachtete wie Marik die große Blechtür des Eingangs entriegelte und möglichst weit öffnete. Dann winkte er Yugi heran und ging zurück zu seinem eigenen Wagen. Oder eher zu dem, den er sich von Seto geborgt hatte und in welchem Narla auf besseres Wetter wartete. Yugi fuhr vorsichtig rückwärts und hoffte, dass er bei dieser schlechten Sicht keine Beule in die Stoßstange fuhr. „Da ist noch Platz, Opa.“ Sareth drehte sich um und lotste ihn rein. „Ein bisschen nach links noch.“ „Dein links oder mein links?“ „Da hin“ zeigte sie nach rechts. Opa Yugi war geduldig, lenkte also nach rechts und trat bei ihrem „STOPP!“ auf die Bremse. „Perfekt eingeparkt.“ „Wenn du mal keinen Job findest, kannst du dich als Einparkhilfe verdienen, Sari.“ „Zumal meine Rechnerleistung so schön hoch ist“ lachte sie und krabbelte über den Rücksitz in den Kofferraum. „Ich steige hinten aus. Okay?“ „Was fragst du noch? Du bist doch schon hinten“ meinte Marie und öffnete ihre Tür, um ganz schnell ins Trockene zu schlüpfen. Mit dem dicken Bauch war sie froh, wenn sie überhaupt aus dem Auto kam - vom Rücksitz mal ganz zu schweigen. Yugi stellte den Motor zum zweiten mal aus und lief selbst geschwind unters Dach, wo er fast mit Narla zusammenstieß, die gegen die Nässe eher rannte und dabei zwei Plastiktüten mitschleppte. „Scheiße, ist das ein sintflutlicher Regen!“ fluchte sie und drückte Marie die Tüten in die Hand. „Ich glaube, Marik ist der einzige, der sich über das Wetter freut.“ Denn der holte ganz locker flockig und ohne jede Angst vorm Nasswerden die Seitenwände eines Schrankes aus dem Kofferraum. „Och, ich muss sagen“ schmunzelte Marie erwärmt. „Wenn ich Marik so sehe, finde ich das Wetter auch ganz schick, Mädels.“ Denn er trug ein weißes T-Shirt und war bis auf die Knochen durchnässt. Dazu seine enge, blaue Jeans, sein tropfendes, platinblondes Haar und seine dunkle Karamellhaut. Ja, das machte das Wetter doch sympathisch. „Mädchen, Mädchen, Mädchen“ rügte Yugi sie spaßhaft und zeigte mit dem Finger auf die drei Gafferinnen. „Ihr seid alle drei bereits vergeben.“ „Mein Mann ist irgendwo weg“ rechtfertigte sich Marie, ohne den Blick abzuwenden. „Mein Freund ist zu jung, um sexy zu sein“ rechtfertigte sich Sareth, ohne den Blick abzuwenden. „Tja …“ Und was fiel Narla ein, ohne den Blick abzuwenden? Joey war Marik vom Umriss her recht ähnlich. „Mein Freund ist …“ „Jaaaaa?“ grinsten die drei sie an. „Zu faul, um bei Regen Schrankwände aus dem Kofferraum zu holen.“ „Was kriege ich, damit ich euch nicht verpetze?“ „Ach, Yugi“ schmunzelte Marie. „Gib’s zu. Du findest Marik auch heiß.“ „Also, Seto finde ich tausendmal heißer.“ „Du meinst cooler.“ „Das auch.“ „Nun gib’s schon zu. Marik ist ne Verschwendung der Natur.“ „Dass der keine Freundin hat“ seufzte Narla. „Vielleicht ist er schwul“ überlegte Marie. „MARIK! BIST DU SCHWUL?“ Der hörte mit dem Packen auf und sah eher mehr als weniger verdutzt herüber. Was war das denn für ne merkwürdige Frage? Oder hatte er sich über die Lautstärke des prasselnden Regens verhört? „WAS WOLLT IHR?“ „Ob du schwul bist, wollen die Mädchen wissen! Die wollen alle mit dir auf den Rücksitz! Such dir eine aus. Mr. Wetshirt!“ „YUGI!“ Nachdem Marik also die ganzen Einzelteile ins Trockene geschleppt hatte, die Mädchen den Schrank trockneten und zusammenbauten, kümmerte sich Yugi um die elektrischen Teile. Nur Mr. Wetshirt wurde reingeschickt, bevor er sich erkältete. Da drin hatte sicher jemand Klamotten für ihn. Die wären bestimmt nicht so sexy, aber gesünder. „Guten Morgen!“ grüßte er freundlich als er hereintrat. Sethos lag schon auf dem Sofa, dich eingepackt in wärmende Decken. Amun-Re massierte ihm die Füße und Balthasar saß im Sessel und las. Sethan hörte auf, nach einem neuen Radiosender zu suchen und sah ihn mit großen Augen an. Ebenso wie zwei der drei anderen. Sethos öffnete zwar mal kurz die Augen, aber döste dann seelenruhig weiter. „Sexy!“ freute Amun-Re sich lautstark. „Marik, du stehst leider nicht auf Männer, oder oder habe ich ne Chance bei dir?“ „Warum wollen das heute alle wissen?“ antwortete er halb belustigt, halb genervt von diesen Unterstellungen. „Soll ich mir ein Stirnband umbinden, wo dick und fett ‚SINGLE UND GLÜCKLICH‘ draufsteht?“ „Das schreckt auch niemanden ab. Du bist ein feuchter Traum, mein Schatz.“ „Amun-Re“ verbat Sethos sich leise. Keine Auszuglüchkeiten vor dem Frühstück. „Ich freue mich nun mal über Regen. An meiner Stelle würde euch das nicht anders gehen.“ „Oh, ich mag Regen auch so“ lächelte Amun-Re. „Und wenn ich dich sehe, nur noch mehr.“ „Seufz.“ „Ich mag Regen nicht“ meinte Balthasar. Über dieses Wetter dachte er alles außer schöne Gedanken. „Feuermagier zählen nicht. Die sind von Natur aus regenscheu“ meinte Marik und sah Sethan an, der sich weder am Gespräch beteiligte, noch sich sonderlich über diesen Besuch zu freuen schien. Marik war schließlich der Grund, weshalb er hier wohnte. Und Marik ahnte, dass es besser war, ihn nicht gesondert anzusprechen. „Hat einer von euch vielleicht trockene Klamotten für mich?“ „Sethans und meine müssten dir passen“ meinte Balthasar, legte sein Buch weg und ging in Richtung der hinteren Räume. „Sethan, ich habe keine sauberen Oberteile mehr. Kann ich Marik eins von dir geben?“ „Er kann ja schlecht noch nackter rumlaufen“ murmelte der, stand ebenfalls auf und verließ den Raum durch den Seitenausgang. Und ließ Marik einmal mehr ratlos zurück. „Ich habe ihm doch gar nichts getan“ bat er und sah den füßemassierenden Sonnengott an. „Warum hasst er mich so?“ „Ich kann Sethans Gedanken nicht lesen“ seufzte der und piekte Sethos in den Fuß, womit der sich schüttelte und zusammenzuckte. „Darling, was denkt Sethan über Marik?“ „Hast du keine anderen Probleme, mein Gott?“ murrte der ohne die Augen aufzumachen. „Komm schon. Du weißt doch mehr als wir alle zusammen.“ Er war so süß. Deswegen musste der Priester einfach noch mal gekitzelt werden. „Hör auf, mich zu pieken!“ Er zog die Füße von seinem Schoß und unter die schützende Decke. „Jetzt ziere dich nicht so. Gib Marik einen Ratschlag.“ „Frag ihn doch einfach, warum er so ist.“ „Habe ich ja schon“ seufzte er und verschränkte die Arme. Jetzt wurden die nassen Klamotten irgendwie doch ungemütlich kalt. „Aber er blockt nur ab und geht mir aus dem Weg. Ich will ihn ja nicht nerven, aber wenn mich jemand nicht mag, wüsste ich wenigstens gern warum.“ „Du willst doch am Samstag eh zurückfliegen und dann sieht er dich nicht wieder. Sag ihm, dass du wenigstens in Frieden gehen willst. Das sollte reichen.“ „Meinst du?“ „Sethos gibt selten Ratschläge“ riet Balthasar und hielt ihm einige ungebügelte Klamotten hin. „Deshalb würde ich sie erstrecht befolgen.“ „Danke.“ „Kannst dich hier umziehen. Bis auf Amun-Re gafft ja keiner.“ „Ich bin brav“ lächelte der, aber riskierte doch mal einen Seitenblick als Marik sich das nasse Shirt von der lecker dunklen Haut zog und seinen sexy tätowierten Rücken zeigte. Sethos wusste ja, dass sein Gott auch andere Männer und Frauen begehrte, aber dennoch öffnete er seine Augen einen Spalt und sah ihn funkelnd an. Zuerst mal stand seine Aufmerksamkeit ja wohl ihm und seinem kranken Körper zu. „Du bist tausendmal süßer, mein Schnucki.“ Er krabbelte zu ihm unter die Decke und kuschelte sich in seine Arme. Auch schon weil er dann nicht zugeben musste wie knusprig er Mariks Popo fand, der an dem nassen Stoff klebte. Sethos brummelte vor sich hin und ließ sich anstandslos kuscheln. „Bist du alleine hier?“ wollte Balthasar wissen und räumte die nassen Sachen aus dem Weg. „Nein, die anderen sind noch draußen“ erwiderte er und wurde auch die nassen Socken los. „Yugi und ich sind gefahren und Narla, Sari und Marie sind mitgefahren. Die Mädels haben sich … na ja, geh einfach gucken.“ Er wollte nicht zu viel verraten. Schließlich sollte es doch eine Überraschung für Sethos sein, der jetzt noch müde und teilnahmslos unter der Decke döste, aber sich hoffentlich gleich ganz doll freute. In der Zwischenzeit ging Marik durch die Seitentür zu Sethan. Der saß dort auf dem Geländer einer erhöhten Anlieferfläche für LKWs und beobachtete die dicken Tropfen, welche in den Pfützen spielten. Als er Mariks nackten Füße auf dem Boden hörte, drehte er sich kurz um, aber dann mit einem genervten Seufzen wieder zurück. Nirgends war man vor diesem nervigen Typen sicher. „Guten Morgen, Sethan.“ „Was willst du?“ kam der lieber gleich zur Sache. „Erst mal wollte ich mich bei Euch für das geliehene Oberteil bedanken.“ „Schön, wenn Balthasar dich vollständig versorgt hat.“ „Na ja fast. Ich trage keine Unterwäsche.“ Darauf antwortete Sethan natürlich nicht. Er bedachte ihn nicht mal mit einem genervten Blick. „Das war jetzt ein ziemlich dummer Satz, oder?“ lachte er und kratzte sich verlegen am Kopf. Er wusste einfach nicht, was er redete. Sethan machte es ihm nicht einfach. „Bedankt hast du dich ja jetzt. Kannst wieder reingehen.“ „Eigentlich wollte ich noch etwas anderes.“ „Sag mal, du kapierst es wirklich nicht, oder?“ Er versetzte ihm einen wütenden Blick und kniff verärgert die Lippen zusammen. Wie konnte ein so hübsches Gesicht nur so vor Wut glühen? „Ich lege keinen Wert auf deine Gesellschaft. Geh mir gefälligst von der Pelle.“ „Das würde ich ja tun, wenn Ihr mir einen Grund sagen würdet. Dass Ihr mich nicht sonderlich mögt, habe ich ja realisiert, aber ich verstehe es nicht. Was genau mache ich falsch?“ „Du nervst mich einfach. Kapier’s endlich und scher dich zum Teufel!“ „Ja, aber es muss doch einen Grund geben.“ Damit wurde er nicht fertig. Er konnte Sethan ja aus dem Wege gehen, aber er wollte wissen warum. Wenn man grundlos fortgejagt wurde, war das viel schlimmer als kritisiert zu werden. „Habe ich Euch in irgendeiner Form beleidigt oder war ich respektlos? Habt Ihr etwas an meiner Arbeit als Grabwächter zu bemängeln oder habe ich Mundgeruch? Es fiele mir leichter, nach hause zu fliegen, wenn Ihr mir wenigstens sagen würdet, warum ich in Euren Augen versage.“ „Du versagst nicht“ quetschte er sich zu beherrscht heraus. „Du machst einen guten Job und bist ein Freund der Familie. Wir sind den Ishtars von jeher eng verbunden. Aber ich kann dich einfach nicht leiden.“ „Aber warum denn nicht? Sagt mir, woran es liegt, damit ich es ändern kann.“ „Du kannst es nicht ändern!“ Er wandte ihm den Kopf zu und erdolchte ihn mit einem leuchtenden Blick. Diese Augen waren magisch, einzigartig. Doch Einzigartigkeit machte auch einsam. „Wenn du mir gefallen willst, dann geh mir einfach aus dem Weg!“ „Das kann ich nicht. Dafür liegt mir zu viel an Euch, Sethan“ sprach er umso ruhiger, was ihn nur einen noch wütenderen Blick aussetzte. „Quatsch nicht rum, Ishtar! Dir liegt gar nichts an mir! UNS VERBINDET KEIN FUNKEN SYMPATHIE!!!“ „Ich kann’s nicht ändern. Ich glaube, ich werde lieber von Euch angeschrien als ignoriert. Vielleicht bin ich ja ein verkappter Masochist.“ Er belächelte sich mitleidig selbst und steckte verlegen die Hände in die Hosentaschen. Als Sethan nichts darauf erwiderte und nur wieder den plötternden Regen beobachtete, sprach er leise weiter. „Wisst Ihr, ich werde spätestens nächste Woche zurück nach Ägypten fliegen. Eigentlich wäre das wohl schon überfällig, aber Enaseus, Mokuba und Atemu haben darauf bestanden, mich mit einer Feier zu verabschieden.“ „Schön, viel Spaß.“ „In der Nähe eröffnet am Freitag nächster Woche eine neue Bar. Ein wenig trinken, ein wenig tanzen, einfach etwas feiern. Und am meisten würde ich mich über Eure Anwesenheit freuen.“ „Ach.“ „Ich weiß, dass Ihr keine Freundschaft mit mir wünscht. Doch wenn es möglich wäre, würde ich gern versuchen, einen respektvollen Umgang zu pflegen.“ „Willst du damit sagen, ich sei respektlos?“ „Ich habe gesagt, was ich gesagt habe. Was Ihr daraus macht, macht Ihr daraus.“ „WIRST DU JETZT AUCH NOCH SPITZFINDIG?!“ Sethan ballte die Fäuste und starrte die Pfütze auf dem Asphalt tot. „VERPISS DICH, ISHTAR!“ „Ich bin sehr betrübt darüber, dass Ihr mich so verachtet. Ich könnte es vielleicht ändern, doch hierzu bin ich auf ein offenes Wort von Euch angewiesen.“ Sethan schnaufte nur, aber antwortete nichts. Er musste sehr an sich halten, damit seine Hand nicht erneut ausrutschte. „Sei es wie es sei“ seufzte Marik und sah ihn traurig an. „Dennoch würde ich mich freuen, wenn Ihr uns nächsten Freitag beehren würdet. Danach sehen wir uns sicher nicht wieder und ich hätte diese Sache zwischen uns gern vorher aus der Welt geschafft. Allein, um mein Gewissen rein zu machen. Doch wenn Ihr mich meiden wollt, dann muss ich das akzeptieren. Dennoch, ich …“ Er schluckte die Trübsal hinunter, auch wenn gleich ein neuer Kloß in seiner Kehle wuchs. „Ich weiß jetzt nichts mehr zu sagen. Falls wir uns nicht mehr sehen … wünsche ich Euch nur das Beste.“ Er blickte den jungen Gottkönig mit dem glänzend blonden Haar und den blauvioletten Augen noch einige Momente an. Für seine Bedeutung schien er viel zu unscheinbar. Er besaß die Macht, selbst die beiden großen Zwillingsgötter zu unterwerfen und saß doch hier in einem grauen Jogginganzug und verwuscheltem Haar und blauen Latschen. Kaum zu glauben, dass ein Junge wie er solch eine Macht besitzen sollte. Und dennoch … sobald man ihn ansah, ihn wirklich richtig ansah, musste man erkennen, dass er kein Wesen dieser Welt war. Da von ihm nun wohl keine Erwiderung mehr zu erwarten war, drehte Marik sich um und ging etwas enttäuscht zum Eingang zurück. Sethan würde nicht zu seiner Verabschiedung kommen. Dabei hätte er so gern noch mit ihm Frieden geschlossen, bevor sie einander nicht wiedersahen. „Ishtar?“ Marik wunderte sich als er die leise Stimme hörte. Ja, er zweifelte daran, ob es nicht sein Yami war, der da sprach. Aber der nannte ihn nicht beim Nachnamen. Vor allem würde er nicht hinzusetzen: „Ich werde dich nächste Woche auf der Cluberöffnung verabschieden. Halte mir einen Platz an der Bar frei.“ „Das werde ich“ versprach er und bedachte sich darauf, nur zu lächeln. Doch innerlich jubelte er ganze Laolawellen. Vielleicht würde es doch noch dazu kommen, dass sie einander mit Respekt begegneten. Es musste ja keine enge Freundschaft werden, doch ein respektvoller Umgang war ein Ziel. „Ich freue mich auf Euch.“ „Schön. Und jetzt geh rein, bevor ich es mir anders überlege.“ „Natürlich.“ Überstrapazieren wollte er den wohlgesonnenen Moment nicht, weshalb er sich schnell vom Acker machte. Sethos Rat war gut gewesen. Zurück in der Halle vor dem großen Becken, hörte er es hinter dem Vorhang schon rumpeln und reden. Sethos lag noch immer dösend da und ließ sich von seinem Gott, welcher mittlerweile auf seinen Oberschenkeln saß, den Rücken kraulen. Er interessierte sich nicht sonderlich für das, was um ihn herum geschah. Dafür schaute aber Amun-Re sehr neugierig und Balthasar lugte auch, was da vor sich ging. Yugi kam gerade mit einer Verlängerungsschnur herein und schaute sich nach einer Steckdose um. „Hier! Da ist doch eine!“ half Marik und trabte zu ihm rüber. Yugi hatte seinem Zeig nach bereits die Steckdose gefunden und die Schnur eingestöpselt. „Jetzt kann’s losgehen“ freute er sich und stemmte die Hände in die Hüften. „Schon cool, dass ich beim Schränke aufbauen jetzt die Hilfe bin und nicht die Hilfe brauche.“ „Ja, nun musst du auch mehr arbeiten. Hat alles so seine Nachteile“ lachte Marik und verschwand hinter den Vorhang. Yugi selbst ging zu Sethos, lächelte Amun-Re zu und kniete sich neben die ausgezogene Couch des vor sich hindämmernden Drachen. „Hey, Sethos“ weckte er ihn vorsichtig. Jedoch eine sofortige Antwort zu erhalten, wäre ja auch tatsächlich etwas viel verlangt. „Sethos, wir haben dir etwas mitgebracht und hoffen, dass du dich so darüber freust wie wir erwarten. Willst du deine Überraschung sehen?“ „Nur wenn’s was mit Schokolade zu tun hat“ murmelte er und öffnete seine ozeanblauen Augen ein Stück. Sie schauten noch immer matt und seine Haut war fahl, ebenso wie seine Augenringe dunkel waren. Er war noch lange nicht gesund, besonders nicht an Land, doch er war zumindest ansprechbar. „Schokolade nicht gerade“ schmunzelte er und zwinkerte Amun-Re hinauf. „Aber vielleicht trifft es ja doch deinen Geschmack. Mädels! Dürfen wir um die Produktpräsentation bitten?“ „TAADAA!“ jubelten die drei und zogen den Vorhang auf. Marik und Balthasar schoben einen etwa eineinhalb Meter hohen und etwa zwei Meter breiten Schrank herein. Hinten verliefen einige Kabel, in der Mitte waren zwei Schubladen und die unteren Regale waren von Schubtüren verdeckt. Regiert wurde das Ungetüm auf Rollen von einem schicken Flachbildschirm in silberner Farbe. Die Jungs schoben das Ding bis in Sethos‘ Dunstkreis, doch der hatte seinen gelangweilten Ausdruck nicht verändert. Fernsehen reizte ihn nicht, weshalb es hier auch nur Radio gab. Schokolade wäre ihm lieber gewesen. „Freust du dich?“ fragte Sareth hoffnungsvoll. Und grottenehrlich wie er nun mal war, antwortete er: „Nicht allzu sehr.“ „Wir müssen ihm doch auch den Rest zeigen“ meinte Marie und öffnete gemeinsam mit Narla die unten Schubtüren. Darin waren zwei flache, schwarze Kästen zu sehen und in der Mitte ein etwas größerer, silberner Quader. Alles blinkte und glänzte, doch Sethos konnte damit noch immer nichts anfangen. „Neueste Konsolen von der KC“ stellte Narla vor. „Und du darfst sie schon drei Monate vor Verkaufsstart benutzen. Freust du dich?“ „Was soll das sein?“ murrte er und blinzelte mit den Augen. Er war noch immer gelangweilt, aber schon ein Stück interessierter. „Das sind Gamekonsolen, die Geschichte schreiben“ erklärte Sareth mit so hoffnungsfroher Stimme, dass es fast zu niedlich war. „Das sind die Retroplay, die Silver Wonder und die Sports Two. Die Sports Two ist für Bewegungsspiele. Du siehst dich selbst oder deinen Avatar im Fernsehen und kannst den Bildschirm beeinflussen. Sie bietet eine bessere Grafik, sogar 3D und bei Aufpreis eine 260° Leinwand für Rundumblick. Wenn du dich bald wieder bewegen kannst, kannst du deine Kondition mit dieser Konsole trainieren. Du kannst dich später auch mit anderen Spielern übers Internet zusammenschalten. Das wird eine Revolution in der 3D-Technik anstoßen.“ „Die Silver Wonder ist für handelsübliche Spiele. Autorennen, Rollenspiele oder was die Leute eben sonst so spielen“ erklärte Narla und wies auf den etwa kuchengroßen Quader in der Mitte. „Doch das Besondere daran ist, dass du damit alle Spiele spielen kannst, die jemals erschienen sind. Jetzt muss ich mal gucken, was Joey mir aufgeschrieben hat.“ Dann zückte sie einen zerknüllten Zettel aus der Hosentasche und las die Infos vor, die sich ja kein normaler Mensch merken konnte. „Die allererste Konsole war die Magnavox Odysee, die 1972 erschienen ist. Wer also noch Spiele dafür hat, kann die auch hiermit spielen und zwischen alter und verbesserter Grafik wählen. Du kannst auch so Sachen wie Atari oder Sega damit spielen. Aber auch ganz neue Spiele für die PlayStation-Reihe und sogar PC-Games oder per Internetanschluss Online-Games. Oder auch Gameboy-Spiele“ schmunzelte sie mit einem zweideutigen Blick. „Und Joey hat für dich die allererste Registrierung in der KC-Gamedatenbank gemacht. Wenn du also mal ein Spiel spielen willst, zu dem du aber keine gekaufte Ausgabe hast, kannst du dir das auch online downloaden. Deine Zugangsdaten hat er dir hier aufgeschrieben. Dein Username ist BigBoy.“ „Aha.“ Sethos Stimme war dunkel, aber seine Augen zeigten jetzt ungeteilte Aufmerksamkeit. „Und die dritte?“ „Das ist die RetroPlay“ erklärte Marie. „Das ist für Spielefans, die gern alte Jump’n’Run-Spiele in 2D spielen und es leid sind, immer die alten Games rauszukramen. Die KC bietet also auch neue Spiele an, die auf alt getrimmt sind. Und weil du ja gern Jump’n’Run spielst … jetzt kannst du dir aussuchen, welche Konsole dir am meisten liegt.“ „Und die silberne?“ fragte er mit leuchtenden Augen. „Kann ich damit auch Turtles spielen?“ „Bestimmt.“ Narla kam zu ihm rüber, um ihm die Zugangsdaten zu bringen. Marie schaltete den Fernseher ein und Sareth machte die Konsole klar, bevor sie dann mit einem kabellosen Pad ebenfalls zu ihm kam. Die Jungs machten sich gespannt bis neidisch auf den Seitenplätzen breit, während Sethos die ganze Pracht der neuesten Gamekonsolen und die volle Zuwendung der Mädchen genießen durfte. „Ich glaube, dein Spiel müssen wir dir jetzt downloaden“ erklärte Narla und nahm das Pad an sich. Es sah ein bisschen aus wie zwei zu breit geratene Handschellen mit ner Menge kleiner Knöpfe oben und unten, einem Steuerkreuz links und vier größeren Knöpfen rechts. „Ach ja, das hier ist das Universalpad. Du kannst natürlich jedes andere Pad connecten.“ „Connecten.“ Sethos verstand nur Bahnhof. „Also anschließen. Sooooo … jetzt muss ich mal gucken und wobei, warum machst du das nicht selbst? Dann lernst du das gleich. Hier.“ Sie hielt ihm das Pad hin und Sethos sah es misstrauisch an. Es fehlte nicht viel und er schnupperte erst mal, bevor er es nahm. Doch stattdessen zog er seine Arme an und versuchte, sich aufzurichten. „Warte, ich helfe dir!“ Amun-Re rutschte von ihm runter und drückte seine Schulter zurück, sodass sich der schwerfällige Drache auf den Rücken drehen konnte. „Komm mal mit dem Rücken ein bisschen hoch. Narla, heb ihn mal vorsichtig an.“ „Das kann ich immer noch alleine“ japste er, aber leider war er doch auf Hilfe angewiesen. Während Amun-Re ihm ein übergroßes Kissen unter die Schultern quetschte, zog Narla ihn vorsichtig am Nacken und an der Seite herauf. Erst als er im Halbsitzen etwas stabiler aussah, legte sie ihm das Pad auf den Schoß, welches er mit zwar schwachen, aber engagierten Händen griff und auf den Bildschirm starrte. „So, und was mache ich jetzt?“ „Die Gamepage der KC ist die Startseite. Du gehst mit dem Cursor da nach oben und genau.“ Da hatte Sethos schon das Login-Fenster gefunden, wo sofort der Username BigBoy erschien. Joey hatte also schon vorgearbeitet. „Dein Passwort ist … häh?“ „Was häh?“ guckte Sethos ungeduldig. „Wann kann ich denn jetzt Turtles spielen?“ „Dein Passwort ist ‚Alle Knöpfe im Kreis drücken‘. Ist das jetzt das Passwort oder sollen wir alle Knöpfe im Kreis drücken?“ „Joseph ist einfach gestrinkt. Wahrscheinlich meint er mit dem Uhrzeigersinn“ kombinierte Sethos und drückte nacheinander alle vorhandenen Knöpfe und als er ein Mal rum war, sagte es „PLING!“ und es erschien eine Liste, auf welcher die Namen der meisten populären Spielekonsolen aufgelistet waren. „Ah, okay“ erkannte Yugi. „Jetzt musst du bestimmt über Nintendo und Gameboy gehen und dann unter T gucken.“ „Oder nimm da die Suchfunktion“ schlug Balthasar vor. „Links! Sethos links! Da das Feld! Genau!“ Ein Spaß für die ganze Familie. Sethos setzte den Cursor ins Feld und sofort erschien darunter eine Tastatur, über welche er die Buchstaben anwählte. Er hatte nur ‚Turt‘ eingegeben und sofort erschien eine ganze Latte verschiedener Turtles-Spiele. ‚Teenage Mutant Hero Turtles / NES, C64‘, ‚Teenage Mutant Hero Turtles II: The Arcade Game / NES’, ‘Teenage Mutant Hero Turtles: Fall of the Foot Clan / Gameboy’, ‚Teenage Mutant Ninja Turtles / GameCube, Game Boy Advance, Xbox, PlayStation 2, PC‘ und sogar Exoten wie ‘Teenage Mutant Ninja Turtles - Fast Forward - Ninja Training NYC / Handygame’. Sethos hatte die volle Auswahl an allen Spielen, die wohl jemals erschienen waren. „Tja“ guckte jetzt auch Narla etwas ratlos. „Und welches war jetzt das, welches du immer gespielt hast?“ „Ich fange einfach oben an“ beschloss er, klickte das erste Spiel in der Liste an und blickte auf einen Ladebalken. Aber er war geduldig und hielt die fünf Sekunden aus, welches das System benötigte. Und schon sprang ein sehr altmodisch anmutendes Game an mit einem verpixelten Turtle in graugrünem 2D. Doch die alte Grafik störte ihn überhaupt nicht. Stattdessen spielte er fröhlich drauflos und rannte mit seiner Figur auch sofort gegen irgendein Hindernis, welches ihn tötete und er von vorn anfangen musste. Beim zweiten Anlauf war er dann schon klüger und sprang über das Teil rüber. So saß er nun da, hatte die Umwelt ausgeblendet und versank voll und ganz im New Yorker Untergrund. Die anderen sahen ihm eine Weile zu bis es doch zu langweilig wurde und Balthasar einen neuen Kaffee aufsetzte. Erst bei Level 3 murmelte Sethos ein leises: „Sehr cool ...“ Chapter 47 Seto war zwar glücklich über den Regen, welcher die aufgeheizte Stadt den Tag über abgekühlt hatte, jedoch wollte selbst das ihm keinen wirklichen Kick geben. Er hatte zwar mit Yugi gesprochen und fühlte sich auch in Sachen Seth erleichteter, jedoch hatte er ein schlechtes Gewissen, dass er Yugi nicht ins Bett ließ. Der hatte tatsächlich freiwillig im Kinderzimmer geschlafen und war so verständnisvoll, dass Setos Gewissen nur noch schwerer wurde. Es wäre leichter, wenn Yugi toben und schreien und beleidigt sein würde. Doch stattdessen sprach er aus wie geschockt er über Setos Verhalten war und tat dann dasselbe wie immer. Er versprach seine Hilfe, seine Geduld und seine unendliche Liebe. Er gab Seto den Abstand, den er brauchte und ließ ihm viel Zeit. Wie immer. Zwar hatte er nun endlich seinen Traumkörper, jedoch war sein Glück darüber getrübt. Und das alles nur, weil Seto so unzulänglich in seiner emotionalen Anpassungsfähigkeit war. Und mit Noah hatte er auch kaum ein Wort gewechselt. Zwar waren sie heute Morgen gemeinsam ins Büro gefahren, weil Marik Setos Auto fuhr und Joey Kindergartendienst hatte, aber danach war jeder hinter seinen Schreibtisch gegangen und erst zur Heimfahrt trafen sie sich wieder. Nun parkte Noah bereits den Wagen an der regennassen Straße und stellte den Motor aus, ohne dass auch nur ein persönliches Wort gefallen war. Seto hoffte, dass er endlich irgendetwas sagen würde über das, was gestern geschehen war, doch das tat er nicht. Immerhin hatte er Noah arg gedroht. Er hatte nicht nur Tato zerfleischt und versucht, einen armen alten Mann zu töten, sondern er hatte auch den einzigen Mann bedroht, dem er jedes noch so intime Geheimnis anvertrauen konnte. Er hatte Noah gedroht, ihn bedroht. Nun war er zwar ganz normal, doch hielten sie nur Smalltalk, der sich meist um die Arbeit drehte. Noah sprach die Sache von gestern nicht an. Also musste Seto es selbst tun. „Noah?“ fragte er leise als der den Schlüssel aus dem Zündschloss zog und ihn tonlos anblickte. „Es tut mir leid.“ „Schon gut.“ „Nein, es tut mir wirklich leid“ drückte er sich schwer heraus. Sich zu entschuldigen, war schwer. Obwohl er sich schon so häufig entschuldigen musste, bekam er einfach keine Übung darin. „Was ich gestern zu dir gesagt habe, hätte ich nicht sagen dürfen. Ich war ungerecht. Das tut mir leid.“ „Wie gesagt, schon gut“ wiederholte er und hielt ihm die offene Hand hin. „Wir tragen uns nichts nach, in Ordnung?“ Erstaunt fragte Seto: „Kannst du das wirklich so leicht abtun? Ich habe dich bedroht.“ „Nein, das tue ich nicht leicht ab. In dem Moment, als du dich vor mir aufgebaut hast, ist mir auch ganz schön die Muffe gegangen. Kein normaler Mensch legt sich gern mit dir an.“ Doch er sagte es mit einem routinierten Lächeln. Es war ein unechtes Lächeln, aber das erste, welches er ihm heute schenkte. Er schien nur darauf gewartet zu haben, dass Seto die Sache von selbst ansprach. „Du hast mir zwar einen halben Herzinfarkt beschert, aber wenn du dich entschuldigst, nehme ich das an. Ich liebe dich mehr als ich dich fürchte. Schließlich bist du mein Brüderchen.“ „Danke, Noah.“ Seto reichte ihm die Hand und drückte sie ganz vorsichtig. Dennoch fühlte er wie eine Gänsehaut Noahs Arm hinauffuhr. „Ich tue alles, damit wir wieder unbefangen miteinander umgehen können.“ „Der Schreck legt sich von selbst“ seufzte er und zog seine Hand zurück. Seto hatte ihn wirklich erschreckt. Wer hätte keine Angst, wenn so ein Riese, ein halber Drache seine Muskeln spielen ließ und mit giftigem Blick sagte: ‚Oder du lernst mich kennen!‘ Natürlich machte das jedem normalen Menschen Angst. Doch er hatte sich entschuldigt und im Grunde war Seto kein böser Mensch. Im Gegenteil. Er war zartfühlend und sensibel. Bis auf diese kurzen Aussetzer, die er manchmal hatte. „Ich werde auch mit Tato sprechen heute Abend“ versprach er als Noah seine Hand an den Türgriff legte. „Ich will wissen, was gestern mit mir passiert ist. Ich hoffe, er kann mir helfen und sagt mehr als, dass das normal sei. Ich finde das nicht normal und ich werde das in den Griff bekommen und niemanden mehr verletzen. Das verspreche ich.“ „Du hast mir Angst gemacht, aber ich liebe dich, Seto“ erwiderte er und sah ihm tief in die Augen. „Egal, was jemals zwischen uns vorfallen mag. Wir werden immer Brüder bleiben. Nicht nur auf dem Papier.“ „Darüber wäre ich sehr froh, Noah. Wirklich.“ „Ich auch. Und jetzt lass uns nicht mehr drüber reden und reinhuschen, bevor der Regen wieder stärker wird.“ „Gut.“ Irgendwie ging Seto das zu einfach. Er schlug die Wagentür zu und trabte hinter Noah durchs Gartentor und den Weg hinauf in die Gaststätte. Es wäre ihm lieber, Noah hätte ihm Vorhaltungen gemacht oder wenigstens ein bisschen geschimpft oder irgendwas zur Wiedergutmachung verlangt. Doch er hatte die Entschuldigung sofort angenommen. Er brauchte wohl noch ein bisschen, bevor er Seto wieder ohne Furcht in die Augen sehen konnte, doch der Schrecken würde sich legen und irgendwann würde sich ihr Umgang wieder normalisieren. Genau wie bei Joey damals. Eigentlich war sein Verhältnis zu Joey sogar noch viel geworden, nachdem er ihn fast umgebracht hätte. Dennoch wünschte Seto sich, dass ihn endlich mal jemand für das bestrafte, was er verzapfte. Niemand schimpfte ihn, niemand schlug ihn, niemand verurteilte ihn in irgendeiner Form. Das war schlimmer als jede Strafe. Sie hängten ihre nieselfeuchten Jacken an die Garderobe und gingen ins Restaurant. Nicht nur, um auch endlich zu Abend zu essen, sondern vor allem, um ihre Familie zu begrüßen. Für Noah hörte man schon ein fröhlich aufgeregtes „NOOOAAAHHH!“ und der kleine Dante flog ihm mitsamt Kater in die Arme. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Dante sprang von der Treppe und erwartete, dass er aufgefangen wurde. „Dante! Meine Güte, mach das nicht noch mal!“ Noah sah ihn zwar seitlich heranfliegen und fing ihn auf, doch war selbst erschrocken. „Du darfst doch nicht von da oben runterspringen!“ „Waren fünf Stufen“ erzählte der Kleine und schlang seine Arme um ihn, während das Katerchen an Noahs Hosenbein zupfte - er wurde gemeinerweise nicht aufgefangen und musste selbst landen. „Guck mal. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Habbich von Nini gelernt.“ „Aha. Und was kommt nach fünf?“ „Sechs, sieben, acht, neun, zehn. A, B, C, D, G, T, E. Nä?“ „Sehr gut. Ich bin stolz auf dich.“ Er küsste den Kleinen und drehte ihn zu Seto herum. „Sag Onkel Seto auch guten Abend.“ „N’AAAAAbend“ quakte er und küsste seine Handfläche, um Onkel Seto einen Luftkuss zu schicken. „Ich liebe dich, Hase!“ „Da weiß man ja, von wem er sich das Sprechen abguckt“ schmunzelte Seto und gab dem Süßen einen richtigen Kuss auf den Mund. „Guten Abend, mein Schatz. Geht’s dir gut?“ „Ja“ nickte er entschlossen ein Mal. „Wir haben Kuchen gebacken. Mit Hannes. Aber ist schon alle alle.“ Er hob beide leeren Hände und guckte ihn traurig an. „Nächstes Mal, vielleicht später. Okee, Onkel Seto?“ „Ja, Danti. Nächstes Mal bewahrst du Noah und mir ein Stück auf.“ „Arbeiten macht Hunger, nä?“ „Großen Hunger sogar.“ „Große Leute kriegen großen Hunger. Sagt Nini.“ „Hast du denn schon Abendbrot gegessen?“ fragte Noah mit dezenter Erinnerung an die Uhrzeit. Eigentlich müsste Dante schon Pyjama tragen. „Ja. Und Zähne geschrubbt“ versprach er pflichtbewusst. „Gleich geht’s ab ins Bett. Du liest eine Geschichte vor von dem Kapitano Pirat.“ „Aber erst mal sagst du mir, wo Moki ist.“ „Weiß ich nich. Drinne?“ „Wie das weißt du nicht? Warst du alleine oben?“ „Nee, mit Kuschel“ zeigte er runter auf den kleinen Siamkater, der mit großen Augen zu ihm aufblickte. „Wir haben auf die Treppe sitzen und gesungen gespielt. Kuschel kann singen und ich auch. Wir haben gewartet. Moki sagt, du kommst gleich. UND er hatte Recht!“ „Moki hat leider öfter recht als mir lieb ist. Na gut, wollen wir reingehen oder soll ich dich gleich ins Bett bringen?“ „Ins Bett. Für eine Geschichte. Oder Onkel Seto?“ „Ja ja.“ Der hatte den Kater vom Boden aufgehoben und ließ sich von ihm die Wange schmirgeln. Besser als jedes Peeling so eine Katzenzunge. „Na gut. Sagst du Moki bitte, dass ich Dante ins Bett bringe?“ „Ja, mache ich. Hier nimm dein Kuscheltier mit.“ Er setzte Valentine vorsichtig in Dantes Arme, wo er etwas doller festgehalten wurde als für so ein Tier gut war. Aber er blieb ganz ruhig und schnurrte sogar. An Dantes kleinjungenhafte Grobmotorik hatte er sich gewöhnt. „Aber nicht zu Joey gehen“ riet Dante als Seto ihm einen Kuss auf die Stirn gab. „Warum?“ guckte der verwundert. „Narla hat gesagt, Joey liest ihr auch eine Geschichte vor zum ins Bett gehen. Und da soll keiner reingehen. Und Babyjoey schläft bei Feli.“ „Aaaaahja.“ Seto warf Noah einen vielsagenden Blick zu und sie hatten die Nachricht verstanden. Joey las also Geschichten vor … bezog sich wohl eher auf seine Briefmarkensammlung das Ganze. „Sag schlaf gut, Onkel Seto.“ „Schlaf gut, Onkel Seto“ winkte Dante und wurde von seinem Papa Noah die Treppe raufgetragen. „Gute Nahacht! Kussi! Ich liebe dich, Süßer!“ „Jaha! Ich liebe dich auch, Danti!“ So würde Seto wohl allein zum Abendessen müssen. Wahlweise könnte er auch auf Noah warten bis der zu Ende war mit Piratengeschichten. Erst mal schauen, wer überhaupt noch essen musste. Eigentlich hatte er ja gar keinen Hunger, aber Yugi bestand darauf, dass er täglich eine warme Mahlzeit mit Gemüse zu sich nahm. Und wo Seto eh schon so viel Mist gebaut hatte, wollte er wenigstens das erfüllen, was von ihm verlangt wurde. Er ging um die Treppe herum und fand seine Meute am angestammten Tisch sitzen. Nika hielt die kleine Joey auf dem Arm, Tea gab Theresa ihr Fläschchen, Tato spielte Karten mit Dakar, Sareth, Mokuba und Marik. Alles ganz normal. Doch als er Yugi aus dem Augenwinkel die Küche verlassen sah, senkte er schnell den Blick. Er schämte sich, doch er konnte ihn nicht ansehen. „N’Abend“ grüßte er die anderen und überhörte, ob sie zurückgrüßten oder nicht. Viel eher musste er sich überlegen, wie er Yugi begrüßte. Ihm die Hand zu geben, sähe ziemlich doof aus. Aber küssen wollte er ihn auch nicht. Dafür waren viel zu viele Leute hier und wenn er dann doch zurückzog, würde das für Yugi nur peinlich sein. Aber ihn nicht mal anzusehen, war auch mehr als unhöflich und trotz allem … „Schön, dass du zurück bist“ hörte er Yugis sanfte Stimme neben sich. Wenn er ihn nicht ansah, war seine Stimme richtig angenehm. Nicht so tiefgängig. Eher fürsorglich und sanft, genau wie früher. Er bemühte sich, es Seto leicht zu machen. „Ja, ich … Noah bringt Dante ins Bett.“ Was für eine dumme Begrüßung. „Ach so. Na, unsere beiden schlafen bei Tato und Phoenix heute Nacht. War Ninis Idee und du kennst ja Tato. Der kann nicht ohne seine große Schwester.“ „Wenn sie da nicht stören.“ „Sonst hätte Tato schon was gesagt. Willst du dich nicht setzen, Liebling? Ich habe Vollkornspaghetti mit Sojabolognese für dich gekocht. Du hast doch noch nicht gegessen, oder?“ Yugi zog ihm einen Stuhl heraus und Setos Herz wurde immer schwerer. So aufopfernd kümmerte Yugi sich um ihn und dafür bekam er weder einen Kuss noch einen Blick oder auch nur ein Lächeln. >Ich reiße mich jetzt zusammen!< Es konnte nicht sein, dass er den eigenen Mann, den er über alles liebte, so distanziert behandelte. Es würde doch wohl drin sein, ihm ein Küsschen auf die Wange zu geben. Wenn er sich beherrschte, konnte er wenigstens das schaffen. Yugi war geduldig und gab ihm Zeit. Er umsorgte ihn, bekochte ihn, machte seinen Haushalt und lauschte seinen Sorgen. Doch auch Seto musste arbeiten, wenn er wollte, dass sie bald wieder liebevoll miteinander umgehen konnten. Also schluckte er seine Abscheu und die Nervosität herunter und suchte Yugis Blick. Der legte ihm gerade eine Serviette hin, bemerkte dann aber, dass er angesehen wurde, blickte auf und lächelte ihm sanft zu. Und wenn Seto schon nicht vom Blitz getroffen wurde, dann doch von dem, was er sah. Yugi war wunderschön. Seine geraden Beine, seine wohlgeformten Hände, sein sportlicher Körperbau. Seine Augen waren in diesem Licht dunkelviolett und groß und klar und leuchtend. Seine Nase hatte ihren Stups zurück und seine Lippen waren verführerisch. Seine Haut so geschmeidig und als Seto endlich tiefer einatmete, roch er diesen leichten, erotischen Duft von Shampoo, Erdbeerjoghurt und Yugis ganz eigener Essenz. Dieses Etwas, was ihn von allen anderen abhob. Es war zurück. Yugis Besonderheit war zurückgekehrt. „Du bist … wieder …“ Er wusste kein Wort dafür. Er war einfach nur sprachlos. „Klein?“ fragte Yugi mit einem verhaltenen Lächeln. „Na ja, jetzt muss ich eben wieder jemanden suchen, der mir die Teller aus dem oberen Regal reicht.“ Yugi hatte es doch getan. Er hatte sich zurückgewünscht. Sein Traumkörper war verschwunden, alles war wieder wie vorher. Er hatte seinen Traum zerstört. Alles, was er sich ein Leben lang gewünscht hatte - er hatte es aufgegeben. „Warum?“ Schneller als er es bemerkte, drückten sich salzige Tränen aus seinen Augen und seine Lippen bebten. Alles in ihm geriet außer Kontrolle. Er wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Er war schuld daran. Ganz allein er war verantwortlich dafür, dass Yugi nicht haben konnte, was er sich so sehr wünschte. „Liebling, bitte nicht weinen.“ „NEIN!“ Er wich zurück, wollte nicht, dass Yugi ihn tröstete. Nicht für das hier. „Du hast … warum hast du das getan? Das hättest du nicht tun dürfen! Das war immer dein größter Wunsch. Du hast es dir so gewünscht!“ „Nein, Liebling. Das war nicht mein größter Wunsch.“ Er öffnete seine schönen Augen, kam ganz behutsam einen Schritt heran und sah an ihm hinauf. Mit fester, aber seiner typisch zärtlichen Stimme sagte er: „Mein größter Wunsch ist es, mit dir gemeinsam glücklich zu sein. Und das bin ich schon.“ „Du hast es versprochen!“ weinte er und verzog von Schuld und Schande geplagt das Gesicht. „Du hast versprochen, dass du mir vertraust. Dass wir daran arbeiten. Zusammen. Ich hätte es geschafft. Ich WOLLTE es schaffen! Jetzt habe ich dir alles kaputt gemacht!“ „Nein, du hast nie etwas kaputt gemacht. Mit dir zusammen habe ich etwas aufgebaut. Etwas, was sich Liebe, Vertrauen und Glück nennt.“ „Aber ich wollte daran arbeiten! Ich hätte dich schön gefunden! Irgendwann hätte ich mich daran gewöhnt! Ich wollte das nicht!“ „Ich weiß. Und genau deshalb habe ich mich entschieden, so zu bleiben wie ich bin. Mein Engel, hör mir zu.“ Er nahm behutsam die kalten, verkrampften Hände und wärmte sie in einer zärtlichen Berührung. Es war so unvergleichlich schön, ihn endlich wieder ohne ein Zurückzucken berühren zu können. „Ich habe mir immer gewünscht, so groß zu sein wie alle anderen. Doch als ich es war, habe ich erkannt, dass genau das, was ich als minderwertig und fehlerhaft angesehen habe, genau das ist, was du liebst und als schön empfindest. Viel wichtiger als ein perfekter Körper ist mir die perfekte Partnerschaft.“ „Aber ich ...!“ „Nein, hör mir bis zum Ende zu, ja?“ Er legte die kalten Handflächen an seine Wangen und schaute liebevoll in sein tiefblaues, weites, klares Eis. „Seit wir uns kennen, arbeitest du daran, mir zu gefallen und mich glücklich und stolz zu machen. Ich denke, du hast mir deine Liebe mehr als ein Mal bewiesen. Du hast viel von dem aufgegeben, was dir wichtig und vertraut war. Und jetzt ist es auch mal an mir, etwas für dich aufzugeben. Du hast genug gearbeitet, da muss ich dir das hier nicht auch noch zumuten.“ „Aber du … du hast es dir so gewünscht …“ „Sicher war mir mein Körper wichtig und ich habe die kurze Zeit sehr genossen. Aber viel wichtiger ist mir dein Wohlbefinden und viel mehr genieße ich das Begehren in deinen blauen Augen, wenn du mich ansiehst. Und ich weiß, du siehst mich wirklich an und du wünschst dir nichts anderes als das, was du lieben gelernt hast. Und ich werde dir niemals etwas wegnehmen, was dir lieb ist.“ „Aber du … du hast es dir gewünscht. Du hast es versprochen.“ „Ich weiß, ich habe mein Versprechen gebrochen. Verzeih mir“ seufzte er und küsste seine eiskalte Handfläche. „Aber ich will nicht, dass du dich nur an mich gewöhnst. Ich will, dass du mich begehrst und ich will für dich schön sein. Was nützt mir ein perfektes Spiegelbild oder die bewundernden Blicke der anderen, wenn ich in jedem deiner Küsse die Überwindung spüre?“ „Ich hätte … ich …“ Am liebsten würde er alles rückgängig machen. Er hatte Yugi seinen Traum geraubt. Und er konnte ihn nicht zurückbringen. „Ich hätte …“ „Ich weiß, irgendwann hättest du mich vielleicht wieder an dich herangelassen. Aber ich will nicht, dass wir nochmals von vorn beginnen. Du hast mich bereits geliebt, mich begehrt und mich mit deinen eisigen Augen verliebt angeschaut. Ich will das nicht nochmals alles erarbeiten müssen. Ich will nicht, dass wir noch mal alles von vorn anfangen. Es war gut so wie es war.“ „Es … es tut mir so leid! Yugi! Ich habe …“ „Nein, mir tut es leid“ unterbrach er und sah ihn zärtlich an. „Ich habe nur an mich gedacht und nicht bedacht, was ich dir mit meinem Egoismus antue. Bitte verzeih mir.“ „Aber du … du hast …“ So viele Worte, so viele Gefühle schwirrten in seinem Kopf. Er bekam sie einfach nicht geordnet heraus. „Du hast so viel für mich getan! Du liebst mich immer, egal wie ich aussehe! Dasselbe muss ich …“ „Nein, dasselbe musst du nicht auch empfinden“ widersprach er. Er hatte nachgedacht und allmählich verstand er, was sich in seinem Eisengel aufgebaut hatte. „Ich werde dich immer begehren, egal wie sehr du dich veränderst. Doch es entspricht nicht deinem Charakter, dasselbe zu empfinden. Und das, was ich dir zugemutet habe, war keine Veränderung. Das war ein vollständiger Wechsel, auf den du dich nicht vorbereiten konntest. Ich erwarte nicht von dir, dass du genauso empfindest wie ich. Du lebst in einer anderen Gefühlswelt, du siehst andere Dinge und du empfindest mit anderen Sinnen. Ich kann nicht erwarten, dass du etwas annimmst, wovor du dich fürchtest. Erinnerst du dich noch, was ich dir vor Jahren einmal gesagt habe? Dass ich nichts von dir verlange, was du nicht leisten kannst?“ Er wartete und Seto nickte. Mittlerweile hatte er seine Lippen zusammengekniffen, um nicht wieder zu weinen oder zu schreien. „Ich liebe dich, Seto. Ich liebe dich mehr als alles andere. Und du solltest wissen, dass es nichts gibt, was mir so wichtig ist wie du.“ „Aber du … aber … du … wir … du wolltest nicht mehr …“ „Ich weiß, was du sagen willst. Aber ich habe etwas wichtiges gelernt. Sicher ärgert es mich, wenn mich die Leute für einen Schuljungen halten oder denken, meine Kinder wären meine Geschwister. Ich hasse es auch, wenn sie sich über mich lustig machen oder mich mitleidig anstarren. Aber weißt du, wenn ich nach hause komme, dann bist du da. Dann siehst du mich an, dann küsst du mich und in jeder deiner Berührungen und in jedem deiner Blicke und in jedem deiner Worte spüre ich wie sehr du mich liebst. Und dann weiß ich wieder, dass ich etwas habe, was kein anderer hat. Nämlich dich. Und ich will dich genauso selbstlos lieben wie du mich liebst.“ „Aber ich … ich bin nicht selbstlos.“ Er schluchzte und würde Yugi seine Hände nicht festhalten, würde er die Arme um sich schlingen und fortlaufen. „Doch, du bist selbstlos. Kein anderer Mensch würde mich jemals so extrem lieben wie du es tust. Und ich will das, was zwischen uns ist und das, was du empfindest, nicht krampfhaft verändern. Ich will, dass unsere Liebe genauso fest und innig bleibt wie wir sie aufgebaut haben. Und dafür musst nicht nur du arbeiten und etwas aufgeben, sondern auch ich. Bitte sei nicht böse, weil ich mein Versprechen gebrochen habe. Du hast mir dein Herz geschenkt und im Gegenzug will ich dir auch etwas schenken. Nämlich ein Zeichen, dass du mir wichtiger bist als alles andere. Ich will von keinem anderen als dir geliebt werden. Und wenn du meinen unperfekten Körper liebst, dann schenke ich ihn dir. Dich glücklich zu sehen, ist ein Wunsch, der viel tiefer und viel stärker ist. Und den kann mir auch eine Fee nicht erfüllen. Und deswegen verzeih mir bitte und liebe mich so wie ich bin. Kannst du das?“ Seto nickte und gluckste, um nicht lauthals loszuheulen. Doch er konnte den Druck in seiner Brust nicht aushalten und so schluchzte er laut auf, ging in die Knie und drückte seinen Kopf an Yugis Bauch. Er weinte alles heraus. Den ganzen Kummer der letzten Tage, den ganzen Druck, die ganzen Schuldgefühle und die ganze Angst. Mit einem Mal war alles von ihm genommen. Mit einem Mal war sein Herz so leicht und befreit, dass es ihm Angst machte. Yugi gab seinen größten Wunsch für ihn auf. Er hätte das nicht tun müssen, doch er hatte es getan. Er umfasste Yugis wunderschönen Körper, roch seinen vertrauten Duft und hörte seine weiche, tröstende Stimme. Alles war zu perfekt. Yugi war so wunderschön, dass es wehtat. Seto sollte sich schuldig fühlen, dass er ihm diesen Traum zerstört hatte, doch viel stärker war das Glücksgefühl darüber, dass es nun endlich vorbei bei. Darüber, dass nun alles wieder normal war. Alles war wieder so wie er es liebte, wie er es kannte, wie er sich wohlfühlte. Und Yugis Lippen fühlten sich wieder so wundervoll an. So fest, so weich, so warm. Er umfing seinen Körper, drückte sich an ihn und schmeckte seine Zunge, roch seinen feuchten Atem, der nach Erdbeerjoghurt und Kakao schmeckte. Yugis Haut war so ebenmäßig und alles war weit fort, wenn er bei ihm war. Er wollte ihn so sehr, wollte ihm nahe sein, wollte ihn besitzen, wollte ihm gehören, wollte eins sein, wollte alles gleichzeitig. Erst als er ein Klirren hörte und Yugi ihm seine Zunge entzog, atmete er stockend ein. Wie lange hatte er jetzt nicht mehr geatmet? Er war in dieser anderen Welt versunken, in welcher es nur Yugi gab und dieses Gefühl, welches kein Wort beschreiben mochte. „Lass uns nach oben gehen“ flüsterte Yugis warme Stimme in sein Ohr. Setos Blick sah einen zerbrochenen Teller und eine auslaufende Flüssigkeit auf dem Boden. Jetzt erst realisierte er, dass er Yugi auf den Tisch gedrückt und dabei einiges Geschirr zerdeppert hatte. Das hatte er eben gar wahrgenommen. Er konnte nur „Okay“ antworten und alles tun, was Yugi von ihm verlangte. In diesem Moment würde er alles tun, einfach alles. Er spürte Yugis warme Hand die seine umfangen und hörte irgendwas, was seine Freunde ihm nachriefen, doch da setzte er schon seine zittrigen Füße auf die Stufen und folgte Yugis Rücken wie hypnotisiert die Treppe hinauf. Er konnte den Duft, welchen Yugis perfekter Körper verströmte schmecken. Seine ganze Gestalt war so anziehend. Als würden sich alle Planeten nur um ihn drehen. Zum Glück durfte er seine Hand halten, was ihn sowohl auf Abstand als auch in seiner Umlaufbahn hielt. Endlich war da wieder dieses Gefühl, dass Yugi das Zentrum seiner Gefühle, seiner Gedanken, seines ganzen Ichs war. Kaum hatte der die Tür zu ihrem gemeinsamen Zimmer geöffnet, ging ein Ruck durch Seto. Hier waren sie allein. Hier gehörten sie nur einander. Er ließ das Bedürfnis zu und drängelte sich an Yugis Rücken. „Hey, was machst du denn?“ lachte der, bevor Seto an seinen Lippen hing, die Arme um ihn schlang und an die Wand drückte. Er konnte nicht anders. Er müsste ihn küssen, bevor dieser Druck explodierte. Er genoss den Geschmack seiner feuchten Zunge, drängte ihm seine Lippen auf und spürte wie schwach seine Knie wurden. Dieser wunderschöne, verlockende, perfekte Körper überwältigte seine Sinne. Er sank hinab, griff Yugis Nacken und zog ihn nach bis er vor ihm auf dem Boden kniete und den herabgebeugten Mund um mehr anflehte. Er wollte ihn noch näher, wollte mehr, wollte ihn ganz. „Ganz ruhig“ hauchte Yugi und entzog seine fesselnde Zunge, strich ihm durchs Haar und blickte in die fiebrigen, eisblauen Augen. Dieser Blick war entwaffnend. Wenn Seto ihn so ansah, konnte er selbst kaum an sich halten. Es war dieser ganz bestimmte Blick, mit welchem er nur ihn ansah. „Du bist so wunderschön“ keuchte Seto, griff seinen Hosenbund und zog das Shirt hoch, um endlich an Yugis trainierten Bauch zu kommen. Er saugte sich an seinen Hüftknochen fest, schmeckte seinen Bauchnabel und leckte über die feinen Muskeln über den Rippen. Yugis Haut schmeckte so fantastisch, wie eine Droge, welche sofort berauschte. Er wollte diesen Körper lieben. Ihn erleben mit allen Sinnen. Ihn spüren. Ganz nahe bei sich. Mit zittrigen Händen rutschte er ein paar Mal am Hosenknopf ab bis zwei wunderschöne Hände zur Hilfe kamen. Er fuhr mit der Zunge zwischen die Finger, schmeckte Honigseife und ein leichtes Aroma von Tomate, während der Knopf geöffnet wurde. Mit den eigenen, zuckenden Händen zog er endlich den Reißverschluss auf und saugte sich am Bauch fest als die nassen Finger verschwanden. Schnell streifte er den letzten Stoff herunter und stülpte seinen Mund endlich über die warme, harte Erektion. Er hörte Yugis Stimme mit einem Ton direkt aus den Lungen. Seine Stimme klang angefüllt mit Lust und hatte diesen sanften, tiefen Unterton, den nur Yugi treffen konnte. Er fuhr die pulsierende Männlichkeit mit den Lippen auf und ab und umspielte mit der Zunge die nackte Spitze, welche zunehmend salzig schmeckte. Er fühlte zwei Hände in seinem Haar und hörte die lustgetränkte Stimme etwas sagen. Er fühlte wie Yugis Körper zitterte und seine Stimme färbte sich in einen Rausch. Mit den eigenen Händen fuhr er die bebenden Oberschenkel hinauf, streichelte sich innen hindurch und spreizte sie ein Stück bis er die festen Backen in den Handflächen spürte. Das Salz in seinem Mund würde kräftiger und die Stimme lauter. Er hörte einen Schlag als Yugis Kopf gegen den Türrahmen stieß. Nun gaben auch dessen Knie nach, doch Seto hielt ihn aufrecht, drückte ihn mit dem Mund gegen die Wand und massierte den festen Po. Gerade als er kurz seinen saugenden Mund löste, um Atem zu schöpfen, stöhnte die genüssliche Kehle auf und das weiße Gold floh zwischen seinen Lippen hindurch zur Zunge zurück. Ein wenig davon verlief sich auf sein Kinn, doch er schluckte Yugis Lust hinunter und blickte verschwommen nach oben. Seto sah Yugis rotes Gesicht über sich, sah ihn feucht atmen. Die Hände lösten sich und rissen nicht länger an seinem Haar. Stattdessen streichelte er seinen Nacken und stöhnte leise auf. „Oh, Liebling“ atmete er und streichelte sich zu seinem Kinn, wo er ihm die verlaufenen Tropfen fortwischte. Mehr brauchte er nicht zu sagen. „Du bist so fantastisch“ hauchte Seto und küsste sich über die Hüfte zum Bauchnabel hinauf. „Das sollte mein Text sein“ lächelte er und sank allmählich den Türrahmen hinunter. Dieses Mal ließ er ihn herab, legte sich zu ihm und küsste die weichen Lippen. Auch wenn Seto sich etwas erleichtert fühlte, war das Begehren noch immer in ihm. Sein Herz schlug gegen die Brust und seine Lippen, seine Zunge wollten noch mehr, noch länger, noch stärker. Am liebsten wäre er durch den Mund in Yugi hineingekrochen, doch dann hätte er die Hände von seiner Taille nehmen müssen und das wäre schrecklich. Endlich spürte er wie Yugis Finger tiefer glitten und seine Brust streiften. Reflexartig stöhnte er auf und drückte sich von ihm fort. Sein Körper bewegte sich von selbst, er verlor bei Yugis Berührungen alle Kontrolle. „Oh, mein Engel. Ich liebe dich so sehr.“ „Ich … lhiebe dhich auch“ atmete er und richtete sich mit bebenden Gliedern auf alle viere. Er musste mehr atmen, sonst wurde ihm noch schwindeliger. Er suchte Yugis Augen, welche wieder ihre runde Form und ihren unvergleichlichen Ausdruck zurückgewonnen hatten. Er wollte von ihnen angesehen werden, wollte ihnen alles von sich preisgeben, wollte ihnen gefallen und angenommen sein. Ihm war heiß und der Atem schwer. Er griff sein Hemd, zog es über den Kopf und sah schnell wieder in Yugis Gesicht. Seine Lippen schimmerten feucht und seine Wangen rosig. Und seine königlichen Augen glänzten wie Regentropfen im Abendlicht. Er öffnete sich den Gürtel, die Hose und streifte alles ab, was seinen hitzigen Körper verbergen konnte. Er wollte diese Augen spüren. Auf seinem ganzen Körper, an jeder kleinen Stelle. „Lhiebling“ hauchte Yugis Stimme als sich der nackte Körper über ihn beugte und kalte Hände ihren Weg in seinen Nacken fanden. „Sieh mhich an“ keuchte Seto und küsste den zuckenden Kehlkopf. „Yhugi, ich ghehöre dhir … bhitte nhimm mhich … sieh mhich an … dheine Aughen … auf mheiner Haut … ich ghehöre nhur dhir …“ „Verdammt, bist du sexy.“ Er küsste Setos feuchten Mund und spürte eine Leidenschaft an ihm, welche sich selten offenbarte. Es war mehr als ein Quicky zur Befriedigung. Es war auch mehr als das triebhafte Liebemachen zur Mondphase. Es war sogar mehr als der romantische Sex bei Kerzenschein. In Setos blauen Augen leuchtete etwas besonderes. Eine Verliebtheit und ein Verlangen, welches nicht mit normaler Erregung zu erklären war. Es fühlte sich an als wolle er sich vollständig vereinen, vollständig eins werden, sich vollständig aufgeben und gleichzeitig vollständig angenommen werden. Jetzt erst verstand Yugi in seinem tiefsten Inneren wie sehr Seto ihn liebte, wie sehr er ihn begehrte. Nicht nur seinen Charakter und was er für ihn tat, sondern eben auch seinen Körper. Andere sahen in ihm einen Knaben, da konnte er noch so viel Kraftsport machen. Andere sahen in seinem Blick keine Erotik, trauten ihm kein ernstes Liebesspiel zu. Doch Seto sah den Mann in ihm und er wollte sich ihm hingeben. Dem Mann, der ihn als einziger in Ekstase küssen konnte. Dem einzigen Mann, dem er diese lüsterne Seite von sich zeigen wollte. Bis dann „Scheetoo …“ in seine Unterlippe biss uns sie auch nicht mehr losließ. Er lutschte daran, drängte Yugis Kopf zu Boden und befühlte mit seinen Händen die warme, sonnengebräunte Haut. „Scheetoo laasch loosch …“ Doch es half nichts. Seto war viel zu sehr mit lutschten und grapschen beschäftigt. Da half nur eines. „Aaaaahhhhh!“ Ihn aufstöhnen lassen, indem man seine Brust drückte. Sofort ließ er die Unterlippe frei, bäumte sich auf und präsentierte seinen nackten Oberkörper. Yugis Hände taten so gut auf seiner kühlen Haut, wärmten sie bis ganz tief innen. Er fuhr die Muskeln am Brustbein nach, zeichnete seine Rippen und liebkoste mit der ganzen Handfläche seine Brust vom Bauch bis zum Hals. Seufzend sank Seto herab, willenlos, verloren in dieser Berührung. Yugi legte ihn auf den Rücken, stützte sich auf und hauchte ihm mit pochender Unterlippe einen Kuss auf die errötende Haut. Setos heiseres Stöhnen war so verlockend und so anbetungswürdig. Seto legte die Arme über den Kopf, bäumte ihm seinen Oberkörper entgegen und keuchte mit jedem neuen Kuss. Er schloss die Augen und verzog den Mund vor Lust. Er zierte sich nicht mal dabei oder stotterte irgendwas von wegen ‚ich will überredet werden‘. Nein, er ließ sich einfach hinlegen. Es gab gar nichts anderes für ihn. Yugi rutschte höher, streichelte seine Wange und erwiderte den Blick. Seine nachtblauen Augen waren von einer Mystik eingefasst, welche Yugi zittern ließ. Ihm würde angenehm kühl als würde er selbst im Sommerregen stehen, der von draußen ans Fenster prasselte. „Ich liebe dich“ flüsterte er und fuhr verehrungsvoll über Setos feuchten Lippen. Der antwortete nicht, aber schlang seine Zunge um Yugis Finger und saugte sie in seinen Mund. Er wollte jetzt keine Liebesgeständnisse. Er wollte Liebemachen. „Oh, Liebling … du bist so HUCH!“ Da wurde er herumgedreht und Seto saugte sich an seinem anderen Hüftknochen fest, der noch kein Mal trug. Er umklammerte seine Handgelenke und vereiste die warme Haut. Yugi legte den Kopf zurück und atmete tief. Das beruhigte anscheinend auch Seto. Der glitt mit den Händen höher und verschränkte ihre Finger ineinander, küsste sich mit kühlen Lippen bis zur Schulter hoch und leckte über den Hals. Langsam realisierte Yugi, dass er heute des Drachens Hauptmahlzeit wurde, wenn er nicht schleunigst die Zügel in die Hand nahm. Aber Setos Lippen waren so wunderbar kühl und die roten Knutschflecken auf seinem Körper machten sich einfach zu gut. Selten war sein Liebling so bei der Sache. Doch als er einen spitzen Schmerz im Oberarm spürte, musste er doch mal Protest anmelden. Der Drache war auch bissig heute. „Hey, beiß mich doch nicht immer!“ lachte er, fasste ihn zärtlich am Ohr und zog ihn zurück. Bei dieser Berührung wurde Seto steif wie ein Katzenbaby und konnte sich trotz allem Begehren nicht selbst herauswinden. Dennoch hätte Yugi ihm nicht in die Augen sehen dürfen. Setos Gesicht war gezeichnet von Verlangen und Erregung. Seine steife Männlichkeit drückte an Yugis Hüfte und sein geöffneter Mund verlockte zum Küssen. Er würde alles für ihn tun, wenn er seinen Engel nur so ansehen konnte. Das war kein Vergleich zu dem letzten Sex. Das hier konnte Seto nicht spielen. Er wollte ihn wirklich. Diesen Körper. Er verlangte nach ihm und das war nicht gespielt. „Was wünscht du dir?“ fragte Yugi mit leiser Stimme. „Was willst du mit mir tun?“ „Fhass mhich an.“ Er keuchte als Yugi ihn losließ und klebte sofort wieder mit seinen Lippen an seiner Schulter, kostete seinen Hals und strich mit den kalten Fingern zwischen die warmen Oberschenkel. „Yughi … fhass mhich an … nhimm mhich … ich brhauche dhich …“ „Lass uns aufs Bett gehen.“ Denn noch immer lagen sie direkt neben der Tür, die Yugi kurz vor seinem Orgasmus gerade noch hatte anlehnen können. Seto hatte offensichtlich keinen Kopf für eine weichere Unterlage. „Okhay …“ Mit schwerem Atem erhob er sich, kroch zum Bett schleppte sich mit bebendem Körper darauf. Bereitwillig legte er sich hin, seufzte und sah Yugi mit sündhaft geöffneten Lippen an. Der saß völlig perplex neben der Tür und verstand immer mehr wie sehr Seto ihn begehrte. Er tat es wirklich. Diesen Körper, den Yugi unbedingt hatte verändern wollen - er begehrte ihn. „Yhughi“ atmete er und streckte die Hand nach ihm aus. „Khomm her. Odher whillst dhu mhich nhicht?“ „Du hast gar keine Ahnung wie sehr ich dich will.“ Er schlug die Tür zu, kam auf die Beine und kaum war er in Setos Reichweite, bewegte der sich schneller als man es kommen sah. Sofort packte er Yugis Arm, schleuderte ihn aufs Bett und küsste ihn so leidenschaftlich, dass es beiden die Luft abdrückte. So berauscht war er sonst nur, wenn seine Gefühle vom Mond angeheizt wurden. Aber jetzt war es irgendwas kurz vor Vollmond - also nicht seine Zeit. „Fhass mhich an!“ flehte er, griff Yugis Hand und führte sie an seine Brust, stöhnte auf bei der leichten Berührung. Er spreizte die Beine und rieb sich an Yugis warmem Leib. Er war erregt und wollte nichts anderes als berührt werden. Und selten formulierte er das so klar. „Okhay …“ atmete Yugi und schluckte hart, bevor auch er noch die Kontrolle verlor. Andere Menschen mussten erst Drogen nehmen, um so willig zu werden. Doch bei Seto schien das ganz natürlicher Hormonausstoß zu sein. Wenn auch ne Menge Hormone gerade in der Luft lagen. „Lass mich das Gel …“ Da schaltete Seto schon, reckte den Arm, riss die Schublade auf und schmiss dabei den Radiowecker herunter. Doch der Griff war erfolgreich und er hielt ihre blaue Tube in der Hand. Doch dann konnte er sich nicht weiter bewegen. Er stöhnte, denn er lag etwas unglücklich auf seinem steifen Glied. Und das verursachte gewisse Gefühle. „Sehr gut, Liebling.“ Er fasste ihn vorsichtig am Po und strich von Keuchen begleitet die Wirbelsäule hinauf, bog an der Schulter rechts ab, fuhr mit den Fingern bis zur Hand und nahm ihm die Tube ab, während er ihn im Nacken küsste. „Sei brav und bleib so.“ „Yhughi …“ „Ich liebe dich, mein Herz. Ich liebe dich.“ Er küsste ihn weiter im Nacken, befeuchtete seine kleinen Härchen dort und schleckte, allein um ihn ein bisschen stöhnen zu hören, über sein heiß gewordenes Ohr. Nebenbei schraubte er die Tube auf, knabberte seinen Liebsten im Nacken und genoss den Anblick wie er versuchte, seine Hüften aus dieser misslichen Lage zu befreien und gleichzeitig mit den Armen fast auf dem Fußboden hing. Er war so süß. „OOHH GHOOOTT! JHAAA! AAHHJHHAA!“ Er stöhnte wie von Sinnen als der erste Finger in ihm verschwand. Er schwamm mit seinen Hüften und zog die Knie auseinander. „YHUGHI! OH GHOOTT! NHICHT OOHH GHOOTT! JHAA!“ „Was denn jetzt? Nicht oder ja?“ schmunzelte und lutschte an seinem röten Öhrchen. Doch Seto war viel zu fern dieser Welt als dass er noch merkte, was er redete. Das bewies nicht nur der pulsierende Muskel, welcher sich eng um Yugis zwei Finger zog, sondern auch dieses sonderbare Gefühl, was Yugi vorsichtig von seinem Rücken rutschen ließ. Selbst in diesem schlechten Licht war zu sehen und erstrecht zu fühlen wie sich etwas unterhalb seiner Schultern bewegte. Seine Flügel zuckten nur auf, wenn er in allergrößter Ekstase war. Zur Mondphase passierte das manchmal, aber äußerst selten nur unter ‚normalen‘ Bedingungen. „Wow, Liebling.“ Er legte seine Hand auf die Bewegungen und streichelte darüber. Irgendwie war es schon gewöhnungsbedürftig, wenn sich da dicke Knorpel unterhalb der Haut bewegten, aber alles spannte sich an und stand still als Yugi seine zwei Finger tief in ihn schob. Nach einem lauten Stöhnen war es ruhig. Seto hielt den Atem an. Auch Yugi bewegte sich nicht, verinnerlichte diesen seltenen Moment der Erregung. Ganz langsam zog er seine Finger zurück, strich das restliche Gel an seiner eigenen Erektion ab und küsste dann die harten Schultern seines Lieblings. Der würde morgen ganz schön verspannt sein, der Arme. „Yhughi“ winselte er mit heller, hoher Stimme und biss in die Tagesdecke. Er hielt es nicht mehr aus. Nicht so. „Ich khann mhich … khann … mhich nhicht mehr bheherrschen … bitte bitte bitte bitte … ooohhhhaaa ….“ „Lass dich ruhig gehen, mein Herz.“ Er streckte sich lang, fuhr den kräftigen Arm hinab und verschränkte ihre Finger. „Ich habe alles im Griff. Lass dich fallen.“ Vorsichtig zog er ihn hinauf und drückte mit der anderen Hand etwas gegen seine Brust. So konnte er seinen viel schwereren Liebling zu sich aufs Bett holen und ihn sogar auf den Rücken drehen. Der Blick dieser Eisaugen war bestürzend erotisch. Setos kalter Atem gefror an der Luft und hinterließ einen weißen Frost auf den Lippen, welcher aber durch seine steigende Körpertemperatur zu glasklaren Perlen verschmolz. „Ich liebe dich so sehr, mein Liebling. Du bist wunderschön.“ „Aaaaahhhhh“ keuchte er und legte den Kopf zur Seite, schloss gequält die kalten Augen, aus welchen Tränen der Lust drangen. Glücklicherweise hielt Yugi seine Hand auf der Brust, sonst wäre dieses Körperzittern vielleicht in einen sexuellen Überfall umgeschlagen. „Yughi .. Yhugi … Yhuuuhhaa …“ Er schwamm unter der warmen Hand und spreizte seine Beine. Er schlug die Fersen in die Matratze und hob seinen erregten Unterleib hinauf. Noch deutlicher konnte er sich nicht anbieten. „Liebling, du bist so heiß …“ Yugi konnte weder ihn noch sich selbst länger hinhalten. Er griff die Kniekehlen dieser langen Beine, zog sie auseinander. Seto drängte sich noch näher heran, stemmte die Hände neben den Kopf und rutschte ihm entgegen. Er keuchte und versuchte neben seiner Erregung das Atmen nicht zu vernachlässigen. Und endlich erfüllte Yugi ihm sein Flehen und drang langsam in ihn ein. Er blickte auf ihn herab, über seinen harten, muskulösen Körper und ließ sich von dem Anblick allein erregen. Er könnte nochmals kommen allein beim Blick auf diesen eregierten Körper. Setos Gesicht war pure Sünde und sein Körper geschüttelt von Leidenschaft. Plötzlich drang aus seiner Kehle ein dunkles Grollen. Zu leise, um aggressiv zu sein, jedoch zu deutlich, um es ignorieren zu können. Es entstand direkt in seiner Brust und Yugi fühlte es in seinem Körper vibrieren. So etwas war noch nie geschehen, doch es klang lockend und wohlig, sodass Yugi sich weniger bedroht als mehr angefleht fühlte. Dann war Ruhe. Seto bewegte sich nicht mehr, atmete in kurzen, flachen Stößen und schloss hilflos die Augen. Er musste es auch wahrgenommen haben. Vielleicht konnte er damit auch nicht viel anfangen. Yugi wollte gerade etwas sagen als Seto ihm zuvorkam. „Wheiter … dhas whar ghut“ keuchte er und schluckte seine Furcht herunter. „Hör nhicht aufh … nhimm mhich … Yhughi … nhimm mhich … ich whill dhich …“ „Jha …“ Er stieß vorsichtig in ihn und erneut drang dieser dunkle, grummende Ton an die Luft. Doch Seto machte nicht den Anschein als wäre er verschreckt. Yugi konnte darüber auch gar nicht nachdenken, denn er fühlte sich gelockt von diesem ungewohnten, aber hoch erregenden Ruf. Er stieß fester in ihn und stöhnte selbst als der muskulöse Körper unter ihm erzitterte. Danach war alles zu spät und im Nachhinein würde es beiden schwerfallen, zu beschreiben, was mit ihnen geschehen war. Seto biss die Zähne zusammen, öffnete den Mund und atmete gefrierenden Atem durch seine Lippen. Yugi strich über die fein definierte Taille, liebkoste mit den Fingerspitzen seine Erektion und spürte die Erregung, welche sich unter und in ihm aufbaute. Seto selbst krallte die Hände in die Decke, bäumte sich auf und stöhnte laut heraus. Seine Stimme durchzuckte immer wieder ein grollender, angenehm dunkler Ton, der in unregelmäßigen Abständen kam und ging. Yugi fühlte wie die Kraft seinen Körper verließ und allein in seine Lenden floss. Sein Kopf war wie taub, sein Atem schmerzte, aber sein Körper fühlte sich großartig. Wie aphrodisiert, heiß, fröstelnd, schmerzend und er ließ es zu. Seine Beine gaben nach, auch seine Arme und er lehnte sich an Setos bebende Brust, hörte den erregenden Ton, welcher durch ihn und in beide zurückdrang. Yugi schlang seine Arme um Setos Körper und stieß wie willenlos in ihn. Es gab nur noch das hier. Nur noch dieses Gefühl. Dieses unendliche Gefühl von zwei Körpern, welche füreinander bestimmt waren. Als wirbele eine kosmische Kraft um sie und fügte zusammen, was man nicht trennen durfte. Noch niemals hatte Yugi solch ein starkes Bedürfnis nach Sex gespürt. Er realisierte es auch nicht, doch er hielt Seto fest in seinen Armen und beschenkte den schwitzenden Körper unter sich mit all seiner Lust. „YHUUGHII! YHUUGHII! AAHH! JHAA! HÖR NHICHT AAUUF … WHEITER … WHEITER … JHA … OOHH JHAA JHAAA JHAAAA!!!“ Sein Stöhnen ging unter als ein Grollen aus Setos Kehle drang und sich seine harte Gestalt ein letztes Mal aufbäumte. Yugi fühlte sich in ihn gesogen, mit ihm vereint wie niemals zuvor. Er konnte nicht mehr sagen, welches Gefühl zu ihm und welches zu Seto gehörte. Aber es erfüllte seinen ganzen Körper bis in die Zehenspitzen. Alles kribbelte, alle pulsierte und noch niemals war sein Kopf so leer und sein Körper so erfüllt gewesen … Chapter 48 „DU BIST SCHON WACH?!“ Joey war geschockt. Seto saß doch tatsächlich schon am Frühstückstisch und sein Kaffeebecher war halb leer. Dabei war er doch sonst immer der Letzte, der auftauchte. „Das heißt guten Morgen, Wheeler“ brummte er und sah beleidigt von der Zeitung auf. „Guten Morgen, Herr Lärmbelästigung“ maulte er zurück und plumpste auf seinen Stuhl, der mit Absicht etwas ab von Setos Platz stand. Sonst hätte nämlich morgens niemand die Aussicht auf ein ruhiges Frühstück. Doch außer diesen beiden saß ja noch niemand hier. Das Restaurant war leer. Seto blickte skeptisch und beäugte Joeys wirre Frisur. „Den Weg zum Spiegel hast du noch nicht gefunden, was?“ „Ey, es ist halb sechs. Kein normaler Mensch guckt um halb sechs in den Spiegel. Besonders nicht nach so einer Nacht. Danke auch.“ „Willst du mir irgendwas sagen?“ „Du hast mir mein Schäferstündchen versaut, Mann“ meckerte Joey und verschränkte beleidigt die Arme. „Bei deiner Lautstärke ist Narla die ganze Lust flöten gegangen. Du schuldest mir ne Runde Sex, mein Freund.“ „Was kann ich dafür, wenn du deine Freundin nicht bei der Stange halten kannst?“ Doch etwas unangenehm war ihm das schon. Er hatte gespürt, dass gestern etwas anders gewesen war als sonst. Es fühlte sich nicht bedrohlich oder gefährlich an, doch es war ungewöhnlich. Und gestern hatten weder er noch Yugi die Kraft, um viel zu sprechen. Sie waren einfach so eingeschlafen wie sie lagen. Völlig weggetreten, sogar Yugi. Und dabei war er doch derjenige, der hinterher für eine angenehme Schlafposition sorgte und seinen müden Liebling zudeckte. „Sag mal … Joey“ druckste Seto und versteckte sich beiläufig hinter seinem Kaffeebecher. „Wie viel hat man denn … gehört … von uns …?“ „Weniger von euch als mehr von dir. Diesen Ton habe ich bisher nur ein Mal gehört“ antwortete er und sah verlegen die leere Tischplatte an. „Erinnerst du dich daran, als wir bei mir im Zimmer waren und …?“ Und das musste er nicht extra nochmals aussprechen. Seto wusste, was er meinte. „Es hat mich daran erinnert.“ „Und das … hat …?“ „Ihr habt Tato hochgescheucht und der hat dann einen Stillezauber um euer Zimmer gelegt. Danach war Ruhe … ABER mein Schäferstündchen war trotzdem hinüber!“ „Aha …“ Das war ihm unsäglich peinlich. Wahrscheinlich hatte ihn das ganze Haus gehört. Und hatte auch gehört, dass etwas anders war als sonst. „Du kannst auch echt nix für dich behalten, was Drache?“ „Danke, Köter. Den Kommentar musstest du dir jetzt noch geben, was?“ „Jo, musste ich. Du beschwerst dich, dass jeder deine Geheimnisse mitkriegt, aber du posaunst ja auch alles raus. Also reg dich ab.“ „Hast du eigentlich ne Ahnung wie es mir dabei geht?“ fragte er und nippte unsicher an seinem Kaffee. „Das gestern … ich hatte mich nicht unter Kontrolle.“ „Wann hast du dich denn schon mal unter Kontrolle?“ „Lass die Kommentare.“ „Das war kein Kommentar. Das sollte dich trösten, Alter.“ Er sah ihn zärtlich an und seufzte. Mit Seto machte man echt was mit. Seto horchte auf als Schritte auf dem Fliesenboden patschten und Narla im Schlafshirt in die Gaststätte kam. Sie hatte ihr Babymädchen auf dem Arm und sah im Gegensatz zu der Kleinen noch sehr verschlafen aus. „Hey, meine Mädchen“ lächelte Joey, stand auf und nahm ihr das Baby ab, küsste seine Liebste auf die Schulter. Sie war nun mal einen Kopf größer als er. „Warum bist du denn schon wach? Ich war extra leise.“ „Joey hat mitgekriegt, wie du die Tür zugemacht hast. Du weißt, sie kann es nicht leiden, wenn du weggehst.“ „Ja, ich merk‘s.“ Seine Kleine grinste und hatte schon wieder beide Hände in sein Haar gedreht, riss daran und freute sich über Papas lustiges Gesicht. Der war ja selber Schuld, wenn er ihr so nahe kam. „Morgen Seto“ seufzte Narla, setzte sich auf Joeys angewärmten Stuhl und blickte auf die Tischplatte. „Gibt’s schon Kaffee oder Tee oder so?“ „Kaffee gibt‘s.“ Er schob ihr die Kanne hinüber und sie griff sich einen Becher, der noch von gestern Abend auf dem Tisch stand. Sie guckte hinein, erkannte aber keinen groben Schmutz. Außerdem war sie zu müde, um jetzt extra in die Küche zu gehen. Also nahm sie eben was da war und goss sich das schwarze Gebräu ein. Joey hatte sich mittlerweile aus dem Babygriff befreit und wiegte sie auf seinen Armen als Narla hustete und den Becher von sich schob. „Seto! Hast du den gemacht, Mann?“ „Ja“ murrte er und sah sie beleidigt an. „Schmeckt’s etwa nicht?“ „Das ist kein Kaffee, das ist Kaffeekonzentrat“ hustete sie und ließ es lieber sein. Das Gesöff war zu stark, selbst für ihre harten Geschmacksnerven. „Joey, geh Tee machen.“ „Warum ich? Ich muss gleich ins Büro. Was meinst du, warum ich so früh …?“ „Sabbel nicht, geh Tee kochen.“ „Sabbel nicht, geh Tee kochen“ höhnte er sie nach, aber tat dann trotzdem, was sie verlangte. Mit Narla war morgens auch nicht zu spaßen. „Komm Süße. Mama ist noch nicht wach.“ „Baaawwlllll …“ „Warum bist du denn schon wach und angezogen?“ fragte Narla und zog die Beine auf den Stuhl, setzte sich ganz gemütlich in den Schneidersitz. „Wieso? Darf ich nicht mal früh auf sein?“ „Dürfen tust du schon, aber das ist so untypisch. Sonst bist du immer einer der Letzten am Tisch. Zumal ihr es ja gestern ziemlich habt krachen lassen.“ „Danke, Joey hat mich schon aufgezogen.“ „Ist gut. Ich lasse dich in Ruhe.“ Narla schloss die Augen und entspannte sich. Eigentlich hatte sie ja auch noch gar nicht aufstehen wollen. Seto nippte an seinem Kaffeekonzentrat und lauschte Joey in der Küche rumoren. Er unterhielt sich mit seiner Tochter und brachte sie mit irgendwelchem Quatsch zum Quieken. Nebenbei hörte Seto wie sich der Kühlschrank öffnete und wieder schloss und Joey schmatzte. Dann füllte er Wasser in den Wasserkocher und hantierte mit irgendwelchem Geschirr. Diese Sinne waren zu scharf, um normal zu sein. Jetzt roch er sogar, was Joey mampfte. Es war ein Stück Salamiwurst. Mit Pfefferrand. Und er kochte Pfefferminztee. Jedenfalls hatte er das vor, er war ja noch nicht aufgegossen. „Nein, du kriegst Fencheltee“ sagte er zu seiner Kleinen, die Babysprache vor sich hinlallte. „Fenchel ist besser für Babys. Davon kannste Pupsen wie’n Kerl.“ Joey sprach nur in ganz normaler Zimmerlautstärke, ja sogar noch etwas leiser. Und dennoch hörte und roch Seto alles als würde er direkt danebenstehen. „Narla, sag mal …“ Doch dann wusste er nicht weiter. Wie sollte er das formulieren? Außerdem wusste er auch gar nicht, ob Narla ihm überhaupt helfen konnte. Ja, sie kannte sich mit Drachen aus, aber Seto war ja kein Drache im eigentlichen Sinne. Er war ja auch ein Mensch … „Frag einfach frei Schnauze“ erwiderte sie nach seinem Schweigen und blickte ihn mit ihren stahlgrauen Augen warm an. „Du willst mich doch irgendwas fragen, oder?“ „Ja, aber … ich weiß nicht … hältst du es für möglich, dass … dass mich meine Instinkte irgendwann übermannen?“ „Nein, halte ich nicht für möglich. Jedenfalls nicht auf längere Sicht“ antwortete sie recht selbstsicher. „Warum kommst du auf so einen Gedanken?“ „Ich weiß nicht, was mit mir passiert.“ Er umfasste seinen Kaffeebecher und starrte in das schwarze, sämige Etwas darin. „Ich nehme alles um mich herum unnormal intensiv wahr. Meine Sinne … ich muss mich konzentrieren, um es zu ignorieren. Und dann die letzten zwei Tage. Erst wachsen mir diese … Krallen … und ich sehe mich selbst dabei wie ich zur Bestie werde. Auch wenn Tato sagt, dass kenne er auch und … und … aber das gestern … das war kein menschliches Empfinden mehr. Ich habe Angst, dass ich mich in irgendetwas verwandle, was nicht mehr menschlich ist.“ „Also, woher das mit den Krallen kommt, kann ich dir leider auch nicht beantworten. Mir hat Tato auch nur gesagt, dass das unbedenklich sei, wenn man’s unter Kontrolle hat.“ „Aber ich habe es ja nicht unter Kontrolle. Mein Verhalten entgleitet völlig meinem Willen.“ „Das gestern, das war aber ungefährlich. Das kann ich dir auch sagen“ sprach sie weiter und Seto musste zugeben, dass ihre Stimme eine sonderbar beruhigende Wirkung hatte. Er spürte regelrecht wie sein Puls verlangsamte. Narla sprach seine Sprache. Nicht nur die Worte, sondern auch ihre Tonlage und ihre Körperhaltung. Sie wusste, wie sie ihn behandeln musste. „Drachen formen keine Worte wie wir Menschen. Aber sie verständigen sich genauso über Gesten und über die Stimme. Es klingt nur einfach anders.“ „Aber … ich bin ein Mensch.“ „Du bist ein halber Drache. Und deine Instinkte werden stärker je älter du wirst“ erklärte sie in ihrem liebevollen Ton. „Den Ton, den ich gestern von dir gehört habe, den kenne ich. Ich habe ihn zwar noch nie von einem Weißen Drachen gehört, aber von vielen anderen. Und ich habe ihn auch schon bei Menschen gehört.“ „Bei Menschen?“ „Es war ein Ton, der den Partner zur Paarung animieren soll“ lächelte sie sanft. „Es gibt Klänge, die bei fast allen Drachen gleich sind oder zumindest sehr ähnlich. Ganz typisch sind zum Beispiel das Signalisieren von Wohlbefinden. Das hört sich ein bisschen an wie Schnurren. Das wird meistens in der Gemeinschaft gemacht, um das Zusammengehörigkeitsgefühl zu bestärken. Das heißt so viel wie: Wir fühlen uns wohl, alles ist in Ordnung. Wenn das Schnurren ab und zu von einem Schnaufen oder einem leisen Grummen durchzogen ist, soll das beruhigend wirken. Heißt quasi: Keine Sorge, alles wird gut, reg dich nicht auf. Das tun Drachen meist, für ein Individuum, welches sie bekümmern oder trösten wollen. Kranke oder einsame Drachen beruhigen sich damit aber auch selbst. Das Oberhaupt setzt diese Mischung häufiger ein, um seine Gruppe zu besänftigen. Jeder Drache hat seine eigene Klangfarbe und je nach Intensität wird es auf die anderen abgestimmt. Und dann gibt es natürlich noch die sehr deutlichen Töne zum Paarungsverhalten. Wenn ein Drache sich in Rage balzt, gibt er eine Art Grunzen von sich. Das klingt ein bisschen wie eine Mischung zwischen Eber und Stier. Das soll aber mehr heißen: Sieh mich an wie sexy ich bin! Bei Drachen tun das meistens die Männchen, aber auch Weibchen balzen ganz gern mal. Dein Ton gestern, dieses tiefe, sanfte Grollen, das hat Lust ausgedrückt. Das hat signalisiert: Was wir machen ist schön, das gefällt mir. Bei Drachen, die in einer Gemeinschaft leben, drückt das aber gleichzeitig aus: Alle außer dir sollen mir gefälligst vom Leib bleiben, sonst werde ich böse. Das ist damit die Paarung nicht von Artgenossen gestört wird. Und ich fand deinen Klang sehr zärtlich. Ich kann mir vorstellen, dass Yugi darauf ziemlich angesprungen ist.“ „Das … weiß ich nicht.“ Natürlich hatte er das Gefühl, dass Yugi darauf reagierte, doch das zuzugeben, war peinlich. Zumal Narla das irgendwie auch schon ahnte. Dennoch … „Ich bin aber ein Mensch … Menschen machen so etwas nicht.“ „Du solltest das aber nicht unterdrücken. Da entgeht Yugi ne Menge“ schmunzelte sie. „Und ich habe durchaus schon Menschen erlebt, die sich so anhörten. Na ja, nicht so schön wie du, aber so ähnlich.“ „Aber …“ Jetzt konnte er nicht verbergen wie überrascht er war. „Menschen?“ „Natürlich nicht am eigenen Leibe. Ich war ja noch viel zu jung“ erklärte sie und suchte nach Worten, bei denen er sich nicht beschämt fühlen würde. „Aber du weißt, dass die Drachenjäger Drachen gejagt haben, um sich ihrer Kräfte zu bedienen. Und darunter fallen eben nicht nur die Magien, die man durch bestimmte Rezepturen erwirbt, sondern auch die Verstärkung der Sinne und Instinkte. Nicht nur die menschlichen Sinne werden verstärkt, sondern auch die Instinkte eines Drachens gehen einem irgendwann ins Fleisch. Und so … nun ja, manchmal habe ich sie gehört. Meine Mitjäger.“ „Du hast sie … gehört? … Wenn sie …?!“ „Na ja, du weißt ja selbst, dass man so eine Stimme durch mehrere Wände hören kann“ schmunzelte sie mit einem Zwinkern. Doch Setos bestürztes Gesicht ließ sie wieder ernst werden. „Seto, selbst ich habe verstärkte Sinne und stelle auch häufig fest, dass ich gewisse Dracheninstinkte unterdrücken muss. Aber weil ich keine Drachen mehr jage, nehmen meine Fähigkeiten allmählich ab. Deine Drachensinne aber kommen aus dir selbst. Die Ärzte im Krankenhaus haben bei Tatos Blutuntersuchung sogar festgestellt, dass da Stoffe vorhanden sind, die im menschlichen Blut gar nicht vorkommen. Drachenjäger eignen sich so etwas willentlich an. Bei euch ist das im Organismus angelegt. Darum seid ihr zu beneiden.“ „Aber wenn das überhand nimmt!“ versuchte er seine Sorgen zu erklären. „Ich will nicht irgendwann jemanden verletzen!“ „Ich glaube nicht, dass das geschehen wird, wenn du dich damit auseinander setzt. Wenn du lernst, damit umzugehen, wirst du es gut kontrollieren können. Tato kann es doch auch. Der Unterschied besteht nur darin, dass bei dir die Entwicklung gepusht wurde und Tato damit natürlich aufgewachsen ist. Ich bin aber überzeugt, dass du es kontrollieren wirst“ sagte sie und nahm die Beine vom Stuhl, bevor sie einschliefen. „Seto, viel gefährlicher ist es, wenn Drachenjäger sich diese Kräfte künstlich aneignen. Die können es dann nämlich wirklich schlecht kontrollieren, weil sie sich mental damit nicht richtig auseinandersetzen. Erinnere dich, was mit Joey passiert ist als er deinen Körper hatte. Es dauerte nur wenige Tage und er begann seine Grundsätze zu vergessen. So eine Macht, so eine Kraft steigt jedem Menschen zu Kopf. Für dich aber ist das ein natürlicher Teil deiner selbst. Und deshalb bist weder du noch ist deine Familie in Gefahr. Punkt.“ „Verstehst du denn gar nicht, dass ich mich fürchte?“ fragte er und sah, dass sein Kaffee leider gefroren war. „Doch, das verstehe ich. Du hast dich sehr schnell entwickelt. Es ist klar, dass du mit viel Neuem klarkommen musst und dich noch nicht richtig damit beschäftigen konntest. Du hattest noch keine Zeit, dich selbst kennen zu lernen. Aber mal ehrlich, so schlecht war der Sex doch gestern nicht, oder?“ „Aber ich will das nicht“ erwiderte er traurig. „Ich will Sex haben wie ein Mensch. Ich will mit Yugi Liebemachen und mich nicht paaren wie ein Tier. Verstehst du das nicht?“ „Um ehrlich zu sein, nein. Ich hätte gern mal Drachensex.“ „Narla!“ „Seto, Drachen sind keine Tiere im eigentlichen Sinne. Sie paaren sich nicht nur der Fortpflanzung wegen. Ihr Sexualleben ist mit dem von Menschen durchaus vergleichbar.“ „Trotzdem will ich mich nicht davon übermannen lassen … von dem Tier in mir.“ „Wenn Drachen Tiere sind, dann sind es Menschen ebenfalls. Aber ich verstehe, was du meinst.“ Sie seufzte und sah ihn mit selbem Anteil Verständnis wie Unverständnis an. Sie hatte keine Angst vor Drachen oder dem was sie umgab. Doch Seto ging es anders. Er fürchtete den Drachen in sich. „Vielleicht brauchst du einfach Zeit, um dich daran zu gewöhnen. Eines Tages wirst du es ebenso gut kontrollieren können wie Tato es kann. Wobei Tatos Sinne natürlich nicht so ausgereift sind wie deine.“ „Ich habe aber keine Zeit, mich daran zu gewöhnen. Ich muss es unter Kontrolle bekommen und zwar bald. Bevor ich noch gefährlicher werde. Und irgendwann schicken die Engel Mokuba vielleicht nicht mehr rechtzeitig und dann? Dann töte ich jemanden, den ich liebe! Ich hätte fast mein Baby getötet! Das kann ich nicht einfach abtun als wäre es normal. Selbst Drachen töten ihre Jungen nicht einfach so!“ „Du musst nur den Menschen und den Drachen in dir miteinander verbinden. Wenn du beide Teile in dir akzeptierst und ihnen Raum und Recht gibst, wirst du nicht mehr mit dir ringen müssen. Und dann haben weder der Drache noch der Mensch in dir eine Möglichkeit, dich zu übermannen.“ „Super.“ Das half ihm sehr weiter. Er machte sich Vorwürfe, hatte Angst und Schuldgefühle. Vor allem hatte er Angst. Und Narla tat als wäre das so einfach. „Wenn es dir hilft, kann ich dir ein Mittel brauen“ schlug sie beruhigend vor und wurde von zwei eisblauen, tiefen Augen angesehen. „Ich kenne noch von früher einige Rezepte, mit welchen man Drachen behandeln kann. Wenn ich die richtigen Kräuter zubereite, kann ich deine Sinne dämpfen. Mit einer leichten Dosis würde das auf dich wirken wie ein schwaches Betäubungsmittel. Ähnlich wie ein Antidepressivum, aber auf rein natürlicher Basis. Weißt du, Drachen reagieren manchmal auf Nahrungsmittel ganz anders als Menschen. Du müsstest mir nur mal dein ungefähres Gewicht verraten und wann deine Anfälle am schlimmsten sind.“ „Mittags und Nachmittags. Da ist es am schlimmsten“ antwortete er bedrückt. „Und wiegen tue ich ungefähr 102 Kilo. Ich habe etwas abgenommen.“ „Dann sorg dafür, dass du anständig isst. Dann hast du auch bald wieder dein Kampfgewicht. Drachen sollten lieber etwas schwerer sein, das ist gut für den Biorhythmus. Versuche mal Zucker zusammen mit Pfeffer zu essen. Davon wirst du schnell zunehmen und wenn du zunimmst, fühlst du dich auch wohler.“ „Zunehmen mit Pfeffer?“ „Scharfe Gewürze überhaupt“ erklärte sie wissend. „Die Inhaltsstoffe, die in scharfen Gewürzen drin sind, verursachen bei Drachen eine sehr interessante Reaktion, die beim Menschen gar nicht möglich ist. Nämlich ist Schärfe sowohl beim Drachen als auch beim Menschen gar keine Geschmacksrichtung, sondern ein Schmerzempfinden. Deshalb kommt einem Schärfe warm bis heiß vor, selbst wenn die Speise kalt ist. Beim Drachen reagiert der Organismus jedoch damit, dass er wegen der Wärme die Zellen im Muskelgewebe öffnet. So eine Art Semi-Schwitzen, sodass Giftstoffe über das Blut abtransportiert werden. Du entgiftest also mit scharfen Gewürzen deinen Körper. Wenn nun eine glucosehaltige Speise dazukommt, lagert sich vorerst die vom Körper zu Fett umgewandelte Glucose in den geöffneten Zellen an. Beim Menschen wäre das, wenn es denn überhaupt funktionieren würde, schädlich. Aber für Drachen ist das eingelagerte Fett eine schnelle und einfache Art, die Muskeln mit Kraft zu versorgen.“ „Esse ich deshalb so gern süßes?“ „Vielleicht. Aber dir fehlt das in scharfen Gewürzen enthaltene Capsaicin, was die Einlagerung der Glucose, beziehungsweise des Fetts bewirkt.“ Narla wusste über den Organismus eines Drachen wahrscheinlich mehr als über den eines Menschen. Und sie gab ihr Wissen bereitwillig weiter. „Deshalb könnt ihr Drachen so viel Schokolade futtern ohne wirklich zuzunehmen. Denn was der Körper nicht verbraucht, wird nicht eingelagert, sondern ausgeschieden. Das ist wohl auch der Grund, weshalb Drachenweibchen eher auf deftige Speisen abfahren. Männchen bauen von Natur aus, allein wegen ihres Hormonhaushalts, leichter Muskeln auf und sind im allgemeinen kräftiger. Dadurch aber, dass die Weibchen mit Vorliebe Capsaicin über die Nahrung aufnehmen, wird fast alles, was sie zusätzlich an Glucose zu sich nehmen, in den Zellen angelagert. So gleichen sie durch ihre Ernährung das Kraftdefizit aus, ohne ihren Hormonhaushalt verändern zu müssen. Und dadurch, dass die Männchen wenig Capsaicin zu sich nehmen, ist sichergestellt, dass sie nicht verfetten. Du siehst, auch bei Drachen gibt es so etwas wie ernährungswissenschaftliche Erkenntnisse. Und deshalb“ hob sie lehrend den Finger, „empfehle ich dir, dass du mehr Scharfes zu dir nehmen solltest. Es gibt doch im Geschäft diese Chili-Schokolade. Die allein sollte schon reichen, um dein Gewicht ein bisschen zu steigern. Wenn du dazu noch zur Hauptmahlzeit etwas mit viel Pfeffer, Rettich oder Senf oder auch Knoblauch zu dir nimmst und zum Nachtisch etwas Süßes isst, versorgst du deine Muskelreservern optimal.“ „Ich will aber nicht fett werden.“ „Das ist ja das Gemeine. Du wirst nicht fett, sondern kräftig. Das wirkt auf dich wie … wie … wie heißt das noch, womit sie die Schwimmerinnen früher gedopt haben?“ „Anabolika?“ „Genau, das wirkt auf dich wie Anabolika. Glaube mir, du verfettest nicht. Vertraue mir, Schatz. Und wenn du etwas mehr wiegst, wirst du dich auch wohler fühlen. Dein Körper sagt dir schon, wann er sein Optimum erreicht.“ „Sooooo.“ Joey kam zurück, trug ein kleines Tablett in der einen Hand und seine Kleine im anderen Arm. „Ich will euch ja nicht stören, aber ich muss jetzt los. Hier, Frühstück für dich.“ Er stellte Narla das Tablett mit dem Becher hin und hatte ihr sogar ein Mettbrot geschmiert, weil sie das jeden Morgen aß. „Und Baby für dich.“ Und Seto bekam das Kind auf den Arm, weil er das jeden Morgen hatte. „Wann bist du wieder zurück?“ wollte Narla wissen, während Joey sich jetzt endlich die Schuhe zuband. „Weiß nicht. Wollen wir heute zusammen Mittagessen? Kommst du vorbei?“ „Ja, ich komme und dann kannst du mich einladen.“ „Wunderbar. Ich liebe dich.“ Er küsste sie, sah ihr noch mal verliebt in die Augen und küsste sie nochmals. „Echt, ich tu’s wirklich.“ „Ich weiß.“ „Das heißt: Ich liebe dich auch.“ „Geh Geld verdienen, Bärchen“ grinste sie ihn frech an. „Seufz, was habe ich mir da nur für’n Mädchen geangelt?“ „Warum musst du überhaupt schon ins Büro?“ wollte sie dennoch wissen als er sich auch mit einem Kuss von der Kleinen verabschiedete. „Papa muss telefonieren. Mit einem Land, wo es jetzt schon ganz spät am Abend ist.“ „Kann Papa nicht auch von hier aus telefonieren?“ „Wenn Papa nicht seinen USB-Stick gestern auf dem Schreibtisch hätte liegen lassen, ja. Aber ohne meine Dateien bin ich nichts. Was glotzt du so?“ „Nichts“ erwiderte Seto kühl. „Geh arbeiten und guck zwischendurch mal in den Spiegel.“ „Gib’s zu, du willst auch’n Kuss haben.“ „Das würde ich nie zugeben.“ „Manchmal kann ich eben auch Gedanken lesen.“ Und ob Seto das jetzt gedacht hätte oder nicht, Joey knutschte ihn auf die Wange. „So, see ya later, Leute!“ Und weg war er. „Mal ehrlich, Narla“ sah Seto sie ernst an und steckte klein Joey ihren beziehungsweise seinen Lieblingsfinger in den Mund. „Was willst du überhaupt mit dem?“ „Warum?“ lachte sie und nippte an ihrem heißen Minztee. „Du könntest doch ganz andere Typen haben. Was willst du mit so einem verplanten Holzkopf?“ „Joey ist vielleicht verplant, aber sehr strebsam. Wenn er seine Dateien vergisst, steht er eben früher auf und schafft die Arbeit trotzdem. Ganz ohne sich zu beschweren.“ „Das meinte ich auch nicht.“ „Außerdem ist er so wunderbar normal“ lächelte sie verliebt das Mettbrot an. „Ich habe schon so viel übernatürliches in meinem Leben erlebt, dass er für mich wie ein Pol der Normalität ist. Außerdem liebt er mich. Und er zeigt es mir, immer und immer wieder, Tag für Tag. Obwohl ich nicht gut darin bin, große Gefühle zu zeigen, beschwert er sich nie. Bei ihm fühle ich mich wohl und gut aufgehoben. Und er bringt mich zum Lachen. Ich weiß, dass er mich liebt. Und das reicht mir, um ihn auch zu lieben. Und er ist ein sehr guter Vater. Das hätte ich ihm auch nie zugetraut, aber er ist ein toller Papa. Das ist unbezahlbar. Es gibt viele Gründe dafür, ihn zu lieben.“ „Wenn du meinst.“ Chapter 49 Als Seto durch die weit offenstehende Tür zur Aquarienhalle eintrat, sah er auf den ersten Blick nur Sethos. Der lümmelte sich auf dem aufgezogenen Sofa, drückte hoch konzentriert, jedenfalls soweit sein gesundheitlicher Zustand eine Konzentration zuließ, die Knöpfe auf seinem Gamepad und stierte auf den Flachbildschirm. Seto ging weiter herein und sah auch auf den zweiten Blick nur Sethos. Doch außer ihm niemanden. Hatte er draußen jemanden übersehen? Aber er würde doch sonst wenigstens jemanden hören? Oder riechen? Wieso zum Teufel war denn keiner hier und passte auf ihn auf? Er war doch allein völlig aufgeschmissen und konnte sich nicht mal selbstständig aufsetzen. Was konnte so wichtig sein, ihn sich selbst zu überlassen? „Alle einkaufen“ erklärte Sethos, ohne seine Aufmerksamkeit vom Flachbildschirm abzuheben. „Und haben dich Pflegefall ganz allein gelassen?“ „Unfreiwillig.“ „Warum? Wenn du etwas sagst, bleibt doch immer jemand bei dir.“ „Du verstehst mich falsch. Ich meine, sie sind unfreiwillig alle gegangen.“ „Oh … dann wolltest du allein sein?“ fragte er lieber, bevor er neben ihm Platz nahm. „Eigentlich ja. Ständig in Gesellschaft zu sein, nervt auf Dauer.“ Und er konnte sich im Augenblick nicht selbst zurückziehen. Also mussten die anderen mal eine Stunde auf ihn verzichten und eben einkaufen fahren. Sethos brauchte ab und zu seine einsamen Momente. Auch auf die Gefahr hin, dass er seine Sitzposition nicht selbst wechseln konnte. „Setz dich, Eraseus. Du nervst nicht.“ „Danke.“ Er ließ sich neben ihm nieder und blickte zum Fernseher. „Du hast die Silver Wonder für dich entdeckt?“ „Hast du die erfunden?“ „Na ja, nicht allein. Also, die Idee an sich kam eigentlich von Joey, ich hab’s dann technisch entwickelt und die Verträge mit den Händlern gemacht. Ist die Anwendung denn okay? Ich meine, ist alles userfreundlich?“ „Ich mag’s.“ Und das war schon ein großes Kompliment. Sethos regte sich schnell auf, wenn irgendwas nicht funktionierte. Also mussten die Soft- und Hardware okay sein. Aber andererseits … Sethos spielte auch gern mit uralten, batterieschwachen Gameboys … was ihn als Testuser disqualifizierte. Perfekter wäre Mokuba als Tester, denn was der nicht kaputtkriegte, war marktreif. Er hatte schon viele von Setos Erfindungen getestet und war bestimmt ein sehr viel anspruchsvollerer Kunde als Sethos, der eine Vorliebe für Rentner-Technik besaß … „Was willst du denn von mir, Eraseus?“ Ups, nicht so laut denken, Seto. „Zuerst wollte ich mal sehen wie es dir geht.“ „Ich langweile mich nicht mehr.“ „Und körperlich?“ „Ich bin noch schwach und unselbstständig und das kotzt mich an. Aber mein Husten ist besser und meine Organe schmerzen weniger. Es geht bergab.“ „Du meinst bergauf.“ „Ich mag das Sprichwort nicht. Es ist unlogisch“ maulte er und lächelte sogar kurz als er ins nächste Level eintrat. „Bergab ist es leichter als bergauf. Und da ich das schwerste Stück hinter mir habe und es jetzt leichter geht, geht es folglich bergab mit mir. Man sagt ja auch: ‚Er ist über den Berg‘, womit es auch bergab geht. Ich bin nur logisch.“ Seto fiel auf wie gesprächig Sethos heute war. Vielleicht lag es wirklich daran, dass es ihm gesundheitlich besser ging. Vielleicht auch einfach daran, dass er jetzt wieder einen Tagesinhalt hatte, der nicht nur aus kuscheln und gefüttert werden bestand. Wer hätte gedacht, dass der uralte Sonnenpriester und mächtigster Drache ein verkappter Gamer war? „Ich habe gehört, was passiert ist.“ Sethos kam selbst aufs Thema, bevor Seto sich die Worte zurechtgelegt hatte, wie er erneut um Rat bitten musste. „Gehört von …?“ „Davon, dass Enaseus Aksel beschützen musste.“ „Aksel …?“ Da fiel es ihm ein. Das war der Name des Doktors. Und Sethos kannte alle Menschen, nannte sie dementsprechend vertraulich beim Vornamen. „So etwas darf nicht noch einmal geschehen, Eraseus“ scholt er ihn, während sein Turtle aufs Skateboard hüpfte. „Ich weiß … aber ich weiß nicht wie ich das vermeiden kann.“ Er schlug die Beine übereinander und stützte die Stirn in die Hände. „Das Ganze tut mir so leid. Und es macht mir Angst.“ „Angst musst du nicht haben. Aber Respekt. Es fehlt dir an Respekt.“ „Respekt vor Schwächeren?“ „Vor den Drachen in dir. Doch vielleicht ist es auch mein Fehler. Ich habe nicht bedacht, dass es so schnell geschehen kann. Ich dachte, du würdest dem Druck, den du dir gemacht hast, allein standhalten. Doch wie es scheint, warst du schwächer als ich gedacht habe.“ „Danke, das hilft mir sehr.“ „Ich sage nur, dass ich mich verschätzt habe. Ich lerne aus meinen Fehlern und das solltest du auch tun. Es ist gut zu sehen, dass du nun vielleicht bereit bist, darüber zu sprechen und es nicht weiter zu verdrängen.“ „Tato sagte, dass er das auch kenne. Dieses … ich weiß nicht … Verwandeln. Aber für ihn schien das so … normal. Er hat nicht mal besonders erschrocken reagiert.“ „Asato hat dir zehn Jahre und eine freie Kindheitsentfaltung voraus. Er erlebt seine Veränderungen anders und furchtloser als du. Hat er dich irgendetwas darüber gelehrt?“ „Ich wollte ihn fragen, aber er sagte, das habe Zeit und gestern ergab es sich nicht. Vielleicht brauchte ich auch einfach Zeit, um das distanziert zu betrachten. Vielleicht war ich auch einfach nicht bereit, mich damit auseinander zu setzen. Obwohl ich die ganze Zeit Angst habe, dass es wieder passiert … und heute … verzeih, hätte ich zu ihm anstatt zu dir gehen sollen?“ „Nein, ich denke, es ist besser, wenn ich dich lehre. Es wäre für euch beide merkwürdig, wenn der Sohn dem Vater etwas erklärt. Deshalb hat er sich dir vermutlich nicht aufgedrängt und du ihn nicht gesucht. Und ich will nicht, dass du dich unbehaglicher fühlst als ohnehin schon. Was ist das da immer?“ zeigte er auf den Bildschirm, wo ein Ladebalken und eine Auflistung von drei kleinen Bildern erschien. „Das ist die automatische Speicherung nach jedem Level“ erklärte Seto. „Du hast seit gestern drei Spiele gespielt. Zwei ganz durch und das hier ist dein drittes, richtig?“ „Dies ist das dritte. Ja.“ „Siehste. Und das sind deine Speicherstände. Wenn du da reinklickst, kannst du jedes Level ansteuern, welche du schon mal durchgespielt hast. Falls du mittendrin nochmals starten oder etwas nachholen willst.“ „Muss ich das?“ „Nein, musst du nicht. Aber könntest du.“ „Na gut.“ Daran hatte er kein Interesse. Er klickte die Speicherstände weg und spielte einfach das nächste Level weiter. Er spielte seine Spiele sowieso am liebsten im Stück durch. Und wenn das mal drei volle Tage dauerte, schlief er eben drei Tage nicht. Speichern war für Weicheier. „Hast du eigentlich heute Nacht geschlafen?“ „Musste ich. Amun-Re hat mich gezwungen.“ „Aha …“ Ja, das klang realistisch. „Also hast du keine These darüber, was vorgestern mit dir geschehen ist?“ fand er selbst auf das Thema zurück, weswegen Seto tatsächlich gekommen war. Der erwiderte nur leise und legte nervös die Hände ineinander. „Ich habe keine Ahnung. Ich war nervös und wäre am liebsten weggelaufen. Aber ich dachte, der Heiler wollte mir ja nur helfen und habe meine Angst unterdrückt. Aber dann hat er meine Hand berührt und irgendwie habe ich mich selbst dann von außen gesehen. Aus meinen Händen wuchsen diese Krallen und meine Haut wurde ganz weiß. Ich habe kaum etwas gespürt, ich habe mir selbst nur gelähmt zugesehen. Ich habe versucht, diesen Alten zu töten. Aber ich … eigentlich wollte ich das gar nicht, aber ich konnte nichts tun. Wäre Tato nicht gewesen … ich habe ihn ziemlich übel zugerichtet.“ „Sie haben keine Namen, oder?“ „Namen? Wer?“ „Deine Drachen“ antwortete er mit klarer, direkter Stimme. Sein Turtle fiel in einen Gulli und Sethos musste das Level neu starten, geistig schien er ganz und gar bei Seto zu sein. Erst als der nicht antwortete, sprach er weiter. „Du trägst vier Drachen in deiner Seele. Das weißt du.“ „Ähm … ja. Haben sie etwas damit zu tun?“ „Hast du wirklich geglaubt, sie seien einfach nur zum Spaß da? Was glaubst du, warum Vater uns diese vier gegeben hat?“ „Na ja … um unsere Seele zu beschützen. Oder nicht?“ „Richtige Antwort. Verstehst du auch den Sinn dahinter?“ Nein, den verstand Seto nicht. Immer sprachen sie davon, dass es Seelenwächter wären. Dass sie zum Schutz und zur Kräftigung dienten. Doch was genau sie eigentlich taten, wozu sie eigentlich wirklich da waren, das hatte er nie gefragt. Sie waren bei ihm und es war von Geburt an so natürlich. Niemand fragte, warum die Sonne jeden Tag aufging oder warum Wasser nass war. Es war einfach so seit Anbeginn. „Ich dachte … meine Flügel und … und diese Instinkte … die schärferen Sinne … ich … ich dachte, das wären sie. Also, ich meine … ich meine, dass sie mir diese Fähigkeiten geben.“ „Nein, das sind allein deine Fähigkeiten. Doch deine Drachen behüten dich. Sie beraten dich. Sie beeinflussen dich“ erklärte Sethos mit angenehm unpersönlicher Stimme. „Du bist derjenige, der über dein Leben bestimmt. Doch je stärker du wirst, desto stärker werden auch sie. Und Drachen sind nun mal keine süßen, kuscheligen Meerschweinchen. Wenn sie sehen, dass du schwächer wirst, stellen sie sich schützend vor dich. Nicht du hast Aksel angegriffen und nicht du hast Enaseus verletzt. Es waren deine Drachen, welche diese Entscheidung für dich trafen.“ „Dann … dann haben sie meinen Körper übernommen. Konnte ich mich deshalb von außen sehen?“ „Wahrscheinlich. Hast du dir jemals die Mühe gemacht und bist in dich gegangen. Hast mit ihnen gesprochen oder ihnen gedankt? Sie bestärkt oder belehrt?“ „Nein … ich … hätte ich das tun sollen?“ „Das weiß ich nicht. Ich kann dir nicht sagen, wie du fühlen und was du tun solltest. Doch du solltest dich zumindest damit befassen.“ Wieder fiel der Turtle in denselben Gulli und Sethos verengte seine Augen. Eigentlich konzentrierte er sich gern auf sein Spiel, doch sein Lehrling brauchte ihn auch. „Bei mir ist es anders. Ich besitze keinen weltlichen Körper. Nur während ich auf der Erde bin, unterwerfe ich mich den fleischlichen Gesetzen und trage meine Seelenwächter in mir. Im Reiche meines Sonnengottes, sind meine Drachen und ich getrennt. Ich sehe sie daher anders als du. Und ich kommuniziere anders mit ihnen als du. Du hast dich selbst niemals getrennt von ihnen betrachtet. Oder anders gesagt, sie niemals als eigenständige Wesen gesehen. Doch das sind sie. Und nicht nur dann, wenn du sie aus dir herausrufst. Sie leben in deiner Seelenwelt, ihr Lebensinhalt ist allein die Gemeinschaft mit dir. Doch um diese Symbiose zu beherrschen, musst du dich mit ihnen auseinandersetzen. Dir ihren Rat anhören. Ihre Sorgen. Ihre Bedürfnisse.“ „Du meinst, ich sollte in meinen Seelenraum gehen und mit ihnen sprechen?“ „Die Art und Weise sei dir überlassen. Ich kann dir nur ein Beispiel sein. Ich gab meinen Wächtern Namen.“ „Namen.“ Daran hatte Seto niemals gedacht. Er hatte seinen vier Drachen niemals solch eine Bedeutung zugemessen. Sie waren so natürlich geworden, so normal wie seine Hände oder seine Füße. Er hatte sich niemals gefragt, was sie waren. „Es ist nicht einfach, etwas differenziert zu betrachten, was ein Teil von einem selbst ist und dann doch wieder nicht. Mir war es einfach ein Bedürfnis, sie beim Namen nennen zu können. Vielleicht ist es bei mir auch anders. Ich bin zur Hälfte aus toten Drachen geformt und zur Hälfte aus dem Herzen eines Gottes. Du jedoch bist ein Mensch, dessen Seele aus dem geistigen Splitter eines Gottesherzens geschaffen und irdisch geboren wurde. Vater gab dir die Sinne und die Kräfte eines Drachens und doch bist du zum Menschsein geboren. Im Gegensatz zu mir. Deshalb habe ich vielleicht ein anderes Verhältnis zu meinen Drachen. Wie gesagt, ich kann dir nicht vorschreiben, was du fühlen solltest. Doch ich kann dir raten.“ „Dann rate mir“ bat er mit leiser Stimme. „Habe ich etwas falsch gemacht? Ich meine … ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, warum da … warum da Drachen … in mir sind. Ich habe mich davor gedrückt, wie ich mich vor so vielem drücke.“ „Kein Grund für ein schlechtes Gewissen. Ich habe meine Drachen auch erst nach langer Zeit wahrlich kennen gelernt. Dem letzten habe ich erst vor wenigen Jahrtausenden seinen Namen gegeben. Du solltest versuchen, deine Drachen beim Namen zu rufen. Du fühlst ihn in dir, wenn du einen Drachen kennst. Um ihnen mein Vertrauen zu zeigen, taufte ich sie auf den Namen, welchen sie mir nannten. Und ich nenne sie um ihnen zu zeigen, dass ich sie als eigenständiges Wesen und als einen Teil von mir selbst akzeptiere und schätze. So, das war jetzt mein letztes Leben.“ Er legte das Pad auf die Decke und rieb sich die Augen. Jetzt war er gulligameover. „Tut mir leid. Ich lenke dich ab.“ „Ich mag Donatello sowieso lieber als Raphael. Ich hätte nicht auf Balthasar hören sollen“ seufzte und strich sein Haar aus dem Gesicht. „Es gibt einen Drachen, welcher nach dir und über den anderen steht. Einen Drachen, welcher deine Seele in ihren Grundfesten mitgestaltet. Mein mächtigster und liebster Drache trägt den Namen Pangäa.“ „Pangäa“ wiederholte Seto respektvoll. Er musste daran denken, dass der Megakontinent aus der Urzeit Pangäa genannt wurde. Als die Landmassen auf der Erdkugel noch nicht getrennt waren, als alles eins war, da hieß das Land Pangäa. „Genau deshalb heißt sie auch so. Sie ist übrigens ein Weibchen“ lächelte Sethos ein helles, sanftes Lächeln. „Pangäa besitzt einen großen Gerechtigkeitssinn. Sie ermahnt mich immer wieder, die Dinge von allen Seiten zu betrachten, sie in einen Zusammenhang zu setzen, die Welt und das Leben, die Zeit und den Tod als ein großes Ganzes zu begreifen. Nichts soll wichtiger sein als etwas anderes. Auch wenn sich alles irgendwann trennt, so gab es doch eine Zeit als es eins war. Und das wird es irgendwann wieder sein. Das symbolisiert Pangäa für mich. Sie war die Erste, welche ihren Namen beschloss. Und bis heute ist sie meine wichtigste Ratgeberin.“ „Pangäa“ wiederholte Seto. Also ein Drachenweibchen, welches Sethos beeinflusste. Er ließ sich tatsächlich von ihr beeinflussen. Sogar ermahnen. „Nimm meine Hand“ bat er und streckte ihm die Handfläche entgegen. „Wir laden dich ein, wenn du es erlaubst.“ Seto wusste nicht, was das bedeuten sollte, doch auch er streckte seine Handfläche aus und berührte die von Sethos. Nur ein Zwinkern später fand er sich selbst in einer anderen Welt wieder. Es schien wie eine Welt aus vier Jahreszeiten und er stand an dem Punkt, an welchem sich alles traf. Rechts vor ihm war eine Wiese mit vergilbtem Gras, trockenen Büschen und in der Ferne von einem Berg eingerahmt. Darüber hellblauer Himmel und es wehte ein heißer Wind über seine Schulter. Rechts vor ihm ein Moor. Der weiche Untergrund war von Moosen bewachsen und es nieselte leicht. Der Himmel war grau verhangen und es zuckte ein lautloser Blitz herab. Am Horizont erahnte er Schatten, welche sich entfernten und doch stillzustehen schienen. Die Bäume trugen reife Früchte. Äpfel, Pflaumen und das Kornfeld am Rande des Moores ließ die schweren Ären vom Wind wiegen. Am Boden quakte eine warzige Kröte. Seto wand sich nach rechts und sah den Winter. Eine weite, weiße, perfekte Schneelandschaft. In der Mitte ein zugefrorener See, auf welchem sich die dunklen, wasserschweren Wolken spiegelten. Die kahlen Bäume waren von mehreren Zentimetern Weiß bedeckt und diese Landschaft strahlte so viel Kälte aus, dass es den heißen Sommerwind abschwächte. Der letzte Anblick war der Frühling. Diese Welt war durch und durch grün. Tausend Farben standen auf dem Boden, den Bäumen, erstreckten sich in die Ferne. Es war das Sommerfeld, bevor die Sonne es reifen ließ. Ein Meer rauschte in der Ferne und die Wolken waren weiß wie Wattebäusche. Eine merkwürdige Welt. „Ist das dein Seelenraum?“ fragte Seto mit offenem Mund. „Nein, ich habe keinen Seelenraum wie du.“ Sethos stand plötzlich neben ihm und doch erschreckte Seto sich nicht. Er blickte zu ihm und dann wieder in das fruchtreiche, nasse Moor. „Dies hier ist eine Welt, welche ich kreiert habe. Sieh es als eine Art der Hypnose an, in welcher ich mich dir zeige.“ „Ich fühle mich gar nicht hypnotisiert.“ „Das ist der Sinn.“ „Es ist unglaublich schön hier“ hauchte er und sah wieder herum auf die Frühlingslandschaft. Kaum zu glauben, dass Sethos sich das hier nur ausdachte. So viele kleine Details, auf welche er achtete und sie sehen ließ. Seine Macht war unermesslich, dass er so eine realistische und schöne Art der Hypnose sprechen konnte. „Hier sind deine vier.“ Sethos legte seinen Arm um Setos Taille und zeigte ihm die Winterlandschaft. Dort standen nun seine vier Drachen. Sie waren ganz typische Drachen wie er sie kannte. Ihre strahlend blauen Augen, ihre weiße Haut, ihre Pranken, ihre muskulösen Schwänze, ihre segelartigen Flügel. Einer der Drachen rieb sich an einem nahestehenden Baum und stieß den Schnee herunter. Ein anderer schnüffelte zu der Herbstwelt herüber und streckte seine neugierige Zunge nach der Kröte aus, welche mit einem Satz fortsprang und den Drachen erstaunt hinterhersehen ließ. Die anderen beiden Drachen standen eng zusammen. Einer hielt seinen Kopf gesenkt und ließ den anderen an seinem Nacken knabbern. Ihre Schwänze waren ineinander verschlungen und ihre Flügel hakten sich ebenfalls ein. Sie grummelten so leise, dass es nur wage wahrnehmbar wurde. „Ja, das sind meine“ bestätigte Seto und sah Sethos an. „Und deine? Sind sie auch hier?“ „Dort.“ Er wies zur Seite und Seto sah nun plötzlich einen Strand vor sich. Er sah noch immer die Herbst- und die Sommerwelt, doch davor, darin, irgendwie darübergelegt wie eine optische Täuschung einen Strand. Weißer Sand, fast selbst wie Schnee. Die Wellen rauschte ohne Ton ans Ufer. An ihrem Rande schlug ein Drache mit dem Schwanz die leckenden Wellen zu Schaum auf, öffnete sein scharfzahniges Maul und fing die Tropfen. Es war eine muskulöse Gestalt mit furchteinflößenden Krallen, einem Kamm aus Hornhaut an der hinteren Schwanzhälfte und seine Zähne schienen kleiner, dafür mehr. Eine wuchtige, kraftstrotzende Gestalt, der man lieber nicht in die Quere kommen wollte. Weiter hinter ihm erkannte Seto schemenhaft einen schwimmenden Drachen. Seine Flügel und sein langer Hals tauchten nur kurz auf, bevor er in dem aufgewühlten Wasser verschwand. Schlafend im Sand lag ein dritter Drache. Eine schöne, kurvige Gestalt, welche die Gliedmaßen an sich gezogen hatte und den Kopf ruhend zwischen die Flügel gesteckt. Mutete wie ein übergroßer Vogel an. Er wirkte so friedlich und beruhigend wie er da lag und wohlig schnaufte. Der vierte Drache war kleiner als die anderen. Sein Körper war lang gestreckt, sein Hals in einem Halbkreis zu Boden gelegt. Seine unschuldigen, meeresblauen Augen waren fromm und liebevoll auf Sethos gewandt. Fast schien er zu lächeln. Dieser Drache hatte eine anziehende Aura, welche Seto aufgrund seiner Nähe als einzige spürte. Auch ihn sah er an und sein Blick sprach: ‚Berühre mich‘. Ein wunderschönes, lockendes, reines Geschöpf ohne jeden Makel. Zu schön um real zu sein. „Deine sehen anders aus“ stellte Seto fest. Er warf einen Blick zurück in die Schneelandschaft und sah, dass all seine Drachen gleich aussahen. Wie ein Standardmuster. Nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu kräftig, nicht zu hässlich, nicht besonders. Nur ihr Verhalten war unterschiedlich und die Art wie sie zu Seto herübersahen. Doch ein Blick auf Sethos‘ Drachen zeigte, dass jeder der vier ein anderes Aussehen besaß. Da war der Kräftige, der die Wellen zerschlug. Der verborgene, welcher im Wasser kaum zu sehen war. Der schlafende, ruhige Drache mit den großen Flügeln und dem sanften Atem. Und der schöne Jungspund mit den unschuldigen Augen und der verlockenden Aura. „Das liegt daran, dass sie sich mit mir verändert haben“ erklärte Sethos und hielt Setos Hüfte in einem angenehm sicheren Griff. „Die Schlafende dort, das ist Pangäa. Mein nächststehender Drache.“ „Das ist Pangäa.“ Seto wusste, dass es dumm klang, wenn er ihren Namen immer wiederholte, doch täte er es nicht, würde er es nicht realisieren. Er wollte sie verstehen, sie ansehen und sie kennenlernen. Das große Drachenweibchen mit der ruhigen Art, welches Sethos nächstes Wesen war. Der Drache, welcher eine große Seele in ihren Grundfesten kannte und verstand. „Pangäa hat ein sanftes, ruhiges Wesen. Sie ist kaum von etwas aus der Ruhe zu bringen.“ „Genau wie du.“ „Ja, genau wie ich. Oder ich wie sie. Deshalb sind wir uns so nahe“ lächelte er und sah Seto liebevoll in die Augen. „Sie beeinflusst mein Wesen. Nicht weil sie es mutwillig tut, sondern weil ich sie akzeptiere und wünsche, dass sie mir beisteht und etwas von ihrer Ruhe und Umsicht auf mich überträgt. Doch auch die anderen drei sind mir in ihren Facetten ähnlich. Hier vorn der Kräftige, er heißt Warlord.“ „Ungewöhnlicher Name. Warlord“ wiederholte er respektvoll und gleichsam bewegt von der Kraft, welches dieses Wort verströmte als er es selbst aussprach. „Waren die Warlords nicht Kriegsherren?“ „Findest du?“ „Ja, es erinnert mich daran.“ „Erzähle mir, was dir bei dem Namen einfällt.“ „Warlords waren Eroberer und haben die Herrschaft über erkämpfte Gebiete oder ein Gebiet innerhalb eines Staates übernommen. Die Armee, sowie die Bevölkerung dort waren den Warlords mehr verpflichtet als dem eigentlichen Oberhaupt, dem König oder Kaiser beispielsweise.“ „Genau wie ich?“ Seto überlegte und konnte auch hier durchaus eine Verbindung zu Sethos finden. Auch er war eine Art Warlord. Die Engel unterstanden ihm allein und das noch eher als sie Amun-Re unterstanden. Auch herrschte Sethos auf eine gewisse Weise über die Welten. Er beeinflusste Götter und Menschen und war Schutzherr aller weltlichen Pharaonen. Viele hörten erst auf sein Wort, da die obersten Götter zu weit fort waren. Selbst die Götter des Seth ließen sich von ihm beeinflussen, wenn er es darauf anlegte. Zwar hielt er sich zurück, doch auch er war ein Kämpfer mit Autorität. Auch Sethos war ein Herrscher, eine Art Warlord. „Warlord symbolisiert meinen Herrschaftsanspruch und die Kraft, mit welcher ich ihn durchsetze. Du siehst wie kräftig und energiegeladen er ist.“ Er ließ Seto Zeit, um den wuchtigen, muskelbepackten Drachen mit dem ungewöhnlich verformten Schwanz zu betrachten. Der Drache spürte den Blick auf seinem Rücken, spreizte die muskulösen Schwingen, wandte den Kopf herum und sah ihm fest in die Augen. Seine Augen waren strahlend blau, jedoch herrisch und unbeugsam. Er warnte allein mit dem Blick, ihm nicht zu nahe zu kommen und ihn seine Sachen machen zu lassen. „Warlord ist der Kämpfer in mir. Ich verlasse mich auf ihn, wenn ich mich einem Konflikt oder meine eigene Stärke unter Beweis stellen muss.“ Aus dem Meer entstieg eine Fontäne, ein langer Hals reckte sich empor und fiel dann zur Seite und verschwand in den dunklen Fluten. Der Drache, den man nur erahnen konnte. Schwer zu sagen, ob er grimmig oder sanft war. Ob er kräftig oder klein war. Man sah ihn kaum und konnte nur überlegen wie er wohl aussehen mochte. „Utopia“ erklärte Sethos die vage Erscheinung. „Sie ist meist allein und lebt in ihrer eigenen Welt. Nur selten kommt sie zu mir, jedoch immer um mich zu trösten oder mir Mut zuzusprechen. Wenn ich mich schlecht fühle oder ziellos, dann ist sie bei mir. Sie legt sich schützend um mich und singt mir Lieder, erzählt mir Geschichten.“ „Sie erzählt dir Geschichten?“ Das war für Seto schwer vorstellbar. Ein Drache, der Lieder sang und Geschichten erzählte? „Ja, glaube es ruhig“ lächelte er geduldig. „Utopia verkörpert meine Wünsche und meine Überzeugungen. Sie unterliegt keinen Grenzen und verändert sich immer wieder. Mal ist sie fern und fremd wie jetzt. Doch mal ist sie nahe, so nahe dass ich sie berühren kann. Sie lässt mich meine Ziele nicht vergessen oder hilft mir, welche zu finden, wenn ich mich verloren fühle. Sie ist wie ein Ort, zu welchem ich mich flüchten kann, wenn mir alles zu viel wird. Und sie ist der Ort, auf den ich strebe, für welchen ich arbeiten muss.“ „Utopia, wie die perfekte Welt“ wiederholte Seto und sah nur einen ihrer Flügel aus den Wellen steigen und wieder abtauchen. Wenn Sethos also vor seinen Sorgen floh oder eine Entscheidung treffen musste, wenn er eine Richtung finden musste, so ließ er sich von ihr bestärken und herausfinden, was er erreichen wollte, wofür er kämpfte. Sie war seine Wünsche, seine perfekte Welt. „Und er?“ wies Seto auf den jungen Drachen mit der lockenden Aura. Sein Blick war unverändert freundlich auf die beiden gerichtet und sein Maul schimmerte wie ein Lächeln. Ein liebenswürdiges Wesen. „Ihn habe ich Ganymed getauft.“ „Ganymed? Wie der Jupitermond?“ „So wie der Jupitermond nach Ganymed benannt wurde. Ja.“ „Ganymed war ein Jüngling, welcher der Sage nach von Zeus auf den Olymp entführt wurde“ versuchte Seto den Namen dieses hübschen, jungen Burschen zu verstehen. „Er sollte dort die Götter mit Wein bedienen, manche sagen er soll auch ein Lustknabe gewesen sein. Weil Zeus ihn in den Geschichten liebte, war er in der religiösen Bedeutung die Rechtfertigung für Homosexualität. Oder zumindest für die Liebe von Männern zu Knaben.“ „Ja, sie haben ihm viel angedichtet“ seufzte Sethos mit liebevollen Augen, was die Augen des weißen Ganymed zum Leuchten brachte. „Es gab einst vor einigen Jahrtausenden einen jungen Priester im heutigen Griechenland. Alphios. Alphios war ein begabter Harfenspieler und als die Kunde von seinem Spiel eines Tages bis zu seinem Herrscher drang, sollte er ein Lied für ihn schreiben. Doch er fand trotz aller Musik nicht die richtigen Worte. Er klagte, ihm fehle die Inspiration. Meine Engel waren ratlos. Sie liebten ihn und sein Harfenspiel und wollten, dass er diese wichtige Aufgabe gut erfüllte. Also suchten sie meinen Rat. Alphios wusste, dass sein Herrscher eine Vorliebe für junge Männer hegte, doch er war sehr unsicher, ob er dies in seinem Lied erwähnen durfte, obwohl er etwas besingen wollte, was seinen Herrscher bewegte. Und so schickte ich ihm im Traum einen Blick von Ganymed. Es brauchte nur einen kurzen Moment und Alphios erwachte aus seinem Schlaf und dichtete die erste Ganymed-Sage. Der Ganymed seiner Geschichte war ein schöner Jüngling mit reinem Herzen. Er war als Küchenknecht im Hause eines Landsherrn angestellt, welcher im Alter einsam und gebrechlich geworden war. Zwischen den beiden entstand eine innige Freundschaft, welche fast ein wenig zu liebevoll besungen wurde. Der junge Ganymed lehrte sich selbst das Singen und Tanzen und so erfreute er nach einem harten Tag seinen Freund und Gönner mit seinen Künsten. Nach dessen Tode holte Zeus den nun traurigen und einsamen Ganymed zu sich und bat ihn, auch die Götter mit Tanz und Gesang zu erfreuen, doch das Herz des Jünglings sang und tanzte stets nur für seinen Herrn und so blieb er ihm treu, auch im Angesicht des Todes, auch im Angesicht eines Gottes.“ „Das war also die Originalfassung des Ganymed?“ „Ja, es war zärtliches Lied von väterlicher Liebe mit einem Hauch Sehnsucht nach dem Verbotenen und der Kunde von lebenslanger Treue. Trotz aller Anspielungen unschuldig. Leider ist das Original der Menschheit nicht erhalten geblieben, aber so wurde der Name meines Drachens ein Teil der griechischen Sagenwelt. Der Gestalt des Ganymed wurde angedichtet, er sei entführt worden, er sei ein Prinz gewesen oder gar Zeus in anderer Gestalt. Doch die ursprüngliche Geschichte ist, wie du siehst, eine andere.“ „Dann sehe ich quasi den Ursprung einer mythischen Sagengestalt vor mir“ lächelte Seto. Das hätte er sich nicht träumen lassen. Dass einer von Sethos‘ Drachen die griechischen Sagen mitgestaltet hatte. Dennoch fragte er sich: „Und was symbolisiert Ganymed für dich?“ „Die unbeugsame Treue und Liebe zu meinem Herrn“ antwortete mit gesenkter, gedankenverlorener Stimme und erwiderte den liebevollen Blick des Drachen. „Im Gegensatz zu Amun-Re bin ich jung und unerfahren. Meine Augen blicken anders auf ihn als auf die Menschen. Ich bin sein Knecht erfüllt von Verehrung und Dankbarkeit. Für ihn bin ich der Geliebte, der ihm gefallen will. Der Geliebte, welcher sich für ihn entschieden hat und ihm treu bleibt auch im Angesicht eines anderen. Und auch wenn man mir meinen Herrn nimmt, so werde ich niemals für einen anderen tanzen. Von daher hat Alphios das Symbol Ganymed treffend besungen.“ „Ganymed“ wiederholte Seto und spürte in sich eine große Verehrung für diese vier Wesen. Sie waren Symbole dessen, was Sethos ausmachte. Vielleicht waren sie es auch, welche sein Wesen ein großes Stück mitbestimmten. Weil er sie ließ. Und weil sie ihn ließen. „Meine dagegen“ seufzte er und sah sich nach ihnen um. „Ich liebe sie und sie sind mir wichtig. Doch gegen deine wirken sie blass.“ „Nein, nicht blass. Nur namenlos“ erwiderte Sethos und streichelte Setos Hüfte mit seinen sanften Händen. „Meine Drachen waren einst ähnlich wie deine. Jung, unberührt, unerfahren. Pangäa fand ihren Namen als ich noch im Reich meines Vaters lebte. Durch den Wunsch, auch andere Welten als die seine zu sehen. Den Wunsch, mehr zu lernen und mir ein größeres Bild von allem zu machen. Utopia formte ihren Namen als Vater mich verstieß. Ich war ratlos und zutiefst betrübt. Heimatlos. Doch sie sprach mir Mut zu und Hoffnung. Sie erzählte von einer Welt, in welcher ich sowohl mit Amun-Re als auch meinem Vater vereint sein würde, wenn ich nur daran glaube. Sie erzählt mir diese Geschichte noch heute.“ Er ließ einen Moment Pause als der besagte Drache aus dem Wasser schaute. Selbst auf diese Entfernung hin waren ihre ovalen Augen leuchtend und tief. Sie stieß einen nebligen Atem aus ihren Nüstern und verschwand wieder in den aufgewühlten Fluten. „Ganymed fand ich danach. Auch er half mir, meine Trauer zu besiegen und bestärkte meinen Wunsch, mich Amun-Re anzuvertrauen, bei ihm meine Obhut zu suchen und mich zu seinem Gefallen zu wandeln. Wann immer ich mich leer und verloren fühle, treibt er mich zu meinem Gott hin. Er treibt mich dazu, rastlos zu sein, ihm gefallen zu wollen. Er erweckt mein Bedürfnis danach, von ihm geliebt zu werden und er berät mich wie ich meinen Gott dazu bewegen kann, mich zu lieben. Warlord ist mein jüngster Drache.“ „Das hätte ich nicht gedacht.“ Seto sah diese Wuchtbrumme von Drachen an und konnte sich kaum vorstellen, dass der Größte und Kräftigste unter ihnen auch der Jüngste sein sollte. „Warlord tat sich hervor kurz vor einem Kampf vor 5000 Jahren.“ „Vor … war das nicht die Zeit als …?“ „Als Atemu sich opferte. Ja“ sprach er leise. „Dieser Kampf war mir sehr wichtig, weil er Amun-Re wichtig war. Mein Sonnengott befahl mich, die Tore der Schattenwelt zu öffnen und die toten Seelen der Verdammten herausströmen zu lassen. Und er befahl mir, sie alle nach Ägypten zu seinem Sohn zu treiben.“ „Warum hätte er das tun sollen? Er wusste doch, dass Yami … ich weiß nicht …“ „Er rang lang mit sich um diese Entscheidung. Doch mein Vater war so entschlossen, den ersten goldenen Pharao zu töten, dass Amun-Re eingreifen musste, bevor Vater es tat. Die dunklen Götter wiegelten die Schatten auf, stachelten sie an und weckten den Blutdurst in ihnen. Die Schatten wurden immer mehr, immer stärker, immer mordlustiger. Sie hätten sich über die ganze Erde ausgebreitet, die Energien gefressen, zerstört oder blockiert. Dies hätte unweigerlich den Tod des jungen Pharaos bedeutet und nach ihm den aller folgenden Pharaonen und nach ihnen die Menschheit. Doch Amun-Re sprach seinem Sohn zu, bestärkte ihn darin, um seine Welt zu kämpfen, denn dies war seine Bestimmung, seine Aufgabe. Und Atemu war erfolgreich. Doch es war an mir, die Schatten zu befreien, bevor sie von einem anderen befreit wurden. Ich musste meine Engel anführen und die Schatten treiben, wie eine Herde wilder Raubtiere. Mein Erfolgsdruck war sehr hoch, ich zweifelte ob ich diese wichtige Aufgabe erfüllen könne, ohne den Sohn meines Gottes zu schädigen. Die Engel brauchten meine klaren Befehle, denn ein Fehler von mir hätte Atemu töten können. Und als ich da so stand, vor der Schattenwelt mit einer Armee Engel hinter mir, da brüllte Warlord zum Kampf. Ich schloss alle Bedenken fort und ließ mich von seinem Kampfeswillen, seiner Selbstsicherheit und seiner Stärke anleiten. Er ist der Kämpfer in mir, der Herrscher, der Unbeugsame. Du siehst, auch meine Drachen brauchten viel Zeit, um sich mit mir zu entwickeln. Du, Eraseus Seto, bist noch sehr jung.“ Er drehte sie beide von den Drachen fort und hin zu der unberührten Schneelandschaft, in welche Setos Drachen ihre Spuren traten. „Trotz deiner Jugend, besitzt du bereits große Macht und große Verantwortung. Als der Heiler dich berühren wollte und du dich gegen dein innerstes Bedürfnis gestellt hast, als du verwirrt warst und dich nicht selbst hast retten können, da haben deine Drachen den Kampf für dich übernommen. Sie drängten dich zurück, um dich zu schützen. Um dich zu verteidigen. Vor ein paar Jahren hätten sie dies noch nicht gekonnt, doch du bist stärker geworden und so auch sie. Und deine Schwäche bedeutet nicht auch ihre Schwäche. Für sie war Aksel in diesem Moment etwas, was du als Bedrohung empfunden hast und dem du dich dennoch ausliefern wolltest. Nach all den Verwirrungen der letzten Zeit, haben deine Drachen eingegriffen. Nicht weil sie böse sind, sondern nur um dich zu schützen. Denn du bist einer von ihnen, du bist ihr Herr und sie würden für dich in den Tod gehen.“ „Aber sie … sie haben mich nicht gefragt.“ „Weil du sie nicht hören wolltest oder konntest. Und hier nun mein Rat für dich.“ Er ließ Seto los, trat einen Schritt zurück und blickte belehrend, richtete seine erfahrenen, ozeanweiten Augen nur auf ihn. „Suche ihre Nähe und lerne sie kennen. Spüre, was sie dir bedeuten und lass ihre Bedeutung zu. Wenn du einen von ihnen anerkennst, wirst du auch seinen Namen wissen. Du wirst ihn spüren, tief in dir. Der Name wird für dich eine Bedeutung haben und euch auf ewig verbinden. Doch hetze dich nicht. Lasse dich auf ihre Stimmen und Persönlichkeiten ein und lausche, was sie dir zu sagen haben. So werden sie dich verändern und du wirst sie verändern. Wenn du keine Angst vor ihnen spürst und sie tief in deinem Innern als einen selbstständigen Teil von dir annimmst, so wirst du ihre Namen wissen. Und bis dahin, lass dich einfach auf sie ein und sieh, was sie dir zu geben haben. Sie werden Symbole, Säulen deiner selbst sein. Und sie werden dich niemals wieder gegen deinen Willen übermannen, wenn du ihr Bedürfnis, dich zu schützen, anerkennst.“ „Und … ich erkenne ihren Namen. Einfach so?“ „Ja, einfach so“ antwortete er mit einem beruhigenden Blick. „Wahrscheinlich wird auch dein nächster Drache zuerst einen Namen formen. Der welcher dir am ähnlichsten ist oder der, welcher dich am meisten beeinflusst. So denke ich.“ Seto blickte die vier an, doch er konnte noch keinem von ihnen ansehen, wer der höchste war. Wer von ihnen war der, welcher ihm am nächsten stand? Und wie sollte er ihn erkennen. Sethos besaß zwei Männchen und zwei Weibchen. Seto kannte ja nicht einmal das Geschlecht seiner Drachen, geschweige denn ihre Persönlichkeiten. Er wusste gar nichts über sie. Und doch blickten sie mit so viel Liebe und Geduld auf ihn, dass es ihm ein schlechtes Gewissen machte. Doch etwas fiel ihm auf. „Sethos, ich habe deine Drachen schon einmal gesehen.“ Und das eigentlich nicht erst ein Mal. Schon mehrmals. „Und sie sahen immer wie meine aus.“ „Nein, ich habe sie so aussehen lassen“ erwiderte er ernst. „Warum? Sie sind doch nicht hässlich. Warum willst du ihr wahres Aussehen verbergen?“ „Weil ich mich verberge.“ Er verschränkte die Arme und blickte mit seinen ruhigen Augen auf Setos weiße Wächter. „Du offenbarst dein wahres Inneres, all dein Fühlen und deine Fehler auch nicht jedem sofort. Und so ist es mit meinen Drachen. Ich habe dir heute viel über mich und meine Gefühle offenbart. Deshalb habe ich sie dir heute so gezeigt wie ich sie sehe. Falls du sie wiedersehen solltest und jemand anderes außer dir anwesend ist, werde ich sie erneut alle gleich erscheinen lassen. Und dies rate ich auch dir.“ Er blickte ihn ernst an, das war ihm nun wirklich wichtig. „Sieh dir gut an, wem du dich offenbarst, mein Bruder. Wer deine Drachen sieht, der sieht was dich umtreibt und was dir etwas bedeutet. Je mehr du dich offenbarst, desto angreifbarer wirst du. Bedenke dies und halte deine Seelenwächter wie einen Schatz. Heilig und geheimnisvoll.“ „Du meinst … ich soll sie lieber niemandem zeigen?“ „Nein, das meine ich nicht. Genauso wie du deine zersplitterte Seele nicht jedem offenbarst, so solltest du auch deine Drachen nicht jedem offenbaren. Ich will dir keine Angst machen und dir auch nichts verbieten. Ich möchte dich nur zur Vorsicht ermahnen. Mehr nicht.“ „Eine Frage habe ich noch.“ Er schlang die Arme um seinen Bauch. Irgendwie fühlte er sich kleiner und schwächer als jemals zuvor. Im Gegensatz zu Sethos war er so ahnungslos und ignorant. Und je länger er ihm lauschte, desto klarer wurde ihm, dass er niemals das Format erreichen würde, welches direkt neben ihm stand. Egal wie sehr er auch arbeitete, er würde niemals Sethos‘ Kraft und Weisheit erlangen. Es war eine Ehre, von ihm lernen zu dürfen. Und doch: „Warum erzählst du mir das alles?“ Er sah zaghaft zu ihm und versuchte nicht vorwurfsvoll zu klingen. „Ich dachte, du willst dich nicht in das Leben der Menschen einmischen. Und nun lehrst du mich so viel. Warum tust du das?“ Sethos ließ sich einen Augenblick Zeit mit seiner Antwort. Für einige Sekunden sah er ihm nur ins Gesicht und die Welten um sie herum stand still. Erst dann bewegte er sich zu einer Antwort. „Es gäbe viele Gründe, die du mir glauben würdest. Weil ich dich liebe. Weil ich mich um dich sorge. Weil ich mich um die Menschen sorge. Weil ich dich stark machen will. Aber das alles wäre nur halb wahr.“ „Und … was wäre ganz wahr?“ „Die Wahrheit ist, dass ich die Antwort nicht kenne.“ „Dann … dann weißt du nicht, warum du mir das alles erzählst?“ „Ja, so wird es wohl sein.“ Sethos lächelte. Als wäre es das normalste der Welt, dass er keine Antwort hatte. Dass er etwas grundlos tat. Doch es war alles andere als das. Es war untypisch, dass er etwas tat, ohne zu wissen, weshalb oder wofür. „Ich fühle es einfach. Tief in mir. Ich fühle, dass ich dich lehren soll. Es gibt keinen weiteren Grund außer diesen. Ich fühle einfach, dass ich es tun sollte.“ „Seit wann tust du etwas, wenn du nicht weißt warum? Das passt nicht zu dir.“ „Ich tue viel grundloses Zeug“ antwortete er mit viel Ernst in der Stimme. „Du kennst mich noch nicht lang und ich vermeide es, dass andere mich zu gut kennen. Ich will nicht durchschaubar sein und ich bin ein Meister der Täuschung geworden. Wenn du Amun-Re nach mir fragst, wird er dir eine ganz andere Person schildern als die, welche du zu kennen glaubst. Ich bin nicht perfekt und auch nicht allwissend. Ich bin schwach, habe Angst und vergieße Tränen. Und oft fühle ich mich ratlos und ich begehe viele Fehler. Nur weil du mir leichte Fragen stellst, bedeutet dies nicht, dass ich alles weiß. Auch ich unterliege meinen Zwängen, meinen Bedürfnissen und meinen Ängsten. Auch wenn ich kein Mensch bin und vielleicht niemals einer sein werde, habe ich doch Gefühle und Wünsche wie du. Und deshalb will ich ehrlich zu dir sein.“ „Warst du denn vorher nicht ehrlich zu mir?“ „Ehrlich schon. Jedoch nicht offen. Seit du gestorben bist und deine Seele an meiner Seite stand, seitdem habe ich mich dir mit jedem Tage näher gefühlt. Näher als ich mich jemals jemand anderem gefühlt habe. Als du starbst, streckte deine Seele nach mir die Hände aus und ließ sich vertrauensvoll mitnehmen. Und als du wiedergeboren wurdest, verließt du mich ohne Furcht vor meinem Groll. Ich frage mich, ob es für mich jemanden gäbe, dem ich mich in meiner Hilflosigkeit anvertrauen würde. Ich kam dazu, durch dich über mich selbst nachzudenken. Ich frage mich, weshalb du mir dein Vertrauen schenkst, ohne einen Grund dafür zu haben.“ „Tue ich das?“ Darüber hatte Seto selbst niemals nachgedacht. Seit er Sethos das erste Mal traf, hatte er niemals darüber nachgedacht, ob von ihm eine Gefahr ausging oder es einen Grund gäbe, ihm zu misstrauen. Er sah ihn und wusste, dass sie miteinander verbunden waren. Doch es war anders als bei Seth. An Seth musste er sich gewöhnen und Vertrauen lernen. Bei Sethos war es … wie die Liebe zu einem einem großen Bruder. Geprägt von Verehrung, Respekt und einer unerklärlichen Anziehung. Sethos hatte sich immer seine Geheimnisse vorbehalten, doch er hatte niemals den Gedanken aufkommen lassen, dass er hinterhältig wäre. Eben weil er so distanziert war, bot er keinen Anlass zum Misstrauen. „Du hast Recht, ich habe dir von Anfang an vertraut. Und ich weiß nicht mal weshalb.“ „Und genau deshalb weiß ich nicht, weshalb ich dich aus eigenem Antrieb Dinge lehren will. Ich fühle einfach, dass ich es tun sollte. Ich kann nicht sagen, ob es richtig oder falsch ist, ob es dir nutzt oder schadet. Ich fühle einfach, dass ich dir vertrauen sollte.“ Er wurde etwas rot auf den Wangen und senkte den Blick. Als wäre er beschämt oder gerührt. Eine Emotion, die man selten sah. „Verzeih, ich bringe dich mit meiner Offenheit wahrscheinlich in Verlegenheit.“ „Nein. Ich finde es schön, dass mir vertraust. Ich werde mein Bestes geben, um dich nicht zu enttäuschen und viel von dir zu lernen. Und mich deinem Vertrauen würdig zu erweisen.“ „Das erleichtert mich zu hören.“ Er verschränkte die Arme und hielt seinen glänzenden Blick gesenkt. „Doch lass uns bitte nicht vergessen, wie unser Stand zueinander ist. Ich bin nicht dein Yami und ich bin kein Mensch. Es wird immer eine Distanz zwischen uns geben und ich kann dir niemals jemanden ersetzen. Und ebenso will ich in dir niemanden sehen, den ich als Ersatz für irgendetwas einfüge, was mir vermeintlich fehlt.“ „Das musst du gar nicht. Vielleicht lernst du etwas, was ich auch erst lernen musste.“ „Lernen? Und was?“ Er sah ihn verwundert an, doch das Rot auf seinen Wangen blieb. „Du lernst wie es ist, eine Familie zu haben. Du warst doch fast immer allein. Erst bei deinem Vater, dann bei Amun-Re. Doch seit für dich kurzer Zeit gibt es Seth und mich. Und auch Tato und Sari und auch Sethan. Wir sind deine Geschwister. Auch wenn wir verschieden sind, haben wir doch alle denselben Ursprung. Und du bist einer von uns. Auch wenn du kein Mensch bist, gehörst du zu uns. Ich kann erst mal nur für mich sprechen, aber ich gehöre auch gern zu dir. Es ist schwer, sich das einzugestehen, aber jeder Mensch braucht eine Familie. Auch du.“ „Jedoch scheinst du zu vergessen, dass ich kein Mensch bin.“ „Aber du fühlst wie einer. Und würdest du geboren werden, wärest du ein Mensch.“ „Ich weiß nicht, ob die Erklärung so simpel ist. Und wenn ich eines von Amun-Re gelernt habe, dann ist es, dass nicht jedes Gefühl einer Erklärung bedarf. Manchmal ist allein die Existenz Erklärung genug. Doch um auf deine Frage zurückzukommen: Ich habe keine Erklärung, weshalb ich mich dir nahe fühle und dich lehren will. Allein diese Tatsache ist die Erklärung. Etwas anderes kann ich dir als Antwort nicht anbieten.“ „Das reicht mir.“ Er sah ihm in seine unendlich tiefen, mystischen Augen und senkte dann respektvoll das Haupt. „Ich danke dir, Sethos. Für all deine Hilfe.“ „Schon gut. Lass uns jetzt nicht mehr davon sprechen und allmählich zurückkehren. Es ist nicht gut, sich zu lang in Geisterwelten zurückzuziehen.“ „In Ordnung.“ Er wollte Sethos noch einmal ansehen, doch da verschwamm bereits sein Blick. Alles um ihn herum begann zu wabern und zu verzerren, doch noch bevor ihm schwindeln konnte, sah er bereits wieder die festen und bekannten Dinge um sich herum. Der weite Raum mit den provisorischen Möbeln, das riesige Wasserbecken hinten und vor ihm Sethos. Nun konnte er sich auch Sethos‘ rote Wangen und seinen merkwürdigen Blick erklären. Die drei anderen waren von ihrem Einkaufstrip zurück und Amun-Re freute sich besonders, dass er wieder zurück war. Noch während die beiden Drachen in eine andere Welt geflohen waren, hatte er sich hinter seinen Priester gesetzt und sich liebend an seinen Rücken gekuschelt. Und hierbei auch die Arme um seinen Brustkorb geschlungen, was in Sethos ein gewisses Wohlbehagen auslöste - auch unfreiwillig. Dieser glasige, warme, beschämte Blick galt nicht Seto. Er war nur eine Reaktion. Zumindest eine etwas unfreiwillige Reaktion, denn als der Gott seine Hand von Setos löste, blickte er mit leichtem Grimm nach hinten und schnaufte laut. „Ah, ihr seid zurück!“ Amum-Re rutschte mit seinem Kopf über Sethos‘ Schulter und lächelte auch Seto zu. „Wo ward ihr?“ „Das geht dich nichts an“ grummelte Sethos zurück. „Du sollst nicht einfach an mir rumgrapschen, mein Gott.“ „Hier hängt aber kein Verbotsschild.“ „Besonders nicht, wenn ich in Trance bin.“ „Dann soll ich mich etwa das nächste Mal an Eraseus kuscheln?“ „Könntet ihr mich da bitte raus halten?“ bat der leise. Er wollte nun wirklich nicht zum Puffer zwischen den beiden Großen werden. „Siehst du? Jetzt machst du meinem Bruder auch noch Angst, mein Gott.“ „Du tust ja geradezu so als wäre es eine Strafe, mit mir zu schmusen.“ Er kuschelte sich nur noch dichter an ihn und zog auch seine Umarmung fester. Nun war Sethos‘ Gesicht wie die Erdbeeren, welche Sethan in den kleinen Kühlschrank räumte. „Es tut mir leid, Darling. Aber es war mir so ein tiefes, inneres Bedürfnis, dich zu umarmen. Doch wenn dich meine Berührung stört, so musst du mich deutlicher abweisen. Auch wenn es mir dann das Herz bricht und mich in unendliche Dunkelheit und Verzweiflung verdammen wird.“ „Jetzt lass die Mitleidsnummer.“ Dennoch hatte Amum-Re gewonnen. Sethos lehnte sich zurück, drehte etwas umständlich weil schwach seinen kranken Körper herum, legte seinen Kopf an Amun-Res Brust und ließ sich das Haar zurückstreichen. „Und sage nicht, ich solle dich abweisen. Das gehört sich nicht.“ „Sei nicht so streng mit mir, mein Priester. Ich bin doch nur verliebt.“ „Nett zu erfahren. Und in wen?“ „Das verrate ich dir nicht. Das musst du schon erraten.“ „Hm. Wie sieht es mit einem Hinweis aus?“ „Einen Hinweis willst du also. So so. Dann kombiniere folgendes …“ Seto sah ein, dass er hier jetzt erst mal störte. Solang Amun-Re an seinen Lippen hing, war eh jeder andere Nebensache. Und er wusste jetzt auch, dass Sethos‘ äußerliche Härte sehr täuschte. Er war besonders vor seinem geliebten Gott verletzlich und unsicher. Dennoch konnte Seto nicht verleugnen, dass er in ihm einen großen Bruder gefunden hatte, den er sehr bewunderte. Eben genau weil er ihm anvertraut hatte, dass auch er Schwächen besaß. Chapter 50 Joey wusste, dass das hier keine gute Idee war. Denn es war schrecklich, nervtötend, ermüdend, gruselig und mit einem Wort stinklangweilig. Ja, ihm war klar, dass solche Termine wichtig waren, aber draußen schien so wunderbar die Sonne, Narla hatte sich eine so sexy Hotpants gekauft und er saß hier drinnen, in einem viel zu kalt klimatisierten Raum und starrte auf die weiße Wand, an welche ein paar bunte Bilder von Diagrammen, Statistiken und Marktstudien durchgeklickt wurden, welche nicht im Ansatz mit Narlas prallem Po konkurrieren konnten. Wenn nicht bald etwas interessanteres geschah, würde er noch anfangen, die Blubberbläschen der Cola in seinem Glas zu zählen. Pling! Da schnippte Seto sein Glas und ließ ein paar von den Bläschen nach oben zischen. Der hatte den Gedanken also gehört und mahnte ihn -noch freundlich- zur Aufmerksamkeit. Für ihn war dieses Meeting bestimmt interessanter als Narla in sexy Hosen. Auf der Fensterseite des Raumes saßen Noah an der Stirnseite, neben ihm Seto und neben dem Joey. In der Tischmitte standen kühle Getränke und ein paar Kekse. Ja wohl, die Kekse standen da mal -in der Vergangenheitsform- bevor Seto sie alle aufgegessen hatte und nur einen Teller voller Krümel zurückließ. Auf der Türseite des Raumes saßen fünf mehr oder weniger interessante Personen. Noah gegenüber an der Tischseite saß der Feind - Maximilion Pegasus. Mit seinem ewigen Lächeln und dem falschen Sinsang trieb er Seto zu gern auf die Palme. Ein bisschen eifersüchtig war Joey ja schon, dass es da noch jemanden gab, der den Drachen ärgerte ohne danach mit dessen Rechtsanwalt Bekanntschaft zu machen. Daneben eine kleine, zierliche Frau mit rotgefärbtem Haar, welches so gekringelt waren wie Schweinelöckchen. Sie war Setos Gegenpart und zuständig für die Finanzen der Industrial Illusions, Janette Hombertom. Joey fand den Namen Hombertom am Anfang ziemlich lustig, aber er wurde langweiliger je öfter er ihn hörte. Ihm selbst gegenüber saß sein eigener Gegenpart für Marketing. Ein Mann, der wenig älter war als Joey und der ebenso blondes Haar hatte. Doch da hörten die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Während Joey sich zu Tode langweilte, erzählte der andere mit seinem streng gebundenen Zopf, dem überteuerten Armani-Anzug (oder Lagerfeld oder Cavalli oder Dolce oder sonstwem wofür Joey sich nicht interessierte) und dem Grübchenkinn etwas über Verbraucherumfragen in Europa und brach es nun auf Regionen auf, Nord, Mitte, Ost und Süd und zeigte dazu bunte Schaubildchen per Beamer an der Leinwand. Joey dachte lieber an den knackigen Popo seiner Freundin und an Colablubberbläschen als an Mr. Diego ‚Ich bin so’n toller Juppie‘ Shawns. Der hatte bestimmt nicht so eine sexy Freundin - wer sich so sehr für Verbraucherumfragen erwärmen konnte, der hatte garantiert kein endgeiles Schulmädchen zuhause. Im besten Falle war er schwul, denn dieser Anzug war eindeutig eine Spur zu herausgeputzt. Und der vierte Typ daneben war auch nicht wirklich interessant. Ein untersetzter Herr mit wuscheligem, schwarzen Haar, das wie ein Kranz um seinen sonst kahlen Kopf wuchs. Leichte Bartstoppeln in seinem Gesicht und erstaunlich hellblaue Augen, fast weiß. Um seinen Hals eine klobige Halskette, an den Fingern fette Ringe und die riesige Rolex versteckte er auch nicht. Er erinnerte auch mit seiner Stimme etwas an den Paten Teil 1 und Joey überlegte, ob seine dunklen Haare gefärbt waren oder nicht. Wenn ja, dann hatte er sich auch die Augenbrauen gefärbt. Wenn nicht, hatte er noch erstaunlich viele Pigmente auf Vorrat für sein Alter. Joshua McGanner, zuständig für Konzernstrategie. Was verstand Joey schon von Strategie? Er dachte sich lieber Werbesprüche aus - damit kam man weiter als mit trockener Strategie … auch wenn sein Drache das wohl anders sah. Pegasus wollte seinen ärgsten Konkurrenten, den Männern der Kaiba Corporation, sein neues Leitungsteam vorstellen. Joey hätte auch eine Videokonferenz oder eine Pressemitteilung gereicht, aber selbst Noah fand es wichtig, dass man ‚sich mal persönlich traf‘. Super. Neben dem Paten Teil 1 saß eine Frau, die in jüngeren Jahren bestimmt Schönheitskönigin gewesen war. Sie hatte volles, graues Haar und wunderschöne, rote Lippen. Ihre Augen wirkten gütig und warmherzig. Und dafür, dass sie mit ihrer Haarfarbe und den Augenfältchen schon zum älteren Semester gehörte, fand Joey sie erstaunlich attraktiv. Er hatte noch nie eine ältere Frau attraktiv gefunden, aber die hier hatte eine heiße Figur. Stramme Oberweite, einen kurzen Rock und ein hammermäßiges Fahrgestell. Heiße Braut, aber leider bereits verjährt. Shannon Tramps, zuständig für Forschung und Entwicklung. Die einzige, bei welcher Joey sich ein normales Gespräch zutrauen würde. Die sah irgendwie aus als hätte sie einen guten Humor. Joey fiel gerade auf, dass Pegasus für Setos Job zwei Leute brauchte. Zwei Damen, um genau zu sein. Eine für Finanzen und eine für Entwicklungen. Das machte Seto bei der KC beides alleine. Dass es jedoch beides Frauen waren, hatte er sicher nicht so ausgesucht, um Seto zu ärgern. Dafür nahm Pegasus ihn als Konkurrenten viel zu ernst. Viel eher zeigte es, wie ernst er ihn nahm, dass er mit gleich zweien gegen ihn ‚antrat‘. Ein bisschen schien das alles hier wie moderne Kriegsführung. Auf den ersten Blick war die Atmosphäre ganz entspannt. Pegasus und Seto warfen sich ab und zu mal einige kleinere Zurechtweisungen an den Kopf, aber sonst beschränkten sie sich aufs Wesentliche. Es wurde in einem freundlichen Ton miteinander gesprochen, jeder durfte ausreden und es wurde viel ‚Bitte‘ und ‚Danke‘ gesagt. Auf den zweiten Blick machten sich die KC und die II seit Jahren gegenseitig Marktanteile abspenstig und trauten einander nicht über den Tellerrand. Die KC führte auf dem asiatischen Markt, dafür war die II in den USA und Kanada führend. Um Europa zankten sie sich seit Jahren. Besonders seit Seto damals nach Paris ausgewandert war, kämpfte Pegasus umso erbitterter um den alten Kontinent. Joey fühlte sich wie in einer Zwischenwelt, in der jede Bewegung eine sehr merkwürdige Auswirkung hatte. Deshalb hielt er sich zurück und ließ Seto und Noah die Arbeit machen. Die wussten besser, wie man mit so etwas umging. Joey machte lieber Werbung, dichtete Werbesprüche und suchte nach interessanten Anregungen und dem, was die Kunden kaufen wollten. Um die Konkurrenz, um Finanzen, um Personalführung und um Zukunftsstrategien kümmerten sich die kühleren Köpfe. Er würde Setos und Noahs Job auch gar nicht machen wollen. Besonders nicht, wenn man sich mit Pegasus herumplagen musste. Der war lästig wie ein Mückenstich … wobei Pegasus ne ziemlich fette Mücke war. Eher so etwas wie ein Malaria-Moskito. Da ging das Licht de Beamers aus und Joey erwachte aus seinen Malaria-Gedanken. War der Vortrag endlich beendet? „Wir müssen das erst besprechen“ beschloss Noah nach der langweiligen Präsentation. „Was meint ihr?“ „Deine Kooperationsideen finde ich ausbaufähig“ sprach Seto zu Pegasus. Und Joey ärgerte sich nun doch ein bisschen, dass er nicht aufgepasst hatte, worum es ging. „Das hört sich ja sehr bedeckt an“ antwortete der mit einem leicht beleidigten Gesicht. „Haben dir meine Vorschläge etwa nicht gefallen, mein Süßer?“ „Lass den Ton, Max“ wies er ums wiederholte Mal zurecht. Doch Seto ließ sich nicht allzu lang vom Geschäftlichen ablenken. „Du hast da einige Sachen angesprochen, die wir selbst schon angedacht haben. Jedoch haben wir bisher nichts konkretisiert. Zum Großteil deshalb, weil uns deine Strategie zu mystisch war.“ „Mystisch. Du benutzt immer so poetische Worte, du Romantiker.“ „Max, lass das jetzt.“ „Vor allem fehlte mir eines bei Ihren Vorschlägen, Mr. Shawns“ fiel Noah mit ein. Der gab auch nichts auf diese kindischen Hakeleien. „Sie haben in keinster Hinsicht die Gesetzeslage der örtlichen Kartellbehörden berücksichtigt. Ihnen müsste klar sein, dass sobald wir Marktabsprachen treffen, dies einen Wettbewerbsnachteil für andere Mitbewerber darstellt. Sie werden verstehen, dass wir sämtliche Überlegungen ausschließlich auf legalen Grundlagen führen wollen.“ „Natürlich. Nichts anderes wollen wir auch“ antwortete der Juppie und richtete seine knallrote Krawatte. „Jedoch wären mehr konkretere Ideen und weniger Kritik auch von Ihrer Seite hilfreich.“ „Wir lassen uns von Ihnen nicht in die Ecke drängen, Mr. Shawns“ sagte Seto in einem leicht verärgerten Ton. „Sie sind hergekommen, um sich uns vorzustellen und nicht um uns halbherzige Kooperationen aus dem Kreuz zu leiern.“ „Ich bin der Meinung, dass meine Vorschläge in unser beide Interesse liegen. Wir müssen uns in der öffentlichen Wahrnehmung stärker voneinander abgrenzen. Wie ist Ihre Meinung dazu, Mr. Wheeler?“ >Shit< dachte Joey und nippte an seiner Cola. Er hatte keinen blassen Dunst, worum es ging. Kooperation hieß Zusammenarbeit … warum sollte man sich dann abgrenzen, wenn man doch kooperieren wollte? Dabei war dieser Juppie genau derjenige, mit dem er sich befassen müsste. Also tat er das, was immer gut war. „Ich schließe mich Setos Meinung an.“ Das war immer die sichere Variante und immer die richtige Antwort. Doch Pegasus traf den Nagel auf den Kopf. „Du hast überhaupt keinen Schimmer, worum es geht. Oder, Blondi?“ „Joey ist nur schlau genug, sich zu keiner voreiligen Meinung drängen zu lassen“ nahm Seto sofort für ihn Partei ein. Der Drache würde niemals zulassen, dass er dumm dastand. „Außerdem sind Kooperationen nicht sein vorrangiges Betätigungsfeld. Es wundert mich, dass du Kooperationsmanagement und Marketing in dieselbe Sparte steckst.“ „Wie ich sehe, hast du auch nicht verstanden, worum es geht, Setolein.“ „Dann erklär’s mir, Max.“ Cool lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, überschlug die Beine und warf einen Blick auf den Teller. Ja, der war noch immer leer. „Gern, Süßer. Mr. McGanner, wären Sie so gut, Mr. Muto ins Bild zu setzen?“ „Sie sprechen da etwas an, was wir uns ebenfalls in langen Überlegungen ausgearbeitet haben“ sprach der Pate Teil 1 für Strategiemanagement. Auch er lehnte sich zurück und schob seine Bauchwölbung gen Tischkante. „Wie Sie wissen, gehen Strategie, Kommunikation und öffentliche Wahrnehmung Hand in Hand. In diesem Falle möchte Mr. Shawns Ihnen nicht eine genaue Marschrichtung darstellen, sondern lediglich Ideen der äußeren Darstellung, von welchen sich nicht nur Verbraucher, sondern auch die entscheidenden Beamten der Kartellbehörden beeinflussen lassen werden. Mr. Wheeler wird Ihnen sicher bestätigen, dass es in den letzten Jahren vermehrt Fälle gab, in denen wir ähnliche Produkte mit ähnlichen Images zu ähnlichen Zeitpunkten auf dem Markt beworben haben. Eine repräsentative Umfrage in den großen Märkten Süd- und Osteuropas, im speziellen der Türkei und Russland, hat ergeben, dass die Verbraucher teilweise keinen Unterschied zwischen Ihren oder unseren Produkten machen. Wir sind der Meinung, dass sich dies ändern muss. Wir müssen uns in der öffentlichen Wahrnehmung stärker voneinander abgrenzen und hierfür sollten sich unsere Marketingexperten bei Gelegenheit zusammensetzen und vielleicht auf Grundlage unserer Vorschläge ein erstes Brainstorming stattfinden lassen.“ „Das kam aber anders rüber“ murmelte Seto skeptisch und ja, der Keksteller war immer noch leer. „Ihre Präsentation schien mir etwas zu konkret. Wir lassen uns nicht von Ihnen einen Platz und erstrecht kein von der Industrial Illusions vorgefertigtes Image zuweisen, Mr. McGanner.“ „Gut, belassen wir es dabei“ beschloss Noah und brach das Thema hier ab. „Wäre es möglich, dass Sie uns noch einige Details senden und wir uns dann bei Gelegenheit erneut im kleineren Kreise zusammensetzen? Bevor wir über die Darstellung vor dem Kunden sprechen, würde ich gern zuerst den gesetzlichen und vor allem den uns nutzbringenden Inhalt klären.“ „Sehe ich auch so“ stimmte Seto mit ein. Blick auf den Keksteller - noch immer waren die Krümel nicht zu Keksen herangewachsen. „Sonst bewerben wir das Überraschungsei, ohne uns über die Sammelfigur Gedanken zu machen.“ „Ein schönes Sinnbild. Ich hätte es nicht besser sagen können“ nickte Noah. „Ich sehe, Sie lassen sich ungern in die Karten schauen“ lächelte der Pate und faltete entspannt die Hände mit den dicken Goldklunkern. „Natürlich sollten wir nichts überstürzen, Mr. Kaiba. Wenn Sie erlauben, würden wir Ihnen gern noch unsere Zahlen präsentieren.“ „Natürlich. Bitte.“ „Setolein sieht nicht begeistert aus“ bemerkte Pegasus. „Ich kenne eure Zahlen“ meinte der und blickte erneut auf den leeren Keksteller. „Mann, Seto. Der füllt sich nicht von selber.“ Joey hielt es nicht mehr aus, schnappte sich das Telefon und drückte einen Knopf. „Svala?“ „Ja?“ schallte es aus der Leitung. „Bring doch bitte für den Drachen noch ne LKW-Ladung Kekse rein, ja?“ „Sofort.“ „Danke.“ Er schob das Telefon wieder weg und begegnete Setos dunklem Blick. Es passte ihm nicht, dass er ihn vor versammelter Konkurrenz so durchschaute. „Sei dankbar, Alter.“ „Du hattest Recht, Maximilion“ sagte die heiße, alte Braut mit dem roten Schmollmund in einem zweideutigen Ton. „Habe ich das nicht immer, Kleines?“ schmunzelte er sein funkelndes Schmunzeln. „Können wir bitte beim Thema bleiben?“ bat Seto genervt. „Und können wir die Zahlen überspringen? Noah und ich sind im Bilde. Und Joey interessiert sich nicht für Statistiken.“ „Oh, nicht doch. Mrs. Hombertom hat einige sehr interessante Vergleiche visualisiert. Die werden euch sicher ganz neue Einblicke geben.“ „Max, was soll das?“ fragte er ihn auf den Kopf zu. „Du bist doch nicht mit deiner gesamten Führungsmannschaft angereist, um uns ein paar langweilige Präsentationen vorzuspielen. Warum sagst du uns nicht, weshalb du wirklich hier bist?“ „Ich sagte doch, ich möchte euch meine neuen vier Hände vorstellen. Und euch aufzeigen, wie es in Zukunft weitergehen wird. Und ich würde so furchtbar gerne enger mit dir zusammenarbeiten. Deine warmherzige und liebevolle Art ist immer ein Genuss.“ Seto seufzte und fasste sich an die Stirn. Das nervte ihn. Das alles hier. Was für ein Glück, dass es kurz klopfte und die gute Seele Svala hereinkam. Mit zwei Tellern voller Keksberge. Musste nicht hübsch aussehen, sondern die Masse machte den Effekt. Mit einem wissenden Lächeln stellte sie einen davon in Setos Reichweite. Den anderen in die Tischmitte. Und den leeren Teller nahm sie an sich. „Danke schön.“ Seto hatte sich schon den ersten Keks in den Mund gesteckt. „Gerne“ lächelte sie und machte auf dem Rückweg bei Noah halt. Sie beugte sich zu ihm herab und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er öffnete daraufhin seine Augen recht weit und nickte nur. „Moment noch, ja?“ „Natürlich.“ Sie nickte zurück und verließ geschwind den Raum. Pegasus grinste bis über beide Ohren zu Noah als würde er etwas aushecken. Nein, er grinste nicht nur so, er heckte definitiv etwas aus. „Entschuldige, wenn ich das so offen frage“ bat er und wischte sich jeglich verräterischen Ton aus dem Gesicht. „Dass unser Eros-Model vor der Tür steht, ist dir vermutlich nicht ganz unbekannt?“ „Du unterstellst mir immer so böse Dinge, Noah.“ „Nein, wir haben ihn herbestellt“ meldete der blonde Juppie und warf einen Blick neben sich, wo der Pate Teil 1 saß und einen seiner fetten Goldringe drehte. Jetzt klingelten bei Noah die Alarmglocken. Er wusste, dass Tjergen und den neuen Strategiemenschen eine mehr als geschäftliche Beziehung verband. Dennoch hatte das Model den Vertrag unterzeichnet und Joey stand bereits in den Startlöchern, um sofort nach Abheilung seiner Nase die Kampagne zu starten. Allein die Vorbereitungen, die Buchung der Statisten, Fotografen, Maskenbildner, Shooting, Werbeproduktionen, Plakatdruckereien, Veranstaltungsorte, das alles hatte bereits viel Geld gekostet. Mit einem Starmodel wie Tjergen zu werben war mehr als nur finanzieller Gewinn - das bedeutete ein ganz neues Image, welches eine junge Generation an Kunden sicherte. Und Pegasus wusste genau, dass ein frisches Image auch für alteingesessene Konzerne unabdingbar war, wenn man auch in zehn Jahren noch angesagt sein wollte. Und wenn nun Pegasus mit einem Joshua McGanner hier auftauchte und auch noch seinen Mann fürs Marketing dabei hatte! Das konnte nur bedeuten, er wollte ihm die Marke Eros vermiesen. Noah wusste, dass die II ebenfalls eine ähnlich große Serie, die ‚Beux Illusion‘, am Start hatte, jedoch noch kein Model. Selbst die Produktnamen ‚Eros Metro‘ und ‚Beaux Illusion - BI‘ deuteten auf ein ähnliches Image hin … das hier war ein reinster Fall von Sabotage. „Was soll das?“ Noah blieb äußerlich ruhig und ließ sich seine aufkommende Nervosität nicht anmerken. „Bevor solche Besprechungen geplant werden, wären wir gern gefragt worden.“ „Bitte entschuldigen Sie, dass wir Sie so überfahren, Mr. Kaiba“ bat McGanner und konnte sich ein herausforderndes Lächeln nicht verkneifen. „Aber es hat sich doch angeboten. Wir haben gehört, dass Mr. Manison hier in Blekinge eine Operation auskuriert und deshalb haben wir ihn gleich heute hergebeten. So müssen wir uns nicht mit vielen Einzelverhandlungen aufhalten und eine schnelle Klärung wäre für alle Beteiligten das Vorteilhafteste.“ „Mr. Manison hat bereits einen Werbevertrag mit der KC unterschrieben.“ „Doch die Widerspruchsfrist ist noch nicht abgelaufen“ mischte sich der Blonde ein und warf dem Alten ein kleines Lächeln zu. „Noch kann Mr. Manison sich nach einem besseren Angebot umsehen. Und da wir ahnten, dass Sie bereits mit ihm in Kontakt stehen, würden wir diese Bieterkonferenz gern mit Ihnen gemeinsam abhalten, um zu einem zügigen Ergebnis zu kommen. Das ist nur fair, Mr. Kaiba.“ „Max, das ist doch gar nicht deine Art“ beschwerte Seto sich bei dem. Doch der lächelte selbstzufrieden und lehnte sich zurück. Keine Antwort war Antwort genug. Er ließ das nun erst mal laufen. „Na fein“ seufzte Noah und nickte zu Joey. „Bittest du Svala, ihn hereinzulassen?“ Joey drückte den Knopf am Telefon und bat schlicht: „Lass ihn rein.“ Es dauerte nur wenige Sekunden bis sie die Tür öffnete und betreffende Streitperson mit einem freundlichen „Bitte“ hereinließ. Tjergen kam herein und sah wie immer blendend aus. Heute unisono in einem hellen Braun gekleidet, sein langes Haar offen und seine erhöhten Schuhe streckten die schlanke Figur zusätzlich. Nur der Haftverband über der Nase trübte seine Schönheit, wenn auch seine scharfen Augen das Gesicht dominierten. In seinen Händen hielt er eine weiße Ledermappe mit dem versilberten Symbol der Industrial Illusion. Mit ihm hatte man offensichtlich bereits Kontakt aufgenommen. „Terry Manison“ lächelte der Blonde vom Marketing und erhob sich, um ihn zu begrüßen. „Ich bin Diego Shawns, wir haben miteinander telefoniert. Wie schön, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten.“ Doch Tjergen antwortete nicht, blickte ihn nur abwartend an. „Bitte setzen Sie sich doch zu uns. Darf ich Sie meinen Kollegen vorstellen?“ „Nicht nötig“ erwiderte er, ließ ihn ohne Händedruck stehen und umrundete den Tisch, setzte sich neben Joey auf einen der letzten freien Stühle. Er legte die Mappe auf den Tisch, setzte seine Umhängetasche auf den Boden und betrachtete die mehr oder weniger bekanten Menschen. Pegasus, der in gelassener Pose in seinen Stuhl zurückgelehnt saß. Die kleine Finanzmanagerin mit den roten Kringelhaaren. Den blonden Marketingjuppie. Seinen zukünftigen Ex übersprang er und nahm die heiße Alte in Augenschein. Doch anmerken ließ er sich nichts. „Terry“ sprach Noah ihn direkt an. „Hast du Mr. Dwight nicht mitgebracht?“ „Die Anfrage kam zu kurzfristig. Mein Manager konnte nicht so schnell wieder anreisen“ antwortete er und lehnte sich auf die Stuhllehne. „Und mit wem von euch Figuren soll ich reden?“ „Mit mir, bitte“ bat der Blonde und setzte sein schönstes Lächeln auf. „Wie ich sehe, haben Sie unser Angebot bereits erhalten.“ „Ne schöne Summe, die Sie mir da bieten“ antwortete er und legte die Hand auf die teure Ledermappe. „Machen Sie bei den Konditionen überhaupt noch Gewinn?“ „Unser Vertragsvorschlag ist genau durchkalkuliert. Wir sind der Meinung, dass die KC Ihnen nicht gerecht wird, Mr. Manison.“ „Ach.“ „Es sind bereits Eros-Produkte auf dem Markt und auch bereits beworben worden. Sie treten also als Leitgesicht der Metroline in bereits befahrene Spurrillen. Wenn sie sich jedoch dazu entscheiden, Ihren Vertrag bei der Kaiba Corporation zu widerrufen, bieten wir Ihnen die Möglichkeit, für unsere Beaux Illusions-Serie einen frischen und brandneuen Launch zu repräsentieren.“ „Was das Ihre Idee, Mr. Shawns?“ fragte er ihn ohne Umschweife. Tjergen schien mehr als misstrauisch. „Was genau meinen Sie denn?“ „Mich abzuwerben. War das Ihre persönliche Idee?“ „Um ehrlich zu sein, war es eine strategische Entscheidung“ spielte er den Ball an den offensichtlicheren Verursacher weiter. Der Pate Teil 1 lehnte sich vor, lächelte ihn liebevoll an und sprach mit sanft gesenkter Stimme: „Mr. Manison, wir haben uns Ihre Arbeiten angesehen und sind zu der Überzeugung gekommen, dass die Industrial Illusions Ihnen bessere Rahmenbedingungen bieten kann. Sie haben mehr Potential als das, was die KC Ihnen abfordert. Sie müssen auch an Ihre Zukunft denken. Sie sind schon heute ein Weltstar in der Modebranche und haben noch viel mehr vor sich. Sie sind wunderschön, haben schauspielerisches Talent, sind fotogen und eine faszinierende Persönlichkeit. Sie dominieren die Szene, wo Sie zu sehen sind. Sie sind eines der bekanntesten Malemodels dieses Jahrzehnts. Und es steht Ihnen zu, dass man Ihnen das Beste bietet. Jetzt und für die Zukunft.“ „Ich bin schon 25. In wenigen Jahren bin ich zu alt zum Modeln“ brachte er entgegen. „Genau deshalb liegt uns Ihre Zukunft am Herzen“ lächelte der Alte ihn warm und freundlich an. „Wir können Ihnen mehr bieten als die KC es tut. Wenn Sie diesen Vertrag mit uns schließen, werden wir eng zusammenarbeiten und würden beide davon profitieren.“ „Terry“ bat Noah und lehnte sich vor, um ihn anzusehen. „Darf ich mir das Angebot mal ansehen? Vielleicht können wir unseres nachbessern. Und deinen Manager sollten wir auch über dieses Gespräch verständigen.“ „Brauchst du nicht. Das Angebot ist unschlagbar. Die Bezahlung und Konditionen sind pervers gut“ erwiderte er und strich über den vernähten Rand der Mappe. „Denkst du wirklich ernsthaft darüber nach, uns zu verlassen?“ „Rein vertraglich wäre das wohl das Beste“ sagte er und blickte kurz zu Pegasus, welcher sich das alles aber nur lächelnd betrachtete. Dann sah er seinen Liebhaber an, welcher ihm nicht nur eine einmalige Chance bot, sondern auch ein persönliches Angebot machte. Er bot ihm finanzielle Sicherheit und signalisierte auch, dass sie beide im privaten Rahmen näher zusammenrückten. Das konnte die KC ihm nicht bieten. Noah spürte, für Tjergen ging es nicht um Geld oder zukünftige Projekte. Es ging ihm um den Mann, den er liebte. Eigentlich wollte er sich von ihm trennen, doch nun bot er ihm eine enge Zusammenarbeit und damit auch ein engeres Zusammensein an. Das kam dem, was er von ihm wollte, schon sehr nahe. Und das war ein Angebot, welches Noah nicht nachbessern konnte. Und es auch nicht wollte. Geschäftlich würde er kämpfen, doch persönlich wollte er Tjergen nicht den Lebensweg verbauen. „Mr. Manison“ sprach der Alte erneut mit warmer Stimme. „Sagen Sie unserem Angebot zu. Es wäre sicher auch persönlich die beste Wahl.“ „Fick dich, Josh.“ Im Raum trat ein überraschtes Schweigen ein. Das hatte jetzt niemand erwartet. Am wenigsten sein Lover. „Mr. Manison, wir …“ versuchte er den Karren herauszuziehen, „Wir wissen, dass dieses Angebot sehr plötzlich für Sie kommt. Besonders aufgrund Ihres Gesundheitszustandes. Aber wir versichern, dass wir, dass ich ganz persönlich …“ „DENKST DU, ICH BIN KÄUFLICH, DU ARSCH?!“ Er stand auf und schmiss ihm die Ledermappe an den Kopf. Oder zumindest knapp an diesem vorbei. „Du Arschloch schaffst es nicht mal, mir Blumen ins Krankenhaus zu schicken, aber wenn du dich bei deinem neuen Boss profilieren kannst, bin ich gut genug, oder was?“ „Mr. Manison, ich habe nicht …“ „Und der da?“ zeigte er auf den Blonden zu seiner linken. „Ist das jetzt dein neuer? Einer mit was im Kopf? Nur weil ich nicht studiert habe, denkst du, du musst mich nicht für voll nehmen?“ „Mr. Manison … Terry, bitte. Das hier ist kein Ort für …“ „NEIN! Ich habe deine Mätzchen lange genug mitgemacht!“ Er stützte sich auf den Tisch und schrie ihm seinen ganzen Ärger ins Gesicht. Und ob die anderen nun mitkriegten, dass sie was miteinander hatten, darauf nahm er nun auch keine Rücksicht mehr. Er hatte lang genug Rücksicht genommen und immer nur einen Arschtritt bekommen. Jetzt war Schluss mit Zurückhaltung. „Du denkst, du kannst mich hin und her schieben wie es dir passt! Ich habe mir echt Mühe gegeben, um dir gerecht zu werden und du wünschst mir nicht mal gute Besserung, wenn ich krank bin! Das ist schwach, Josh! Echt schwach! Auf einen Stecher wie dich kann ich verzichten!“ „Ich weiß überhaupt nicht, was das soll.“ Doch der wandte sich zu Pegasus, dessen Grinsen immer breiter wurde. Er fand diese Szene offensichtlich eher komisch. „Wir haben doch unser Angebot bestens durchgesprochen und auch die Operation ist für uns keine …“ „HALLO! HIER BIN ICH!“ Er stampfte um den Tisch herum und baute sich vor ihm auf. „Du hast dich nie für mich interessiert. Du hast mich nie gefragt, was ich fühle oder wie ich mich fühle. BENUTZT HAST DU MICH! Du denkst, wenn du mich bezahlst, kannst du deinen Spaß mit mir haben! Aber ich bin nicht dein Flittchen! Ich bin ein Mensch mit Wert! Und ich will etwas Echtes! Ich will jemanden, der zu mir steht und nicht erst dann kommt, wenn’s geschäftlich wird!“ „Terry, bitte. Lass uns das …“ „NEIN! ICH WILL NICHTS MEHR HÖREN!“ Er schnaufte durch und sah ihn mit tränenden Augen an. „Ich bleibe bei der Kaiba Corp. Denn hier habe ich endlich einen Freund gefunden, der mich glauben lässt, dass es mehr gibt als das, was zwischen uns ist. Oder das, was da niemals sein wird. Du hast mich nie gefragt, ob ich mich einsam fühle oder ob ich traurig bin. Du hast dir nie darum Gedanken gemacht, ob ich mich nur aus Einsamkeit verkaufe. Du hast nie danach gefragt, warum ich so bin wie ich bin oder was ich will. Du willst nur deinen Spaß mit mir haben und jetzt willst du Geld mit mir verdienen. Aber nicht mit mir!“ „Du redest doch Unsinn.“ Der Alte sah sich nervös nach seinem Boss um, der sich diese Szene mit einem fröhlichen Ausdruck ansah. Pegasus ließ sich nicht in die Karten sehen. Das konnte den Alten nur nervös machen. „Terry, wir haben nie …“ „Du kannst ja nicht mal meinen richtigen Namen aussprechen! Für dich bin ich doch nur eine Ware. Aber ich bin ein Mensch, Joshua! EIN MENSCH!!!“ schimpfte er mit Tränen der Enttäuschung in den Augen. „Ich habe immer versucht, dir alles recht zu machen. Ich war immer für dich da und habe alles getan, damit du mich liebst. Und du Arschloch benutzt mich, um dich bei deinem Boss einzuschleimen. Du bist so ärmlich, Josh. Nicht ich bin die Schlampe von uns beiden!“ „Terry, jetzt beruhige dich. Lass uns das unter vier Augen …“ „Ja! Immer alles nur unter vier Augen! Vögeln kannst du mich und leere Versprechungen kannst du machen. Aber sobald ich DICH brauche, hast du was anderes zu tun. Du sagst mir, dass du mich liebst, aber zeigen willst du es nicht! Die ganzen letzten Tage als ich dich gebraucht habe, als ich mich nach dir gesehnt habe, als ich mit dir sprechen wollte, da hast du nicht mal zurückgerufen. Aber jetzt geht’s ums Geld und ums Prestige und da bin ich plötzlich gut genug! ICH BIN NICHT DEINE PUPPE, JOSH!“ „Bitte schrei doch nicht so“ bat er und versuchte weniger nervös auszusehen als er wahrscheinlich war. Sein Ex-Geliebter outete ihn gerade. Und das vor seinem neuen Boss. Und der saß nur da und grinste. „ICH SCHREIE SO LAUT ICH WILL!“ Und Tjergen war sein Ansehen egal. Noah ahnte worauf das hier hinauslief. Tjergen war wie Mokuba. Wenn er sich erst auf etwas eingeschossen hatte, bekam man ihn nur schwer davon wieder los. In diesem Moment waren ihm Geld und Image egal. Genau wie Mokuba so etwas an Noah egal war. Wenn der Alte jetzt nicht zu seinem jungen Geliebten stand, dann zog Tjergen einen Strich unter die Sache. Mit dem Ergebnis, dass er den Vertrag der Industrial Illusions ablehnte - allein nur um seiner Wut Ausdruck zu verleihen. Noah wusste wie wichtig es war, einen dominanten und egoistischen Charakter wie Tjergen zu pflegen und zu akzeptieren. Mokuba würde alles für Noah tun - aber nur weil Noah alles für Mokuba tat. Bei Tjergen war das nicht anders. Er würde alles für seinen Geliebten tun - aber nur wenn der auch alles für ihn tat. Und wenn er das nicht tat, hatte das Ganze keinen Sinn. Menschen wie Mokuba und Tjergen wollten geliebt werden ohne sich verbiegen zu müssen. „Du warst der Erste, den ich wirklich hätte lieben können“ warf er ihm in vollster Enttäuschung an den Kopf. „Aber wenn du denkst, du kannst mich kaufen, dann hast du dich geschnitten. Du weißt gar nichts über mich und du gibst dir nicht mal die Mühe, mich kennen zu lernen. Sex und Geld und Ansehen - was anderes interessiert dich nicht. Und bis vor kurzem habe ich noch genauso gedacht. Aber als ich dich wirklich brauchte, da hast du mir gezeigt, was ich dir wert bin. Nämlich nur eine Summe auf dem Papier“ zeigte er auf die am Boden liegende weiße Ledermappe. „Aber weißt du, wer für mich da war? Die Konkurrenz! Ich habe gesehen, dass es auch anders geht. Dass es mehr geben kann zwischen zwei Personen als Sex und Geld und Ansehen! Und dieses Mehr habe ich von dir anscheinend nicht zu erwarten. UND ICH LASSE MICH VON DIR NICHT KAPUTTMACHEN UND ICH LASSE MICH NICHT KAUFEN! Ich übernehme jetzt Verantwortung für mein Leben. Und in dieses Leben gehörst du nicht rein. Erst wolltest du nicht und wenn du’s jetzt willst, ist es zu spät. Also fick dich!“ Er drehte sich herum, öffnete die Tür und rannte hinaus. Und hinterließ im Raum eine schwere Stille. Ursprünglich ging es um eine Vertragsverhandlung, aber die war schnell zu einer filmreifen Beziehungsszene umgeschwungen. Und das hatte der Alte nicht kommen sehen. Während Noah aufstand und dem aufgebrachten Model nachging, schluckte der Pate nervös und drehte sich nach Pegasus um. Und der hatte noch immer dasselbe, dreckige Grinsen im Gesicht. „Mr. Pegasus, das ist mir …“ Er räusperte sich und richtete seine nicht verrutschte Krawatte. „Das ist mir äußerst peinlich. Ich versichere Ihnen, dass das nicht meine Intention war.“ „Das kann ich mir vorstellen“ grinste der zurück. „Ich … ich … Sie müssen wissen, dass …“ „Dass was?“ schmunzelte er und verschränkte die Arme. „Dass Ihre Betthäschen Amok laufen?“ „Mr. Pegasus … ich …“ Er sah sich auch nach den anderen Kollegen um. Die beiden Damen zeigten allein mit ihren großen Augen, dass sie nichts von alledem gewusst hatten. Der Blonde jedoch kramte nervös nach seinem Laptop. „Ich versichere Ihnen, dass das hier keinerlei finanzielle oder strategische Auswirkungen haben wird. Wir haben noch ausreichend Lösungen zur Hand, welche mindestens genauso erfolgversprechend sind.“ „Sie sind wirklich ein armseliger Mann, Mr. McGanner“ sprach er mit ruhiger, ernster Stimme. „Sie hätten sehen können, dass man mit so einem geradlinigen Charakter ganz anders umgehen muss.“ „Mr. Pegasus … ich versichere Ihnen, dass so etwas nie wieder vorkommen wird.“ „Davon gehe ich aus.“ Er lehnte sich vor, griff einen von den Keksen und knurpste ihn lächelnd ab. „Seto, ich entschuldige mich für diese Szene.“ „Dann iss wenigstens die Zitronenplätzchen und nicht meine Schokokekse.“ Kapitel 11: Chapter 51 - 55 --------------------------- Chapter 51 Noah klappte sein Handy zusammen und ging zu Tjergen, welcher am Straßenrand nach einem Taxi winkte und sich nebenbei die Tränen aus dem Gesicht wischte. Mit einem sanften „Hey“ stellte er sich neben ihn und beugte sich freundlich zu ihm herunter. „Alles okay?“ „Hast es doch gehört. Ich laufe nicht zur Konkurrenz“ zischte er und wischte sich erneut über die Augen. „Deshalb frage ich nicht. Ich möchte wissen, ob mit dir alles okay ist?“ „Wie würde es dir denn gehen, wenn man dich für käuflich hält?“ „Ziemlich schlecht.“ „Dann frag nicht so blöd.“ „Terry, es tut mir leid.“ Er legte den Arm um ihn und zog ihn auch gegen den Widerstand zu sich heran. „Es tut mir leid, dass du enttäuscht wurdest.“ „Du bist doch nur froh, dass unser Vertrag nicht platzt.“ „Das auch. Aber du weißt, dass das nicht alles ist.“ Er legte auch den zweiten Arm um ihn und hielt ihn sanft an seine Brust. Tjergen war es nicht gewohnt, dass man es ernst mit ihm meinte, aber er wusste auch, dass Noah nicht hier wäre, wenn es ihm nur ums Geschäft ginge. Sonst würde er ihn nicht auf offener Straße umarmen. Noah war anders als Joshua. Noah war menschlicher, ehrlicher. Das war es auch was Mokuba an ihm so sehr liebte. Noah Kaiba war ehrlich. Da hielt das gewunkene Taxi vor ihm und der Fahrer lehnte sich herüber, um nach seinem Fahrgast zu schauen. „Bleibe doch noch einen Moment und lass uns einen Tee trinken“ bat Noah und drückte ihn sanft von sich. „Fahr jetzt nicht allein ins Hotel.“ „Josh ist immer noch da drin. Auf den kann ich verzichten.“ „In mein Büro kommt er garantiert nicht. Ich will auch später vor Gericht kein Zeuge von Todschlag werden. Das wäre imageschädigend“ scherzte er und fügte lächelnd hinzu: „Außerdem hast du deine Tasche liegen lassen. Was ist denn ein Model ohne seine Accessoires, hm?“ „Du denkst, du durchschaust mich, was?“ „Nein, ich durchschaue gar nichts. Dafür bist du Moki zu ähnlich“ lächelte er und legte den Arm um seine Taille. „Entschuldigen Sie die Umstände“ bat er den Taxifahrer, bevor er das aufgelöste Model zurück zum Gebäude führte. „Aber deine Szene war TV-reif.“ „Ganz schön daneben, was?“ „Nein, gar nicht. Eher genial. Mein Freund hat auch manchmal solche Szenen-Anfälle und es war ein Erlebnis, dass ich das jetzt mal von außen betrachten konnte und nicht selbst alles abgekriegt habe. Du sahst gut aus.“ „Aber es hat mich so wütend gemacht. Schon als ich im Hotel den Vertragsentwurf gelesen habe. Weißt du, nicht mal eine SMS mit Genesungswünschen kann er tippen, aber dann so einen Vertrag aufsetzen. Ich wette, mit diesem blonden Juppie hat er auch schon gepoppt.“ „Meinst du? Das würde nicht gerade von Geschmack zeugen.“ „Für ihn ist das kein Betrug. In seinen Augen hatten wir nie eine Beziehung.“ „Das meinte ich nicht. Ich meinte von einem hochklassigen Häschen wie dir zu so einem durchschnittlichen Blondino - nach Sex mit dir müsste er doch viel höhere Ansprüche hegen.“ „Süß von dir, aber es regt mich trotzdem auf. Wahrscheinlich war er deshalb nie erreichbar. Dieser Hurenbock. Wichser. JA, WAS DENN?!“ schimpfte er als die beiden Empfangsdamen ihn verdutzt anblickten. „Lass die armen Servicedamen in Frieden“ lachte Noah und reichte ihm sein Stofftaschentuch aus dem Revers. „Danke.“ Während Tjergen sich das Gesicht putzte, führte er ihn den Gang entlang zurück in die Büroräume. Die Tür stand angelehnt und erst im Empfangsraum ließ er ihn dann auch los. „Kann ich etwas für euch tun?“ fragte Svala, welche soeben aus dem Besprechungsraum kam. „Wenn du so lieb wärst und uns einen Tee machst, Liebes.“ „Ich hätte meinen Tee lieber irisch“ zischte Tjergen und ließ sich selbst in Noahs Büro ein. „Also dann mit Whiskey“ übersetzte Noah. „Haben wir noch den Geschenkkorb, den Protigé Productions uns letzte Woche geschickt hat?“ „Nur noch in zerpflückter Form. Muto hat den Biskuit verputzt und Joseph den Rest. Aber der Whiskey müsste noch da sein …“ „Falls nicht, lauf bitte los und kaufe welchen. Ich glaube, den haben wir uns heute alle verdient“ seufzte er und ging Tjergen nach. Der hatte sich bereits auf seinem Sofa breit gemacht und schniefte vorsichtig seine noch immer angeschlagene Nase aus. Wenn er so ungekünstelt und ungeordnet dasaß, erinnerte er nur noch mehr an Mokuba. Was ihn in Noahs Augen noch sympathischer machte. Er wollte eigentlich keine Freundschaft mit ihm schließen, doch konnte auch nichts dagegen tun, dass er nun mal eine Vorliebe für diese zickigen Charaktere hegte. Solche Jungs waren einfach zu süß. Auf dem Weg zu ihm schloss er nicht nur die Tür, sondern nahm auch gleich eine Schachtel Papiertaschentücher aus der Schublade des Büroschranks. Diese platzierte er direkt vor ihm auf dem Tisch und setzte sich dazu. „Geht’s wieder?“ „Muss ja. Ich kann dir ja nicht die Ohren vollheulen. Bleibst ja wohl jetzt mein Boss.“ „Eigentlich haben wir nicht so sonderlich viel miteinander zu tun. Als Model fällst du eher in die Wheeler-Zuständigkeit.“ „Aber du hast mich ausgesucht und den Vertrag gemacht.“ „Das ist wahr. Aber damit habe ich einen Job abgeschlossen, der eigentlich gar nicht meiner war. Ich wollte nur persönlich sichergehen, dass wir dich für uns gewinnen. Und ich bin froh, dass wir dich halten konnten. Wenn mir auch die Art und Weise nicht gefallen hat.“ „Na ja …“ Die vertraglichen Inhalte waren ihm in diesem Moment eher egal. Von wem sein Geld kam, hatte ihn noch nie sonderlich interessiert. Viel wichtiger waren die Dinge, die man mit Geld nicht kaufen konnte. Die Dinge, um die er andere so sehr beneidete. Um die er Mokuba beneidete. „Außerdem darf ich dich gar nicht gehen lassen. Moki ist ganz vernarrt in dich“ sprach er ihm weiter gut zu und legte tröstend den Arm um ihn. „Vernarrt?“ „Ich glaube, du hast einen guten Einfluss auf ihn. Seit er mit dir abhängt, legt er mehr Zielstrebigkeit an den Tag. Weißt du, eigentlich ist er ein kleiner Faulpelz und mit seinem Bettelblick hat er bisher immer alles bekommen, was er wollte. Aber in den letzten Tagen hat er sich um sein Studium gekümmert und sogar mal wieder in seine Bücher geschaut. Ich glaube dein Erfolg und deine Souveränität spornen ihn an.“ „Ach, er kann uns doch gar nicht vergleichen“ widersprach Tjergen, nahm ein Papiertaschentuch und wischte sich vorsichtig über die pochende Nase. „Er hat ein ganz anderes Leben als ich. Eine andere Vergangenheit, andere Freunde und andere Zukunftspläne. Ich mache Geld mit meinem Aussehen und er macht Geld mit … na ja, auf seine Art eben.“ „Moki macht kein Geld. Noch nicht“ schmunzelte Noah. Anstatt Häschen sollte er ihn lieber Zecke nennen. Mokuba war der typische Schmarotzer. Aber er war einfach so ein toller Mensch. „Aber du, Tjergen, du hast in deinem Leben richtig etwas auf die Beine gestellt. Aus eigener Kraft.“ „Mit alten Männern schlafen und sich von ihnen durchfüttern zu lassen, ist nicht gerade etwas, was man eigene Kraft nennen kann.“ „In dir steckt doch mehr als das.“ „Unsinn. Mokuba hat dir doch sicher erzählt wie ich zu Geld und an meine ersten Jobs gekommen bin.“ „Um ehrlich zu sein, hat er gar nichts erzählt.“ Und Tjergens überraschtem Blick nach zu schließen, war er von etwas anderem ausgegangen. „Ich weiß ja nicht, was ihr beiden so zu bequatschen habt, aber wenn du Moki etwas privates erzählt hast, erzählt er es nicht unbedingt weiter.“ „Dann erzählt ihr euch nicht alles voneinander?“ „Nicht immer. Nein“ gab Noah mit zärtlicher Stimme zu. „Wir lieben und wir vertrauen uns. Vor mir hat er eigentlich keine Geheimnisse und wenn er mit etwas nicht zurechtkommt, teilt er auch die Geheimnisse Dritter mit mir. Und wenn ich ihn nach dir gefragt hätte, hätte er mir sicher auch einiges erzählt. Aber eben genau weil wir uns vertrauen, müssen wir nicht über alles reden. Wenn er mit dir befreundet sein möchte, entscheidet er das allein und fragt nicht nach meiner Meinung. Und ich möchte mich da auch gar nicht einmischen. Ich sehe doch, dass du ihm ein positives Vorbild gibst - also suche ich nicht nach schmutziger Wäsche. Eher im Gegenteil.“ „Gegenteil?“ „Wenn ich auch nur ein schlechtes Wort über dich verliere, komme ich in Teufels Küche“ lachte er und kratzte sich an der Nase. „Weißt du … zuhause habe ich leider relativ wenig zu melden.“ „Ich weiß.“ „Uff.“ Das kam jetzt aber ziemlich selbstverständlich. „Aber er hat auch kein schlechtes Wort über dich verloren. Nur immer wie sehr er dich liebt. Das nervt schon fast. Und ich beneide ihn“ seufzte er und zog ein Bein herauf, um sich auf sein Knie zu lehnen. „Wenn ich Mokuba nicht in so kurzer Zeit so gern gewonnen hätte, würde ich wirklich versuchen, dich ihm auszuspannen. Du bist zwar etwas jung, aber im Grunde bist du genau mein Beuteschema.“ „Ah ja. Danke“ lachte er. Lustig war eigentlich nur, dass Tjergen dabei ein so ernstes Gesicht machte. Wahrscheinlich war das kein Scherz. Aber es war gut, dass er andere Gedanken als seinen Liebeskummer bekam. „Du hast nicht zufällig Lust, dich von mir verführen zu lassen?“ fragte er und sah ihn mit seinen glänzenden, dunklen Augen an. „Ich könnte etwas Bestätigungssex jetzt gut gebrauchen.“ „Ist das dein Ernst?“ Wenn ja, dann lebte er gefährlich. „Wenn nur Mokuba nicht wäre“ seufzte er und sah wieder in den Raum hinein. „Ich hatte noch nie einen Freund. Ich weiß nicht, was daraus werden soll, aber ich würde meinen ersten und einzigen Freund nicht für Sex aufs Spiel setzen. Nicht mal für Sex mit einer Sahneschnitte wie dir. Obwohl du es echt wert wärst.“ „Den letzten Satz streichen wir besser aus dem Protokoll und belassen es dabei“ bat er und strich ihm dennoch eine verirrte Strähne den Rücken hinab. Tjergen war wunderschön und so vereinnahmend. Wenn Mokuba nicht wäre, wäre er wahrscheinlich schon lange schwach geworden. Aber es gab Mokuba nun mal. Und auch Noah würde ihn für keinen Sex auf der Welt verlieren wollen. Dafür entwickelte sich ihr Sexleben einfach zu spannend im Augenblick. „Kann ich dich auch etwas fragen?“ Er wandte seinen Kopf zu ihm und legte die Schläfe aufs Knie, blickte Noah tief in die Augen. „Natürlich. Was möchtest du denn wissen?“ „Für den Fall, dass Mokuba tatsächlich mit mir befreundet bleibt … meinst du, auch wir könnten dann so etwas wie Freunde werden?“ „Wir müssen keine Freunde werden. Das sind wir schon“ erwiderte er sanft. „Mach dir keine Sorgen, Terry. Weder Moki noch ich würden dir jemals in den Rücken fallen.“ „Ich habe Josh da drin ziemlich beschimpft“ sagte er und sah bedrückt zum Fenster hinaus. „Ohne Josh … bin ich wieder allein. Früher hat es mir nichts ausgemacht, da waren mir sexuelle Abenteuer und finanzielle Liebe genug. Aber ganz allein im Krankenhaus zu liegen und dann Mokuba und dich zu sehen … das hat mir vor Augen geführt, wie einsam ich eigentlich bin. Meine Schwester hat mich ja nicht mal gefragt, ob ich zur Taufe ihrer Tochter kommen möchte. Ich habe mich nie um persönliche Bindungen gekümmert. Nur Josh war mir wichtig. Und nachdem ich ihn jetzt vor seinem Boss geoutet habe, habe ich auch meine letzte Chance bei ihm zunichte gemacht.“ „Du denkst doch nicht wirklich, dass Pegasus nicht gewusst hat, dass er schwul ist.“ „Josh ist ja nicht nur schwul, er treibt es vornehmlich mit Jungs unter 25. Eigentlich bin ich für ihn fast schon zu alt. Wenn das bekannt wird, kann er seine Karriere an den Nagel hängen. Wenn er das nicht jetzt schon kann.“ „Ich gehe jede Wette ein, dass Pegasus das schon vorher gewusst hat.“ „Meinst du? Josh hat immer darauf geachtet, dass nichts bekannt wird.“ „Du unterschätzt Maximillion Pegasus“ riet er mit einem Lächeln. „Er macht vielleicht einen harmlosen oder etwas nervenden Eindruck, aber er weiß ganz genau, was er tut. Er hat eine gute Menschenkenntnis und linken lässt er sich auch nicht. Und im Gegensatz zu Seto, Joey und mir schreckt er auch vor fragwürdigen Taktiken nicht zurück. Und ich gehe jede Wette ein, dass er ganz genau weiß, wen er sich da ins Boot geholt hat.“ „Dann bin ich ja bei euch besser aufgehoben, oder?“ „Das hoffe ich doch. Pegasus ist zwar kein Verbrecher, aber man sollte aufpassen, was man ihm gegenüber tut. Insbesondere ein geradliniger und direkter Mensch wie du, sollte ihm nicht … nun ja … Menschen wie du sollten da vorsichtig sein.“ „Inwiefern?“ „Du bist Moki sehr ähnlich. Und ich weiß, dass Moki sich mit seiner Art leicht in Schwierigkeiten bringt.“ „Oh, unterschätze mich nicht“ lächelte er gefälscht freundlich zurück. „Bis jetzt ist mir noch jeder auf dem Leim gegangen. Denn eines unterscheidet Mokuba und mich sehr. Mokuba hat Wertvorstellungen, die er heilig hält. Ich habe meine Werte vor langer Zeit aufgegeben. Und wer nichts zu verlieren hat …“ Klopf? Klopf? „Herein!“ bat Noah als auch schon die Tür aufging. „Entschuldigt bitte die Störung. Euer Tee ist fertig.“ Svala kam herein und trug ein Tablett mit einer Flasche Whiskey, zwei passenden Gläsern und einer Teekanne mit ebenfalls passenden Tassen herein. „Warte, ich helfe dir.“ Noah kam ihr entgegen und nahm die Sachen ab. „Sind unsere Gäste noch anwesend?“ „Ja, sind sie“ antwortete Seto, der sich in diesem Moment an den Türrahmen lehnte und wie immer sehr unbegeistert aussah. „Braucht ihr hier noch lange?“ „Na ja“ schaute Noah das verschniefte Model an. „Ich denke schon. Du kannst ruhig auch ohne mich weitermachen. Ich stoße dann gleich wieder dazu, wenn Moki eintrifft. Angerufen habe ich ihn schon und er war sogar in der Nähe.“ „Ich glaube, nach dem Heckmeck ist heute mit denen nicht mehr viel los. Der Dicke stottert sich einen Wolf und Max isst mir die besten Kekse weg. Ich bin dafür, wir vertagen den Rest auf später. Ich habe jetzt auch keinen Bock mehr.“ „Mr. Muto?“ bat Tjergen mit einem entschuldigenden Ausdruck. „Es tut mir leid, dass ich Ihr Meeting gesprengt habe. So aus der Haut zu fahren, ist eigentlich nicht meine Art.“ „Was soll‘s“ erwiderte Seto mit kühler Stimme und noch kühlerem Blick. „Uns unser Kampagnenmodel abspenstig zu machen und uns dann auch noch vorführen zu wollen, ist das Letzte. Sollte das nochmals vorkommen, Mr. Manison …“ „Es wird nicht wieder vorkommen. Das versichere ich.“ „Sollte das nochmals vorkommen, Mr. Manison“ wiederholte Seto streng. „Dann nehmen Sie bitte das Geschirr vom Tisch und schmeißen es der Ratte an den Schädel. Wenn schon eine Szene, dann richtig. Das sollten Sie sich von meinem kleinen Bruder noch mal zeigen lassen.“ „Ähm …“ „Kommen Sie mit, Svala. Ich fahre jetzt zum Italiener Eis essen“ brummte er und grummelte im Gehen weiter vor sich hin. „Und wenn ich wiederkomme, will ich endlich wieder in Ruhe arbeiten. Das ist ja keine Art. Nichts als Nerven kostet das hier. Ich hab’s doch gleich gesagt …“ „Er hat einen merkwürdigen Sinn für Humor“ erklärte Noah dem verdutzten Tjergen. „Er ist gar nicht sauer, weil ich mich daneben benommen habe?“ „Ach was. Er ist Mokis großer Bruder, er hat schon ganz andere Sachen erlebt.“ „Aber er hat so einschüchternd geguckt.“ Da wurde selbst der sonst so selbstbewusste Tjergen klein ohne Hut. Eigentlich entschuldigte er sich nicht, aber wer sich erst mal in Setos eiskalten Augen spiegelte, der fühlte sich sofort angeklagt. „Seto weiß, dass du Mokis Freund bist. Selbst wenn er dich nicht mögen würde, würde er dich nicht zusammenstauchen. Er hatte nur einfach von Anfang an keine Lust auf Pegasus und da ich mich ausgeklinkt habe, zieht sich das Ganze jetzt in die Länge und das passt ihm nun mal nicht. Denke dir nichts dabei. Wir trinken jetzt erst mal einen Whiskey zusammen.“ „Soll ich den Anrufbeantworter anmachen? Ich bin dann wohl mal auf Dienstgang“ fragte Svala, die ihrem Chef offensichtlich Gesellschaft leisten sollte. „Stell die Anrufe bitte nach Domino um“ bat Noah. „Und pass auf, dass Seto sich nicht zu sehr mit Eis und Sahne vollstopft. Sonst kriegt er wieder was von Yugi zu hören.“ „Mache ich. Dann bis HUCH!“ „Entschuldigen Sie bitte“ lachte Pegasus und hob abbittend die Arme als sie beim Umdrehen direkt gegen ihn rannte. „Mr. Pegasus. Entschuldigen Sie“ bat sie schnell. „Ich habe Sie nicht gesehen.“ „Der ist ein Leisetreter. Kommen Sie jetzt!“ rief Seto sie von hinten. Der hatte Bock auf Eis und wollte los. JETZT! „Mach’s gut, Setolein!“ winkte der ihm nach, aber wandte sich dann an Noah. „Darf ich hereinkommen?“ „Um ehrlich zu sein, ist es gerade etwas unpassend“ bat Noah, stand auf und ging ihm entgegen. „Können wir vielleicht morgen weitermachen oder uns später zum Dinner treffen?“ „Ich möchte ja gar nichts Schlimmes. Ich möchte mich entschuldigen. Besonders bei Ihnen.“ Er blickte über Noahs Schulter zu dem zusammengefalteten Model, das sich die noch immer laufende Nase tupfte. „Das war ziemlich unfair von Ihnen“ antwortete Tjergen frech. „Die KC so vorführen und ausstechen zu wollen. Das ist echt link.“ „Ich gebe zu, das war nicht die feine, englische Art. Oh, Whiskey! Darf ich?“ Er ließ sich also selbst herein, lehnte die Tür hinter sich an und ging zu dem Tablett, wo er die Flasche griff und das Etikett las. „Ah, ihr habt also auch einen Präsentkorb von Protigé Productions bekommen?“ „Ja, sie werben viel im Moment“ bestätigte Noah und sah sich also genötigt, ihm eines der Gläser zu geben. „Hier, Pegasus. Trinkst du einen mit?“ „Nein, ich werde heute noch gefahren“ lachte er und stellte den Whiskey zurück. „Ich habe diesen Tropfen schon probiert und hatte nach zwei Gläsern Kopfschmerzen. Der Whiskey im Präsentkorb von Liqium Limited hat eine viel bessere Qualität.“ „Tut mir leid. Den hat Joey sich schon unter den Nagel gerissen.“ „Ich lasse euch mal einen unserer Gourmetkörbe schicken, Kaiba. Da seht ihr mal wie man es richtig macht.“ „Na, wenn du es sagst.“ „Nach dem heutigen Tage bin ich wohl jedem von euch dreien einen Präsentkorb schuldig“ sagte er und sah herab zu dem gekränkten Model. „Und Ihnen noch viel mehr, Tjergen. Ich darf doch Tjergen sagen?“ „Für Sie immer noch Terry, wenn überhaupt“ antwortete er trotzig. „Dass Sie mir so ein Angebot unterbreiten und mich hier als Marionette ihrer perversen Spielchen nutzen, ist wirklich niederträchtig, Mr. Pegasus.“ „Genau deshalb suche ich nochmals das persönliche Gespräch. Terry, Kaiba“ nickte er und steckte eine Hand in seine Hosentasche, während er die andere zum Gestikulieren nutzte. „Ich hatte durchaus Kenntnis davon, dass Mr. Shawns das geplante Gesicht der Kaiba Metronline für BI abwerben wollte und ich hatte auch Kenntnis davon, dass es sich dabei um den Stern Terry Manison handelt. Um ehrlich zu sein, war ich sogar sehr dafür, dass Sie, Terry, unsere Marke repräsentieren und es wäre ein großer Gewinn für uns gewesen, hätten Sie ihren Vertrag mit der KC gelöst.“ „Ach.“ „Für unser Vorgehen jedoch muss ich mich entschuldigen. Kaiba, es war nicht meine Absicht, dich oder deine Kollegen zu brüskieren. Für gewöhnlich führen wir einen offenen Wettbewerb und arbeiten nicht mit so linken Tricks und das weißt du auch. Ich werde mit Mr. Shawns und Mr. McGanner sprechen und verbürge mich dafür, dass meine Vorstände sich solch eine Geschäftsphilosophie gar nicht erst angewöhnen. Zumindest nicht euch gegenüber.“ „Ist gut. Entschuldigung angenommen, Pegasus“ nickte Noah und schüttelte ihm die Hand. „Aber vielleicht solltest du auch Terry …“ „Natürlich. Nichts anderes hatte ich vor. Terry.“ Er sah ihn lächelnd an und strich sich das weißsilberne Haar zurück. „Ich entschuldige mich in aller Form bei Ihnen. Es war nicht meine Intention, Sie bloßzustellen oder als Spielball zwischen zwei konkurrierenden Unternehmen zu benutzen. Unser Angebot steht natürlich zur Ihrer Verfügung, jedoch vermute ich, Sie nicht mehr von Ihrer Entscheidung abbringen zu können, oder?“ „Ich werde meinen Vertrag mit der KC nicht lösen. Vergessen Sie’s Pegasus.“ „Schade, habe ich denn wirklich keine Chance?“ lachte er und versenkte die Hand wieder in der Hosentasche. „Was kann ich tun, um Sie doch noch für uns zu gewinnen? Wo kann ich unser Angebot noch nachbessern?“ „Feuern Sie Joshua.“ Daraufhin lachte Pegasus nur. Erwartungsgemäß ließ er sich nicht vorschreiben, mit wem er arbeitete. Erst recht nicht von einem Model. „Lachen Sie nicht. Das war mein Ernst.“ „Nun, ist es wirklich das, was Sie wollen?“ fragte er und setzte erneut sein undurchsichtiges Lächeln auf. „Wenn ich Ihnen verspräche, dass Sie weder mit Ihrem Ex noch mit Mr. Shawns zusammenarbeiten müssten, sondern mit mir höchstpersönlich - das wäre doch eine Verhandlungsgrundlage, welche man bei einem zwanglosen Dinner besprechen könnte, nicht wahr?“ „Ich bin nicht käuflich, Mr. Pegasus. Und ich bleibe unter Vertrag, wo ich bin.“ „So etwas ähnliches habe ich mir schon gedacht. Trotzdem, einen Versuch war es wert.“ Er zwinkerte Noah zweideutig zu und griff in die Innentasche seines hellblauen Sommerjacketts. „Nun, Terry, falls Sie jedoch noch nichts anderes vorhaben, steht weiterhin jedes meiner Angebote.“ Und mit der Darbietung seiner hochbegehrten Visitenkarte betonte er: „Besonders das Angebot eines zwanglosen Dinners.“ „Soweit ich informiert sind, sind Sie verwitwet und nicht schwul“ erwiderte er mit skeptischem Blick und Noah goss sich lieber ein Glas Kopfschmerzwhiskey ein. Wie Tjergen so dasaß, die Beine überschlagen, die Arme verschränkt und diesen unbeugsamen Blick in seinen dunklen Augen - genau wie Mokuba - zum Niederknien. „Nun. Aber ich bin noch einige Tage in Blekinge und das ohne Gesellschaft. Ich denke, es ist Fug und Recht, mich mit einem Dinner Deluxe bei Ihnen persönlich für das Vorgehen meines Strategiechefs zu entschuldigen.“ „Was auch immer Sie planen, ich werde nicht mit Ihnen ins Bett steigen. Und auch nicht auf dem Rücksitz, der Abstellkammer oder sonstigen Orten mit Ihnen verkehren. Ich werde Ihnen nicht mal einen Handjob oder sonstige kleine Gelüste erfüllen. Das können Sie sich abschminken.“ Und Noah grinste in sich hinein. Tjergen war toll, einem mächtigen Mann wie Pegasus einen so überdeutlichen, ungenierten Korb zu erteilen. Darauf goss er sich den scharfen Whiskey die Kehle hinab. „Mr. Terry Manison, ich bin ein kultivierter, wohlerzogener Mann mit adligen Wurzeln in England und Griechenland.“ Doch der ließ sich davon nicht aus der Ruhe bringen und sich erst recht nicht beleidigen. „Es liegt nicht in meiner Absicht, Sie zum Abendessen auszuführen, nur um Ihnen danach in meiner Suite ein kleines Frühstück servieren zu lassen. Ich suche lediglich nach ein wenig Gesellschaft zum Dinner. Nicht mehr und nicht weniger. Zwanglos und ohne wirtschaftlichen Hintergrund. Wir werden nicht einmal über Ihre oder meine Arbeit sprechen, wenn Sie dies nicht wünschen.“ „Ich weiß ja nicht.“ „Überlegen Sie es sich. Ich will wahrscheinlich weniger von Ihnen als Sie denken“ lächelte er und legte seine Karte auf das Tablett. „Ich schicke Ihnen meinen Fahrer um 20 Uhr und lasse ihn eine halbe Stunde warten.“ „Was soll das werden? Unlauteres Headhunting?“ Mokuba kam mit festen Schritten herein und bedachte Pegasus mit einem nicht weniger unsympathischen Blick wie Tjergen eben. „Oh, der junge Kaiba. Schön, dich zu sehen, Mokuba.“ „Steck dir das Getue an den Hut, du Bazille.“ „Moki, bitte“ bat Noah der Höflichkeit halber. In Wirklichkeit amüsierte er sich prächtig, doch das musste er Pegasus ja nicht aufs Brot schmieren. „Ist doch wahr. Was baggert der hier an unserem Tjergen rum?“ „Mr. Pegasus hat nicht gebaggert. Vielleicht bin ich einfach nur mit den falschen Typen ausgegangen“ sagte Tjergen und nahm die Karte vom Tablett. „Ich werde mir Ihre Einladung durch den Kopf gehen lassen. Aber erwarten Sie lieber keine Zusage.“ „Damit kann ich leben“ lächelte er und nickte freundlich in die Runde. „Terry, Mokuba. Kaiba, wir sehen uns morgen. Und entschuldige den heutigen Aufruhr. Die versprochenen Präsentkörbe werde ich von Mr. MacGanner und Mr. Shawns persönlich packen lassen.“ „Sehr zuvorkommend von dir“ schmunzelte Noah. „Und jetzt zieh Leine“ zeigte Mokuba auf die Tür. „Dir auch einen schönen Abend. Verrätst du mir noch, wo hier in der Nähe ein italienisches Eiscafe ist?“ „RAUS!“ „Ich werde mich schon zurechtfinden. Macht’s gut, ihr Süßen.“ Damit winkte er über seine Schulter und empfahl sich für heute. „Und mach gefälligst die Tür hinter dir zu!“ Er stapfte hinter ihm her und schmiss die Tür ins Schloss. „So, was war hier wieder los? Die Infos am Telefon waren mehr als unbefriedigend“ stellte er die beiden umgehend zur Rede. „Genau das, was ich dir schon berichtet habe“ wiederholte Noah. „Industrial Illusions haben versucht, Terry abzuwerben und der hat Mr. McGanner vor versammelter Mannschaft zusammengefaltet.“ „Gute Arbeitet. Hat er geheult?“ fragte Mokuba und plumpste neben ihn. „Nein, aber er war sehr nervös, weil ich ihn vor Mr. Pegasus geoutet habe.“ „Kann dir doch wurscht sein“ zuckte er mit den Schultern. „Und wie fühlst du dich dabei?“ „Zuerst war ich gekränkt und zornig“ erzählte er und drehte die weiße Visitenkarte mit dem silbernen Flügelpferd in der Hand. „Aber jetzt tut’s mir eigentlich nur leid, dass ich mich so habe gehen lassen. So auszuflippen ist ein Zeichen von Schwäche.“ „Ach was. Die Ratte hat’s doch nicht anders verdient. Noah, seit wann trinkst du Whiskey?“ „Ihr beiden im Doppelpack seid zu viel für mich“ lachte er und setzte sich mit einem neu gefüllten Glas Ihnen gegenüber auf den Sessel. „Noah hat mich ganz lieb getröstet“ erklärte Tjergen. „Habt ihr geknutscht?“ „Häschen!“ „Ich frage doch nur.“ „Noah hat mich wirklich aufgeheitert und abgelenkt. Sonst würde ich jetzt wahrscheinlich gerade mein Hotelzimmer zertrümmern.“ „Hättest mich anrufen können. Im Zertrümmern bin ich echt gut.“ Er lächelte ihn an und legte seine Hand auf Tjergens Knie. „Und wie fühlst du dich wirklich?“ „Das weiß ich noch nicht. Irgendwie fertig.“ „Das kann ich mir vorstellen. Ist nicht einfach, den Mann zu verlassen, den man liebt, oder? Aber es ist besser so. Er hat dich nicht verdient.“ „Nein, ich meine nicht fertig im Sinne von müde. Mehr im Sinne von … ich weiß nicht. Als hätte ich ein Buch ausgelesen und es dem Bibliothekar an den Kopf geworfen. Ich glaube, ich habe einen Schlussstrich gezogen.“ „Und was willst du als nächstes lesen, Tjergen?“ fragte er mit einfühlsamer Zärtlichkeit in der Stimme. „Auf jeden Fall keine Fernsehzeitschrift mehr“ entschied er und fingerte ratlos an der weißen Visitenkarte herum. „Ich mache jetzt Schluss mit den ewigen Liebschaften. Das führt doch zu nichts außer dazu, dass ich mich noch einsamer fühle.“ „Tjergen … du bist nicht einsam. Wir sind doch für dich da. ICH bin für dich da.“ „Das ist lieb von dir, Mokuba“ erwiderte er mit einem sanften Lächeln. Noah spürte, dass das zwischen den beiden etwas Besonderes war. Für Tjergen war Mokuba der erste echte Freund. Und Mokuba fand in Tjergen eine Bestätigung und gleichzeitig einen Ansporn für sein Leben. „Ich glaube, ich werde eifersüchtig“ flüsterte er in sein Glas. „Hast du was gesagt, Hase?“ „Nein.“ Lieber nicht. Lieber nippte er an seinem zweiten Glas und fühlte schon einen leichten Schwindel im Kopf. Er trank nicht so häufig hochprozentig - also war dieses Glas das letzte in diesem Jahr. „Mein nächster Mann wird mich so nehmen wie ich bin und er wird mich nicht verleugnen oder benutzen“ beschloss Tjergen ernst. „Ich werde ihn suchen und wenn ich ihn erst gefunden habe, mache ich ihn zu meinem Eigentum. Ab jetzt gibt es nur noch Echtes in meinem Leben. Nur noch Klassiker der Literatur.“ „Dazu gehört der hier aber nicht“ warnte Mokuba und schnappte sich geschwind die Karte aus Tjergens Fingern. „Seine Privatnummern … Noah, ist Pegasus eigentlich schwul?“ „Er war mit einer Frau verheiratet“ erwiderte der. „Und Cecilia war angeblich ein zartes, wohlbehütetes Fräulein. Tjergen passt nicht in sein Beuteschema.“ „Hältst du es für möglich, dass er ihn trotzdem ins Bett kriegen will?“ „Ich glaube es nicht, aber für unmöglich halte ich es auch nicht. Tjergen ist ein Typ, auf den auch Männer anspringen. Aber selbst wenn“ überlegte er mit einem Nippen am Gläschen. „Pegasus ist ganz sicher nicht der Typ für billige Anmachen und bestimmt auch nicht für billigen Sex. Dafür ist er zu kultiviert. Terry, wenn er was von dir wollen würde, würde er dich auf die klassische Art verführen. Wenn du meinen Rat haben willst, dann geh mit ihm essen und genieße den Abend.“ „Da bin ich nicht für“ intervenierte Mokuba. „Pegasus ist ne linke Bazille. Der will Tjergen doch nur für seine Zwecke einspannen.“ „Selbst wenn das so wäre, hätte ich genug Vertrauen darin, dass Terry nichts tut, was uns schadet. Du solltest vor allem nichts tun, was dir schadet, Schätzchen.“ „Das habe ich mir schon versprochen“ sagte er und nahm Mokuba freundlich die Karte wieder ab, betrachtete sie eingehend. „Ich sage doch, für mich gibt es nur noch Klassiker. Und ich finde, nachdem Josh so was abgezogen hat, steht es mir zu, dass jemand dafür blutet.“ „Das klingt schon eher nach dir“ kommentierte Mokuba beruhigt. „Ich werde mir was Heißes anziehen, mich kühl geben, ihm unangenehme Fragen stellen und mir nur das Teuerste von der Karte ordern. Und wenn er irgendwelche Geschäftsgeheimnisse verrät, schicke ich dir sofort ne SMS. Ich werde mich so richtig schön ablenken.“ „Aber pass auf dich auf“ bat Noah ernst. „Ich vertraue dir, aber mit Pegasus ist nicht zu spaßen. Ich glaube nicht, dass er dir etwas tun würde, aber vergiss über seine tuckige Fassade nicht, dass er knallhart ist. Sonst wäre er nicht so erfolgreich.“ „Ich habe mich noch nie von einem Mann zu irgendwas überreden lassen. Außerdem ist Pegasus viel zu jung für mich.“ „Noah, wie alt ist Pegasus denn?“ fragte Mokuba. „Soweit ich weiß, ist er letzten Monat 43 geworden.“ „43?“ staunte jetzt sogar Tjergen. „Er sieht aus wie höchstens 35.“ „Wie gesagt, lass dich von seiner Fassade nicht täuschen, Terry.“ „Also doch dein Beuteschema“ mutmaßte Mokuba skeptisch. „Tjergen lass es lieber. Pegasus ist nicht gut für dich.“ „Es ist doch nur ein Abendessen.“ „Denkst du, der lädt dich einfach so ein, weil er einsam ist oder du ihm leid tust? Nein, da steckt was dahinter.“ „Ich weiß, was ich tue“ betonte er, faltete die Karte und ließ sie in seiner Gesäßtasche verschwinden. „Mich hat noch nie ein Mann rumgekriegt. ICH bin derjenige, der sich die Männer gefügig macht. Wenn ich etwas kann, dann das. Und da bildet ein Pegasus keine Ausnahme.“ „Ruf mich auf jeden Fall an, wenn du zurück bist. Und erzähl mir alles“ forderte Mokuba streng. „Und wenn er aufdringlich wird, kipp ihm dein Glas ins Gesicht.“ „Mache ich. Das wollte ich eigentlich schon immer mal machen.“ Chapter 52 Schneller als gedacht stand dann bereits der Freitagabend an und nach langer Zeit kam man mal wieder zum Feiern. Auch wenn der Grund, dass Marik in die Abgeschiedenheit der Wüste zurückkehrte nicht wirklich ein Grund zum Feiern war, so beschloss zumindest Yami, dass man doch das baldige Wiedersehen feiern könne. Und wie sollte man sich wiedersehen, wenn man nicht wegging? Das war wie Versöhnungssex ohne Streit - absolut doof. Der Vergleich hinkte zwar ein bisschen, aber mit zwei zugedrückten Augen, ging das als Begründung durch. Vor allem Yami freute sich, dass er mal wieder mit allen zusammen feiern konnte und der neu eröffnete Club sagte ihm auch zu. Es gab eine lange, eine sehr lange Bar mit artistischen Cocktailmixern und eine Lounge mit ausreichend großen Möbeln zum Knutschen und bei Bedarf auch mehr (in Yamis Fantasie). Die Tische am Rande und im Nebensaal, wo man auch etwas Essen serviert bekam, interessierten ihn weniger, aber die Tanzfläche war sofort seine. Die Musik bewegte sich im Bereich Elektro bis Pop, eher Mainstream mit Clubmix, was für die Masse zufriedenstellte. Doch es lag ein Programm aus, welches auch Themenabende wie Jazz, Techno oder British Pop versprach. Multifunkional war geplant. Aber für heute gab’s einfach Cocktails zu halben Preisen und ne Menge feierwilliger Leute. Bis auf wenige Ausnahmen waren auch alle mitgekommen. Dakar blieb daheim, weil feiern nicht seinen Vorlieben entsprach und so passte er eben auf die schlafenden Kinder auf. Mit fleißiger Unterstützung von Marie, welche sich viel zu rund und zu schwerfällig zum Tanzen fühlte und Sareth, welche zwar gern mitgefeiert hätte, aber mit zwölf Jahren definitiv zu jung war. Selbst Narla hatte mit ihren 18 Jahren Probleme, am strengen Türsteher vorbeizukommen. Dafür sah Balthasar weit älter als 16 aus und wurde nicht nach einem Ausweis gefragt. Und Phoenix wäre wahrscheinlich gar nicht reingekommen, aber Yami sorgte lebensriskant für Ablenkung -und lernte dabei, dass dieser Club keinen Darkroom hatte - sodass Tato seinen kleinen Liebhaber geschwind hindurchschleusen konnte. Innen jedoch verlor sich die Gruppe schnell. Seto fand sich in tanzenden Massen nur schwer zurecht und so verpieselte er sich zuerst in eine passende Ecke in der Lounge und hielt dort Wache, damit kein Fremder die Plätze stahl. Balthasar achtete möglichst darauf, nicht mit seinem Bruder oder Tato zusammenzustoßen und auch der Rest kam und ging wie es ihm passte. Hauptsache es war immer jemand da, der Seto Gesellschaft leistete. „Jetzt sieh dir das an!“ Joey ließ davon ab, Seto die Getränkekarte wegzunehmen und wies zum Eingang. Dort kam eben Nika herein, welche gleich vier fremde Männer im Schlepptau hatte. Sie sah aber auch heiß aus. Das lange, schwarze Haar wild hochgesteckt und die Absätze waren so dünn und hoch wie Essstäbchen. Und sie trug tatsächlich das kurze, schwarze Minikleid, auf welches Tristan so abfuhr. Sie war mit Abstand das schärfste Gerät im Club. Nur leider fand das nicht nur Tristan, sondern auch viele andere Männer, welche sie kaum in Frieden ließen. Nun hatte sie genug getanzt und wollte mit Tea zurück in die Lounge, doch die Herren folgten ihr weiterhin. Für Seto war natürlich Tea die Hübschere von beiden. In einem geschmackvollen, dunkelgrünen Sommerkleid mit freiem Rücken, aber hoch geschlossen und knielang. Warum die Männer so hinter Nika her waren, verstand er gar nicht. Tea strahlte doch viel mehr Mütterlichkeit aus und trotzdem bekamen die Männer bei Nika das Sabbern, obwohl die doch selbst noch Resttestosteron hatte. Aber er realisierte auch, dass Nika diese Folgschaft nicht wirklich recht war. Sie fiel so geschafft neben ihn aufs Ledersofa. „Hier ist besetzt“ raunte er zwar nicht zu ihr, aber zu den vier jungen Männern, welche sich doch glatt in seine !!!SEINE!!! Loungeecke setzen wollten. „Das ist ein freies Land“ entgegnete einer der vier und übertrat sträflich die unsichtbare Schwelle zu seinem Revier. Und er setzte sich frech auf den Sessel, um einen Seitenblick in Nikas Dekolleté zu werfen. Nun sah Seto sich gezwungen, aufzustehen, sich zu voller Größe aufzurichten und um Joey herumzugehen, welcher schnell die Beine hochzog, um ihn durchzulassen. Der liebte es zu beobachten wie sein Drache sich zu stolzer Größe aufrichtete und mit kalten Augen zu dem Käfer zu seinen Füßen herabblickte. Und mit dunkler Stimme wiederholte er: „H i e r i s t b e s e t z t.“ Die drei anderen machten sofort wieder kehrt und waren nimmermehr gesehen. Nur der vierte saß noch und blickte zweifelnd zu dem Muskelriesen empor. „Hier … hier ist nicht reserviert.“ Seine Stimme war nun nicht mehr ganz so sicher und er begann nervös herumzurutschen. „Ich glaube, es ist besser, Sie gehen jetzt“ bat Seto mit kühlem Ton. „Ich würde mich gern ungestört mit meiner Freundin unterhalten.“ „Oh, Nika ist Ihre Freundin? Tut mir leid! Das wusste ich nicht! Verzeihung!“ Und schon flitzte er davon. Nikas Brüste und ihre Beine waren zwar ein Risiko wert, aber eine Auseinandersetzung mit Seto dann wohl doch nicht. „Danke“ seufzte die und griff die Getränkekarte, um sich Luft zu zu fächeln. „Die Typen fangen echt an zu nerven.“ „Selbst schuld, wenn du dich so freizügig kleidest“ meinte Seto und setzte sich auf seinen Platz zurück. „Du weißt doch wie Männer sind.“ „Ja, aber du bist anders“ lächelte sie ihm lieb zu. „Du hältst sie mir vom Leib.“ „Ich liebe es, wenn du das tust“ grinste Joey seinen mürrischen Drachen an. „Der hatte echt Muffe vor dir.“ „Ach, lasst mich doch alle in Ruhe. Wo bleibt der verdammte Kellner?“ „Da drüben ist echt ne Menge los“ entschuldigte Tea den armen Angestellten. „Die Bar kommt mit den Bestellungen kaum nach. Tristan und Marik stehen schon zehn Minuten an. Deswegen sind wir schon mal vorgegangen.“ „Und habt gleich nen Rattenschwanz an Männern hinter euch hergezogen“ stellte Joey fest und sah in die Richtung aus der sie kamen. „Und wo ist meine Freundin mit ihrem Minirock?“ „Um die mach dir keine Sorgen. Die ist härter als ich“ lachte Nika. „Eben hat sie doch tatsächlich dem Kerl hinter sich ihre Cola ins Gesicht geschüttet.“ „Du musst aber auch dazu sagen, dass er sie angetatscht hat“ ergänzte Tea. „Ey, was machen die mit meiner armen Freundin?!“ „Mach dir keine Sorgen. Narla weiß sich zu wehren“ beruhigte Nika und schlug ihre langen, nackten Beine übereinander. „Anfangs war’s ja noch witzig, aber je später der Abend, desto höher der Alkoholpegel und desto niedriger die Hemmschwelle. Das nächste Mal sage ich Tristan, er kann das kleine Schwarze selber anziehen.“ „Das würde Noah bestimmt gerne sehen“ lachte Joey und klopfte sich für seinen schlechten Scherz selbst auf die Schenkel. „Wo ist der überhaupt?“ fragte Seto, den das ganze hier ohne Yugi nervte. Yugi leistete Yami auf der Tanzfläche entweder Gesellschaft oder beaufsichtigte ihn. Auf jeden Fall war er nicht hier. Und überhaupt trieben sich alle woanders rum. Und Joey nervte auch nur. Und er kam hier nicht weg, weil außerhalb seiner Sitzecke alles voller Leute war, die keine Rücksicht auf Höflichkeitsabstand nahmen. „Na ja, gute Frage“ überlegte Nika und blickte zum Eingang des Loungsbereiches hinaus. „Terry und Mokuba sind zusammen tanzen und Noah ist irgendwie verschwunden … ich glaube, er ist mit Tato und Phoenix etwas essen gegangen. Oder?“ „Ich habe Noah das letzte Mal vor einer Stunde an der Bar gesehen“ erinnerte Tea sich. „Aber eine Stunde ist auch schon eine Weile her. Und wusstet ihr, dass Sethan tatsächlich auch aufgetaucht ist?“ verkündete Tea und deutete den Gesichtsausdruck der beiden Männer als Nein. „Noah hat ihm einen Platz neben sich und Balthasar an der Bar erkämpft und sie haben Sektchen getrunken.“ „Und Marik ist jetzt auch an der Bar“ wiederholte Joey mit großen Augen. „Gibt’s schon Berichter über Tote?“ „Nein, eigentlich alles friedlich. Jedenfalls bis vorhin. Ich hab’s nicht richtig gesehen“ erklärte Tea genauer. „Noah saß recht weit vorn an der Bar und ich war hinten. Was da jetzt los ist, musst du dir selbst ansehen.“ „Weißt du was? Das mache ich auch.“ Er stand auf und ordnete sich sein kreischend rotes Hemd. „Und nebenbei gebe ich ein bisschen mit Narlas Minirock an. Ich darf das nämlich! Jawohl!“ „Du bist der Größte.“ „Hast du was gesagt, Muto?“ „Nein. Geh Weibergaffen, Wheeler.“ „Du bist nur neidisch, weil ich so ne hübsche Freundin habe“ entschied er, ignorierte Setos bösen Blick und tanzte Richtung Menschenmasse hinaus. Jetzt wo die beiden Mädels da waren, musste er ja nicht mehr auf den Drachen aufpassen. „Möchtest du wirklich nicht zur Tanzfläche?“ fragte Nika den vor sich hinblubbernden, schlechtgelaunten Drachen. „Du musst ja nicht tanzen, aber es gibt Livemusik. Der DJ macht wirklich Spaß.“ „DJ. Pfff“ pfiff er und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Lieber beobachtete er die wabernde Menschenmenge als dass er sich da selbst hineinwagte. „Das hier ist ne echte Qual für dich, was?“ fragte sie etwas mitleidiger. „Nein, solche Clubs sind nur nichts für mich“ antwortete er trocken. „Das nächste Mal suchen wir etwas, was dir gefällt. Vielleicht ein klassisches Konzert“ schlug Nika vor und bekam von Tea ein eifriges Nicken. „Blekinge hat doch ein Stadtorchester. Die geben bestimmt auch Konzerte.“ „Hauptsache Marik hat seinen Spaß“ meinte er und betrachtete die feiernden Leute mit ihrem Gesang, ihren Cocktails und ihrer Ausgelassenheit. Nur weil das hier nicht sein Stil war, hieß das ja nicht, dass er es verteufelte. Zumindest war er mitgekommen, um Marik eine Freude zu machen. Schließlich war das hier seine Abschiedsparty. „Seto ist zu gut für diese Welt“ seufzte Tea und bekam nun von Nika ein eifriges Nicken. „Soll ich mal gucken, wo deine Getränkebestellung bleibt?“ „Brauchst du wohl nicht mehr“ zeigte Nika nach vorn. Dort kamen eben Noah, Sethan und Balthasar mit Tabletts voll Getränken bewaffnet. Jeder trug mindestens drei Gläser. „Hallo Jungs!“ „Hi Mädels. Lasst mich raten“ lächelte Balthasar und stellte Seto gezielt den einzigen Becher vor die Nase. „Die heiße Schokolade ist bestimmt für dich.“ „Kann nicht sein“ brummte der mit kritischem Blick auf das dampfende Braun. „Da ist keine Sahne drauf.“ „Also hat noch jemand anderes warmen Kakao bestellt?“ „Nein, aber ich wollte mit Sahne.“ Doch Noah schlichtete. „Ich glaube, du kannst froh sein, dass du überhaupt etwas bekommst, was nicht unter die Bezeichnung ‚Drink‘ fällt.“ Er stellte das Tablett auf dem Tisch ab, setzte sich auf den Sessel und drehte den gelben Strohhalm in seinem quietschgrünen Drink. „An der Bar ist die Hölle los. Die Cocktails kosten heute eh nur die Hälfte und jetzt ist nach Mitternacht auch noch Happy Hour.“ „Ich glaube, der Barmann hätte uns am liebsten geknutscht, als wir ihm gesagt haben, dass wir die Getränke selbst …“ erzählte Balthasar, aber stoppte dann und sah sich um. „Leute, ich glaube, wir haben Tristan verloren.“ „Der war ebnoch hinder mir“ fiel auch Sethan nun auf. Bei dem hörte man schon, dass er mehr als nur einen Cocktail getrunken hatte. Er sah irgendwie auch etwas müde aus … kein Wunder, dass er da jemand anderen aus den Augen verlor. „Ich glaube, der hat sich mit Joey verquatscht“ vermutete Noah. „Der ist uns nämlich eben entgegengekommen. Tristan ist eh erstaunlich gesprächig.“ „Oh je.“ Das kannte Nika schon. Tristans berühmte ‚Gesprächigkeit‘. „Meine Fresse, ich will nach hause“ murrte Seto. Das war ihm hier alles zu viel. Ein Kommen und Gehen und Wo War Wer und Warum? Warum konnten sie nicht zuhause anstoßen wie sonst auch? Und dann gab’s zur heißen Schokolade nicht mal Sahne. Und Yugi war nicht bei ihm. Das war alles ganz ganz ganz furchtbar. „Und warm ist mir auch.“ „Heeeyyy! Du bist das!“ Tristan war gar nicht verloren gegangen. Marik schob ihn vor sich her und in Richtung des beruhigteren Geländes. Und er brachte gleich zwei Bier mit. „Schaut mal, wen ich vorm DJ-Pult gefunden habe“ stellte er vor und die Biergläser auf den Tisch. Dabei bemerkte er Sethans Blick und erwiderte ihn kurz. Doch bevor die beiden etwas sagen konnten, plumpste Tristan neben Balthasar und erschlug ihn fast dabei. „Ey, pass doch auf!“ „Tschuldigung“ lachte er und streckte genüsslich seine Beine aus. „Du bist so sexy.“ „Wer? Ich?“ Balthasar fiel aus allen Wolken. „Danke.“ „Du findest ihn sexy?“ lachte Nika. „Wirst du jetzt doch schwul?“ „Nein, dafür muss es noch ein bisschen weniger regnen. Dann riecht es so … so … irgendwie nach Asphalt. Wie früher.“ „Asphalt. Wie früher“ wiederholte Balthasar. Was hatte denn das jetzt damit zu tun, dass Tristan ihn fast zerquetscht hätte? „Ich glaube, ich muss Mama mal wieder anrufen.“ Er griff sich ein Bier vom Tisch und nahm einen tiefen Schluck. „Ach?“ Balthasar verstand nur Bahnhof. „Warum?“ „Sie hat erst im Dezember Geburtstag. Genau wie Jesus.“ „Jesus. Genau.“ „Ich mag am liebsten Wassergläser. Die sehen gut aus mit Eiswürfeln drin. Und haben nicht so einen metallischen Geschmack. Nein danke, das Brot ist schon kalt. Warum schafft ihr euch keinen Ofen an?“ „Tristan, mit wem redest du überhaupt?“ „Lass ihn, Balthasar“ winkte Nika wissen ab. „Der ist hackevoll.“ „Genau DICH meine ich!“ lachte er und zeigte mit ausgestrecktem Arm und ausgestrecktem Finger auf Nika. „DUUUUU bist so sexy!“ „Ich weiß“ zwinkerte sie zurück. „Wie viele Bier hast du denn getrunken, Schatz?“ „Du bist so witzig!“ Er begann zu lachen, lehnte sich zurück und lachte einfach, weil alle Leute so unheimlich witzig waren. Nur außer ihm hatte den Witz niemand verstanden. „Er lallt gar nicht“ bemerkte Marik, lehnte sich herüber und nahm dem kichernden Tristan das Bierglas wieder aus der Hand. „Und torkeln tut er auch nicht.“ „Das ist normal. Er redet einfach nur Unsinn und ist harmlos“ seufzte Nika und sah ihn verliebt an. „Süß, oder?“ „Und ich Trottel bechere mit ihm noch weiter“ entschuldigte er sich und stellte das Glas schööööön weit weg. „Ich wusste nicht, dass er schon besoffen ist.“ „Ach was, der hat seinen Spaß. Nicht wahr, TRISTAN? HAST DU SPASS?“ „Was?!“ Er hörte auf zu lachen und sah sie erstaunt an. „Hey, du bist das!“ „Ja, stell dir vor. Ob du Spaß hast, will ich wissen.“ „Weißt du, was jetzt schlecht wäre? Ein Arschgeweih. Das wäre richtig schlecht.“ „Aber wir haben ja keines, oder?“ „Nein“ schüttelte er den Kopf und kippte dabei leicht zur Seite, sodass Balthasar ihn sanft wieder zurückschob. „Hey du, Balthasar!“ „Hey was?!“ quakte der zurück. „Du rutscht mir auf den Schoß, Mann.“ „Ich habe nur meine Freundin gesucht.“ „Die sitzt aber da drüben und nicht hier auf meinem Schoß!“ „Ich weiß. Sie ist so sexy“ grinste er fröhlich. „Sexiest Woman alive. Spiel ein Lied für sie! I’m too sexy for my lala is going to leave me!“ „Jetzt verstehe ich auch, was der DJ wollte“ lachte Marik und klatschte sich an die Stirn. „Tristan hat sich ein Lied gewünscht und der hat sich angebaggert gefühlt.“ „Du hast den DJ angebaggert?“ lachte nun auch Nika. „Was für Vorwürfe, Frau Sexy. Ich bin Ingenieur und kein Baggerfahrer.“ „Du kannst im betrunkenen Zustand das Wort Ingenieur aussprechen?“ staunte Balthasar ganze Bauklotztürme. „Sethan, sag du doch mal Ingenieur.“ „Ha ha“ guckte der verschwommen zu ihm. „Geh na hause, Baldahahasa.“ „Ja, komm nach hause, Mama.“ Tristan klopfte sich auf die Knie und lächelte seiner sexy Frau zu. „Komm zu Papa.“ „Du bist so süß, wenn du gesoffen hast.“ Sie erhob sich, stieg mit ihren langen, unverhüllten Beinen über den schmalen Tisch und stand auch schon vor ihm. Lasziv blickte sie auf ihn herab und er wurde davon ganz rot um die Säufernase. „Na, Papa? Was nun?“ „Dhu bhist so sexhy“ hauchte er bewundernd zu ihr hinauf. „Alle wollen dich angrabbeln, oder? Du hättest das sexy Nuttenkleid nicht anziehen dürfen.“ „Vorhin hast du noch was ganz anderes erzählt. Aber mach dir keine Sorgen. Ich bin ein braves Mädchen.“ Sie nahm seine Hände, fuhr damit ihre Hüften hinauf und legte sich seine Handflächen an den prallen Po. Dann schlug sie ein Bein herüber und setzte sich eindeutig herausfordernd auf sein Knie. Sie beugte sich nach vorn und er konnte gar nicht anders als da hinzusehen, wo die anderen Männer nur zu gern mal hinlangen würden. „Du bist so süß“ schmunzelte sie über seine riesigen, runden, geschockten, glänzenden Augen. „Du bist so sexy, Mama.“ „Nika. Mann. Du bist ne Waffe.“ Und Balthasar drehte sich weg. Da konnte man ja gar nicht hingucken. „Beschwere dich nicht. Er ist doch ruhig jetzt“ lachte sie, lehnte sich ganz nach vorn und kuschelte sich an ihren erstarrten Mann, der nun mündlich und geistig ausgeknockt war. Und er war der Einzige, der ihren Arsch angrabschen durfte, ohne sich einen Tritt in die Kronjuwelen einzuhandeln. „Du hast aber auch schon einen intus, oder?“ bemerkte Balthasar mit skeptischer Mine. So aufreizend billig gebärdete sich die sonst kultivierte Nika auch nicht. „Ach, die zwei Martini“ schmunzelte sie. „Kann gar nicht sein. Wir haben Sex On The Beach getrunken“ berichtigte Tea. „Und wir beiden haben vorhin einen Red Frog getrunken“ ergänzte Marik. „Und ganz am Anfang hast du noch Setos Begrüßungssekt bekommen“ finalisierte Noah die Liste. „Nika, ich glaube, du solltest jemandem deine Autoschlüssel geben.“ „Ach, wir fahren mit dem Taxi. Nicht wahr, Schatz?“ Aber Tristan konnte dazu gar nichts mehr sagen. Nicht solange sie auf seinem Knie saß. „Ich habe gefragt, ob wir nachher Taxi fahren, Schatz“ „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinem Nächsten“ antwortete der. „Du bist so katholisch“ kicherte sie. Ja eindeutig, sie war auch stark angeschwipst. „Seid ihr denn alle besoffen?“ fragte Seto mürrisch. Tristan und Nika waren nicht ganz bei Trost, Tea trank schon den zweiten Cocktail, Sethan schlief gleich im Sitzen ein und überhaupt waren alle am Saufen. „Also, ich bin noch stocknüchtern. Der ist alkoholfrei“ zeigte Noah seinen giftgrünen Drink. „Ich bereite mich darauf vor, nachher mein besoffenes Häschen und seinen nicht minder besoffenen Modellfreund nach hause zu fahren.“ „Und ich mache nach meinem zweiten Bier Schluss“ versprach Balthasar. Der war nämlich noch nicht alt genug um Alkohol in Clubs zu bekommen. Eigentlich durfte er vom Jugendschutzgesetz her nicht mal hier sein. Und wenn er nun auch noch betrunken nach hause kam, würde Marie ihm wahrscheinlich so einiges erzählen. „Undu?“ fragte Sethan mit schwerer Zunge und sah Marik verschwommen an. „Ich sollte jetzt auch langsam aufhören“ antwortete er und hielt sich an seinem halben Bier eher noch fest als dass er es wirklich trank. „Ich habe mich vorhin mit Mokuba unterhalten und irgendwie hat mir das Angst gemacht.“ „Warum? Redeter schon wieder wirresseug?“ „Nein, ich habe ja kaum verstanden, was er sagt“ musste er zugeben. „Da habe ich gedacht, so will ich den Abend nicht beenden. Und vor allem morgen nicht so verkatert sein.“ „Moki bekommt keinen Kater. Das ist ja das Problem“ seufzte Noah und stand aus dem Sessel auf. „Ich glaube, ich werde mal nach ihm sehen. Dein Bericht macht mir jetzt auch ein bisschen Angst und ich will ihn morgen nicht auf der Titelseite meiner Tageszeitung sehen.“ „Bring mich bitte unterwegs bei den Toiletten vorbei“ bat Tea, stieg ihm nach und hakte sich in seinen Arm. Mit einem großen Mann wie Noah gelangte man leichter durch die tanzende Menge. „Und falls mein Freund hier vorbeikommt“ ermahnte er die anderen. „Sagt ihm, er soll Wasser statt Wodka trinken.“ „Und wir?“ fragte Nika und knutschte Tristans rote Nase. „Wollen wir heiraten?“ schlug er spontan vor. „Das können wir. Wenn du willst.“ „Dafür habe ich doch gar nicht das richtige Kleid an. Und du trägst keinen Smoking. Überlege dir das lieber noch mal.“ „Dann … was wollen wir dann machen?“ „Tanzen“ schlug sie stattdessen realistischer vor, hüpfte auf und zog ihn am Arm mit sich weg. „Komm, wir gehen tanzen.“ „Ich kann doch gar nicht tanzen, sexy Mama.“ „Aber ich liebe dich, wenn du es versuchst.“ „Also … wenn du mich dann liebst …“ „Tristan geht tanzen?“ Balthasar fiel hier bald ab vom Glauben. Wenn einer niemals tanzte, dann war das Tristan. Er tat ja vieles, aber gegens Tanzen hegte er eine Allergie. Und nun? Was ein paar Drinks so ausmachen konnten. „Das glaube ich erst, wenn ich’s sehe!“ Er nahm sich eine Cola vom Tablett und machte sich auf die Verfolgung. Am besten nahm er das gleich aufs Handy auf, damit Tristan ihm das morgen auch noch glaubte. Da waren es nur noch drei. Der mürrisch vor sich hinstarrende Seto, der müde beschwipste Sethan und der Marik, dessen Abschiedsparty allmählich in ein goßes Besäufnis ausartete. „Tut mir leid. Ich wusste ja nicht, dass das hier zum Besäufnis verkommt“ seufzte Marik und stellte sein warmes Bier weg. Doch bei diesem absurden Gedanken musste er auch etwas lachen. „Dass ihr aber auch solche Alkis sein müsst.“ „Ich nicht“ brummte Seto mit gelangweiltem Blick. „Mehr“ setzte er ernst hinzu. „Un Onkel Tado auch nich“ setzte Sethan lallend hinzu. „Un Spatz tringt aunich. Das gehd nich wegen sein Medikamenden.“ „Außerdem hatten wir lange nichts zu feiern“ entschuldigte Seto die anderen. „Also, dass du morgen zurückfliegst, ist eigentlich kein Grund zum Feiern, aber wir waren lange nicht mehr gemeinsam aus. Auch wenn ich in Clubs nicht viel Spaß habe, finde ich deine Idee gut, hier her zu gehen. So können die anderen mal wieder etwas ausgelassen sein.“ „Dann muss ich also mit keiner Schelte vom Boss rechnen?“ scherzte er. „Ich bin nicht dein Chef. Das sind Yugi und Yami. Und so wie ich die kenne, kriegst du eher noch ein Dankesschreiben in die Personalakte.“ „Das beruhigt mich. Ich bin dir übrigens sehr dankbar, dass du heute Abend auch mitgekommen bist. Obwohl das hier nicht deine liebste Location ist. Ich weiß, dass du Menschenmassen nicht besonders magst.“ „Schon gut. Machst ja auch jeden Mist für uns.“ „Na ja, Mist würde ich das nicht nennen. Ich bin sehr stolz auf meine Arbeit.“ Doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass der Priester gar nicht richtig zuhörte. „Eraseus, ist alles okay?“ „Was?!“ Er sah ihn schnell an, aber dann auch gleich wieder zum Ausgang des Loungebereiches. „War das eben Yugi?“ „Wo war Yugi?“ schaute Marik um die Ecke. „Ich habe nicht so einen guten Blick nach draußen.“ „Das war Yugi“ bestätigte Sethan, der zusammengesunken auf dem Sofa hing. „Ati klettert da hinden auf der Bar rum.“ „Und warum passt niemand auf ihn auf?“ „Machd Yugi doch. Beschdimmd.“ „Ja, bestimmt.“ Doch nun fand er keine Ruhe. Er saß hier fest und draußen tanzte ein wahrscheinlich total alkoholisierter Pharao auf der Bar. Was wenn er stolperte und dabei vielleicht auf Yugi fiel? Das wäre ganz schrecklich. Dann hätte Yugi eine Beule. EINE BEULE!!! „Bin gleich wieder da.“ Und schneller als man es realisieren konnte, war er hinausgestürmt. Rein in die Menge. Damit Yugi keine Beule bekam. „Was war das denn jetzt?“ lachte Marik ungläubig. Die ganze Zeit verweigerte Seto das Rausgehen und nun war er plötzlich so schnell weg. In dessen Kopf gingen ziemlich verworrene Gedanken vor sich. Und Sethan zuckte auch nur mit den Schultern. Er hatte es lange aufgegeben, einen der Drachen verstehen zu wollen. Das war selbst für ihn zu komplex. Nun kam Marik aber auch dazu, zu bemerken, dass er mit Sethan ganz allein war. Na ja, um ihren durch Vorhänge abgetrennten Loungebereich waren noch einige hundert Gäste, aber zumindest auf diesen Quadratmetern waren sie die einzigen. Das fühlte sich merkwürdig an. Marik war noch immer nicht dahinter gestiegen, warum der noch so junge, aber so mächtige Sethan so aggressiv auf jede Äußerung, geschweige denn Annäherung reagierte. Als Oberhaupt der Familie Ishtar war er doch einer der treuesten, loyalsten und verlässlichsten Freunde, die er haben konnte. Außerdem hütete er das alte Pharaonengrab und alle Geheimnisse darin. Wenn er etwas Böses wollte, hätte er schon mehr als ein Mal die Gelegenheit dazu bekommen. Alle vertrauten ihm und das zu Recht wie Marik befand. Außerdem war er stets höflich und freundlich. Er sah seinen Fehler nicht. Doch war Sethan denn nicht auch gekommen heute Abend? Marik hatte ihn gebeten und er war hier. War das eine Art Friedenszeichen, welches er annehmen sollte? „Ich danke Euch, dass Ihr auch gekommen seid, Sethan“ sprach er ihn respektvoll an. Immerhin waren sie allein und im beschwipsten Zustand konnten sie vielleicht anders miteinander reden. Bei Sinnen waren sie beide, aber nach einigen Drinks saß die Zunge möglicherweise lockerer. „Gefällt Euch der Club?“ um hoffentlich eine Erwiderung zu erhalten. Und tatsächlich antwortete Sethan mit einem „Ja … schon.“ Er blickte weiter auf die Kerze auf dem Tisch und blinzelte müde mit den Augen. „Und dir?“ „Auch gut. Obwohl ich nicht die große Vergleichsmöglichkeit habe. Ihr wisst ja, dass Clubs und Bars bei uns rar gesät sind.“ „Ja, weiß ich.“ „Am schönsten finde ich hier eigentlich die lange Bar“ redete er einfach weiter. Zum einen um seine Nervosität zu überspielen. Zum anderen in der Hoffnung, dass Sethan auf die Unterhaltung einstieg. „Obwohl es ziemlich voll ist, zieht der lange Tresen die Schlangen auseinander. Und ein Mal die Stunde ist Showmixen. Ich wusste gar nicht, dass man das Zubereiten von Getränken als artistische Einlage nutzen kann.“ „Tja.“ Es war echt schwierig, sich mit Sethan zu unterhalten. Wenn er sich wenigstens für etwas interessiert zeigen könnte oder Marik sonst irgendeine Info hätte, was ihm gefiel, dann könnte man sich darüber unterhalten. Aber so … „Was gefällt Euch denn am besten hier?“ stellte er mal eine offene Frage. Offene Fragen halfen. „Ich sehe meist die Dinge, die andere ignorieren.“ „Aha … und das wäre … was?“ Auf jeden Fall war das alles andere als eine aussagekräftige Antwort. „Kleinigkeiten.“ „Ihr meint so etwas wie Sauberkeit oder ob die Krawatte des Türstehers sitzt?“ „Nein, noch kleiner. So etwas zum Beispiel.“ Sethan lehnte sich nach vorn und streckte die Hand zur Kerze aus. Doch von der Kerze wollte er gar nichts. Er nahm einen etwa erbsengroßen, grauen Kieselstein aus der Dekoschale und drehte ihn zwischen den Fingerspitzen. „Ich verstehe.“ Zumindest versuchte er es. „Ihr seid ein Deko-Fan.“ „Nein, ich meine genau diesen kleinen Stein. Diesen einen einzigen“ erzählte er und betrachtete sich das glatt geschliffene, unscheinbare Gestein. „Wenn dieser Stein reden könnte, ich frage mich, was würde er erzählen? Dieser kleine Stein ist älter als wir, vielleicht sogar älter als die Menschheit. Vielleicht war er früher Teil eines Gebirges und hat Landschaften und Wetter gesehen, die wir uns niemals vorstellen können. Oder er lag auf dem Meeresgrund und hat längst ausgestorbene Fischarten beobachtet. Vielleicht sind Dinosaurier über ihn hinüber gelaufen oder er tötete einen Ehebrecher bei einer Steinigung im alten Rom. Vielleicht war er auch einmal Teil eines Pinguinnestes oder Teil einer Mauer einer eroberten Burgfestung. Er hat schon so viel erlebt und nun liegt er hier in einem Tanzclub.“ „Na ja … meint Ihr, er wäre gern woanders?“ „Keine Ahnung. Vielleicht mag er es hier. Es ist warm und trocken und er kann einige Menschen sehen und ihre Unterhaltungen belauschen. Vielleicht macht er sich über uns lustig, über unsere Jugend und unsere Unwissenheit. Vielleicht beneidet er uns um unsere Freiheit. Und vielleicht sollten wir ihn für seine Ruhe und Langlebigkeit beneiden und er bedauert uns darum, weil unser Leben so schnell vorbeizieht. Dieser Stein kann so viel mehr erlebt haben als wir und er hat noch so viel vor sich. Doch er muss sich keine Sorgen machen, denn er wird immer weiter existieren. Selbst wenn er zersplittert, kann er als Sand in Gärten und auf Wegen sein Dasein weiterführen. Oder wenn er geschmolzen wird, verwandelt er sich vielleicht in eine Glasscheibe oder einen Weinkelch. Er nimmt das Schicksal wie es kommt, fügt sich ein in das Große und Ganze dieser Erde. Und das obwohl er vielleicht niemals von irgendwem bemerkt wurde und niemand sich an ihn erinnert. Nur Mutter Erde weiß, wer er ist und sie wird ihn niemals vergessen.“ „Und an Euch wird er sich mit Sicherheit erinnern.“ Er traf Sethans tiefen Blick und fühlte sich ein bisschen selbst wie ein Stein. Bis auf die Seele durchschaut. „Ich meine, weil Ihr ihn vielleicht das erste Mal in seinem Leben bemerkt habt. Wer weiß, vielleicht ist er jetzt der glücklichste Stein der Welt.“ „Du verarschst mich.“ „Nein, das meinte ich ganz ernst“ beteuerte er mit heller Stimme. Leider klang er nicht so ernst wie er die Worte meinte. „Wirklich. Ich habe noch niemals jemanden getroffen, der bei einem kleinen Stein so großen Gedanken nachhängt. Ich finde das … bemerkenswert.“ „Bemerkenswert“ wiederholte er skeptisch und legte den Kiesel mit dem ihm gebührenden Respekt in die Schale zu seinen Genossen zurück. „Ich weiß, ich klinge nicht so ernst, aber Ihr seid wirklich ein bemerkenswerter Mensch, Sethan. Eure Worte üben einen besonderen Eindruck. Auf mich zumindest.“ „Nett von dir. Aber Freunde macht man sich damit nicht gerade. Da lernt man, sich mit seiner Meinung zurückzuhalten“ seufzte er und lehnte sich zurück. Sein Blick schweifte an die helle Lehne des Sessels, auf welchem seine violett schimmernden Augen liegen blieben. „Warum? Hört Euch sonst niemand zu?“ „Doch, natürlich. Die Familie. Meine Mutter, meine Großväter, meine vielen Brüder und Schwestern und Tanten und Onkel. Aber manchmal wünscht man sich auch Anerkennung von jemandem, von dem man es nicht erwartet.“ „Ich kann mir vorstellen, was Ihr meint. Anerkennung von außen wünscht man sich manchmal mehr als man es zugeben möchte.“ „Wenn ich mit anderen unterwegs bin, habe ich häufig das Gefühl, ich müsse stehenbleiben und den Dingen meine Aufmerksamkeit schenken. Einem versteckt stehenden Strauch. Einem Vogel, der besonders engagiert singt. Dem Glitzern, welches der Wind und die Sonne einer Pfütze auf dem Asphalt schenken. Meistens ziehen mich die anderen dann weiter. Manchmal scherzen sie darüber, dass ich merkwürdig sei. Aber das ist okay. Meistens hören sie mir zu. Besonders mit Oma Seto kann ich meine Gedanken teilen. Er hat dieselben wie ich und wir erzählen uns gegenseitig Geschichten über das, was wir sehen. Aber es tut weh, wenn man für das, was einem wichtig erscheint, von anderen verlacht wird. Zuerst fand ich es gemein, dann fand ich es dumm, heute versuche ich, dass es mir egal ist, was andere sagen.“ „Aber egal ist einem das nie. Man kann so tun und die Ohren verschließen, aber wirklich egal wird das niemandem sein. Doch ich meine, wer Euren Gedanken nicht respektvoll zuhört, dem entgeht eine tiefgehende Erinnerung.“ Sethan seufzte und rutschte tiefer in die harten Polster der Ledercouch. „Meinst du das wirklich oder willst du nur schleimen?“ „Schleimen habe ich nicht nötig. Das solltet Ihr wissen.“ „So? Weiß ich das?“ „Das hoffe ich doch zumindest.“ Diese Situation war befremdlich. Erst wurde er von Sethan nur angeschrieen, sogar geschlagen und die letzte Zeit ignoriert. Doch nun saß er hier, teilte seine Gedanken mit und es schien sich schon so etwas ähnliches wie Vertraulichkeit zu entwickeln. Auch wenn Sethan kein Drache war, so war er nicht minder unberechenbar. Vielleicht war es der Alkohol, der ihn mitteilsam machte. Doch seine Aggression so herunterzuschrauben, dazu gehörte Bewusstsein und kein Rausch. Außerdem waren seine Worte, wenn auch etwas langsam, so doch klar und verständlich. Marik fasste all seinen Mut, stand auf, ging um den Tisch herum und setzte sich neben ihn. Dort saß er dann erst mal und wurde ignoriert. Die Minuten verstrichen, die Musiktitel gingen fließend ineinander über, die Leute lachten und feierten sich ins Wochenende. Doch hier zwischen ihnen war es ruhig. Marik fand, alles war besser als grundlos angeschrien zu werden. Wobei er sich dennoch nach dem Grunde fragte. „Danke nochmals, dass Ihr gekommen seid“ sagte er erneut. Nun wo er direkt neben ihm saß, hatte das vielleicht mehr Kraft. „Das bedeutet mir wirklich viel.“ „In einem hast du auch Recht. Du fliegst morgen und danach sehen wir uns wahrscheinlich nicht wieder.“ „Nun … meint Ihr das im positiven oder negativen Sinne?“ „Weißt du, was ich an dir nicht ausstehen kann?“ „Nun ja …“ Genau das war es ja, was er die ganze Zeit wissen wollte. Wenn er das wüsste, könnte er vielleicht etwas dagegen tun. „Ich beantworte die Frage selbst“ sprach Sethan und sah versunken auf die flackernde Kerze, deren Doch langsam im eigenen Wachs erstickte. „Ich hasse deine ewige Fragerei.“ „Meine … Fragerei?“ „Genau das. Egal, was ich sage, du fragst immer nach. Immer willst du alles ganz genau wissen und verstehen. Und das kotzt mich an.“ „Ist das so? Das ist mir nicht aufgefallen.“ „Stell das einfach ab. Wenigstens heute Abend.“ „Und wenn ich Euch nicht mehr hinterfrage, sähet Ihr eine Möglichkeit, mit mir auszukommen?“ „Woher soll ich das wissen?“ zischte er und rutschte so dicht an die Lehne, dass er möglichst weit von Marik entfernt saß. „Hör verdammt noch mal einfach auf, mir ständig irgendwelche Fragen zu stellen.“ „In Ordnung“ versprach er mit sanfter Stimme. Ihm war niemals aufgefallen, dass er übermäßig viele Fragen stellte. Aber wenn es ‚nur‘ das war, dann konnte er das abstellen. „Heute Abend bin ich nur aus Höflichkeit gekommen. Ich will nicht, dass du mich als keifendes, ewig miesgelauntes Gör ohne Anstand und Erziehung in Erinnerung behältst. Nur deshalb.“ Was Marik nun irgendwie noch mehr wunderte. Er hielt ihn nicht für ein unerzogenes Balg. Eher für einen hübschen, jungen Mann mit einer faszinierenden, verletzlichen Art. Es war Sethan also wichtig, was er von ihm dachte? „Dann ist es Euch also nicht egal, ob ich gekränkt abreise?“ „Okay, das war’s.“ Plötzlich erhob er sich und wollte zur Tür hinaus. Das reichte an Höflichkeit und wenn Marik es nicht kapierte, konnte er ihm nicht helfen. Doch der verstand in diesem Moment. Er hatte schon wieder eine Nachfrage gestellt, anstatt das Gesagte hinzunehmen. Nur Absicht war das nicht! „Halt! Entschuldigt bitte! Es tut mir leid!“ Er war nicht schnell genug hoch, aber sein langer Arm reichte, um noch Sethans Hand zu erreichen. Nun ja, eher nur seine Finger. Aber das reichte, um ihn vom Gehen abzuhalten. Sethan blieb stehen und blickte zum Ausgang. Obwohl er es gekonnt hätte, zog er seine Hand nicht fort. Es war als wäre er gelähmt. „Ich wollte Euch nicht verstimmen“ bat Marik leise. „Bitte lauft nicht gleich wieder weg.“ „Du findest, ich laufe weg?“ „Es sieht so aus als wolltet Ihr das. Ja.“ Vorsichtig zog er ihn zurück. Ganz sanft und ohne Nachdruck. Wobei er sich selbst fragte, warum Sethan sich so leicht zurückhalten ließ. Irgendwas war merkwürdig mit ihm. Die ganze Zeit schon. Langsam drehte er sich herum und traf Mariks Blick. Seine edelmystischen Augen waren verschwommen, als würde er weinen wollen. Und gleichzeitig wirkten sie sanft und irgendwie scheu. Ein unpassender Ausdruck für den Herrscher über Götter. Doch passend für einen unsicheren Menschen. „Was ist mit Euch?“ Marik lehnte sich noch etwas weiter nach vorn und nahm seine Hand ganz. Jemanden, der so leidlich dreinsah, musste man trösten. „Ihr seht aus als wäret Ihr traurig. Kränken Euch meine Fragen so sehr?“ „Hör doch einfach auf, ständig zu fragen. Ich kann dir nicht antworten.“ Seine Stimmte zitterte, er wollte tatsächlich weinen. Aber er verkniff es sich. Statt wegzulaufen, kam er die zwei Schritte zurück und sah direkt zu Marik herab, der noch immer seine warme, steife Hand hielt. „Ich versuche es ja. Versprochen. Ich versuche, Euch keine Fragen zu stellen. Aber bitte wendet mir nicht den Rücken zu.“ „Dabei bist du einer der wenigen, denen ich meinen Rücken überhaupt zuwende.“ Und wenn er nicht immer so merkwürdige Dinge sagen würde, wäre es einfach, nicht alles nachzufragen. Dieses Mal schluckte Marik seine Frage herunter. Doch er wusste nicht, was er hiervon halten sollte. Nun kam Sethan ihm noch näher, eigentlich zu nahe. Er zog seine Hand aus Mariks leichtem Griff, kniete sich links und rechts aufs Lederpolster und stützte sich dabei auf seinen Schultern ab. Ganz langsam setzte er sich auf Mariks Schoß, fuhr mit den Händen seine Schultern hinab und lehnte die Stirn an seinen Hals. Er umarmte ihn. Einfach so. Obwohl er eben noch geschimpft hatte und vor Empörung weglaufen wollte, saß er nun auf seinem Schoß und drückte sich an ihn. Wenn das nicht verwirrend war. „Sethan … Ihr …“ Er durfte ja nicht fragen, aber alle Vermutungen oder Erwartungen wurden hiermit über den Haufen geworfen. „Stell mir keine Fragen. Bitte, Marik. Stell einfach keine Fragen mehr.“ „In Ordnung“ antwortete er ebenso leise. Nach erstem Zögern erwiderte er und legte behutsam seine Arme um Sethans Körper. Er fühlte sich sehr warm an, fast fiebrig. Doch unter dem Shirt fühlte er die Haut frösteln, sobald er darüber strich. Und der warme Hauch an seinem Hals irritierte ihn nicht weniger. Was lief hier ab? Sethans Hände legten sich an seine Schulterblätter und er schmiegte sich noch enger an ihn. „Bitte stell keine Fragen. Bitte nicht.“ Er hob seinen Kopf, streichelte zögerlich dabei Mariks Wange mit der Nasenspitze und küsste ihn. Erst ganz leicht, einen Hauch nur. Dann öffnete er seine Lippen und umfasste Mariks Unterlippe mit einer feuchten Berührung. Erst als der ihm eine zögerliche Haaresbreite entgegenkam, trafen sich ihre Zungen und alle aufgeworfenen Fragen verstummten. Ebenso die Antworten. Nichts sprach mehr. In diesem zerbrechlichen Moment geschah nichts. Ihr warmer Atem verband sich. Ihre Hände hielten den befremdlichen Körper, spürten den gemeinsamen Puls. Die Zeit zog an ihnen vorbei. Die Klänge der Musik ebenso wie der Duft des ertrunkenen Dochtes. Nur dieses Gefühl. Dieses warme, sanfte, gelöste Gefühl, welches sie durchdrang. Dieses Gefühl war mächtiger als es jede Antwort hätte sein mögen. Chapter 53 Der Barbereich war großzügig gestaltet und die Karte bot für jeden Geschmack etwas. Wobei Yugi doch lieber noch einen zweiten von diesen giftgrünen Hauscocktails nahm, der interessant nach Kiwi und Tomate schmeckte. Die waren seit Mitternacht for free, denn anscheinend wollten die Leute doch eher etwas mit Schuss oder konnten sich mit der Farbe nicht anfreunden. Yugi aber machte das nichts. Schließlich hieß der Laden ‚Green Thing‘ und da passte das Hausgetränk. Ebenso wie die lebendig grüne Gestaltung des Clubs. Doch um diese Uhrzeit, es war immerhin schon halb vier, leerte sich der Club recht schnell. Ein paar Lustige saßen noch an den offenen Tischen und an der Bar neben Yugi war relative Ruhe. Ein offensichtlich frisch verliebtes Pärchen in etwa seinem Alter saß ganz am Rande und er lud sie zu einem Drink nach dem nächsten ein. Zwei Stühle von ihm entfernt hockte ein etwas älterer Herr im verwaschenen Anzug, der sich an seinem Bier festgetrunken hatte und allmählich das Unterlegpapier zerpflückte. Sah deprimiert aus oder einfach gut angetrunken. Auf der Tanzfläche war gar nichts mehr los und so würde dann auch Yugi nur noch den mickrigen Rest seines Cocktails herunterschütten, bevor er sich das nächste Taxi rief. Joey und Tristan würden was zu hören kriegen, ihn hier einfach sitzen zu lassen und nicht mal Tschüss zu sagen. Ne halbe Stunde hatte er gewartet bis er merkte, dass sie nicht tanzten, sondern weg waren. Typisch Partygänger, tolle Freunde. Man hatte ihn einfach vergessen! Nicht mal Seto war noch da. Der hatte Mokuba nach hause gebracht, weil der so besoffen war, dass er nicht mehr gerade gehen konnte - und Seto war der einzige, der so böse gucken konnte, dass Mokuba kleinbei gab. „Na, Kleiner? Auch keine abgekriegt?“ „Bitte?“ Yugi drehte den Kopf herum und sah sich angesprochen. Der ältere Herr schaute aus seinen kleinen Augen und stützte den Kopf in die Hand. „Meinen Sie mich?“ „Klar, außer dir issja keiner mehr da.“ Er fuhr sich den herübergekämmten Scheitel seines angegrauten Haares nach und lächelte ihn schief an. Jupp, der hatte mehr als nur einen im Tee. „Auch keine abgekriegt? Dabei geht man extra sum Singleabend und dann gibs keine Frauen mehr.“ „Ich wollte keine Frau kennen lernen“ erklärte er und wies auf sein Handgelenk. Wer am Singleabend teilnahm und nach Bekanntschaft suchte, bekam ein grünes Armband, welches im Neonlicht leuchtete. Wer kein Armband trug, war nur ein ‚normaler‘ Gast ohne partnerschaftliche Absichten. „Gut so“ nickte der Alte und nahm sein Bier in die Hand. „Is auch besser so, Kleiner. Lass dich bloß nich auf was Festes ein. Das bringt nur Ärger.“ „Ich bin aber schon ein Freund von festen Bindungen.“ Er linste auf das Band um seine Hand und sah es grün hervorblitzen. Er jedenfalls suchte anscheinend nach Bekanntschaft. „Und Sie? Waren Sie mal verheiratet?“ „Leider ja“ murmelte er und schwenkte sein halbes Bier. „Ich kann dir nur raten, dass du das lässt. Meine Frau will so viel Geld von mir habm und das gibt nur ihr neuer Kerl aus. Jungchen, ich sag dir: Lass das mit den Frauen. Streng dich lieber in der Schule an und mach ein anständigen Beruf. Weiber und Kinder machen dich nur fertig. Kaputt. Päng.“ „Na ja …“ Gab halt solche Beziehungen und solche. Die Unterschiede zu sich selbst brauchte er nicht zu ziehen, die Gemeinsamkeiten wären schneller aufgezählt, so denn welche zu finden waren. „Ich glaube noch an die wahre Liebe.“ „Das lernst du noch in deim Leben“ lachte der Alte ihn an. „Glaub mir, das lernst du. Irgendwann kommt eine und du heiratest die und dann … irgendwann triffst du auch mal jemanden wie dich und dann sagst du ihm das gleiche.“ „Vielleicht …“ Wohl kaum. Er glaubte an seine Liebe, aber man durfte seine Ehe wohl nicht als Standard für andere anlegen. Vielleicht war der arme Mann auch gerade nur etwas deprimiert und einsam. „Ich sag’s dir, Kleiner. Wenn du erst mal erwachsen bist, verstehst du, was ich meine.“ Yugi rümpfte die Nase und nahm sich vor, es auf den Alkohol zu schieben. Der Alte hielt ihn wohl für jünger als er war. Das konnte man doch nur noch als Kompliment an gesunde Ernährung und eine gute Faltencreme verstehen. Außerdem war es irgendwie auch kein Wunder, dass er hier keine Frau fand. Er lag weit über dem Durchschnittsalter für diesen Club. Die meisten Frauen waren wohl 20 Jahre jünger als er und um sich um sein grünes Armband zu kümmern … dafür war die Auswahl an jungen Junggesellen zu groß. „Hier, bitte.“ Die Barfrau schob Yugi einen neuen Cocktail hin. Doch dieser war nicht der gratis Grüne sondern dunkelrot, sämig und aufwendig fruchtig dekoriert, sogar mit Zuckerrand. Sah hübsch aus, aber … eigentlich war er ganz froh, wenn sein eigenes Glas endlich leer war und er sich ein Taxi rufen konnte. „Tut mir leid. Den habe ich nicht bestellt.“ Er lächelte freundlich und schob ihr den Drink zurück, doch sie nahm sich das Handtuch und trocknete lieber weiter Geschirr ab. „Ich weiß“ lächelte auch sie und nickte hinter ihn. „Den Strawberry Shock schickt Ihnen der Herr dort hinten.“ Yugi drehte sich herum und wenn sein Herz nicht sofort aus seiner Brust sprang, so fühlte es sich dennoch genau so an. Den ‚Herrn da hinten‘, den kannte er. Das war SEINER! Er war wieder da! Und er war umwerfend. Eine weiße Hose aus dickem Webstoff, welche am Ende seiner langen Beine ein paar Lederschuhe preisgab. Das kurzärmelige, dunkelblaue Hemd, gestattete einen Blick auf seine kräftigen Oberarme und hob seine hohe, schlanke Gestalt heraus. In diesem Licht waren seine tiefblauen Augen auffällig, weil sie ein sanftes Leuchten in sich trugen. Und er lächelte. Ein warmherziges Lächeln. Nur angedeutet, aber für Yugi glich es einem ... nein, es glich keinem anderen, einzigartig. Sein Seto war zurückgekommen, hatte sich sogar umgezogen und er strahlte eine solch sanfte Ruhe aus, dass es ihn gleichsam betäubte wie mit überschwänglicher Freude erfüllte. In diesem Moment wusste er, er verliebte sich noch mal ganz neu. Genau so fühlte es sich an. So fühlte sich Liebe auf den ersten Blick an. Genau so. Er dachte, man hatte ihn vergessen - aber nicht Seto. Seto war zurückgekommen. Er hielt einen dieser giftgrünen Cocktails in der Hand und prostete Yugi damit zu. Dieser Moment dauerte keine drei Sekunden und die Empfindung der innerlichen Zeitlupe wurde jäh unterbrochen, als er beinahe vom Stuhl gerempelt wurde. Sein Blick schnellte seitwärts und dort drapierte sich soeben eine reifere Dame. Das traditionelle, schwarze Minikleid hatte ihr vor zehn Jahren sicher noch hervorragend gestanden, doch jetzt wirkte es gemeinsam mit den hohen Pumps, dem klobigen Goldschmuck und dem auftoupierten, schwarzgefärbten Haar etwas … overdressed. Noch so eine verzweifelte Gestalt mit grünem Armband. Mit den langen, künstlichen Nägeln fingerte sie sich das rote Glas heran und zwinkerte nach Setos Prosten neckisch zu ihm zurück. „Ich glaube, der Abend nimmt doch noch ein gutes Ende.“ „Ähm …“ Yugi musste erst mal schnell in die Realität zurückfinden, bevor er wahrnahm, wo er saß und was hier geschah. Er sah, wie sie sich den Strohhalm hindrehte und einen lasziven Blick über ihre kaum bedeckte Schulter warf. Und sie traf seine Engelserscheinung damit. Sie setzte ihren eng bekleideten Popo noch mal räkelnd auf den hohen Barhocker und zwinkerte dem Herrn da hinten zu, von welchem sie sich offensichtlich mehr erhoffte. „Genau das meine ich“ lallte der ältere Herr von der anderen Seite und irgendwie fühlte Yugi sich im falschen Film. Er blickte verwirrt zu Seto und zeigte still mit dem Finger auf sich. Er meinte doch ihn … oder? Als Seto ihm lächelnd zunickte, seufzte er erleichtert. Ja, er meinte seinen Yugi und nicht die Fregatte nebenan. Er stieß sich von der Wand ab und kam mit verboten elenganten Schritten herüber, als würde er sich die Erde Untertan machen wollen. Lag seine unglaubliche Ausstrahlung daran, dass er wie neu geboren aussah oder einfach daran, dass Yugi sich unbändig freute, dass er extra seinetwegen und trotz der frühen Morgenstunde zurückgekommen war? „Er kommt herüber. Was für ein Kerl“ flüsterte ihm die Fregatte zu und ordnete sich ihre gepushte, nett gemachte Oberweite. „Jetzt kannst du mal sehen, wie das bei richtigen Männern funktioniert, Kleiner.“ Hatten es denn heute alle auf ihn abgesehen? Er war verheiratet und hatte zwei Kinder! Er war nicht vom Schulausflug abgehauen und zufällig in einem Nachtclub gelandet!!! Je näher Seto kam, desto aufreizender gab sie sich. Sie drehte sich herum und schlug ihre fast nackten Beine übereinander. Okay, ihre Beine waren wirklich toll und das schien sie schon öfter gekonnt eingesetzt zu haben. Sobald er in Reichweite kam, flirtete sie ihn mit einem flötenden „Ha~llo“ an und zeigte ihr strahlenstes Lächeln. Arme Dame, sie ahnte ja gar nicht, dass Seto ganz anders tickte als normale Männer. „N’Abend“ antwortete der, aber offenkundig uninteressiert. Stattdessen nahm er ihr kommentarlos den roten Drink aus den Krallen und den Platz zwischen Yugi und dem Alten ein. Er brauchte sich aufgrund seiner Größe nicht auf den hohen Barhocker zu setzen, er konnte sich auch so mit den Ellenbogen auf den Tresen stützen und zu Yugi heruntersehen. „Guten Abend, GoldenBoy“ lächelte er ihn mit dunkelsanfter Stimme an. „Guten Abend, MeltingMan.“ Yes, Yugi verstand sofort. Verdammt, war das geil! Er nahm den eisgekühlten Cocktail aus Setos nicht minderkalten Händen und schob ihn langsam gen Mund. „Vielen Dank für den Drink.“ „Sehr gern“ antwortete Seto und stieß leise mit ihm an, jedoch zum Trinken waren beide zu beschäftigt. Dieser blaue Blick zwang wohl jeden in die Knie. Obwohl er so ruhig, so angenehm wirkte, schien er doch voller Kraft und Wildheit. Das Blau seiner Saphire schien tausend Mal tiefer und in diesem Licht mehrfach gebrochen wie ein Diamant. „Wow“ hauchte er und spürte die Wärme seinen Rücken hinauflaufen. „Der erste Mann, der mich anmacht, ohne einen Anmachspruch.“ „Ich hab meine Handynummer verloren. Kann ich deine haben?“ „Sehr lustig“ erwiderte Yugi und schüttelte lachend seinen Kopf. „Ich könnte auch fragen … hm … na? Auch hier?“ „Noch schlechter.“ „Dabei habe ich mich extra vorbereitet.“ „Die Sprüche hat dir doch nicht etwa dein Freund verraten, der dein Profil eingestellt hat, oder?“ „Nein, im Ernst“ erwiderte Seto deutlich interessiert. „Ich habe dich gleich erkannt. So spät am Abend noch so allein?“ „Warum? Ist das verboten?“ Er wusste, worauf das hier hinauslief und es war fantastisch. Die Fregatte hinter ihm wusste wahrscheinlich gar nicht, was sie machen sollte und der Alte sah auch eher verwundert zu. „Nein, nur unverständlich.“ Seto kam näher zu ihm, schob seinen grünen Drink weiter fort und berührte mit seinem Ellenbogen fast Yugis Hand. „Wie kommt es, dass ein gutaussehender Mann wie du auf einer Singleparty allein an der Bar sitzt?“ „Wenn man auf den richtigen Drink wartet“ antwortete er mit roten Wangen und einem innerlichen Beben. „Dann kann ich davon ausgehen, dass meine Wahl mit einem Erdbeercocktail deine Zustimmung trifft?“ „Ja“ hauchte er, ihm ging der Atem aus. „Ich liebe … Erdbeeren.“ „Dann bin ich ja beruhigt.“ Er hielt seinem Blick stand und das tiefe Blau verhüllte sich in mysteriöser Ruhe. Das schummrige Licht wurde zurückgeworfen wie von einem Prisma. „Du wohnst hier nicht in der Gegend, oder?“ „Nein. Wirklich nicht“ lächelte Yugi und fühlte, wie die innerliche Wärme seine Hände schwitzen ließ. Diese Situation war so einzigartig, so spannend. Und er konnte nicht anders als zu hoffen, dass es genau auf das Eine hinauslief. „Du scheinst aber auch nicht von dieser Welt zu sein.“ „Nein, wirklich nicht“ antwortete auch er. „Entschuldige die Frage, aber …“ Er nickte auf Yugis Handgelenk und musste hoffentlich nicht aussprechen. „Nein, kein Armband“ schmunzelte Yugi. „Ich warte auf den bestimmten jemand, den ich bisher nur digital kenne. Außerdem steht grün mir nicht.“ „Tatsächlich?“ Er zog die Augenbraue hoch und hob auch den Kopf, womit er nur noch größer wirkte als ohnehin schon. „Und welche Farbe würde dir stehen?“ „Die Farbe deiner Augen“ antwortete er ohne nachzudenken. Obwohl er sich ein wenig unsicher fühlte, ob er dieses Spiel so spielte, dass Seto genau das herausbekam, was er sich erhoffte. Schnulzige Komplimente passten wenig in die Situation. „So was sagt man nur Frauen, oder? Tut mir leid.“ „Muss es nicht.“ Er senkte seine Stimme und beugte sich zu ihm herunter, kam dicht vor Yugis Lippen zu stehen und flüsterte vertraulich: „Ich bin gern die Frau. Wenn du verstehst, wie ich das meine.“ „Aha … so direkt heute?“ „Ich muss direkt sein. Ich habe dich seit unserem letzten Chat nicht aus dem Kopf bekommen.“ Ja, es würde ganz sicher genau darauf hinauslaufen. Seto wollte ihn verführen, er hatte sich seine Rolle ausgesucht. Nun musste Yugi wählen, was er wollte. „Wenn du nichts dagegen hast?“ Er beugte sich von Yugis Gesicht zum Glas herab und nahm mit den Zähnen die halbe Erdbeere der Dekoration ab als wolle er damit seine gebeugte Haltung rechtfertigen. Er ließ sie erotisch auf seiner Zunge verschwinden und kaute genüsslich bis auch Yugi das Wasser im Munde lief. „Das war die einzige Erdbeere.“ Ob das nun eine Feststellung oder ein Vorwurf war? Es war einfach nur eine Anreihung von Worten. „Verzeih. Ich bin ein ungeduldiger Mensch, wenn ich erst Mut gefasst habe.“ Er neigte sich tiefer zu ihm, blickte ihm so lang wie möglich in die Augen, bevor er seine Lippen anhauchte. „Darf ich mich für meine Voreiligkeit entschuldigen?“ „Und was erwartet mich bei dieser Entschuldigung?“ Vielleicht brauchte er auch gar keine Rolle. Er ließ sich einfach auf das ein, was kam. Sich erobern zu lassen, warum nicht? „Ein Vorgeschmack darauf, was die Nacht noch bringen kann“ flüsterte er leise. „Wie soll ich es deutlicher sagen, ohne wie die Katze um den Busch zu schleichen?“ „Schnöde Worte.“ Verdammt, warum machte ihn dieses Sprechen nur so nervös? Es war doch nur Seto, er kannte ihn doch. Und dennoch … wenn er seinen kühlen Atem spürte, seinen Lippen so nahe war und daran dachte, was sie miteinander tun konnten. Ja, es war mehr als nur Verliebtheit. Es war dieses unabdingbare Begehren, welches nur der eine in ihm beleben konnte. „Ein Mann der Taten“ hauchte seine tiefe Stimme sehnsuchtsvoll. „Ich habe gelesen, du würdest heute hier sein. Welch ein Glück, dass ich doch noch gekommen bin.“ „Das mit dem Kommen“ hauchte er heiß zurück, „musst du mir genauer erklären.“ „Nichts leichter als das.“ Er überwand den letzten Zentimeter und berührte Yugis warmen, weichen Lippen. Gerade so viel, um sie etwas anzufeuchten. Gerade so lang, um einen Hauch Laszivität zu signalisieren. Jedoch nicht zu intensiv, um billig zu werden. Nachdem er sich wieder zurückzog, blickte er ihm in die Augen und konnte einen Hauch Rosée über den Wangen nicht mehr verbergen. „Und ich habe geglaubt, du wärst nicht so schnell bei der Sache.“ „Bin ich normalerweise auch nicht“ antwortete er mit gesenkter Stimme. „Aber dich jetzt hier zu sehen … du bist viel schöner als auf dem Foto.“ „So etwas hat mir auch noch nie jemand gesagt.“ „Dann wird es höchste Zeit“ erwiderte er mit einem aufgeregten Lächeln. Nur ein kleines Zucken am Mundwinkel verriet seine Nervosität. „Gefalle ich dir denn auch?“ „Du bist auch noch viel hübscher als auf dem Bild. Darf ich?“ Er hob vorsichtig seine Hände und strich über seine Taille. Er fühlte die festen Muskeln und als er auch behutsam über die Brust strich, hörte er ein zauberhaft verhaltenes Einatmen. Eigentlich hatte er diese Internetflirtgeschichte langsam angehen wollen. Eigentlich hatte er es möglichst realistisch darstellen wollen. Doch wenn er Seto so sah und seine erotischen Avancen - wer würde da noch auf Sex verzichten wollen? „Eigentlich bin ich kein Mann für eine Nacht.“ Yugis Hände ruhten auf seiner Brust und er sah in diese schimmernden Eisaugen. „Nein, du bist ein Mann fürs Tageslicht“ lächelte Seto verlegen. „Aber die Sonne geht ja bald auf und ich … ich entdecke ganz neue Seiten an mir. Seiten, welche du aufdeckst … fremder, schöner Mann. Ein Blick auf dich reichte aus.“ „Reichte aus zu was?“ „OH GOTT! Ihr seid schwul!“ Das Kreischen der Fregatte weckte sie aus ihrem Spiel und als Yugi sich herumdrehte, sah er wie Setos dunkler Blick wirkte. Ihr stand der Mund offen und ihre überschminkten Augen zeigten leichte Anflüge von Panik. Sie brauchte mehr als nur einen Moment, um zu verstehen, dass dieser gutaussehende Adonis nicht sie, sondern den Jungen neben ihr anbaggerte. So etwas war ihr sicher auch noch nicht passiert. „Na“ kicherte der betrunkene Herr hinter Seto. „Da hassu dir meinen Rat mit den Frauen aber siemlich su Herzen genomm, Jungchen.“ „Genau das ist der Grund, weshalb ich ungern in Clubs gehe“ erklärte Seto deutlich genervt. „Ist es dir peinlich, zu deiner Homosexualität zu stehen?“ fragte Yugi und drehte sich zu ihm zurück. „Nein, Liebe macht mutig“ sagte er und drehte den Kopf weg. „Aber da versuche ich ein Mal die Verführermasche und schon werde ich dumm von der Seite angelabert.“ „Mir hat diese Masche außerordentlich gut gefallen“ tröstete Yugi und nippte endlich an seinem Erdbeerdrink. „Um ehrlich zu sein … du gefällst mir an sich außerordentlich gut, MeltingMan.“ „Du mir auch, GoldenBoy“ erwiderte er und legte seine Hand auf Yugis Knie. Sie war so kalt, dass es eisig durch den Jeansstoff bis auf seine Haut drang. Ganz langsam strich er höher und blickte ihm tief in die großen, dunklen Augen, blickte auf Yugis feuchten Lippen. „Ich hatte nicht erwartet, dass deine Gegenwart mich so …“ „So was?“ hauchte er und spreizte in deutlicher Zustimmung sein Knie ab. Seto beugte sich näher und hauchte die Antwort in sein Ohr. „Mich so erregt.“ „Das sollten wir eingehender besprechen. Findest du nicht auch?“ „Unbedingt.“ Als er seinen Kopf langsam zurückzog, legte Yugi seine Handfläche über Setos Wange und hielt ihn davon ab, sich zu weit zu entfernen. Stattdessen streckte er sich ein wenig hinauf und küsste nochmals seine kühlen, harten Lippen und nippte den ersten Geschmack von seiner Zunge. Trotz allem war seine Zunge warm und allein der Gedanke daran, was Seto damit tun konnte, raubte ihm jeden vernünftigen Gedanken. Wenn Sie sich wirklich im Chat kennengelernt hätten, wenn das hier wirklich echt wäre, würde er ihm nicht weniger erliegen. Er musste nicht groß schauspielern, um sich in Stimmung zu bringen. „Warte … bitte.“ Doch Seto brach den Kuss und drückte ihn fort. Schade. „Was ist? War ich zu …?“ „Entschuldigen Sie.“ Doch Seto kümmerte sich weiter gar nicht um ihn, sondern rief die Barkeeperin heran. „Sind die Lounges noch geöffnet?“ „Grundsätzlich immer bis Ladenschluss um vier.“ Sie kam heran und polierte nebenbei eines der langen und hohen Cocktailgläser. Aber es war schon kurz nach halb vier. „Aber wir haben bereits gereinigt und abgeschlossen. Tut mir leid.“ Und selbst sie hatte mitbekommen, dass die beiden Herren die Lounge wahrscheinlich zweckentfremden würden. Das hier war ein sauberer Club und kein Etablissement. Doch Seto wäre nicht Seto, wenn er nicht seine Möglichkeiten hätte. Er griff in seine Brusttasche, öffnete das schlanke Ledermäppchen und legte ihr einen 500 Euro Schein auf den Tresen. „Aber Sie können uns doch sicher noch einen Absacker in der Lounge servieren, nicht wahr?“ Sie sah ihn ernst an und überlegte sich das ganz genau. Der Club war neu und wollte keinen schlechten Ruf bekommen. Aber das, was da auf dem Tisch lag, war ein halber Monatslohn. „Ich meine … ich weiß einen diskreten Kundenservice durchaus zu schätzen.“ Und dass er dabei den halben Monatslohn auf einen ganzen aufrundete, musste sie dann überzeugen. „Ich glaube, die Drei können wir wieder aufmachen.“ Sie griff hinter sich in eine Schublade und zog einen Schlüssel mit einem grünen Anhänger in Form einer Drei hervor. Sie legte ihn auf den Tisch und nahm dabei diskret die beiden Scheine an sich. „Der Portier schließt um fünf ab.“ „Vielen Dank. Wollen wir?“ Er nahm den Schlüssel und warf Yugi einen zweideutigen Blick zu. „Ich würde dich gern noch ein wenig besser kennenlernen.“ „In deinem Profil stand etwas von gutem Aussehen und Geld. Aber nicht, dass du so spendabel bist“ lächelte er und konnte nichts dagegen tun, dass es ihn wohlig beschämte. Seto hatte gerade mal eben so 1000 Mäuse gezückt, nur um noch eine Stunde mehr mit ihm allein zu sein. Welcher Mann täte das außer ihm? Er griff Setos Hand und rutschte vom Barhocker herunter. Beim Gehen warf er noch einen Blick über die Schulter zurück. Die Barkeeperin steckte sich das Geld tatsächlich in den BH, bevor sie den angebrochenen Cocktail abräumte. Die Fregatte fragte sich wahrscheinlich, was an so einem blonden Bubi erotischer war als an ihren Hammerbeinen und der prallen Oberweite. Und der betrunkene Alte seufzte traurig lächelnd in sein Bierglas. Und Yugi dankte dem Schicksal, dass er an Setos Hand ging und nicht allein und verzweifelt an der Bar sitzen musste. Chapter 54 Die Lounge war eine andere als vorhin. Sie war kleiner, aber dafür kuscheliger. Die Ledermöbel waren mit kuscheligem Pelz belegt und die Wände von Bildern geziert, welche von einem Projektor ständig bewegt wurden. Sah ein bisschen aus wie ein kreativerer Bildschirmschoner. In diesem Licht war schwer zu erkennen, ob die Einrichtung eher gelb oder hellbraun gehalten war. Er erkannte nur, dass Setos Augen in jedem Licht arktisblau leuchteten, ja sie funkelten sogar während er sich dicht neben Yugi auf den Pelz setzte. „Was ist?“ schmunzelte Yugi als Seto mit einem Lächeln den Kopf senkte. „Ich habe so was noch nie gemacht“ gab er kleinlaut zu. „Aber du hattest doch schon Sex, oder?“ fragte er zur Sicherheit nach. „Ich meine …“ „Ja, natürlich. Aber ich bin noch nie so schnell zur Sache gekommen und dann auch noch in einem Hinterzimmer. Ich will nicht wissen, was du jetzt für ein Bild von mir hast.“ „Also, erst mal ist das hier kein Hinterzimmer, sondern eine sehr gepflegte Lounge. Und außerdem haben wir schon vier Mal miteinander gechattet und viel persönliches ausgetauscht. Und ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass du ein Mann für billige Nummern bist. Davon abgesehen, habe ich mich ja auch nicht groß überreden lassen, oder?“ „Nein, du bist widerstandslos mitgekommen“ lächelte er und sah rotwangig auf. „Aber ich … ich möchte nicht, dass das alles ist, was zwischen uns ist.“ „Wir können uns auch einfach nur unterhalten. Auch wenn das zugegebenermaßen eine ziemliche Verschwendung wäre.“ „Finde ich auch“ gab er leise zu und schenkte ihm einen glänzenden Blick. „Du hältst mich nicht für billig, oder?“ „Abgesehen davon, dass du dir das hier einiges kosten lässt … du bist ein Mann, ich bin ein Mann, warum sollten wir uns gegen etwas wehren, was wir offensichtlich beide wollen?“ „Bei mir kann von wollen keine Rede mehr sein“ hauchte er und seine Augen verschwammen bei seinen tiefen Worten. „Obwohl ich so etwas noch nie gemacht habe … ich brauche das hier … mit dir. Ich will dir gefallen.“ „Keine Angst, du gefällst mir mehr als gut.“ Er legte seine Hand auf Setos Oberschenkel und strich behutsam hinauf bis er das Spannen des weichen Stoffes spürte. „Sag mir, was du willst, MeltingMan.“ „Nimm mich wie mich noch nie ein Mann genommen hat.“ „Du machst nicht den Anschein wie jemand, der die Beine breitmacht“ antwortete er und rutschte näher. Die eine Hand drückte er in die Härte hinein, mit der anderen öffnete er den ersten Knopf des Hemdes und lauschte dem leisen Keuchen. „Aber das gefällt mir. Ich habe noch nie jemanden wie dich kennengelernt, der sich so hingibt.“ „Geht mir auch so.“ Sein Atem zitterte als Yugi den zweiten Hemdknopf öffnete. „Ich habe mich noch nie jemandem so hingeben wollen wir dir. Ich hoffe so sehr, dass du mich magst …“ „Ich glaube ich mag dich mehr als du denkst“ versprach er und küsste das entblößte Schlüsselbein. „Lass uns sehen, wo es uns hintreibt. Schmelzender Mann.“ „Hhhaaahhh …“ Sein Hauchen war so genussvoll, dass Yugi sich kaum zurückhalten konnte. Sein Herz schlug schneller und es gab noch etwas, wofür er dem Schicksal danken musste - für einen Mann, mit dem der Sex noch immer so spannend war wie in der ersten Nacht. Und er wurde immer besser. Er küsste sich über das Schlüsselbein tiefer, knöpfte dabei das Hemd ganz auf und nahm die harte Knospe zwischen die Lippen. Setos Keuchen verwandelte sich in ein Stöhnen und seine Knie zuckten auseinander. Er liebkoste das warme Knöpfchen mit der Zungenspitze und zog die Gürtelschnalle auf. Auch der Hosenknopf war kein Hindernis und seine Hände verweilten kurz, um Setos flachen, muskulösen Bauch zu genießen. Sein Körper war übernatürlich schön, formvollendet und er gehörte nur ihm allein. Niemals würde er jemand anderem das zeigen, was er sich von Yugi entlocken ließ. Unter anderem auch das schwer atmende Zurücklehnen und ein stimmuntermaltes Schlucken. Der Mund an seiner Brust vertrieb jedes Gefühl, welches nicht erregend war. Als auch der Reißverschluss endlich aufgetan war, strich er über die harte Unterwäsche und hörte ein noch unterdrücktes Stöhnen. Doch als er den Stoff herabzog und das pulsierende Glied in Händen hielt, brach Setos Stimme den Widerstand und entkam seiner Kehle. Er spreizte die Beine und seine Stimme überschlug sich als er mit dem Daumen fester über die feuchte Spitze rieb. Erst im Kreis, dann fuhr er reizend über den pochenden Spalt und als er mit der zweiten Hand die ganze Länge umgriff, zuckte sein Körper zusammen und er fühlte einen festen Griff am Hinterkopf. Dieser männliche Körper mit seinen Muskeln und seiner Kraft war gleichsam so empfindsam wie eine Daune. Und genauso schön wie es war, eine Daune zu fühlen, war es, diesen Körper zu streicheln. Seto stand bereits kurz vorm Orgasmus und es war ein Genuss, ihn dabei in den Händen zu halten, ihn zu hören, ihn zu küssen. Er wollte ihn so gern erlösen, doch er wusste, wenn er ihn noch etwas zappeln ließ, würde sein Höhepunkt noch intensiver sein. Also ließ er von ihm ab und küsste seine atmende Kehle. Er streichelte seine regelmäßig atmende Brust und legte seine Hände über Setos, welche sich tief in den Pelzstoff gekrallt hatten. Und seine Hände waren warm. „Du schmilzt ja wirklich“ lächelte er und verwob ihre Finger. „Bhei dheinen goldhenen Händhen.“ Er senkte seinen Kopf und traf Yugis Lippen. Endlich trafen sich auch ihre Zungen und ein verlangendes Schmatzen legte sich über die schummrige Musik, welche vom fast leeren Tanzsaal bis hier vordrang. Es vergingen viele Takte, in denen sie den Geschmack des anderen genossen und nur deshalb voneinander abließen, weil ihre Körper nach mehr verlangten. Atemlos und voller Verlangen blickten sie einander ins Gesicht. Ihre Hände drückten sich ineinander und beide spürten, dass zwischen ihnen eine Spannung lag, welche mit jedem tatenlosen Moment nur intensiver anschwoll. „Ich war noch nie so heiß auf jemanden“ gestand Yugi und drückte seine gewärmte Hand so stark, dass es ihn selbst schmerzte. „Was wünscht du dir?“ fragte Seto und schmiegte seinen Mund in die heiße Halsbeuge. Gerade als Yugi einatmete, saugte er sich fest und ließ ihn nun seinerseits aufstöhnen. Diese harten Lippen, die Zähne und dieser ganze Mann wollten ihn aufsaugen, willenlos machen. Seto ließ ab und ärgerte ihn mit einem: „Sag schon.“ Er küsste zärtlich sein Kinn und hauchte ihn sein Ohr: „Was wünscht du dir? Ich mache alles für dich.“ „Bläst du?“ entfuhr es ihm. Es klang etwas zu drängend als beabsichtigt, aber es verfehlte nicht seinen Zweck. Seto löste seine Hände und drückte ihn auf den warmen Pelz herunter, während er ihm das Shirt hochschob. „Lehne dich zurück.“ Er fuhr mit seinen kalten Augen über die Haut, während er die Jeansknöpfe öffnete. Eine Gänsehaut überzog Yugis Schenkel als er sie auseinanderzog und die spannende Härte unter dem letzten Stoff biss. „Aahh Ghott!“ Yugi kniff die Augen zusammen und griff erneut seine Hand, welche jetzt schwitzig und ungewohnt heiß war. Seto wusste ganz genau wie er ihn küssen musste, um diese Reaktion zu bekommen. Mit nur einem Finger zog er die Short herab und leckte die ganze Länge bis hinauf, wo ihn ein süßer Salztropfen erwartete und Yugi seine Hand bestätigend drückte. Als er dann auch noch seinen Mund über ihn stülpte und hungrig hinab saugte, war die Beherrschung am Ende. Yugi stieß sich ein wenig zu fest in den heißen Mund und jaulte kehlig auf. Das hier war zu gut, um wahr zu sein. Er lag unter Setos Mund auf einem weichen Pelz. Es war früher Morgen in einem Danceclub. Er dachte, seine Freunde hätten schlicht vergessen, ihn mit nach hause zu nehmen, doch stattdessen kam sein Liebster und bewies erst zwei Ungläubigen wie sehr er ihn begehrte. Dann zahlte er einen Haufen Geld, um mit ihm allein zu sein. Und dann schenkte er ihm dieses wunderbare Liebesspiel. Sein Körper fühlte sich so fantastisch, dass sein Kopf es kaum verstand. Als das Gefühl ihm fast die Sinne raubte, stoppte es. Wie ein Knall schmerzten seine Lenden und als er sich vor Lust zusammenkrümmte, empfingen ihn Setos nassen Lippen, welche ihn sogleich wieder herabzwangen. Tief bohrte sich seine Zunge in ihn und Yugi schlang seine Arme um diesen fantastischen Körper. Von Sinnen riss er Seto das offene Hemd von den Schultern und saugte sich an seinem Ohr fest. Gemeinsam stöhnten sie laut auf. Im selben Moment vereinte sich ihre Leidenschaft und es fiel schwer, noch einen zurechnungsfähigen Gedanken zu fassen. Und doch war Seto derjenige, der sich noch ausdrücken konnte. „Nhimm mhich!“ flehte er und küsste den roten Fleck an Yugis Hals so fest, dass es sich eher wie ein Biss anfühlte. „Ich whill dhich, Gholdenbhoy. Nhimm mhich. Oh Ghott, ich whill dhich so sehr. Nhimm mhich endlhich!“ „Ich whill dhcih auch“ keuchte er und krallte sich in sein festes Haar. „Ich glhaube, ich wherde wahnsinnig. Zieh dheine Hose aus.“ Seto konnte sich kaum von ihm lösen, nur mit fahrigen Händen konnte er sich selbst die Kleidung bis zu den Knöcheln abstreifen. „Bhitte nhimm mhich! MACH!“ Seine starken Arme hoben ihn ins Sitzen und er drückte das Knie an Yugis pochende Härte. Seine Hände fuhren den Rücken hinauf und sein Mund küsste hilflos jede Stelle, die er zu fassen bekam. „Ich thue alles, abher nhimm mhich endlhich!“ Yugi konnte nur noch erwidern: „Dreh dhich um.“ „Oh Ghott!“ Nur mit Yugis Hilfe löste er sich von ihm und ging in die Position, die sein Gönner am liebsten hatte. Er kniete sich aus Sofa und bot ihm seinen prallen Hintern an. Er schämte sich jedes Mal ein bisschen dafür, aber er wusste, dass Yugi sein Vertrauen würdigte. Sich ihm so zuzuwenden brachte ihm nicht nur Scham, sondern auch eine besonders intensive Lust. Denn so konnte Yugi ungehindert und besonders tief in ihn stoßen. An mehr konnten beide nicht mehr denken. Kaum hatte Seto sich auf die Lehne gestützt, spürte er bereits wie sich die festen Hände an seinen Hintern legten und ihn auseinander dehnten. Allein dies ließ ihn aufstöhnen und er musste die Augen schließen, um sich aufs Atmen zu konzentrieren. Auch wenn sein Atem in lautem Keuchen aufging als Yugis harte Männlichkeit in ihn drang. Es war zwar trocken, doch Yugi war bereits selbst feucht genug, um die Stöße tief und intensiv zu machen. „Härter!“ bettelte Seto und spreizte seine Beine weiter. Beim nächsten Stoß rutschte er mit dem linken Bein ab. Er schrie auf aus die Hose, welche etwas unglücklich hing, seine Knöchel einschnürte. Doch Yugi hielt ihn fest und löste geistesgegenwärtig den linken Fuß frei. So konnte Seto sich mit den Zehen auf dem Boden abstützen und es tat ihm nicht mehr weh. Mit den Armen konnte er sich gut an der Lehne einhaken um nicht von Yugis Kraft umgeworfen zu werden, welche dann folgte. „HHAAHH!“ Mit einem genüsslichen Ton stieß er so fest in Seto hinein, dass der mit der Brust an die Lehne stieß und selbst aufstöhnen musste. „Schnellher!“ flehte er und drückte sich zurück. Sofort folgte Yugi seinem Wunsch und traktierte ihn mit schnellen, kleinen Stößen. So wie sein Uke es am liebsten hatte. Seine Hüften bewegten sich wie von selbst als er sich immer und immer wieder in die harte Enge hineintrieb. Er richtete sich auf und stellte seinerseits einen Fuß auf dem Boden ab, fasste die muskulösen Hüften und stieß so schnell in ihn, dass er kaum schnell genug atmen konnte. „OH GHOTT! GHOTT! JHA! JHA! OH GHOTT JHA!“ Seto hatte gerade genug Willen, um sich den Stößen entgegen zu strecken und nicht über die Lehne hinaus zu rutschen. Doch in seinem Kopf war Leere und sein Körper voller Lust. Wenn jetzt jemand hereingekommen wäre, er hätte es wahrscheinlich nicht einmal mitbekommen. Die Art wie Yugi sich tief und schnell und hart in ihn trieb, beraubte ihn jedweder Beherrschung. Und er hörte selbst kaum wie er immer wieder bettelte: „BHITTE! JHA! JHA! OH GHOTT! JHA! HÖR NHICHT AUF! HÄRTER! HÄRTER! JHA! OH GHOTT HÖR NHICHT AUF!“ „Du bhist fantastisch!“ keuchte Yugi und obwohl ihm schwindelig wurde, konnte er den Blick nicht von diesem mächtigen Rücken wenden. Dieser Mann war die pure Sünde. Und niemand konnte so atemberaubend unkontrolliert sexy sein. „Dhu bhist wunderschöhn. Dhu … dhu bist fantasthisch.“ „ICH KHOMME! OH GHOTT! ICH KHOMME! JHAAA! HÖR NHICHT AAAAA …“ Setos Rücken drückte den Bauch auf den Pelz und dehnte seinen Kopf bis er die Decke ansehen könnte, wenn er denn die Augen öffnen würde. Sein Körper zuckte vor Lust und entglitt jeder Kontrolle als er seine weiße Lust zwischen Yugis Fingern hindurch presste. „Dhu bhist … un … glhhaaahhuuubleeee …“ stöhnte Yugi, während er sich wunderbar tief in ihm erlöste. Fast gleichzeitig teilten sie ihren Höhepunkt. Seto sank mit jammerndem Atem auf den schmutzigen Pelz und Yugi tat es ihm nur Sekunden später nach. Er presste seine Stirn zwischen Setos Schultern und genoss das Gefühl, wie die Enge um seine Härte pulsierte. Auch noch einige Momente nachdem er ihm alles gegeben hatte. Der Nachhall war ungewöhnlich lang. Noch einige Minuten lag Yugi über ihm und zuckte unkontrolliert mit den Hüften. Als würden die Trümmer einer Explosion herabregnen. Und auch Seto ging es nicht anders. Jedes Mal, wenn er sich bewegte, musste er aufstöhnen und es tropfte immer wieder ein Rest Weiß aus seiner pulsierenden Härte. Es dauerte einige Zeit bis die Herzen ruhiger schlugen und die Lungen den Marathon beendeten. Und diese Zeit ließen sie einander auch. Sie hatten lange keinen so schnellen, ekstatischen Sex gehabt. Da war auch das Nachspiel etwas, was dazugehörte. Irgendwann war Yugi so weit beruhigt, dass er sich herausziehen und hinter seinen Liebling setzen konnte. Geschafft lehnte er sich an die Rückenlehne und strich über Setos Lendenwirbel, welche sich ganz langsam entspannten. Seto stöhnte leise, doch jetzt eher wegen der Erschöpfung. Er war bereits auf den Bauch gesunken und kraulte sich selbst am Hinterkopf, was aus Yugis Position gesehen, sehr niedlich aussah. „Alles okay?“ wollte er geschafft hören. „Habe ich dir wehgetan?“ Seto seufzte und fasste sich ungläubig ins Haar. So richtig schien er keine Antwort zu finden und seufzte nur. „Lebst du noch?“ lachte Yugi. So sprachlos war sein Engel doch sonst selten. „Willst du mich heiraten?“ erwiderte Seto tonlos. „Mal sehen“ schmunzelte er den süßen Popo an. „Verrätst du mir auch deinen bürgerlichen Namen, MeltingMan?“ „Jeremy-Linus Schröder … und deiner?“ „Kevin-Merlin Müller“ grinste er. „Aber ich glaube, das mit dem Heiraten wird schwer. Ich bin leider schon verheiratet.“ „Ach, Scheiße“ seufzte er erschöpft gegen das Polster. „Bin ich doch auf einen Internetfake reingefallen.“ „Tut mir leid, Jeremy-Linus. Aber wir können uns ja ab und zu zum Bumsen treffen.“ „Auch okay.“ „Was denn? Willst du nicht versuchen, mich meinem Mann auszuspannen?“ „Nein, danke. Er ist bestimmt ein reicher Mann, super sexy, mega schlau und ne totale Heulsuse.“ „Du hast mich gestalkt, oder?“ „Du bist ein Ehebrecher und ich ein Stalker. Internet macht’s möglich. Ab und zu mal Sex sollte da doch okay sein. Oder, Kevin-Merlin?“ „Zum Herunterfahren auf Start drücken, oder?“ „Häh?“ Seto drehte sich etwas umständlich herum und konnte Yugi gerade aus dem Augenwinkel sehen. „Muss ich das jetzt verstehen?“ „Nein. Ich verstehe es ja selbst nicht“ lächelte er und streichelte seinen nackten, süßen Popo. „Ich liebe dich, mein Herz.“ „Ich liebe dich auch. Kannst du mir einen Gefallen tun?“ „Klar, welchen denn?“ „Kannst du irgendwie feuchte Tücher oder was zum Saubermachen besorgen?“ „Wir haben ne ziemliche Schweinerei gemacht, was?“ lachte er und erhob sich mit seinem Stöhnen in den Stand. „Ich wette, morgen habe ich Muskelkater.“ „Rate mal, was ich morgen haben werde.“ Er lächelte, gab ihm einen Kuss und schenkte ihm „Okay, du hast gewonnen“ den Mitleids-Sieg des heutigen Tages. Chapter 55 >Und was sollte die ganze Aktion jetzt?< „Wenn ich das wüsste“ seufzte Marik und legte den Arm über seine Augen. Es war gleich halb vier am Morgen und er lag seit einer halben Stunde schlaflos im Bett. Sethan hatte ihn geküsst und es hatte sich unglaublich gut angefühlt. Er wusste nicht wie lang sie einander geküsst hatten, doch irgendwann war Sethan einfach aufgestanden, hatte sich die Kleidung gerichtet und war nach hause gefahren. Und ließ Marik mehr als verwirrt zurück. >Er bezweckt doch irgendwas damit. Und du lässt dir das auch noch gefallen.< „Was sollte ich denn machen?“ Und ein misstrauischer Yami half ihm da auch nicht weiter. „Ich konnte ihn doch nicht wegstoßen.“ >Natürlich hättest du das gekonnt. ICH hätte das gekonnt. Aber du w o l l t e s t es nicht. Und er w u s s t e das. Das Balg benutzt dich doch nur.< „Sprich nicht so respektlos von ihm, Malik. Du weißt, dass er es auch nicht leicht hat.“ >Woran er nicht unwesentlich selbst Schuld ist.< „Was ist eigentlich dein Problem, Mann? Erst redest du gar nicht mehr mit mir und jetzt hältst du nicht die Klappe.“ >Willst du dich etwa von ihm benutzen lassen? Der wollte doch nur seinen Spaß mit dir. Der macht sich über dich lustig.< „Das glaube ich nicht. Und ich weiß, dass du das auch nicht glaubst.“ Er drehte sich herum und sah durch das dunkle Fenster. Der Mond war nicht zu sehen, aber er schickte dennoch sein Licht in die Nacht. Direkt vor dem Fenster stand ein knorriger Baum, der sich wie ein Schatten vor dem dunkelblauen Himmel wiegte. Das Bett kam ihm so groß vor. Natürlich war es auch extraordinär groß, denn eigentlich war das hier die Schlafstätte von Amun-Re und Sethos. Und Sethos brauchte ein Bett mit Überlänge, mindestens 2,20m musste es lang sein, mindestens, und entsprechend breit. Eigentlich hatte Marik sich schnell daran gewöhnt, doch jetzt erst fühlte er sich verloren. Selbst wenn er alle viere von sich streckte, käme er nicht ans Ende der Matratze. Und das Gefühl mit Sethan war so eng, so warm, so eingewoben in den Moment. Seit er sich von ihm entfernt hatte, kam er sich verloren vor. Er hatte sich noch niemals verlassen gefühlt. Bis jetzt. „Morgen fahren wir wieder nach hause“ sagte er leise ins dunkle Zimmer. „Und dann sehen wir ihn nicht wieder.“ >Ich kann drauf verzichten, das Balg wiederzusehen.< „Malik, das ist NICHT hilfreich.“ >Was willst du denn hören? Dass ich mich verliebt habe? Vergiss es, das ist deine Suppe.< Maliks Stimme klang ärgerlich. Aber so klang er eigentlich immer. Doch jetzt mischte sich so etwas wie Sorge, sogar Eifersucht dazwischen. Er wusste genau, was in seinem Hikari vorging. Und es gefiel ihm nicht. „Ich glaube nicht, dass ich mich verliebt habe. Ich habe kein Herzklopfen“ antwortete er und dachte selbst über dieses fremde Gefühl nach. >Aber du warst erregt als er auf dir rumgeturnt ist.< „Aber wenn das Verliebtheit ist, dann ist die Liebe nicht so toll wie alle sagen. Nein, ich bin nicht verliebt. Das würde ich merken.“ >Deine Meinung.< „Ja, meine Meinung. Oder spürst du irgendwas von wegen Herzklopfen?“ >Selbst wenn. Das ist deine Sache. Interessiert mich nicht.< „Dafür, dass es dich nicht interessiert, zerbrichst du dir ganz schön den Kopf darüber.“ >Nur weil du dir den Kopf zerbrichst. Du zwingst mich ja dazu.< „Spiel doch nicht immer den Harten. Entweder hältst du dich raus oder du hilfst mir.“ >…< Daraufhin war er erst mal ruhig. Marik wusste genau, dass sein Yami nicht so ein harter Kerl war wie er immer tat. Ja, er war härter und rücksichtsloser und egoistischer als es gut war. Aber mit Marik verband ihn etwas, was keiner beim Namen nennen konnte. Und dieses Etwas konnte er nicht leugnen. Selbst wenn er nicht so gefühlsbetont darüber palaverte wie es andere Yamis taten. Er und Marik waren sich einig über ihr gemeinsames Leben. Malik war keine eigenständig geborene Person wie die anderen Yamis. Er war aus einem Teil von Marik entstanden. Aus dem Teil, welcher ihn mit seinen altägyptischen Wurzeln und seinen hunderten von Vorfahren verband. Malik war sein Band in die Vergangenheit. Und indem er sich von seiner Vergangenheit freigemacht hatte, hatte Malik sich geformt. Und deshalb war Marik der Stärkere von beiden. Auch wenn es nicht so wirkte. Malik war der Härtere, der Lautere, der Rohere, dar Barbarische. Er hatte aber keine eigene Vergangenheit, keine Kindheit und doch war er alles, was seinen Hikari mit seinen Vorfahren vereinte. Und Marik kontrollierte ihn. Und deshalb konnte der eine nicht ohne den anderen. So war das eben bei Seelenverwandten. >Okay< knurrte der eifersüchtige Yami. >Und was meinst du zu fühlen, wenn du nicht verliebt bist?< „Tja …“ Und der Baum wiegte sich so romantisch im Wind. Die Windböen kündigten einen bewölkten Morgen an, doch noch war keine Wolke zu sehen. Nur ein dunkelblauer, sternenloser Nachthimmel. >Marik, das ist auch nicht hilfreich.< „Ich weiß es doch auch nicht. Ich mag Sethan.“ >Ich mag Sethan< äffte er ihn genervt nach. >Er beleidigt dich, er ignoriert dich, er behandelt dich wie Scheiße und kaum sitzt er ein Mal auf deinem Schoß, magst du ihn plötzlich.< „Ich habe nie gesagt, ich würde ihn nicht mögen.“ >Und wie genau magst du ihn nun?< „Das weißt du doch genauso wenig wie ich. Du fühlst doch meine Gefühle. Also sag du es mir.“ >Du hast zwar kein Herzklopfen, aber du denkst ständig an ihn. Und du fühlst dich zu ihm hingezogen. Auch sexuell. Wenn ich das deuten soll, würde ich sagen, einer von uns beiden ist schwul.< „Meinst du? Das hätte ich nicht von dir gedacht, dass du mal ans andere Ufer schwimmst.“ >Ha ha.< „Nein ehrlich, das glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass ich schwul bin.“ >Aber du hast noch nie ein Mädchen geküsst.< „Aber auch keinen Jungen.“ >Doch, jetzt schon. Und es hat dich angesext.< „Das hätte jeden angesext. Sethan hat einfach etwas Anziehendes.“ >Anziehend findest nur du ihn. Ich nicht.< „Ich glaube, heute Nacht kommen wir auf keinen Nenner mehr“ seufzte er und drehte sich zurück auf den Rücken. Die Zimmerdecke wirkte bei diesem nächtlichen Licht, kurz vor Sonnenaufgang, silbergrau. „In knapp sieben Stunden geht mein Flieger und ich werde Sethan niemals wieder sehen. Er kommt nicht nur aus einer anderen Zeit, sondern hat auch ganz andere Sorgen als mich. Selbst wenn ich schwul oder verliebt oder sonstwas wäre, hätte das keine Bedeutung für ihn. Also brauche ich mir darüber auch nicht den Kopf zu zerbrechen.“ >Und für dich? Willst du nicht wissen, was mit dir los ist?< „Nicht mehr heute Abend.“ Er drehte sich auf die Seite, knüllte das Kissen unter seinem Kopf zusammen, atmete tief ein, hielt den Atem an und atmete ganz langsam wieder aus. Seine angespannten Muskeln entspannten und er sank in die weiche Matratze ein. Vor der morgigen Reise sollte sein unsteter Geist noch etwas Ruhe suchen und hoffentlich auch finden. Und vielleicht kam Sethan morgen nochmals auf ihn zu, um sich auf eine leichter zu deutende Weise zu verabschieden. „Schlaf gut, Malik.“ >Selber.< Der Wind pfiff um den Baum und ein Grollen meldete sich in der Ferne. Vielleicht kam ja noch ein Gewitter auf. Gewitter war eine schöne Sache, die es in der Wüste selten gab. So genoss Marik das leise Grollen und das Singen des Windes, welcher sich seinen Weg durch die Stadt, durch die Blätter und die angekippten Fenster der Häuser suchte. Wenn er auf den Wind und das rauschende Blattwerk lauschte, beruhigten sich die Gedanken in seinem Kopf. Er musste nur schlafen. Morgen würde die Sache in einem anderen Licht erscheinen. Er hörte ein leises Klacken, welches zu nahe war um zu dem alten Baum zu gehören. Verschlafen blinzelte er mit den Augen und sah eine schemenhafte Gestalt aus dem Dunkel auf ihn zukommen. Er hob den Kopf und die Gestalt nahm langsam Formen an. Doch sicher war er erst als sie wirklich vor seinem Bett ankam. „Sethan …“ Es war gleich vier Uhr und eigentlich sollte er lange schlafen. Doch er sah nicht müde aus. Er trug einen Morgenmantel aus weißer Seide, was seinem blonden Haar einen Karamellton verlieh. Seine mystisch blau-violetten Augen glänzten im fahlen Licht des erwachenden Tages, doch sein ebenmäßiges Gesicht war nicht zu deuten. Wieder einmal. „Was macht Ihr denn hier?“ „Frage mich das bitte nicht.“ Er kam ganz heran und stellte ein Knie auf die Matratze. Er blickte durch das Nachtdimmen hindurch als wollte er durch Mariks Augen bis in seine Seele schauen. Selbst wenn er dies konnte, so ließ er nicht anmerken, was er dort sah. Er hob ein Bein über Mariks Körper und setzte sich auf seinen Schoß wie er es schon einmal getan hatte. Den Blick in seine Augen löste er nicht. Er hielt ihn unter sich fest, auf eine sanfte, fast verzweifelte Art. Ganz langsam lehnte er sich herunter, stützte sich auf Mariks Schultern und küsste ihn erneut. Genauso tief, genauso sinnlich, genauso begehrend. Und Marik sah keinen Grund, sich dagegen zu wehren. Warum auch? Seine Lippen waren fest und zärtlich und sein Kuss voller Sinnlichkeit. Das Gewicht auf seinem Körper breitete ein Wohlbehagen in ihm aus und als er die Seide über den schmalen Hüften berührte, wusste er, dass es dem anderen ebenso ging. Es war merkwürdig, doch in diesem Augenblick kam Marik ein absurder Gedanke. Vielleicht passten sie emotional nicht zueinander, doch dass zwischen Ihnen eine gewisse körperliche Anziehung bestand, konnte keiner von beiden leugnen. >Er nutzt dich nur aus!< schimpfte Malik von tief innen. >Das ist mir so egal< antwortete Marik und schloss die warnende Stimme seines Yamis weit fort. Er wollte keine Warnungen hören und nicht an den Morgen denken. Diese Nähe war zu innig und zu einnehmend als das er an etwas anderes als diesen Moment denken konnte. Und Sethan tat sein übriges. Er löste seine Lippen und hauchte einen feuchten Atem aus. So verharrten ihre Lippen einige Sekunden übereinander bis sie ganz getrennt wurden und Sethan den Oberkörper erhob. Ebenso Marik, welcher sich auf die Hände stützte und die violett schimmernden Augen tief anblickte. „Ihr seid wunderschön“ musste er einfach sagen. Sonst konnte er es nicht fassen. „Sag das nicht“ flüsterte er und senkte beschämt den Blick. Nebenbei kramte er in der Tasche seines Morgenmantels und schob etwas knisterndes, glattes unter Mariks Hand. Und der musste nicht hinsehen, um es zu erkennen. Ein Kondom. „Schlaf mit mir, Marik“ bat er mit bebender Stimme. „Ich hoffe, dass du es genauso willst wie ich. Bitte liebe mich ein einziges Mal, bevor wir uns für immer trennen.“ „Warum so plö…?“ „Aber frage nicht warum“ unterbrach er die Frage sofort. „Marik… bitte … Marik. Bitte stell mir keine Fragen. Nur dieses eine Mal … ohne Fragen …“ „Wie Ihr wünscht“ flüsterte er, hob die Hand und strich ihm das weiche Haar aus dem Gesicht, berührte die zarte Haut seiner Stirn. Er sah traurig aus und dabei so wunderschön. Wie ein bittersüßer, melancholischer Traum. „Keine Fragen. Versprochen.“ Noch ein letzter Moment, einige letzte Sekunden in welchen sie einander ansahen und wussten, dass sie verbunden und gleichzeitig getrennt waren. Das wollte jedoch niemand fragen und es wahrscheinlich auch gar nicht wissen. Dafür war dieser Moment zu kostbar. Dann schoben sie ihre Bedenken fort und überließen sich einem anderen Gefühl. Dem Gefühl, welches ihre Körper zusammenzog, welches ihre Hände ineinander führte und ihre Lippen zueinander drängte. Eigentlich war Sethan ein Fremder für Marik. Er wusste nichts von ihm, nichts von seinen Gefühlen, seinen Wünschen, seiner Ideologie. Doch er fühlte seinen Atem, seine Wärme, seine Berührungen und er wusste, dass er etwas besonderes war. Und Sethan fühlte es ähnlich, noch intensiver als Marik ihn mit haltenden Händen zurücklegte, aufs Kopfkissen bettete und seine Hände unter die Seide an seinen Bauch gleiten ließ. Er wusste alles von Marik. Wusste um seine Loyalität, seine Treue und seine Willensstärke. Und er wusste, dass Marik der einzige Mensch war, der ihn an der Erfüllung seines Schicksals hindern konnte. Er fürchtete sich vor ihm. Vor seinen Worten, seinen Taten, seinem Schutz. Und doch gab es in ihm dieses unbezwingbare Bedürfnis nach seinen Lippen, seinen Berührungen, seiner Nähe. Marik war die Sünde, welche ihn zu Fall bringen konnte. Marik war das, was ihn zu einem Menschen machte - und das war gefährlich. „Nur heute Nacht“ schwor Sethan als Marik seinen Hals entlang küsste. „Nur ein Mal … nur dieses eine Mal … ein einziges Mal nur …“ „Wenn Ihr zweifelt, dann sagt es nur“ bat Marik, der diese Worte anders deutete. „Ihr müsst gar nichts tun …“ „Ich muss so vieles tun … und will eigentlich nur dich … Marik.“ Er griff in Mariks Haar und drängte ihm seine Zunge auf. Sein Körper zitterte und sein Blut rann rückwärts durch alle Glieder. „Nur dieses eine Mal. Danach niemals wieder. Danach sehen wir uns niemals wieder.“ „Schade …“ „Sag das nicht. So etwas darfst du niemals sagen!“ Er schlang sein Bein um Marik, seine Arme um ihn seitwärts zu drehen und drückte ihn auf den Rücken, schob seine Shorts hinunter und küsste sein Kinn. „Das hier hat keine Bedeutung. Verstehst du? Keine Bedeutung.“ „Was immer Ihr sagt, Sethhhhaaaa ...“ Er konnte nicht weiter sprechen, die Hand zwischen seinen Beinen hinderte ihn daran. Noch niemals war ihm eine solche Hitze in den Kopf geschossen und noch niemals hatte seine Stimme einen solchen Ton erlangt. „Aahh!“ Noch niemand hatte ihn jemals so angefasst. Und es war besser als er es sich vorgestellt hatte. Fremde, warme Hände an seinen intimen Stellen. Er drückte sich ins Kissen, rang den Arm um Sethans Hüfte und begrüßte seinen feuchten Kuss. Es gab kein Entkommen mehr. Für niemanden. Marik löste den Gürtel des Seidenmantels und fand darunter heiße Haut, welche bei jeder Berührung von einer Gänsehaut geziert wurde. Auch seine Hand griff tiefer und nahm die pochende Härte an sich. „Mharikh!“ keuchte er, drängte ihm seinen Unterkörper entgegen bis ihre Lust einander berührte und sich die ersten Zeugen ihres Begehrens mischten. Ihre Zungen rangen sich umeinander, ihr Atem wurde schwer und schnell und ihre gedrückten Stimmen erfüllten den Raum. Es gab keine Fragen mehr, kein Gestern und kein Morgen. Es gab nur noch diese Leidenschaft. Als ihre Hände sich berührten, dachte niemand mehr an die anfängliche Feindseligkeit und die Verletzungen, welche sie einander entgegengebracht hatten. Keiner von beiden zweifelte an der Wahrheit in diesem Moment. Was sie taten war nicht falsch. Es war das einzige, was in dieser Nacht richtig war. Lange Zeit küssten sie einander bis ihre Zungen sich auswendig kannten. Lange Zeit strichen ihre Hände über den Unterkörper des anderen bis sie jeden Muskel ohne einen Gedanken zeichnen konnten. Ihre Lungen wurden eins, sodass ein gleichmäßiges Atmen den Raum erfüllte. Als jedoch Sethan zum ersten Mal über Mariks Brust strich, wurde die Leidenschaft übermächtig. Sein Arm zuckte beiseite und fuhr über das zerwühlte Bett. Wo war das Kondom? „Hier“ hauchte Marik und griff etwas höher, zog es unter einer Deckenfalte heraus. Langsam griff Sethan es und öffnete es mit zitternden Händen, während er Mariks Hände auf seinen Oberschenkeln fühlte. Es machte ihn wahnsinnig. Als er die heißen Lippen an seinem Brustbein wahrnahm, stöhnte er auf und fing den geliebten Mund mit seinem ein. Fast hätte er das Kondom fallen lassen, doch Mariks Hand umgriff sein Handgelenk und gab ihm ein Stück Sicherheit. „Ich khann nhicht mehr“ keuchte er und sank mit der Stirn an Mariks Schulter. „Bhitte Mharik … ich … ich whill dhich …“ „Tut mhit mir, whas Ihr whollt“ atmete er und griff mit der ganzen Hand in sein halblanges, karamellhaar. „Sethan …“ „Mharik.“ Er richtete sich auf und saß hoch auf dessen Oberschenkeln. Ihre Augen trafen sich, die Intensität dieses Moments hatte sie eingefangen und wäre die Welt untergangen, es hätte sie nicht aufgehalten. Marik fuhr mit den Händen an Sethans Armen hinauf. Seine Augen sprachen alles aus. Es gab nichts, was ihnen dieser Moment vorenthielt. Sie mussten es sich nur nehmen, nur zulassen. Als Mariks Hände Sethans erreichten, hielten sie einander fest und ließen die Magie des Moments in sich dringen. Es gäbe so vieles zu besprechen und doch war in diesem zerbrechlichen Blick alles glasklar. Sie begehrten einander, daran gab es keinen Zweifel und keinen Einwand. Sethan beugte sich herunter und küsste mit solch einer Zärtlichkeit diese feuchten Lippen, dass allein die Aufrichtigkeit Sünde zu viel war. Vorsichtig, innig, hingebungsvoll und von solch einer Reinheit, dass nichts Schlechtes mehr existierte. Marik umfing seine Schultern, strich seinen Rücken hinab und öffnete den Mund für noch mehr Zärtlichkeit. Er nahm ihm die unausgesprochene Frage ab und auch die Demütigung, die er vielleicht empfand. Er öffnete seine Beine und bot dem Gottkönig seine Unschuld dar. Ihm war es egal wie ihre Körper einander liebten, doch Sethan war in einem Stand, welcher es ihm verbot, sich hinzugeben. Marik gab sich gern für ihn hin. Für diese Leidenschaft, die nichts Falsches in sich trug. Doch Sethan überraschte ihn einmal mehr. Er setzte ihm das warme, glatte Latex auf die heiße Spitze und rollte es behutsam herab. „Hhhaaahhh …“ Marik stöhnte in den Kuss hinein, hatte etwas anderes erwartet und konnte sich doch nicht gegen das glühende Gefühl in seinen Muskeln erwehren. Sethan umgriff die gleitfähige Härte, richtete sie aus und … „Mharik … Mhaaarik …“ … ließ sich darauf nieder. Er hatte sich entschieden. Der Schmerz war nichts gegen sein donnerndes Herz. Sethan wusste, was er tat war gefährlich, es würde ihn süchtig machen und ihn jeder Distanz berauben. Er kettete sich selbst an einen Menschen, an seine Wünsche und Begierden. Er riskierte mit seiner selbstsüchtigen Leidenschaft das Wohl dieser Erde. Es gab keine Worte, welche das rechtfertigten. Es gab nur das überwältigende Gefühl ein einziges Mal im Leben das zu tun, wonach er sich selbst, nur sich, sich allein sehnte. Marik zuckte unter ihm, hielt sich zurück, während das zartfühlige Wesen auf seinem Schoß erotisch stöhnte. Das hier fühlte sich weitaus besser an als Sethan befürchtet hatte. Diese Hitze, der Druck und der übermächtige Herzschlag. Und unter ihm dieser wunderbare, ehrliche, treue Mensch. Mariks dunkler Körper, sein helles Haar, seine klaren Augen, seine zärtlichen Hände und seine warme Stimme. „Nhur ein einzhiges Mal“ keuchte er und bewegte seinen Unterleib in einem genießenden Kreis. „Seethaan … hhmmmmng … hhhaaahhh.“ „Mharik, dhas ist … ist … hhaahh …“ „Sethan!“ Sie ließen fahren, was sie festhielt. Lösten auch die letzte Fessel von Fragen und Vernunft und gaben sich füreinander auf. Sethan legte sich an Mariks Brust und genoss die sanften Stöße, welche die Leidenschaft tiefer und tiefer in ihn trieben. Er hauchte seine Lust auf Mariks Mund, vereinte ihre Lippen und umklammerte seine Hand, welche er in dieser Nacht nicht mehr loslassen wollte. Ein Mal nur. Nur ein einziges Mal wissen, wie es war. Wie es sich anfühlte. Wissen, was es bedeutete, mit dem Menschen vereint zu sein, den man liebte. Marik hielt ihn fest als sein Körper die Beherrschung verlor und strauchelte. Er stützte ihn bei seinem Driften und legte ihn sanft mit dem Rücken nieder. Doch Sethan ließ ihn nicht los, stoppte nicht die willenvollen Wellen ihrer harten Leiber. Marik küsste ihn, strich mit heißen Fingerspitzen über die harten Knospen und hielt ihn tief in dieser Erfüllung gefangen. Und er hielt seine Hand, löste nicht ihre verschränkten Finger, ließ ihn nicht allein in diesem Sturm des Aufbegehrens menschlicher Sünde. Seine Härte glitt mit festen Stößen immer wieder in ihn hinein, zog sich heraus nur um der sofort aufkeimenden Leere neue Erfüllung zu geben. Und sich selbst zu mehr anzufachen. Ihre Stimmen wurden lauter, sie riefen einander mit Hitze und Härte. Noch immer waren ihre Körper getrennt, doch in ihrer Lust waren sie vereint. Ein einziges Mal nur vereint sein ohne einen Gedanken an Trennendes. In diesem Moment waren sie zu zweit und doch eins. Und riskierten dabei mehr als nur ihr eigenes Schicksal. Kapitel 12: Chapter 56 - 60 --------------------------- Chapter 56 Am nächsten Morgen saß Marik auf dem Sozius hinter Yami. Die schweren Holztruhen waren bereits von den Priestern am Morgen im Auto abtransportiert worden und lagen nun im Flugzeug. Dort wo Marik auch gleich sein würde. Er hatte sich beim Frühstück nichts anmerken lassen. Hatte gelacht und gescherzt und sich von klein Tato im Memory besiegen lassen. Doch in seinem Herzen war ein leerer, schwarzer Fleck. Er war ohne Sethan aufgewacht. Er fühlte ihn noch in seinen Armen, an seinem ganzen Körper. Roch und schmeckte ihn und hielt seine Hand, hörte seinen Atem und die Stimme, welche seinen Namen rief. Doch das Bett war verlassen als hätte es ihn niemals gegeben. Und allmählich gab er die Hoffnung auf, dass er ihn noch ein letztes Mal sehen würde. Nur einen Kuss zum Abschied. Wenigstens ein Winken oder seinetwegen auch einen Fluch. Doch ohne ein Wort zu gehen, fühlte sich so leer an. Er sah den Flughafen bereits als sie über die Straße brausten. Finn fuhr weiter vor ihnen und hatte die gelbe Ampel noch erwischt. Yami aber hatte Yugis Standpauke noch im Ohr und hielt kurz vor Rot. Nervös drehte Marik den Kopf zurück, doch es war kein bekanntes Auto hinter ihnen. Sethan fuhr ihm nicht nach. Dabei fuhr er extra mit Yami, da er wusste, dass der alte Pharao immer zuletzt abfahrbereit war. Doch auch das hatte nichts genutzt. Sethan hatte nicht versucht, ihn nochmals abzupassen. Yami fuhr wieder los und brachte ihn als letzten zum Zaun der Startbahn. Dort parkten die leeren Autos der anderen und Finn erwartete sie auch bereits mit einem Lächeln. „Das war aber kirschgrün, mein Freund!“ schimpfte Yami und zog sich den Helm vom schwarzhaarigen Kopf. Er mochte es gar nicht, wenn man ihn an der Ampel abhängte. „Das war sonnengelb“ lächelte Finn ihn provozierend an. „Vielleicht solltest du demnächst eine Brille tragen oder mal dein Gaspedal reparieren.“ „Und du solltest nicht so enge Hosen tragen und vor mir fahren!“ Finn sah seine Hose an, aber eng war die nicht. Eher eine Nummer zu groß wegen … nun ja, wegen der Schonung des kleinen Finns. „Danke fürs Mitnehmen“ dankte Marik und hängte den Helm über den Lenker. „Du siehst irgendwie bedröppelt aus“ stellte Finn mit scharfem Blick fest. „So schlecht ist Atemu doch nun auch nicht gefahren.“ „Nein, ich bin nur etwas müde. War wohl doch etwas zu spät gestern Abend.“ Doch dass Sethan ihm nicht Lebewohl sagte und er ihm nicht nochmals in die Augen sehen konnte, fühlte sich falsch an. Wie konnte er gehen ohne ihn ein letztes Mal gesehen zu haben? Waren Maliks Worte doch wahr? Hatte er sich ausnutzen lassen? War Sethan gestern nur auf Sex aus? Aber warum fühlte es sich dann so merkwürdig an? „Finn, geh mal vor“ bat Yami und hielt Marik am Gürtel fest, als der gehen wollte. „Warum? Kommt ihr nicht mit?“ „Gleich. Geh schon zu den anderen“ bat er erneut und lächelte ihn neckisch an. „Wir haben noch so Pharaonenkram zu bereden.“ „Haben wir?“ Das wunderte nicht nur Finn, sondern auch Marik. Doch der Liebhaber des Pharaos schob die Fragen zurück, nickte und ging durch das offenstehende Tor am Drahtzaun. Hinaus zur Startbahn, wo man schon den silbergrauen Flieger der Kaiba Corp. erkennen konnte. „Was möchtest du denn, Pharao?“ fragte Marik verwundert und sah in Yamis königliche Augen. „Kann ich etwas für dich tun, wenn ich zurück im Grab bin?“ „Sethan war neulich bei mir“ antwortete er ohne auf die Frage zu antworten. „Sethan …“ „Jupp, genau der.“ Er seufzte und setzte sich seitlich auf sein Motorrad, um nicht so bedrohlich vor Marik zu stehen. „Es kommt ja nicht oft vor, dass er von selbst das Gespräch sucht, deshalb habe ich mich schon ein bisschen gewundert. Besonders, was er mich gefragt hat, hat mir Sorgen gemacht. Ich hab’s bisher nicht mal Yugi erzählt, aber vielleicht solltest du davon wissen.“ „Wovon wissen?“ Sein Herz zog sich zusammen. Der Pharao machte ein so ernstes Gesicht und schien damit die Kiesel auf dem Boden zu zählen. Und warum sprach er jetzt über Sethan, obwohl er nicht einmal seiner anderen Hälfte davon berichtet hatte. „Ist Malik fort?“ „Der ist schon wieder sauer auf mich. Er hört nicht, was wir reden.“ „Auch ne ziemliche Zicke, was?“ schmunzelte er. „Kann man so sagen. Es ist nicht immer leicht mit ihm und seiner Eingeschnapptheit“ lächelte er und faltete die Hände vor dem Bauch. „Was ist es denn, was du mir sagen möchtest, Pharao? Du machst ein so ernstes Gesicht.“ „Ich habe euch gehört. Heute Morgen“ sagte er und sah ihn ernst an. „Er war bei dir. Und ich weiß, dass ihr nicht nur miteinander geredet habt.“ „Na ja …“ Abstreiten würde wohl nicht viel bringen. Aber das zuzugeben, wäre irgendwie auch merkwürdig. „Du brauchst auch nichts dazu zu sagen. Ich glaube nicht, dass euch außer mir noch jemand gehört hat. Ich bin nur zufällig an deinem Zimmer vorbeigegangen als ich in die Küche wollte. Aber es haben sich in meinem Kopf einige Teile zusammengefügt und glaube, es wäre gut, wenn du das weißt.“ „War es falsch?“ fragte er und sah ihn besorgt an. „Warum? Glaubst du das etwa?“ „Er ist immerhin der Herrscher der Götter. Und ich bin nur … nur ein Bediensteter.“ „Du bist der Wächter meines Grabes. Du schützt den Ort, an welchem sich alle Kräfte dieser und der anderen Welten begegnen. Du bist mehr als nur ein Bediensteter.“ „Falls du böse auf mich bist, möchte ich mich entschuldigen. Ich habe nicht …“ „Nein, du musst dazu nichts sagen. Und rechtfertigen musst du auch nichts“ unterbrach er ihn sofort mit erhobener Hand. „Ich bin vielleicht dein Herr, aber ich habe nicht das Recht, dir deine Gefühle vorzuschreiben. Ich möchte nur, dass du mir ganz kurz zuhörst.“ Er nahm die Hand herunter und strich mit den Fingerspitzen über die harte Naht des Ledersitzes. „Ich war im Aquarium und musste kurz mal für kleine Pharaonen und als ich wieder rauskam, hatte Sethan mich abgepasst und zur Seite gezogen. Und er stellte mir eine Frage, die mir lange keine Ruhe ließ.“ „Eine Frage.“ Fragen waren das, was Sethan am meisten hasste. Er wollte nichts gefragt werden und er antwortete auf nichts. Fragen waren für ihn ein rotes Tuch. Und Marik hatte ihm versprochen, keine Fragen mehr zu stellen. „Ja, eine Frage“ sprach Yami bedrückt. „Er fragte, wenn ich morgen sterben würde, was ich dann noch einmal tun würde.“ „Wenn du morgen sterben würdest?“ Das hörte sich ja furchtbar an. Was für eine grausige Frage. „Ich habe mir meine Skepsis natürlich nicht anmerken lassen und ihn zweideutig angeguckt.“ Und schmunzelnd setzte er hinzu: „Abgesehen davon, fiel mir auch nichts anderes ein. Wenn ich morgen sterben würde, würde ich noch mal ordentlich Sex haben wollen.“ „Das glaube ich dir sogar.“ „Ist auch die Wahrheit“ lächelte er und sah ihn sanft an. Aber dann sah er zur Seite, wo der Wind das vergilbte Gras wiegte. „Sethan war im ersten Moment nicht zufrieden mit meiner Antwort, aber ich erklärte es ihm. Ich erklärte ihm, dass wenn ich morgen sterben müsste, ich noch ein letztes Mal mit dem Menschen vereint sein möchte, den ich liebe. Und das sind Finn und Seth. Wenn ich sterben müsste, dann würde ich am liebsten mit beiden, aber mindestens mit einem von ihnen ein letztes Mal Sex haben. Und das nicht, weil ich so sexlustig bin, sondern weil ich das Gefühl spüren möchte. Weil ich fühlen möchte, wie es ist, mit dem Menschen vereint zu sein, den ich liebe. In seinen Armen zu liegen und mich geliebt zu fühlen. Bevor ich sterbe, würde ich mich noch ein letztes Mal lebendig fühlen wollen.“ „Das passt wirklich zu dir. Aber warum fragt er dich so etwas?“ „Ich weiß nicht. Vielleicht hat er sich eine weisere Antwort erhofft. Dass ich versuchen würde, mein Leben zu retten oder noch mal möglichst viele, gute Taten vollbringen würde oder dass ich nochmals alle meine Lieben in den Arm nehmen möchte oder dass ich beichten gehe oder mich mit Seth versöhne oder was weiß ich. Vielleicht hätte ich nach einer sinntieferen Antwort suchen können, aber das wäre gelogen. Wenn ich nur noch kurz zu leben hätte, würde ich Finn und Seth lieben. Weil es das ist, was ich mir ganz egoistisch am meisten wünsche. Ich sagte ihm, dass ich in meinem Leben nichts zu bereuen habe. Ich habe für meine Fehler immer eingestanden und mein Gewissen rein gehalten. Bei mir gibt es so etwas wie ‚unerledigte Dinge‘ nicht. Sicher gibt es viel, was ich noch erreichen und tun möchte, aber was mir wirklich wichtig ist und was in meiner Macht stand zu tun, habe ich immer sofort geregelt. Ich bin immer für meine Überzeugung, meine Pflicht und die Menschen eingetreten. Deshalb darf ich im Angesicht des Todes an mich denken. Dieses Recht gestehe ich mir zu.“ „Und was hat er dazu gesagt?“ „Nichts“ antwortete er und sah ihn wissend an. „Er hat meine Antwort genommen und mir nicht erzählt, was er daraus macht. Ich habe lange darüber nachgedacht, was er damit bezweckte, aber als ich euch gestern Abend hörte, drängte sich der Sinn dahinter quasi auf.“ „Und … was war der Sinn?“ Er fragte, doch eigentlich wollte er es gar nicht wissen. Sethans Verbot, ihm Fragen zu stellen. Seine Beschwörung, dass sie nur ein einziges Mal zusammen sein würden, bevor sie sich für immer trennten. Das konnte der Pharao nicht wissen und doch war in seinen Augen die Deutung auch mit weniger Hinweisen zu lesen. „Er fragte mich, was ich tun würde, wenn ich morgen sterben würde. Und ich sagte ihm, dass ich mich dem Menschen hingeben würde, den ich am meisten liebe. Und kurz später finde ich ihn in deinem Bett. Man muss kein großes Genie sein, um das zu deuten.“ „Du meinst, er wird morgen sterben?“ Das wäre schrecklich. „Aber dann müssen wir etwas tun.“ „Ich glaube nicht, dass Sethan morgen sterben wird, du Genie“ seufzte Yami und zog mitleidig die Augenbrauen zusammen. „Aber was sollte dann das Ganze?“ „Sethans Lebenssinn ist es, die beiden großen Götter zu versöhnen. Ich glaube nicht, dass er stirbt, bevor er nicht seine selbstgewählte Bestimmung erfüllt hat. Aber auch Sethan hat zwei Seiten. Auf der einen Seite ist er der Gottkönig, der Heilsbringer, das Schicksal unserer Welten. Auf ihm lastet vielleicht noch größere Last als auf uns Pharaonen. Aber er ist auch ein Mensch. Und ein Mensch begehrt, liebt und hat Angst. Und ich glaube, er hat meinen Rat gesucht, um zu erfahren, wie ich meinen Einklang zwischen Göttlichkeit und Menschlichkeit finde. Und welcher Seite ich den Vorzug geben würde. Sethan ist sehr diszipliniert und denkt an nichts anderes als seine Mission. Aber ich habe ihm indirekt geraten, sich auch seiner menschlichen Seite bewusst zu sein. So.“ Er hüpfte von seinem Motorrad, hakte Mariks Arm und zog ihn in Richtung Flugzeug. „Wusstest du, dass das Essen fürs Flugzeug ganz gesondert hergestellt werden muss?“ „Ähm …“ „Durch die Kabinenluft und den Druck in der Höhe, verändert sich der Geruchssinn und man nimmt Geschmacke anders war, meistens schwächer. Deshalb schmeckt Flugzeugessen immer etwas merkwürdig und am Boden wohl gar nicht. So oder so ähnlich hat Mokuba mir das jedenfalls erklärt, aber ich versteh’s nicht. Ich meine, ich esse auch gern im Flugzeug. Weißt du auch, warum Nika und Marie heute schon so früh losgefahren sind?“ „Atemu …“ „Sie waren bei BurgerKing und haben Verpflegung für dich geholt. So als Abschiedsgeschenk. Vielleicht musst du es aufwärmen, aber das klappt schon.“ „Atemu, wegen Sethan …“ „Du musst nicht mit mir darüber sprechen, Marik“ antwortete er und winkte schon den anderen, die sie kommen sahen. „Du weißt, meinetwegen musst du nicht zurück in die Wüste. Und Yugi denkt sicher genauso. Wenn du es für richtig hältst, hierzubleiben oder zurückzukehren, ist das in Ordnung. Und was zwischen dir und Sethan ist, ist allein eure Sache.“ „Aber du bist der Pharao, mein Herr. Mein Leben gehört dir.“ „Nein, das tut es nicht“ antwortete er mit ungetrübter Zärtlichkeit in seiner ebenen Stimme. „Ich habe nicht das Recht, dich einzusperren. Für deine Dienste und deine Treue bin ich unendlich dankbar und du weißt, wie wichtig du für mich und diese Welt bist. Deshalb habe ich keine Furcht, du könntest deine Pflichten vernachlässigen. Aber du bist der Wächter meines Grabes und nicht mein Priester. Dein Leben gehört mir nicht.“ „Aber ich verstehe es nicht. Erst beschimpft Sethan mich ohne Grund und zieht sogar in dieses ungemütliche Aquarium, nur um mir aus dem Weg zu gehen und dann tut er solche Dinge. Das passt überhaupt nicht zu ihm.“ „Wissen wir denn überhaupt, was zu ihm passt?“ fragte er und sah ihn tief an. Er konnte Mariks Gedanken und Zweifel erahnen. Doch er wollte nicht beeinflussen, was er tat. Er wusste, ein Wort vom Pharao und Marik würde ihm sofort Folge leisten - genau das wünschte der sich wahrscheinlich sogar. Aber der alte Pharao wünschte sich, er möge seinem Herzen und seinem Gewissen folgen. Und deshalb hatte er bereits zu viel gesagt. „Was ist grün, sitzt auf einem Baum und wenn es auf dich runterfällt, bist du tot?“ „Wie bitte?“ „Ein Billardtisch“ lachte Yami und klopfte ihm auf die Schulter. „Hat Loki mir erzählt. Sie hat so einen geilen Humor!“ „Ich verstehe.“ Nicht nur den Witz. Auch was der Pharao ihm sagen wollte. „Schau mal, da kommt Balthasar.“ Der kam nicht aus Richtung des Flugplatzes, sondern seitlich vom einzigen Gebäude her. „Hey, Balthasar! Ganz alleine?“ „Ich muss dem Scheißkerl und dem Arschkriecher nicht über den Weg laufen.“ Womit er wahrscheinlich Asato und Phoenix meinte. Die mied er noch immer. „Hast du nicht bald genug geschmollt?“ seufzte Yami. „Nein“ erwiderte er kurz und hielt ihren Lauf auf. „Marik, ich wollte dir noch mal auf Wiedersehen sagen.“ „Das ist sehr freundlich von dir“ dankte er und gab ihm einen freundschaftlichen Knuff. „Aber ich muss mich dem Pharao anschließen. Lieber wäre es mir, wenn du mit deinem Bruder Frieden schließen würdest.“ „Das lass mal meine Sorge sein.“ Der stechende Blick und die dunkle Stimme erinnerten stark an Seth. Und auch der ließ sich niemals zu etwas bewegen, was ihm gegen den Strich ging. Und Balthasar war stocksauer - nur worauf wusste niemand so wirklich. „Warum bist du bloß so sauer? Die beiden können doch nichts dafür, dass sie sich verliebt haben. Das hat doch nichts mit dir zu tun.“ „Wäre mir lieb, wenn du dich da raushalten könntest, Marik“ verbot er mit ernster Mine. Er seufzte und bemühte sich dann aber, einen dem Abschied gemäß freundlichen Ausdruck aufzusetzen. „Es war echt schön, dich getroffen zu haben. Sollten wir uns doch noch mal wiedersehen, müssen wir unbedingt gemeinsam feiern gehen. Das nächste Mal trinke ich dich unter den Tisch.“ „Versuch’s mal“ erwiderte er lachend und freute sich über die nette Einladung. Es war ein gutes Gefühl, wenn man wusste, dass auch außerhalb des Grabes Menschen waren, die ihn irgendwie zur Familie zählten. Selbst wenn sie ihn kaum jemals persönlich trafen. Allein schon deshalb würde er die Ehre der Ishtars niemals aufs Spiel setzen. Zum Pharao zu gehören, war ein Gefühl der Verbundenheit, welches wohl die wenigsten Menschen jemals kennenlernten. Da kamen ihm schon die Kinder entgegengelaufen, um zuerst Goodbye zu sagen. Ungewöhnlicher Weise war nur Nini nicht unter ihnen. Sie stand an Setos Bein und weinte in seine Kniekehle. Sie wollte nicht, dass Marik wegflog. Sie konnte so schwer Abschied nehmen. „Ich verziehe mich dann mal. Gute Heimreise, Marik.“ „Danke, dass du extra gekommen bist, Balthasar.“ Ein letztes Mal lächelten sie sich an, bevor die Visite schon wieder vorbei war und er zurück ins Aquarium fuhr. „Ich kann sein Problem nicht nachvollziehen, Atemu.“ „Das hat er von seinem Vater. Bevor er sich nicht öffnet, prallt jedes gute Wort an ihm ab“ seufzte er und klopfte Marik auf die Schulter. „Ist nicht dein Problem, Süßer.“ „Du schreibst einen Brief“ forderte klein Tato, der sich sofort an Mariks Hand hängte und ihn mit großen, blauen Augen ansah. „Mit großen Buchstaben, damit ich selber lesen üben kann. Und nicht kritzeln!“ „Nein. Versprochen, kleiner Drache“ lächelte er und tätschelte ihm das Köpfchen. „Nie so schnell lauwe“ bettelte Feli und hängte sich an Mariks andere Hand, was ihn zum Lächeln brachte. Sie war eigentlich nicht besonders zutraulich und fremdelte stark, aber mit ihr hatte er Freundschaft schließen können. Mit der kleinen Fee, die ihn so selbstlos verliebt anlächelte. „Okee, dann gehört mir Ati“ beschloss Dante und nahm eben Yamis Hand. War ja sonst nichts anderes mehr übrig. Auf halbem Wege kam ihnen sogar jubelnd und quietschend klein Risa entgegen gewackelt. Sie war stolz, sie konnte endlich fast so schnell laufen wie eine Spinne. Eine Spinne mit Windeln. „Tja, dann ist wohl der Moment des Abschieds gekommen“ seufzte der große Tato und ging als erster Erwachsener zu ihm. „Mach’s gut, Marik. Es war schön, dich noch mal so jung zu sehen.“ „Geht mir auch so, Enaseus. Danke für die Gastfreundschaft.“ Sie schlossen sich in die Arme und nach ihm kamen noch so manche anderen. Überall hieß es „Mach’s gut“ und „Sichere Reise“ und „Bis bald“ und „Wir sehen uns bald wieder“ und „Grüß die Familie“ und „Komm bald wieder“ und „winke winke, Marik!“ und „so weiter …“ Sogar Nini ließ Setos Bein los und gab ihm einen Kuss zum Abschied. Einen Prinzessinnenkuss, der Glück brachte. Er wischte ihr die Tränen ab und Prinzessin Nini wünschte ihm alles Glück, dass sie wünschen konnte. Und dass es kein Gewitter gab unterwegs. Alle waren gekommen, um ihm zu danken, eine gute Reise zu wünschen und einfach, um noch mal dagewesen zu sein. Doch auch ein zweiter Blick über den Flugplatz, zu den Autos, in Richtung der Stadt und in Richtung Land - Sethan war abwesend. „Amun-Re und Sethos konnten leider nicht kommen“ entschuldigte Yugi. „Aber ich soll dir alles Liebe sagen.“ „Danke“ lächelte er traurig. Doch dass die beiden abwesend waren, davon war er ausgegangen. Schließlich konnte Sethos sich kaum bewegen und sein Gott wich ihm nicht von der Seite. Dafür hatten sie sich gestern ja bereits im Aquarium ausgiebig verabschiedet. Nur ob das gestern von Sethan eine Art Abschied war, wusste er nicht. Er wusste ja nicht mal, was das überhaupt gewesen war. Und er wusste auch nicht, weshalb er sich so einsam fühlte mit dem Gedanken, sich wortlos von ihm zu trennen. Bevor man starb, nur ein Mal den Menschen geliebt haben, den man am meisten liebte. Wenn er dem pharaonischen Rat tatsächlich gefolgt war, gab es nur zwei Möglichkeiten. Möglichkeit 1: Sethan musste morgen sterben. Möglichkeit 2: Marik war der Mensch, den er am meisten liebte. >Oh, mein Gott< fuhr es ihm durchs Hirn. Er zündete spät. Das war das, was der Pharao ihm suggerieren wollte. Sethan liebte ihn! Obwohl er ihn so arg beschimpft und von sich gestoßen hatte … oder hatte er ihn genau deswegen beschimpft und von sich gestoßen? Sethan hatte eine Mission zu erfüllen, hatte einer Bestimmung zu folgen. Er durfte sich nicht an so menschliche Gefühle binden und sich erstrecht nicht von so etwas weltlichem ablenken lassen. Deshalb sollte er keine Fragen stellen? Deshalb sollte es nur dieses eine einziges Mal geben? Und deshalb wollte er keinen Abschied nehmen? Die Tür des Flugzeuges stand offen und eine freundlich aussehende Dame im schicker grau-schwarzer KC-Uniform erwartete ihn. Die beiden Piloten saßen auch bereits vorn und warteten auf ihren einzigen Passagier. Alles war vorbereitet. Er musste gehen. Sein Platz war in der ägyptischen Wüste, tief unter der Erde in einem heiligen Grab. Er freute sich auch auf zuhause und auf seine Familie. Doch heute blieb ein Stück von ihm selbst im hohen Norden Norwegens. Er fühlte es. Er ließ sein Herz zurück. Er warf einen letzten Blick auf die Stadt, winkte den Kindern zurück und folgte der freundlichen Minirock-Dame zu seinem Platz. Die anderen entfernten sich von der Startbahn und nahmen die Kinder auf die Arme, damit sie noch weiter winken konnten. Klein Tato bejubelte das laute Dröhnen der Triebwerke und seine Schwester beweinte Mariks Abreise. Sie sahen zu wie das Flugzeug langsam drehte und an den Anfang der Startbahn rollte, die Turbinen grollen ließ und Geschwindigkeit hochschraubte bis sie kurz vor Ende der Piste endlich abhoben und gen Süden steuerten. „Ich will auch mal fliegen“ beschloss klein Tato und griff Yugis Kragen. „Papa, ich werde Flugzeugflieger!“ „Das heißt Pilot, mein Schatz.“ „Pilot.“ Der erste Berufswunsch seines Lebens. „Was willst du eigentlich noch alles werden?“ schmunzelte Mokuba den Großen an und zählte aus seiner Erinnerung. „Du bist doch schon Rockstar, Eiskunstläufer, Konzertflötist und Präsident der Kaiba Corp. … und jetzt auch noch Pilot?“ „Man hat ja auch ein bisschen Freizeit, um so verschiedene Ausbildungen zu machen“ erwiderte der trocken. „Bildhauer hast du vergessen“ setzte Sareth hinzu. „Papa ist ein großartiger Bildhauer. Seine Statuen stehen sogar im Kunstmuseum.“ „Sogar noch ein Beruf mehr in der Liste. Willst du noch mehr werden?“ „Ich wollte immer schon mal Fahrkartenkontrolleur sein, Onkel Moki“ antwortete er grottenehrlich. Das war offensichtlich kein Scherz. „Fahrkartenkontrolleur?“ „Die dreisten Schwarzfahrer nehme ich persönlich hopps. Das ist Erschleichung von Dienstleistungen und unfair denen gegenüber, die immer brav bezahlen. Ich hasse Schwarzfahrer! Ich könnte an die Decke gehen, wenn ich das mitkriege! Mal ehrlich, das ist Betrug! Und dann auch noch so frech sein und das als Lappalie abtun! Kotzen will ich bei solchen Typen!“ Hui! Tato hatte also eine Phobie gegen Schwarzfahrer … „Ganz neue Seiten an dir“ lachte Yugi. „Vielleicht solltest du in deiner Freizeit eine Polizeiausbildung machen.“ „Kein Interesse, Papa.“ „Warum nicht? Da könntest du richtige Verbrecher hopps nehmen.“ „Schon. Aber ich habe keinen Bock auf die Büroarbeit.“ „Sagte der Erbe der Kaiba Corp.“ bemerkte Seto zynisch. Sein Leben bestand doch zum Großteil aus Büroarbeit. „Jetzt gibt es doch Dante“ bemerkte Sareth und sah den kleinen Blonden an, der mit Risa gemeinsam im gelben Gras versuchte, Käfer zu fangen. „Vielleicht erbt er die KC und Papa macht was ganz anderes.“ „Hast es doch gehört. Zuerst werde ich Pilot“ beschloss der. „Ich ziehe mir ne hübsche Uniform an, habe an jedem Flughafen eine scharfe Freundin und für unterwegs die Stewardessen. Pilotsein ist ein sehr ausfüllender Job.“ „An jedem Flughafen ne Freundin?“ fragte Phoenix halb skeptisch, halb mit Vorwurf in der Stimme. „Ist das so, ja?“ „Na ja, außer da wo du bist“ lächelte er zuckersüß. „So wie du guckst, läuft selbst die beste Stewardess davon.“ „Asato, das ist nicht witzig.“ „War auch gar nicht witzig gemeint.“ „ASATO!“ „Was denn?“ „Lass dich doch nicht so ärgern“ seufzte Sareth. „Du weißt doch, dass er dich nur auf den Arm nimmt.“ „Trotzdem. Verkneif dir solche Sprüche, Dicker.“ „Welche Sprüche denn? Eine Pilotenuniform würde mir doch gut stehen.“ „Ja ja, du bleibst doch eh nicht lange Pilot“ seufzte Joey genervt. „Du gründest ganz schnell deine eigene Airline, dann steckst du dich in die Weiterentwicklung der Flugtechnik, dann kaufst du ein paar Flughäfen, machst darin Shoppingcenter und Restaurants auf, gehst mit Dante einen trinken und fusionierst alles mit der KC. Es endet doch immer gleich.“ „Und damit schließt sich der Kreis“ lächelte Yugi. „Was? Keine scharfen Freundinnen mehr?“ guckte Tato gespielt traurig. „Nein, keine Freundinnen“ knurrte Phoenix. Ja, es war nur ein Scherz, aber irgendwie passte ihm der Gedanke nicht so recht. Tato konnte ne Menge Frauen haben, wenn er wollte. Und das wusste der leider auch. „Da das auch geklärt ist, wollen wir langsam mal gehen?“ bat Noah mit Blick auf die Uhr. „Ich habe noch ein bisschen was zu erledigen.“ „Aber nicht zufällig mit Pegasus, oder?“ fragte Mokuba und bekam von ihm einen durchaus verwunderten Blick. Daraufhin wies er an den Himmel und auf ein herannahendes Flugzeug. Es war etwas größer als das, in welchem Marik eben abgeflogen war. Die Lackierung bestand aus strahlendem Weiß und auf dem Leitwerk das Markenzeichen der Industrial Illusions, das silberne geflügelte Pferd. „Könnten wir bitte gehen?“ bat jetzt auch Seto. Der war weniger gehetzt als jetzt schon genervt. Nur Noah fand eine Antwort. „Um deine Frage zu beantworten, Häschen: Nein, ich habe keinen Termin mit Pegasus.“ „Und warum taucht der dann hier auf?“ schimpfte Seto. „Wer hat den eingeladen? Der war schon hier! Der muss nicht noch mal wiederkommen!“ „Man könnte fast meinen, du freust dich richtig, ihn wiederzusehen.“ „HALT DIE KLAPPE, KÖTER!“ Hätte er nicht so laut geschimpft, hätte man ihn wohl auch nicht verstanden. Das Flugzeug machte bei der Landung einen ordentlichen Krach und brauchte die ganze Piste zum Landen. Eigentlich war das hier ein Flughafen für kleine Sportflugzeuge und nicht für die Privatflieger großer Unternehmer. „Viel größer hätte das Ding wohl auch nicht sein dürfen“ bemerkte sogar Tristan. „Ich dachte, das hier sei ein Hobbyflughafen. Der große Flughafen liegt doch auf der anderen Seite der Stadt.“ „Ist doch gut für den Flughafen“ meinte Joey. „Das gibt ordentlich Landegebühr.“ „Du denkst ja richtig wirtschaftlich, Bärchen“ lächelte Narla und ließ seine stolze Brust anschwellen. „So ein Unsinn“ brummte Seto, was die Schwellung sofort wieder kühlte. „Warum ist das schon wieder Unsinn? Musst du immer alles schlecht machen, was ich sage? Ich hasse dich, Mann!“ „Halt die Klappe, Holzkopf. Wahrscheinlich nutzt Pegasus diesen Flughafen aus genau denselben Gründen wie wir.“ „Und die wären? Wir hätten ebenso gut den großen Ostflughafen nehmen können! Aber neeeiiin! Ihr musstet ja den hier nehmen, wo nicht mal ne Firstclass-Lounge ist!“ „Genau!“ bestand auch Yami darauf. „So kriege ich ja nie meinen Vielfliegerstatus aufgebaut!“ „Du fliegst doch eh kaum“ meinte Yugi. „Weil er sehr viel näher an der Stadt dran ist und weil hier nicht so viel Verkehr ist“ erklärte Seto durch das Gerede unbeirrt. „Als wäre das ein Grund! Normalerweise dürfen hier nur Sportflugzeuge und Helikopter landen! Wir dürfen das nur, weil wir mit Yugi verheiratet sind!“ „Wir?!“ lachte Yugi. Joey meinte das wahrscheinlich anders. Sie durften den kleinen Flughafen nutzen, weil sie die Pharaonen waren und eben genau deshalb spontan reagieren mussten. Da konnte man nicht Stunden vorher Lande- oder Startgenehmigungen anmelden. Da musste es hopp hopp gehen - und das ging hier hopper als dort, wo viel Verkehr war. „Und Pegasus zahlt garantiert ne Menge Kohle dafür, dass er hier unbehelligt an- und abreisen kann. Dieser Flughafen ist nämlich eigentlich als Notlandeplatz ausgewiesen. Er ist schon beim ersten und leider nicht einzigen Mal hier gelandet und das wüsstest du auch, wenn du bei den Meetings mal besser aufpassen würdest. DESHALB! Idiot.“ „Selber Idiot.“ Dagegen konnte Joey nichts weiter sagen. Okay, Seto hatte Recht. Mal wieder. „Dafür kriege ich keinen Nervenzusammenbruch, wenn Pegasus auftaucht.“ „SEHE ICH AUS ALS HÄTTE ICH EINEN NERVENZUSAMMENBRUCH?!“ „Jaaaa! Maamaa!“ jubelte Tato. Laut und böse - so mochte er es. „Kommt, wir gehen in den Kindergarten.“ Er schnappte sich Tato auf den Arm und schleppte ihn mit Nini zusammen weg. Alles war besser als hier der linken Ratte über den Weg zu laufen und sich von verflohten Kleffern nerven zu lassen. „Drache! Heute ist Samstag!“ rief der ihm nach. „LECK MICH!“ „Er soll doch nicht fluchen, wenn die Kinder dabei sind“ seufzte Tea. „Joey, provoziere ihn doch nicht so.“ „Kann ich was dafür, dass er schlecht erzogen ist?“ maulte der und trollte sich dem Drachen nach. „Noch mal! Heute ist Samstag! Der Kindergarten hat zu …“ „Geht ihr nur“ seufzte Noah und knüpfte sich die Strickjacke gegen den auffrischenden Wind zu. „Ich übernehme dann Pegasus und finde heraus, was er hier will.“ „Ich bleibe auch“ beschloss Tea. „Ich habe ihn jetzt seit Jahren nicht mehr gesehen.“ „Geht mir auch so“ meinte Yugi. „Außerdem macht’s auch nicht wirklich Spaß, nach hause zu fahren, wenn Seto und Joey sich lieb haben.“ „Ist ja alles schön und gut“ zeigte Tato auf das Flugzeug, welches nach der Landung an den Rand rollte, wo bis eben noch ihr eigener Jet geparkt hatte. „Aber in dem Flieger sitzen nur zwei Herren im Cockpit und zwei Damen im hinteren Küchenbereich. Kein Pegasus.“ „Und woher weißt du das?“ schaute Yami ihn erstaunt an. „Riechst du das?“ „Quatsch, das Kerosin stinkt zu stark. Ich höre aber den Herzschlag und außerdem konnte man eben durch die Bullaugen reinsehen.“ „Deine Beobachtungsgabe hätte ich gern.“ „Aber wenn Pegasus gar nicht hier ist …?“ fragte Mokeph misstrauisch. „Genau, was will dann sein Flugzeug hier?“ ergänzte Mokuba. „Das können wir doch ganz einfach herausbekommen“ beschloss Noah und ging zum Flieger, wo gerade die Treppe heruntergelassen wurde und die beiden Damen zuerst ausstiegen. „Wow, sind die schick!“ staunte sogar Nika. Die Stewardessen trugen eine schneeweiße Uniform mit silbernen Knöpfen und auf ihrem Rücken Flügelchen aufgestickt. Dazu Schiffchenhüte und flache Knöchelstiefel. „Ja, das hat er der KC eindeutig voraus“ musste sogar Mokuba anerkennen. „Die Mädchen sehen klasse aus.“ „Ich werde Pegasus mal meine Bewerbung schicken“ grinste Tato und sah wie Phoenix rot im Gesicht wurde. Er war so süß, wenn er sich ärgern ließ. Nur Noah bewunderte die sexy Ladies weniger als das er sich kurz mit ihnen unterhielt. Er setzte ein Lächeln auf, brachte die beiden zum Kichern und verabschiedete sich auch schon wieder mit einem freundlichen Nicken. Dann trennten sich ihre Wege und die Damen gingen vom Flugzeug fort an den Rand, wo die Startbahn in ein vergilbtes Grasstück mündete. Noah kam zurück und sah weniger fröhlich als mehr verwundert aus. „Und was haben sie gesagt?“ wollte Yami sofort wissen. „Wo ist Pegasus?“ „Der scheint brav in Kalifornien zu residieren“ antwortete Noah und sah zu Mokuba herab. „Aber du solltest Terry mal anrufen.“ „Öhm … warum? Der liegt bestimmt noch im Bett und schläft seinen Rausch aus.“ „Weil die Crew hier ist, um ihn abzuholen.“ „Was? Unseren Terry wollen die abholen?“ stutzte Nika. „Wieso? Was hat der mit Pegasus zu schaffen? Ich denke, er hat ihm einen Korb gegeben?“ „Mehr konnte man mir auch nicht sagen. Nur dass sie hergeschickt wurden und ihn nach Amerika fliegen sollen.“ Mokuba durchsuchte schon wild seine Taschen und sprach in einem Satz: „Das will ich jetzt genau wissen scheiße mein Handy liegt im Auto ich geh’s schnell holen.“ Die anderen wollten ihm bei der Gelegenheit gleich folgen, aber blieben gesammelt schon nach dem ersten Schritt stehen. Aus der Richtung der Parkplätze kam Sethan gelaufen. Nein, nicht gelaufen. Eher gerannt. Er sprang über die Kuhle, hetzte über das gelbe Stoppelgras und sah nebenbei schon an dem Flugzeug hinauf. Aber selbst er erkannte: Das war kein KC-Jet. „Sethan, was ist denn los?“ rief Sareth ihm entgegen. Der verlangsamte abrupt seinen Lauf, atmete tief und kam mit wackeligen Schritten näher. Immer wieder huschten seine Augen zum Flugzeug, aber es veränderte sein Logo dennoch nicht. „Schatz, du bist ganz blass“ bemerkte Yugi und ging ihm entgegen. „Wo warst du denn den ganzen Morgen?“ Doch ihn ließ er genauso links stehen wie die anderen, welche vom Zaun aus verwirrte Blicke zu ihnen warfen. Kein Wunder, wenn Sethan sich so sonderbar benahm. Erst verschwand er spurlos und nun rannte er wie von der Tarantel gestochen aufs Flugfeld. Und er ignorierte Yugi, ging mit schier hypnotisiertem Blick auf das Flugzeug zu. Als er aber auch an Tato vorbeigehen wollte, ließ der sich das nicht so kommentarlos gefallen. „Hey, jetzt warte mal“ forderte er und hielt ihn am Arm fest. „Was ist los mit dir?“ „Lass mich“ flüsterte er und wollte sich losrempeln, aber sein Onkel Tato war stärker und umfasste seine Oberarme mit seinen festen Händen. „Du benimmst dich seltsam, Sethan. Was ist los?“ „Er ist weg, oder?“ „Wer?“ So schnell kam er nicht mit. Er blickte Sethan in die Augen und war im Unklaren darüber, was dieser Blick zu bedeuten hatte. So emotional hatte er ihn noch nie gesehen. Nicht mal als Kind. Als würde eine ganz andere Person vor ihm stehen. Der glatte, beherrschte, zurückgezogene Sethan war so voll von einem Wust an Gefühlen, dass er es sogar ausstrahlte wie ein normaler Mensch. Und Sethan hatte noch niemals so scharfe Emotionen sehen lassen. „Du meinst Marik? Ja, der ist gerade abgeflogen. Vor zehn Minuten oder so.“ „Dann habe ich es nicht mehr geschafft“ sagte er und sah zu dem fremden Flugzeug, welches nicht das war, welches er hatte erreichen wollen. „Er ist weg … für immer.“ „Hey, du zitterst ja.“ Er legte seine Hände etwas weicher an seine Schultern und versuchte, ihn zu deuten. „Sethan, alles in Ordnung? Ist etwas passiert?“ „ER IST WEG! DAS IST PASSIERT!“ schrie er ihn an und dass er ausgerechnet wegen Mariks Abschied Tränen vergoss, war noch überraschender. Und das sah man in den Gesichtern aller hier. Tato nahm ihn sofort in den Arm und drückte ihn schützend an sich. So geladen und bebend hatte er ihn noch niemals erlebt. Er war bei seiner Geburt dabei und kannte ihn sein Leben lang. Aber noch niemals hatte er sich so menschlich gefühlt. Oder zumindest hatte er es niemals gezeigt. Dass er nun die Fassung verlor, war das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Sethan wollte die Götter versöhnen und die Welt vor dem Untergang bewahren. Und gleichzeitig redeten alle auf ihn ein, er solle sein Leben mit mehr füllen als nur einem Schicksal. Und dass Marik etwas in ihm anrührte, war schon immer so gewesen. Als Sethan schluchzte, schluckte Tato seine Fragen und Bedenken und Vorahnungen herunter und tat einfach das, was er am besten konnte - aus dem Bauch heraus reagieren. „Okay, so kann das ja nicht bleiben.“ Er schob den schluchzenden Sethan ruppig von sich fort und zog sich mit schnellem Griff das schwarze Shirt über den Kopf. „Und was hast du jetzt vor?“ guckte Tristan. „Ihr funkt Marik an und sagt ihm, er soll irgendwo zwischenlanden.“ Er drückte Phoenix sein Shirt in die Hand und riss den zerflossenen Sethan an sich. „Heul nicht, Großer. Wir holen ihn schon noch ein.“ „Onkel Tato, das kannst du nicht …“ „Hast du ne Ahnung, was ich alles kann.“ „Aber …!“ „Ich kann es nur nicht sehen, wenn du rumheulst.“ „Aber er ist weg! Er ist weg für immer und …“ „Quatsch nicht von wegen immer. Nichts ist für immer.“ Er ignorierte die Gegenwehr, schraubte seine Arme um Sethans Brustkorb und alles, was man am Boden noch von ihm sah war ein Luftstrudel und dann riesige Flügel, die in Richtung der Wolken verschwanden. Das weiße Drachenleder verschwamm sofort vor den Wolken, der dunkle Falkenflügel strahlte noch einen Moment länger, bevor auch er hoch oben verblasste. So schnell, dass Sethan nicht genug Zeit bekam, um sich zu wehren. Ausnahmsweise hatte Onkel Tato mal schnell geschaltet und ergriff die Initiative. „Also, das muss man ihm lassen“ bemerkte Yami mit offenem Mund. „Er ist mit Abstand der schnellste Drache, den ich je gesehen habe.“ „Der will doch jetzt nicht echt das Flugzeug einholen“ guckte Mokuba ungläubig an den Himmel. „Du weißt doch, dass dein Neffe leicht größenwahnsinnig ist.“ „Ja schon. Aber nur weil Sethan tschüss sagen will, jagt er jetzt ein Flugzeug? Ist das nicht etwas übertrieben?“ „Mokischatzi“ lächelte Yami ihn neckisch an. „Wolltest du nicht dein Handy holen und euer Model anrufen?“ „Ja ja! Ja doch! Warum passiert immer gleich alles auf einmal?“ schimpfte er und stapfte über die vertrocknete Wiese zum Wagen zurück, in welchem er sein Handy hatte liegen lassen. „Er hört sich manchmal an wie sein großer Bruder“ kommentierte Narla. „Und hat jetzt einer ne Ahnung, was mit Sethan los ist?“ fragte Tristan in die ratlose Runde. „Ich meine, erst streitet er sich nur, dann ignoriert er ihn und jetzt bekommt er das Heulen, weil er sich nicht verabschiedet hat. Das passt doch nicht.“ „Was passt denn schon?“ zuckte Yami mit den Schultern. Dass der mehr wusste als alle anderen, behielt er ausnahmsweise für sich. Es würde weder Sethan noch Marik gut tun, wenn sie geoutet würden. Das sollten sie mal lieber selbst erledigen. „Also, ein paar Sorgen mache ich mir schon um ihn“ seufzte Yugi und blickte hinauf zum leicht bewölkten Himmel. „Brauchst du nicht. Die haben nix gesehen“ wies Yami auf die beiden Stewardessen, welche beide rauchend am Zaun standen und ihnen die Rücken zugedreht hielten. Wenn sie Tato gesehen hätten, würden sie sich da hinten nicht so seelenruhig unterhalten. „Ich meinte etwas anderes … Yami.“ „Ach?“ „Sethan ist mein Enkel und ich habe das Gefühl, ihn noch immer nicht wirklich zu kennen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mich das beschäftigt.“ „Das geht uns schon seit Jahren so, Opa“ versuchte Sareth zu trösten. „Sethan ist nun mal so. Wenn du mit ihm zusammensein willst, darfst du ihm nicht auf die Pelle rücken. Wenn er will, dass wir etwas wissen, wird er es uns sagen. Wenn du ihn ausfragen willst, dreht er sich nur um und geht … ich kenne ihn gar nicht anders.“ „Ja, vielleicht. Ich will aber nicht, dass er denkt, wir würden uns nicht für ihn interessieren.“ „Du interessierst dich aber immer sehr für andere“ meinte Yami. „Nimm’s nicht persönlich, aber lass doch die Glucke einfach mal stecken und die Leute machen, was sie für richtig halten. Du kannst nicht immer jeden bekümmern.“ „Meinst du?“ „Klar. Sethan ist ein junger Mann mit Grips. Der passt schon auf sich auf. Und dir tut es auch mal ganz gut, wenn du den Leuten ein paar Probleme für sie selbst übrig lässt.“ „Aber das gerade eben passte nicht zu ihm. Erst reagiert er übermäßig aggressiv auf Marik und nun weint er ihm nach? Yami, du kannst mir nicht erzählen, dass dich das kalt lässt.“ „Was war hier schon wieder los?“ Seto war zurück gekommen und wollte sofort upgedatet werden. „Warum weint Sethan und Tato probt hier den Start einer russischen Weltraumrakete?“ „Meine Güte! Lasst die Jungs doch einfach mal machen!“ raufte Yami sich seine schwarze Haarfrisur. „Du weißt doch irgendwas!“ „Ihr seid doch auch mal jung und wild gewesen.“ „Ich war nie wild“ verneinte Seto sofort. „Also. Nach dem, was Yugi mir von eurer letzten Nacht erzählt hat …“ „YAMI! KLAPPE!“ Chapter 57 Die Piloten hatten kaum ihre konstante Flughöhe erreicht als sie bereits von einem Funkspruch aufgefordert wurden, auf dem nächsten Flughafen wieder zu landen. Nach nicht ganz 500 Kilometern landeten sie nahe der dänischen Grenze, obwohl sie nicht aufgeklärt wurden, weshalb. Sie hatten keinen Terroristen an Bord, keinen technischen Defekt, die Instrumente waren normal und das Wetter ausgezeichnet. Doch wenn der Chef eine Landung anordnete, wurde eben gelandet. Merkwürdige Anweisungen von oben waren bei der Kaiba Corp. ja nicht ungewöhnlich. So parkte der Flieger am Rande des Flugfeldes und man wartete auf weitere Anweisungen. Etwas anderes als warten konnte man ja auch nicht tun. So auch Marik, welcher am Fenster saß und die in der Ferne startenden Flugzeuge beobachtete. Dieser Flughafen hier war größer als der in Blekinge. Man hatte ihm auch gesagt, wo sie waren, doch den merkwürdig skandinavischen Namen konnte er sich nicht merken, geschweige denn aussprechen. Warum nur hatte Seto angeordnet, dass der Flieger landen sollte? Man wies die Piloten auch nur zum Landen an und nicht etwa zur Umkehr. Hoffentlich war nichts schlimmes passiert, weshalb seine Heimreise gestoppt wurde. Vielleicht sollte er sich doch mal ein Handy zulegen - dann könnte er anrufen und nachfragen. Doch die Message lautete nur: Warten. Nicht mehr. So wortkarg wie Seto manchmal war, hätte er aber dennoch gern etwas mehr preisgeben können. Es dauerte fast eine Stunde bis ein gelbschwarzer Kleinbus über das Flugfeld zu ihnen kam. Und daraus stiegen nicht wie erwartet Angestellte des Flughafens, sondern zuerst Tato und nach ihm Sethan. Zweiter sah sehr verweht aus. Seine blonde Designerfrisur nur noch ein Wust aus Kletten. Auch seine Bewegungen schienen fahrig und sein Gesicht etwas zu blass. Was sollte er nun tun? Hier sitzen bleiben und wie angeordnet warten? Doch war die Wahrscheinlichkeit, dass Sethan seinetwegen gekommen war nicht immens hoch? Der Pilot stieg aus und begrüßte den halbnackten Tato mit einem Handschlag. Marik beobachtete wie die beiden sich kurz unterhielten und Sethan zu Boden sah und seine Hände knetete. War er etwa nervös? Er schien auch irgendwie traurig. Schwer zu sagen, Sethans Gefühle waren nicht leicht zu deuten. Aber dass etwas mit ihm nicht stimmte, war deutlich. Vielleicht war die letzte Nacht doch ein Fehler gewesen. Hatte Sethan vielleicht mehr erwartet? Hatte er erwartet, dass Marik ihn suchen würde? Dass er bleiben würde? Dass er Anstrengungen unternahm? Oder hätte er diese Avancen komplett ablehnen sollen? Was hätte er denn tun sollen? Sethan hatte klar gestellt, dass es kein zweites Mal geben würde. Und er war derjenige, der heute Morgen unauffindbar war. Sethan war einmal mehr ein Rätsel. Erst als der Pilot „Die Crew verlässt bitte das Flugzeug“ heraufrief, erwachte auch Marik aus seinen Gedanken. Er folgte den beiden Stewardessen zur Tür und wollte nun selbst fragen, was los war, doch da kam Tato bereits die Treppe hinauf und quetschte sich an den beiden Damen vorbei. „Frag mich nicht“ kam er Mariks Frage zuvor. „Ähm … warum?“ „Ich weiß auch nicht, was wir hier sollen. Komm mit.“ Er nahm Marik am Arm und brachte ihn zurück in die Kabine. Er wollte vertraulich mit ihm sprechen. „Was auch immer passiert ist, es tut mir leid.“ „Ich sagte doch, ich habe keine Ahnung von gar nichts“ brummte er und setzte sich mit dem halben Arsch auf die Sessellehne. „Du hast nicht zufällig ein Hemd griffbereit, oder?“ „Doch, habe ich.“ Er griff in einen der kleinen Schränke und zog eine Tasche hervor, aus welcher er auch gleich ein großes, schwarzes Shirt kramte. „Ich wollte mich eigentlich nachher noch mal aufs Ohr hauen.“ Das erklärte, warum das Shirt so groß war - das war sein Pyjama. Doch das machte Tato wenig. Hauptsache, es war schwarz. „Danke.“ Und passen tat es auch einigermaßen. Kleiner hätte es aber nicht sein dürfen. „Wie seid ihr überhaupt so schnell hier hergekommen? Ich habe kein weiteres KC-Flugzeug landen sehen.“ „Das war nicht schnell. Wir mussten einen Umweg machen“ erklärte er und zog das Zigarettenetui aus der Hosentasche. Keine Klamotten dabei, aber Zigaretten. „Ich konnte ja schlecht mitten auf dem Flugplatz landen mit den ganzen Passagieren und Kameras. Also sind wir in einem Waldstück nahe eines Dorfes runtergegangen, haben uns ein Taxi genommen und sind über zwanzig Minuten hierhergefahren. Schnell ist anders.“ Er zündete sich die Zigarette an und ließ das Silberetui wieder verschwinden. „Und … er?“ „Kurz nachdem du abgeflogen warst, kam er aufs Flugfeld gelaufen und war am Boden zerstört, weil er dich verpasst hat.“ „Am Boden zerstört?“ Das sah ihm alles andere als ähnlich! „Dasselbe habe ich auch gedacht. Also habe ich ihn geschnappt und hierher geschleppt. Aber nun schweigt er seit unserem Abflug und steht draußen ohne …“ „Stimmt nicht“ unterbrach ihn eine Stimme, welcher eine Person folgte. „Ich bin hier.“ Sethan kam die kleine Treppe hinauf und sah Marik nur kurz an, bevor er wieder seine Augen senkte. Er blieb gleich an der Tür stehen, doch dass er überhaupt gekommen war, war das größte Wunder. Irgendetwas war mit ihm, was ihn aus dem Konzept brachte. Und es musste so schlimm sein, dass er sich selbst immer weniger ähnelte. „Ich … ich weiß ja, dass ich nicht fragen soll …“ versuchte Marik irgendwie seiner Ratlosigkeit Ausdruck zu geben. „Aber … entschuldigt Sethan, aber Ihr verwirrt mich nun doch mehr als gewöhnlich.“ Der schlang die Arme um sich und sah seitlich aus dem Fenster. Seine violetten Augen hatten trotz des hellen Tageslichts eine dunkle Farbe und sein Gesicht wirkte traurig. „Mir geht’s ja auch nicht besser. Ich bin auch verwirrt“ gab er mit leiser, ganz leiser Stimme zu. Er sprach so leise, dass Marik sich konzentrieren musste, um ihn überhaupt zu hören. „Ihr … Ihr seid verwirrt“ wiederholte er. Hatte er das richtig verstanden? Sethan war mächtiger als jeder Gott und folgte einem großen, klar definierten Ziel, von welchem er sich niemals abbringen ließ. Und nun? „Und ich muss aufhören, dir die Schuld zu geben. Marik. Ich bin allein an allem Schuld.“ „Woran denn Schuld?“ „Daran, dass ich mich in dich verliebt habe“ gab er mit gepresster Stimme zu. „Und daran, dass ich dir wehtun werde. Ich werde dich ganz schrecklich verletzen. Euch alle. Ich hätte diese Gefühle niemals zulassen dürfen, aber … aber ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll! Alle reden auf mich ein und das Ziel, was ich hatte, ist so verschwommen, dass ich es kaum noch erkennen kann! Alle erwarten so viel von mir und erwarten, dass ich stark bin und gleichzeitig erwarten alle, dass ich mir Schwäche erlaube und ich hasse diese Erwartungen und …!“ „Du redest Unsinn“ unterbrach Tato und blies seelenruhig den Rauch zwischen den Lippen hervor. „Der Einzige, der zu viel von dir erwartet, bist du selbst.“ „DU HAST DOCH GAR KEINE AHNUNG!“ „Wie soll ich denn auch eine Ahnung haben? Du hast eine Mauer um dich aufgebaut, Sethan. Wir sind deine Familie und du kannst nicht erwarten, dass wir gern neben einer Mauer leben. Nicht wir erwarten zu viel von dir, sondern nur du selbst.“ „Ihr erwartet, dass ich die Zukunft rette!“ „Nein, du erwartest, dass DU ALLEIN die Zukunft rettest. Das alles ist auf deinem eigenen Mist gewachsen, mein Freund.“ Er erhob sich und drückte die Zigarette in die leere Teetasse neben sich. „Wenn es nach mir ginge, wären wir ausgezogen und hätten Seth und diesem kranken Spiel von der heiligen Apokalypse und Ankh Athu einfach ein Ende gemacht. Aber lieber folgen dir alle in die Vergangenheit. Niemand hat jemals zu dir gesagt: Los, rette die Welt! Dieses Schicksal hast du ganz allein für dich in deinem stillen Kämmerlein beschlossen. Und du bist derjenige, der sich hinter einer Mauer versteckt, also heule nicht, weil wir jetzt mit Hammer und Meißel davorstehen und gegen dich arbeiten.“ „Es ist aber meine Pflicht, die Götter zu versöhnen und die Welt …“ „Nein, ist es nicht, verdammt!“ wurde Tato etwas lauter. „Wer hat das jemals behauptet? Wer außer dir selbst hat jemals behauptet, es hänge alles an dir?“ „Es ist mein Schicksal seit meiner Geburt!“ „Und das redest du dir gerne ein, was?“ fragte er mit funkelnden Augen. „Sethan, ich könnte kotzen, wenn ich dich ansehe.“ „Danke auch!“ „Du quälst dich selbst und du merkst anscheinend gar nicht wie sehr wir, wir deine Familie, wie sehr WIR darunter leiden! Wir sehen tagtäglich mit an wie du dich immer mehr zurückziehst und wie du dich selbst kasteist und nun stehst du hier und gestehst Marik deine Liebe und tust so als hättest du alle sieben Todsünden gleichzeitig begangen und du erwartest ernsthaft, dass ich das Maul halte?“ „Ja, das erwarte ich! Du bist nur Priester und hast mir gar nichts vorzuschreiben.“ „Eben WEIL ich Priester bin, habe ich das Recht zu sprechen und angehört zu werden. Und stell dir vor, ich bin auch noch dein Onkel. Und wenn du so willst bin ich sogar dein Bruder. Ich weiß, dass wir ne problematische Familienkonstellation haben und ich weiß besser als manch anderer, dass es nicht leicht ist, sich selbst treu zu bleiben und dabei auch noch das Richtige zu tun. Aber Sethan, jeder macht Fehler. Und jeder kann seine Einstellung zum Leben ändern. Du bist vielleicht der König der Götter, aber du bist auch ein junger Mensch, der nicht besonders viel Lebenserfahrung hat.“ „Und was erwartest du, soll ich tun? Soll ich etwa alle verletzen, die ich liebe, nur weil ich das moralisch Richtige tue? Oder soll ich euch verletzen, weil ich selbstsüchtig handle? Was ist dir lieber?“ „Du hast uns schon verletzt. Und du tust es jeden Tag aufs Neue“ erwiderte er mit ernst gesenkter Stimme und ballte die Fäuste. „Was ich von dir erwarte, fragst du? Ich erwarte, dass du deiner inneren Stimme folgst.“ „Sehr lustig.“ „Und zwar nicht nur der Stimme deines Pflichtbewusstseins, sondern auch der Stimme, die dich anscheinend hier hergeführt hat.“ „Hergeführt hast nur du mich. HerENTführt hast du mich, Asato.“ „Weil ich dich noch niemals so verzweifelt gesehen habe, Sethan“ entgegnete er und seufzte tief. Er wusste, dass es für Sethan nicht so einfach war, sich gehen zu lassen. Nicht so wie es für Tato einfach war. Sie waren grundverschieden. Und doch hatten beide dasselbe Problem - nämlich das Richtige tun zu wollen und mit einem übertriebenen Pflichtbewusstsein, sich und andere zu verletzen. Ihre Taten unterschieden sich, doch das Ergebnis war dasselbe. „Also überlege dir, was du eigentlich willst. Willst du hier sein, weil du mit Marik etwas besprechen und beschließen willst, was dir selbst wichtig ist? Oder willst du gehen und weiter dein trauriges, aber pflichtbewusstes Leben führen? Sethan, wenn ich eines gelernt habe, dann dass es kein richtig oder falsch gibt. Nur wie man seine Wünsche und Bedürfnisse arrangiert, das kann man beeinflussen. So.“ Er stieg die Treppe hinab und sprach noch im hinausgehen: „Ich warte draußen. Lass dir Zeit, denk nach und sag bescheid, wenn du vernünftig geworden bist.“ Und ließ die beiden unter sich. Es war nicht mit anzusehen, und erstrecht nicht kommentarlos, wie sehr Sethan unter seiner eigenen Unentschlossenheit litt. Niemand machte ihm so viel Druck wie er sich selbst. Und das konnte Tato nicht ewig mit ansehen. Nicht als Priester, als Onkel, als Bruder und erstrecht nicht als jemand, der ihn über alles liebte. Sethan setzte sich auf den kleinen Tisch neben dem Sessel und bettete das Gesicht in die Hände. Er wusste, so konnte es nicht weitergehen. Er war so fest entschlossen, hatte sein Ziel genau vor Augen und wusste, er brauchte Geduld und Aufmerksamkeit, um es zu erreichen. Doch Mariks Auftauchen hatte er nicht einkalkuliert - und es war das einzige, was ihn hinderte. „Ich … ähm …“ Und was sollte der arme Grabwächter da tun? Er stand außen vor und kannte weder die Zukunft noch Sethan allzu gut. Und doch bekam er langsam das Gefühl, dass Sethans Zustand seine Schuld war. „Kann ich irgendetwas für Euch tun?“ „Nein, gar nichts. Mir kann niemand helfen“ erwiderte er mit tonloser Stimme. „Okay … ähm … Ihr … Ihr habt Euch also … also, ich meine …“ „Ja, ich habe mich in dich verliebt. Wolltest du das hören?“ „Na ja … ich gebe ja zu, dass ich verwirrt bin. Ich meine, erst werft Ihr mir Schimpf und Schande nach und nun seid Ihr so … ich weiß nicht genau, wie ich mich jetzt verhalten soll.“ „Das weiß ich auch nicht, Marik. Ich habe auch keine Ahnung, wie ich mich verhalten soll.“ „Meint Ihr, wir hätten das gestern besser nicht tun sollen?“ „Bereust du es?“ Sethan hob den Blick und fuhr sich durchs Haar, kam aber nicht weit, weil der Wind es komplett verklettet hatte. „Ich bin eigentlich zu nüchtern, um Dinge zu tun, die ich später bereuen könnte. Jedenfalls wenn es um so etwas geht. Darf ich?“ Er setzte sich mit behutsamer Annäherung neben ihn auf den Sessel und erwiderte diesen dunkelvioletten Blick, welcher so deutlich um Hilfe bat, dass es wehtat, ihn zu sehen. „Ich bereue nicht, was wir gestern gemeinsam hatten. Im Gegenteil, es war sehr schön. Aber ich bereue es, sollte ich irgendetwas in Euch geweckt haben, was Euch nun quält.“ „Du liebst mich nicht so wie ich dich liebe, oder?“ „Ich will ehrlich sein“ seufzte er und streichelte selbst etwas nervös über die Armlehne. „Ich bewundere Euch und fühle mich sehr zu Euch hingezogen. Doch ob ich in Euch verliebt bin, das kann ich nicht sicher sagen. Ich glaube, ich bin einfach kein Mensch, der sich leicht Gefühlen hingibt oder sich Hals über Kopf verliebt. Aber ich weiß, ich bin gern bei Euch und Euch traurig zu sehen, schmerzt mich.“ „Hm.“ Sethan blickte den blauen Teppich zu seinen Füßen an und versank in Gedanken. Marik wagte es kaum, ihn anzublicken, doch Sethan schien ihn ohnehin kaum zu bemerken. Seine mystischen Augen verfolgten unsichtbare Muster auf dem Boden und sein Gesicht zeigte keinerlei Hinweis auf Freude oder Trauer. Er blickte als sei er gar nicht anwesend. Wenn er sich so zurückzog, schien es als könne die Welt ihn nicht mehr erreichen. Erst nach einigen Momenten fragte Marik vorsichtig: „Und was tun wir jetzt?“ „Sag du es mir“ erwiderte er und schob den Blick hinauf bis er Marik unverwandt ansah. „Du weißt doch wie es ist, von Geburt an einer Pflicht zu unterliegen. Würdest du das Pharaonengrab zugunsten eigener Wünsche aufgeben?“ „Darüber habe ich lange nicht mehr nachgedacht. Aber wahrscheinlich muss ich das auch gar nicht. Denn das Grab zu erhalten und zu schützen, ist etwas, was mein eigener Wunsch ist.“ Er atmete kurz und versuchte, es so leicht wie möglich zu erläutern. Auch wenn es kaum Worte für das gab, was er empfand. „Ich weiß, dass die Stätte, dessen Wächter ich bin, eine wichtige Rolle für diese Welt einnimmt. Ohne das Grab und seine verbindende und ordnende Funktion, würde die Welt, so wie sie jetzt existiert, nicht länger existieren können. Würde das Grab geplündert oder gar zerstört, würde auch diese Welt zerbrechen. Deshalb ist es nicht nur meine Pflicht, sondern auch mein eigener Wunsch, den Pharaonen zu dienen und diesen heiligen Platz vor den Menschen und dem Verfall zu bewahren.“ „Also hast du aus deiner Pflicht einen Wunsch gemacht.“ Er sah wieder zu Boden und ergänzte traurig ein: „Bewundernswert.“ „So bewundernswert ist das nicht“ verneinte er mit sanfter Stimme. „Ich tue das alles ja nicht allein. Ich habe meine Geschwister Ishizu und Odion, ohne die ich sehr einsam und unzufrieden wäre. Außerdem arbeiten neben uns noch 27 weitere Personen im Grab, darunter fünf Kinder. Allein wäre ich unglücklich und das Grab wäre nur eine Last für mich. Nur wenn man große Aufgaben in der Gemeinschaft bewältigt, ist man ihnen gewachsen. Das gilt zumindest für mich. Ich weiß nicht wie es mit Euch ist?“ „Was ich tun muss, kann niemand anderes tun“ sagte er dumpf. „Ich habe erkannt, dass ich Mächte befehlige und Dinge sehe, welche sowohl Menschen als auch Göttern versagt bleiben. Deshalb ist es meine Pflicht von Geburt an, den beiden Zwillingsgöttern eine reelle Chance zur Aussöhnung zu geben und die Welt damit in ein neues Gefüge zu setzen.“ „Dann bedeutet das, wenn der Seth wie Amun-Re in die Menschenwelt eintritt, dass Ihr dann den Platz als alleiniger Gott einnehmt?“ „Sei nicht dumm“ bat er mit einem traurigen Lächeln. „Ich habe einen meiner Seelenwächter geopfert, um Amun-Re zum Menschen zu machen. Und dasselbe werde ich für Seth tun müssen. Und wenn dies getan ist, werde ich keine Kraft mehr haben, um noch Gott zu werden.“ „Aber was hätte das für einen Sinn? Dann leben die beiden Götter wie Menschen in der Menschenwelt und nach wenigen Jahren werden sie sterben und wieder ihre angestammten Plätze einnehmen. Dem Seth traue ich es sogar zu, dass er seinem Menschenleben sofort selbst ein Ende setzt, um seiner Gefangenschaft zu entkommen.“ „Das traue ich ihm auch zu.“ „Also ist Euer ganzes Vorhaben nur ein Himmelfahrtskommando für Euch selbst. Und dazu seid ihr auch noch in der Zeit zurückgereist, was für mich, entschuldigt bitte, nicht übermäßig vorteilhaft scheint.“ „Der Vorteil ist der, dass diese Zeit noch relativ ruhig ist“ antwortete er mit verlorener Stimme. „In unserer Zeit tötet Seth, der ehemalige Priester, so viele Menschen, dass Chaos in allen Welten herrscht. Die Erde wird von Feuerstürmen und Seuchen und Kannibalismus überzogen, sodass weder Engel noch Schatten ihre Aufgaben in gerechter Art wahrnehmen können. Die Menschen haben keinen Ort zum Flüchten und ihre verzweifelten Rufe betäuben die Ohren der Götter. Unserer Zeit auch noch die herrschenden Zwillingsgötter zu rauben, wäre unverantwortlich. Die Erde würde an ihrer eigenen Rettung zerbrechen. Mein Vorhaben benötigt eine ruhige Welt, welche ihr Gleichgewicht noch nicht verloren hat. Deshalb bin ich hier. Und deshalb darf ich mich auf keinen Fall von dem abbringen lassen, was getan werden muss.“ „Aber müsst Ihr das wirklich allein tun?“ „Wer soll es denn sonst tun? Sag mir das.“ „Ich finde Euer Vorhaben ja sehr löblich, doch mir scheint, Ihr traut Eurer eigenen Familie nur wenig zu.“ „Bitte?“ „Ihr sprecht immer nur davon, was Ihr allein tun müsst“ antwortete er mit dem gebührenden Respekt. „Doch Ihr steht in direkter Verwandtschaft mit den Pharaonen und den mächtigsten Magiern und Hexen. Ihr wisst sogar Amun-Re auf Eurer Seite. Abgesehen von den normalen Menschen, welche Euch trotz ihrer eigenen Machtlosigkeit die Treue geloben. Sicher, wenn Ihr die herrschenden Götter in die Menschenwelt bannen wollt, könnt nur Ihr das tun. Doch Ihr müsst es nicht allein tun, nicht einsam. Ich sehe wie sehr sich alle um Euch sorgen und Euch beistehen wollen, doch Ihr zieht Euch zurück und lasst Eure Familie ratlos zurück. So tauscht Ihr nur das eine Leid gegen ein anderes ein.“ „Vielleicht möchte ich ja gar nicht, dass man mich zu sehr liebt. Hast du dir das mal überlegt?“ fragte er provokativ zurück. „Denn wenn mir etwas geschieht, werde ich allen, die mich lieben, Schmerz und Trauer bringen. Je weniger ich geliebt werde, umso freier kann ich über mein Leben entscheiden.“ „Das ist ein dummer Satz“ entschied Marik ohne nachdenken. „Bitte? Du bezeichnest mich als dumm?“ „Was Euren letzten Satz angeht ja. Kein Mensch kann ohne Liebe und Zuwendung leben oder stark sein.“ „Ich bin vitaler und stärker als ich aussehe.“ „Ich erinnere mich an etwas, was Eraseus mir erzählte. Er sagte, es hat vor geraumer Zeit ein Experiment gegeben, welches Kaiser Friedrich der Zweite angeordnet hat. Er nahm frisch geborene Säuglinge und ließ sie von Ammen nur versorgen. Die Babys wurden in einen abgeschirmten Bereich verbracht, mit ihnen wurde nicht gesprochen, sie wurden nicht gekuschelt, ihnen wurde keinerlei Zärtlichkeit zuteil. Doch sie bekamen die beste Milch, waren immer sauber, hatten es warm und wurden stets gut versorgt. Er wollte eigentlich sehen, welche Sprache sie von sich aus entwickeln, jedoch sind alle Babys gestorben, bevor sie sprechen lernen konnten. Versteht Ihr, was ich damit sagen will? Jeder Mensch braucht Liebe und Zuwendung. Und das ein Leben lang. Auch Ihr habt ein Recht auf dieses grundlegende Bedürfnis.“ „Ich kenne dieses Experiment. Es fand etwa um etwa 1200 statt. Oma hat mir auch davon erzählt. Aber ich bin kein Baby und spreche trotzdem mehrere Sprachen. Dein Vergleich hinkt, Ishtar.“ „Ich will nur sagen, dass kein Mensch allein überleben kann, selbst wenn die Rahmenbedingungen gut erscheinen. Das ist schlichtweg nicht möglich. Ihr mögt vielleicht ein gottähnliches Geschöpft sein, aber Ihr seid auch ein Mensch. Und wenn Ihr Euch dessen entsagt, macht Ihr einen Fehler, der weder Euch noch Eure Familie glücklich macht.“ „Du wirkst verärgert.“ „Bin ich auch.“ Marik wollte es nicht, jedoch war seine Stimme schärfer geworden. Diese ‚Einsamer Wolf‘-Nummer hatte noch bei niemandem funktioniert. Und es war nicht mit anzusehen wie sich ein einziger Mensch, der gerade mal dem Teenageralter entwachsen war, das Schicksal des Kosmos aufbürdete. Das war Größenwahn! … Auch wenn die Söhne des Seth für ihren Größenwahn bekannt waren. Sethan bildete da keine Ausnahme. „Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?“ fragte Sethan und sah ihn mit leerer Mine an. Nein, nicht vollends leer. Er schien traurig, erschöpft. Und zweifelnd. Doch er verbot sich jedes Gefühl. Wie sein Onkel es gesagt hatte - er kasteite sich selbst für Dinge, die er nicht einmal getan hatte. „Sag es mir Marik. Du bist doch ein treuer Diener dieser Welt und ein intelligenter Mann mit Moral. Was soll ich deiner Meinung nach tun?“ „Als würdet Ihr tun, was ich Euch rate“ erwiderte er und seufzte tief. Er musste ruhig bleiben und vernünftig denken. Auch wenn sein Herz aus der Brust springen wollte. Solche Gespräche sollte Sethan lieber mit einem Pharao oder einem Priester führen - aber ganz sicher nicht mit jemandem, der in einem Labyrinth unter der Erde lebte. „Was würdest du denn an meiner Stelle tun? Ihr redet immer alle so schlau, aber niemand versucht wirklich, sich in meine Lage zu versetzen. Ich habe etwas angefangen und das kann ich nicht einfach so aus persönlichen Launen wieder abbrechen.“ „Doch wenn Ihr zweifelt, ist Euer Vorhaben zum Scheitern verurteilt.“ „Nur weil Ihr mir die Zweifel einredet. Besonders DU!“ „Nein. Ich glaube, Ihr ward niemals völlig frei von Zweifeln. Sonst würdet Ihr Euer Ziel sehr viel angestrengter verfolgen.“ „Ich BIN angestrengt!“ Er erhob sich und zog sich das unordentliche Shirt gerade. Doch eigentlich verriet das nur seine Nervosität. „Die Zwillingsgötter zu entmachten und die Welt neu zu ordnen, benötigt Zeit. Was für Euch wie Nichtstun aussieht, zermürbt mich!“ „Wenn Ihr es sagt.“ Marik blickte auf und das erste Mal hatte er das Gefühl, dass Sethan schwach war. Er war kein übermächtiges Wesen, kein Diktator und kein Motivator. Er war ein 23 Jahre junger Mann, dem sein Weltbild zu groß wurde. Er besaß große Macht, doch im Herzen war er auch nur ein Mensch wie jeder andere. Und genau deshalb war er gut so. Auch wenn er zweifelte. „Sethan, Ihr seid wie ein Jagdhund. Ihr nehmt Witterung auf und rennt und rennt und rennt und rennt und wenn Ihr Euer Ziel nicht erreicht, rennt Ihr solange bis Ihr tot umfallt. Ihr solltet mit Vernunft streben und Euch ab und an auf einer warmen Decke vor dem Kamin ausruhen und wissen, dass Ihr auch ohne Beute zurückkehren könnt. Ich kann Euch nicht sagen, was Ihr tun solltet, denn dafür verstehe ich Euch zu wenig. Aber wenn Euch alles zu viel wird, biete ich Euch gern einen Ort der Ruhe an. Ihr seid gern willkommen, bei mir und meiner Familie Atem zu schöpfen und Abstand zu gewinnen.“ „Ich würde Euch nur auf die Nerven gehen und Euch beleidigen, wenn ich meinen eigenen Gedanken nachhänge.“ „Nein, Ihr würdet mir nie auf die Nerven gehen“ erwiderte er. Er sah ihn ernst an, aber musste dann doch lächeln bei dem Gedanken wie es wohl wäre, in stiller Eintracht einfach nur neben ihm zu sitzen. Unpassend wäre es, aber auf eine gewisse Art fühlte es sich richtig an. Was er fühlte war vielleicht keine Verliebtheit, aber Zuneigung in jedem Falle. „Danke für die Einladung, aber das Grab kenne ich schon. Und ich weiß, dass ich dort nur immer wieder von denselben Gedanken heimgesucht würde.“ „Dann wollt Ihr vielleicht auf andere Gedanken kommen“ riet er sanft. „Mir raten immer wieder alle, ich solle eine Weltreise machen und verschiedene Länder besuchen und anderes kennen lernen. Bisher hatte ich dazu nie große Lust. Aber mit Euch kann ich mir das vorstellen.“ „Was?“ Jetzt glitt Sethan vollends aus seiner Spur. „Eine Weltreise?“ „Ja. Allein habe ich darauf keine Lust, aber mit Euch …“ „Du willst eine Weltreise machen“ wiederholte er ungläubig. „Wie verquer bist du eigentlich? Wir stecken mitten in einem Ringen mit dem Schicksal der Erde!“ „Ihr habt gefragt, was ich an Eurer Stelle machen würde. Und ich würde versuchen, auf andere Gedanken zu kommen. Sich in etwas hineinzusteigern, hat noch niemals gut getan. Da fällt man vor lauter Rennerei nur tot um. Mir selbst hilft es immer, wenn ich an einem ruhigen, vertrauten Ort bin und nicht nachdenken muss. Doch Euch hilft es vielleicht, an einen völlig neuen Ort zu gehen und Eure Gedanken auf anderes zu bewenden. Ihr wollt die Welt retten, aber kennt ihr diese Welt überhaupt?“ „Eine Weltreise.“ „Und außerdem“ gab er leise zu, „fände ich es schön, ein wenig mehr Zeit mit Euch zu verbringen.“ „Du bist nicht gut für mich.“ „Schokolade ist auch nicht gut“ lächelte er. „Aber Kakao ist trotzdem schon bei den Maya beliebt gewesen.“ „Was soll das?“ „Ihr seid doch ein Liebhaber von guter Schokolade, aber ihr wisst überhaupt nichts über das, was ihr mögt. Ich verstehe nicht, wie man sich für etwas aufopfern will, was einem gar nicht recht bekannt ist.“ „Ich wusste, ich hätte mich niemals auf dich einlassen dürfen.“ Doch Mariks Lächeln war so einladend, so warm und so wunderschön. „Bist du davon überzeugt, dass es mir wirklich besser gehen würde, wenn ich mit dir die Welt bereise?“ „Ja, wäre ich“ antwortete er sehr sicher. „Und hältst du so viel auf deinen Rat, dass du dafür das Schicksal der Erde aufs Spiel setzen würdest?“ forderte er ihn heraus. Doch Marik lächelte nur und nahm seine Hand. Eine Geste, die so vieles sagte und doch nur Zweifel und Sehnsucht hinterließ. Chapter 58 Auf dem Rückweg machte Tato einen Zwischenstopp am Aquarium, um gleich seinen täglichen Höflichkeitsbesuch bei Sethos zu erledigen. Als er landete, seine beiden verschiedenen Flügel einzog, Mariks Schlafshirt wieder überstreifte und nach den Zigaretten griff, roch er schon eine feine Tabaknote neben sich. Dort saß Dakar, drückte gerade seine Kippe aus und blickte ihn mit seinem toten Blick an. „Mach dich doch bemerkbar“ brummte Tato. Dakar war so ein Leisetreter und gehörte neben Narla zu den einzigen beiden Personen, die er nur schwer wittern konnte. „Warum sitzt du so allein hier draußen? Sonst keiner da?“ „Mokuba nervt“ antwortete er gewohnt auskunftsfreudig. „Warum nervt er?“ „Er redet so viel.“ „Als wäre das neu. Seit wann lässt du dich so leicht nerven, Mr. Deadlooking Guy?“ Dakar antwortete nicht und blickte in den Himmel. Auf manche Fragen hatte er eben auch keine Antwort. „Ich vermute mal, dann redet er über Sachen, die du mal wieder nicht nachvollziehen kannst.“ Dakar bewegte sich nicht, aber drehte seine schwarzen Augen auf ihn. Er machte immer so merkwürdige Gesten, vor allem wenn Tea nicht da war. Also zuckte Tato mit den Schultern und ging selbst nachsehen, was die Schlange vertrieben hatte. Schon durch die offene Tür hörte er Mokubas aufgeregten Redeschwall, in welchem neben Sorge auch ein Stück Zorn und eine Portion Eifersucht mitschwangen. „Aber das kümmert ihn gar nicht! Ich kann sagen, was ich will. Er merkt überhaupt nicht wie unverantwortlich das ist!“ Auf dem Sofa lag Sethos und hatte die Augen geschlossen, aber Tato spürte, dass er nicht schlief. Amum-Re streichelte die Zehen seines Priesters, fuhr mit der Handfläche über seine Fußsohlen und war offensichtlich der Grund für diese ozeantiefe Entspannung. Yami saß neben Balthasar auf dem Sofa und hörte Mokubas Zetern belustigt zu. Finn kam in diesem Moment aus dem Nebenraum und trug ein Tablett mit Getränken herein. Yugi kam hintenan und brachte eine Schüssel mit runden Teigstücken, welche gut nach frischem Brot dufteten und Yami zum Zugreifen bewogen noch bevor sie auf dem Tisch standen. Nur Balthasar reagierte sofort auf Tatos Ankunft. Nämlich erhob er sich, nahm sein angebissenes Brötchen mit und verließ den Raum kommentarlos durch den Seitenausgang. Seine Abneigung war noch lange nicht vom Tisch. „Und ich sage euch, wenn er bei mir anruft und sich ausheulen will, dann werde ich sagen, dass ich’s ihm ja gesagt habe! Ich meine, warum hört er nicht auf mich? Er muss doch wissen, das ich es besser weiß! Ich kenne …“ „Und worüber genau regst du dich auf?“ fragte Tato verstimmt. Über dieses Gezeter kam ja niemand dazu, ihn zu begrüßen. Und Balthasars ewig gleiches Verhalten hellte seine Stimmung nicht unbedingt auf. „Frag nicht. Sonst hört er ja nie auf“ grinste Yami zwischen zwei Bissen. „Kannst ja auch die Fliege machen, wenn’s dich nervt“ fauchte Mokuba zurück. „Ich verstehe nicht, dass ich der einzige bin, der sich Sorgen macht! Wie könnt ihr ihn nur so in sein Unglück laufen lassen?“ „Von wem redet er denn, Papa?“ fragte er und quetschte sich neben Yugi aufs Sofa. Doch der brauchte nur auf Mokuba zu weisen und die Antwort kam, bevor er überhaupt antworten konnte. „Von Tjergen natürlich!“ schlug er die Hände überm Kopf zusammen. „Der will doch echt zu Pegasus in seine Villa in Kalifornien und da Strandurlaub machen! Ich meine, der hat sie doch nicht alle! Die waren nur EIN MAL zu Abend essen und schon zieht er bei ihm ein.“ „Ich glaube nicht, dass Tjergen bei ihm einzieht“ meinte Tato. „Der machte einen viel zu selbstständigen Eindruck.“ „Deswegen verstehe ich es ja auch nicht! Wie kann der sich nur von ihm einladen lassen? Ich meine, ich weiß ja, dass er auf alte Knacker steht, aber warum ausgerechnet Pegasus? Der hat doch garantiert Hintergedanken!“ „Meinst du?“ murmelte er und griff sich eines von diesen Brotdingern aus der Schüssel. „Der will ihn doch nur ins Bett kriegen! Und wenn nicht das, dann benutzt er ihn für irgendwas! Tjergen rennt ungebremst ins Messer und die Ratte lacht sich ins Fäustchen!“ „Ach, so schlimm isser doch gar nicht. Ich würde mir eher Sorgen um Max machen“ urteilte Tato und riss die Brotkugel auf. Er roch, dass da etwas drin war, aber er wollte es erst sehen, bevor er reinbiss. Und er fand: „Orangenmarmelade?“ „Es sind auch welche mit Kirsche, Erdbeere und Nutella da“ erklärte Yugi. „Nur welches du bekommst, ist Glückssache.“ „Wer denkt sich denn so was kompliziertes aus? Halt mal.“ Er drückte Yugi das aufgerissene Brotding in die Hand und griff erneut in die Schüssel. Wenn dann wollte er auch eines mit Nutella. „Mein Vater“ antwortete Finn etwas kleinlauter. „Das ist leichter Brotteig, der mit Eischaum gemacht und kurz frittiert wird. Wir mochten das immer ganz gern …“ „Das war keine Kritik, Schatzi“ tröstete Yami. Tatos Mine und seine Stimmlage sagten, dass er dieses Durcheinander an Füllungen doof fand. Aber wenn er dem so abgeneigt wäre, würde er ja nicht zugreifen. „Jedenfalls nicht aus meiner Sicht.“ Tato griff gleich noch ein zweites Bällchen, bevor „Nur für euch ist dumm“ das erste ganz in seinem Schlund verschwand. „Warum?“ guckte Finn ihn zweifelnd an. Diese Drachen waren alles andere als leicht zu verstehen. Da gab man sich schon Mühe, aber irgendwie verstand er immer etwas falsch. „Dasch ischt Nudella“ zeigte er auf sein zweites Bällchen und in die Schüssel. „Un dasch, un dasch un dasch. Un du hasch Körsche.“ „Meinst du?“ Er biss sein Bällchen auf und „Tatsache. Kirsche.“ Tato schluckte und griff zielsicher sein drittes. Für ihn war dieses Durcheinander keine Überraschung. Wenn er sich bemühte, roch er die Füllung und konnte sich genau das greifen, was ihm zusagte. Nur für alle anderen war das dumm - die mussten sich überraschen lassen. „Jetzt popel da nicht die ganzen Nutellas raus“ klopfte Yugi ihm auf die Finger. Tato hatte schon das zweite Bällchen im Mund und schon drei neue in den Händen. Wenn das so weiterging, war in zwei Minuten keine einzige Nutellabrotkugel mehr da. Und das mit Orangenmarmelade musste Papa Yugi selbst essen. „Super! Könnt ihr mir jetzt wieder zuhören?“ schimpfte Mokuba. Der war noch immer nicht darüber hinweg, dass sein neuer bester Freund mit einer linken Bazille wie Pegasus durchbrannte. Wahrscheinlich lief zwischen den beiden viel weniger als er befürchtete, aber er machte sich nun mal Sorgen. Und eifersüchtig war er auch, weil er Tjergen so schnell wieder hergeben musste. „Wir haben doch schon gesagt, dass Terry auf sich selbst aufpassen kann. Du solltest dir lieber Sorgen um Pegasus machen, dass ihm nicht den Kopf verdreht und er um sein Vermögen gebracht wird“ grinste Yami. „Habe ich schon gesagt, dass ich Terry mag?“ „So was würde er niemals tun!“ „Ach, komm schon“ lachte Yami. „Terry ist ein Material Boy. Der geht hin, hat seinen Spaß und wenn Pegasus ihm nicht mehr passt, hat er gleich drei neue Typen am Start. Dein Modell lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Und außerdem …“ „So ist er gar nicht mehr! Er will sich ändern! Er liest nur noch Klassiker!“ „Hä?“ guckte Tato, wurde aber ignoriert. „Und außerdem …“ setzte Yami noch mal an, aber lächelte nun ganz verbindlich, „du hast ihm doch Eastern mitgegeben. Der passt garantiert auf ihn auf.“ „Ja, ich weiß.“ Jetzt plumpste Mokuba endlich auf seine vier Buchstaben und stützte das Kinn in die Hände. „Ich vermisse ihn jetzt schon. Aber zwischen ihm und Tjergen, das ist was besonderes. Easy ist einfach zu ihm in den Flieger gehüpft und hat kein müdes Miau mehr für mich übrig gehabt.“ Und so verließ das erste der Kitten sein Zuhause und gründete eine neue Familie. Happy Eastern hatte sich nun Tjergen als neuen Lebensgefährten ausgesucht. Und Mokuba blieb als verlassener Katzenvater zurück. So war das eben, wenn die Kinder flügge wurden. „So ist das eben, Moki“ tröstete Yugi. „Wenn dir das jetzt schon so schwer fällt, was meinst du, wie das erst bei Dante wird?“ „Dante ist erst drei. Der bleibt noch mindestens 15 Jahre. Und Easy hat ja auch eine gute Wahl getroffen. Tjergen sorgt bestimmt gut für ihn. Und mit Kater ist er auch nie wieder allein. Eastern ist was besonderes, wisst ihr?“ Für ihn waren alle seine Katzen etwas besonderes. Sogar Helloween, den nicht mal eine Tierschutzorganisation haben wollen würde. Aber Mokuba liebte sie alle, seine Happy Family. „Wenn Onkel Moki dann mal fertig ist mit seinem Mordio, wollt ihr dann auch wissen, was aus Sethan geworden ist?“ „NATÜRLICH!“ Da knallte Yami seine Saftflasche auf den Tisch und weckte damit sogar Sethos aus seiner Ruhe. Zumindest bekam er einen sehr dunklen Blick von ihm, den der Pharao jedoch gekonnt vernachlässigte. „Du hast ihn nicht wieder mit zurückgenommen, oder?“ „Wie ihr seht, bin ich allein“ erklärte er und knabberte an dem Nutellabrotbällchen, welches Papa ihm noch gelassen hatte. Sogar Mokuba interessierte sich jetzt für ein anderes Thema. „Und weswegen war Sethan so down? Uns fehlen hier sämtliche Erklärungen.“ „Ich will auch nicht zu viel sagen. Das soll er selbst tun.“ Er warf einen kurzen Blick zur Seitentür, doch von Balthasar keine Spur. Leider. „Er und Marik werden nur kurz ins Grab gehen und die Schriften zurückbringen. Und danach wollen sie direkt nach Südamerika.“ „Südamerika“ wiederholte Mokuba skeptisch. „Und was will man da?“ „Sie wollen sich Machu Picchu ansehen. Und dann geht’s die Ostküste entlang nach Süden und dann mal sehen wo es sie hin verschlägt. Wir bekommen wohl ne Postkarte.“ „Tato, nur damit ich das richtig verstehe“ bat Yugi mit großen Augen. „Die beiden verreisen gemeinsam so weit weg und haben nicht gesagt, wann sie zurückkommen?“ „Ich glaube, Sethan braucht mal etwas Abstand von uns“ zeigte der wissende Yami sich verständnisvoll. „Vielleicht kommt er so auf andere Gedanken.“ „Ich finde das ungerecht und verantwortungslos“ urteilte Mokuba ganz anders. „Ich meine, wir reisen vom schönen Domino erst in die Pampa, kriegen alle nen Lagerkoller und jetzt sitzen wir hier in Blekinge, was auch nicht wirklich toll ist und Sethan geht erst mal schön auf Weltreise. Und wir dürfen hier weiter sitzen und der Dinge harren oder wie? Wenn Sethan jetzt abhaut, führt er diese ganze Aktion, die er selbst gestartet hat, ad absurdum!“ „Na ja“ zuckte Yami mit den Schultern. „Blekinge hat doch auch seine Vorteile.“ „Ich weiß ja, dass wir hier bleiben sollen, weil wir es nicht riskieren können, in einer anderen Stadt gegen die Angreifer aus dem Zirkel und gegen Seth vorgehen zu können. Aber ich will verdammt noch mal wieder nach hause! Und Sethan kümmert sich einen Scheiß darum!“ „Jetzt wirst du ungerecht“ verteidigte Tato ihn mit scharfer Stimme. „Sethan geht’s richtig schlecht und wir sind es ihm schuldig, ihm in jeder Lage beizustehen. Einige von uns haben sogar die Zeit gewechselt und sitzen hier im Mittelalter fest und beschweren sich auch nicht - da kannst DU dich schon mal gar nicht beschweren.“ „Das Mittelalter ist aber schon etwas länger her“ erwiderte er kleinlauter. „Ich weiß ja, dass es schwer für dich ist, Moki. Aber das ist es für uns alle“ bat Yugi mit sanfter Stimme. „Wir sind schon so weit gekommen, aber seit einiger Zeit bewegt sich gar nichts mehr. Ich denke schon, dass Sethan weiß wie wir denken und sich dafür verantwortlich fühlt. Dass er ausgerechnet mit Marik verreist, ist zwar wunderlich, aber wenn es ihm gut tut, dann soll es so sein.“ „Meinst du, es wird wie bei Seto und Paris?“ fragte er mit einem Seufzen. „Dass Sethan gefestigt und zufrieden wieder zurückkommt?“ „In der Hoffnung, dass er nicht kurz danach abnippelt“ kommentierte Yami und beträufelte ein halbes Bällchen mit Orangenmarmelade mit seinem Vitaminsaft, bevor er es in den Mund schob. „Aber so schlecht ist Blekinge wirklich nicht“ versuchte Yugi das alles ins Positive zu ziehen. „Wir lernen hier doch ganz viel. Du hast die Möglichkeit, ein noch besserer Heiler zu werden. Narla beginnt, mit Geistern zu sprechen und Yami …“ Musste man da noch viel sagen? Yami saß eingekuschelt in Finns Arm, aß eklige Mischungen und hatte gute Laune. „Blekinge eröffnet Dinge, die uns in Domino verschlossen bleiben würden. In Domino hättest du Tjergen auch nie kennen gelernt.“ „Genau“ nickte Yami und drückte seine Wange an Finns. „Blekinge ist das Beste, was uns passieren kann. Oder Amun? Du bist so still.“ Der lächelte seinen ältesten Sohn an und streichelte die Füße seines Liebsten. Er war tatsächlich ungewohnt still. „Was ist los?“ fiel nun auch Yugi auf. „Du siehst nicht begeistert aus.“ „Denkst du etwa, es ist falsch, dass Sethan so weit weg geht?“ hakte Yami nach. „Nein. Ich freue mich, wenn Sethan etwas für sich selbst tut. Wenn wir ihn brauchen, ist er schneller hier als ihr denkt“ seufzte er, schenkte seinem Priester einen kurzen Blick und unterbreitete dann den Grund für seine Stille. „Eleseus und ich haben eine nicht so gute Nachricht erhalten.“ „Eine nicht so gute“ wiederholte Tato mit hochgezogener Augenbraue. „Heißt also was genau?“ „Sachmet war in der Nacht nochmals hier und hat nach meinem Priester gesehen. Und sie sagte, dass seine Heilung abgeschlossen sei.“ „Das ist doch etwas Gutes“ meinte Yami vorsichtig. „Oder etwa nicht?“ „Doch, natürlich ist das gut. Er lebt ja schließlich und ist ansprechbar.“ Er strich über die schön abgerundete Ferse und wärmte die Füße in seinen Händen. „Aber es bedeutet auch, dass er nicht gesunder werden wird als jetzt.“ „Aber er kann sich doch kaum selbst bewegen“ erklärte Mokuba das Offensichtliche. Sethos war ständig müde und außerhalb des Wassers nicht imstande sich selbst fort zu bewegen. Er war schwach und sein Körper schwerfällig. „Das Gift hat seinem Körper sehr geschadet. Dass er den Biss des Apophis überhaupt überlebt hat, ist ein Wunder. Aber seit einiger Zeit schon verändert sich sein Zustand nicht weiter und es ist nicht zu erwarten, dass er weiter gesundet.“ „Das bedeutet, du bleibst so krank wie jetzt?“ fragte Mokuba ihn direkt. „Sieht so aus“ erwiderte der mit flacher Stimme. „Hast du denn noch starke Schmerzen?“ „Manchmal.“ „Das Schlimmste ist für ihn, dass er sich nicht bewegen kann“ erklärte sein Gott und strich tröstend über seine Schenkel. „Ich bin ja froh, dass er ansprechbar ist und seinen Körper annähernd kontrollieren kann. Und Sex funktioniert auch, wenn wir langsam machen.“ „Amun-Re, bitte“ murmelte es vom anderen Ende des Sofas. „Wenn wir gaaaaaanz langsam machen und er liegenbleiben darf.“ Wenn Blicke töten könnten … „Ich liebe dich über alles“ seufzte er sorgenvoll. „Aber ich sehe wie unglücklich du bist.“ „Aber es muss doch noch einen Weg geben“ schlug Yami die Hände aneinander und weckte alle zum Denken auf. „Es gibt immer noch einen Weg. Vielleicht finden wir einen Wunderheiler oder eine spezielle Medizin. Oder so eine Art Reha-Maßnahme.“ „Nein, das wird nichts werden“ verwarf Sethos sofort jede gute Idee. „Dieser Körper ist hinüber. Kaputt.“ „Sei nicht so hoffnungslos, Ele. Uns fällt schon etwas ein.“ „Atemu, du sollst mich nicht Ele nennen.“ „Du brauchst nicht für uns überlegen. Ich habe bereits eine Lösung gefunden“ mischte Amun-Re sich sofort ein. „Geb ist bereit, meinem Priester einen neuen Körper zu schaffen. Das an sich ist nicht das Problem.“ „Geb ist der Gott des physischen Körpers“ erklärte Yami für Finn. „Er herrscht über die Erde und das, was sie hervorbringt. Alles, was du siehst, kann von Geb geschaffen sein. In meiner Zeit war das Fest des Geb das, was man heute Erntedankfest nennen würde.“ „Ich will ja nicht unken, aber …“ warf Yugi ein, „… ist Geb nicht ein Gott des Seth?“ „Ja, schon“ lächelte Amun-Re. „Aber wir haben das Glück, dass Geb sehr leicht zu verführen ist und Horus ihm einen guten Lohn für seine Arbeit versprochen hat. Geb wurde zwar von meinem Bruder berufen, jedoch dient er stets dem, der ihm seine Dienste gut bezahlt. Und da mein Bruder ein Geizkragen ist und Gebs Dienste stets schlecht bis gar nicht entlohnt, ist es sehr leicht, ihn dazu zu bewegen, einen Körper zu schaffen.“ „Aber das ist nicht irgendein Körper“ gab Mokuba zu bedenken. „Glaubst du nicht, dass es Seth verstimmt, wenn einer seiner Götter dir solch einen Dienst erweist? Ich meine, nicht dass dieser Geb aus Furcht vor Seth einen fehlerhaften Körper schafft … bei Seths Göttern gibt’s doch immer einen Haken.“ „Gebs Habgier ist größer als seine Furcht. Glaube mir.“ Amun-Re war sich seiner Sache sehr sicher. „Außerdem gibt es bei uns Göttern einen Ehrenkodex, an den sich sogar mein Bruder hält. Und der heißt, dass alles, was Seth und ich nicht ausdrücklich verbieten, den Göttern erlaubt ist. Ich habe meinen Göttern nur wenig verboten, weil sie genau wissen, was in meinem Sinne liegt. Mein Bruder jedoch ist sehr wankelmütig, sodass seine Götter manchmal selbst nicht wissen, was nun verboten und was erlaubt ist.“ „Aber dass Geb Sethos einen neuen Körper macht, ist ganz sicher nichts, was erlaubt ist“ meinte Mokuba. „So dumm kann dieser Geb nicht sein.“ „Er ist nicht dumm. Keineswegs. Aber er ist sehr habgierig. Er ist gieriger als ängstlich. Und da mein Bruder offensichtlich niemals gesagt hat: ‚Ich verbiete dir, meinem Sohn einen Körper zu schaffen‘, ist es kein Verbot im eigentlichen Sinne. Davon abgesehen, hat Geb auch schon diesen Körper geschaffen, sodass wir wissen, dass er für guten Lohn auch immer gute Arbeit abliefert.“ „Wahrscheinlich ist es ihm egal“ sagte Sethos mit leiser, bedrückter Stimme. „Ob ich nun einen Körper habe oder nicht, kümmert meinen Vater nicht.“ Sethos war noch immer traurig, wenn die Sprache auf die Beziehung zu seinem Vater fiel. Von allen Drachen liebte er den Seth am meisten. Denn er war der einzige, welcher auch seine warmherzige Seite kannte. Und verstoßen zu sein, schmerzte ihn sehr. Ebenso sehr wie der Gedanke, ihn enttäuscht zu haben. Dies war einer seiner verletzlichen Punkte. „Ich glaube nicht, dass du ihm egal bist. Sonst hätte er dich nicht mit dem Antidot errettet“ tröstete Amun und legte seine warme Hand über die kühlen Fußknöchel seines schwachen Liebsten. „Lass es uns als Wohlwollen deuten, wenn er die Schaffung deines irdischen Körpers gewährt.“ „Wie du meinst, mein Gott.“ „Ja, so meine ich.“ Er rutschte an der Rückenlehne entlang und legte sich halb über ihn. Er zog die Decke ein Stück herab und küsste seine nackte Schulter. „Ich liebe dich sehr, Eleseus. Behalte das im Herzen. Ja?“ „Natürlich.“ „Gut.“ „Du scheinst auch nicht so begeistert von Amun-Res Idee“ tat Tato unverhohlen seine Meinung kund. „Wenn ich gehe, werde ich einige Zeit nicht bei meinem Gott sein. Ich will ihn nicht allein auf der Erde lassen.“ „Ich sagte es doch schon“ wiederholte der mit einem neuen Kuss auf seine blasse Schulter. „Ich werde dich sehr vermissen, aber dass du mit einem gesunden Körper zurückkehrst, ist mir viel wichtiger. Deine Seele leidet unter diesem Körper. Und ich kann dich nicht leiden sehen. Dein Schwermut bricht mein Herz.“ „Ich bin nicht schwermütig“ murmelte er und sah ihn dunkel an. „Warum lässt du mich nicht Turtles spielen?“ „Weil du davon eckige Augen bekommst. Du darfst später wieder spielen.“ „In deiner jetzigen Kondition kannst du deinem Gott ohnehin nicht dienlich sein“ schob Tato grottenehrlich hintenan. „Das weiß ich“ sagte er und schloss müde die Augen. „Aber kannst du dir vorstellen, dass es mich quält, ohne ihn zu sein?“ „Du bist so süß“ lächelte sein Gott und strich ihm liebevoll durch sein stumpfes, abgerupftes Haar. Auch über die kahle Stelle, welche wohl nie wieder Haar hervorbringen würde. Ja, seine Seele war gesund, doch je länger er in diesem kranken Körper saß, desto schwermütiger würde er. Und am Ende würde Apophis dann auch seine Seele krank gemacht haben. „Können wir etwas tun, was dir die Trennung leichter macht?“ bot Yami an. „Wir können Amun-Re ablenken. Finn und ich machen ihn besoffen und schleppen ihn auf jede Party mit. So hast du was zum Lachen, wenn du von oben herunterschaust.“ „Das wäre doch eine gute Idee“ war auch Amun-Re begeistert. „Und wenn ich dann vom Wein beschläfert bin, kommst du mich im Traum besuchen.“ „Finn macht ein ausgezeichnetes Katerfrühstück“ versprach Yami, der ganz Feuer und Flamme wurde. „Du wirst sehen, Sethos. Hier ist Finn immer so lieb und ruhig, aber das ist nur, weil er noch etwas nervös ist.“ „Atemu … bitte.“ „Aber wenn er erst in Fahrt kommt …“ grinste er und schenkte ihm einen anzüglichen Blick. „Ne echte Raubkatze, der Liebe. Der hält Amun allein mit Sexappeal auf Trab.“ „Ich weiß. Ich kenne Finnvid“ erwiderte Sethos, öffnete seine Augen und sah ebenjenen geheimnisvoll an. Einen ganzen Moment, in welchem Finn sich beobachtet und beurteilt vorkam. Sethos Blick wirkte auf jeden Menschen als würde er die Seele entblößen. Doch dann drehte er endlich den Kopf herum und blickte etwas umständlich schräg hinter sich, wo sein Gott an seine Schulter geschmiegt auf ihm lastete. „Was ist?“ hauchte der ihm zärtlich zu. „Was liegt dir auf dem Herzen, Eleseus?“ „Ich mag mich nicht von dir trennen.“ „Ich bin auch nur ungern von dir getrennt. Aber wenn du in mein Reich gehst, wirst du mich sehen können. Jede einzelne Minute kannst du mich sehen, bevor du gestärkt und gesund zurückkehrst. Ich glaube, dass auch dir etwas Abstand gut tun wird. Und die Götter werden jubeln bei deiner Rückkehr. Und die Zeit wird dir kurz vorkommen, da sind wir schon wieder vereint. Du und ich.“ Sethos sah ihn tonlos an und seine Mine veränderte sich. Aus der unendlichen Tiefe seines Blick drang ein wenig Spott herauf, fast etwas Arroganz. „Du glaubst, ich will nicht gehen, weil ich dich vermissen könnte, oder?“ „Natürlich“ lächelte er unsicher. „Etwa nicht?“ „Wir waren schon mal länger getrennt und das habe ich auch überlebt.“ „Warum sagst du dann, du magst dich nicht von mir trennen?“ „Weil ich genau weiß, wie du bist.“ Und dann kam, was wohl nur Sethos dachte … und zeigte, dass er seinen Gott besser kannte als jeder andere. „Du wirst eben genau auf jede Party laufen, jeden Kelch leertrinken und dich in alle Betten legen. Und Atemu wird dich nur noch anstacheln. Ich kann es nicht verantworten, dich ungebremst auf die Menschheit loszulassen.“ „Bist du etwa eifersüchtig?“ Das war er doch sonst auch nie. Amun-Re hielt es nicht so mit der Beischlaftreue. Er hatte schon immer viele Liebhaber und Liebhaberinnen. Und sein Priester hatte das immer akzeptiert. „Mein Gott, die Welt hat sich verändert seit du ein Mensch warst.“ Er ächzte und hievte sich mit großer Anstrengung die Lehne hinauf, um ihm auf selber Höhe in die Augen zu sehen. „Also … wenn du jetzt verlangst, dass ich dir treu bin … dann …“ „Ich will nur nicht, dass du dich mit den Menschen einlässt. Viele haben Krankheiten und du hast nicht die Nerven, dich um so etwas wie Kondome zu kümmern. Viele haben Böses im Kopf und könnten dir wehtun oder dich ausrauben oder dir Drogen verabreichen. Im besten Falle wirst du nur niedergeschlagen. Du bist so gutgläubig den Worten der Menschen gegenüber, aber die Zeiten sind härter geworden. In einem heutigen Nachtclub geht es anders zu als zu Zeiten deiner Gemeindenfeste. Früher hat man Menschen, die am Boden lagen, nur liegen lassen. Heute treten die Menschen extra hart ein auf die, welche am Boden liegen.“ „Du machst dir Sorgen um mich!“ „NATÜRLICH!“ Aber das war zu laut. Er musste husten und sank ins Kopfkissen zurück. Nicht mal richtiges Schimpfen bekam er aus diesem Körper heraus. „So was. Ich dachte auch, Sethos würde dich vermissen“ schmunzelte Mokuba. Aber immer, wenn man dachte, man würde die Denke eines Drachen verstehen, wurde man eines Besseren belehrt. „Wie lange braucht Geb denn, um einen Körper zu machen?“ „Für einen Menschen benötigt er nur einen Wimpernschlag an Zeit“ überlegte Amun-Re. „Für einen hochklassigen Magier benötigt er etwa drei Tage. Für Eleseus … ich glaube, beim ersten Mal hat er einen Mondzyklus benötigt. Oder?“ „Ich weiß, das ist jetzt wahrscheinlich ne dumme Frage“ bat Yugi. „Aber warum bleibt Sethos nicht hier bis sein neuer Körper fertig ist und wechselt dann einfach? Soweit ich weiß, ist sein Körper doch eh nicht an seine Seele geboren.“ „Ein Körper ist etwas anderes als ein Gewand“ grummelte Sethos erschöpft. „Man kann nicht einfach wechseln wie man will. Auch mein Körper muss mir angepasst werden. Und auch ich kann nicht zwei Körper gleichzeitig besitzen.“ „Ja, wir haben es mal versucht“ erzählte Amun-Re. „Ein Parasitärmagier war vor vielen tausend Jahren einst ein Verbündeter der Engel. Er hieß Uphra und seine Macht war ähnlich der von Balthasar, aber nicht elementar, sondern energetisch. Als einige Dämonen eine Revolte anzettelten und die Schatten wütend machten, hat unser Verbündeter die damalige Pharaonin Teheidor unterstützt. Hierfür musste er mehrfach von einem Ende der Erde zum anderen wechseln und so baten wir Geb, ihm einen zweiten Körper zu formen. Das Problem war dann jedoch, dass sobald Uphra seinen alten Körper verließ, dieser auseinanderfiel und binnen weniger Stunden abstarb. Wäre Uphra in ihn zurückgekehrt, hätte der Tod ihn mitgerissen. Geb machte ihm noch einen dritten Körper, doch wieder starb der verlassene ab und war nicht weiter bewohnbar. Es weist vieles darauf hin, dass auch mein Bruder mit doppelten Körpern experimentierte, jedoch denke ich, dass er nicht viel mehr Erfolg hatte. Es ist schlichtweg nicht möglich, zwei Körper gleichzeitig zu besitzen. Es ist möglich, den Körper eines anderen zu besetzen, doch ein vollständig seelenloser Körper kann auf Dauer nicht selbstständig existieren.“ „Und wie habt ihr das Problem mit Uphra und Teheidor gelöst?“ wollte Tato wissen. „Indem ich eine seltene Ausnahme gestattet habe. Yrian hat Uphra das Götterwandeln gelehrt, sodass er in seinem eigenen Körper große Distanzen überbrücken konnte. Damit war dieses Problem gelöst und Uphra hat diese Macht niemals missbraucht, sondern gänzlich in den Dienst seiner Pharaonin gestellt. Doch in unserem Falle jetzt, ist auch das Götterwandeln keine Lösung. Eleseus muss in die Götterwelt zurück und Geb kann erst dann einen neuen Körper schaffen, wenn der alte vollends vernichtet ist. Jedes andere Vorgehen würde Risiken bergen, welche wir nicht einzugehen bereit sind.“ „Wenn du meinst, dass das bei Geb in den richtigen Händen liegt.“ Auch Yami konnte sich eine gewisse Skepsis nicht ganz vertreiben, aber Amun-Res Entscheidung anzuzweifeln, würde auch zu nichts führen. Er selbst jedenfalls hatte keine bessere Idee. Und dass diese überirdischen Dinge immer ein gewisses Risiko bargen, war leider normal. „Es ist schon einmal gut gegangen“ beschloss der Sonnengott und lächelte seinen Priester aufmunternd an. „Bastet wird sich einen Keks freuen, dich wiederzusehen.“ „Das befürchte ich auch.“ „Tu nicht so“ grinste er wissend. „Mit keinem meiner Götter kuschelst du so gern wie mit Bastet.“ „Darf ich dich bitte treten?“ „Später vielleicht. Jetzt müssen wir erst mal um Hilfe bitten.“ „Hmpf.“ Das fiel ihm alles andere als leicht. Er wand sein mürrisches Gesicht ab und sah einfach niemanden mehr an. „Schon gut“ besänftigte Amun-Re und strich warm über seine Zehen, die sein Priester ganz unweigerlich spreizte. Jedoch ließ er sich sonst nicht weiter anmerken wie sehr er das Füßekraulen genoss. „Und welchen Gott willst du um welche Hilfe bitten?“ fragte Mokuba neugierig nach. „Keinen Gott. Nur euch“ lächelte er und lächelte noch breiter als er Mokubas staunendes Gesicht beobachtete. „Und wobei können wir dir helfen?“ Yugi trieb die Unterhaltung lieber voran, bevor Amun-Re noch mehr Spaß an Verwirrspielchen fand. „Wie schon gesagt, kann Geb erst dann einen neuen Körper erschaffen, wenn der alte vollständig zerstört ist. Und hierbei brauchen wir eure Hilfe.“ „Du willst, dass wir Sethos‘ Körper zerstören“ wiederholte Tato mit noch deutlicherer Skepsis als Yami sie an den Tag legte. „Ja, genau das wäre sehr nett von euch.“ „Es wäre nett, wenn ihr Sethos‘ Körper zerstört“ wiederholte Mokuba. Nur um nochmals herauszuheben wie absurd das klang. „Und wie stellst du dir das vor?“ fragte Tato. „Sollen wir ihn in mundgerechte Stückchen zerhacken und an die Piranhas verfüttern oder einfach nur eine Guillotine bauen? Wir könnten ihn auch in Säure auflösen. Dakar hätte da bestimmt Spaß dran.“ „Also, ganz so blutig hatte ich mir das nicht vorgestellt“ lachte der Sonnengott, während Sethos sich das ganz teilnahmslos anhörte. „Immerhin hat ihm sein Körper über Jahrtausende hinweg treue Dienste geleistet. „Ich hätte gern etwas, was ein wenig mehr Würde ausdrückt. Wir dachten da an eine Verbrennung.“ „Das sollte doch zu machen sein“ meinte Yami locker. „Balthasar ist ja schon hier und Finni wollte ich schon lange mal richtig in Aktion sehen. Oder, Schatz?“ „Ich weiß ja nicht“ erwiderte der zweifelnd und sah in die Runde. „Ihr redet so leichtfertig davon, einen menschlichen Körper zu zerstören.“ „Ich bin nicht menschlich“ berichtigte Sethos mit kühler Stimme. „Dennoch kann ich Finn verstehen. Mir geht es genauso“ pflichtete Yugi bei. „Es ist immerhin Sethos, von dem wir hier sprechen. Zu überlegen, wie wir ihn am besten vom Angesicht der Erde tilgen, finde ich auch ziemlich hart.“ „Pharao, es ist doch nur ein Körper“ befand Sethos nüchtern und zog die Füße vom Schoße seines Gottes. „Ich bin nicht in meinen Körper hineingeboren, bin nicht mit ihm gemeinsam aufgewachsen und die Verbundenheit wie sie ein Mensch empfindet, ist bei mir nicht vorhanden. Wenn ihr meinen Körper zerstört, werde ich bereits schon keine Bindung mehr zu ihm haben. Ich bin nur froh, wenn mich dieses kranke Fleisch nicht länger beschwert.“ „Haaach, Sethos“ seufzte Yugi. Auch wenn der das ganz abgeklärt und scheinbar emotionslos betrachtete, war ihm selbst dennoch nicht ganz wohl dabei. Er liebte Sethos und der Gedanke, ihm oder seinem Körper zu schaden, war nicht schön. „Ihr dürft sein Körpergefühl nicht mit eurem Vergleichen“ bat Amun-Re etwas sanfter im Ton. „Natürlich ist ihm sein Körper wichtig und er ist auch auf gewisse Weise mit ihm verbunden. Schmerz und Wohlbefinden beeinflussen auch seine Seele. Doch nicht im selben Maße wie es bei geborenen Wesen der Fall wäre. Das Gefühl ist bei ihm eher wie … wie bei jemandem, der sein erstes Automobil verschrotten lässt. Viele Erinnerungen und Gefühle, aber nicht das Ende der Welt. Trifft es das in etwa?“ „Bis auf dass mir Automobile nichts bedeuten, hast du das nett erklärt“ brummte Sethos und blickte den leeren Fernseher an. „Es ist eher vergleichbar mit dem Schmerz als Eraseus mir erklärte, dass die Batteriesäure meinen Gameboy zerstört hatte.“ „Deinen Gameboy, der schon in meiner Spielzeugkiste altersschwach war“ bemerkte Mokuba. „Er hatte dieses freundliche Klicken des B-Knopfes.“ „Welches genau dadurch kam, dass da schon mal fast eine Batterie ausgelaufen wäre. Das Ding war am Ende doch gemeingefährlich.“ „Genau wie mein Körper. Meine Batterie läuft auch gerade aus. Nur dass sich bei mir nicht Drähte auflösen, sondern meine Seele.“ „Und da sage noch mal einer, du hängst dein Herz nicht an Dinge“ versetzte Amun-Re und streichelte liebevoll seine Hand. „Du bist so süß.“ „Musst du das immer sagen?“ „Ja.“ „Und wann soll diese Verbrennung stattfinden?“ wollte Tato hören. Und Amun-Res Antwort überraschte fast niemanden: „Am liebsten jetzt?“ „Jetzt gleich?“ „Gut zugehört, Yami“ raunte Tato. „Darum geht’s doch gar nicht“ schoss er zurück. „Wenn Balthasar bei der Verbrennung helfen soll, müssen wir ihn bitten, mit Spatz zusammenzuarbeiten. Und du weißt selbst, dass er auf euch noch immer nicht gut zu sprechen ist.“ „Danke für diesen überflüssigen Hinweis.“ „Gern geschehen.“ „Hat eigentlich mal jemand herausbekommen, was mit ihm los ist?“ fragte Tato zu Amun-Re herüber. „Ihr seid schließlich die ganze Zeit mit ihm zusammen.“ „Auf dieses Thema war er nie gut zu sprechen“ entschuldigte Amun-Re. „Und um ehrlich zu sein, wollten Sethan und ich hier keinen Stress haben. Schon wegen des Gesundheitszustands unseres Pflegekindes.“ „Jetzt bin ich an allem Schuld, ja? Mein Gott!“ „Dir hat er doch auch nicht geantwortet.“ „Hast du ihn gefragt?“ Das hatte Tato nicht erwartet. Sethos mischte sich im Gegensatz zu seinem Gott nicht in zwischenmenschliche Beziehungen ein. Nun zu hören, dass er Balthasar angesprochen hatte … er war immer für Überraschungen gut. „Wie gesagt, er hat mir nicht geantwortet. Und ehrlich gesagt glaube ich, dass du oder Phoenix einen Schritt auf ihn zugehen sollten. Er selbst wird nicht auf euch zukommen.“ „Spatz hat’s schon versucht und sich nur die kalte Schulter abgeholt. Und mich hat er aus dem Fenster gestoßen und fast umgebracht. Ich denke nicht, dass er derjenige ist, der eine Entschuldigung verdient hat.“ „Es geht ja nicht ums Entschuldigen“ meinte Amun-Re. „Es ist offensichtlich, dass er ein Problem mit eurer Verbindung hat. Er hat viel für seinen Bruder getan und du bist für ihn wie ein Vater. Und ich schließe mich Eleseus‘ Meinung an. Es wäre an dir, Größe zu beweisen und das Gespräch zu suchen.“ „Warum ich? Ich habe mir nichts vorzuwerfen!“ „Sturkopf.“ „Papa!“ „Ist doch wahr“ meinte auch Yugi. „Komm schon, Großer. Spring über deinen Schatten und mach den ersten Schritt. Ihn schmollen zu lassen, führt zu nichts. Das siehst du doch. Wie lange habt ihr jetzt schon nicht mehr miteinander gesprochen?“ „ER ist derjenige, der sich bei MIR entschuldigen sollte!“ „Asato.“ Aber gegen Papa Yugis Blick war kein Kraut gewachsen. Dieser Blick brachte ihn zurück in die Zeit als er noch auf seinen Knien sitzen konnte. „Ist ja gut. Ich denke mir etwas aus.“ „Das klingt schon besser.“ „Außerdem wird Balthasar früher oder später eh zu uns zurückkommen müssen“ meinte Mokuba. „Wenn Sethos erst … na ja, zurück ‚da oben‘ ist, dann haben wir keinen Grund mehr, noch länger das Aquarium zu sperren. Und Amun-Re wird doch sicher nicht mit Balthasar nur deshalb hier wohnen bleiben, weil der schmollt.“ „Du hast Recht, er wird wieder nach hause gehen müssen“ meinte auch Tato. „Und dann werde ich auch mit ihm sprechen. Dann kann er nicht mehr ständig weglaufen.“ „Das löst aber noch immer nicht unser aktuelles Problem“ meinte Amun-Re. „Ich weiß ja, dass Finn ein mächtiges Feuer besitzt, aber selbst für ihn dürfte es schwer sein, diesen Körper zu Asche zu verwandeln. Zwei Magier wird es schon brauchen.“ „Und solange Balthasar nicht mit Phoenix zusammenarbeitet“ seufzte Mokuba. „Wir drehen uns im Kreis.“ „Nein, wir können Narla anrufen und sie bitten, sein Medium zu sein. Das hat doch schon mal ganz gut geklappt“ schlug Yami vor. „Und wenn das immer noch nicht reicht, könnte Yugi doch mal seine Kontakte zu Arnor spielen lassen.“ „Erst mal sprechen wir mit Balthasar. Ich möchte das ungern jemandem anvertrauen, der nicht zu uns gehört“ beschloss Amun-Re und schälte sich unter der Decke und unter Sethos‘ Beinen heraus. Er lächelte Finn kurz zu und verließ dann den Raum durch den Seitenausgang. Draußen saß Balthasar auf einem Sonnenstuhl, den Sethan da platziert hatte. Auch wenn im Augenblick der Himmel von Wolken bedeckt war. Er blickte den Weg zur Straße entlang und sah erst auf als Amun-Re sich zu ihm hockte. „Wir haben’s besprochen“ erklärte er und legte ihm sanft die Hand auf den Oberschenkel. „Wir haben beschlossen, dass eine Verbrennung das beste und einfachste ist. Wenn du und Finnvid das gemeinsam macht, könnt ihr seinen ohnehin schon geschwächten Körper vernichten.“ „Finn und ich, ja?“ wiederholte er und sah einer Schar Gänse zu, welche laut quakend über den Himmel gen Süden zog. „Warum habt ihr Euch gegen die Vereisung entschieden?“ „Seinen Körper einzufrieren und dann in Stücke zu sprengen, kommt mir etwas barbarisch vor. Ein Feuertod hat gefühlt etwas mehr Würde. Deshalb habe ich es gar nicht erst zur Sprache gebracht.“ „Und wer soll mein Medium sein? Moki?“ „Na ja …“ „Ich werde nicht mit meinem Geschwister zusammenarbeiten“ entschied er sofort. Seine grauen Augen blitzten und würden die Gänse am Himmel das sehen, würden sie wohl wie Brathühnchen herabfallen. „Es ist Eleseus‘ Wunsch. Bitte tu’s ihm zuliebe.“ „Nein, er würde das auch nicht für mich tun.“ „Der Vergleich hinkt, mein Schatz. Mach mal Platz.“ Er quetschte sich neben seine Beine und der billige Holzstuhl aus dem Supermarkt fing schon gefährlich an zu knartschen. Aber das störte den Sonnengott nicht. Er legte seinen Arm über Balthasars Knie und schenkte ihm einen sanften Blick. „Was ist los mit dir?“ „Das ist eine Sache zwischen den beiden und mir. Das geht dich nichts an.“ „Da ist nicht noch mehr als das? Dass die beiden sich ineinander verliebt haben, kann doch nicht das einzige Problem sein. So altmodisch bist du nicht.“ „Amun, lass es bitte.“ „Komm schon. Lass die Sonne in dein Herz.“ „Ha ha.“ „Du wirst immer introvertierter, dabei warst du mal so ein Sunnyboy. Ich habe das Gefühl, du stellst dir im Augenblick viele Fragen, die du nicht selbst beantworten kannst. Und wenn du sonst niemanden hast, mit dem du reden möchtest, dann rede mit mir. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich bin ein guter Ratgeber und ein noch besserer Geheimnishüter.“ „Wenn du nicht gerade in Rätseln sprichst.“ „Ein bisschen müsst ihr Menschen ja immer noch selbst erkennen“ lächelte er ihn entschuldigend an. „Du musst auch nichts sagen, aber sich in sich selbst zu verkriechen, macht es nur schlimmer. Ich habe dadurch meinen Bruder verloren … ich möchte nicht auch jemanden von euch verlieren.“ „Dann lass mich dir eine Frage stellen, Amun.“ Er nahm die Beine vom Stuhl und drehte ihm die Seite zu, sah ihm aber dennoch kurz in die Augen, bevor er sich abwandte. „Versuche bitte mal nicht wie ein Gott zu denken, sondern wie ein ganz normaler Mensch. Kannst du das?“ „Ich gebe mir Mühe. Also, was ist los mit dir?“ „Stell dir vor, da ist etwas, was du schon lange begehrst. Aber es gehört einem anderen. Jedenfalls denkst du das. Und dieser andere kann es eigentlich gar nicht gebrauchen. Dann aber findest du heraus, dass das, was du begehrst und von dem alle sagen, dass es dem anderem gehört, in Wirklichkeit dir gehört und es dir gestohlen wurde. Dir wurde etwas geraubt, von dem niemand zugeben will, dass es eigentlich dir gehört. Und nun hast du die Möglichkeit, es dir ganz allein zu erkämpfen. Aber du musst dazu ein Risiko eingehen, von dem du nicht mal weißt, wie hoch es ist. Was würdest du tun?“ „Behaupte nie wieder, ich würde in Rätseln sprechen“ seufzte er und lehnte sich auf seine Handflächen zurück. „Ist dieser andere jemand zufällig dein Bruder?“ „Das spielt keine Rolle. Es könnte auch Napoleons britischer Fanclubvorsitzender sein. Das ist egal.“ „Finde ich nicht. Denn wenn es dein Bruder ist, ändert das viel. Mit seinem Bruder sollte man Dinge teilen und nicht für sich selbst behalten. Das ist der Unterschied.“ „In diesem Falle macht es aber keinen Unterschied.“ „Na gut.“ Amun-Re überlegte auf diesen Worten herum. Etwas, was Balthasar begehrte und was in Wirklichkeit ihm gehörte, obwohl es jemand anderes hatte und alle sagten, es würde nicht Balthasar gehören. Was konnte das sein? „Du bist aber nicht zufällig auch in Enaseus verliebt, oder?“ „Amun-Re.“ Er sah ihn ernst an. Das beleidigte ihn. „Falls ich jemals nach hause zurückkehren sollte, habe ich da ein sehr süßes Mädchen, das ich über alles liebe. Ich bin nicht halb so krank im Hirn wie mein Geschwister.“ „Warum redest du so abfällig über ihn?“ „Weil er ein kleiner Schleimscheißer ist. Deshalb.“ „Was ist das, von dem du glaubst, dass er es dir gestohlen hat?“ „Ich habe nicht behauptet, dass ER es war.“ „Das ist die berühmte ‚Mein Freund hat ein Problem‘-Taktik. Diesbezüglich bist du sehr leicht zu durchschauen. Also, was glaubst du, hat er dir gestohlen?“ Balthasar lief bereits wutrot an. Diese Gedanken wühlten ihn sehr auf. Und er war in den letzten Tagen zorniger und zorniger geworden. So zornig, dass es schien, er würde bald explodieren, wenn er keinen Druck abließ. „Also, was glaubst du, was dir fehlt?“ „Meine Identität“ quetschte er sich heraus und richtete seine zorngährenden Blick direkt auf ihn. „Ist dir eigentlich klar, dass ich ein vollwertiger Magier wäre, wenn er nicht geboren wäre?“ Und Amun-Re reagierte auf diese bösen Worte mit souveräner Ruhe. „Ja, das ist mir klar.“ „Siehst du! Wir hätten keine Zwillinge werden sollen. Ich hätte ein Einzelkind werden sollen. Dann müsste ich nicht auf alles verzichten!“ „Du bist aber auch als Medialmagier vollwertig. Phoenix besitzt keine eigene Magie.“ „Aber ich bräuchte nicht für jeden Scheiß ein Medium! Ich wünschte, er wäre niemals geboren worden!“ „Überlege dir gut, was du dir wünschst.“ Doch Amun-Res Worte prallten an dem harten Gesicht ab. Balthasar wandte sich ab und stierte auf den Boden. Er war einfach wütend. Nicht zuletzt wohl auch auf sich selbst. „Balthasar, du bist einer der besten und mächtigsten Magier dieser Erde. Sich Medien Untertan zu machen und quasi jedes lebendige Wesen kontrollieren zu können, ihnen deinen Willen zu implizieren, ist eine Macht, die du nicht unterschätzen solltest.“ „Weißt du eigentlich wie scheiße es ist, wenn dein Geschwister über den grünen Klee gelobt und von jedem ach wie Wunder toll gepampert wird und an dir bleibt immer nur der Dreck hängen?“ Amun-Re legte ihm sanft die Hand auf die Schulter und strich sein entkommenes Haar hinters Ohr. „Balthasar, weißt du eigentlich noch, worauf du wütend bist? Wirklich auf deinen Bruder? Oder haderst du eher mit dir selbst?“ „Was habe ich auch anderes von dir erwartet? Du verstehst gar nichts!“ zischte er und stand schnell auf und jumpte über die Ballustrade auf den Asphalt der LKW-Lieferzone. „Balthasar.“ Aber der raffte nur sein Shirt zurecht und ging seiner Wege - irgendwo hin, wo man ihn nicht belästigte. „Balthasar!“ Doch er wollte nicht hören. Er wollte sich nicht ständig rechtfertigen müssen. Sie standen doch eh alle auf der Seite seines Geschwisters! „Balthasar, ich bin auch ein Zwilling!“ Dieses Argument bewog ihn zwar nicht zur Umkehr, doch es ließ ihn wenigstens stehen bleiben. Also sagte er, was er zu sagen hatte. „Glaubst du nicht, dass sich jeder Zwilling irgendwann die Frage stellt, wie es wohl wäre, als Einzelkind geboren zu werden? Vielleicht stimmt es, dass jeder Zwilling auf etwas verzichtet. Aber dafür bekommt man auch etwas!“ „Und was?“ zischte er und warf seinen grauen Blick über die Schulter. Amun-Re legte die Hände ineinander und sah den zornigen jungen Mann an. Den, der seine eigene Wertschätzung zu verlieren drohte. Den, welchen er nicht verlieren wollte. „Du hast jemanden, mit dem du auf ewig verbunden ist. Ein Band, welches über Liebe und Freundschaft hinausgeht. Vielleicht erscheint es dir im Augenblick wie ein Fluch. Aber das muss es nicht. Glaube mir, ich weiß es.“ Immerhin wurde sein Leben vom eigenen Zwilling beendet. Und sein Bruder brachte ihm seitdem nur Hass und Rache entgegen. Doch tief in sich wusste er, dass sie eins waren. Dass sie einander liebten. Er wusste, dass er kein einzelnes Wesen war. Balthasar wusste darauf nichts zu entgegnen. Er konnte ihm aber auch kein Recht geben. Er wusste nur, dass das Leben ungerecht war. Amun-Re seufzte als Balthasar mit wütendem Schritt hinter den Müllcontainern verschwand und das angerenzende Waldstückchen unsicher machte. „Möge dein Herz nicht vom lichten Wege abkommen“ wünschte er und blieb noch einige Sekunden. Dann ging er zurück zu den anderen und überbrachte die unfrohe Botschaft. Auf Balthasar würden sie heute wohl verzichten müssen. Was er nicht sah, war dass Balthasar nach nur wenigen Metern zwischen den Bäumen pausierte und die tränengefüllten Augen an einem alten Eichenstamm verbarg. „VERDAMMT!“ Er schlug mit der Faust gegen den Baum. Doch seiner Wut tat das keinen Abbruch. Selbst Amun-Re stand nicht auf seiner Seite. Was hatte er auch erwartet? Es verstand doch niemand wie er sich fühlte. Und gute, warme Worte halfen da auch nicht viel. Er war als Kämpfer in diese Zeit gekommen und alles, was er erntete, war Erniedrigung! Niemand schätzte, was er tagtäglich ertrug. Und niemand interessierte sich dafür, ob es ihm gut oder schlecht ging oder ob er sein Mädchen vermisste. Er war ja schließlich der Große und Vernünftige. Er konnte auf sich selbst aufpassen - um ihn brauchte man sich ja nicht kümmern. Nur wenn man mal wieder Hilfe brauchte, erinnerte man sich an ihn. „Ich hasse mein Leben“ vertraute er leise der alten Eiche an. Als wolle sie ihn trösten, dehnte sich ein dürrer Ast herab und piekte ihn in den Rücken. Freundlicher alter Baum, aber wahrscheinlich war es doch nur der Wind. „Brrruuu“ gurrte der Baum freundlich in sein Ohr und das Gewicht auf seinem Rücken wurde schwerer. Langsam erhob er sich und sah, dass eine braungesprenkelte Falkendame vom Ast herunterbaumelte und schon halb auf seinem Rücken saß. Die tiefen Augen sahen ihn warmherzig an und sie schnatterte leise als wolle sie ihm gut zureden. Er hob beide Hände und erleichterte ihr, das Abseilen. Der Ast flippte sofort nach oben und ließ einige Blätter herabrieseln. Doch Lela saß sicher auf seiner Schulter, plusterte sich auf und knabberte an seinem Hemdkragen. „Vielleicht sollte ich es doch tun“ beratschlagte er mit sich selbst. Die Fälkin war sicher nicht zufällig hier. Seth sagte, wenn er sich entschloss, der Einladung zu folgen, bräuchte er nur seinem guten Geist zu folgen. Und … „Wenn ich hierbleibe, ändert das auch nichts. Wahrscheinlich ändert sich mehr, wenn ich es mir wenigstens ansehe. Was meinst du?“ Sie fiepte und wippte mit dem Kopf. Der Gedanke schien ihr auch zuzusagen. „Okay“ flüsterte er dann und streichelte ihre harten, muskulösen Krallen. „Zeige mir den Weg zu meinem Vater.“ Chapter 59 Als Amun-Re offenbarte, dass Balthasar zu keinerlei Kooperation bereit sei, ging ein erwartungserfülltes Seufzen durch die Runde. Besonders Tatos Gesicht war enttäuschter als erwartet. Dass Balthasar böse auf ihn war, machte ihn grundsätzlich auch erst mal böse. Böse, weil er dieses kindische Schmollen einfach unverständlich und dumm fand. Doch Papa und der Sonnengott hatten wahrscheinlich mal wieder Recht. Er selbst war der Erwachsene und er selbst sollte vernünftig genug sein, um die Sache mit ihm zu klären. „Du redest doch später mit ihm.“ Yugi strich über Tatos Hand und erwiderte den enttäuschten Blick mit einem sanften, geduldigen Lächeln. „Ihr rauft euch schon wieder zusammen. Du bekommst das hin.“ „Das hoffe ich, Papa“ seufzte er und fummelte nach den Zigaretten. Aber spontan fand er gar keine. Scheiße, wo waren die Dinger? „Du wolltest doch eigentlich aufhören, oder?“ meinte Mokuba und hielt ihm dafür seine hin. Und Tato antwortete pikiert: „Du wolltest doch eigentlich studieren, oder? EY!“ Nur mit dem Effekt, dass Onkel Moki seine Zigaretten zurückzog, sie wieder einsteckte und für sich behielt. So ja schon mal gar nicht. „Onkel Moki! Gib her!“ „Dann müssen wir wohl Narla anrufen“ meinte Mokuba und ignorierte den nikotinarmen Drachen auf der anderen Tischseite. „Ich glaube, er ist heute erst mal nicht mehr ansprechbar“ gestand Amun-Re und zupfte die Decke über Sethos‘ Schultern zurecht. Nicht, dass er sich an seinem letzten Tag noch erkältete. Und der Drache ließ die übertriebene Fürsorge geduldig über sich ergehen. „Aber Narla ist auch allein stark“ meinte Yami. „Ihr Problem ist doch eher, dass sie das Feuer nicht wieder ausmachen kann. Das soll sie in diesem Falle ja auch gar nicht.“ „Narla in allen Ehren, aber ich glaube nicht, dass ihre Hexenkraft hier ausreicht“ verneinte Amun-Re und ordnete Sethos zu allem Überdruss auch noch sein eigentlich schon sehr ordentliches Haar und sorgte dafür, dass die kahle Stelle verdeckt war, die seinem Priester so unangenehm war. „Sie hat schon länger nicht trainiert und auch wenn dieser Körper geschwächt ist, ist er dennoch schwerer zu vernichten als ein normaler Korpus. Vielleicht sollten wir in dem Falle doch die Eis- und Sprengmethode überlegen.“ „Die was?!“ „Nichts, Atemu“ stritt Sethos sofort dazwischen. „Amun-Re, ich werde nicht in die Luft gesprengt! Dass das klar ist! Da warte ich lieber auf Balthasar. Und kannst du jetzt endlich mal aufhören, an mir herumzufummeln. Das ist chachchoochooo …“ Da kam ihm schon wieder dieser markerschütternde Husten die Kehle hoch. Er schüttelte seinen ganzen, mageren Körper und hörte sich wohl nur halb so schlimm an wie er sich anfühlte. Und es klang als würde er gleich die ganze Lunge aushusten. „Ist ja gut. Nicht verkrampfen und ruhig atmen, Darling …“ Amun-Re klopfte ihm sanft den Rücken. Wohl eher, um ihm eben solchen zu stärken. Gegen diesen kranken Körper half kein Mittel mehr. „Chooo Ghott.“ Sethos atmete schwer und sank mit geschlossenen Augen aufs Kissen nieder, wo ihn die göttlichen Arme bereits erwarteten und ihn zwei Lippen sanft auf die Stirn küssten. „Dhanke.“ „Ich liebe dich“ flüsterte er ihm sachte zu und strich die schönen Augenbrauen nach. „Das ist ja nicht mit anzusehen.“ Tato hielt es nicht mehr aus und stand entschlossen auf. Dann sah er Finn entschieden an und stemmte die Hände in die Hüften. „Komm schon, das schaffen wir auch zu zweit.“ „Ähm …“ Finn schien das nicht so ganz zu glauben. „Entschuldige, aber du bist doch gar kein Feuermagier.“ „Willst du mich diskriminieren?“ „NEIN! Natürlich nicht. Aber …!“ „Lass dich nicht ärgern, Finni“ schmunzelte Yami und tätschelte sein Knie. „Tato hat so viel heiße Luft, dass er damit jedes Feuer anfachen kann.“ „Zwei Feuermagier wären mir lieber“ meinte Sethos kühl. „Willst du mich etwa auch diskriminieren, Sethos?“ „Nein, ich will nur einfach gern, dass mein Körper möglichst schnell möglichst vernichtet wird.“ „Keine Angst. Zur Not stelle ich mich persönlich hin und kokele so lange mit dem Feuerzeug an dir rum bis du nur noch Kohle bist.“ „In der Zeit bin ich mit meinem neuen Körper schon lange wieder da.“ „Prima, dann kannst du deinen Mist ja selbst aufräumen.“ „Du bist unlogisch, Enaseus.“ Sethos seufzte und verdrehte die Augen. Er hatte im Moment nicht die Kraft, sich mit so einem aufsässigen Genossen anzulegen. „Na gut, aber wehe es bleibt irgendwas übrig, was meinem neuen Körper schaden könnte.“ „Ich verspreche dir, ich werde persönlich dafür Sorge tragen, dass nicht ein Haar von dir übrig bleibt.“ „Ich bekomme langsam den Verdacht, dir macht das Spaß“ unkte Yugi. „Kein Kommentar. Also, wann soll’s losgehen?“ „Am liebsten sofort.“ Sethos antwortete, bevor Amun-Re noch ganz den Mund offen hatte. Sethos versuchte auch schon, sich aufzurichten, bevor Amun-Re ihm richtig unter die Schultern greifen konnte. „Darling, vielleicht sollten wir Finn aber noch fragen.“ „Das tut er doch gern für mich. Nicht wahr? Finnvid Rominter?“ Und diesem Ozeanblick Widerstand zu leisten, wagte wohl niemand. Erstrecht nicht Finn, der angestrengt versuchte, sich in dieser ungewöhnlichen Familie möglichst zufriedenstellend zu integrieren. „Natürlich, Sethos.“ „Sehr schön. Dann haltet jetzt bitte mal die Klappe.“ „Warum?“ „Genau deshalb, Atemu.“ Sethos zeigte schwach mit dem Finger auf ihn und war sehr ernst. „Ich würde diesen Körper gern so verlassen, dass die Verbindung abbricht. Und dafür wäre es mir lieb, wenn ich etwas Konzentration bekommen könnte.“ Jetzt merkte man doch, dass er ganz gerne hier weg wollte. Dieser kranke Körper war ihm unangenehm. Und er schien nur wenig betrübt, dass er die Menschenwelt nun verlassen musste. Nein, verlassen durfte. Und endlich unbeschadet konnte. „Darling?“ „Was denn?“ Sethos drehte genervt den Kopf herum und traf Amun-Res glänzenden Blick. Er freute sich ja auch, dass sein geliebter Priester endlich aus diesem kranken und krankmachenden Körper entfliehen konnte. Dennoch … „Tut mir leid, mein Gott. Dich wollte ich nicht anfauchen.“ „Ich werde dich unendlich vermissen“ sagte er leise und setzte sich neben ihn, hielt seine Hände und sah ihm verliebt in die Augen. „Achte darauf, dass Geb dir wieder einen guten Körper macht.“ „Vor allem achte ich auf seinen Preis.“ „Nein, achte vor allem auf dich selbst, du Geizkragen“ lächelte er und streichelte über seinen Scheitel. Und besonders zärtlich über die empfindsame Stelle am Hinterkopf, wo kein Haar mehr wuchs. „Lass dir einen Körper machen, in dem du dich wohlfühlst.“ „Irgendwelche speziellen Wünsche? Vielleicht mal eine andere Haarfarbe oder eine Hand mehr?“ „Wenn du dich damit wohler fühlst“ lächelte er und kraulte ihn sanft. „Aber der Körper, welcher deiner Seele nachempfunden ist, steht dir immer noch am besten. An dir gibt es nichts zu modifizieren. Ich liebe dich genau so wie du bist.“ „Ich liebe dich auch. Lässt du mich jetzt gehen?“ „Nur eines noch.“ Er strich mit der einen Hand zu seiner linken Brust hinab, mit der anderen zur rechten hinauf und stützte sich nur ganz leicht auf, um ihm einen warmen Kuss zu geben. Liebevoller als sonst. Und sehnsüchtig schon jetzt. Die Zeit mussten sie sich wenigstens noch nehmen. Zeit, um sich trennen und keine Dinge unausgesprochen zu lassen. Nach dem sanften Kuss hauchte Sethos mit einer so milden Stimme, dass es selbst den anderen Gänsehaut verursachte: „Pass auf dich auf, Amun-Re. Mein Gott.“ „Du auch, mein Geliebter.“ „Ich meine es ernst. Bau keinen Mist und lass dich nicht in irgendwas verwickeln. Versprich es mir.“ „Ich verspreche es“ flüsterte er und stahl sich noch einen kurzen Kuss. „Und du komm mich im Traum besuchen. Versprich es.“ „Wenn es sich ergibt …“ „Ich warte auf dich.“ Er streichelte seine Hände und drückte sie dann ganz fest. „Darf ich deine Hand halten, wenn du gehst?“ „Du tust ja so als würde ich sterben.“ „Na ja …“ Immerhin wäre er das fast. Und in gewisser Hinsicht tat er das auch. Sein irdischer Körper würde schnell absterben, wenn er fort war. Also war es zumindest aus menschlicher Sicht eine Art Tod. Und Amun-Re sah im Augenblick durch menschliche Augen. „Sag meinen Göttern Dank für Ihre Unterstützung. Bitte.“ „Natürlich.“ „Ihr sagt euch nicht allzu oft Aufwiedersehen, was?“ unterbrach Tato das herzzerreißend nervige Gesülze. „Klappe, Enaseus“ raunte Sethos zurück. „Wenn meinem Gott auch nur ein einziges Unglück geschieht, komme ich dich auch mal im Traum besuchen. Jede - einzelne - Nacht - deines - restlichen - Lebens.“ „Schon gut. Sülzt euch an. Ich kann warten.“ Er ließ sich dramatisch neben Onkel Mokuba nieder und schielte ganz dezent auf dessen Hosentasche. Da waren Glimmstängel drin. „Ich habe alles gesagt. Du darfst jetzt gehen“ lächelte Amun-Re tapfer. „Und komm munter wieder zurück. Und bring mir was schönes mit.“ „Mal sehen.“ Jetzt war Sethos derjenige, welcher noch einen Kuss wollte. Doch Amun-Re kam ihm vorsichtig entgegen und hielt zur Unterstützung seinen Hinterkopf. Sethos war so schwach. Kein Wunder, dass er es kaum erwarten konnte, diesen Körper abzulegen. Als ihr Kuss beendet war, lehnte der schwerfällige Priester sich zurück und schloss die Augen. Amun-Re signalisierte den anderen, dass nun bitte einen Augenblick Ruhe herrschen sollte. Immerhin durfte nicht ein Funken Seele in dem sterblichen Körper zurückbleiben und das war offenbar nicht ganz leicht. Für gewöhnlich kehrte Sethos im selben Körper irgendwann zurück, doch nun musste er sich vollständig von ihm trennen. Hierfür brauchte er Konzentration. Nach einigen Sekunden, in denen nichts weiter geschah, erstrahlte ein dunkelgoldenes Licht. Es war eher rötlich golden und es ging auch nicht von Sethos aus, sondern erschien wie ein Nebel ringförmig um ihn. Ganz langsam wurden Hände erkennbar, Arme, Schultern und Körper. Und dann sogar Gesichter. Drei Frauen und ein Mann in wallender Kleidung und mit unendlichem Frieden in ihren Minen. Engel. Ihre Flügel aus Licht spreizten sich tief in den Raum hinein, über die Zimmerdecke hinaus. Sie waren nicht wirklich in dieser Welt, materielle Grenzen existierten nicht für sie. Die Lichtgestalten streckten die Hände nach Sethos aus. Berührten seine Brust, seine Stirn, seine Beine und seinen Bauch. Sanft und langsam und es war ein Flüstern zu hören. Leise und weich wie eine fremde Sprache. Dann wurde es weiß im Raum. Weißes Licht wie von Schnee reflektiert überlagerte fast das rötliche Gold und ihm folgten nacheinander vier Drachen. Sethos‘ Drachen. Strahlend weiß mit wundervoll geschwungenen Flügeln. Nacheinander berührten ihre Schnauzen die freundlich ausgestreckten Hände der Engel und folgten ihnen. Ein Paar glühte auf und erhob sich auf den Weg über die Zimmerdecke hinaus. Zwei andere Drachen folgten ihren Engeln als sie zurückwichen und verglühten, bevor sie den leiblichen Raum verließen. Der letzte Drache sah Amun-Re an. Sanft strahlen seine blauen Augen und fast schien er ein wenig zu lächeln. Ein verliebter Blick als würde er ihn einladen mit ihm zu gehen. „Passt gut auf ihn auf“ flüsterte Amun-Re. Der Drache senkte seinen Kopf und folgte seinem Engel, der ihn mit sanfter Hand fortlockte. Es schien als würden sie im Wasser des leeren Aquariums zergehen. Kaum waren sie fort, fiel Sethos‘ Körper in sich zusammen. Sein Kopf rutschte ab und seine Arme wurden schwer. Dann erhoben sich zwei riesige, weißsilberne Schwingen, denen ein blaues Strahlen folgte. Sethos entstieg seinem sterbenden Körper und zeigte für den Bruchteil einer Sekunde seine ganze Pracht. Sein Haar war wieder voll und kräftig. Sein Körper muskulös und voller Kraft. Doch er verweilte nicht lang. Genau wie die Engel seine Drachen geführt hatten, so folgte er seinem Weg in das Reich, welches sein Zuhause war. Es dauerte nur wenige Wimpernschläge und sein Körper war verlassen. „Nun ist er fort“ flüsterte Amun-Re und küsste die leblosen Hände. „Komm gesund zurück, Liebster.“ „Beeindruckend, was?“ „Was? Ja, sehr.“ Finn hatte zum ersten Mal etwas derartiges gesehen. Er hatte noch niemals Engel gesehen und niemals einen Seelenwächter. Nur verständlich, dass es ihm die Sprache verschlug. Er sah Yami an, der ihm verliebt durch sein rotes Haar strich. „Hast du was gesagt, Atemu?“ „Nur, dass es beeindruckend ist. Nicht wahr?“ „Ja, er ist schon etwas besonderes“ lächelte Amun-Re den Neuling an. „Du hattest keine Angst, oder?“ „Vor etwas so schönem?“ „Ach komm“ murrte der eifersüchtige Tato. „So schön war’s ja nun auch nicht.“ „Und sein Körper ist nun völlig verlassen“ seufzte der einsame Sonnengott. Er nahm die Hand, legte seine Finger an den Puls und sah das leblose Gesicht an. Ohne seine Seele war dieser ausgezehrte Körper nur noch krank. Wie eine schaurige Gipsfigur, so blass und fahl. „Sein Herz hat aufgehört zu schlagen. Jetzt ist es an euch, seinen Körper zu Asche zu machen. Enaseus. Finnvid.“ „Gut. Dann wird der Tag ja doch noch lustig.“ Tato rieb sich die Hände und wollte den toten Körper aufnehmen, doch stoppte als Amun-Re ihn mit gefühlsbeladenen Augen davon abhielt. „Bitte sei respektvoll“ bat er mit ebener Stimme. „Tut mir leid.“ Selbst Tato entschuldigte sich sofort. Auch wenn der Sonnengott nur ein Mensch war. Und fast unhörbar leise, setzte er für ihn hinzu: „Ich überspiele nur meine Unsicherheit.“ „Ist gut. Danke für deine Hilfe.“ „Gern, Amun-Re. Also Finn, dann wollen wir mal.“ „Natürlich.“ Er ging Tato zur Hand und half ihm, den leblosen Korpus aufzuheben. Zuerst machte Amun-Re den Weg frei, dann verkreuzte Tato mit dem gebührenden Respekt Sethos‘ mageren Arme über der Brust. „Ich hebe ihn an. Zieh du die Decke unter ihm raus.“ „Auch das Laken?“ wollte Finn lieber gleich wissen. „Oder willst du ihn darin einwickeln?“ „Genau das hatte ich vor.“ Er griff behutsam unter die Schultern und die Oberschenkel und hob den Körper hoch. Kaum zu glauben, dass er bis vor kurzem noch prächtig anzusehen war. Respekteinflößend und voller Kraft. Nun war der Körper nur noch ein Schatten von dem, was er einst gewesen. Er legte ihn zurück und zog das seitliche Ende des weißen Bettlakens über das Gesicht und die Brust. Finn tat dasselbe bei den Beinen. Dann legten sie gemeinsam das andere Stück um ihn und hatten die seelenlose Hülle in ihrer letzten Ruhe vor Blicken geschützt. „Da raus?“ fragte Mokuba, zeigte auf die Seitentür und bekam ein Nicken von Tato. Dann zückte er sein Handy und während er aufsprang und die Tür aufhielt, schrieb er den anderen eine SMS. Besonders Seto würde toben, wenn er schon wieder zuletzt von irgendetwas erfuhr. Und dass Sethos nun plötzlich nicht mehr ‚unter den Lebenden‘ war, sollte er doch als einer der Ersten erfahren. Schließlich hatte er gleich nach Amun-Re die innigste Beziehung zu ihm aufgebaut. Tato währenddessen trug den eingewickelten zur Seitentür hinaus und suchte einen guten Platz. Am besten wäre eine freie Fläche, von wo aus auch Funkenflug keine Gefahr für Menschen und Häuser darstellte. Nach kurzer Orientierung entschied er sich dann aber doch für einen Platz auf der Wiese. Die Bäume des angrenzenden Parks standen einige Meter entfernt vom Hallengebäude. Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden, worauf die Wiese aussah als würde sie Erde ausspucken. In der Richtung in welche seine Fußspitze zeigte, türmte sich ein Berg aus dunkler Erde auf. In der Mitte entstand eine Kuhle. Etwa einen Meter tief und doppelt so breit, drei mal so lang. „Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich glauben, dass du Erdmagier bist“ meinte Mokuba. Es sah tatsächlich so aus als würde die Erde seinem Befehl gehorchen. „Das hat nichts mit Erde zu tun, Onkel Moki. Ich bewege nur Masse.“ „Ich weiß, dass das Telekinese ist. Trotzdem könntest du Leuten, die dich nicht kennen, leicht weißmachen, dass du Erdmagier wärst. Hast du eigentlich auch irgendwelche Nebenbegabungen, Finn?“ „Ich?“ horchte er auf und regestierte wie Tato den Körper in diese Kuhle hineinlegte wie in ein Erdgrab. „Nein, tut mir leid. Ich bin nur ein ganz normaler Feuermagier.“ „Das ändert sich“ antwortete Amun-Re mit einem Lächeln und einer beruhigenden Stimme. Als wolle er ihm Mut zusprechen oder ihn trösten. „Meinst du?“ Dieser merkwürdige Ton fiel sogar ihm in seiner Nervosität auf. „Natürlich. Hast du dich noch nie gefragt, weshalb magisch begabte Menschen so scharf darauf sind, meinen Kindern nahe zu sein?“ „Ähm …“ Worauf wollte er denn hinaus? „Die Pharaonen können Magien öffnen“ antwortete Tato während er aus der Kuhle herausstieg. „Yami kann dir Magien zugänglich machen, die du auf normalem Wege nicht erlangen könntest. Du kannst dich über ihn mit den grundlegenden Energien des Planeten verbinden und dadurch selbst stärker werden. Vorausgesetzt, du weißt wie du es anstellen musst.“ „Das weiß ich nicht. Und das ist auch nicht das, was ich will.“ „Das sollte keine Unterstellung sein, Finn.“ „Aber es wird von selbst geschehen“ sagte Amun-Re in weisem Wissen. „Atemus Herz hat sich bereits mit deinem verbunden, ob du das nun beabsichtigt hast oder nicht. Und durch die liebevollen Gefühle, welche er dir entgegenbringt, wirst du auch ganz unmerklich von seiner angeborenen Macht beeinflusst. Und da du als Magier für Energien, speziell für Elementmagien, empfänglich bist, wirst du irgendwann wahrscheinlich eine oder mehrere Begabungen entwickeln. Als Hexer könntest du dich dagegen sperren, aber als Magier wirst du es hinnehmen müssen.“ „Es gibt schlimmeres als das“ meinte Tato und sah zu ihm hinunter. „Ich kann dir bei Gelegenheit aus der Hand lesen. Meine Trefferquote ist ziemlich gut.“ „Danke, aber …“ Er wusste nicht so recht wie er das formulieren sollte. Er war nicht deshalb gern mit dem Pharao zusammen, weil er dadurch auf eine stärkere Magie aus war. Vor allem zog ihn sein Herz. Nur das, nichts anderes. Wahrscheinlich hätte er sich auch dann verliebt, wenn Yami nicht der Pharao wäre. „Ich meine, ich möchte nicht, dass der Gedanke aufkommt, dass ich … irgendetwas bezwecke.“ „Lass es. Wir wissen, was du meinst“ grummelte Tato und sah ihn ernst an. „In diesem Falle bist du das Opfer. Nicht der Täter.“ „Der Junge hat’s kapiert“ grinste Yami schelmisch. „Ich sage doch, Schatz, du entkommst meinem entwaffnenden Charme einfach nicht.“ „Ich könnte jetzt was sagen, aber ...“ Tato ließ seinen angefangenen Satz einfach mal so stehen. Sonst bekam er wegen seines Mundwerks nur wieder einen drauf und schließlich hatten sie ja noch andere Pläne. „Finn, wollen wir dann?“ „Natürlich“ nickte er und folgte ihm zu der ausgehobenen Kuhle. „Was hast du vor?“ „Du hier. Ich da.“ Er stellte Finn auf der Seite ab, an welcher er den Kopf des Körpers gebettet hatte. Er selbst nahm seinen Platz am Fußende ein. „Fang einfach an, ich unterstütze dich.“ „Okay.“ „Und Finn?“ versetzte er ihm nochmals nachdrücklich. „Keine Zimperchen. Dieser Körper ist nicht so zerbrechlich wie er aussieht.“ „Okay.“ Er nickte und atmete tief ein. Er hatte noch niemals einen Menschenkörper verbrannt. Jedenfalls nicht in der Zeitspanne, an welche er sich erinnerte. Geschweige denn auch noch die sterblichen Überreste des mächtigen Sonnenpriesters. Dem mächtigsten Körper dieser Erde. Es wurden hohe Erwartungen in ihn gesetzt. Und er musste nicht nur sich, sondern auch den anderen beweisen, dass er des Pharaos würdig war. Er atmete langsam wieder aus und konzentrierte sich auf das, was in dem Erdloch lag und zu feinster Asche gemacht werden musste. Er erinnerte sich an die Lehren seines damaligen Meisters. Die Füße nebeneinander, fest auf den Boden. Die Schultern zurück, dabei die Hände in einige Zentimeter Abstand neben die Hüften und die Handflächen nach vorn. Das hatte sein Meister als Finns persönlich stärkste Haltung ausgemacht. Jetzt würde sich zeigen wie weit ihn das hier an seine Grenzen bringen würde. Er fixierte das Ziel mit den Augen, spürte die Laken und das kranke Fleisch darunter. Nur das, was verbrannt werden sollte, sollte seine Kraft aufnehmen. Dann öffnete er sein inneres, heißes Herz und es gab eine Stichflamme. Der Körper brannte lichterloh. Das Laken war binnen einer Sekunde schon nicht mehr existent, doch der Körper leistete wie erwartet Widerstand. Zwar konnte man durch die Flammen nicht wirklich viel erkennen … zum Glück … doch es war zu erahnen, dass der magische Korpus nicht allzu leicht zu vernichten war. Es würde lange dauern bis der Körper zu Asche zerfiel. Wenn die Kraft eines einzelnen Magiers überhaupt reichte. Dies war der Moment, in welchem Tato sich ins Spiel brachte. Er spiegelte Finns Pose, öffnete die Hände neben der Hüfte und blickte nicht in das gefährlich lodernde Feuer, sondern hindurch bis zu Finn. Das Feuer qualmte nicht, es war keinerlei Rauch zu erkennen. Und allein die Hitze ließ die Zuschauer ein paar Schritte zurück tun. Doch als Tato seinen Wind mit dem Feuermagier verband, stach eine einzige Flamme mehrere Meter hoch. Noch über das Hallendach hinaus, bis weit über die Baumwipfel. Feuer brauchte Luft, um zu brennen. Und so gab Tato den Flammen mehr Futter als ihm lieb war. Langsam bewegte Finn seine Hände in kleinen Kreisbewegungen. Er kniff die Augen zu, da ihn die Helligkeit sonst blendete. Er regelte die riesigen Flammen herab und je niedriger sie wurden, desto lauter wurden sie. Das Geräusch erinnerte an einen Gasbrenner. Ein lautes Surren, ein Rauschen, ein Wehen. Finn konzentrierte die ganze Kraft auf nur diesen Körper. War es eben noch furchtbar heiß, sank die Temperatur nun wieder. Jedoch nur außerhalb des Erdlochs. Innen war es so heiß, dass die dunkle Erde zu glühen begann und in kleinen Bächen herabtropfte. „Vorsicht“ warnte Tato mit ernster Stimme über das Rauschen hinweg. Sekunden später gab es einen Knall und beide wurden durch den Druck einen Schritt zurückgezwungen. Doch sie durften jetzt nicht nachlassen. Noch nicht. „Das war wahrscheinlich das Gift. Es ist anscheinend erst ab einer sehr hohen Temperatur brennbar“ erklärte Amun-Re leise. „Gleich haben wir’s“ spornte Tato seinen Partner noch ein letztes Mal an. Finn musste wesentlich mehr arbeiten als er. Finn erzeugte die Hitze, die Flammen, vernichtete das verseuchte Fleisch. Tato hingegen sorgte ‚nur‘ für ausreichend Brennstoff. „Kannst du es noch halten, Finn?“ Er antwortete zwar nicht laut, aber er nickte angestrengt. Seine Konzentration durfte jetzt nicht brechen. „Okay. Pass auf.“ Nach Tatos Worten ging ein Ruck durch den Körper des Feuermagiers und die rauschenden Flammen färbten sich blau. Jetzt war es eigentlich kein Feuer mehr. Es war nur noch reinste Hitze. Das Erdloch war ausgefüllt mit einem einzigen, langen, blauen Lodern. Finns Hände zitterten und auch seine Beine, doch er gab nicht nach. Sein Willen musste stärker sein als der Schmerz in seinen Gliedern. Es dauerte endlose Sekunden bis das Rauschen dann ganz plötzlich verstummte. Der blaue Schein verschwand und hinterließ orange glühende Erde. Es war getan. Während Tato seine Pose ganz entspannt löste, fiel Finn vollends auf die Knie und stöhnte schmerzvoll auf. „Finni!“ Sofort war Yami bei ihm und hielt ihn an den Schultern fest. Der Arme keuchte und japste die Luft in sich hinein. „Sag doch was. Schatz! Geht’s dir gut? Ist dir schwindelig? Willst du dich hinlegen? Mokuba!“ „Geht schon“ atmete er und setzte sich auf seine eingeknickten Knie, legte den Kopf in den Nacken und versuchte so langsam und tief wie möglich zu atmeten. „Kompliment. So viel hält nicht jeder aus“ meinte Tato, der herumkam und nach seinem Partner sah. „Aber wenn du einen Tipp willst …“ „Finn! Deine Hände!“ Yami hielt seine Handgelenke fest und sah schreckliches. Finns Handflächen waren tiefrot und verbrannt. Zwischen den Fingern blutete er sogar. „Ich glaube …“ Dafür war er ganz blass im Gesicht und konnte den Blick gar nicht recht auf seine Hände richten. „… verdammt … ist mir schlecht …“ „Kein Wunder, wenn du nicht atmest“ meinte Tato und trat mit weniger Mitleid hinter ihn. „Hältst du immer die Luft an, wenn du Feuer machst?“ Mokuba nahm sich der Sache an, beziehungsweise Yami die verletzten Hände weg. Behutsam legte er seine Hände darüber und ließ sie gemeinsam mit Finn langsam auf dessen Knie sinken. „Komm, lehn dich an, Mann.“ Tato schob ihm seine Knie in den Rücken, sodass er in seinem Schwindel nicht umfiel. „Du solltest dir echt das Atmen angewöhnen.“ „Ja, Meister.“ Der Rat schien ihm auch nicht neu zu sein. Währenddessen beäugten Yugi und Amun-Re den Inhalt des Lochs. Oder eher das, was dort nicht mehr Inhalt war. Außer glühender Erde war nicht viel übrig. „Hat es geklappt?“ fragte Yugi vorsichtshalber. „Ja. Jetzt ist er ganz fort“ antwortete sein Gottvater wehmütig. Er lächelte zwar, doch man sah ihm an, dass er sich nicht ganz wohlfühlte. Seid er als Mensch herabgestiegen war, war er nicht ohne seinen Priester gewesen. Es ging ihm dabei nicht darum, ob Sethos ihn vor dem Bösen beschützte. Er war nun allein. Ohne ihn. „Fühlt sich komisch an, was?“ Yugi schenkte ihm einen Blick voller Verständnis. Er wusste genau wie sich das anfühlte. Er hatte Seto so oft verloren, hatte ihn so oft gehen lassen müssen. Wenn man entschied, sich selbst wahrlich und ehrlich mit einem anderen Menschen zu teilen und dieser Mensch dann verschwand … dann nahm er auch immer die Hälfte mit sich. Und die Leere füllte sich mit erst mit Sehnsucht. Danach mit Schuldgefühlen. Und ganz zuletzt wurde aus der einstigen Liebe Verzweiflung. Er hoffte, dass Amun-Re diese Erfahrung nicht machen musste. „Mach dir nichts draus, Amun“ tröstete Yami und begegnete dessen leeren Blick mit einem warmen Lächeln. „Sethos ist ein Drache und wenn ich eines weiß, dann dass Drachen immer wieder zurückkommen. Glaube mir, sie kommen alle zurück. Früher oder später. Komai nensheta, Amun.“ „Komai nensheta.“ Das schien ihn etwas zu trösten. Er blickte in die glühende Erde und betete es leise herbei. Betete schon jetzt dafür, dass sein Geliebter bald wieder bei ihm sein möge und ihn komplettierte. Chapter 60 Yami hatte sein Motorrad am Eingangstor stehen lassen und war geradeaus auf ein mehrstöckiges, weißes Gebäude zugegangen. Geradeaus. Nur geradeaus. Ohne irgendwo abzubiegen einfach nur geradeaus. Na ja, okay, na gut - ein einziges Mal war er vielleicht abgebogen. Nach links. Oder rechts. Aber sonst war er geradeaus gegangen. Wirklich! Dennoch … „Das ist ja lustig“ schüttelte er über sich selbst den Kopf. Wie konnte man sich denn so hoffnungslos verlaufen, wenn man doch (eigentlich) nur geradeaus ging? Das konnte auch nur ihm passieren. Aber das Gelände war nun mal größer als erwartet. Finn sagte, er würde diese ganze Woche im Jugendzentrum arbeiten. Und das fand Yami interessant. Er wusste zwar, dass Finn mit Jugendlichen, vornehmlich mit problematischen Jugendlichen, arbeitete und sie zu einem gewissen Teil auch psychologisch betreute. Doch mal war Finn auf Exkursion irgendwo, dann war er wieder im Büro, dann im Jugendzentrum, dann in einer Behörde, dann im Jugendcamp … so langsam verlor Yami den Überblick. Und deshalb wollte er sich jetzt endlich mal ansehen, was sein Lover eigentlich so den Tag über machte. Problem dabei: Dafür musste er ihn erst mal finden. Das Jugendzentrum war hier. Definitiv. Schließlich hatte ihm das ein Passant gesagt und der sah eigentlich ganz glaubwürdig aus. Doch zwischen den verschiedenen Gebäuden hatte er sich irgendwo verlaufen und nun fand er nicht mal mehr zum Eingang zurück. „Na super“ seufzte er und lief einfach weiter. Der Himmel war bedeckt und schwere, violette Wolken hingen schon den ganzen Tag über der Stadt. Wenn es schon regnete, dann hoffentlich nicht, solange er draußen war. Wobei … Finn im nassen Shirt wäre sicher auch sehenswert. Bei dem Gedanken stolperte er über eine lockere Gehwegplatte und taumelte ein paar Schritte vor. Zum Glück konnte er sich noch rechtzeitig fangen. Das fehlte ihm noch. Die schöne neue Lederhose wollte er ja nicht gleich kaputtmachen. Irgendwie bekam er das Gefühl, dass er hier falsch war. Die meisten Gebäude lagen links von ihm und rechts war nur eine Halle mit Flachdach. Er blickte hinein und sah, dass es eine kleine Turnhalle war. Doch es war niemand darin. Niemand, den er fragen konnte. Also zuckte er mit den Schultern und lief weiter fröhlich geradeaus … und bog auch nur ein Mal rechts ab. Ging nicht anders. Links war Gebüsch. Und da … da knisterte etwas. Er blieb stehen und suchte das merkwürdige Geräusch, das hier nicht hingehörte. Es knisterte höher und er ging ein paar Schritte in Richtung der großen Linde und blickte hinauf in die Krone. Und da! Tatsächlich hatte er ein gutes Gehör. Da saß ein hübsches Kerlchen. Oder vielleicht eine Dame? Hellbraunes, karamellfarbenes Gefieder konnte er von hier unten erkennen. Die Krallen und der Schnabel schienen dunkler zu sein. Genau wie die Augen. Doch um näheres zu erkennen, dafür war das Licht im Geäst zu schlecht. Er oder sie war auch gerade damit beschäftigt etwas zu zerrupfen, was wohl mal ein Eichhörnchen oder ein Marder gewesen war. Auf jeden Fall lecker Mittagessen. „Hallo! Guten Tag!“ rief er hinauf. Das Karamellgeschöpf ließ von seiner Beute ab und nahm ihn in den Schein seiner dunklen Augen. „Hallo!“ rief Yami nochmals freundlich. „Störe ich dich?“ „Krraa.“ Ein kurzes Krächzen zur Begrüßung. Klang aber nicht abweisend. Eher überrascht. „Ich habe dich schon mal gesehen“ erzählte Yami und lächelte hinauf. „Du bist doch Ediths Freund, oder? Oder bist du eine Freundin?“ „Kra!“ Oh, das klang jetzt aber beleidigt! „Na ja, wir hatten noch nicht das Vergnügen. Wollen wir uns vorstellen?“ Yami hatte den richtigen Riecher. Er hatte gesehen, dass Edith seit einiger Zeit von einem Falken verfolgt wurde. Doch wie alle anderen hatte er das Tier nur aus der Ferne gesehen. Sareth hatte versucht, ihn oder sie zu fotografieren, doch er oder sie war kamerascheu. Und so blieben nur die Erzählungen. Und da Edith nicht so sehr von der Tatsache begeistert war, sich um einen Falken kümmern zu sollen, hatte noch niemand wirklich die Gelegenheit gehabt, sich der Sache mal anzunehmen. Und da Yami ohnehin gerade nicht wusste, wo er war, konnte er sich auch nützlich machen. Erwartungsgemäß war das kein wildes Tier. Der Mittagshappen wurde auf einigen Zweigen verstaut und Yamis ausgetreckter Arm dankbar als Landemöglichkeit genutzt. Jetzt hatte er auch Gelegenheit, das Tier näher in Augenschein zu nehmen. Der hellbraune Teint ging tatsächlich als kräftiges Karamell durch. Die Krallen und der kleine Schnabel waren dunkelbraun wie altes Kirschbaumholz. Die großen, runden Augen waren schwarz wie Öl und glänzten geheimnisvoll. Ein wunderbarer Falke mit angenehmer, sanfter Aura. Noch nicht ganz ausgewachsen, er hatte noch kindliche Züge. Aber er war allein unterwegs und konnte jagen, also war er wohl schon einige Zeit aus dem Nest fort. Yami fühlte sich sofort vertraut mit ihm. Oder ihr. „Du verstehst mich, oder?“ Zur Antwort wurde das Gefieder aufgeplustert und der Pharao verständnisvoll angesehen. Ja, das war eindeutig eine ganz besondere Seele. „Du hast wunderschöne, herrliche Augen“ lächelte er und strich mit der Fingerspitze sanft über den aufgeplusterten Kopf. „Bist du ein Mädchen?“ Da blitzten die schwarzen Augen und der Schnabel öffnete sich ein Stück. Als wolle er gleich zuhacken. „Okay, verstehe!“ lachte er und nahm lieber den Finger weg. „Du bist ein ganzer Kerl, was?“ „Kra!“ Er machte sich groß und wippte mit dem Kopf. Ja, das war er. Ein ganzer Kerl - wenn auch noch ein Jungspund. „Schön, dass wir uns kennenlernen. Ich bin Atemu“ stellte er sich vor und deutete ein Nicken an. Der Falke aber senkte den Kopf und knabberte an seinem Lederarmband. Eine sehr liebevolle, vertraute Geste. Und eine Geste der Ehrerbietung. „Schön, dass wir uns kennenlernen. Du bist wohl auch allein unterwegs, was? Habe ich dich beim Essen gestört?“ Alles halb so schlimm. Er kletterte den Arm hinauf und knabberte den Pharao vorsichtig am Ohrläppchen. Offensichtlich war er auch froh über etwas Gesellschaft. Ungewöhnlich, denn sie hatten ihn nie von nahem gesehen. Edith wollte keine tierische Gesellschaft und Sareth kam ebenso wenig an den Falken heran wie jeder andere. Doch anscheinend war Atemu nicht wie jeder andere und der junge Greifvogel spürte das. „Dann bin ich ja beruhigt.“ Er kraulte ihn zwischen den Flügeln und setzte mit ruhigeren Schritten seinen Weg fort. Vorbei an der Turnhalle, wo nicht geturnt wurde und in Sichtweite eines Basketballfeldes. „Sag mal, mein Freund, du kennst dich hier doch sicher besser aus als ich. Hast du eine Ahnung, wo mein Schatz sich herumtreibt?“ Zur Antwort bekam er ein leises Gurren, welches sich nicht allzu überschwänglich anhörte. Offenbar hatte auch er keine Ahnung, wo Finn gerade war. „Macht nichts, ich finde ihn schon. Wenigstens bin ich ja nicht mehr allein unterwegs“ tröstete er beide. Auf dem Basketballfeld sah er dann auch endlich ein paar Leute. Um genau zu sein ein paar Jungs. So etwa vierzehn bis sechzehn Jahre alt. Alle trugen eine dunkelgrüne Schuluniform, weiße Hemden und schwarze Schuhe. Ihre Jacken hatten sie ausgezogen und die Hemden aufgekrempelt. Sie waren zu acht und spielten ein Spiel, wobei die eine Mannschaft besser zu sein schien, denn sie hielten sich fast ausschließlich vor nur einem Korb auf und besonders der eine Kräftige mit den kurz geschorenen Haaren machte in kurzem Abstand zwei Körbe. „Pass auf, die fragen wir jetzt. Hübsche, rothaarige Männer gibt’s ja nicht so ganz oft. Die kennen Finni bestimmt.“ Sobald Yami in Rufweite kam, fiel der nächste Korb. Das war die Gelegenheit, sie schnell anzusprechen. „Entschuldigung!“ rief er und trabte zu den achten ans Spielfeld. Sofort wurde er kritisch beäugt. Fast ein wenig bedrohlich wie die Jungs sich ihm zuwandten und ihn mit coolem Gesichtsausdruck abcheckten. Doch Yami wäre nicht Yami, wenn er sich von so etwas beeindrucken ließe. „Hi“ grüßte er fröhlich. „Ich suche Finn. Finnvid Ivarsson. Kennt ihr den?“ „Wer will das wissen?“ fragte einer der Jungs. Seine Statur war pimpfig und nicht gerade beeindruckend. Doch dafür hatte er ein halbes Kilo Gel im Haar und einen akkuraten Seitenscheitel. „Ich“ antwortete Yami unvermindert gut gelaunt. „Ihr seht aus als würdet ihr euch hier ganz gut auskennen. Ich weiß, dass Finn diese Woche im Jugendzentrum arbeitet, aber irgendwie habe ich mich verlaufen. Könnt ihr mir sagen, wo ich hin muss?“ „Damit hast du meine Frage aber nicht beantwortet.“ Wow, der hielt sich für so cool mit seinem Kampfscheitel. „Was ist dir die Info denn wert?“ „Ein Dankeschön und deinen Seelenfrieden“ lächelte er freundlich. „Sagt mir einfach die Richtung. Dann finde ich mich schon zurecht.“ Noch bevor der Gelpimpf den Mund aufmachen konnte, mischte sich der Kräftige mit dem Stoppelkopf ein. „Da lang“ zeigte er hinter sich, wo ein Weg zwischen zwei roten Gebäuden hindurchführte. „Immer gerade aus. Finn müsste irgendwo im A16 sein. Musst dich da noch mal durchfragen.“ „Alles klar. Danke.“ Er nickte und trabte sofort weiter. Hinter sich hörte er noch die Empörung, die seine Kameraden ihm offenbarten. Sie hätten sich ihre Hilfe wohl gern vergüten lassen. Doch als Yami aus etwas Entfernung ein „Der? Echt?“ hörte, vermutete er, dass zumindest einer wusste, wer er war. Die Leute dachten noch immer, er sei blond und mit den schwarzen Haaren wurde er nur noch selten erkannt. Selbst wenn er neben Yugi herlief, stutzten die Leute zweimal. Aber die Pharaonenkarte wollte er auch gar nicht ständig überall ausspielen. „Wenn ich jedem sage, dass ich der Pharao bin, kann das auch nach hinten losgehen“ erklärte er seinem karamellfarbenen Weggefährten. „Manchmal ruft das spontanes Kidnapping oder Stalking hervor. Also halte dich bedeckt, okay?“ „Bububuuurrruuu“ gurrte er und schmiegte sich an seinen Hals. „Du bist ja ein ganz kuscheliger.“ Er drückte ihn mit der Hand an sich und sah sich hier um. Er hatte jetzt die beiden Backsteingebäude fast hinter sich gelassen und sah nun rechts einen Kiesweg, der in eine Baumgruppe hineinführte. Rechts zwei lange, sehr flache Bauten mit einem Vordach aus Zement. Vor sich ein zweistöckiges Gebäude, welches mit einem geöffneten Eisengitter geziert war. „A16 hat er gesagt. Wenn wir jetzt auch noch wüssten, welches das Gebäude A16 ist. Hier steht ja nirgends nix dran.“ Und das mit dem Durchfragen, war auch nicht so einfach. Hier lief ja kaum jemand herum. „Wir gehen da mal rein.“ Er ging zu einem der langen, flachen Bauten und sah, dass hinter dem Zementdach eine Fensterfront verborgen lag. Durch diese konnte er auf einen Flur sehen, von welchem mehrere Türen abgingen. Eine Eingangstür fand er auch recht schnell und da sie nicht verschlossen war, ging er einfach mal hinein. Er schaute nach links, nach rechts und beschloss einfach rechtsherum zu gehen. Dort war der Boden genauso matschgrün und die Scheiben genauso kalkig und die Neonröhren genauso grell, aber trotzdem war das ne gute Richtung, weil er immerhin leise Stimmen hörte. Je weiter er kam, desto lauter wurden die Stimmen und bald erkannte er, dass es ein weiblicher und ein männlicher Ton waren. Beide Stimmen waren sehr hell, also junge Menschen. Er folgte ihnen bis er an eine geöffnete Tür kam. Der kleine Raum hatte hohe Fenster und war dadurch angenehm tageslichthell. An den Wänden sah er Graffitis gekritzelt und es standen wild verteilt einige kahle Holzmöbel herum, die ebenfalls bekritzelt waren. Der offene Regalschrank war leer und ansonsten gab es auch nur Stühle und Tische. Nicht besonders einladend, aber robust gegen Rabauken. Inmitten dieses wilden Jugendraumes saßen tatsächlich ein Junge und ein Mädchen. Sie trug genau wie die Jungs auf dem Basketballfeld eine dunkelgrüne Uniform mit weißer Bluse und Yami fielen sofort ihre hübschen Beine auf, die sie mit weißen Stulpen und Turnschuhen verziert hatte. Ihr Haar war schwarz und zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er trug eine schwarze Sporthose aus glänzendem Stoff und graue Turnschuhe. Dazu ein violettes Shirt, auf welchem ein grellgelber Diesel-Schriftzug gedruckt war. Er war dunkelblond und hatte sein kurzes Haar mit Gel zurückgekämmt. Die beiden heckten wohl irgendetwas aus. Er hielt ihr beide Hände hin und sie ließ ihre einige Zentimeter darunter schweben. Beide blickten in seine Hände, doch sahen aufgescheucht hoch, sobald sie Yami in der Tür bemerkten. „Entschuldigung“ besänftigte er ihre erschrockenen Gesichter. „Störe ich euch?“ „Nein! Nein!“ antwortete sie sofort und beide zogen die Hände zurück als wären sie beim Knutschen erwischt worden. „Wir dürfen hier sein! Wir haben früher Schulschluss gehabt.“ „Ich bin nicht von der Aufsicht, keine Sorge“ lachte er und lehnte sich an den Türrahmen. „Was habt ihr denn da gerade gemacht?“ „Nichts.“ „Das sah aber ziemlich interessant aus.“ Das sah nach Magie aus. Und Yami lernte fleißig, was es zu lernen gab. Und um zu erfahren, mit was Finn sich tagtäglich beschäftigte. „Habt ihr … ich weiß nicht … irgendwelche Geister beschworen oder versucht ihr nur die Weltherrschaft an euch zu reißen?“ „Nein, wir sind ganz ungefährlich“ lachte sie. Er jedoch drehte schüchtern den Kopf zu Boden. „Und was machen Sie hier? Sind Sie ein neuer Betreuer?“ „Nein, ich bin nur ein Besucher, der sich verlaufen hat. Seid ihr Magier?“ Sie blickte kurz über Yami hinweg, aber ihn dann auch gleich wieder direkt an. „Schön wär’s. Ich leider nicht“ erklärte sie dann ganz freizügig. „Ich bin eine Eishexe. Meine Magie ist das Erspüren von Temperaturen. So eine Art Infrarot-Sensor.“ „Cool, so was gibt‘s?“ Das begeisterte ihn. Er hatte mittlerweile gelernt, dass es zwar die vier Grundelemente gab, aber nur weil man Eismagie besaß, bedeutete das noch lange nicht, dass man auch Eis oder Schnee erzeugen konnte. Die meisten Magien bestanden aus den Nebenbegabungen und die ‚eigentliche‘ Elementmagie wie die Drachen oder Finn sie beherrschten, war eher selten. Es gab Feuerhexer, welche ‚nur‘ Gedanken lesen konnten. Oder Windhexer, welche ‚nur‘ Geister sehen konnten. Oder eben Eishexen, welche ‚nur‘ Infrarot-Gespür hatten. „Ja. Ich bin ziemlich gut darin, Dinge nach der Temperatur zu unterscheiden. Ich kann Ihnen genau sagen, wo die einzige Maus im Kornfeld sitzt.“ „Das ist ja klasse. Und dein Freund?“ Sie sah ihn an, doch er antwortete nicht. Ja, er schien sogar eher bedrückt. „Kennen Sie sich denn ein bisschen mit Magie aus?“ fragte sie stattdessen. „Ich denke schon. Aber ich lerne gern neue Dinge kennen. Blekinge ist ja der perfekte Ort dafür. Aber viel mehr interessiert mich mal, woher ihr wisst, dass ich an Magie glaube.“ Sie deutete über ihn und dort bemerkte er ein kleines Glöckchen. Genau wie es bei Hannes hing. Diese Türglöckchen oder häufig auch Windspiele hingen in vielen Gebäuden. Blekinge war bekannt dafür und für Nicht-Eingeweihte war es kultig, sich etwas klingendes an die Tür zu hängen. Doch nur Eingeweihte wussten, wozu sie wirklich dienten. Und da bei Yamis Eintritt nichts geklungen hatte, wussten sie, dass er ein Eingeweihter war. „Ah, verstehe“ lächelte er. „Außerdem gibt es nicht viele Leute mit Adlern auf der Schulter“ sagte der Junge. Er war offensichtlich noch nicht im Stimmbruch und sah auch sonst noch recht jung aus. „Das ist kein Adler, sondern ein Falke. Ein Turmfalke denke ich. Aber er ist noch nicht ausgewachsen, so genau kann ich das also gar nicht sagen.“ „Sie wissen nicht, was für eine Art Ihr Haustier ist?“ „Oh, er ist nicht mein Haustier. Wir haben uns aber gerade angefreundet. Oder?“ Der Kleine gurrte freundlich und wippte mit dem Kopf. „Und was für eine Begabung hast du?“ „Ich? Gar keine“ sagte er und blickte bedrückt zu Boden. „Das stimmt doch nicht. Er ist ein sehr Begabter Feuermagier.“ Seine Freundin verteidigte ihn, wollte ihn aber wohl gleichzeitig dadurch trösten. „Die Seherin hat gesagt, er hat die Kraft zum Feuermachen. Er hat sie nur noch nicht gefunden.“ „Dann bist du ein richtiger Feuermagier? Ich liebe Feuermagier.“ „Ich bin kein Feuermagier. Eher ein Rauchmagier. Bei mir kommt nur Rauch.“ Er sah seine beiden Hände an und Yami sah schnell seine Misere. „Die anderen machen sich schon über mich lustig. Ein Feuermagier, der kein Feuer entzünden kann. Nur Rauch … was anderes funktioniert nicht. Wie peinlich ist das denn?“ „Hast du mal mit einem Betreuer darüber gesprochen?“ „Ja, habe ich. Gerade eben schon wieder. SCHON wieder.“ „Und was sagt er?“ Er war zu aufgewühlt, deshalb antwortete seine Freundin für ihn. „Er sagt, Martin soll sich da nicht reinsteigern. Wenn seine Energie so weit ist, wird sich sein Feuer von selbst entzünden. Und das finde ich auch. Mit Zwang blockierst du dich nur noch mehr.“ „Und du kannst nur Rauch machen?“ fragte Yami noch mal nach. „Das habe ich aber auch noch nie gesehen.“ „Ist auch nicht besonders sehenswert.“ „Würde ich nicht sagen. Mach doch mal.“ „Was?“ Der Junge mit dem grellen Diesel-Shirt sah ihn jetzt das erste Mal richtig an und schien sich zu wundern, dass jemand nur seinen Rauch sehen wollte. „Ja, mach doch mal. Ich habe noch nie einen Magier gesehen, der nur Rauch machen kann. Das ist doch auch schon ne prima Begabung.“ „Genau das sage ich ihm auch immer. Wenn er das richtig ausbaut, kann Rauch sogar gefährlicher werden als Feuer selbst. Aber er glaubt mir nicht.“ „Dann sind wir doch schon zu zweit. Also ich beherrsche gar keine Magie, aber ich liebe Feuermenschen. Du würdest mir einen Gefallen tun, wenn du mir dein Talent vorführst.“ „Zeig ihm das doch mal“ ermutigte seine Freundin und tätschelte seinen Arm. „Ich bin also nicht die einzige, die dein Talent cool findet.“ „Na gut“ murrte er und sah erst sie, dann ihn kritisch an. „Aber wenn die Rauchmelder anspringen, übernehmen Sie die Schuld.“ „Letztendlich bin sowieso immer ich schuld“ lächelte er und wechselte das Bein, lehnte sich gemütlich an die rechte Seite des Türrahmens. „Dann zeig mal, Martin.“ „Na gut.“ Er öffnete beide Hände, setzte sich gerade hin und sofort strömte dunkler Rauch aus seinen Handflächen. Als hielte er darin kokelndes Papier und es roch sogar verbrannt. Yami beobachtete seine Hände und seine Körperhaltung. Für seinen schlanken Körper hatte der Junge tatsächlich enorm große und fleischige Hände. Yami spürte auch die Wärme, welche von seinem Körper ausging. Der Rauch war nur ein Bruchteil dessen, was davon nach außen drang. Doch bevor er noch mehr denken konnte, schrillte ein Alarmton los. Sofort hob die Eishexe einen Besenstiel vom Boden auf und piekte damit den Rauchmelder, der über ihnen hing. So routiniert wie sie das machte, was das wohl nicht das erste Mal, dass sie das Ding ausknipste. „Sehen Sie? Nur Rauch. Und war das jetzt so super?“ „Irgendwie schon. War das alles oder kannst du noch mehr?“ „Martin kann den ganzen Raum sofort in Rauch einhüllen. Das da war nur ein Hauch“ erzählte seine Freundin, die wohl stolzer auf ihn war als er auf sich selbst. Nur … „Du scheinst damit nicht zufrieden zu sein“ stellte Yami fest. „Warum denn nicht? Ist doch ziemlich cool, was du da machst.“ „Ja schon. Aber ich bin Feuermagier und ich habe keine Nebenbegabungen. Dass da nur Rauch rauskommt ist wie … wie … wie eine Eismagierin, die nur blaue Lippen kriegt. Da fehlt doch das wichtigste.“ „Ich finde, was du machst, ist prima“ bestärkte seine Freundin ihn ums wiederholte Mal. „Lass die anderen doch reden. Die sind doch nur neidisch.“ „Neidisch worauf? Auf Raucher?“ „Raucher!“ lachte Yami und schlug sich an die Stirn. „Der war witzig!“ „Ja? Noch einer, der über mich lacht.“ „Ach komm. So war das nicht gemeint“ kicherte Yami und stieß sich vom Türrahmen ab, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu den beiden dazu. „Gib mir mal deine Hände, mein Freund.“ „Und was soll das bringen? Ich wurde schon von einer Seherin durchgecheckt.“ „Ich bin keine Seherin. Aber ich will dich mal spüren. Also gib mir schon deine Hände.“ Er griff sich einfach die fleischigen Hände und fühlte sofort enorme Mengen aufgestauter Energie darin. Deshalb waren sie so rot und groß. Seine Hände und die Handgelenke waren angeschwollen. Wahrscheinlich versuchte er schon seit geraumer Zeit, sein Feuer zu entzünden. Doch er produzierte nur Rauch. „Das muss doch wehtun.“ „Geht so.“ „Von wegen. Du siehst doch wie geschwollen deine Hände sind“ seufzte sie. „Ich sage doch, du solltest dich nicht so stressen. Hör auf Finn und zwing dich nicht.“ „Finn ist dein Betreuer?“ guckte Yami ihn grinsend an. „Ja. Wieso? Kennen Sie ihn?“ „Ziemlich gut. Und Finn sagt, du sollst was tun?“ „Ich soll ruhiger werden und dann löst sich meine Blockade von selbst. Aber solange kann ich nicht warten. Ich will mit den anderen ins Trainingscamp und wenn ich das nicht hinkriege, stecken sie mich wieder zu den Anfängern.“ „Vielleicht solltest du auf Finn hören“ riet Yami. „Er weiß bestimmt, was richtig für dich ist.“ „Finn hat ja auch leicht reden. Der gehört zu den stärksten Feuermagiern in Blekinge und wird von Arnor persönlich trainiert. Denken Sie, der zieht sich freiwillig Konkurrenz ran?“ „Kann es sein, dass du ein bisschen neidisch bist?“ „Nein.“ Aber das war er. Er war neidisch. Er wollte unbedingt endlich ein ganzer Feuermagier sein und nicht nur Rauch produzieren. Sicher hatte Finn recht mit dem, was er sagte. Aber Yami verstand auch die Misere des Jungen. Von Magiern wurde eben automatisch mehr erwartet als von Hexen. Und offensichtlich wollte er diese Erwartungen erfüllen. Doch je mehr man etwas wollte, desto mehr blockierte man sich selbst. Und das war schwer zu ändern. Finn tat sicher alles, um dem Jungen zu helfen. Doch es gab eben Dinge, die selbst Magier nicht selbst tun konnten. „Martin. Beug dich mal vor und schließe die Augen.“ Yami legte seine Hände auf die Schultern des Jungen und lächelte sanft, weil er so niedlich argwöhnisch angesehen wurde. „Jetzt guck nicht so. Ich weiß, was ich tue. Das habe ich schon oft gemacht bei viel stärkeren Magiern.“ „Die da wären?“ „Jetzt lass ihn doch“ bat seine Freundin und sah Yami mit glänzenden Augen an. „Ich glaube, wir können ihm vertrauen. Er hat so ein inneres Strahlen. Eine ganz besondere Wärme in sich.“ „Danke schön“ lächelte er zurück. „Wie heißt du eigentlich?“ „Anni.“ „Anni. Sehr hübsch.“ „Danke schön“ lächelte sie zurück. Wenn Yami nicht Treue gelobt hätte, würde er sie glatt nach ihrem Alter fragen. Aber so verkniff er sich diese Flirtgedanken und widmete sich seiner heutigen guten Tat. „So, dann komm mal her. Leg deine Hände hier hin. So.“ Er nahm die fleischigen Hände und legte sie auf seine Oberschenkel. Dann griff er den jungen Magier in den Nacken und fuhr mit drückenden Fingerspitzen seine Schultern hinab. „Und was soll das jetzt werden?“ fragte der misstrauisch. Schließlich wurde man nicht jeden Tag von irgendwelchen dunklen Typen mit Kajalaugen und Lederklamotten und Nietenarmbändern angegrapscht. „Vertrau mir. Anni passt auf dich auf“ beruhigte er und sah ihm tief in die Augen. Das wirkte immer. Ahnungslose Leute verloren sich leicht in seinem Blick, wenn er es ernst mit ihnen meinte. „Ich beherrsche zwar keine praktische Magie, aber dafür bin ich in anderen Dingen ganz nützlich. Schließe deine Augen und versuche, es zu genießen. Okay?“ Der junge Magier sah seine Freundin leicht verärgert an, aber seufzte dann nur als sie ihm ermutigend zunickte. „Warum bringst du mich immer in solche Situationen?“ „Hi hi.“ „Und was haben Sie mit mir vor?“ „Wart’s ab. Die meisten Magier finden das sehr angenehm. Aber nützlich ist es auf jeden Fall. Mach die Augen zu. Ich beiße dich nicht.“ „Na gut …“ Skeptisch schloss er die Augen und vertraute diesem merkwürdigen Fremden. Er wusste zwar nicht weshalb er ihm vertraute, aber er wirkte trotz seiner harten Aufmachung sehr … edel und … einfach angenehm. Anziehend. Yami wusste genau wo sein Problem lag. Und das erläuterte er ihm auch, während er mit festen Händen seine Schultern herab strich, über die Arme bis zu den Ellenbogen. „Du hast deine Energie sehr auf deine Hände konzentriert. Um deine Magie zu spüren, solltest du aber deinen ganzen Körper fühlen. Sonst staust du dich selbst. Wie ein Damm das Wasser staut. Fühlst du das?“ Er strich über die Unterarme bis über die geschwollenen Finger und schob die Energie dann langsam zurück in die Schultern hinauf. Der Junge reagierte darauf wie fast jeder Magier reagierte. Er stöhnte leise und blinzelte mit den Augen. Wehren konnte er sich schon nicht mehr, dafür hatte Yami ihn zu gut in der Hand. „Du besitzt eine mächtige Magie. Sonst könnte ich dich nicht anfassen“ sprach er leise weiter. Zum einen um ihn zu beruhigen. Zum anderen, um ihn nicht völlig abdriften zu lassen. Immerhin war es nicht einfach, sich und seine Lebensenergie einem anderen so zu öffnen. „Ich löse deine gestaute Energie und schiebe sie in deinen Körper zurück. Fühlst du das? Wie die Kraft über deine Schultern zurück in deinen Körper fließt?“ „Hm hm“ quietsche er leise und versuchte zu nicken. Doch stattdessen stöhnte er und fiel mit dem Kopf auf Yamis Schulter als der ihm abermals über die Schultern strich. Er konnte sich nicht dagegen wehren. „Ganz ruhig. Du machst das ganz großartig.“ Er sammelte noch etwas Energie aus seinen Händen und schob sie behutsam bis zu seinen Schultern hinauf. Dann nahm er die Reste und strich seinen Rücken hinab, strich über die schmale Brust und drückte seine Oberschenkel. Dann klopfte er ihm auf die lockeren Schultern und wuschelte ihm durchs Haar. „Du hast es überstanden“ lachte er und sah in die schwindeligen Augen. So eine Magieblockade war für Yami kein Problem. Bei den Magiern, die er gewöhnt war, waren manchmal viel größere Energiemengen aufgestaut. Allein bei Tatos letzter Energieordnung hatte er viel länger daran gesessen. Da war so ein vergleichsweise kleiner Magier ein Kinderspiel. Er richtete den Jungen auf, der sich verlegen durchs Haar fuhr und ihn dann orientierungslos ansah. „Hey, Martin.“ Seine Freundin rutschte neben ihn und legte den Arm um seine Hüfte. „Ich sehe, dass deine Hände jetzt nicht mehr so heiß sind. Du bist ganz ausgeglichen warm.“ „Ja, ich fühle mich auch ganz ausgeglichen … meine Hände tun nicht mehr weh. Was haben Sie mit mir gemacht?“ „Ich habe deine Energie wieder in deinem Körper verteilt. Fast all deine Kraft war in deinen Händen gestaut“ erklärte Yami und lobte seinen geduldigen Falkenfreund mit einem liebevollen Kopfkraulen. „Ich habe deine Energie wieder zum Fließen gebracht. Du warst wohl viel zu angespannt, um das selbst zu machen. Erfahrene Magier erreichen diesen Zustand durch Entspannung und Meditation. Deshalb hat Finn dir wohl auch geraten, dass du dich nicht so in die Sache verbeißt, damit du dein Gleichgewicht wiederfindest. Aber jetzt … na ja, probiere doch mal, ob’s jetzt klappt mit dem Feuermachen.“ „Ja, probier’s mal“ spornte ihn auch Anni an und rutschte von ihm weg. „Wenn’s jetzt nicht klappt, wann dann?“ „Erwarte aber nicht zu viel.“ Er schien noch nicht so recht daran zu glauben. Dennoch streckte er die Hände aus und konzentrierte sich. „Brenne“ flüsterte er leise, seine eigene Beschwörungsformel. „Brenne Luft … brenne … werde heiß … werde hell … brenne …“ Aus seinen Handflächen schossen dann plötzlich zwei Stichflammen, welche das offene Wandregal in Brand setzten. Als hätte jemand Benzin darüber gegossen und es angezündet, loderten die Flammen auf. „Es funktioniert! Anni! Es funktioniert!“ „Ja toll!“ rief sie jedoch nur halb begeistert. Sie sprang sofort auf und nahm den Feuerlöscher von der Wand, um den Brand zu löschen. „Aber musstest du gleich das ganze Regal in Brand stecken?“ „Aber es funktioniert!“ Und das Feuer war auch schnell wieder gelöscht. Es waren ja nur zwei leere Fächer und die schaffte der Löschschaum auch schnell. „Sie haben einen Feuermagier aus mir gemacht!“ freute er sich und schüttelte ganz fest Yamis Hände. „Wie haben Sie das gemacht?! Das hat noch keiner geschafft!“ „Ein Feuermagier warst du schon vorher. Ich habe nur deiner Energie einen Schubs gegeben“ lachte er und drückte seine Hände. „Aber wie du jetzt damit umgehst, das muss dir Finn erklären. Dafür habe ich leider kein Talent.“ „Wie kann ich Ihnen das jemals danken? Wer sind Sie überhaupt?“ „Du kannst mir das ganz leicht danken“ lächelte er spitzbübisch. „Sag mir einfach, wo Finn sich rumtreibt.“ „Finn? Mein Betreuer?“ „Natürlich. Oder kennst du noch einen Finn?“ stöhnte seine Freundin und haute ihm auf den Hinterkopf. „Ich weiß, dass er im Jugendzentrum arbeitet. Wahrscheinlich im Gebäude A16. Aber ich habe keine Ahnung, wo das ist.“ „A16 ist kein Gebäude, sondern eine Bezeichnung“ erklärte Anni und stellte den Feuerlöscher einfach in der Ecke ab. „A16 bedeutet AB 16. Da sind die Jugendlichen. Das hier sind die Räume A12. Also alle die älter als zwölf sind.“ „Aha. Und wie komme ich nach A16?“ „Das ist ganz leicht. Einfach den Gang weiter rauf“ zeigte sie über ihre Schulter. „Wir begleiten Sie gern und helfen Ihnen, Finn zu finden. Oder Martin?“ „NATÜRLICH!“ Jetzt war der schüchterne Junge gar nicht mehr so schüchtern. Für Yami würde er jetzt wahrscheinlich alles machen! Er sprang sofort auf und griff Yamis Arm. Ob es ihm passte oder nicht, er wurde jetzt geholfen. „Martin, beruhige dich. Du machst dich zum Affen.“ „Was?“ „Lass nur. Ich finde dich süß“ lachte Yami als der Junge ihn beschämt losließ. „Und danke, dass ihr mir helft. Alleine würde ich wahrscheinlich noch eine halbe Ewigkeit nach Gebäude A16 suchen.“ „Kein Problem“ lächelte die hübsche Anni ihn an. „Ihnen helfen wir gern.“ „Warum ist denn außer euch hier niemand unterwegs? Ich dachte, in einem Jugendzentrum wäre mehr los.“ „Es ist erst ein Uhr. Die meisten sind noch in der Schule. Und die, die hier sind, gehen entweder nicht zur Schule oder haben eine Freistunde wie wir.“ „Verstehe. Und das hier sind so was wie Pausenräume?“ „So was ähnliches, ja. Sie waren noch nie hier, oder?“ „Nein, bisher nicht. Aber ich dachte mir, ich komme mal vorbei und schaue, wo Finn so arbeitet. Er erzählt ja manchmal was, aber so richtig schlau werde ich daraus nicht. Am liebsten sehe ich mir Sachen direkt an und mache mir selbst ein Bild. Und ihr werdet von Finn betreut?“ „Ich nicht. Aber Martin“ erzählte sie, während ihr Freund eine Glastür aufhielt, welche auf einen weiteren Gang führte, der genauso aussah wie der erste. „Wer sind Sie denn jetzt überhaupt?“ fragte Martin ihn jetzt nochmals auf den Kopf zu. Beim ersten Mal war Yami ja elegant ausgewichen. „Ich bin Atemu Muto. Ein Freund von Finn“ erklärte er vage. „Atemu Muto?“ „Ich hab’s gleich gewusst!“ klatschte sie aufgeregt in die Hände. „Sie sind der Pharao, oder?“ „Ja“ lachte er ertappt. „Sie haben sich die Haare gefärbt! Sonst waren Sie doch immer blond!“ „Ja, erwischt.“ „Das ist ja geil, dass ich Sie mal persönlich … oh, entschuldigung.“ „Wofür?“ stutzte er. War was los? „Na ja, geil sagt man doch nicht.“ „Geil geil geil“ sagte Yami mit breitem Lächeln. „Eines meiner Lieblingsworte. Gleich nach heiß und lecker. Und Worten, die erst A18 sind.“ „Sie sind genauso nett wie ich gedacht habe.“ Sie ging einen Schritt näher neben ihm und lächelte ihn verliebt an. „Und die schwarzen Haare stehen Ihnen großartig.“ „Danke. Ich finde dich aber auch sehr süß. Schade, dass du schon mit Martin zusammen bist?“ „Was? Wir?“ Sie drehte sich prüfend zu ihrem Freund um, der jetzt wieder ganz klein und leise geworden war und hinter den beiden her schlich. „Martin und ich sind kein Liebespaar. Wir sind nur befreundet. Er ist in meine kleine Schwester verliebt.“ „Oh … ach so. Und wohnt ihr beide hier?“ „Ich wohne bei meinen Eltern zuhause. Und Martin wohnt bei seiner Tante“ erzählte sie ganz ohne Scheu. Dem Pharao durfte sie alles erzählen. Dem w o l l t e sie alles erzählen. „Wir sind nur hier, weil ich nachher noch Training habe und auf unsere Clique warten. Martin und ich gehen in dieselbe Klasse, aber die anderen gehen in eine andere Schule. Wir treffen uns hier nachmittags und hängen so rum. Das Jugendzentrum ist ganz nett. Man kann hier chillen oder mit anderen Leuten was spielen oder sich zu Kursen melden oder so. Blekinge hat ne gute Jugendarbeit, wissen Sie?“ „Ja, ich habe es schon gehört. Sind denn nur magische Menschen hier oder auch Normalos?“ „Normalos treiben sich hier auch rum, aber die hören wir beim Klingeln. Die Betreuer regeln das aber so, dass es rein magische Gruppen und gemischte Gruppen gibt. Einige sind eingeweiht und einige nicht. Das kommt ganz drauf an wo man ist und was man macht. In unserer Clique ist Martin der einzige Magier. Klar, Magier gibt’s ja so selten. Aber außer mir gibt’s noch eine Hexe. Jenny. Jenny ist auch eine Eishexe und ihr Talent ist Hellsichtigkeit. Aber die anderen sind normal.“ „Spielt Magie denn bei euch eine sehr große Rolle?“ „Nur manchmal. Aber meistens nicht. Oder Martin?“ „Hm hm“ nickte er und sagte lieber gar nichts mehr. Jetzt war ihm die ganze Sache offensichtlich peinlich. „Alles okay?“ fragte Yami besorgt. „Du bist so leise.“ „Na ja, Sie sind immerhin der Pharao“ sagte er beschämt. „Hätte ich das gewusst, wäre ich gleich netter zu Ihnen gewesen.“ „Aber du warst ja nicht unfreundlich. Da habe ich schon ganz andere erlebt. Glaube mir.“ „Ich meine … ich hätte Ihnen nicht so die Ohren vollgeheult.“ „Hey, ich brauchte eh noch ne gute Tat für heute.“ Er klopfte ihm auf die Schulter und heiterte ihn etwas auf. „Und setze deine neue Magie immer nur zum Wohle der Menschen ein. Versprichst du mir das?“ „Natürlich. Das schwöre ich Ihnen, Pharao“ sagte er fest. „Und wann immer Sie mich mal brauchen … ich bin immer für Sie da.“ „Das ist nett, Martin. Danke schön.“ „Darf ich Sie auch etwas fragen, Pharao?“ bat Anni, die sich in Martins Arm hängte. „Natürlich. Was möchtest du wissen?“ „Ist es wahr, dass Finn und Sie … na ja, Sie wissen schon. Dass Sie ein Paar sind?“ „Ihr müsst mich übrigens nicht siezen“ antwortete er. Auch um nachzudenken. Er wusste ja selbst nicht wie viel Finn seinen Schützlingen erzählt hatte. Er wusste nur, dass Finn mal von ‚Gerüchten‘ sprach, aber ob er ihre Liebschaft an die große Glocke gehängt hatte … eigentlich hatte er nie danach gefragt, was sein Umfeld dazu sagte. Er wusste nur, dass Finn sein Privatleben absichtlich nicht publik machte. Es gab Jugendliche, die das missbrauchen konnten. Und überhaupt war Finn kein Mensch, der schnell persönlich wurde. Er war zwar fröhlich und herzlich und sympathisch. Aber je näher Yami ihn kennen gelernt hatte, desto mehr stellte er auch fest, wie wenig gern Finn über sich erzählte. Nach außen hin war er ein positiver und gefestigter Mann. Doch in sich trug er viele Selbstzweifel und Angst vor Nähe. Vielleicht lag es an seiner fehlenden Vergangenheit. Vielleicht auch einfach daran, weil er zu oft verletzt wurde. Doch Yami schwor sich und ihm, dass er an ihm festhalten würde. Finn war neben Seth der Mann, ohne den er nicht mehr leben wollte. Ohne den er nicht mehr leben konnte. Weil sein Herz keine Widerworte zuließ. Weil er ihn liebte. Einfach so. So wie Liebe nun einmal war. Voller Begründungen - doch ohne Grund. „Das ist aber nett!“ freute Anni sich und rüttelte Yami aus seinen poetischen Gedanken. „Vielen Dank … du, Pharao.“ Er lächelte warmherzig und sah zur Fensterfront hinaus. Doch dort waren nur verwachsene Büsche. „Ziemlich weitläufig hier, oder?“ „Ich habe mich zuerst auch immer verlaufen. Aber mit der Zeit findet man sich leicht zurecht. Da vorne ist es auch schon.“ „Was genau ist denn da vorne?“ „A16.“ „Und wie alt seid ihr?“ „Ich bin siebzehn. Martin ist sechzehn“ lachte sie und erklärte sich auch sogleich. „Aber wir hängen da nicht so gern rum. Um diese Uhrzeit sind da nur die, die nicht zur Schule gehen. Entweder weil sie verwiesen wurden oder weil sie schwänzen.“ „Also Raudies?“ „Sozusagen. Ja. Außerdem ist eine aus unserer Clique erst vierzehn. Also bleiben wir alle drüben. Wir sind nicht zu cool, um mit jüngeren zu chillen. Oder Martin?“ „Was?“ „Er ist ein Träumer. Deswegen sind seine Noten auch so schlecht.“ „ANNI!“ „Ihr würdet trotzdem ein gutes Pärchen abgeben“ schmunzelte Yami und sein karamellfarbener Freund gackerte dazu. Sie hielt ihm die Tür auf und Yami sah sich in dem neuen Bereich um. Hier war es recht duster. Eine olle Stehlampe war angeknipst und beleuchtete ein altrotes, durchgesessenes Sofa. Die Bücher im Regal sahen aber ungelesen aus. Beliebter waren wohl eher die Zeitschriften, die da auf dem Tisch hingeworfen wurden. Er folgte Anni durch eine offene Tür. Dorthin, wo dunkle Stimmen herkamen. Und fand sich in einem größeren Raum mit viel Tageslicht wieder. In der Mitte stand ein Billardtisch, umrahmt von Holzbänken und Stühlen, die weniger bekritzelt waren. An den Wänden alte Werbeposter und in der Ecke noch eine durchgesessene Couch, dieses Mal in grau. Im Raum drei junge Männer. Einer groß, dünn und blond und sehr blass. Sah ein bisschen aus wie ein Skelett. Einer mit kräftig untersetzter Statur, mit sehr dunkler Haut und dickem, schwarzem Haar und großen, dunklen Augen. Und noch einer mit ebenso südländischer Haut, aber etwas schmaler als der andere. Und irgendwie schien es hier wohl Mode zu sein, dass sich alle Jungs kiloweise Gel ins Haar schmierten. Der einzige mit schönem Haar war Finn. Für Yami war er sowieso der schönste Kerl weit und breit. Obwohl er überhaupt nicht gestylt war. Allein seine sexy Hüftjeans, die seinen langen Beinen schmeichelte. Allein seine sexy Brust, welche sich auf dem braunen Shirt abzeichnete. Und natürlich seine dunkelroten Haare, die im Licht glänzten. Finn war einfach sexier als andere Männer. Als er Yami hereinkommen sah, legte er die Kugel zurück auf den Tisch und war auf diesen Besuch offensichtlich unvorbereitet. „Atemu. Was machst du denn hier?“ „Mir war langweilig und ich dachte mir, ich schaue dir mal bei der Arbeit zu. Störe ich?“ „Nein. Nein, natürlich nicht. Komm rein.“ Er ging ihm entgegen und Yami bemerkte wie genau die Jugendlichen hinsahen. Es gab Gerüchte, dass Finn mehr war als ‚nur‘ der Wächter seiner Majestät. Aber Finn hatte zu diesen Gerüchten niemals Stellung bezogen. Umso intensiver wurde ihre Begrüßung beäugt. „Ich habe mich ziemlich verlaufen bis ich dich gefunden habe.“ Er reckte sich zu ihm hinauf, bekam aber nur einen kurzen Kuss auf die Wange. Etwas enttäuscht stellte er sich auf die Fußsohlen zurück, aber ließ sich nichts anmerken. „Ist ja ein ziemlich großes Areal hier.“ „Ja, man verläuft sich leicht. Und wer ist das?“ „Das?“ Er sah den hübschen Falken auf seiner Schulter an und tätschelte seine dunkelbraunen Krallen. „Ich habe ihm keinen Namen gegeben. Aber wir verstehen uns gut. Er ist ein er.“ „Aha.“ Armer Finn. Der wusste nun gar nichts mit Yamis Anwesenheit anzufangen. Er hatte nichts vorbereitet. Und er hatte sich selbst nicht auf ihn vorbereitet. Da kamen ihm die anderen zuvor. „Wer ist das?“ wollte der kräftige Dunkelhäutige wissen und drehte mit einer sehr uneinladenden Geste den Queue zwischen seinen Händen, die in schwarzen Stoffhandschuhen steckten. „Ich bin Atemu“ antwortete Yami, bevor Finn sich etwas ausdenken musste. „Ich bin ein Freund von Finn. Und ihr seid?“ „Atemu, ja?“ Aus der Ecke löste sich der hagere Blonde und während er direkt auf Yami zuging, legte er seinen Billardstock beseite. Seine fast weißen Augen waren direkt auf den Pharao gerichtet. „Pete, lass es“ bat Finn noch recht freundlich. „Spiel dein Spiel zuende.“ Doch der hörte nicht, er hob seine Hand und war nur noch eine Armlänge von Yami entfernt. Der ließ sich sein Lächeln nicht nehmen und sah ihm direkt in seine leeren Augen. Der blasse Skelettjunge näherte seine Hand Yamis Kopf. Zwar nicht schnell und Yami war gespannt, was er wohl vorhatte, doch Finn schritt ein. „Das reicht, Pete. Ich sage es dir nicht zweimal.“ Er griff das schmale Handgelenk und begleitete ihn unter dem albernen Gekicher der anderen beiden zur Tür. An der Art wie er ihn anfasste, erkannte Yami, dass mit Finn auch nicht zu spaßen war. Der führte ihn ab wie ein amerikanischer Cop. „Du meldest dich jetzt beim Hausaufseher und gehst dann zurück. Und wehe ich erfahre, dass du dich nicht gemeldet hast.“ „Was denn? Hab doch gar nix gemacht“ murrte der Blasse und rüttelte eher antriebslos an dem festen Griff. „Ich wollte nur hallo sagen.“ „Erzähl das dem Aufseher. Raus jetzt. Wir sprechen uns heute Abend.“ Er schubste ihn vor die Tür, nahm die Klinke und schloss die Tür. Die anderen beiden kicherten immer noch albern in ihre Fäuste. Martin und Anni aber verdrehten die Augen und waren von diesem Theater nicht allzu angetan. „Entschuldige bitte“ seufzte Finn und ging zu Yami zurück. „Alles okay?“ „Ja klar. Was wollte er denn von mir?“ „Nicht so wichtig. Und ihr lasst das blöde Gackern. Ihr seid doch keine Hühner“ bat Finn ernst zur Seite. „Benehmt euch mal ein bisschen.“ „Ey du! Lidstrich!“ lachte der dünnere von den beiden Dunkelhäutigen. „Bist du schwul oder so?“ „Ich? Nein, ich bin bi“ antwortete Yami, der sich davon doch seine gute Laune nicht verderben ließ. Erstrecht von so albernen Hähnchen. „Und du?“ „Ich? Das sieht man doch, Mann“ lachte der und stellte sich breitbeinig hin wie ein Gorilla. „Die Chicks stehen auf mich. Weißt du?“ „Auf dich stehen nur Frauen? Armes Würstchen“ grinste Yami. „Da entgeht dir die Hälfte des Spaßes.“ „Atemu, lass es“ bat Finn leise zu ihm gewandt. „Die wollen dich nur abchecken.“ „Finni! Bussi bussi!“ tänzelte er zu seinem Kumpel hinüber und wackelte lasziv mit dem Hintern. „Oh, willst du dich nicht um mein armes Würstchen kümmern? Du könntest es doch mal … hheeiißß machen.“ „Boah, ist der schlecht“ kommentierte Anni aus dem Hintergrund. „Ihr seid wirklich selten komisch“ seufzte Finn und fuhr sich durchs Haar. Yami brachte die Herren mit seiner Anwesenheit wohl völlig durcheinander. „Komm, Atemu. Lass uns woanders hin gehen.“ „Ja“ grinste der dickere der beiden. „Nehmt euch ein Zimmer, ihr Süßen. Zum Würstchen warm machen.“ „Nicht doch“ schmunzelte Yami und legte ganz geschmeidig und so dass es niemand sehen konnte, seine Hand an Finns knackigen Po. „Ich dachte, wir machen zusammen ein Spielchen. Finn?“ „Ein Spielchen? Atemu, nicht“ flüsterte er und schob die Hand runter. „Ja, ihr habt doch gerade Billard gespielt, oder? Wie wär’s?“ Er ging zum Spieltisch, nahm den Queue und zeigte damit auf die beiden Gackerhähnchen. „Ihr beiden gegen Finn und mich.“ „Und was kriegen wir, wenn wir gewinnen?“ Offensichtlich waren sie einem Spiel nicht abgeneigt. „Der Gewinner bekommt gar nichts“ beschloss Yami. „Aber das Verliererteam muss rückwärts aus dem Raum gehen und dabei das ABC von hinten aufsagen.“ „Du warst wohl zu oft in Verkehrskontrollen.“ Die Idee fand Finn scheinbar amüsant. Zumindest lächelte er wieder ein bisschen. „Und bin nie durchgefallen“ zwinkerte er und warf seinem Lover den Stock hinüber, während er sich selbst einen neuen von der Wandhalterung griff. „Also, ihr Süßen. Wir spielen wie folgt. Wie bilden zwei Zweierteams. Jeder im Team darf solange stoßen wie er Kugeln einlocht. Wenn eine Kugel daneben geht, hat sein Partner die Möglichkeit, sie reinzumachen. Wenn der auch verfehlt, ist der Gegner dran. Das geht solange bis alle Kugeln des Duos eingelocht sind. Es ist verboten, die Kugeln des Gegners einzulochen. Man darf sie aber verschieben. Die Schwarze 8 wird zum Schluss versenkt. Die Weiße darf gar nicht versenkt werden. Wer die 8, die Weiße oder eine gegnerische Kugel versenkt, hat automatisch verloren.“ „Das finde ich nicht gut, wenn du die Regeln festlegst“ meinte der Kleinere. „Ich finde, wer die weiße einlocht, sollte deswegen nicht verlieren. Höchstens aussetzen.“ „Okay, dann eben nur aussetzen. Spielen wir eben wie Anfänger“ zuckte Yami mit den Schultern. Die beiden wussten ja gar nicht, gegen wen sie spielten. Yami verlor selten ein Spiel. Sehr selten. Eigentlich nie. „Finn, du hast doch immer Kleingeld in der Tasche. Wir werfen eine Münze, wer beginnt. Wir entscheiden vor Anstoß, wer die ganzen und wer die halben Kugeln nimmt. Welche wollt ihr?“ zeigte er auf die beiden Raudies. „Keine halben Sachen“ grinste der Kräftige. „Gut, dann nehmen wir die halben“ beschloss Finn und holte eine Münze aus seiner Hosentasche. „Martin wirft die Münze. Atemu, Kopf oder Zahl?“ „Immer Kopf“ lächelte er und verfolgte gespannt wie der ruhige Feuermagier die Münze bekam und sie zwischen den Händen schüttelte. „Hört auf zu lachen!“ schimpfte Anni als die beiden Hähnchen schon wieder zu gackern anfingen. „Hauptsache, es funktioniert!“ „Wichtig ist nicht wie es aussieht, sondern was rauskommt“ meinte auch Finn. „Und? Wer beginnt?“ „Gucken wir mal.“ Martin klatschte sich die Münze auf die Handfläche und verkündete etwas bedauernd: „Zahl.“ „Prima, dann dürft ihr ja auch mal stoßen“ grinste Yami. Er trat zurück und stellte sich mit einem sehr zufriedenen Ausdruck zu seinem Liebsten, der ihn aber etwas misstrauisch ansah. „Guck nicht so. Ich bin gut im Billard.“ „Deswegen nicht.“ „Weswegen dann?“ „Nichts. Ich bin nur froh, dass du in meinem Team spielst.“ „Danke“ lächelte er sanft zurück. „Ich bin auch froh, mit dir zu spielen. Ich dachte mir, mit deinen langen Fingern kannst du bestimmt auch mit anderen ‚Stäben‘ zärtlich umgehen.“ „Ächem … ich helfe dann wohl mal.“ Bevor er noch in Verlegenheit kam, half er lieber den beiden anderen, den Tisch vorzubereiten. Sie sammelten die Kugeln zusammen, platzierten sie auf dem Tisch und entfernten das Dreieck. Yami sah ihnen gern dabei zu und zwinkerte der hübschen Anni hinüber, die ihm fest die Daumen drückte. Erst als alles fertig war, gesellte er sich zu den anderen. „Na dann. Anstoß. Wie heißt ihr überhaupt?“ „Das ist Ired“ zeigte der Kräftige auf seinen Kumpel. „Und ich bin Okan.“ „Ah so! Seid Ihr orientalischer Abstammung?“ „Türkisch.“ „Ach schön. Ich hatte mal einen Freund, der kam auch von da, wo heute die Türkei ist. Er hieß Koray und die Frauen sagten ihm goldene Hände nach. Er besaß das Badehaus, in welchem sich Seths Frauen und mein Harem gern aufhielten und wenn er Haare wusch, ließ er sich die Seife in Gold aufwiegen. Und seine Massagen waren hmmmmm … er hatte wirklich magische Hände.“ Die beiden schauten ihn an, wie man so jemanden wohl ansah, der so was erzählte. Sie hielten ihn jetzt wohl für völlig plemmplemm. „Willst du spielen oder quatschen, Pharao?“ fragte Finn. „Mit dir spiele ich am liebsten“ zwinkerte er ihm zweideutig zu. „Aber ich glaube, wir müssen uns noch gedulden. Die beiden Gentlemen haben Anstoß.“ „Ich zuerst“ drängelte der kräftige Okan sich vor und schob seinen Kumpel ruppig beiseite. „Anstoß zählt nicht als Versuch, klar?“ „Natürlich“ lächelte Yami wohltätig. „Wir spielen ja schließlich für Anfänger.“ „Du bist ja so gehässig heute, Atemu.“ „Ich freue mich nur, dass wir was zusammen machen, Finni.“ Da kam auch schon der Anstoß und die Bälle rollten in verschiedene Richtungen des Tisches. „Ha, dassis easy“ meinte Okan und anvisierte den Spielball. Er stieß ihn aber etwas zu fest, sodass die orangene Kugel zwar in die Ecke ging, aber sofort wieder heraushüpfte. „Tja, Okan“ grinste Anni schadenfroh. „Erster Fehlversuch würde ich sagen.“ „Fresse“ murrte er und überließ seinem kleineren Kollegen mit den schwarzen Handschuhen das Feld. „Ired, den machst du rein, Mann.“ „Hast die Weiße ja nicht gerade gut gelegt“ urteilte der nach seiner schnellen Bestandsaufnahme. „Ich lege die da hinten hin. Dann können die beim nächsten Stoß auch nix reinmachen.“ „Bist du blöd? Die machst du rein, Mann. Guck doch mal!“ „Die liegt scheiße, das geht nicht.“ „Die liegt gar nicht scheiße! Guck doch mal, die geht!“ „Das ist mein Stoß. Und ich lege die Weiße jetzt in die Ecke!“ „Und immer schön zärtlich bleiben. Nicht nur zu den Kugeln.“ Yamis Kommentar verunsicherte die beiden nur noch mehr. Aber wenn sie sich schon nach dem ersten Stoß in die Haare bekamen, würden sie erstrecht keine Chance haben. Wenn sie denn überhaupt mal eine hatten. Auf jeden Fall legte Ired die weiße Kugel so nahe es ging an die rechte Ecke heran. So war es tatsächlich sehr schwer für den nächsten Spieler, sie von dort aus weg zu bekommen, ohne dass sie hineinfiel. Und eine andere Kugel dabei einzulochen, wäre auch fast unmöglich. Aber eben nur fast. „Die hat er gut gelegt. Soll ich?“ bot Yami an. Es fehlten nur Millimeter und die Kugel würde verschwinden. „Du wirst dich wundern, Atemu“ lächelte Finn ihn selbstsicher an. „Ich habe das Billardspielen von meinem Vater gelernt. Wir hatten damals im Keller einen Billardtisch stehen und immer wenn seine Freunde zum Spielen kamen, haben wir ihnen zusammen das Geld aus der Tasche gezogen. Ich spiele nämlich besser als ich aussehe.“ „Es reicht schon, wenn du genau so gut spielst wie du aussiehst“ schmunzelte er ihm lecker zu. „Dann können wir ja nur gewinnen.“ „Danke sehr. Aber das nächste Mal sollten wir um Geld spielen.“ „Bist du dann also ein Teamplayer oder eher ein Trickbetrüger?“ „Von beidem ein bisschen.“ Verschmitzt grinste er zurück und ging herum zur rechten Ecke. Er nahm den Queue hochkant und richtete ihn mit großer Konzentration aus. Seine braunen Augen huschten über den Tisch und einige Male zum Spielball zurück, bevor er sich sicher war. „Pass auf, Pharao. Die Grüne geht auf deiner Seite in die mittlere Tasche.“ „Dann zeig, Schatz.“ Er war fasziniert wie gut Finn tatsächlich war. An ihm war ein echter Profi verloren gegangen. Er stieß die weiße Kugel so kurz und kräftig an, dass sie nicht nur vom Loch wegsprang, sondern dabei auch noch gegen eine andere Kugel knallte. Diese stupste mit verringerter Kraft die angekündigte Grüne an, welche sich brav auf den Weg in die mittlere Tasche machte und reinging. „Finnvid!“ staunte Yami mit breitem Lachen. „Ich entdecke ganz neue Seiten an dir!“ „Irgendwas muss ich ja auch können. Pass auf, jetzt die violette direkt links.“ Er wechselte auf die andere Tischseite, steuerte die Weiße an und gab der Violetten einen gepfefferten Stoß, der sie dann ohne Umwege in die Tasche beförderte. Aber damit noch nicht genug. „Durch die Kraft, ist die Weiße jetzt so liegen geblieben, dass ich indirekt die dort hinten hinbekomme. Stoß Weiß, Kugel, Bande, Bande, Kugel, Tasche. Seht und kniet nieder. Also … du natürlich nicht, Pharao.“ „Och“ grinste der zweideutig. „Wenn du willst, dann knie ich mich gern vor dir hin. Verlangst ja nichts, was ich nicht schon kennen würde.“ „Ähm … du und deine schweinischen Witze immer. Guck dir lieber unsere halbe Gelbe an.“ Er stützte sich mit der Hand am Tischrahmen ab und richtete mit seinen langen Fingern den Stoß aus. Er atmete konzentriert ein und gab dem Spielball einen wohldosierten Schubs. Und es lief genau wie er es vorausgesagt hatte. Die Weiße stieß gegen die Kugel, welche vor ihr lag. Diese stieß an die Bande, ging berührungslos quer über den Tisch und stieß erneut an die Bande. Dort stieß sie die halbe gelbe Kugel an und !!!TADAA!!! sie ging rein. „Ich habe ja erwartet, dass du gut bist, aber SO gut“ staunte Yami und legte verliebt den Arm um ihn. „Jetzt würde ich gern nicht mehr mit dir, sondern lieber gegen dich spielen.“ „Ich hoffe, das war ein Kompliment.“ „Ich liebe den Kampf gegen gute Herausforderer mehr als ein leichtes Spiel mit Verbündeten. Also ja, es war ein Kompliment.“ „Dann bedanke ich mich“ lächelte er zurück, wies dann aber aufs Feld zurück. „Jetzt komme ich aber nicht mehr sinnvoll weiter. Wenn ich dir die Kugel da hin lege“ zeigte er nach links, „kannst du dann noch die rote rein machen?“ „Nein, leg sie mir da hin“ zeigte er nach vorn. „Schön mittig, wenn möglich. Dann mache ich die rote UND die blaue in einem Zug rein.“ „Dann würden euch nur noch zwei fehlen“ zählte Anni nach. „Das schafft ihr nicht“ stänkerte Ired gleich dagegen. „Er ist der Pharao“ sagte Martin, der noch immer an der Tür stand und sich das Spektakel aus der Ferne betrachtete. Er hatte am eigenen Leibe erfahren, dass der Pharao mehr war als ein Mensch oder ein Magier. Er war ein einzigartiges Geschöpf. Ein Halbgott. Und alle Gerüchte über ihn waren wahr. Man sollte vor ihm niederknien - und ihn nicht im Billard verhöhnen. „Auch der Pharao schafft das nicht“ hielt Ired gegen ihn. „Genau“ schloss sich auch sein Kumpan an. „Das schaffen nur Profispieler! Wenn überhaupt!“ Yami aber war sich seiner selbst sicher. „Übt schon mal das Rückwärtslaufen, Jungs. Finn, mein Wächter, Vorlage bitte.“ „Wie Majestät wünschen.“ Er stieß die weiße Kugel an und legte sie wunschgemäß möglichst mittig. Ganz mittig ging nicht, denn sonst hätte er eventuell eine gegnerische Kugel in die Tasche gestoßen, doch er legte sie so gut es ging, dass der Pharao seinen Stoß ausführen konnte. „Soll ich dir das Tier mal abnehmen?“ „Nein, er stört nicht. Falken sind Glücksbringer.“ Yami tätschelte seinem neuen Freund das Köpfchen und platzierte gelassen seine Arschbacke auf dem Tisch. Er lehnte sich herüber und scheinbar ohne Nachdenken stieß er den Spielball an. Er zielte aber auf eine grüne Kugel der Gegner, welche nach einem lauten Knall über den Tisch zischte. Auf ihrem Weg stieß sie zuerst die halbe rote an, auf die Yami es abgesehen hatte. Diese ging sofort in die Tasche. Und die Grüne rollte weiter und stieß dort die Schwarze an. Diese ging gegen die Bande und stieß daraufhin mit letzter Kraft seine Blaue in die Tasche. Zwei Kugeln in einem Streich. Ohne mit der Wimper zu zucken. Das war königlich! „Da waren’s nur noch zwei“ zählte Yami abgeklärt. Er wechselte die Tischseite und nun gingen die beiden Türken ohne goldene Hände respektvoll aus seinem Wege. „Dunkelrot über die Bande und die Gelbe“ kündigte er an und stützte die Hand aufs Grün. Er legte den Queue über seine Knöchel und stieß die Weiße an die Bande. Nach ihrem Abprall stieß sie leicht gegen die Gelbe der Gegner, wurde abgeleitet und versenkte Dunkelrot in der Tasche. „Atemu, ich bin beeindruckt“ musste Finn zugeben. „Es tut mir leid, Jungs, aber ihr durftet ja immerhin anfangen.“ Yami stieß wie nebenbei die Weiße nochmals an und versenkte, ohne genau hinzusehen, auch noch die siebte Kugel in der Tasche. Wahrscheinlich hätte er das Match auch im Alleingang gewonnen. Man nannte ihn nicht umsonst den König der Spiele. Für solche Dinge hatte er einfach ein natürliches Talent. Martin und Anni applaudierten und Yami verbeugte sich spaßhaft. Selbst Finn schien beeindruckt. Beeindruckt, jedoch weniger glücklich waren die beiden Herausforderer. Nur ein Stoß war jedem vergönnt gewesen und nicht eine Kugel hatten sie versenkt. Das war peinlich. „Nun, ihr beiden“ bat Finn und nahm ihnen die Stöcker ab. „Spielschulden sind Ehrenschulden.“ „Eben, jetzt will ich auch meinen Preis sehen“ freute Yami sich. „Rückwärts aus dem Raum und dabei das ABC von hinten aufsagen.“ „Das ist doch scheiße“ wetterte Okan wild gestikulierend. „Ihr habt betrogen! Ihr wolltet uns nur abzocken!“ „Okan, bitte“ unterbrach Finn mit ernster Stimme. „Du willst doch nicht unterstellen, der Pharao würde falsch spielen.“ Das passte den beiden von sich selbst so überzeugten Hähnchen natürlich nicht in den Kram. Sie wollten zeigen wie toll sie waren und hatten doch ohne jede Chance verloren. „Finn ey. Ich dachte, du wärst’n Kumpel, Mann!“ „Lass es, Ired. Ihr habt fair verloren und ihr solltet lernen, auch bei Niederlagen euren Stolz zu bewahren. Wenn ihr den Preis nicht zahlen wolltet, hättet ihr den Bedingungen nicht zustimmen dürfen. Niemand hat gesagt, dass Verlieren Spaß macht, aber mit gehobenem Haupt eine Niederlage zu akzeptieren, ist ebenso ein Sieg.“ „Ich verteidige dich nie wieder, wenn sie dich wieder Prediger nennen!“ „Damit kann ich leben.“ „Grrrr. Los, Okan. Du machst auch mit.“ Er trat beleidigt den Stuhl weg, der ihm im Weg stand und schubste dann seinen kräftigen Freund, damit der sich umdrehte. Beide warfen Finn einen wütenden Blick zu. Als sei es seine Schuld, dass sie verloren hatten. Aber sich jetzt zu zieren, brachte nur noch mehr Schande. So setzten sie möglichst große Schritte und versuchten zumindest, ihren Stolz zu bewahren. „Ich kann das Alphabet aber nicht rückwärts. Was denn?“ beschwerte Okan sich und ballte die Faust, weil Anni sich kichernd umwandte. Die starken Türken so klein zu sehen, war doch wirklich ein Fest. „Versuch’s einfach. Bist doch kein Dummer“ lächelte Finn und stellte den Stuhl ordentlich an den Rand. „Z“ begann sein Kollege und sah Okan grimmig an. „X … nein, Y, X …“ „W, V …“ ergänzte Okan leise. „Äh … V … U …“ „L, M, N“ zählte Ired leise vor sich hin. „U, T …“ Das war gar nicht so einfach. Zum Glück waren sie mit ihren großen Schritten auch schon zur Tür heraus und knallten diese hinter sich zu. Das Alphabet rückwärts war dann doch zu viel. „Süß die beiden“ lächelte Yami. „Wie alt sind die?“ „Älter als sie sich benehmen“ antwortete Finn und hängte die Queues zurück an die Wandhalterung. „Okan ist 19, Ired ist gerade 21 geworden.“ „Lass mich raten. Windmenschen?“ „Okan ja. Ired ist Feuerhexer.“ „Und beide halten sich für die Krone der Schöpfung“ erklärte Anni dem Pharao. „Ständig schikanieren sie die jüngeren Hexer und wenn sie erwischt werden, machen sie einen auf super nett und kein Wässerchen trüben.“ „Die beiden sind nicht dumm, aber stehen sich mit ihrer Faulheit selbst im Wege“ erläuterte Finn das genauer. „Sie spucken zwar große Töne, trauen sich aber außer Prügeleien und Beschimpfungen nicht wirklich etwas zu. Ich glaube aber, dass die beiden nur bestärkt werden müssen, damit sie ihre Birne für mehr als dummes Zeug nutzen.“ „Du bist zu gut für diese Welt“ lächelte Yami und legte liebevoll den Arm um ihn. „Und du bringst sie auf den rechten Pfad, indem du mit ihnen beim Billard abhängst?“ „Dartspielen eignet sich dafür auch ganz gut, weißt du?“ antwortete er und schob den kleinen Tisch zurück an die Wand. Wohl auch um Yamis eindeutigen Gesten zu entkommen. „Atemu, wollen wir nicht lieber in mein Büro gehen?“ „Du hast ein eigenes Büro?“ „So was ähnliches. Ich teile es mir mit zwei Kollegen, wenn ich hier bin.“ Er öffnete eine Tür auf der entgegengesetzten Raumseite und bat ihn heraus. „Komm, ich wollte sowieso mal in mein Brot reinbeißen.“ „Okay. Wenn’s was zum Beißen gibt.“ Er trabte ihm nach und winkte seinen beiden netten neuen Bekanntschaften zurück. „Danke für die Führung. Wir sehen uns bestimmt mal wieder.“ „Bestimmt. Viel Spaß noch Pharao! Tschau Finn!“ winkte Anni zurück und auch Martin winkte und beide deuteten eine kleine Verbeugung an bis die zwei hinaus waren. Die Tür, die Finn gewählt hatte, führte direkt ins Freie und schlug einen Weg ein, der von diesem langen, flachen Gebäudekomplex auf einen runden Hof führte. In der Mitte stand ein großer Baum, welcher von Holzbänken umrandet war. Auch an der Seite standen mehrere Bänke, auf denen sich Jugendliche einfanden und begrüßten. Andere saßen wohl schon länger dort und zeigten sich gegenseitig ihre Schulhefte oder tippten auf ihren Handys herum. „Jetzt ist hier mehr los als eben“ stellte Yami fest. Als er angekommen war, fand er kaum eine Menschenseele und nun kamen von überall her junge Menschen. „Die meisten haben jetzt Schule aus oder Mittagspause vorm Nachmittagsunterricht. Das wird noch voller.“ Er wartete bis Yami bei ihm war und neben ihm herging. „Das hier ist der Zentralhof. Wir sind so ziemlich mitten im Gelände und hier treffen sich die Jugendlichen gern nach der Schule oder am Wochenende. Manche gehen jetzt zur Hausaufgabenhilfe und andere nehmen an einem der Freizeitkurse teil. Manche hängen hier auch einfach nur so rum. Hey!“ rief er zu einer Gruppe Jungen herüber, die sich auf einer Bank fläzten und jetzt aufgescheucht hochsahen. „Kippen aus! Rauchen nur im Raucherbereich. Jannis, bitte!“ Die Jungen warfen ihre Zigaretten auf den Boden und rafften ihre Sachen zusammen. War wohl nicht das erste Mal, dass sie deswegen ermahnt wurden. „Du kannst ja ganz schön streng sein, Schatz.“ Er versuchte sich in Finns Arm zu hängen, doch der strich sich genau in dem Moment das Haar aus dem Gesicht. Also ließ Yami es lieber. Er bemerkte schon, dass sie von den Kids beobachtet wurden. Und er bemerkte auch, dass Finn seinen Annäherungsversuchen aus dem Weg ging. Schon beim Billard und hier noch mehr. Er freute sich so sehr, dass er Finn endlich gefunden hatte und sich seine Arbeit ansehen konnte. Aber er hatte nicht daran gedacht, ob dem das überhaupt lieb war. Yami hatte nicht einen Augenblick daran gedacht, ob es ihm vielleicht unangenehm war. Ob er ihn mit seiner Anwesenheit vor allen Leuten outete … „Finn?“ sprach er leiser, während er ihm über den Hof folgte. „Ich komme dir ungelegen, oder?“ „Nein, überhaupt nicht“ antwortete er und lächelte sanft. „Ich freue mich, dich zu sehen. Wie gesagt, ich wollte sowieso gerade etwas essen. Aber warum hast du nicht vorher angerufen? Dann hätte ich etwas vorbereiten können.“ „Ich wollte nichts vorbereitet haben. Ich wollte dich überraschen.“ Er spürte die Augen der Jugendlichen in seinem Nacken. Einige erkannten ihn vielleicht. Andere rätselten noch. In solchen Momenten wäre er gern Gedankenleser. Obwohl er sich denken konnte, worüber die Kids tuschelten. Yamis Anwesenheit brachte die Routine hier durcheinander. „Mir war langweilig ohne dich.“ „Was ist denn mit Amun-Re? Wolltest du dich nicht um ihn kümmern?“ „Der ist mit Yugi und Arnor zusammen zu irgendeinem Bio-Bauernhof gefahren. Auf Landwirtschaft hatte ich irgendwie nicht so die große Lust. Tut mir leid, wenn ich dich störe.“ „Du störst mich nicht, Atemu. Ich freue mich doch immer, dich zu sehen.“ „Das ist nett von dir.“ Er seufzte und bekam keine Gelegenheit, Finn ins Gesicht zu schauen. Sollte er seine Gedanken einfach herunterschlucken und sich zurücknehmen? Es war offensichtlich wie zurückhaltend Finn sich hier benahm, um kein Gerede zu provozieren. Aber hatte er sich nicht geschworen, sich nicht mehr zurück zu nehmen? Aber es wäre Finn zuliebe. Aber … er konnte nicht herunterschlucken, dass es ihn bedrückte, dass Finn sich nicht mit ihm zeigen wollte. Also fasste er sich ein Herz und sprach ihn leise an. „Erklärst du mir, warum du mich bisher nicht geküsst hast?“ „Was?“ lachte Finn und sah zu ihm herunter. „Warum flüsterst du so?“ „Ich merke doch, dass dir mein Besuch unangenehm ist.“ Er steckte die Hände in die engen Lederhosentaschen und sah fest nach vorn. „Ist es dir unangenehm, wenn die Leute dich mit mir sehen?“ „Nein, natürlich nicht.“ „Was ist es dann? Ich bin ja nicht dumm. Du hast mich bisher nicht geküsst. Du hast mich ja nicht mal umarmt.“ „Atemu … weißt du …“ „Das ist ja auch in Ordnung. Ich bin nicht hier um dich zu outen. Aber ich würde es gern verstehen. Damit ich Rücksicht nehmen kann. Verstehst du?“ „Das ist nicht böse gemeint. Wirklich nicht.“ Er ging etwas langsamer und sah ihn mit einer Mischung aus Schuld und Bitte an. „Aber weißt du, es wird eben viel geredet. Besonders seit ich mein neues Auto habe, drehen sich die meisten Gespräche nur noch um meine ‚Arbeit als Wächter‘. Wenn ich nicht dein Geliebter bin, dann bin ich korrupt und lasse mir teure Sachen schenken. Die Kids legen sich so ihre Theorien zurecht, weißt du? Ich möchte die Gerüchte nicht auch noch anfeuern.“ „Ich verstehe schon. Du kannst meinetwegen deiner Arbeit als Sozialarbeiter gar nicht mehr richtig nachkommen.“ „Ich bin ja eigentlich auch abgestellt, um dir als dein Wächter zu dienen. Aber ich kann meine Kids auch nicht einfach im Stich lassen. Es sieht vielleicht nicht so aus, aber viele von ihnen brauchen mich und vertrauen mir. Ich hätte ein schlechtes Gewissen, sie einfach so sitzen zu lassen.“ „Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Das ist schon okay“ lächelte er. Auch wenn er gern allen zeigen wollte wie sehr er diesen wunderschönen, rothaarigen Feuermagier mit den tiefbraunen Augen liebte, er hatte nicht das Recht, ihn aus seinem normalen Leben herauszureißen. „Aber sag mal, wäre es anders, wenn ich eine Frau wäre?“ „Was? Wie kommst du darauf?“ „Ich will dich ja gar nicht nur für mich allein vereinnahmen. Das weißt du auch. Aber liegt deine öffentliche Zurückhaltung wirklich nur daran, dass ich der Pharao bin? Oder liegt es vielmehr daran, dass du Angst hast, man könnte dich für schwul halten?“ „Das weiß ich nicht … vielleicht.“ Er fuhr sich durchs Haar und setzte langsam einen Schritt vor den anderen. Allmählich verließen sie den runden Zentralhof und kamen auf einen eher rechteckigen Hof. Hier standen ein paar Tischtennisplatten und ein Stahlpfeiler. An zwei Stahlpfeilern brachten gerade einige Jugendliche ein Netz an. Wahrscheinlich wurde das dort hinten gleich zum Volleyballfeld. Und es gab niemanden, der nicht mindestens ein mal zu ihnen herüberschaute, nicht mindestens ein Mal tuschelte. „Weißt du, Atemu“ fuhr Finn nachdenklich fort. „Ich arbeite viel mit Jugendlichen, die in schweren Lebenssituationen stecken. Meistens mit Pubertierenden oder jungen Männern. Jugendlichen wie Okan und Ired oder Pete. Die wissen gar nicht wohin mit ihrem Testosteron. Wenn sie mich für schwul halten, nehmen sie mich nicht mehr ernst. Und wenn sie mich nicht ernst nehmen, kann ich ihnen nicht helfen.“ „Aber du bist doch nicht schwul. Höchstens bi. Wenn überhaupt.“ „Da machen die keinen Unterschied. Es ist so schon schwer genug, ihren Respekt zu bekommen. „Aber müsstest du nicht allein dadurch Respekt bekommen, wenn sie wissen, dass du der Vertraute des Pharaos bist?“ „Das hat überhaupt nichts mit dir zu tun, Atemu. Die Kids versuchen sich einfach zu profilieren. Entweder lachen sie mich aus oder sie fangen an, mich noch mehr herauszufordern. Du hast doch gesehen wie die beiden vor dir angegeben haben. Wenn ich alle Gerüchte bestätige, behindert das meine Versuche, ihnen ein Vorbild zu sein, dass sie respektieren können.“ „Also liegt es doch eher daran, dass ich keine Frau bin.“ Seine Augen trafen Finns und er konnte nicht anders als ihn sanft am Arm zu berühren. Aber nur so wie es ein Freund tun würde. „Das ist in Ordnung. Wenn du kein Coming-Out möchtest, will ich dich zu nichts drängen. Du wirst wissen, was du tust. Aber meiner Liebe zu dir tut das keinen Abbruch. Wenn mich jemand fragt, werde ich einfach ausweichend antworten und niemandem Anlass geben, an deiner Männlichkeit zu zweifeln.“ „Atemu … es tut mir leid.“ „Muss es nicht.“ Er lächelte ihn zärtlich an und klopfte ihm auf die Schulter. „Aber rede mit mir bitte über so etwas. Ich will dich mit meinem großen Mundwerk ja schließlich nicht in Schwierigkeiten bringen.“ Finn blickte zu Boden und legte sich nachdenklich die Hand in den Nacken. Yami ließ ihn ihn los und winkte freundlich den Kids zu, die ihn von den Tischtennisplatten her so aufdringlich ansahen. Wahrscheinlich hatte Finn sogar Recht mit dem, was er sagte. Eine Liebschaft zum Pharao, dann auch noch zu einem Mann, zuzugeben, würde seine Arbeit behindern. Deshalb hielt er sein Privatleben möglichst weit fern, um keinem seiner Problemkinder eine Zielscheibe zu bieten. Finn wusste, was er tat. Und er wollte nur für alle Seiten das Beste. Für alle das Beste zu wollen, brachte immer Einschnitte an der ein oder anderen Seite. Davon konnte Yami ein Lied singen. Man erreichte niemals eine optimale Lösung. Doch solange Finn ihn liebte, reichte ihm das als Gewissheit. Er brauchte keine öffentliche Zurschaustellung. Er hatte ja auch Seth jahrelang in geheimen Kammern unter Ausschluss der Welt geliebt. So eine geheime Romanze war ihm also nicht fremd - und er wusste, welche spannenden Vorteile sie bringen konnte. „Atemu?“ Finn blieb stehen und als der sich zu ihm wandte, legte er seine warmen Hände an Yamis Wangen, sah ihm tief in die Augen. „Hey“ hauchte er mit einem kleinen Lächeln. „Jetzt sorgst du aber für Gerüchte.“ „Keine Gerüchte mehr.“ Er beugte sich herunter und küsste ihn. Direkt auf die Lippen, sanft und eindeutig nicht freundschaftlich. Yami ließ es sich gern gefallen, aber sah ihn doch etwas irritiert an als der langsame Kuss gelöst wurde. „Meine Feigheit ist eine Schande, Atemu. Nicht nur weil du als Pharao einen mutigen Wächter verdienst. Du verdienst auch jemanden, der dich über alle anderen stellt und deine Liebe nicht mit Feigheit erwidert. Ich liebe dich und du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben geworden. Wenn ich nicht zu dir stehen kann, wie kann ich dann zu mir selbst stehen und mir Respekt verdienen? Bitte entschuldige, dass ich so ein Ignorant bin.“ „Du bist kein Ignorant. Du bist mein Loverboy“ lächelte er und strich ihm zärtlich die wehenden Strähnen seines nachroten Haares zurück. „Du hast ein gutes Herz, das für alle nur das Beste will. Daran ist nichts feige.“ „Aber ich liebe dich. Das darf ich nicht verleugnen. Nur wenn ich Respekt vor meinen eigenen Gefühlen habe, können mich auch andere respektieren. Ich liebe dich und ich will deiner Liebe würdig sein. Ich will deiner Person würdig sein. Dafür habe ich mich entschieden. Und ich darf doch den Mann, den ich so sehr liebe, nicht verleugnen. Weder den Pharao, noch den Mann, dessen Liebhaber ich sein darf.“ „Du bist mehr als nur mein Liebhaber“ erwiderte Yami mit sanfter Stimme. „Du bist mein Partner. Und deine Wünsche sind mir wichtig. Du sollst dich meinetwegen zu nichts unangenehmen überwinden müssen.“ „Fordere mich, Atemu. Fordere mich. Sonst werde ich dir nie würdig sein.“ „Das bist du doch schon. Mein Finnvid.“ Er strich über seine heißen Lippen und streichelte auch sein Ohr. „Aber dein Liebesgesäusel gefällt mir. Das könntest du gern öfter hören lassen.“ „Also … ich will mich ja nun nicht ständig ...“ „Schon gut“ lachte er und legte seine Hände auf Finns Schultern. Das wurde dem kleinen Falken auf seiner Schulter nun aber doch zu bunt und er zog sich ohne große Beschwerden auf einen naheliegenden Baum zurück. „Aber jetzt wo alle so schön gucken … bestätigen wir doch noch ein paar Gerüchte.“ „Nur wenn du dir abends mein Geheule anhörst.“ „Ich höre lieber andere Laute von dir, Loverboy.“ Finn seufzte mit einem Lächeln im Gesicht und küsste ihn dann nochmals. Aber dieses Mal richtig. Er schlang die Arme um ihn und presste seine Lippen auf die des Pharaos. Der erlaubte es sich und drückte beide Handflächen an seine Arschbacken und öffnete verlangend den Mund, empfing die heiße Zunge, die er so sehr liebte. Wurde nun wohl doch nichts mit der geheimen Romanze. Aber auch gut. Zungenküsse in der Öffentlichkeit waren mindestens genauso gut. Und er wusste nun, dass Finn ihn nicht versteckte. Dass er zu seiner Liebe stand und dass ihm das wahrlich nicht leicht fiel. Aber er tat es. Er überwandte sich selbst. Und Yami wusste, das war ein Liebesbeweis von unvergleichlichem Wert. … Doch wie alles hatte auch die schönste Liebe eine Kehrseite … Kapitel 13: Chpter 61 - Ende ---------------------------- Chapter 61 Heute wollte Yami es ausprobieren. Er hatte alles dabei. Groben Sand und Sandelholzöl, um ein prickelndes Peeling anzumischen. Oder Rosenöl, wenn’s einfach nur eine Massage sein sollte. Er hatte riesige Handtücher eingepackt (als Seto nicht hingesehen hatte) und er hatte Hannes die beste Flasche Rotwein abgeschwatzt. Er hatte große Stumpenkerzen dabei und Räucherstäbe. Das würde Finn gefallen. Nach seinem öffentlichen Outing hatte Finn schon einen Tag später den nächsten, großen Schritt getan - er gab ihm einen Zweitschlüssel zu seinem Haus. Und jetzt, wieder einen Tag später, wollte der Pharao davon Gebrauch machen. Heute würde Finn nämlich erst in den frühen Morgenstunden heimkommen. Nicht vor halb drei hatte er gesagt. Er begleitete nämlich die Nachtexkursion eines Astronomie-Workshops, welcher genau heute Nacht das Planetarium besuchte. Für die erste Nachthälfte waren Sternschnuppen angesagt und die durften die Freaks ja nicht verpassen. Finn glaubte nicht wirklich an die Kraft von Sternschnuppenwünschen, aber an die Kraft von Mädchenwünschen musste er glauben. Yami hatte mitbekommen, dass die Mädchen ihn mit SMS und Anrufen genervt hatten bis er zusagte, sie zu begleiten. Er war nicht wirklich für diesen Kurs zuständig, aber er konnte nun mal nicht allzu lange nein sagen. Und wenn er nach hause kam, würde Yami ihn verwöhnen. Er würde Kerzen anzünden und ihm ein Bad einlassen. Dann würde er ihn entkleiden und ihn mit warmem Wasser übergießen, ihm die Haut mit einem Öl-Sand-Gemisch massieren und ihn dann im heißen Wasser entspannen lassen. Danach würde er ihn auf weiche Handtücher legen und ihn beim Duft von anregenden Räucherstäben am ganzen Körper massieren. Und wenn Finn dann unter dem Einfluss des Weins den königlichen Händen ergeben war … nun ja. Dann kam der krönende Höhepunkt. Mit diesen erwartungsvollen Gedanken sauste Yami mit seinem Motorrad über die nächtlichen Straßen. Finn würde es nicht bereuen, ihm seinen Schlüssel gegeben zu haben. Aus der Ferne sah Yami einen hellen Schein am Himmel. In etwa dort, wo Finns Haus stand. Erst dachte er nichts weiter dabei, doch je näher er kam, desto aufmerksamer wurde er, desto mehr dachte er dabei. Als er in die kleine Wohnstraße einbiegen wollte, versperrte ein Feuerwehrwagen die Einfahrt. Wie gelähmt erfasste er die Situation. Auf der Straße standen Menschen in Hausschuhen und Bademänteln. Teilweise saßen Kindern in den Autos, welche nicht wie normal in ihren Carports standen, sondern am Feldrand parkten. Es liefen Feuerwehrmänner herum und löschten zwei Häuser. Eines davon war Finns. Die Flammen loderten meterhoch in den Himmel hinauf und schwerer Qualm verpestete die Luft. Als Yami sein Motorrad anhielt, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: >Loki ist da drin!< Er wusste, dass sie allein zuhause war. Sie hatte sich bei einem ihrer Jagdausflüge eine Kralle abgerissen und damit sich die Pfote nicht entzündete, hatte Finn ihr Hausarrest gegeben. Aber eines war klar: Kein Feuerwehrmann würde sein Leben für einen ‚Hund‘ aufs Spiel setzen. „LOKI!“ Er schmiss das Bike auf die Straße, ohne den Motor abzustellen. Er riss sich den Helm vom Kopf und schmiss auch den irgendwo hin. Er rannte an dem riesigen, blinkenden Wagen vorbei und auf das brennende Haus zu. „Halt! Sie können da jetzt nicht hin!“ Ein Feuerwehrmann hielt ihn am Arm fest. So kräftig, dass es ihn stolpern und hinfallen ließ. „Sorry! Alles okay?!“ „MEINE FREUNDIN IST DA DRIN!“ schrie er ihn an. „Da ist niemand mehr drin“ versuchte er zu beschwichtigen. „Wohnen Sie hier?“ „Mein Freund und seine Schwester wohnen hier! War da ein Hund in dem Haus?!“ „Ein Hund?“ Der verrußte Mann sah ihn durch sein dunkles Gesicht an, doch bevor er antworten konnte, war der Pharao ihm schon entwischt. „HEY!“ Er sprang über die Löschschläuche und fand sich vor einem brennenden Inferno wieder. Finns Haushälfte war durch die Flammen gar nicht zu erkennen. Das Nachbarhaus hatte auch bereits Feuer gefangen und in diesem Moment traf gerade ein zweiter Löschwagen ein. Die Löschung dauerte also noch nicht allzu lange. „Gehen Sie zurück!“ Der Feuerwehrmann war wieder da und versuchte, Yami zurückzuziehen. „Da ist ein Hund in dem Haus!“ versuchte er ihm zu erklären. „Sie müssen den Hund da rausholen!“ „Guter Mann! Wir haben genug damit zu tun, den Brand einzudämmen! Gehen Sie zu den anderen Zivilisten!“ „SIE MÜSSEN LOKI DA RAUSHOLEN!“ schrie er und nur am Rande spürte er wie die Tränen in seine Augen schossen. Wenn Loki draußen wäre, wäre sie schon bei ihm. Aber sie war nicht hier! Sie musste noch irgendwo in den Flammen sein! „ATEMU! Lasst mich durch! Ich kenne ihn!“ Ein Mann mit dickem Bierbauch kämpfte sich durch die Meute an Männern und Schläuchen. Er trug einen blauen Bademantel und Badelatschen. Auf seinem Kopf nur noch wenige Haare, die wirr abstanden. Den kannte Yami mittlerweile. Das war Finns Nachbar Herbert. „HERBERT!“ schrie er und griff seine Arme, sobald er in Greifweite war. „WO IST LOKI?! LOKI IST NOCH DA DRIN!“ „Atemu, beruhige dich. Lass die Männer …“ „DU VERSTEHST NICHT! WIR MÜSSEN LOKI DA RAUSHOLEN! SAVASHMA GENSHREFTA AMOSHAF! SIE WIRD VERBRENNEN!“ „Atemu, beruhige dich. Lass …“ „IHR VERSTEHT DAS NICHT!“ Er riss sich von Herbert los und rannte auf die Flammen zu. Dort wo irgendwo die Eingangstür sein musste. Wenn da niemand reinging, würde er reingehen. Er würde Loki da drin nicht verbrennen lassen! Er würde sie finden! Er würde niemals eine Freundin verbrennen lassen! NIEMALS! Doch kaum war er durch die Proteste der Feuerwehrmänner hindurchgelaufen und hatte sich auch dem Versuch eines Festhaltens entwunden, krachte bereits irgendetwas herunter. Die Flammen loderten auf und das Feuermonster spie Funken in die sternenklare Nacht. Yami spürte die tödliche Hitze auf seiner Haut, aber er stoppte nur kurz. Er schützte seinen Kopf und rannte auf das Feuer zu. Der Rauch brannte in seinen Lungen und ließ seine Augen tränen. Hinter ihm wusste er bereits zwei Feuerwehrmänner, die ihn abhalten wollten - da lief er los. „LOOOKIIII!“ Er nahm alle Verzweiflung zusammen und rannte durch ein Loch in den Flammen in das Inferno hinein. Er konnte nichts sehen. Überall war Hitze. Es war so hell. Er konnte nicht atmen. Er versuchte es, doch beim ersten Atemzug wurde ihm schwindelig. Er erkannte mit Mühe die brennende Couch und den Eingang zur Küche. Es gab kaum einen Meter, der nicht lichterloh von Flammen erfasst war. Sein Kopf schwindelte. Das Krachen in seinen Ohren kam von einem Bilderrahmen, der auf die Treppe schepperte und zerbrach. „Loki!“ Seine Stimme war schwächer als er befürchtet hatte. Er konnte nicht atmen, ihm war schwindelig. So schrecklich schwindelig. Nur mit Mühe hielt er sich auf den Beinen, die ihn trancegleich vorwärts trugen. Er wollte nochmals rufen, doch es war kaum noch Atem in ihm. >Ihr Götter< betete er aus vollstem Herzen. >Schickt einen Engel. SETHOS SCHICK MIR EINEN ENGEL! NUR EINEN EINZIGEN! MACH SCHON!< „Mach schon“ flehte er mit dünner Stimme. Sein Körper war so heiß. Um sich herum sah er nur noch Flammen. Er drehte sich herum, doch selbst der Weg, den er gekommen war, erkannte er durch die tränenden Augen nicht mehr. Auch der Kücheneingang war fort. Seine Augen brannten. Seine Lungen brannten. Seine Haut brannte. Seine Füße brannten. Seine Hände brannten. Alles tat weh und schmerzte und seine Kehle fand keinen Atem mehr. Dieses Feuer war so voller Hass, so voller Wut. Wahrscheinlich war Loki bereits tot. Ihr Fell brannte doch viel schneller als seine Ledersachen. Das war sein letzter Gedanke, bevor er auf den Boden knallte. Sein Kopf schmerzte. Seine Glieder schmerzten. Sein Hals schmerzte. Vielleicht brannte er auch bereits. Es gab kein Entrinnen. Es wurde dunkel vor seinen Augen und ganz plötzlich hörte er nichts mehr. Sein Körper pochte. Doch sein Gesicht und seine Hände fühlten sich kalt an. Auch durch seinen Lederdress drang nun diese angenehme Kälte. Fühlte sich der Feuertod kalt an? War das so? Es hieß ja, der Erfrierungstod wäre warm. Vielleicht war der Flammentod dann kühl? „Bleib wach!“ Er hörte eine Stimme, doch wusste nicht, woher sie kam. Sie war angenehm. Sanft. Vertraut. Barmherzig. Hatte Sethos ihm doch einen Engel geschickt? Oder kamen die himmlischen Scharen bereits, um ihn in den Tod zu begleiten? „Yami, bleib wach! Nicht einschlafen! Atme! Komm schon, bleib wach! Yami, atme!“ Trotz seiner brennenden Schmerzen musste er lächeln. Sein Engel nannte ihn Yami? Das hätte er nicht gedacht. „Im Moment bin ich wirklich dein Schutzengel! Und jetzt beweg deinen Arsch und atme!“ >Heißt das, ich soll pupsen?< „Ich muss leider deine Gedanke lesen und finde du bist nicht in der Situation, dumme Witze zu machen. Komm schon! Du erstickst gleich! Alles muss man selbst machen!“ Yami spürte einen schnellen Schwindel in seinem Kopf. Alles drehte sich. Und dann wie ein klarer Atemzug floss Sauerstoff in seine Lungen. Ein langer, kühler Atemzug, den er so dringend brauchte. Er fühlte wie ihn ein starker Arm hielt. Der Druck verschwand von seinen Lippen und er atmete aus. Zumindest hustete er. Es fühlte sich an als würde seine Lunge in ganzen Stücken herausdringen. Dann drückte wieder etwas auf seine Lippen und der kühle Atem drang tief in seine Brust. So tief, dass es fast schmerzte. Danach hustete er wieder. Er schmeckte Blut in seinem Mund und sein Bauch schmerzte bis zu den Lippen. Dann drückte wieder etwas auf ihn ein und brachte klare, kühle Luft in seine Lungen. Als er das nächste Mal aushustete, drückte etwas seine Brust. Es tat weh, aber es war angenehm. Es fühlte sich sicher an. Nachdem seine Lunge alle Luft ausgehustet hatte, atmete er automatisch wieder ein. Dieses Mal ohne Hilfe. „Langsam. Atme ganz langsam. Keine Angst, alle sind in Sicherheit.“ „Lhokhi …“ Sie war hier irgendwo. Sie konnte doch allein nicht heraus. „Loki geht es gut. Sie wurde schon gerettet. Beruhige dich. Nicht zu hastig atmen.“ Jetzt erkannte Yami diese Stimme auch. Auch wenn er über sich nur einen Schatten sah. Seine Augen brannten noch immer und vor Tränen konnte er nichts sehen. Er spürte aber seine sanfte Anwesenheit und erkannte seine barmherzige Stimme. „Shetho … dhu bhisth …“ „Rede nicht so viel. Wie bescheuert ich deine Aktion finde, sage ich dir später. Kannst du laufen, Yami?“ Er versuchte seine Beine zu bewegen. Vielleicht bewegte er sie auch. Aber spüren tat er sie nicht. Seinen Körper spürte er nicht. Nur sein Atem brannte in den Lungen und sein Hals fühlte sich blutig an. „Sheeeethhhooo …“ Das Sprechen schmerzte immer mehr. Und der Schwindel war schrecklich. „Okay, rede nicht so viel. Du hast wahrscheinlich eine Rauchvergiftung. Aber wir kriegen das hin.“ Yami spürte wie Seto ihn mit einem Arm anhob und an seine Brust drückte. Er wollte ihm sagen, wie gut das tat. Wie sicher er sich fühlte. Wie behütet er sich vorkam, wenn der große Seto ihn an seine breite und kühle Brust drückte. Und er wollte ihm sagen, wie wenig er spürte. „Sssssee …“ „Sprich nicht. Ich höre deine Gedanken. Ich weiß, dass dein Körper taub ist. Das kommt durch den Qualm. Aber du musst mir jetzt helfen, okay? Ich brauche dringend deine Hilfe, sonst gehen wir hier beide drauf. Ein Mal musst du noch kräftig sein. Schaffst du das?“ Er wollte Ja sagen, doch aus seinen Lungen kam nur Husten. Schrecklicher, schmerzhafter, blutig schmeckender Husten. „Nicht reden, Yami. Ich kann dir jetzt nicht alles erklären, aber du musst mir einfach vertrauen. Kannst du das?“ Zumindest nicken konnte er. Er versuchte, zu Seto aufzusehen, doch seine Augen tränten ganz furchtbar und sie schmerzten. „Pass auf, Yami. Du musst dich jetzt an mir festhalten. Klammere dich an mir fest. An meiner Kleidung, an meinen Haaren. Krall dich in meine Haut, ist egal, aber halt dich um Himmels willen so fest du kannst. Ich kann nicht dich festhalten und gleichzeitig das Haus stützen. Wenn wir beide hier lebendig raus wollen, dann halt dich an mir fest. Wir gehen drauf, wenn du mich loslässt. Also halt dich an mir fest. Halte dich fest, okay? Festhalten. So fest du kannst. Halt dich fest.“ So oft wie er das sagte, musste er es wohl ernst meinen. „Tue ich auch. So, ich lege jetzt deine Arme um mich. Kralle dich an mir fest. Spürst du das? Yami, spürst du das?“ Yami spürte wie seine tauben Handflächen etwas weiches fanden. Vielleicht war es Stoff. Seine Wange lag an nackter, nasser Haut und er schmeckte Salz in seinem Mund. Seine Arme umfingen etwas breites, was sicher Setos Körper war. Er wusste nicht genau, wo er hinfasste oder woran er sich festhielt. „Lass mich nicht los, Yami. Vertraue mir und halt dich einfach nur fest. Nicht loslassen, was auch passiert. Halt dich fest.“ „Jhhaaaa dhhooo …“ Er hustete wieder, aber er musste Seto sagen, dass er es kapiert hatte. Nicht loslassen. Schon klar. Er würde es versuchen. „Okay. Auf drei krallst du dich so fest du kannst. Und nicht loslassen. Ich habe keinen Bock, jetzt noch mal zu sterben. Also halt dich fest. Auf drei geht’s los.“ Seto drückte ihn noch ein letztes Mal ganz fest an sich und Yami hörte ihn langsam ausatmen. Sein kühler Atem tat gut auf seinem tauben Scheitel. „Eins, zwei …“ Drei hörte Yami nicht mehr. Er krallte seine Hände so tief in das weiche Gefühl wie er konnte. Er drückte seine Arme und seine Beine, sogar seinen Kopf so dicht an Setos Körper wie er konnte. Alle Kraft konzentrierte er nur darauf, sich an ihm festzuhalten. Und er stellte fest, dass das tatsächlich nicht einfach war. Um ihn herum krachte es und das Lodern der Flammen kehrte zurück. In all den Jahren mit seinen Feuermagiern kam ihm Feuer noch niemals so laut und so schrecklich vor. Yami hatte eigentlich keine Angst vor Feuer. Aber dieses hier war anders. Tief in seinem Herzen wusste er, dass er ohne Seto sterben würde. Also krallte er sich an ihm fest als wäre er das Leben selbst. Alles toste und brauste und krachte und dröhnte und platzte und stöhnte und die ganze Erde kam ihm so lebensfeindlich vor. Nur Setos Körper war freundlich und sanft. Er hielt sich an seiner Kraft fest. Seine Glieder schmerzten und er spürte wie ein starker Druck an ihm zog und ihn aus den Armen seines Schutzengels reißen wollte, doch er stemmte sich dagegen. Was um ihn herum geschah, hinterfragte er nicht. Er vertraute Seto in diesem Moment mehr als sich selbst. Dann spürte er einen Aufschlag. Seto stöhnte schmerzverzerrt und Yami krallte sich so fest an ihn wie es ging. Stimmen drangen an seine Ohren. Der Krach des Feuers war nicht mehr so allmächtig. Das Feuer und die Hitze war noch da, aber es war nicht mehr so beängstigend. „Ist gut. Es ist vorbei“ hörte er nun Setos klare Stimme in sein Ohr flüstern. „Du kannst loslassen. Nun halte ich dich fest.“ Jetzt kehrten allmählich Yamis Gedanken zurück. „Lhokhi.“ „Der ist ja völlig durchgeknallt!“ Diese Stimme klang im Gegensatz zu Setos so rau und laut. Yami spürte kratzende Griffe an sich. „Nicht anfassen!“ zischte Seto sofort. „Ich trage ihn selbst zum Krankenwagen!“ „Sie brauchen doch selbst Hilfe. Seien Sie vernünftig.“ „Schnauze, ich bin erwachsen. LOSLASSEN HABE ICH GESAGT! NOCH EIN MAL UND ICH VERKLAGE SIE AUF KÖRPERVERLETZUNG!“ „Ist ja gut. Gehen Sie aber bitte da rüber.“ Yami musste grinsen. Er sah zwar noch immer nichts, aber in Setos Schimpfen fühlte er sich heimisch. Er fühlte sich wohl in seinen kühlen, nassen Armen, die ihn sicher trugen und seine Gehbewegungen beruhigten seinen wirbelnden Kreislauf. Er blinzelte zunehmend mit den Augen. Noch waren es nur bunte Schatten, aber langsam beruhigte er sich. Was für ein Glück, dass Seto gekommen war. Ohne ihn wäre er … nicht auszudenken … „Whie …?“ „Yugi“ antwortete er sofort. „Er hat mich wachgerüttelt und mich angeschrien, dass ich dich finden muss. Er war richtiggehend panisch. Ich bin dem Geruch von deinem Sandelholzöl gefolgt und dann habe ich gehört wie dieser dicke, halbnackte Mann deinen Namen gerufen hat. Und dann habe ich deine Stimme in den Flammen gehört. Was denkst du dir nur dabei, dich so in Gefahr zu bringen?“ „Lokhi … ich dachthe …“ „Warte kurz …“ Seto hörte für einen Moment auf zu reden. Yami hörte das Rauschen des Löschwassers, das Rufen der Feuerwehrmänner und das Krachen des Hauses. Und er spürte Setos kalten, nassen Körper. Er rieb sich die Augen und erkannte nun, dass Setos Brust rußverschmiert war und nackt. Er trug nur die Hose seines dunkelblauen Seidenpyjamas. Na ja, er hatte ja auch geschlafen, bevor Yugi ihn losgejagt hatte. Wahrscheinlich war er in aller Eile hergeflogen. „Tato hat mir geholfen. Er wartet hier am Krankenwagen. Da sind wir schon.“ „Mann, Yami. Überlass das Heldentum den großen Jungs“ seufzte Tato und nahm den erschöpften Pharao auf seine Arme. „Mama, alles okay?“ „Ja, alles okay. Er braucht Sauerstoff. Und gib ihm schon mal ein Schmerzmittel.“ „Schmerzmitthel?“ Yami fühlte aber keine Schmerzen. Er fühlte gar nichts. Nur seine Lungen und seine Augen brannten. „Sieh nicht hin, aber du wirst ganz sicher Schmerzen bekommen. Mamas Hypnose hält nämlich auch nicht ewig. Eigentlich dürften wir dich als Pharao nicht mal hypnotisieren.“ Tato legte ihn auf eine Pritsche und drückte ihm eine Sauerstoffmaske ins Gesicht. „Entspanne dich ein paar Minuten. Danach brauchen wir dich noch.“ „Woschu?“ „Danach. Jetzt bleib erst mal liegen. Danke.“ Er nahm eine Wolldecke von Seto und legte sie Yami über die Beine. Jetzt kam der dazu, seine schweren Arme anzusehen. An der rechten Seite war sein Arm angebrannt. Seine Lederjacke war komplett durchgeschmort und klebte teilweise an etwas, was wie ein Stück vom Schlachter aussah. War das mal sein Arm gewesen? Er stand also unter Hypnose … zum Glück … er wollte gar nicht spüren, was er da sah. Was er sah, gehörte irgendwie nicht wirklich zu ihm. Und wie Tato ihm einen Riemen um die Schulter festzog, das spürte er auch nicht … „Ich habe doch gesagt, sieh nicht hin. Kopf zurück.“ Tato drückte seine Stirn hinunter und langte über ihn hinüber. „Ich spritze dir jetzt einen Schmerzstiller. Kann sein, dass dir davon schwindelig wird. Onkel Moki ist schon unterwegs hier her.“ „Bhei Rah …“ Er schloss die Augen und atmete den reinen Sauerstoff in sich hinein. Seine Gedanken überschlugen sich dabei. Loki war nicht in dem Gebäude. Warum brannte Finns Haus? Wäre Seto nicht gewesen. Yugi hatte ihn gespürt. War sein Arm noch zu retten? Jemand musste Yugi bescheid sagen. Der starb bestimmt vor Sorge. Und Finn. Jemand musste Finn anrufen. „Gaaaanz ruhig. Alles schon erledigt“ beruhigte Tato und tat die beste Tat des Tages. Er wischte ihm mit einem feuchten Tuch das Gesicht und den Hals ab. Das tat so unglaublich gut. Seto setzte sich zu ihm und legte ihm seine kalte Hand auf die Stirn. Die war nasser als das Tuch. So angenehm kühl … „Nicht einschlafen“ mahnte Seto mit fester, aber zärtlicher Stimme. „Willst du wissen, warum du dich unbedingt an mir festhalten solltest?“ Yami öffnete die Augen und sah in Setos verschmiertes Gesicht. Er war ganz nass, aber lächelte ihn beruhigend an. Wahrscheinlich redete er nur deswegen so viel, damit Yami nicht wegklappte. „Du bist in ein einstürzendes Gebäude gelaufen, Yami. Das war ziemlich dumm von dir.“ „Du jha auch“ lächelte er zurück. „Dhu wolltest hauch jemandhen retthen.“ „Nur mit dem Unterschied, dass ich a) mich gegen das Feuer wehren kann und b) genau wusste, dass da jemand zum retten drin war.“ „Ich dachthe jha …“ „Ich weiß. Du dachtest, Loki wäre da drin. Aber selbst wenn, dann darfst du dich nicht kopflos in solche Gefahr bringen. Du hättest sie doch gar nicht allein retten können. Versprich mir, dass du das nicht noch mal machst.“ „Genhau das?“ grinste er. „Warte nur bis Yugi hier eintrudelt. Dann vergeht dir das Grinsen. Tato, was hast du ihm da gegeben?“ „Willst du auch was abhaben?“ Tato legte ihm irgendeinen Stoff um den Arm. Yami konnte ihn nicht richtig sehen, weil Seto seine Stirn festhielt. Und spüren tat er ohnehin nichts. „Mann, Yami. Dich kann man echt nicht alleine lassen.“ „Bin auch nhicht gern allein.“ Er spürte wie seine Lungen ruhiger wurden und auch sein Kreislauf herunterkam. Gutes Zeug, das Tato ihm da verabreicht hatte. Dann sah er wieder Seto an. Sah ihn lange an. Seine sanftblauen Augen. „Danke.“ „Pass besser auf dich auf. Erspare Yugi die Sorgen.“ Er streichelte Yamis Stirn und seufzte. Auch Yami seufzte. Langsam realisierte er, dass er wirklich hätte sterben können. Er wäre gestorben. Verbrannt. Er. Er, der das Feuer so sehr liebte. Ausgerechnet das, was er liebte, wollte ihn umbringen. War das fair? „Das Haus wäre eingestürzt, wenn Mama es nicht gestützt hätte. Von außen war nichts zu machen“ erzählte Tato. „Ich habe uns gemeinsam in einer Eiskugel eingeschlossen. Dabei musste ich das Haus so lange aufrecht halten bis du wieder einigermaßen bei dir warst und wir raus konnten. Ich konnte aber nicht gleichzeitig dich und das brennende Haus festhalten. Deshalb musstest du dich mit aller Kraft festhalten, während ich uns durch die Decke gebracht hatte. Hinter uns ist das ganze Haus eingestürzt. Leider auch das vom Nachbarn.“ „Als das Haus eingestürzt ist, habe ich euch durch den Qualm und den Funkenflug versteckt“ ergänzte Tato. „Muss ja nicht jeder meinen halbnackten Vater aus einem brennenden Haus fliegen sehen.“ „Ihr seid klasse, Jhungs“ lächelte Yami beruhigt und seufzte unter Setos wohltuender Hand. Doch eine Sache gab ihm Rätsel auf … Tato war ein fantastischer Magier und ein hervorragender Telekinet … warum also … „Wharum konnthest du dhas Haus nhicht von außhen festhalten?“ „Das ist die nächste Sache.“ Er sah Seto an und Yami bemerkte die Sorge zwischen ihren Blicken. Sie verschwiegen ihm etwas. Etwas wichtiges. Etwas über das Feuer. Yami war kein Idiot. „Dhas ist kein normales Feuher, oder?“ Er zog sich die Maske vom Gesicht und wollte sich aufrichten, aber Seto drückte ihn zurück. „Who hist Loki? Who ist Finn? Whas ist hier lhos?“ „Loki und Finn sind im Krankenwagen gegenüber. Aber keine Sorge. Sie sind unverletzt. Du kannst zu ihnen, wenn dein Arm …“ „Warum khommen sie dann nhicht her?“ „Vertraue uns einfach und mach kein Heckmeck, Mann. Du bist fast zwei Minuten in diesem Inferno herumgekrochen. Du kannst vom Glück sagen, dass du das überlebt hast.“ „Zwhei …“ Zwei Minuten. So lange kam ihm das gar nicht vor. Er war da reingelaufen, hatte mit Mühe noch etwas erkannt, doch da war ihm auch schon schwindelig geworden. Er wusste, dass die meisten Feueropfer gar nicht vom Feuer, sondern von dem Rauch getötet wurden. Zwei Minuten in dieser Feuerhölle waren also eine verdammt lange Zeit. Dennoch war es ihm nicht so lang vorgekommen. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. „Hey, nicht einschlafen.“ Seto patschte ihm ins Gesicht und massierte Yamis Schläfen. „Bleib wach. Rede mit uns.“ „Weg da! Ich bin fast Arzt!“ Die Stimme erkannte Yami sofort. „Sie ist schnell“ bemerkte Seto als Mokuba dann auch schon in den Krankenwagen kletterte und Yamis Lächeln traf. „Du siehst nicht so aus als solltest du lächeln.“ „Ich bhin auf Droghen.“ „Das erklärt einiges“ bemerkte der und tauschte mit seinem Bruder die Plätze. Er nahm vorsichtig den provisorisch lockeren Verband von Yamis Arm und schluckte seine übertroffenen Befürchtungen herunter. „Sieht leckher aus, whas?“ „Mann, Yami.“ Dazu sagte er lieber gar nichts weiter. Er legte seine Hände über die Wunde und flüsterte leise in sich hinein. Schon spürte Yami seinen Arm kribbeln und er wollte gern hinsehen, doch Tato legte ihm die Hand an die Wange und drehte seinen Blick fort. Es war besser, wenn er sich das lieber nicht betrachtete, um nicht eventuell doch noch in Panik zu verfallen. „Siehst du meine Tochter?“ fragte er als Seto einen Blick aus dem Wagen warf. „Ja, sie ist bei Finn und Loki.“ „Fhinn“ meldete Yami sich mit schwerem Atem. „Whas ist mhit …?“ „Wir sagten doch, sie sind unverletzt. Jetzt glaub uns doch endlich mal.“ „Abher … ich lhiebe Fhinn …“ „Ich weiß. Mannomann.“ Seto schüttelte den Kopf und sah ihn mit einem ganz merkwürdigen Gesichtsausdruck an. Ganz merkwürdig. „Ihr schafft das hier auch allein. Ich gehe mal rüber und sehe nach Finn.“ Seto trat aus dem Wagen und lehnte die Tür hinter sich an. Von draußen waren noch immer die Rufe der Feuerwehrmänner zu hören, das Rattern der großen Motoren und das Krachen des Feuers. In der Ferne ertönten Sirenen. „Wie ist das phassiert?“ wollte Yami wissen. Seine Lungen fühlten sich schon wieder ganz gut an. Mokuba war einfach der Beste. „Bleib liegen, Yami.“ Auch Tato war der Beste. Er legte ihm ein feuchtes Tuch über die Augen und hielt seine Hand wie zum Schutz auf seinen Kopf. Das gab ihm Gelegenheit zum Resümieren. Mit einer solchen Schar an Freunden und Verbündeten war er gesegnet. Allen voran Yugi. Er hatte gespürt, dass sein Yami in Gefahr war und sofort Hilfe geschickt. Yugi war intelligent, rational und hörte doch im richtigen Moment auf seinen Bauch. Und Seto war zwar meistens ein weinerlicher Softie, den man leicht foppen konnte, aber er hatte Yami mitten in dieser Bedrohung Sicherheit gegeben. Er war ruhig geblieben und hatte ihm das Leben gerettet. Seto war stark und hart in den richtigen Augenblicken. Die beiden gaben ein gutes Gespann ab. Ein sehr gutes Gespann. Seth und er hatten ihnen alles beigebracht, was sie konnten. Hatten ihnen die alten Werte vermittelt und die alten Weisheiten gegeben. Und doch hatten Yugi und Seto alles anders gemacht. Das althergebrachte Pharao-Priester-Verhältnis hatten die beiden für sich niemals wirklich angewandt. Sie lebten ja auch in einer andern Zeit. Sie hatten keinen Hofstaat um sich, betrieben keine Politik und waren keine religiösen Leitfiguren. Sie lebten in einer anderen Welt, die ihnen andere Qualitäten abverlangte. Und sie hatten ihren eigenen Weg gefunden, diese Welt zu leiten. Leiser, verborgener, geduldiger. Ganz anders als ihre Yamis. Ihre Yamis machten Ansagen, erließen Gesetze und bestanden auf klare Verhältnisse. Das war in ihrer Zeit notwendig. Doch Yugi und Seto waren Herrscher der Zwischentöne. Sie ließen Grauzonen zu und entschieden unter Einbeziehung vieler Ratgeber. Ihr Zentrum waren ihre Familie und ihre Liebe zueinander. Yami und Seth besaßen keine solche Familie und hatten ihre Liebe ihren Aufgaben angepasst. Yami und Seth waren Monarchen. Yugi und Seto hingegen waren Demokraten. „Ich fühle mich plötzlich so alt“ flüsterte er und weinte durch geschlossene Augen hindurch. Eigentlich brauchte diese Welt ihn gar nicht mehr. Yugi und Seto konnten schon lange allein laufen. Die alten Werte hatten ausgedient. Eine neue Zeit war angebrochen. Und Seth hatte das viel früher erkannt. „Das gibt sich gleich“ beschwichtigte Mokuba. Nur Tato schien seine dunklen Gefühle zu spüren. Er beugte sich über ihn und küsste ihn sanft auf beide Wangen. Er streichelte seinen Hals und schmiegte ihre Wangen aneinander. In diesem Moment war er ganz sanft. Er tröstete ihn und wollte ihm sagen: „Wir brauchen dich, Pharao. Deinen Rat und deinen Beistand. Dein Wort ist über jeden Zweifel erhaben. Bitte zweifle nicht daran.“ „Danke, Tato.“ Er hob den gesunden Arm und legte ihm nun seinerseits die Hand aufs Haupt. Sein Zuspruch tat gut. Wenn er auch nicht vollends diese Erkenntnis verwischen konnte. Er war kein Pharao mehr, der über allem erhaben an der Spitze eines mächtigen Reiches stand. Er war nur noch Teil einer Gemeinschaft. Sicher, einer wehrhaften, verschworenen und loyalen Gemeinschaft - aber eben nur noch ein Teil von vielen. Und er musste sich dort einfinden, wenn er nicht demselben Wahnsinn verfallen wollte wie sein verstoßener Priester. „Das Feuer.“ Er wischte sich mit dem gesunden Arm das Tuch von den Augen und sah Tato drängend an. „Das Feuer ist kein Zufall, oder?“ „Wie geht’s ihm?“ wollte Tato von Mokuba wissen, der seit einigen Momenten den kaputten Arm massierte. „Es wird, es wird“ murmelte der konzentriert. „Ich bin wohl gerade noch rechtzeitig angekommen. Im Krankenhaus hätten sie den Arm sicher amputiert. Aber ich kriege ihn wieder hin.“ „Tato, antworte mir“ bat Yami nun etwas deutlicher. „Das Feuer. Von außen konnte deine Magie es nicht durchdringen. Und Seto konnte es offensichtlich nicht löschen. Und ihr lasst mich nicht zu Finn. Es ist doch kein Zufall, dass ausgerechnet Finns Haus brennt. Sag mir, was du weißt.“ „Ich weiß nur, was ich in Finns Erinnerungen gesehen habe.“ Doch mehr wollte er nicht sagen, er sah Yami an und legte ihm seufzend die Hand auf die Stirn. „Du solltest erst an deine Gesundheit denken. Warte bis Onkel …“ „Nein, ich will nicht warten. Sag mir jetzt, was los ist. Wo sind Finn und Loki? Warum kommen sie nicht her?“ „Sie können nicht kommen, weil … Loki geht es gut. Ich denke mal, dass Sari gerade mit ihr spricht.“ „Und Finn? Was ist mit Finn? Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.“ „Finn steht unter Schock. Er kann im Augenblick mit niemandem sprechen.“ Er sah wie erschrocken der Pharao war und drückte seine Hand fester auf die Stirn. „Bleib liegen, ich zeige dir, was ich gesehen habe. Schließ die Augen.“ Yami tat die Augen zu und atmete tief ein. Er hatte eine böse Ahnung, eine böse Vermutung. Und doch irgendwie die Hoffnung, dass alles ganz anders war. Er sah Finn in das brennende Haus hineinlaufen. Es brannte noch nicht so schlimm wie zu dem Zeitpunkt als Yami ankam. Das Dach brannte und zum Küchenfenster loderten Flammen hinaus. Die Eingangstür aber war noch zugänglich. Hastig schloss er die Tür auf und lief in das brennende Gebäude. „LOKI!“ Er schützte sein Haar vor den Funken, die durch die Luft sausten und sah sich gehetzt um. Sein Wohnzimmer brannte bereits und die Zimmerlampe stürzte von der Decke. „LOKI, WO BIST DU? MELDE DICH! Verdammt!“ Mit einer auslandenden Geste schob er die Flammen fort, welche die Treppe blockierten. Zumindest versuchte er es, doch das Feuer gehorchte ihm nicht. Es bewegte sich viel zu wenig. Da hörte er ein klägliches Jaulen. „LOKI! WO BIST DU?!“ Wieder drang ein Jaulen, ein Heulen durch die brodelnden Flammen. Es kam aus dem Keller. „LOKI!“ Er riss die angelehnte Kellertür auf und dicker, schwarzer Rauch schoss heraus. Finn hustete, aber stolperte die Treppen hinunter. Das Jaulen wurde lauter und er sah das Problem. Hier unten war alles verraucht, aber es brannte nur weiter hinten. Dort wo er seine ausrangierten Dinge aufbewahrte. Der Schein der Flammen war zu erkennen. Doch auch er wusste, dass der Qualm viel gefährlicher war als das Feuer. „LOKI!“ Wie vieles andere hier, wie das Regal und die abgestellten Kartons, war auch der Gefrierschrank umgekippt und er sah dahinter graue Pfoten hervorragen. Sie kratzte und jaulte und kam doch nicht an dem Ungetüm von Gefriertruhe vorbei. „LOKI, ATME NICHT SO VIEL! ICH HOLE DICH DA RAUS!“ Für ihn war es einfacher, das schwere Gerät aufzurichten und den Ausgang freizumachen. Sie kroch ihm entgegen und jaulte elendig. „IST GUT! ICH HABE DICH!“ Er nahm sie auf seine Arme und spurtete unter schwerem Husten die Treppe wieder hinauf. Oben angekommen, loderte eine Feuerwand vor ihm hoch. Irgendetwas hatte neu Feuer gefangen und schickte seine Flammen quer durch den Raum. Finn streckte seine Hand aus und wollte die Flammen beiseite schieben, doch abermals folgten sie nicht seinem Willen. Dieses Feuer war anders. „AAHH! VERDAMMT!“ Sein Hemdsärmel fing Feuer, er stolperte und schlug die Flammen am Boden aus. Mit dem anderen Arm drückte er den halb bewusstlosen Wolf an sich. „LOKI! BLEIB WACH! WIR KOMMEN HIER RAUS! WIR SIND GLEICH DRAUSSEN!“ Er stand wieder auf und rannte zur Eingangstür, doch blieb er stehen. Um ihn herum türmten sich die Flammen auf und aus dem oberen Stockwerk drang Lärm von zusammenfallenden Möbeln. Und vor ihm eine Gestalt. Völlig unberührt von dem Inferno stand ein Riese vor ihm. In ein dunkelblaues Gewand gehüllt und glühend blaue Augen im Zentrum eines harten Gesichts. Sein kurzer Bart markierte sein Kinn, die kräftigen Arme verschränkt und glänzendes Haar floss über seine Schultern. Eine unheilvolle Gestalt. Finn erkannte, wer vor ihm stand. „Seth.“ Er drückte seine Schwester an sich und hustete leise. Jetzt erkannte er auch, weshalb ihm diese Flammen nicht gehorchten. Es waren die Flammen des mächtigsten Feuermagiers, der jemals gelebt hatte. Sich gegen ihn aufzulehnen, bot kaum eine Chance auf Erfolg. Aber Finn unterdrückte den Hustenreiz und sah ihm mutig in die Augen. „Du bist doch meinetwegen hier“ sprach er ihn mit fester Stimme an. „Dann lass wenigstens meine Schwester gehen. Sie hat niemandem etwas getan.“ „Keine Sorge, das hier ist nur eine Warnung.“ Seths Stimme war verhärtet. Genau wie sein Gesicht und seine glühenden Augen. „Ich habe nichts dagegen, dass du meinen Pharao unterhältst. Ich habe auch nichts dagegen, dass du ihn beschläfst. Ich habe aber etwas dagegen, dass du mich aus seinem Herzen drängen willst.“ „Das habe ich nie versucht!“ rief er ihm entgegen. „Und selbst wenn, dann ist meine Schwester unschuldig daran. Meinetwegen tu mit mir, was du willst, aber lass Loki hier raus!“ „Du spielst ein gefährliches Spiel, Finnvid Rominter Ivarsson. Gib lieber auf, bevor du dich verbrennst.“ Seth sah ihm noch einen langen Moment in die Augen. Seine Warnung war eindeutig. Finn sollte die Finger vom Pharao lassen. Seth würde keinen zweiten Mann an seiner Seite dulden. Und er würde keine zweite Warnung aussprechen. Seth wandte sich um und ging in die Flammen hinein. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte. Alles andere war Schweigen. „Er und Loki haben es aus dem Gebäude herausgeschafft. Die Nachbarn hatten bereits die Feuerwehr benachrichtigt.“ Tatos Stimme weckte ihn sanft aus den Bildern. Mokuba saß neben ihm und hatte seine Heilung beendet. Auch er sah bedrückt aus. Wahrscheinlich hatte Tato auch ihn an den Bildern teilhaben lassen. „Seth hat ihm gedroht“ flüsterte Yami. Seth fühlte sich von Finn bedroht. Er fühlte sich verdrängt. Dieses Mal hatte er nur sein Haus vernichtet. Die Warnung war eindeutig. Beim nächsten Mal würde er keine Gnade mehr zeigen. Er richtete sich langsam auf und lehnte sich in Tatos Arme, die ihn stützten. „Es war ja zu befürchten, dass Seth eifersüchtig wird. Aber dass er so weit geht“ suchte Mokuba nach Erklärungen, nach Entschuldigungen. „Er rottet ganze Landstriche aus. Was erwartest du von einem Massenmörder?“ „Tato!“ Mokuba sah ihn streng an. Das war hier wirklich gerade fehl am Platze. Yami ballte die Fäuste und stierte mit tränenden Augen den Boden an. „Ich werde Finn nicht aufgeben. Ich liebe ihn und ich werde ihn nicht verlassen. Ich bin nicht Seths Eigentum.“ „Yami, bei aller Liebe“ erwiderte Tato etwas behutsamer. „Beim nächsten Mal überlebt Finn Seths Eifersucht vielleicht nicht.“ „UND WAS SOLL ICH TUN?“ Er sah ihn wütend an. Sehr wütend. „Wenn Seth denkt, ich verlasse Finn nur weil er ihm Angst macht, dann hat er sich geschnitten. Ich bin der Pharao und ich suche mir meine Geliebten selbst aus. Wenn er ihm oder Loki auch nur ein Härchen krümmt, braucht er bei mir nie wieder angekrochen zu kommen. Dann ist er unten durch! Und das weiß er auch!“ „Sprichst du aus Trotz oder aus Vernunft?“ fragte Tato skeptisch. „Ich spreche aus Liebe! Finn beginnt endlich, sich meiner Liebe zu öffnen und ich werde mir mein Glück nicht kaputtmachen lassen. Von niemandem! Würdest du Spatz verlassen, nur weil ihn jemand bedroht? Oder du, Mokuba? Würdest du Noah verlassen nur weil ein Irrer hinter ihm her ist?“ „Bei uns liegt die Sache etwas anders, Yami. Mit Seth ist nicht zu spaßen.“ „Stell dir vor, mit mir auch nicht.“ Das meinte er ernst. Er würde sich nicht von Seth einschüchtern lassen. Er liebte Finn und wenn Seth das nicht akzeptierte, war das allein Seths Problem. Man konnte über alles sprechen und alles lösen - aber wüste Drohungen und Häuser abfackeln, das war die allerunterste Schublade. Er drängelte seine Beine an Mokuba vorbei und stellte die Füße auf den Boden. „Wo ist Finn?“ „Im Krankenwagen gegenüber. Ich bringe dich hin.“ Tato legte den Arm um ihn und stützte den wütenden Pharao, der trotz der guten Heilung wackelige Knie hatte. Mokuba kletterte nach ihnen aus dem Wagen. Draußen waren die mutigen Männer noch immer dabei, das Haus zu löschen. Die Flammen waren schon etwas niedriger geworden, doch es würde noch viel Wasser brauchen, bevor man die Kontrolle zurückerlangte. Und ganz sicher würde das Feuer nicht eher aufhören zu brennen, bevor nicht alles vernichtet war. Yami bemerkte die Löschversuche nur am Rande. Er ließ sich von Tato in den Krankenwagen helfen, wo er sofort Finns Zustand erkannte. Und Zustand war die richtige Beschreibung. Er trug über die linke Gesichtshälfte eine lange Spur aus Ruß. Über seine Schultern war eine graue Wolldecke gelegt, in welche er seine Hände krallte. Sein schönes Haar war durcheinander und verklettet. Sein leckerer Teint war blass und seine sonst so romantischen Augen blickten ins Leere. Seto saß neben ihm und hatte den Arm um ihn gelegt, doch das schien Finn nicht zu bemerken. Sareth saß auf einem kleinen Hocker und kraulte Loki hinter den Ohren. Die sah auf als Yami in den Wagen kam und wedelte schwach mit dem Schwanz. Ihr ging es im Gegensatz zu ihrem Bruder wohl den Umständen entsprechend gut. „Hey, Süße“ grüßte er und strich ihr im Vorbeigehen über den Kopf. Dann setzte er sich neben Finn und sah Seto an. Der seufzte nur und hatte damit alles gesagt. Er nahm den Arm von Finn und überließ Yami das Feld. „Hey, Loverboy“ sprach er ihn behutsam an und streichelte seine Wange. „Wie geht’s dir, hm?“ „Er steht unter Schock“ erklärte Sareth. „Loki sagte, als sie aus dem Haus kamen, ist Finn zusammengebrochen und hat so sehr geschrien und um sich geschlagen, dass ein Arzt ihm ein Beruhigungsmittel gegeben hat. Seitdem ist er so.“ „Er hört uns, aber wir dringen nicht zu ihm durch“ versuchte Seto zu erklären. „Finn braucht jetzt Ruhe, um aus seiner Schockstarre herauszukommen. Der Notarzt nervt schon die ganze Zeit, dass er ihn ins Krankenhaus bringen will.“ „Wir wussten’s nicht genau“ bemerkte Tato. „Willst du mit ins Krankenhaus oder sollen wir Finn zu uns bringen?“ „Ich glaube, im Krankenhaus kann man ihm im Moment wohl leider besser helfen.“ Yami legte den Arm um seinen starren Liebhaber und schmiegte sich seufzend an seine Seite. „Ich bleibe bei ihm.“ „Ich bleibe auch bei euch“ bot Seto an und zog sich die Decke um seine Schultern enger. „Yugi ist zwar schon unterwegs, aber dann sagen wir ihm, dass wir uns in Krankenhaus treffen. Hat jemand ein Handy dabei?“ Ratlose Gesichter in der Runde. Sareth trug nur einen weißen Seidenpyjama, der am Rücken ziemlich ramponiert aussah. Tato trug auch nur Jeans und Unterhemd. Mokuba hatte nur eine Jogginghose und einen von Noahs Wollpullovern an. Loki trug ja nun mal gar nichts. Und Yami hatte sein Handy abgeschafft. Und an Finn sollte man in seinem Zustand wohl lieber nicht herumsuchen. „Ich fliege auf dem Rückweg bei Papa vorbei und lotse ihn um“ beschloss Tato. „Sari, du fliegst nach hause und packst Oma und Ati ein paar Klamotten ein. Und für Finn am besten auch. Onkel Noah müsste so ziemlich seine Größe haben. Ich sage auch bei Sethan bescheid, was passiert ist. Und … wenn Balthasar immer noch nicht ans Telefon geht und Maries Schmerzen es zulassen, sollte sie jemand ins Aquarium fahren. Wir brauchen Balthasar.“ „Ja“ stimmte auch Sareth leise zu. „Marie ist die einzige, die ihn nach hause holen kann. Auf seine Mama hat er immer gehört. Außerdem ist es doch dumm, wenn er so alleine im Aquarium rumsitzt.“ „Ich glaube nicht, dass Seth so schnell zurückkommt“ sprach Yami mit leiser, etwas trauriger Stimme. „Und wenn, dann bekommt er was zu hören. Meinen Finn so zu behandeln … dafür wird er büßen.“ „Dein Wort in seinem Ohr“ kommentierte Tato ungläubig. Die anderen hielten sich gleich ganz raus. Sicher, Yami würde nicht aufhören Finn zu lieben nur weil Seth etwas dagegen hatte. Aber diese zarte Liebe entwickelte sich zu einem gefährlichen Spiel mit dem Feuer. Und der Pharao konnte nicht auf zwei Seiten spielen. Letztlich würde es sein Spieleinsatz sein, welcher über das Schicksal entschied. To be continued … ************************************************************************************************* So, das war’s erst mal so weit. Ich denke, das ist ne gute Stelle für einen Cliffhänger. Ich lasse euch doch so gern mit Fragezeichen zurück. XD Fragen wie (in beliebiger Reihenfolge): - Wird Finn dem Druck standhalten und bei Atemu bleiben? Oder ist seine Angst vor Seth größer als seine Liebe zum Pharao? Und hat Ati da auch noch ein Wörtchen mitzureden? - Wird Sethos gesund zurückkehren und wenn ja …? (hi hi hi ^^) - Was ist denn nun mit Setos Wassermagie? Das wird’s doch wohl hoffentlich nicht gewesen sein! - Warum kann Sethan seine Liebe zu Marik nur ertragen, solange Marik ihn nicht zurückliebt? - Was hat klein Tatos Vision von der Blumenwiese zu bedeuten? - Wird masamume noch mehr wehrlose Charas zwangsverschwulen oder war’s das jetzt langsam mal? (Sari/Edi sind ja mein einzig gelungenes Heteropaar in letzter Zeit … ja, jede Rüge an mich ist berechtigt!) - Kommt nun auch Balthasar vom rechten Wege ab und folgt dem Wahnsinn seines Vaters oder findet das verlorene Schäfchen zurück in die Herde? - Warum folgt der junge Karamellfalke ausgerechnet dem unwilligen Edith? - Wird Sethan es doch noch schaffen, den Seth gefangen zu nehmen? - Welche spezielle Seele will der Seth für sich haben? Und was will er für nur einen Tag unbehelligt auf der Erde? - Findet Seto die Namen seiner Seelenwächter? - Und … wann gibt’s denn nun endlich die Apokalypse? - Und was werden die bekifften Kommimusen noch so produzieren? Diese und andere Rätsel werden beim nächsten Mal gelöst. Bis dahin vergesst mich bitte nicht und nehmt mir das Versprechen ab, dass ich es zu Ende bringen werde. Auf die ein oder andere Weise. ^^ Ich liebe euch und danke, dass ihr mir so lang die Treue gehalten habt. Hoffentlich enttäusche ich euch nicht und ihr seid auf das Ende aller Teile gespannt. Wie bereits gesagt - ich mache hieraus nur einen Zwischenteil, weil ich so liebevoll darum gebeten wurde und doch so schlecht nein sagen kann. So süße Anfeuerungen zwischendurch kann man ja nicht einfach so unbelohnt lassen. XD Ich liebe euch und bitte bleibt bei mir - bis zum bittersüßen Ende. ^^‘ Lovely yours, masamume Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)